BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.4 vom 21. Mai 1999 - T 727/95 - 3.3.4
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzende: | U. M. Kinkeldey |
Mitglieder: | F. L. Davison-Brunel |
| S. C. Perryman |
Patentinhaber/Beschwerdegegner: WEYERSHAEUSER COMPANY
Einsprechender/Beschwerdeführer: Ajinomoto Co., Inc.
Stichwort: Cellulose/WEYERSHAEUSER
Artikel: 83 EPÜ
Schlagwort: "ausreichende Offenbarung (verneint)"
Leitsatz:
Es wäre ein unzumutbarer Aufwand, wenn man sich auf den Zufall verlassen müßte, um eine Erfindung ausführen zu können, sofern nicht bewiesen ist, daß solche Zufallsereignisse häufig genug eintreten, um den Erfolg zu garantieren (siehe Nr. 11).
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 0 228 779 mit der Bezeichnung "Netzartiges Celluloseprodukt, daraus hergestellte Blätter sowie Verfahren und Mikroorganismen zu ihrer Herstellung" wurde mit 8 Ansprüchen auf die europäische Patentanmeldung Nr. 86 308 092.5 erteilt.
Anspruch 5 lautete wie folgt:
"5. Verfahren zur Herstellung einer netzartigen Cellulose nach Anspruch 1, umfassend:
a) Züchtung unter Schüttelkulturbedingungen eines als Acetobacter bezeichneten Mikroorganismus mit der Fähigkeit der Mikroorganismen, die von ATCC 53264, ATCC 53263 und ATCC 53524 erhältlich sind, zur Erzeugung eines Celluloseprodukts unter Schüttelkulturbedingungen in einem für die Celluloseproduktion geeigneten Flüssigmedium bei einer durchschnittlichen volumetrischen Produktivität von mindestens 0,1 g/l/h über einen Zeitraum von mehr als 70 Stunden, wobei der Mikroorganismus unter Schüttelkulturbedingungen eine Häufigkeit der Umwandlung von Cellulose erzeugenden Formen in nicht Cellulose erzeugende Formen von weniger als 0,5 % im Verlauf von 42 bis 45 Generationen aufweist, bestimmt durch das Auftreten von nicht Cellulose erzeugenden Kolonien auf festem Medium, und
b) Entnahme des angefallenen netzartigen Celluloseprodukts."
Anspruch 1 bezog sich auf eine mikrobiologisch erzeugte netzartige Cellulose. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 enthielten weitere Merkmale der in Anspruch 1 beschriebenen Cellulose. Die Ansprüche 6 bis 8 bezogen sich auf für die Herstellung dieser Cellulose geeignete Mikroorganismen.
II. Gegen die Patenterteilung wurde Einspruch eingelegt und unter Berufung auf Artikel 100 a) EPÜ (keine Neuheit und erfinderische Tätigkeit) sowie Artikel 100 b) EPÜ (Offenbarungsmangel) der Widerruf des Streitpatents beantragt.
III. Die Einspruchsabteilung hielt das Patent in geändertem Umfang aufrecht.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde ein, entrichtete die Beschwerdegebühr und reichte eine Beschwerdebegründung zusammen mit Versuchsdaten ein.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) reichte auf die Beschwerdebegründung eine Erwiderung ein, der ebenfalls Versuchsdaten beigefügt waren.
VI. Die Beschwerdeführerin nahm zu dieser Erwiderung Stellung.
VII. Den Parteien ging gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern eine Mitteilung mit der vorläufigen, nicht bindenden Auffassung der Kammer zu.
VIII. Beide Parteien nahmen zur Mitteilung der Kammer Stellung und reichten weitere Erklärungen und experimentelle Nachweise ein.
IX. Am 23. März 1999 fand eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdegegnerin reichte einen neuen Hauptantrag und einen Hilfsantrag ein.
Die Ansprüche 1 und 3 des Hauptantrags lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung einer netzartigen Cellulose mit häufig verdickten Strängen, die sich zu einem gitterartigen Muster verbinden, das sich in drei Dimensionen erstreckt und bei der Verformung zu Blättern durch Einrichtungen zur Blattherstellung Widerstand gegen eine Verdichtung zeigt, wobei das Verfahren folgendes umfaßt:
a) Züchtung unter Schüttelbedingungen eines als Acetobacter bezeichneten Mikroorganismus mit der Fähigkeit der Mikroorganismen ATCC 53264, ATCC 53263 und ATCC 53524 zur Erzeugung eines Celluloseprodukts unter Schüttelkulturbedingungen, wobei der Mikroorganismus bei Züchtung gemäß Beispiel XII die Fähigkeit hat, Cellulose mit einer durchschnittlichen volumetrischen Produktivität von mindestens 0,1 g/l/h über einen Zeitraum von mehr als 70 Stunden zu erzeugen, und unter Schüttelkulturbedingungen eine Häufigkeit der Umwandlung von Cellulose erzeugenden Formen in nicht Cellulose erzeugende Formen von weniger als 0,5 % im Verlauf von 42 bis 45 Generationen aufweist, bestimmt durch das Auftreten von nicht Cellulose erzeugenden Kolonien auf festem Medium, und
b) Entnahme des angefallenen netzartigen Celluloseprodukts."
"3. Mikroorganismus mit der Bezeichnung Acetobacter mit der Fähigkeit der Mikroorganismen ATCC 53264, ATCC 53263 und ATCC 53524 zur Erzeugung eines Celluloseprodukts unter Schüttelkulturbedingungen, der unter Schüttelkulturbedingungen eine Häufigkeit der Umwandlung von Cellulose erzeugenden Formen in nicht Cellulose erzeugende Formen, bestimmt durch das Auftreten von nicht Cellulose erzeugenden Kolonien auf festem Medium, von weniger als 0,5 % im Verlauf von 42 bis 45 Generationen aufweist und der bei Züchtung gemäß Beispiel XII die Fähigkeit hat, Cellulose unter Schüttelkulturbedingungen mit einer durchschnittlichen volumetrischen Produktivität von mindestens 0,1 g/l/h über einen Zeitraum von mehr als 70 Stunden zu erzeugen."
Anspruch 3 des Hilfsantrags unterschied sich von dem des Hauptantrags durch die genauere Definition des Celluloseprodukts.
X. Die folgenden in der Akte befindlichen Dokumente werden in dieser Entscheidung erwähnt:
(45): Erklärung von Dr. Shoda vom 31. Oktober 1995,
(53): Erklärung von Prof. Streeck vom 31. Oktober 1995.
XI. Die Beschwerdeführerin trug in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung zu den Erfordernissen der Artikel 83 und 123 EPÜ sinngemäß folgendes vor:
In der ursprünglichen Fassung der Anmeldung sei die Fähigkeit der Mikroorganismen Acetobacter (Anspruch 1 a)) zur Erzeugung von Cellulose nicht direkt in Verbindung mit den hinterlegten Stämmen definiert worden.
Gleichermaßen sei das Kulturmedium in Beispiel XII ursprünglich nicht in Verbindung mit Acetobacter-Stämmen allgemein, sondern in Verbindung mit dem besonderen Stamm 1603-11 offenbart worden. Außerdem sei es nicht als Medium zur Erzeugung von Cellulose, sondern als Wachstumsmedium vor der Cellulose-Produktion eingesetzt worden.
Aus Beispiel XII gehe nicht hervor, ob das Wachstumsmedium flüssig oder fest sein müsse, während im erteilten Anspruch 1 gefordert werde, daß es flüssig sein müsse. Daher komme der Ersatz des Merkmals "flüssiges Medium" durch das Merkmal "gemäß Beispiel XII kultiviert" einer Erweiterung des Schutzbereichs gleich.
Die Ansprüche 1 bis 4 seien weder auf ein mit den hinterlegten Mikroorganismen durchzuführendes Verfahren (Anspruch 1 oder 2) noch auf die hinterlegten Mikroorganismen (Ansprüche 3 oder 4) beschränkt. Es stelle sich daher die Frage, ob andere Mikroorganismen, die die beanspruchte Produktivität und Stabilität aufwiesen, ohne unzumutbaren Aufwand isoliert werden könnten.
Es sei vorgetragen worden, der Fachmann hätte die klassische Mutagenese als Mittel zur Gewinnung dieser Mikroorganismen in Betracht gezogen. Der Fachmann könne aber nicht wissen, welcher Acetobacter-Stamm mutagenisiert werden müsse. Außerdem sei der wesentliche Schritt, nämlich die Selektion eines Stamms, der die Anforderungen an Produktivität und Stabilität erfülle, nicht so offenbart worden, daß er ausgeführt werden könne.
Die Häufigkeit des Auftretens hochproduktiver Cellulose-Erzeuger in einer mutagenisierten Population liege bei etwa einem von 50 000. Das optische Erscheinungsbild der mutagenisierten Kolonien liefere keinen Hinweis auf ihre Fähigkeit, überdurchschnittlich viel Cellulose zu produzieren (Dokument 45). Durch Auslese der schnell wachsenden Formen in Schüttelkolben würde man die Formen gewinnen, die keine Cellulose erzeugen, da diese schneller wüchsen als die, die Cellulose erzeugen. Die Prüfung der Stabilität und Produktivität jeder einzelnen Mutante in 14-Liter-Fermentern stelle einen unzumutbaren Aufwand dar, da die Isolierung einer gewünschten Mutante sogar ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen könne.
Diese Situation sei nicht vergleichbar mit derjenigen in der Biotechnologie, wo der Fachmann aufgrund der Kenntnis einer entsprechenden DNA-Sequenz die Erfindung auch bei breiteren Ansprüchen nacharbeiten könne, auch wenn sie Varianten umfaßten. Dies sei aber nicht möglich bei einer Erfindung, die eine Spontanmutante betreffe, denn hier werde eine andere Mutante mit der gewünschten Eigenschaft nur durch Zufall erzeugt und könne nicht ohne unzumutbaren Aufwand selektiert werden, weil der Selektionsprozeß eine Kultivierung von über 70 Stunden in industriellem Maßstab erfordere.
XII. Die Beschwerdegegnerin erwiderte sinngemäß folgendes:
Die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung habe offenbart, daß unter die Erfindung auch Mikroorganismen fielen, die den hinterlegten Stämmen in bezug auf die Erzeugung von Cellulose funktionell gleichwertig seien.
Das Kulturmedium in Beispiel XII sei ursprünglich nicht nur in Verbindung mit Stamm 1603-11, sondern auch in Verbindung mit Stamm 1603-21 in Beispiel XIII offenbart worden. In beiden Beispielen sei Cellulose aus Stämmen erzeugt worden, die in diesem Medium gezüchtet worden seien.
Aus dem Wortlaut von Beispiel XII gehe hervor, daß das darin definierte Medium flüssig sei.
Auf dem Gebiet der Biotechnologie sei grundsätzlich entschieden worden, daß es zulässig sei, von einer geklonten Sequenz auf alle mit ihr hybridisierenden Sequenzen zu schließen. Daher könne eine sehr große Zahl von Molekülen beansprucht werden, auch wenn nur ein einziges Molekül isoliert worden sei und die Gewinnung weiterer mit viel Arbeit verbunden wäre. Aus rechtlicher Sicht sei es unbillig, einer anderen Technik, bei der es dieselbe Art von breiten Ansprüchen gebe, einen ähnlichen Schutz zu verweigern.
Gehe man von den erfindungsgemäßen Stämmen aus, so sei es überhaupt nicht notwendig, zur Herstellung der wesentlichen Merkmale der Erfindung einen Mutationsprozeß in Betracht zu ziehen. Wären aber Mutanten mit weiteren Merkmalen erforderlich, so könnten sie ohne unzumutbaren Aufwand durch klassische Mutagenese der hinterlegten Stämme gewonnen werden.
Stabile, hochproduktive Cellulose-Erzeuger könnten ohne unzumutbaren Aufwand auch durch klassische Mutagenese eines jeden Acetobacter-Stamms gewonnen werden. Mit einer einzigen Mutagenese könne man 5 000 Mutanten erzielen. Der erste Schritt beim Mutantenscreening bestünde dann darin, die Morphologie der überlebenden Mutanten zu untersuchen. Nach diesem Auswahlkriterium erhielte man 400 bis 500 überlebende Mutanten. Ihr Wachstum würde dann in Schüttelkolben getestet, und die langsam wachsenden Formen würden entfernt, da es bei der industriellen Kultivierung auf ein gutes Wachstum der Mikroorganismen ankomme. Durch dieses Verfahren verringere sich die Zahl der Mutanten beim letzten Screening, so daß schließlich 20 bis 30 schnell wachsende Formen in 14-Liter-Fermentern getestet würden, was durchaus machbar sei.
Es wäre unbillig, von der Beschwerdegegnerin zu verlangen, eine Obergrenze für die volumetrische Produktivität festzulegen, da sie als erste eine Produktivität offenbart habe, die so hoch sei wie die niedrigste beanspruchte Produktivität.
XIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent Nr. 0 228 779 zu widerrufen oder ihr hilfsweise Gelegenheit zu geben, weitere experimentelle Nachweise vorzulegen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, den Hilfsantrag der Beschwerdeführerin zurückzuweisen, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung am 23. März 1999 eingereichten Haupt- oder Hilfsantrags aufrechtzuerhalten.
XIV. Nach Beratung der Kammer verkündete deren Vorsitzende am Ende der mündlichen Verhandlung folgende Entscheidung: "Die Entscheidung der Kammer wird schriftlich zugestellt. Es werden keine Eingaben mehr zugelassen, sofern die Kammer keine Fortsetzung des Verfahrens beschließt und einen Zeitplan für weitere Eingaben aufstellt."
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Auf Seite 40 der ursprünglich eingereichten Anmeldung heißt es, daß "alle Mikroorganismen-Stämme unter die Erfindung fallen sollen, die den hinterlegten Stämmen funktionell gleichwertig sind". Der Einwand, daß die Mikroorganismen ursprünglich nicht in direkter Verbindung mit den hinterlegten Stämmen definiert worden seien, geht also fehl.
3. Das ursprünglich eingereichte Beispiel XII offenbart die Erzeugung von Cellulose durch den Stamm 1603-11 in einem Medium mit der Bezeichnung "CSL-Medium", dessen Zusammensetzung auf Seite 14 beschrieben ist. Dieses Medium wird (wenngleich in einer etwas niedrigeren Konzentration) auch in Beispiel II für die Untersuchung der Cellulose-Produktivität anderer Acetobacter-Stämme (ATCC 31174, ATCC 2376A oder B) verwendet. Das Medium in Beispiel XII wurde somit ursprünglich als ein Medium offenbart, in dem Acetobacter-Stämme allgemein Cellulose erzeugen.
4. Das Medium in Beispiel XII wird in einem Fermenter unter Schüttelbedingungen verwendet und muß folglich flüssig sein. Der Ersatz des Begriffs "flüssiges Medium" durch "Medium in Beispiel XII" führt nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des Anspruchs.
5. Die Erfordernisse von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ sind erfüllt.
Artikel 83 EPÜ; ausreichende Offenbarung
Anspruch 3 des Haupt- und des Hilfsantrags
6. Dieser Anspruch bezieht sich auf Acetobacter-Mikroorganismen mit der Fähigkeit der hinterlegten Mikroorganismen ATCC 53264, ATCC 53263 und ATCC 53254, was die Erzeugung von Cellulose und die Häufigkeit der Umwandlung von Cellulose erzeugenden Formen in nicht Cellulose erzeugende Formen betrifft. Durch die Formulierung "mit der Fähigkeit der" umfaßt der Anspruch nicht nur von den hinterlegten Stämmen abgeleitete Acetobacter-Mikroorganismen, sondern auch solche, die dieselben beschriebenen Merkmale aufweisen wie die hinterlegten Stämme.
7. Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist diese Vorschrift so zu verstehen, daß der im Anspruch definierte Gegenstand anhand der Lehre der Patentschrift ohne unzumutbaren Aufwand vollständig ausführbar sein muß (siehe z. B. T 409/91, ABl. EPA 1994, 653; T 435/91, ABl. EPA 1995, 188; T 612/92 vom 28. Februar 1996). Dies bedeutet im vorliegenden Fall, daß die Patentschrift ausreichende Informationen nicht nur über die Isolierung weiterer Mutanten der hinterlegten Mikroorganismen, sondern auch über die Isolierung stabiler Acetobacter mit hoher Cellulose-Produktion liefert, die einen anderen genetischen Hintergrund haben.
8. Auf Seite 10, Zeilen 7 - 12 und in den Beispielen II und IV der Patentschrift wird ein Verfahren beschrieben, wodurch der hinterlegte Mikroorganismus ATCC 53264 (1603-3) zu glcA- mutiert. Es werden die Bedingungen angegeben, unter denen die Mutagenese durchzuführen ist, und es wird der Test für das Screening der glcA--Mutanten beschrieben. Beispiel II zeigt, wie die Stabilität des Cellulose erzeugenden Phänotyps, Beispiel XII wie die Cellulose-Produktivität getestet wird. Die Kammer sieht deshalb keinen unzumutbaren Aufwand darin, ausgehend vom hinterlegten Stamm andere Mutanten zu isolieren, die den gewünschten Phänotyp und daneben die beanspruchten Merkmale Cellulose-Produktivität und Stabilität aufweisen. In dieser Hinsicht ist die Patentschrift nacharbeitbar.
9. Anspruch 3 des Haupt- und des Hilfsantrags erstreckt sich jedoch auch auf stabile, hochproduktive Cellulose-Erzeuger, die nicht von den hinterlegten Mikroorganismen abgeleitet sind. Bei der Beurteilung, ob solche Stämme isoliert werden können, ist zunächst zu bedenken, wie ein stabiler, hochproduktiver Cellulose-Erzeuger laut Seite 9, Zeilen 20 bis 25 der Patentschrift ursprünglich gewonnen wurde: "Die erfindungsgemäßen stabilen Acetobacter-Stämme wurden aus einem ursprünglichen Isolat von einem ursprünglichen Isolat eines A. xylinum-Stamms ... unter der Eingangsnummer NRRL B42 gewonnen. Bei der Kultur des NRRL-Stamms auf Agar-Platten mit dem Medium R20-2 traten zwei morphologisch unterschiedliche Kolonien auf, eine weiße und eine beige. Unter dem Mikroskop haben die beigefarbenen Kolonien längliche, stabförmige Zellen, die für Acetobacter-Stämme charakteristisch sind. Dieser Stamm trägt die Bezeichnung 1306-3. Im Gegensatz zur Stammkultur NRRL B42 erzeugt 1603-3 kein wasserlösliches Polysaccharid".
10. Weitere Angaben enthält das Patent nicht. Insbesondere wird nicht offenbart, daß die beigefarbenen Kolonien, die kein Polysaccharid erzeugen, immer stabile und hochproduktive Cellulose-Erzeuger sind. In ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Kammer stellte die Beschwerdegegnerin denn auch fest: "Zwar sind solche Stämme (stabil, hochproduktiv) möglicherweise auch in der Natur anzutreffen, doch stellt dies bei weitem nicht die gesamte Grundlage für eine ausreichende Offenbarung dar. Die Erfüllung des Erfordernisses von Artikel 83 hängt nicht von solchen weiteren 'Zufallstreffern' ab". (Zusatz in Klammern durch die Kammer.)
11. Nach Auffassung der Kammer wäre das Auffinden anderer stabiler Acetobacter-Stämme mit überdurchschnittlicher Cellulose-Produktion in der Natur allerdings ein Zufall, und es wäre ein unzumutbarer Aufwand, wenn man sich darauf verlassen müßte, um eine Erfindung ausführen zu können, sofern nicht bewiesen ist, daß solche Zufallsereignisse häufig genug eintreten, um den Erfolg zu garantieren. Damit die Offenbarung als ausreichend anerkannt werden kann, muß es andere zuverlässige Wege geben, solche Stämme herzustellen.
12. Als ein solcher Weg ist die klassische Mutagenese angeführt worden. Die Kammer läßt gelten, daß die Verbesserung bakterieller Eigenschaften durch Mutagenese am Prioritätstag allgemeines Fachwissen war. Der Fachmann hätte daher auf die Idee kommen können, die bereits vorhandenen Acetobacter-Stämme mit Blick auf eine verstärkte Cellulose-Produktion zu mutagenisieren, auch wenn in der Patentschrift über eine solche Vorgehensweise nichts ausgesagt wird.
13. Nach Angaben der Beschwerdegegnerin würden 400 bis 500 überlebende Mutanten anhand ihres morphologischen Erscheinungsbilds ausgewählt und in Schüttelkolben auf ihre Wachstumseigenschaften hin getestet. Die 20 bis 30 schnell wachsenden Mutanten unter ihnen würden entsprechend Beispiel XII des Streitpatents in 14-Liter-Fermentern auf ihre Cellulose-Produktivität und ihre Stabilität hin getestet. Nur wenige Tests seien notwendig, um die gewünschte Mutante zu ermitteln.
14. Dabei ist aber nie behauptet worden, daß sich die überlebenden Formen, die große Mengen Cellulose erzeugen, morphologisch von denen unterscheiden, die durchschnittliche Mengen Cellulose erzeugen (wie etwa die Bakterienzellen in der mutagenisierten Kultur, die vielleicht der Mutagenese entgangen sind). Selbst wenn die nicht Cellulose erzeugenden Formen morphologisch von den Cellulose-Erzeugern unterschieden werden könnten, wäre dies für die Ermittlung der hochproduktiven Formen nicht hilfreich.
15. Auch ist die Fähigkeit zu schnellem Wachstum nie mit einer hohen Cellulose-Produktivität oder Stabilität verknüpft worden. Das Streitpatent offenbart auf Seite 3, Zeilen 25 bis 27 vielmehr, daß Acetobacter, die keine Cellulose erzeugen, unter Schüttelbedingungen schneller wachsen als solche, die Cellulose erzeugen. Diese Eigenschaft könnte darauf hindeuten, daß instabile Cellulose-Erzeuger, die mit einer hohen Frequenz wieder zu nicht Cellulose erzeugenden Formen werden, schneller wachsen als stabile.
16. Nach Auffassung der Kammer sind daher die Schritte, die dem Test in den 14-Liter-Fermentern vorausgehen, nicht dazu geeignet, die schnell wachsenden Mikroorganismen, die große Mengen Cellulose erzeugen, von denen zu unterscheiden, die eine durchschnittliche Menge erzeugen. Sie eignen sich auch nicht für die Selektion von Mutanten, deren Fähigkeit zur Erzeugung von Cellulose stabil ist.
17. Zu klären bleibt daher die Frage, ob es einen unzumutbaren Aufwand bedeutet, schnell wachsende, Cellulose erzeugende Formen, die die Mutagenese überlebt haben, in 14-Liter-Fermentern einzeln daraufhin zu testen, ob es sich bei ihnen um stabile, hochproduktive Cellulose-Erzeuger handelt. Im Fall der Mutagenese zu glcA- offenbart das Streitpatent auf Seite 10, Zeilen 9 bis 12, daß aus einer Population von 8 100 überlebenden Mutanten zwei glcA--Mutanten gefunden wurden. Laut Dokument 53 "gibt es viel mehr Möglichkeiten, eine genetische Funktion zu inaktivieren (zu zerstören) ..., als Möglichkeiten, die Synthese eines Genprodukts zu steigern". Dementsprechend müßten Mutationen zu einer Überproduktion von Cellulose seltener sein als Mutationen zu glcA-. Dennoch könnte man rein theoretisch einmal annehmen, daß die Häufigkeit von Mutationen zu glcA- und zu einer Überproduktion von Cellulose ungefähr gleich ist. In diesem Fall müßten rund 4 000 überlebende Mutanten in 14-Liter-Fermentern getestet werden, um eine hochproduktive Form zu isolieren. Nach Auffassung der Kammer stellt dies einen unzumutbaren Aufwand dar, und es ist dabei nicht einmal sicher, daß bei der Untersuchung einer so großen Zahl von Überlebenden eine geeignete Mutante gefunden wird.
18. Die Kammer schließt daraus, daß der Gegenstand von Anspruch 3 des Hauptantrags über die gesamte Breite des Anspruchs nicht ohne unzumutbaren Aufwand nacharbeitbar ist. Anspruch 3 des Hilfsantrags unterscheidet sich von dem des Hauptantrags durch die nähere Charakterisierung der von den beanspruchten Mikroorganismen erzeugten Cellulose. Dieses Merkmal ändert aber nichts an der Beurteilung des Offenbarungsgehalts.
19. Die Beschwerdegegnerin hat diese Situation mit derjenigen in der Biotechnologie verglichen, wo die Isolierung und Charakterisierung einer bestimmten DNA als Grundlage dafür ausreiche, die Offenbarung eines breiten Anspruchs, der sich auf die DNA und die mit ihr hybridisierenden DNAs beziehe, als ausreichend anzuerkennen. Ein solcher Anspruch umfasse mehr Verbindungen, als Mutantenstämme unter einen Anspruch auf Acetobacter-Mikroorganismen fielen, die in bezug auf Cellulose-Produktivität und Stabilität die Fähigkeit der hinterlegten Stämme aufwiesen. Es sei daher nur billig und recht, bei dem breiten Anspruch im vorliegenden Fall die Offenbarung als ausreichend anzuerkennen.
20. Mit diesem Vergleich unterstellt die Beschwerdegegnerin, daß zwischen den beanspruchten Mikroorganismen und dem hinterlegten Stamm die gleiche Beziehung besteht wie zwischen den DNAs, die mit der beanspruchten DNA hybridisieren, und der beanspruchten DNA, d. h. daß es denkbar sei, daß die ersteren von letzterer abgeleitet werden können. Dies trifft in der Tat für die unter Anspruch 3 fallenden Mikroorganismen zu, die von den hinterlegten Stämmen durch weitere gewünschte Mutationen abgeleitet werden, dabei aber die Cellulose-Produktivität und Stabilität der hinterlegten Stämme bewahren (siehe Nr. 6).
21. Anspruch 3 beschränkt sich aber nicht auf solche Mikroorganismen, sondern umfaßt auch Acetobacter-Mikroorganismen mit der beanspruchten Cellulose-Produktivität und Stabilität, die nicht von den hinterlegten Stämmen abstammen. In bezug auf diese ist die Offenbarung unzureichend. Da die vorstehende Begründung auf diese Mikroorganismen nicht zutrifft, kann sie auch nicht benutzt werden, die Offenbarung des Anspruchs in seiner ganzen Breite als ausreichend anzuerkennen.
Entscheidungsformel:
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Das Patent wird widerrufen.