AUS DEN VERTRAGS- / ERSTRECKUNGSSTAATEN
GB Vereinigtes Königreich
Entscheidung des Court of Appeal vom 20. März 20001
Stichwort: "Palmaz europäische Patente (UK)"
PatG (GB) 1977 §§: 2 (2), 3, 27 (3), 75 (3), 77 (4), 125 (1)
Schlagwort: Klage auf Feststellung der Nichtverletzung und Nichtigkeitsklage - Änderung im EPA - Auslegung des geänderten Anspruchs
Zusammenfassung
In Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung und in Nichtigkeitsklagen bezogen sich die beiden Streitpatente EP 221 570 (als "Palmaz 1" bezeichnet) und EP 335 341 (als "Palmaz 2" bezeichnet) auf aufweitbare, "Stents" genannte Vorrichtungen zur Abstützung der Wände eines Körperdurchgangs, um ein Lumen oder eine Röhre offenzuhalten; sie spielen eine wichtige Rolle bei der Behandlung koronarer Herzerkrankungen. Angeblich verletzt war ein Stent unterschiedlicher Ausbildung, der als "NIR-Stent" bezeichnet wurde.
Palmaz 1 war vor dem Europäischen Patentamt erfolgreich angefochten und dann im Beschwerdeverfahren mit geänderten Ansprüchen aufrechterhalten worden. Die endgültige Fassung der Patentschrift war jedoch am 26. Juni 1998, als der erkennende Richter die Entscheidung des Patentgerichts erließ, noch nicht bekannt.2 Er kam zu dem Schluß, daß die ihm vorliegende Fassung des Patents die unveränderte Fassung einschließlich der nicht rechtsgültigen unveränderten Ansprüche sein müsse und daß eine Änderung nicht zugelassen werden dürfe; daraus folge, daß das Patent zu widerrufen sei. Allerdings prüfte er auch die geänderten, vom Europäischen Patentamt gewährten Ansprüche und gelangte zu dem Ergebnis, daß das Patent selbst mit diesen geänderten Ansprüchen nicht rechtsgültig sei und daß der NIR-Stent keine Verletzung dargestellt hätte.
In der Patentschrift von Palmaz 1 wurde die Erfindung unter Bezugnahme auf zwei Sätze mit zwei Abbildungen beschrieben, die jeweils einen Stent vor und nach der Aufweitung zeigen. In den Abbildungen 1A und 1B war dargestellt, was (mit der Änderung) als Stand der Technik gewürdigt wird, nämlich ein Drahtgeflechtrohr aus endlosem rostfreiem Stahldraht mit rohrförmigem Gittermuster. Die Abbildungen 2A und 2B zeigten als Ausführungsart der Erfindung ein Rohr, das aus sich kreuzenden ersten und zweiten Stäben gebildet ist, die jeweils einen gleichförmigen rechteckigen Querschnitt haben, wobei sich jeder zweite Stab auf dem Umfang eines Kreises nur zwischen einem Paar erster Stäbe erstreckt, die ihrerseits durch mindestens zwei der zweiten Stäbe verbunden sind. Die Struktur ließ sich erzeugen, indem in ein Rohr aus rostfreiem Stahl Schlitze zwischen die Stäbe geätzt werden. Diese Strukturmerkmale waren Anspruch 1 durch die Änderung hinzugefügt worden.
Der Beschwerdegegner bestritt, daß diese Merkmale im NIR-Stent enthalten seien.
In zwei mündlichen Vorträgen vor dem Prioritätstag des Patents hatte der Erfinder ähnliche Zeichnungen wie die Abbildungen 1A und 1B sowie ähnliche Zeichnungen wie die Abbildungen 2A und 2B vorgeführt. Er behauptete, erörtert worden seien lediglich die ersteren Zeichnungen und die Drahtgeflechtkonstruktion und nicht die letzteren Zeichnungen und die Rohrkonstruktion mit Schlitzen, aber der Richter war der Auffassung, daß nach Abwägen der Wahrscheinlichkeit eine neuheitsschädliche Vorwegnahme stattgefunden habe. Habe es keine Vorwegnahme gegeben, so sei die Erfindung schon aufgrund der Zeichnungen naheliegend.
Der Richter stellte auch fest, die geänderten Ansprüche seien im Hinblick auf ein acht Jahre vor dem Prioritätstag veröffentlichtes US-Patent ("Ersak") naheliegend.
Die Erfindung gemäß Palmaz 2 bezog sich auf Vorrichtungen des in Palmaz 1 (einer Vorveröffentlichung) offenbarten Typs, die aus flexiblen Verbindungselementen zusammengefügt sind. Der Beschwerdegegner brachte vor, der NIR-Stent bestehe aus einem einzigen flexiblen rohrförmigen Element und nicht aus einer Vielzahl durch ein Verbindungselement verbundener Elemente und werde somit von den Ansprüchen nicht erfaßt. Der Richter hielt Palmaz 2 für ungültig und nicht verletzt.
Der Patentinhaber legte beim Berufungsgericht Beschwerde ein.
Inzwischen war am 20. Oktober 1999 Palmaz 1 vom Europäischen Patentamt schließlich geändert worden. Der Beschwerdegegner behauptete vor dem Berufungsgericht, daß das Patent im Vereinigten Königreich nur wiederaufleben könne, wenn man die richterliche Feststellung über die Änderung aufhebe; dies bedinge, daß das Gericht von der Zulässigkeit der Änderungen überzeugt sei.
Das Berufungsgericht entschied aus den folgenden Gründen, die Beschwerde zurückzuweisen und die Patente zu widerrufen:
1. Ist ein europäisches Patent durch rechtskräftige Entscheidung des Europäischen Patentamts geändert worden, so ist diese Änderung rückwirkend ab der Erteilung des Patents wirksam, und das geänderte Patent gilt als die einzige existierende Fassung.
2. Der Richter war zu Recht zu dem Schluß gelangt, daß zu dem Zeitpunkt, als die Form der Ansprüche eines europäischen Patents, nicht jedoch die endgültige Fassung der Patentschrift bekannt war, die Fassung des europäischen Patents (U.K.), aus dem der Inhaber seine Rechte ableitete, nach wie vor die unveränderte Fassung einschließlich der unveränderten Ansprüche war.
3. Es konnte erwartet werden, daß Anspruch 1 von Palmaz 1, der nur durch die Abbildungen 2A und 2B und die zugehörige Beschreibung gestützt wurde, die Merkmale enthält, die die Erfindung vom Stand der Technik unterscheiden sollten. Es wäre daher überraschend, wenn der Anspruch den NIR-Stent umfassen würde, der völlig anders ausgebildet ist. Der Richter hatte zu Recht entschieden, daß dies nicht der Fall war.
4. Zahlreiche Beweise im Zusammenhang mit der ersten behaupteten Vorwegnahme und hinreichende Beweise im Zusammenhang mit den übrigen behaupteten Vorwegnahmen sprechen für die Tatsachenfeststellungen des Richters der ersten Instanz; das Gericht sollte in sie nicht eingreifen.
5. Ein Angriff auf die erfinderische Tätigkeit kann nicht damit erwidert werden, der Fachmann hätte nicht erkannt, daß es sich lohne, die in Frage stehende Zeichnung weiter zu untersuchen, und hätte nicht nach einem verbesserungsbedürftigen Mangel der bekannten Vorrichtung gesucht. Es mußte angenommen werden, daß der Fachmann den geltend gemachten Stand der Technik mit Interesse betrachtete. Es stelle sich nur die Frage, ob die beanspruchte Erfindung in Anbetracht eines zum Stand der Technik gehörenden Gegenstands naheliegend war, und nicht, ob sie kommerziell verwertbar erschien. Zum richtigen Schluß gelangt man am besten mit der im "Windsurfing"-Fall vom Richter angewandten strukturierten Methode.
Im Anschluß an Entscheidung Windsurfing International Inc. v. Tabur Marine (Großbritannien) Ltd [1985] R.P.C., 59 (73), Court of Appeal, per Lordrichter Oliver, und Brugger v. Medic-Aid Ltd [1996] R.P.C., 635 (661), Richter Laddie.
6. Das Vorbringen des Patentinhabers, daß es der Fachmann nicht für naheliegend gehalten hätte, das Herstellungsverfahren nach dem Ersek-Patent durch das Anbringen von Schlitzen abzuwandeln, ist zwar nicht von der Hand zu weisen, aber der Ansatz des Richters war richtig, und seine Entscheidung beruhte auf einer gesicherten Grundlage; sie muß daher aufrechterhalten werden.
Im Anschluß an Entscheidung Biogen Inc. v. Medeva PLC [1997] R.P.C., 1 (45), House of Lords, per Lord Hoffmann.
GB 1/01
1 Zusammenfassung der in [2000] R.P.C., 631 vollständig veröffentlichen Entscheidung. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Her Majesty's Stationery Office. Urteile unterliegen dem Urheberrecht der Krone.
2 [1999] R.P.C., 47. Parallele Verfahren in den Niederlanden sind in [1998] F.S.R., 199 und [1999] F.S.R., 352 veröffentlicht.