BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.4.1 vom 2. Dezember 1999 - T 142/97 - 3.4.1
(Verfahrenssprache)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | G. Davies |
Mitglieder: | H. K. Wolfrum |
Patentinhaber/Beschwerdegegner: Stöckli Rudolf
Einsprechender/Beschwerdeführer: F. Zimmermann GmbH & Co. KG
Stichwort: Vorrichtung zum Vereinzeln von scheibenförmigen Gegenständen/STÖCKLI
Artikel: 113(1), 117(1), 117(3) EPÜ
VerfOBK: Art. 10
Schlagwort: "Offenkundige Vorbenutzung" - "Nichtzulassung eines rechtzeitig vorgelegten und substantiierten Beweisangebotes durch die Einspruchsabteilung" - "Wesentlicher Verfahrensmangel (ja); Zurückverweisung an die 1. Instanz und Rückzahlung der Beschwerdegebühr; hilfsweise beantragte mündliche Verhandlung weder sachdienlich noch erforderlich"
Leitsatz:
Ein Organ des EPA ist grundsätzlich verpflichtet, sich von der Relevanz vorgelegter Beweismittel zu überzeugen, bevor es über deren Annahme oder Ablehnung entscheidet. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann eine Prüfung auf Relevanz entbehrlich sein.
Die Weigerung einer Einspruchsabteilung, rechtzeitig vorgelegte Beweismittel (wie z. B. Zeugenbeweis und Einnahme des Augenscheins) in Betracht zu ziehen, stellt demnach eine Verletzung der grundlegenden Rechte einer Partei auf freie Wahl der Beweismittel und rechtliches Gehör dar (Artikel 117 (1) und 113 (1) EPÜ).
Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdeführer (Einsprechender) hat seine am 31. Januar 1997 unter gleichzeitiger Bezahlung der Beschwerdegebühr eingelegte Beschwerde gegen die am 3. Dezember 1996 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung gerichtet, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 293 608 zurückzuweisen. Die Beschwerdebegründung wurde am 22. März 1997 eingereicht.
II. Der Einspruch wurde unter Bezugnahme auf Artikel 100 a) EPÜ gegen das gesamte Patent gerichtet und unter anderem damit begründet, daß dem Gegenstand des Patents im Hinblick auf eine geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung die Neuheit fehle. Der Vortrag zu Zeitpunkt, Gegenstand und Umständen der offenkundigen Vorbenutzung wurde durch Bezeichnung bestimmter Modelle von Geldzähl-, Sortier- und Abpackmaschinen und Vorlage einer Reihe von Rechnungs- und Zeichnungskopien mit Berechnungsbeispielen substantiiert. Darüber hinaus wurden zum Beleg der vorgebrachten Tatsachen der Entwicklung, der Herstellung und des Verkaufs der vorbenutzten Maschinen Zeugenbeweis sowie Einnahme des Augenscheins angeboten.
III. In einer vor der Einspruchsabteilung am 6. November 1996 durchgeführten mündlichen Verhandlung beantragte der Beschwerdeführer erneut, zum Beweis der Vorbenutzung die von ihm im Einspruchsschriftsatz benannten und in der Verhandlung anwesenden Zeugen zu hören sowie den mitgebrachten Gegenstand der Vorbenutzung in Augenschein zu nehmen. Dabei hatte der Beschwerdeführer vor der Verhandlung angekündigt, die Zeugen und eine Maschine zur Verhandlung mitzubringen, wogegen die Einspruchsabteilung keine Einwände hatte, wie sich aus einer Telefonnotiz des Formalprüfers vom 28. Oktober 1996 ergibt.
IV. Die Einspruchsabteilung hielt es in der Verhandlung nicht für erforderlich, die angebotenen Zeugen zu vernehmen oder die Maschine vorführen zu lassen.
Unter Verweis auf ein nach Artikel 117 (3) und Regel 72 (1) EPÜ auszuübendes Ermessen begründete sie ihre ablehnende Haltung insbesondere damit, daß die zur Vorbenutzung genannten Tatsachen keinen Tatbestand hätten erkennen lassen, der für das Verfahren relevanter gewesen wäre als die schriftlichen Beweismittel. Der Einsprechende habe sich darauf berufen, daß die vorbenutzten Maschinen nach der Lehre des druckschriftlich nachgewiesenen Standes der Technik arbeiteten. Weder in seinen Schriftsätzen noch in der mündlichen Verhandlung habe der Einsprechende Tatsachen oder Argumente vorgebracht, die hätten erkennen lassen, daß eine Beweisaufnahme zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Daher sah die Einspruchsabteilung keinen Anlaß, zu einem sehr späten Zeitpunkt wie dem der mündlichen Verhandlung eine Zeugenvernehmung oder eine Augenscheineinnahme zu beschließen (vgl. die Punkte 5.1 und 5.2 der angefochtenen Entscheidung). Ergänzend verwies sie darauf, daß bei mehr als 1000 gebauten Maschinen ein Nachweis mittels Zusammenbauzeichnungen, Skizzen oder Photos hätte möglich sein sollen. Auch habe der Amtsermittlungsgrundsatz nach Artikel 114 (1) EPÜ nicht erfordert, daß eine Einspruchsabteilung in einer mündlichen Verhandlung durch Beweisaufnahme eventuell noch weitere Tatsachen ermittelt, die der Aufrechterhaltung eines Patents entgegenstehen könnten, wenn diese Tatsachen vom Einsprechenden nicht detailliert angegeben worden seien. Schließlich hätte eine Entscheidung aufgrund neuer Tatsachen in einer mündlichen Verhandlung den Patentinhaber benachteiligt und ihm nicht das rechtliche Gehör gegeben, das jedem Beteiligten zustehe. Die Verhandlung jedoch schriftlich fortzusetzen, hätte das Verfahren ungebührend hingezogen.
V. Der Beschwerdeführer hat im Laufe des Beschwerdeverfahrens die Tatsache gerügt, daß die Einspruchsabteilung die angebotenen Beweismittel zum Beleg der offenkundigen Vorbenutzung nicht zugelassen hatte. In der Ablehnung der angebotenen Beweismittel, welche eine Verletzung des durch Artikel 113 (1) EPÜ garantierten rechtlichen Gehörs darstelle, sei ein wesentlicher Mangel des Verfahrens zu sehen. Der Beschwerdeführer sei damit jeglicher Möglichkeit zum Beleg der Tatsachenbehauptung der mangelnden Neuheit des Patentgegenstandes gegenüber dem Gegenstand der Vorbenutzung beraubt worden. Er habe bereits im Einspruchsschriftsatz Tatsachenfeststellungen zum Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung erhoben und Zeugen benannt. Darüber hinaus seien in der mündlichen Verhandlung vor der Vorinstanz sowohl die Zeugen als auch der Gegenstand der Vorbenutzung präsent gewesen. Insbesondere hat der Beschwerdeführer kritisiert, daß das Fehlen einer Zusammenbauzeichnung als unglaubwürdig bezeichnet worden sei, ohne wenigstens auch nur andeutungsweise konkrete Anhaltspunkte dafür zu bieten, welche Tatsachen Anlaß zu einer solchen Beweiswürdigung gegeben hätten.
VI. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die Angelegenheit an die erste Instanz zurückzuverweisen (siehe Seite 1 seiner Eingabe vom 8. März 1999). Hilfsweise hat er den vollständigen Widerruf des Streitpatents, eine mündliche Verhandlung sowie die Ausfertigung eines Beweisbeschlusses, der eine Einnahme des Augenscheins des Gegenstandes der offenkundigen Vorbenutzung und eine Zeugenvernehmung umfassen soll, beantragt.
VII. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) hat zu dem Antrag der Zurückverweisung an die erste Instanz nicht Stellung genommen.
Er hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und die Aufrechterhaltung des europäischen Patentes in unveränderter Form zu bestätigen. Hilfsweise hat auch er eine mündliche Verhandlung beantragt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde erfüllt die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ und ist damit zulässig.
2. Wesentlicher Verfahrensmangel
2.1 Nach Artikel 117 (1) EPÜ sind die Parteien frei in der Wahl der von ihnen vorgelegten Beweismittel. Dabei können sie sich insbesondere jedes der in diesem Artikel aufgelisteten Beweismittel bedienen, zu denen die vom Beschwerdeführer angebotene Vernehmung von Zeugen wie auch die Einnahme des Augenscheins zählen. Einer Einspruchsabteilung steht es dabei nicht zu, das Fehlen anderer Beweismittel zu rügen (vgl. die Entscheidung T 543/95, Punkt 2). Während es Sache der beweisführenden Partei ist, geeignete Beweismittel für ihre Behauptungen anzugeben, ist es Sache der Einspruchsabteilung, auf der Grundlage der vorgelegten Beweismittel Beweis über einen streitigen und entscheidungserheblichen Sachverhalt zu erheben (vgl. die Entscheidung T 927/98, insbesondere Punkt 2.3).
Unterschiedlichen Arten von Beweismitteln kommen durchaus unterschiedliche Funktionen zu. Gerade für den Nachweis einer offenkundigen Vorbenutzung spielen in der Praxis Zeugenaussagen oder die Einnahme des Augenscheins eine besondere Rolle, wobei es die Funktion von Zeugen ist, Sachverhalte aus persönlicher Kenntnis darzulegen, während die Einnahme des Augenscheins die direkte sinnliche Wahrnehmung bestimmter Eigenschaften eines Gegenstandes oder Verfahrens ermöglicht (vgl. hierzu auch die "Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt", Kapitel E-IV, 1.2).
Allerdings vermag sich die Kammer im vorliegenden Fall nicht den Ausführungen des Beschwerdeführers auf Seite 6 unter Nr. 3) seiner Eingabe vom 8. März 1999 anzuschließen, wonach die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs das Fehlen einer Zusammenbauzeichnung als unglaubwürdig bezeichnet habe. Noch kann die Kammer in der Entscheidungsbegründung eine Rüge des Fehlens anderer Beweismittel erkennen. Die Einspruchsabteilung hat in der angegriffenen Entscheidung lediglich die Auffassung vertreten, daß es ihrer Meinung nach möglich sein sollte, eine Zusammenbauzeichnung vorzulegen von einer Maschine, von der mehr als 1000 Stück gebaut worden waren. Sie hat jedoch die Ablehnung der angebotenen Beweismittel nicht mit dem Fehlen von Zusammenbauzeichnungen begründet.
2.2 Die Einspruchsabteilung hat sich auf Artikel 117 (3) und Regel 72 (1) EPÜ berufen, wonach es ihr obliege zu entscheiden, ob sie eine Zeugenvernehmung oder eine Einnahme des Augenscheins "für erforderlich hält".
Tatsächlich besitzen die Organe des EPA einen Ermessensspielraum für die Zulassung angebotener Beweismittel (vgl. z. B. die Entscheidungen T 232/89, T 674/91, T 953/90 und T 230/92), wenn beispielsweise das angebotene Beweismittel ohnehin nicht mehr erforderlich ist, weil die zu beweisende Tatsache von der Gegenpartei nicht bestritten wird, weil im Sinne der Beweis anbietenden Partei entschieden wird, weil das Beweismittel in einem sehr späten Stadium des Verfahrens vorgelegt wurde und nicht als entscheidungserheblich angesehen wird, oder weil aus anderen Gründen das angebotene Beweismittel das Ergebnis der zu treffenden Entscheidung keinesfalls beeinflussen kann, z. B. bei in einem zu spät eingelegten unzulässigen Einspruch enthaltenem Beweisangebot.
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z. B. G 7/93, ABl. EPA 1994, 775, Punkte 2.5 und 2.6, T 182/88, ABl. EPA 1990, 287 und T 640/91, ABl. EPA 1994, 918, Punkt 6.3) besitzt ein erstinstanzliches Organ, das nach dem EPÜ unter bestimmten Umständen Ermessensentscheidungen in Verfahrensfragen zu treffen hat, bei der Ausübung dieses Ermessens einen gewissen Freiraum, den die Beschwerdekammern nicht zu überprüfen haben. Eine Beschwerdekammer ist lediglich dann befugt, die Ausübung des Ermessens durch die erste Instanz zu beanstanden, wenn sie zu dem Schluß gelangt, daß die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat.
2.3 Im vorliegenden Fall, in dem die Einspruchsabteilung zur Auffassung gelangte, daß der druckschriftlich nachgewiesene Stand der Technik der Aufrechterhaltung des Patents nicht im Wege steht, ist der Einwand einer angeblich neuheitsschädlichen offenkundigen Vorbenutzung ein entscheidungserheblicher Sachverhalt. Bei der Abwägung, ob bei der Auseinandersetzung mit diesem Einwand die Beweisangebote des Einsprechenden einer näheren Prüfung zu unterziehen waren, spielen nach Auffassung der Kammer die folgenden Umstände eine besondere Rolle:
2.3.1 Die Beweisangebote wurden bereits im Einspruchsschriftsatz aufgeführt und damit rechtzeitig vorgelegt. Deshalb gehen die Bedenken der Einspruchsabteilung, eine Beweisaufnahme in dem späten Stadium einer mündlichen Verhandlung hätte, falls neue Tatsachen zu berücksichtigen gewesen wären, dem Patentinhaber nicht das ihm zustehende rechtliche Gehör gegeben oder das Verfahren ungebührlich hingezogen, wenn eine schriftliche Fortsetzung notwendig geworden wäre, an der Sache vorbei (vgl. Punkt 5.3 des angefochtenen Beschlusses). Schließlich war die Einspruchsabteilung dafür verantwortlich, daß das Beweisangebot bis zur mündlichen Verhandlung nicht aufgegriffen worden war.
2.3.2 Die Beweisangebote waren ausreichend substantiiert. Zeugenbeweis wurde unter konkreter Benennung von Zeugen, die über die Tatsachen der Entwicklung, der Herstellung und des Verkaufs vorbenutzter Maschinen Auskunft geben könnten, angeboten. Die in Augenschein zu nehmende Maschine wurde eindeutig nach Typ und Fabrikationsnummer bezeichnet. Zum Beleg von Zeitpunkt und Umständen der Vorbenutzungshandlung wurden Rechnungsbelege vorgelegt. Unter Bezugnahme auf druckschriftlichen Stand der Technik, der im Gegenstand der Vorbenutzung realisiert sei, wurde eine detaillierte Merkmalsanalyse gegeben, ergänzt durch die Vorlage von Werkstattzeichnungen und Berechnungen. Mit diesem Vortrag zur angeblich neuheitsschädlichen offenkundigen Vorbenutzung waren nach Auffassung der Kammer der Patentinhaber sowie die Einspruchsabteilung in die Lage versetzt, die Beweisangebote auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen.
2.3.3 Die Beweisangebote bezogen sich auf denjenigen Aspekt der behaupteten Vorbenutzung, der strittig war, nämlich den Gegenstand der Benutzung (d. h. was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde). Zeugenaussagen und Einnahme des Augenscheins sind dabei als eigenständige, von druckschriftlichen Beweisen unabhängige Beweismittel anzusehen. Schon aus diesem Grunde hält die Kammer die von der Einspruchsabteilung vertretene Auffassung für falsch, daß der schriftliche Vortrag des Einsprechenden zur offenkundigen Vorbenutzung keinen relevanteren Tatbestand hätte erkennen lassen als die druckschriftlichen Beweismittel und daß der Einsprechende lediglich geltend gemacht habe, die vorbenutzten Maschinen arbeiteten nach der Lehre des druckschriftlich nachgewiesenen Standes der Technik. Nachdem die Einspruchsabteilung im vorliegenden Fall die druckschriftlichen Beweismittel als nicht durchgreifend bewertete, hätte sie die behauptete neuheitsschädliche offenkundige Vorbenutzung durch Aufgreifen der hierfür angebotenen Beweismittel überprüfen müssen, zumal der Inhalt des druckschriftlichen Standes der Technik strittig war. Gerade deshalb, und weil der Einsprechende substantiiert vorgetragen hatte, der Gegenstand der Vorbenutzung ließe alle Merkmale des Patents erkennen, wäre es die Aufgabe der Einspruchsabteilung gewesen, die zusätzlichen Beweisangebote zur Aufklärung des Sachverhaltes aufzugreifen und einer näheren Prüfung zu unterziehen. Nur bei ausreichender Sicherheit über den Inhalt der Beweisangebote (und einer ggf. daraus gewonnenen Erkenntnis der fehlenden Relevanz) oder aufgrund der Aufdeckung von Umständen, die die Tatsache der Vorbenutzung in Frage gestellt hätten, wäre eine Ablehnung der angebotenen Beweismittel gerechtfertigt gewesen. Im vorliegenden Fall sind jedoch die Ausführungen in Punkt 5.3 der angefochtenen Entscheidung, die sich mit möglichen Folgen des Auftretens neuer Tatsachen befassen, ein Hinweis darauf, daß die Einspruchsabteilung selbst nicht mit ausreichender Sicherheit von der fehlenden Relevanz der abgelehnten Beweismittel überzeugt war. Somit ist nicht auszuschließen, daß die Zulassung des Beweisangebots und damit die Kenntnisnahme vom Inhalt der Beweismittel zu einer anderen als der tatsächlich getroffenen Entscheidung geführt hätte.
2.4 Die Kammer ist der Auffassung, daß ein Organ des EPA grundsätzlich verpflichtet ist, sich von der Relevanz eines vorgelegten Beweismittels zu überzeugen, bevor es über dessen Annahme oder Ablehnung entscheidet. Im vorliegenden Fall stützte die Einspruchsabteilung die Ablehnung der vorgelegten Beweisangebote jedoch auf bloße Vermutungen zu deren Inhalt und unterließ es, von den angebotenen Beweisen und ihrer Verbindung mit den Umständen der Vorbenutzung überhaupt Kenntnis zu nehmen, ohne daß, wie vorstehend ausgeführt, Umstände vorlagen, die eine Prüfung auf Relevanz entbehrlich gemacht hätten. Die Weigerung, die rechtzeitig vorgelegten Beweismittel in Betracht zu ziehen, stellt demnach eine Verletzung der grundlegenden Rechte einer Partei auf freie Wahl der Beweismittel und rechtliches Gehör dar (Artikel 117 (1) und 113 (1) EPÜ). Somit liegt der angefochtenen Entscheidung nicht eine bloße Fehlinterpretation einer Vorschrift des EPÜ, sondern ein wesentlicher Verfahrensmangel zugrunde.
3. Artikel 10 VerfOBK (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern) sieht vor, daß eine Kammer die Angelegenheit an die erste Instanz zurückverweist, wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist, es sei denn, daß besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen.
Da der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall die Zurückverweisung beantragt hat, und da die Kammer keinen Grund sieht, anders zu verfahren, verweist sie die Angelegenheit in Anwendung von Artikel 10 VerfOBK zur weiteren Behandlung an die erste Instanz zurück, um eine Prüfung der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung unter Berücksichtigung des Beweisangebotes des Beschwerdeführers, wie es unter Punkt 5 auf den Seiten 13 bis 24 der Beschwerdebegründung dargelegt ist, durchzuführen. Dabei sind die mit den angebotenen Beweismitteln verbundenen Umstände der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung (wann? was? wie? wo?) sowie gegebenenfalls der Inhalt der Beweismittel zu prüfen.
4. Da die Angelegenheit zur weiteren Behandlung an die erste Instanz zurückverwiesen wird, ohne in der Sache zu entscheiden, ist eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer, wie sie von beiden Parteien hilfsweise beantragt ist, weder sachdienlich noch erforderlich (vgl. hierzu die Entscheidungen T 47/94 und T 394/96).
5. Da der Beschwerde stattgegeben wird und die angefochtene Entscheidung der ersten Instanz an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet, hält es die Kammer gemäß Regel 67 EPÜ für billig, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, das Einspruchsverfahren fortzusetzen und sich mit dem Beweisangebot des Beschwerdeführers sachlich auseinanderzusetzen (vgl. Punkt 3 der Entscheidungsgründe).
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.