BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer
Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 10. Dezember 1999 - G 1/97
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | P. Messerli |
Mitglieder: | J.-C. De Preter |
Verfahrensbeteiligte kraft Gesetzes: ETA S.A. Fabriques d'Ebauches
Beitretende: Piranha Marketing GmbH
Junghans Uhren GmbH
Stichwort: Antrag auf Überprüfung/ETA
Artikel: 21, 23 (1) und (3), 24, 106 (1), 110 (1), 111 (1), 113, 114, 116, 121, 122, 125, 127 EPÜ
Regel: 10 (2), 11, 65 (1), 66 (2), 67, 89, 90, 92 (1) und (2) EPÜ
Artikel: 10 VOBK
Artikel: 11a, 11b VOGBK
Artikel: 23 VDV
Artikel: 31, 32, 62 (5) TRIPS
Artikel: 31 (3) Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
Schlagwort: "Verwaltungsmäßige oder gerichtliche Behandlung von Anträgen, die sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen und auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung einer Beschwerdekammer abzielen" - "Eintragung in das europäische Patentregister"
Leitsätze
I. Im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens ist es einem gerichtlichen Verfahren vorbehalten, Anträge, die sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen und auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA abzielen, als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Entscheidung über die Unzulässigkeit obliegt der Beschwerdekammer, die die Entscheidung erlassen hat, deren Überprüfung beantragt wird. Sie kann unverzüglich und ohne prozessuale Formalitäten ergehen.
III. Diese gerichtliche Behandlung ist denjenigen gegen eine Beschwerdekammerentscheidung gerichteten Anträgen vorbehalten, die nach dem Tag des Erlasses der vorliegenden Entscheidung gestellt werden.
IV. Hat die Rechtsabteilung des EPA über die Eintragung eines gegen eine Beschwerdekammerentscheidung gerichteten Antrags in das europäische Patentregister zu entscheiden, so darf sie diese Eintragung nicht veranlassen, wenn sich herausstellt, daß sich dieser Antrag ungeachtet seiner Form auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützt und auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung einer Beschwerdekammer abzielt.
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die Beschwerde der Einsprechenden hin widerrief die Beschwerdekammer 3.5.2 mit Entscheidung vom 25. November 1991 das europäische Patent Nr. 0 098 239 der Firma ETA S.A. Fabriques d'Ebauches (Entscheidung T 456/90).
II. Am 16. Januar 1992 reichte diese Firma (nachstehend "ETA") bei der Beschwerdekammer mehrere Anträge ein, insbesondere einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, eine Beschwerdeschrift, einen Antrag auf der Grundlage der Regel 89 EPÜ, der ähnliches Vorbringen enthielt wie der Wiedereinsetzungsantrag, und einen Antrag auf Weiterbehandlung.
III. Zum Wiedereinsetzungsantrag brachte ETA vor, sie habe trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt nicht rechtzeitig geänderte Ansprüche eingereicht. Da die Kammer 3.5.2 weder im Beschwerdeverfahren noch in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen habe, daß sie das europäische Patent zu widerrufen gedenke, habe der ETA-Vertreter nämlich nicht erkennen können, daß es erforderlich gewesen wäre, geänderte Ansprüche einzureichen. Außerdem habe ETA einen Tag nach der mündlichen Verhandlung, an deren Ende verkündet worden sei, daß die Entscheidung schriftlich ergehen werde, sogar schriftlich ihre Bereitschaft erklärt, die Ansprüche zu ändern, wenn die Kammer es für erforderlich halte.
Außerdem machte ETA geltend, daß das Recht der Verteidigung und der Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt worden seien, weil sich die Kammer 3.5.2 in ihrer Entscheidung, das Patent zu widerrufen, auf ein neues Beweismittel und - ohne Vorankündigung - auf ein Dokument gestützt habe, das die Einspruchsabteilung unberücksichtigt gelassen habe.
IV. In ihrer Beschwerdeschrift brachte ETA vor, daß die Widerrufsentscheidung von einer Kammer erlassen worden sei, die nach Artikel 111 (1) EPÜ im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung tätig geworden sei, und daß deren Entscheidung folglich mit der Beschwerde angefochten werden könne.
V. Am 31. Juli 1992 setzte der Vorsitzende der Kammer 3.5.2 in ebendieser Eigenschaft und als für die Leitung dieser Kammer Verantwortlicher ETA schriftlich davon in Kenntnis, daß ihre Anträge im EPÜ keine Rechtsgrundlage fänden und ihnen deshalb nicht stattgegeben werde. Mit Schreiben vom 28. September 1992 teilte der Vizepräsident GD 3 ETA mit, daß es kein Verfahren gebe, in dem eine Überprüfung der endgültigen Entscheidung der Kammer 3.5.2 erfolgen könne. Deshalb komme eine Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens im Wege eines Wiedereinsetzungsantrags oder die Einleitung einer neuen Beschwerde nicht in Betracht. Die Beschwerde- und die Wiedereinsetzungsgebühr wurden im Oktober 1992 zurückgezahlt.
VI. Am 11. November 1992 stellte ETA bei der Rechtsabteilung zwei Anträge, nämlich:
- einen Antrag auf Eintragung des Eingangstags ihres Wiedereinsetzungsantrags vom 16. Januar 1992 in das europäische Patentregister,
- einen Antrag auf Berichtigung dieses Registers durch den Hinweis, daß am 16. Januar 1992 eine Beschwerde mit aufschiebender Wirkung eingelegt worden sei.
VII. Nachdem die Juristische Beschwerdekammer am 7. Februar 1994 eine Entscheidung über einen Vorgang erlassen hatte, der auf die Einreichung dieser Anträge folgte (J 2/93, ABl. EPA 1995, 675), entschied die Rechtsabteilung am 5. August 1994 über diese Anträge; sie erklärte sich für nicht zuständig mit dem Hinweis, daß sie nur für Anträge auf Eintragungen in das europäische Patentregister zuständig sei, die im Rahmen eines im EPÜ vorgesehenen Verfahrens gestellt würden. Die Entscheidung T 456/90 sei aber letztinstanzlich ergangen und rechtskräftig, womit alle im EPÜ vorgesehenen Verfahren in bezug auf das Streitpatent abgeschlossen gewesen seien.
VIII. Im Rahmen der Beschwerde von ETA gegen diese Entscheidung stellte die Juristische Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung vom 28. Februar 1997 (J 3/95, ABl. EPA 1997, 493) folgendes fest:
"Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Fragen zu einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorgelegt:
1. Welche verwaltungsmäßige oder gerichtliche Behandlung sollen im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens Anträge erfahren, die sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen und auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung einer Beschwerdekammer abzielen?
2. Ist gegebenenfalls deren Eintragung in das europäische Patentregister anzuordnen?"
In Nummer 3 der Entscheidungsgründe hielt die Juristische Beschwerdekammer fest, daß alle Anträge, die ETA nach Erlaß der Entscheidung T 456/90 gestellt habe, unabhängig von ihrer jeweiligen Natur darauf abzielten, eine Überprüfung dieser Entscheidung herbeizuführen und bis dahin ihre Wirkung aufzuschieben. Daraus folgerte sie, daß die zu treffende Entscheidung zum einen von der Beantwortung der Frage abhänge, wie solche Anträge zu behandeln seien, und zum anderen davon, ob dann auch entsprechende Eintragungen im europäischen Patentregister vorzunehmen seien.
Daraufhin zog sie drei mögliche Arten der Behandlung in Betracht, die Gegenstand der Nummern 4 bis 7, 8 und 9 der Entscheidungsgründe sind.
Zur ersten Art der Behandlung, d. h. Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens oder Einleitung einer neuen Beschwerde, legte die Kammer mit Bezug auf die Artikel 21 (1) und 106 (1) EPÜ dar, daß die Entscheidungen der Beschwerdekammern, mit denen abschließend über eine Beschwerde entschieden werde, endgültig und rechtskräftig seien. Somit könne das Gericht, dessen Entscheidung rechtskräftig geworden sei, nichts mehr an dieser Entscheidung ändern. Im allgemeinen bestehe dann nur noch die Möglichkeit, offenbare Unrichtigkeiten rein sachlicher Art zu berichtigen (vgl. R. 89 EPÜ). Die Vollstreckung solcher Entscheidungen könne mit keinem weiteren Rechtsmittel mehr gehemmt werden; die Entscheidungen selbst seien nur noch mit etwaigen außerordentlichen Rechtsmitteln anfechtbar, die der Gesetzgeber hierfür vorgesehen habe. Die Kammer warnte außerdem vor den Nachteilen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder die Einleitung einer neuen Beschwerde mit sich bringen könnte, insbesondere vor der unbedachten Inkaufnahme einer Verlängerung des Erteilungsverfahrens.
Zur zweiten Behandlungsweise, nämlich der rein verwaltungsmäßigen Abweisung der Anträge, mit der der Vorsitzende der Technischen Beschwerdekammer 3.5.2 und der für die Beschwerdekammern zuständige Vizepräsident reagiert haben, führte die Juristische Beschwerdekammer lediglich aus, daß sie seit Bestehen der Beschwerdekammern praktiziert und von ETA vehement beanstandet werde.
Zur dritten Behandlungsweise, der besonderen gerichtlichen Behandlung, führte die Juristische Beschwerdekammer aus, daß ein solches Rechtsmittel in etlichen Vertragsstaaten und beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gesetzlich vorgesehen sei; es sei häufig mit dem Attribut "außerordentlich" belegt, stehe gegen rechtskräftige Entscheidungen zur Verfügung und habe im allgemeinen keine aufschiebende Wirkung. In diesem Zusammenhang wies die Kammer auch darauf hin, daß durch die Rechtstexte des EPÜ keine vergleichbaren Verfahren geschaffen worden seien.
In Nummer 10 der Entscheidungsgründe stellte die Juristische Beschwerdekammer fest, daß die Frage, auf welchem verwaltungsmäßigen oder gerichtlichen Weg die Beschwerdekammern Anträge wie die im vorliegenden Fall gestellten zu behandeln hätten, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe, da weder das EPÜ noch die Rechtsprechung oder die Verfahrens- oder Verwaltungspraxis der Beschwerdekammern eine klare Antwort hierauf gäben.
Daran, so die Juristische Beschwerdekammer, knüpfe sich auch noch die Frage an, ob das künftig anzuwendende Verfahren einen Eintrag in das europäische Patentregister erforderlich mache.
IX. In ihrer ersten Stellungnahme vom 21. Januar 1998 machte ETA im wesentlichen folgendes geltend:
a) Jeder von ihr benutzte Rechtsbehelf entspreche einem im EPÜ vorgesehenen Verfahren. Somit habe die Technische Beschwerdekammer gemäß den Vorschriften betreffend den Wiedereinsetzungsantrag und die Anträge nach Regel 89 und gemäß Artikel 114 EPÜ festzustellen, daß in der Entscheidung vom 25. November 1991 ein wesentlicher Verfahrensgrundsatz verletzt worden sei, und dann die Entscheidung aufzuheben, um den vorherigen Verfahrensstand wiederherzustellen. Genau so funktioniere die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, was von der Rechtsprechung bestätigt worden sei (vgl. Entscheidung W 3/93, Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe).
In ihrer Beschwerde nach Artikel 106 EPÜ habe sie die Technische Beschwerdekammer aufgefordert, zunächst einmal über deren Zulässigkeit und über die Begründetheit ihres Vorwurfs, daß in der Entscheidung vom 25. November 1991 ein wesentlicher Verfahrensgrundsatz verletzt worden sei, zu befinden. Wenn die Kammer beides bejahe, müsse die Entscheidung aufgehoben und - wie bei einer Wiedereinsetzung - das Verfahren in der Sache wiederaufgenommen werden. Wenn die Kammer die Zulässigkeit des Rechtsmittels zwar verneine, weil es gegen eine Entscheidung der Beschwerdekammer gerichtet sei, wohl aber die Entscheidung wegen Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes für nichtig erkläre, müsse das Verfahren ebenfalls wiederaufgenommen werden.
b) Die Juristische Beschwerdekammer habe festgehalten, daß die Anträge von ETA alle darauf abzielten, die Wirkungen der Entscheidung vom 25. November 1991 bis zu ihrer Überprüfung aufzuschieben. Ein Wiedereinsetzungsantrag habe nach dem EPÜ aber keine aufschiebende Wirkung. Eine solche Wirkung werde daher von ETA auch nicht eingefordert.
Die Beschwerde habe dagegen aufschiebende Wirkung (Artikel 106 (1) EPÜ), und zwar so lange, bis die damit befaßte Kammer darüber entscheide, ob sie zulässig und, sofern dies bejaht werde, ob sie begründet sei (Regel 65 und Artikel 110 (1) EPÜ). Die aufschiebende Wirkung habe zur Folge, daß die Widerrufsentscheidung vom 25. November 1991 nicht in Kraft getreten sei. ETA habe folgerichtig beantragt, daß dieser Rechtsstand im europäischen Patentregister korrekt wiedergegeben werde, was bedeute, daß der Hinweis auf die Widerrufsentscheidung zu löschen sei (wobei zur Verdeutlichung gegebenenfalls hinzugefügt werden könnte, daß diese Entscheidung mit der Beschwerde angefochten worden sei). So treffe es zwar zu, daß die von ETA eingeleiteten Verfahren auf die Feststellung der Nichtigkeit bzw. die Aufhebung der Widerrufsentscheidung vom 25. November 1991 und die Wiederaufnahme des Verfahrens abzielten, nicht minder zutreffend sei aber, daß diese Verfahren im Rahmen des EPÜ stattfänden. Auch wenn die Juristische Beschwerdekammer in ihrer Begründung nicht explizit auf diese Frage eingegangen sei, sei nach Auffassung von ETA die Aufhebung - oder die Feststellung der Nichtigkeit - einer Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA aufgrund eines wesentlichen Verfahrensmangels schon de lege lata möglich. Die Verpflichtung der Beschwerdekammern zur Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze bilde nämlich die Rechtsgrundlage für das Überprüfungsverfahren.
c) Die Juristische Beschwerdekammer stelle zu Recht fest, daß Artikel 106 (1) EPÜ keine Beschwerde gegen Entscheidungen der Beschwerdekammer vorsehe, behaupte dann aber, daß die Beschwerdekammern nicht für die Überprüfung ihrer eigenen Entscheidungen zuständig seien. Artikel 21 (1) EPÜ, auf den sich die Juristische Beschwerdekammer stütze, schließe es aber nicht aus, daß eine Beschwerdekammer ihre eigene Entscheidung überprüfe. Keine Bestimmung des EPÜ schließe dies aus.
Im Falle eines Wiedereinsetzungsantrags erstrecke sich nach Artikel 122 (4) EPÜ die Zuständigkeit der Beschwerdekammern vielmehr zwangsläufig auch darauf, die Nichtigkeit ihrer eigenen Entscheidung festzustellen (vgl. die oben genannte Entscheidung W 3/93). Außerdem schreibe Regel 65 EPÜ vor, daß es stets Sache der Beschwerdekammer sei, über die Zulässigkeit einer Beschwerde nach Artikel 106 EPÜ zu entscheiden. Über die Zulässigkeit einer Beschwerde müsse folglich auch dann entschieden werden, wenn sie sich gegen eine Beschwerdekammerentscheidung richte. Dies habe durchaus seine Berechtigung, wenn - wie in der vorliegenden Sache - ETA sich darauf berufe, daß die angefochtene Entscheidung einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz verletze. Ferner mache ETA geltend, daß die Entscheidung in materieller Hinsicht eine Entscheidung der ersten Instanz sei, da die Kammer im Rahmen der Befugnisse der Einspruchsabteilung tätig geworden sei. Mithin sei ihre Entscheidung beschwerdefähig.
d) Zwar bestehe ein allgemeines Interesse daran, jeden Rechtsstreit einmal abzuschließen, doch hätten die Rechtsuchenden ein ebenso ernstzunehmendes und legitimes Interesse an einer geordneten Rechtspflege und der Einhaltung wesentlicher Verfahrensgrundsätze, wie sie heute in jeder Rechtsordnung, die etwas auf sich halte, anerkannt seien. Einer dieser wesentlichen Grundsätze sei der Anspruch auf rechtliches Gehör, auf dessen Verletzung ETA sich im vorliegenden Fall berufe. Diesem explizit im EPÜ verankerten Grundsatz zufolge dürften Entscheidungen des EPA nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (Art. 113 (1) EPÜ), was sich auch in einer umfangreichen ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern zeige. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bestehe vor allen Instanzen des EPA, auch vor den Gerichten der zweiten Instanz, um die es sich ja bei den Beschwerdekammern handle, und die in dieser Hinsicht keine Ausnahme bildeten.
Nach Auffassung von ETA sei vielmehr davon auszugehen, daß im System des EPÜ ein mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftetes Verfahren trotz der Entscheidung der zweiten Instanz eigentlich noch nicht abgeschlossen sei. Die Zuständigkeit des Richters sei in diesem Fall noch nicht oder nicht wirksam beendet; das Verfahren müsse wiederaufgenommen werden. Deshalb obliege es dem EPA - genauer gesagt, dem in Regel 10 (2) EPÜ genannten Präsidium im Rahmen seiner Zuständigkeit gemäß Regel 11 EPÜ -, die Verfahrensregeln so zu gestalten, daß eine angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes festgestellt und, wenn dies geschehen sei, das Verfahren wiederaufgenommen werden könne, um der Verletzung abzuhelfen.
Zu den von der Juristischen Beschwerdekammer angeführten Entscheidungen betreffend den Grundsatz der res judicata sei anzumerken, daß in T 79/89 und T 843/91 sehr wohl angebliche Verfahrensmängel bei einer in derselben Sache ergangenen früheren Beschwerdekammerentscheidung geprüft worden seien.
Im übrigen sei der Entscheidung T 167/93 an einer Stelle unter Nummer 2.7 der Entscheidungsgründe zu entnehmen, daß das EPÜ einer Beschwerdekammer - in der betreffenden Sache aufgrund eines Einspruchs nach dem Patentprüfungsverfahren - keineswegs verbiete, ein und dieselbe Sache ein zweites Mal zu prüfen.
e) Da die Beschwerdekammern die zweite und letzte gerichtliche Instanz des EPA und somit die obersten Hüter des EPÜ seien, spreche ein weiterer Grund dafür, daß die Beschwerdekammern des EPA befugt sein müßten, auf Antrag einer Partei, die die Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes geltend mache, ihre eigenen Entscheidungen zu überprüfen. Die Lücke im europäischen Patentsystem, nämlich das Fehlen eines Revisionsgerichts, müsse auf diese Weise geschlossen werden.
f) Die Juristische Beschwerdekammer verweise auf die Möglichkeit, eine rechtskräftige Entscheidung mit etwaigen außerordentlichen Rechtsmitteln anzufechten. Aus einer detaillierten Studie des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung, das ETA im Hinblick auf eine mögliche Anwendung des Artikels 125 EPÜ kontaktiert habe, und aus der Gegenüberstellung der von diesem Institut ermittelten wichtigsten Verfahrensgrundsätze gehe hervor, daß es in allen in die Studie einbezogenen Vertragsstaaten, insbesondere in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, der Schweiz, Spanien und im Vereinigten Königreich, ein Verfahren zur Überprüfung rechtskräftiger und vollstreckbarer, aber mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behafteter Gerichtsurteile gebe, sei es wegen der Verletzung von Grundregeln der Gerichtsorganisation oder des Verfahrensrechts - etwa wenn das Gericht regelwidrig zusammengesetzt gewesen sei oder ein nicht zuständiger Richter oder nicht berechtigter Dritter an der Entscheidung mitgewirkt habe oder aber über bestimmte Anträge der Beteiligten nicht entschieden worden sei usw. -, sei es, daß die Grundlagen einer Entscheidung weggefallen seien, insbesondere, wenn nach Verkündung des Urteils entscheidungserhebliche Beweisstücke entdeckt würden oder wenn gefälschte Beweisstücke oder Falschaussagen die Entscheidung beeinflußt hätten.
Außerdem gebe es in allen untersuchten Vertragsstaaten in zivil- und (außer in Italien) verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten ein Verfahren zur Kassation zweitinstanzlicher Gerichtsurteile wegen der Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundsätze. Einige Vertragsstaaten böten darüber hinaus einen besonderen Schutz in Form einer Verfassungsbeschwerde gegen letztinstanzliche Entscheidungen wegen der Verletzung von Grundrechten, zu denen auch der Anspruch auf rechtliches Gehör zähle (Deutschland, Schweiz, Spanien).
g) Die wesentlichen Verfahrensgrundsätze, um die es hier gehe, seien nicht nur die im EPÜ genannten. Die Auslegung des EPÜ durch die Beschwerdekammern oder die Große Beschwerdekammer habe mehrfach zur Ergänzung bzw. Präzisierung seiner Rechtsvorschriften geführt. Im übrigen müßten die Instanzen des EPA, wenn die Auslegung des EPÜ keine Lösung biete, die in den Vertragsstaaten im allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts berücksichtigen (Artikel 125 EPÜ).
Aus der Vergleichsanalyse der Rechtsvorschriften von acht Vertragsstaaten sei ersichtlich, daß die Fälle, in denen eine Überprüfung nach dem kontinentalen Modell eingeleitet werden könne, im allgemeinen erschöpfend aufgezählt seien; die für die Revision oder die Verfassungsbeschwerde geltende Lösung sei aber flexibel und erstrecke sich auch auf die Verletzung aller wesentlichen Verfahrensregeln. Was die Revision angehe, so seien mit der Änderung des schweizerischen Gesetzes im Jahre 1991 die Revisionsmöglichkeiten potentiell sogar auf jegliche Verletzung der Regeln für ein faires Verfahren im Sinne des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgedehnt worden, während im Vereinigten Königreich jeder Verfahrensfehler mit der Revision angefochten werden könne.
h) Auch das EPÜ kenne einen Begriff, der der Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes entspreche, nämlich den wesentlichen Verfahrensmangel nach Regel 67 EPÜ. Nach Auffassung von ETA garantierten die im EPÜ verankerten wesentlichen Verfahrensgrundsätze auch die Prüfung in zwei Instanzen, und zwar sowohl im Stadium der Prüfung einer Patentanmeldung als auch im Einspruchsverfahren. Es gebe hierzu eine umfangreiche Rechtsprechung der Beschwerdekammern, die zeige, daß bei einer Beschwerde, der stattgegeben werde, die Sache grundsätzlich an die erste Instanz zurückverwiesen werde, damit den Beteiligten das Recht auf Beschwerde erhalten bleibe. Nur in Ausnahmefällen, insbesondere, wenn ein Instanzenverlust nicht unbillig sei oder der Beschwerdeführer auf sein Recht auf zwei Instanzen ausdrücklich verzichte, entscheide die Beschwerdekammer gemäß Artikel 111 (1) EPÜ selbst ("Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 1996, S. 386, Nr. 8).
i) Die bisherige Praxis, Anträge verwaltungsmäßig abzuweisen, habe im EPÜ keine Rechtsgrundlage und stelle im Hinblick auf die Tätigkeit des EPA eine schwerwiegende Regelwidrigkeit dar. Die Beschwerdekammern müßten in der Ausübung ihrer Befugnisse frei sein; es sei untragbar, daß EPA-Bedienstete die Kammern durch administrative Maßnahmen daran hinderten, Entscheidungen zu treffen.
X. Am 13. Juli 1998 wurde eine Anordnung erlassen und beschlossen, die Einsprechenden in der Sache T 456/90 als Beitretende am Verfahren G 1/97 zu beteiligen. Sie wurden aufgefordert, innerhalb einer Frist von zwei Monaten etwaige Stellungnahmen abzugeben.
Während die Einsprechende Piranha Marketing GmbH nicht Stellung nahm, reichte die Einsprechende Junghans Uhren GmbH ihre Stellungnahme mit Schreiben vom 2. September 1998 ein. Diese Beitretende stellte sich zwar auf den Standpunkt, daß rechtskräftige Entscheidungen der Beschwerdekammern grundsätzlich nicht anfechtbar sein sollten, fand aber den Gedanken einer Berichtigungsmöglichkeit für solche Entscheidungen, die mit einem wesentlichen Verfahrensfehler behaftet seien, durchaus erwägenswert, vorausgesetzt, ein solches Verfahren habe keine aufschiebende Wirkung.
XI. Am 26. August 1998 nahm der Präsident des Europäischen Patentamts gemäß Artikel 11a der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer Stellung.
Seine Stellungnahme läßt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Eine Überprüfung von Beschwerdekammerentscheidungen sei im EPÜ nicht vorgesehen (Artikel 106 (1) EPÜ); daher entfalteten sie nach ihrer Verkündung Bindungswirkung. Es könne allenfalls die Regel 89 EPÜ angewandt werden, die nur die Korrektur von sprachlichen Fehlern, Schreibfehlern und offenbaren Unrichtigkeiten erlaube, nicht aber die Korrektur eines Rechtsfehlers.
b) Die Anwendung des Artikels 125 EPÜ sei ausgeschlossen. Nach den Gesetzesmaterialien und insbesondere den Bemerkungen von K. Haertel vom 15. November 1961 (Bemerkungen zum ersten Arbeitsentwurf eines Abkommens über ein europäisches Patentrecht, Artikel 155 bis 170, S. 48 ff.) wie auch nach dem Wortlaut des Artikels 125 EPÜ diene diese Bestimmung ausschließlich dazu, Lücken in den durch das EPÜ geschaffenen Verfahren auszufüllen, d. h. in den Verfahren, die im EPÜ bereits vorgesehen seien. Es habe nämlich nicht im gesetzgeberischen Willen gelegen, dem EPA die Befugnis zu geben, ergänzendes Verfahrensrecht selbst zu schaffen. Im übrigen gehe die Ermächtigung des Präsidiums nach Artikel 23 (4) EPÜ nicht so weit, die Schaffung eines völlig neuen Rechtsbehelfs zu ermöglichen.
c) Deshalb seien Anträge, die auf eine Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung abzielten, rein administrativ zu behandeln, was eine Angelegenheit der für die Beschwerdekammern zuständigen Generaldirektion sei.
d) Was die zweite der Großen Beschwerdekammer vorgelegte Frage angehe, so bestehe für eine Eintragung im europäischen Patentregister kein Bedürfnis, da eine Überprüfungsmöglichkeit für Beschwerdekammerentscheidungen nicht gegeben sei und die Entscheidungen mithin nicht mehr aufgehoben werden könnten. Eintragungsfähig seien nur die Angaben, die in Regel 92 (1) EPÜ und in den gemäß Regel 92 (2) EPÜ ergangenen Mitteilungen des Präsidenten des EPA genannt seien.
XII. Die Beitretende Junghans Uhren GmbH ließ wissen, daß sie die Auffassung des Präsidenten des EPA teile.
XIII. In ihren ergänzenden Bemerkungen zur Stellungnahme des Präsidenten des EPA legte ETA mit Datum vom 18. November 1998 folgendes dar:
a) Was die Regel 89 EPÜ angehe, so schließe ihr Wortlaut keineswegs aus, daß unter der "offenbaren Unrichtigkeit" auch eine Verletzung der Verfahrensvorschriften zu verstehen sei. Der Begriff "Fehler" werde in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern recht weit ausgelegt. In der Entscheidung J 12/85 (Nr. 3 der Entscheidungsgründe) sei eingeräumt worden, daß Widersprüche im Erteilungsbeschluß unter Umständen einen Antrag auf Berichtigung nach Regel 89 EPÜ rechtfertigten (s. auch Entscheidung T 105/89 vom 30. Oktober 1990, in der es heiße, daß im Rahmen der Berichtigung nach Regel 89 EPÜ auch ein schwerer Formfehler berichtigt werden könne (Nr. 1.2 der Entscheidungsgründe)). In der Entscheidung T 770/95 vom 15. September 1997 habe die Beschwerdekammer die Auffassung vertreten, daß in Regel 89 EPÜ nicht danach unterschieden werde, woher Fehler oder Unrichtigkeiten rührten (Nr. 2.1 der Entscheidungsgründe). Weiter heiße es in dieser Entscheidung, daß bei einer offenkundigen Unrichtigkeit jede Berichtigung zulässig sei, die ihr abhelfe, sofern die Bestimmungen des Übereinkommens eingehalten würden (Nr. 4 der Entscheidungsgründe). Im übrigen habe die Kammer betont, daß durch eine Fehlerberichtigung die Dinge so zurechtgerückt würden, wie sie schon immer hätten sein sollen (Nr. 5 der Entscheidungsgründe).
b) Was Artikel 125 EPÜ angehe, so stelle sich gar nicht die Frage, ob ein neues, im EPÜ nicht vorgesehenes Verfahren geschaffen werden könne, weil ETA die Technische Beschwerdekammer mit Anträgen befaßt habe, die im Rahmen des EPÜ vorgesehen seien: Beschwerde (Art. 106 und R. 65 EPÜ), Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Art. 122 EPÜ), Antrag auf Berichtigung von Fehlern (R. 89 EPÜ) und Wiederaufnahme des Verfahrens (von ETA auf Art. 114 EPÜ gestützt). In diesem ganz konkreten Kontext könnten sich die Instanzen des EPA auf die Grundsätze stützen, auf die Artikel 125 EPÜ verweise.
Es sei daher falsch zu behaupten, daß die der Großen Beschwerdekammer vorgelegte Frage darauf abziele, über Artikel 125 EPÜ Rechtsmittel zu schaffen, die es im EPÜ nicht gebe.
c) Was die Verwaltungsorgane betreffe, so seien sie nicht befugt, über Streitigkeiten zwischen den Beteiligten zu entscheiden, die vor ein Gericht gehörten. Über diese Streitigkeiten müßten die in Artikel 15 EPÜ genannten Organe im Verfahren entscheiden (ausgenommen die Recherchenabteilungen). Wenn die Beschwerdekammern mit Anträgen im Rahmen der im EPÜ vorgesehenen Verfahren befaßt würden, seien sie verpflichtet, darüber zu entscheiden, wobei nicht auszuschließen sei, daß sie auf Unzulässigkeit eines Antrags entschieden. Die bisherige Verwaltungspraxis verletze auch den Grundsatz des Vertrauensschutzes (vgl. G 5/88, ABl. EPA 1991, 137, 153) sowie das in Artikel 6 (1) EMRK verbriefte Recht auf ein faires Verfahren.
d) Was die Eintragung in das europäische Patentregister betreffe, so gehe aus der Mitteilung des Präsidenten des EPA vom 22. Januar 1986 (ABl. EPA 1986, 61) hervor, daß der Eingangstag eines Wiedereinsetzungsantrags in dieses Register eingetragen werden müsse. Genau dies verlange ETA mit ihrem Antrag vom 11. November 1992.
e) ETA berufe sich auch auf den in Artikel 32 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15. April 1994 (TRIPS) verankerten Grundsatz, wonach bei Widerruf des Patents das Recht auf zwei Instanzen garantiert werde, und füge ihrem Schriftsatz den Artikel "Is the EPO Practice compatible with Provisions of the TRIPS Agreement?" von B. Cronin (EPI Information 3/1994) bei. Sie stelle daher in Frage - wie dies auch in dem Artikel der Fall sei und wie sie in einem späteren Schriftsatz weiter ausführen werde - daß die Praxis des EPA mit Artikel 32 TRIPS vereinbar sei.
XIV. Auf die Mitteilung der Großen Beschwerdekammer vom 22. Februar 1999 hin, die der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 11. Mai 1999 beigefügt war, reichte ETA mit Datum vom 12. April 1999 eine weitere Stellungnahme ein, deren Inhalt sich, soweit er neue Elemente aufweist, wie folgt zusammenfassen läßt:
a) Falls die Große Beschwerdekammer im Hinblick auf die Beantwortung der ihr vorgelegten Frage hinsichtlich der Überprüfung der Auffassung sei, daß ein neues, im EPÜ nicht vorgesehenes Verfahren festgelegt werden müsse, so böte Artikel 125 EPÜ auch eine ausreichende Rechtsgrundlage, da mit dieser Bestimmung verfahrensrechtliche Lücken im EPÜ geschlossen werden sollten.
b) Zu den Rechtsmitteln in den EPÜ-Vertragsstaaten sei noch festzustellen, daß es in der Praxis der Vertragsstaaten mehrere Beispiele dafür gebe, daß durch Richterrecht Verfahren geschaffen wurden, mit denen einem wesentlichen Verfahrensmangel abgeholfen werden könne (Belgien, Italien, Schweiz, Vereinigtes Königreich). Was den Begriff der Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes angehe, so müßten die im EPÜ (z. B. in den Art. 23 (3), 110 (2), 113 (1) und (2) und in R. 66 (2) EPÜ) ausdrücklich verankerten, die durch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern aufgestellten und die in den Vertragsstaaten allgemein anerkannten Grundsätze im Sinne des Artikels 125 EPÜ berücksichtigt werden.
c) Was das TRIPS-Übereinkommen angehe, so könne der Umstand, daß Artikel 32 aufgrund von Übergangsregelungen möglicherweise nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar sei, eine Überprüfung der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer vom 25. November 1991 keinesfalls verhindern, da sich die ETA-Anträge nicht auf diesen Artikel, sondern auf die Bestimmungen des EPÜ, seine Ausführungsordnung und die in den EPÜ-Vertragsstaaten allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze stützten.
Der zwingende Charakter des Artikels 32 TRIPS, in dem ein ganz wesentliches patentrechtliches Erfordernis formuliert sei, spreche jedoch dafür, diese Bestimmung auf alle laufenden Verfahren anzuwenden und nicht nur auf die, die nach dem 1. Januar 1995, dem Tag des Inkrafttretens des TRIPS-Übereinkommens, eingeleitet worden seien.
Die Frage, ob die Bestimmungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und heute des TRIPS-Übereinkommens unmittelbare Wirkung hätten, sei wohl nicht eindeutig zu beantworten, doch hätten die Organe und Instanzen des EPA nie behauptet, daß man Artikel 32 TRIPS ignorieren dürfe. Vielmehr habe bis heute die Auffassung vorgeherrscht, daß die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des EPÜ dem Artikel 32 TRIPS gerecht würden und dieser Artikel keine Änderung der Regeln oder der Praxis des EPA im Bereich des Widerrufs von Patenten erfordere. Der Regelung des Artikels 32 TRIPS sei aber nicht Genüge getan, wenn ein europäisches Patent erstmals durch Entscheidung einer Beschwerdekammer widerrufen werde, die im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung tätig geworden sei, und diese Entscheidung zudem noch mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet sei.
Auch wenn davon auszugehen wäre, daß Artikel 62 (5) TRIPS auf Verfahren vor dem EPA anwendbar sei, stünde er nicht im Widerspruch zu Artikel 32 TRIPS. Der klare Wortlaut des Artikels 62 (5) TRIPS handle nämlich von verwaltungsrechtlichen Entscheidungen und betreffe im übrigen Verfahren in bezug auf alle Rechte des gewerblichen Eigentums. Artikel 32 TRIPS betreffe dagegen speziell Patente; die darin zum Ausdruck gebrachte Regel gelte nicht nur für verwaltungsrechtliche Entscheidungen.
d) Was die zweite der Großen Beschwerdekammer vorgelegte Frage betreffe, so müßten nach Regel 92 (1) r) EPÜ Entscheidungen über den Einspruch eingetragen werden. Werde eine Widerrufsentscheidung einer Beschwerdekammer mit der Beschwerde angefochten, so müsse der Hinweis auf die Widerrufsentscheidung gelöscht oder - bis über die Zulässigkeit dieser Beschwerde entschieden ist - zusätzlich darauf hingewiesen werden, daß Beschwerde eingelegt worden sei.
Da die Öffentlichkeit möglichst rasch über den Rechtsstand unterrichtet werden müsse, habe der Hinweis im europäischen Patentregister zu erfolgen, sobald ein Antrag auf Überprüfung einer Beschwerdekammerentscheidung gestellt werde.
e) Die gerichtliche Behandlung der ETA-Anträge müsse auch für alle vergleichbaren Anträge gelten, die gegebenenfalls anhängig seien. Es bestehe nämlich allgemeines Einvernehmen darüber, daß eine Änderung der Verfahrensregeln - zumindest, wenn sie sich zugunsten des Rechtsuchenden auswirke - auch auf anhängige Verfahren anzuwenden sei (vgl. G 4/97). Auf endgültig abgeschlossene Verfahren sei eine geänderte Rechtsprechung dagegen grundsätzlich nicht rückwirkend anwendbar.
XV. Im Rahmen des Artikels 11b der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer wurden mehrere Stellungnahmen Dritter eingereicht.
XVI. In der mündlichen Verhandlung, an der die Beitretenden nicht teilnahmen, brachte ETA im wesentlichen ihre bereits schriftlich dargelegten Argumente vor.
Darüber hinaus führte sie die Entscheidung T 460/95, das Urteil des Oberhauses des Vereinigten Königreichs vom 17. Dezember 1998 in der Sache Pinochet und eine Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts vom 18. März 1987 (BGE 113 Ia 146) an. Zu der von ihr im Rahmen der ersten Frage beantragten Behandlung führte sie aus, daß die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer zumindest eine Ex-tunc-Wirkung ab dem Tag haben müßte, an dem Überprüfungsanträge gestellt worden seien, die - wie die ihrigen - aktiv betrieben worden seien.
Am Ende der mündlichen Verhandlung gab der Vorsitzende der Großen Beschwerdekammer bekannt, daß die Entscheidung schriftlich ergehen werde.
Entscheidungsgründe
1. Die Juristische Beschwerdekammer stellt in ihrer Entscheidung vom 28. Februar 1997 fest, daß alle Anträge, die ETA nach Erlaß der Entscheidung T 456/90 der Technischen Beschwerdekammer 3.5.2 gestellt habe, darauf abzielten, eine Überprüfung dieser rechtskräftigen Entscheidung herbeizuführen, unabhängig von der jeweiligen Natur der Anträge. Die Juristische Beschwerdekammer umschreibt sie in ihrer ersten Frage als Anträge, die sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen.
Unter Zugrundelegung dieser Charakterisierung fragt die Juristische Beschwerdekammer, welche Behandlung solche Anträge erfahren sollen. Zur Beantwortung dieser Frage muß nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer zunächst untersucht werden, ob Anträge, die auf die Überprüfung rechtskräftiger Entscheidungen der Beschwerdekammern abzielen und sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen, im Rahmen des EPÜ überhaupt wirksam gestellt werden können, denn die Behandlung hängt selbstverständlich davon ab, ob diese Frage bejaht oder verneint wird.
2. Zunächst ist daher zu prüfen, ob solche Anträge im Rahmen der im EPÜ vorgesehenen und von ETA eingelegten Rechtsmittel überhaupt gestellt werden können.
a) Nach Artikel 106 (1) EPÜ hat die Beschwerde aufschiebende Wirkung. Dieser Suspensiveffekt hemmt den Eintritt der (formellen) Rechtskraft und kann somit nur von ordentlichen Rechtsmitteln ausgehen, also von solchen, die gegen noch nicht rechtskräftige Entscheidungen gerichtet sind (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Auflage, S. 800 - 801; Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Auflage, Nr. 702; Droit pratique de la procédure civile, Dalloz Action, 1998, Rdn. 5063). Da, wie die Juristische Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung zutreffend ausführte, die Entscheidungen der Beschwerdekammern rechtskräftig werden, sobald sie ergangen sind, ist eine Beschwerde nach Artikel 106 (1) EPÜ dagegen ausgeschlossen. Bestätigt wird dies im übrigen durch die Artikel 21 und 106 EPÜ, die in ihrer als erschöpfend zu betrachtenden Aufzählung die Beschwerdekammern nicht zu den Instanzen zählen, deren Entscheidungen mit der Beschwerde anfechtbar sind.
Gestützt auf Artikel 111 EPÜ macht ETA geltend, daß eine Beschwerdekammer, die ein Patent erstmals widerrufe, als erste Instanz, nämlich als Einspruchsabteilung, tätig werde, weswegen ihre Entscheidung mit der Beschwerde anfechtbar sei. In diesem Artikel geht es aber zum einen um die reformatorische und zum anderen um die von einigen Autoren so genannte kassatorische Wirkung eines Rechtsmittels (vgl. Habscheidt, Droit judiciaire privé suisse, 2. Auflage, S. 473). Reformatorisch entscheidet eine Beschwerdekammer, wenn sie selbst in der Sache entscheidet, kassatorisch entscheidet sie, wenn sie die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverweist. Artikel 111 EPÜ räumt den Beschwerdekammern beide Möglichkeiten ein, wie dies im übrigen auch bei vielen Rechtsmitteln in den EPÜ-Vertragsstaaten der Fall ist (z. B. in der Schweiz Art. 64 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege für die Berufung beim Bundesgericht, im Vereinigten Königreich Regel 7 (5) R.S.C. Ord. 55). Diese Wirkungen betreffen ausschließlich die Wahlmöglichkeit, über die eine Kammer bei einer Beschwerde verfügt. Im Falle der reformatorischen Wirkung kann ihre Entscheidung nicht mit einer erstinstanzlichen Entscheidung gleichgesetzt werden. In diesem Zusammenhang behauptete ETA zu Unrecht, daß laut umfangreicher Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine Angelegenheit grundsätzlich an die erste Instanz zurückverwiesen werde, wenn der Beschwerde stattgegeben werde, damit den Beteiligten das Recht auf Beschwerde erhalten bleibe. Gemäß Artikel 111 (1) EPÜ ist es den Beschwerdekammern anheimgestellt, eine Sache nach Maßgabe des Einzelfalls zurückzuverweisen; dies ist auch der in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts" (3. Aufl. 1998, S. 551 - 552) zitierten Rechtsprechung zu entnehmen. Nach Artikel 10 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern können die Kammern, selbst wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist, beschließen, die Angelegenheit nicht an die erste Instanz zurückzuverweisen, sofern besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen. Dieses freie Ermessen im Hinblick auf eine etwaige Zurückverweisung besteht auch dann, wenn eine Kammer beabsichtigt, ein Patent auf die Beschwerde eines Einsprechenden hin zu widerrufen (vgl. T 557/94, nicht im ABl. EPA veröffentlicht, Nr. 1.3 der Entscheidungsgründe, Absatz 2, Satz 3).
b) ETA beantragte ferner die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ. Laut ihrer Darstellung enthält dieser Artikel zumindest den Mechanismus eines Antrags auf Überprüfung wegen Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes, weil seine Anwendung der Entscheidung W 3/93 (ABl. EPA 1994, 931) zufolge die angefochtene Entscheidung hinfällig machen könne.
Auf Artikel 122 EPÜ läßt sich ein Antrag, der auf eine Überprüfung abzielt, wie sich die Juristische Beschwerdekammer ausdrückte, aber nicht stützen, denn eine der wesentlichen Voraussetzungen in diesem Artikel lautet, daß gegenüber dem EPA eine - entweder vom EPA bestimmte oder im Übereinkommen oder seiner Ausführungsordnung vorgesehene - Frist nicht eingehalten werden konnte. Eine "virtuelle" Frist, wie sie ETA in ihrem Wiedereinsetzungsantrag vom 16. Januar 1992 angezogen hat, ist nicht ausreichend. Selbst wenn ein Verfahrensfehler eine Verhinderung zur Folge gehabt hätte, wie sie in Artikel 122 EPÜ vorgesehen ist, hätten immer noch alle anderen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung erfüllt sein müssen, insbesondere die Nichteinhaltung einer echten Frist. Folglich ist ein solcher Antrag nicht das geeignete Mittel, um eine Beschwerdekammerentscheidung wegen der Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes mit einer Beschwerde anzufechten.
Dasselbe gilt für die Anträge auf Weiterbehandlung nach Artikel 121 EPÜ.
c) Da ETA ferner behauptet, daß eine Überprüfung nach Regel 89 EPÜ möglich wäre, weil ein wesentlicher Verfahrensfehler eine offenkundige Unrichtigkeit darstelle, ist festzuhalten, daß ein Rechtsirrtum - ob in der Sache oder in bezug auf das Verfahren - nicht im Sinne dieser Regel berichtigt werden kann. Die von ETA hierzu angeführten Entscheidungen sind nicht relevant (vgl. T 105/89 vom 30. Oktober 1990 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) betreffend einen Fall, in dem die Entscheidungsformel im Widerspruch zur Begründung steht; T 770/95 vom 15. September 1997 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) betreffend die Berichtigung der Fassung eines Patents, das durch eine frühere Entscheidung erteilt wurde, wobei diese Fassung als Bestandteil der Entscheidung angesehen wurde und es darum ging, fehlerhafte Fachausdrücke zu ersetzen, die im konkreten Kontext für den Fachmann keine Bedeutung hatten). Beide Beispiele zeigen, was unter den "Widersprüchen" zu verstehen ist, die nach Regel 89 EPÜ berichtigt werden können; entsprechend wurde auch in der weiteren von ETA angeführten Sache J 12/85 (ABl. EPA 1986, 155) entschieden.
d) Was den von ETA ebenfalls am 16. Januar 1992 eingereichten und auf Artikel 114 (1) EPÜ gestützten Antrag auf "Weiterbehandlung" betrifft, so liegt auf der Hand, daß dieser Artikel, in dem lediglich vom Grundsatz der Ermittlung von Amts wegen die Rede ist, nicht als Grundlage für die Art von Anträgen in Betracht kommt, auf die die Juristische Beschwerdekammer in ihrer ersten Frage abhebt.
e) Zur Bekräftigung ihrer These, wonach die Überprüfungsanträge zwingend im Rahmen der im EPÜ verankerten Institutionen behandelt werden müßten, behauptet ETA, daß der Gesetzgeber ursprünglich ein Europäisches Patentgericht vorgesehen habe, dessen Aufgabe insbesondere darin bestehen sollte, die Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundsätze zu untersuchen. Die Große Beschwerdekammer teilt diese Auffassung nicht. Weder das EPÜ selbst noch die Materialien dazu lassen darauf schließen, daß Anträge auf Überprüfung wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensregeln nun im Rahmen der vorhandenen Institutionen behandelt werden müßten, weil die Idee eines Europäischen Patentgerichts fallengelassen wurde. Ganz im Gegenteil: Eben weil der Gesetzgeber die Idee eines europäischen Gerichts fallengelassen und letzten Endes beschlossen hat, die Große Beschwerdekammer zu schaffen, die als Regulierungsinstanz ausreichen sollte, leuchtet nicht ein, daß er beabsichtigt haben soll, dies wettzumachen, indem er die Beschwerdekammern mit Befugnissen ausstattet, die diese höhere Instanz hätte haben sollen.
Ebenfalls zu Unrecht behauptet ETA, daß die Zuständigkeit einer Beschwerdekammer nach Erlaß einer Endentscheidung noch nicht beendet sei, wenn in dieser Entscheidung ein wesentlicher Verfahrensgrundsatz verletzt werde. Tatsache ist, daß die Zuständigkeit einer Kammer in der ihr vorgelegten Sache mit der Entscheidung über den Rechtsstreit endet.
In der Sache T 460/95 (ABl. EPA 1998, 587, Nr. 2 der Entscheidungsgründe), auf die sich ETA in diesem Zusammenhang berief, ging es nur um eine Zwischenentscheidung, in der eine einzige Frage, nämlich die der Zulässigkeit, untersucht worden war.
ETA machte außerdem geltend, daß Beschwerdekammern durchaus bereits Argumente in bezug auf Verfahrensmängel in einer früheren Zurückverweisungsentscheidung geprüft hätten.
Was die Entscheidung T 79/89 (ABl. EPA 1992, 283) und die zwei Entscheidungen T 843/91 (ABl. EPA 1994, 818 und 832) betrifft, die ETA hierzu anführte, ist jedoch von vornherein festzustellen, daß diese Argumente im Rahmen einer neuen, zulässigen Beschwerde vorgebracht worden waren.
Im Ex-parte-Verfahren T 79/89 hat die Kammer die Vorwürfe des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör im früheren Beschwerdeverfahren offensichtlich mehr als eingehend geprüft, und zwar nicht nur, weil sie diese Vorwürfe eindeutig für unbegründet hielt (Nr. 2.3 der Entscheidungsgründe), sondern auch um zu erläutern, daß sie selbst dann zurückgewiesen worden wären, wenn sie rechtzeitig, d. h. vor Erlaß der früheren Entscheidung durch die Kammer, vorgebracht worden wären (Nr. 4.2 der Entscheidungsgründe).
Im Inter-partes-Verfahren T 843/91 wurden die drei Mitglieder der Beschwerdekammer, die an der früheren Zurückweisungsentscheidung beteiligt waren, abgelehnt; die Kammer erließ dann in anderer Zusammensetzung eine Zwischenentscheidung, in der sie die Ablehnungsgründe, darunter die angebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im früheren Beschwerdeverfahren, selbstverständlich prüfen mußte. Da der Ablehnungsantrag zurückgewiesen wurde, griff die Kammer in der endgültigen Entscheidung zu Recht auf die Begründung der Zwischenentscheidung zurück. Im übrigen verweist die Kammer in der ersten Entscheidung T 843/91 (Nr. 6 der Entscheidungsgründe) darauf, daß eine Entscheidung der Beschwerdekammern nur dann angefochten werden kann, wenn dies ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist; das Europäische Patentübereinkommen sieht aber nirgendwo ein Rechtsmittel gegen solche Entscheidungen vor. Auch in der zweiten Entscheidung T 843/91 wurde in diesem Sinne entschieden (Nr. 4 der Entscheidungsgründe).
In der Sache T 167/93 (ABl. EPA 1997, 229), die ETA ebenfalls anführte, wurde lediglich entschieden, daß die zuständige Instanz in einem Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht an die Entscheidung gebunden ist, die eine Beschwerdekammer über eine Beschwerde gegen eine Entscheidung der Prüfungsabteilung erlassen hat.
Diese unter besonderen Umständen ergangenen Entscheidungen lassen also nicht den Schluß zu, daß die Rechtsprechung die Möglichkeit eingeräumt hätte, Beschwerdekammerentscheidungen wegen der Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes anzufechten.
f) Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß mit den von ETA gebrauchten Rechtsmitteln Anträge der von der Juristischen Beschwerdekammer umschriebenen Art, d. h. Anträge, die sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen und auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung einer Beschwerdekammer abzielen, nicht wirksam gestellt werden können. Die Große Beschwerdekammer kennt auch keine anderen im EPÜ ausdrücklich vorgesehenen Rechtsmittel, auf die solche Anträge gestützt werden könnten. In einer Einwendung eines Dritten wird Regel 90 EPÜ für den Fall angeführt, daß eine Beschwerdekammer eine Entscheidung in Unkenntnis eines Grunds für die Unterbrechung des Verfahrens erlassen hätte. Dabei handelt es sich jedoch um einen ganz speziellen Fall, über den ETA zu Recht bemerkt, daß es nicht um die Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes gehe, sondern um einen durch einen verfahrensfremden Umstand bedingten Fehler, der nichts mit dem Gegenstand der ersten Frage der Juristischen Beschwerdekammer zu tun habe.
Somit ist festzustellen, daß das EPÜ Anträge der von der Juristischen Beschwerdekammer umschriebenen Art nicht vorsieht.
3. Die Juristische Beschwerdekammer zählt in ihrer Entscheidung vom 28. Februar 1997 unter Nummer 9 der Entscheidungsgründe besondere Rechtsmittel auf, die in etlichen Vertragsstaaten gesetzlich vorgesehen sind und es ermöglichen, rechtskräftige Urteile als fehlerhaft anzufechten, etwa wegen Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes. Diese Rechtsmittel führt auch ETA in ihren Schriftsätzen an. Dazu reichte sie eine vom Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung durchgeführte und auf acht EPÜ-Vertragsstaaten bezogene Gegenüberstellung der Rechtsmittel ein, mit denen eine Gerichtsentscheidung wegen Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes angefochten werden kann. Daraus geht hervor, daß alle diese Staaten solche besonderen Rechtsmittel kennen; höchstwahrscheinlich gibt es sie auch in den meisten übrigen Vertragsstaaten. Da nun das EPÜ solche Rechtsmittel nicht vorsieht, stellt sich die Frage, ob sie nicht auf der Grundlage des Artikels 125 EPÜ eingeführt werden könnten. Auf diese Möglichkeit hob die Juristische Beschwerdekammer mit der Formulierung "im Rahmen des EPÜ" offenbar ab, denn dieser Artikel ist ja Bestandteil des EPÜ.
a) Artikel 125 EPÜ lautet unter der Überschrift "Heranziehung allgemeiner Grundsätze" wie folgt: "Soweit dieses Übereinkommen Vorschriften über das Verfahren nicht enthält, berücksichtigt das Europäische Patentamt die in den Vertragsstaaten im allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts." Während ETA in erster Linie anstrebt, daß Artikel 125 EPÜ auf die bestehenden Verfahren oder sogar auf die von ihr herangezogenen Rechtsmittel angewandt wird, behauptet sie zugleich, daß dieser Artikel eine ausreichende Basis für die Schaffung eines besonderen Rechtsmittels abgebe, weil diese Bestimmung zur Schließung von Lücken im EPÜ konzipiert worden sei.
Was die Auslegung dieses Artikels betrifft, so ist vorauszuschicken, daß er sich nicht auf das Fehlen von Verfahren, sondern nur auf das Fehlen von Vorschriften über das Verfahren bezieht. Außerdem heißt es nicht, daß Verfahren, sondern daß "Grundsätze" des Verfahrensrechts berücksichtigt werden sollen, die in den Vertragsstaaten im allgemeinen anerkannt sind.
Die Schaffung eines besonderen Rechtsmittels, wie es in den Vertragsstaaten existiert, impliziert aber weit mehr als nur die Möglichkeit, dem Fehlen einer einfachen Verfahrensvorschrift durch die Einführung eines Verfahrensgrundsatzes, z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Beteiligten, abzuhelfen. Damit würde nämlich nicht etwa ein Grundsatz eingeführt, sondern ein neues Verfahrensinstitut, d. h. ein neues Rechtsmittel im weiteren Sinne. Mit der Feststellung, daß Beschwerdekammerentscheidungen wegen verfahrensrechtlicher Mängel angefochten werden können, wäre es also nicht getan. Darüber hinaus müßten die hierfür in Betracht kommenden Mängel sowie die übrigen, mit einem Rechtsmittel im weiteren Sinne verbundenen Modalitäten festgelegt werden, z. B. die entscheidungsbefugte Instanz, die einschlägigen Fristen, die Mittel zur Wahrung der Rechte Dritter, die Gebühren usw.
Den Gesetzesmaterialien zum EPÜ, auf die der Präsident des EPA Bezug genommen hat (vgl. Nr. XI b), ist zu entnehmen, daß dem Gesetzgeber vor allem die zwangsläufige Unvollständigkeit der Ausführungsordnung Sorge bereitet hat (Seite 48). Zwar ist dort auch von Lücken im Übereinkommen selbst die Rede (Seite 50 unten, Seite 51 Zeile 6), die Formulierung "ergänzendes Verfahrensrecht" in den Zeilen 17 und 23 auf Seite 50 und die Bezugnahme auf allgemeine Verfahrensgrundsätze im ersten Absatz auf Seite 51 heben jedoch den rein ergänzenden Charakter des betreffenden Verfahrensrechts hervor.
Somit ist davon auszugehen, daß Artikel 125 EPÜ nur ein Instrument zur Ergänzung der bestehenden Verfahren bietet, falls eine Vorschrift im EPÜ fehlt. Dies ergibt sich auch aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, unter anderem - um nur einige Entscheidungen zu nennen, die sich explizit auf Artikel 125 EPÜ beziehen - aus der Entscheidung T 905/90 (ABl. EPA 1994, 306, Nr. 5 der Entscheidungsgründe) betreffend den Grundsatz des Vertrauensschutzes, aus der Entscheidung T 669/90 (ABl. EPA 1992, 739, Nrn. 2.3 und 2.4 der Entscheidungsgründe) betreffend den Anspruch auf rechtliches Gehör und aus der Entscheidung T 73/88 (ABl. EPA 1992, 557, Nr. 1.2 der Entscheidungsgründe) betreffend den Grundsatz der Gleichbehandlung der Beteiligten.
Was die Sache G 1/86 (ABl. EPA 1987, 447) betrifft, der zufolge ein Beschwerdeführer, der auch Einsprechender ist, nach Artikel 122 EPÜ wieder in den vorigen Stand eingesetzt werden kann, wenn er die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung versäumt hat, so ist ETA zu Unrecht der Auffassung, daß hier ein neues Verfahren eingeführt wurde. Diese Entscheidung geht nämlich nicht über den Rahmen des Artikels 122 EPÜ hinaus und fußt im wesentlichen auf der Überlegung der Großen Beschwerdekammer, wonach weder die Materialien zum EPÜ noch die Rechtsgrundlage des Artikels 122 EPÜ dagegen sprechen, daß dem Einsprechenden die Möglichkeit eingeräumt wird, diesen Artikel im Rahmen eines schon rechtsgültigen Beschwerdeverfahrens in Anspruch zu nehmen; hinzu kommt außerdem, daß allen Beteiligten an einem Verfahren vor einem Gericht grundsätzlich dieselben Verfahrensrechte eingeräumt werden müssen. Indem die Große Beschwerdekammer Artikel 122 EPÜ diesen Sinn zuerkannte, hat sie kein neues Verfahren geschaffen.
b) In einem kodifizierten System wie dem EPÜ kann nicht der Richter nach Bedarf an die Stelle des Gesetzgebers treten, der die erste Rechtsquelle ist und bleibt. Zwar kann er sich veranlaßt sehen, Lücken auszufüllen, insbesondere, wenn sich zeigt, daß der Gesetzgeber es versäumt hat, bestimmte Fälle zu regeln. Er kann sogar zur Rechtsfortbildung über die Ausfüllung von Lücken hinaus beitragen. Grundsätzlich muß die Rechtsordnung aber - und sei es auch in unvollkommener Form - Anhaltspunkte enthalten (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 58. Auflage, Einleitung, Nrn. 46 - 49). Nun wollte der Gesetzgeber hier - wie oben erwähnt (vgl. Nr. 2) - ein Europäisches Patentgericht schaffen, das die Möglichkeit gehabt hätte, über verfahrensrechtliche Mängel zu entscheiden. Diese Idee wurde aber zugunsten der Großen Beschwerdekammer in ihrer heutigen Form aufgegeben, die nicht befugt ist, über die Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundsätze zu entscheiden. Eine "Korrektur" dieser Sachlage durch Schaffung eines besonderen Rechtsmittels über Artikel 125 EPÜ würde somit dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen; dieser Wille ist bisher weder durch Übereinkünfte noch durch Übung im Sinne des Artikels 31 (3) des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 abgewandelt worden.
In den Vertragsstaaten sind die besonderen Rechtsmittel zur Anfechtung gerichtlicher Entscheidungen als fehlerhaft überwiegend gesetzlich vorgesehen. In einigen Fällen wurden diese Rechtsmittel allerdings durch Richterrecht geschaffen. So hat z. B. in der von ETA angeführten Sache BGE 118 II 199 das Schweizerische Bundesgericht die Revision gemäß Artikel 137 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege per Analogie auch auf Schiedsentscheide angewandt (vgl. auch BGE 115 Ib 55). In einem von ETA ebenfalls angezogenen früheren Urteil hat dasselbe Gericht die Überprüfung einer Entscheidung ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage unter Bezugnahme auf Artikel 4 der schweizerischen Verfassung zugelassen (BGE 113 Ia 46). Auch dabei hat sich das Gericht aber von den Revisionsgründen in Artikel 66 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren und Artikel 137 des Bundesrechtspflegegesetzes leiten lassen.
Im Rahmen des EPÜ ist die Möglichkeit des analogen Vorgehens aber nicht geboten, weil es kein analoges Rechtsinstitut gibt, abgesehen von Artikel 23 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern, bei denen es sich jedoch um eine völlig eigenständige Regelung handelt, die nicht zu den eigentlichen Verfahrensvorschriften des EPÜ gehört. In einem anderen von ETA angeführten Fall aus dem Vereinigten Königreich beschloß das Oberhaus ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage, eines seiner eigenen Urteile zu überprüfen (Entscheidung vom 17. Dezember 1998 "In re Pinochet", [1999], I All ER, 577, vgl. S. 585, j). Es berief sich hierzu auf seine inhärente Zuständigkeit ("inherent jurisdiction"). Diese Entscheidung ist wohlgemerkt in einem Land ergangen, in dem das Richterrecht als Rechtsquelle einen anderen Stellenwert hat als in den Ländern mit kodifiziertem Rechtssystem, wie es sich auch das EPÜ zu eigen gemacht hat (vgl. Bergel, Méthodes du droit, Théorie générale du droit, 2. Aufl., Nr. 50).
Da im Rahmen des EPÜ nicht die Möglichkeit gegeben ist, per Analogie vorzugehen, müßte die Große Beschwerdekammer auch alle Modalitäten des von ihr geschaffenen besonderen Rechtsmittels selbst festlegen. Zunächst müßte sie entscheiden, in welchen Fällen die Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundsätze zur Aufhebung einer Beschwerdekammerentscheidung führen könnte. Nationale Lösungen wären hier keine große Hilfe, weil sie - wie die Untersuchung des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung zeigt - sehr unterschiedlich sind; die Aufhebungsgründe reichen von der Entdeckung neuer Sachverhalte bis zur Verletzung von Verfahrensvorschriften. Hieran zeigt sich im übrigen, daß diese Entscheidung eminent politischer Natur ist, da das Anliegen, mit schweren Verfahrensfehlern behaftete Entscheidungen nicht fortbestehen zu lassen, abzuwägen ist gegen die Rechtssicherheit und das Streben, jeden Rechtsstreit innerhalb einer vernünftigen Frist abzuschließen. Diese Entscheidung läßt sich aber am besten im Rahmen eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens treffen.
Was die übrigen Modalitäten angeht - etwa welche Instanz befugt ist, über Verletzungen des Verfahrensrechts zu entscheiden, oder die Dauer der einschlägigen Fristen -, so ist zu beachten, daß das Verfahrensrecht ein formelles Recht ist, das es den Rechtsuchenden ermöglichen muß, sich umfassend über die Modalitäten eines gerichtlichen Vorgehens zu informieren. Dies läßt sich auf legislativem Wege zweifellos besser erreichen als durch Richterrecht.
c) Zu betonen ist ferner, wie wichtig es ist, daß Dritte im Falle eines Patentwiderrufs durch eine rechtskräftige Beschwerdekammerentscheidung darauf vertrauen können, daß sie den Gegenstand des widerrufenen Patents vom Hinweis auf den Widerruf im europäischen Patentregister an verwerten können, ohne eine Unterlassungsanordnung befürchten oder Schadenersatz zahlen zu müssen. Der Gesetzgeber hat dies im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Artikel 122 (6) EPÜ) ausdrücklich vorgesehen, und es scheint unverzichtbar, für den Fall eines Überprüfungsverfahrens eine analoge Bestimmung vorzusehen, die nur die EPÜ-Vertragsstaaten einführen könnten.
Aus den Materialien zum EPÜ betreffend die Regel 89 EPÜ geht im übrigen hervor, daß der Schutz Dritter dem Gesetzgeber ein Anliegen war. Das zeigt sich eindeutig an der Entstehungsgeschichte dieser Regel, die ihren Ursprung in einem Entwurf des Artikels 159 a) (vgl. BR/49 d/70, S. 9) hat, der dann seinerseits in den Entwurf einer Ausführungsordnung vom April 1972 unter Artikel 91 (1) (vgl. BR/185 d/72) aufgenommen wurde; darin hieß es, daß Verfahrensfehler berichtigt werden können, sofern keine nachteiligen Wirkungen u. a. für Dritte entstehen. Letztlich wurde nur an der restriktiven Fassung der heutigen Regel 89 EPÜ festgehalten, die jegliche nachteilige Wirkung ausschließt.
d) Aus den obigen Gründen ist die Große Beschwerdekammer daher zu der Auffassung gelangt, daß ein besonderes Rechtsmittel zur Anfechtung rechtskräftiger Beschwerdekammerentscheidungen wegen einer angeblichen Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes, wie es die Juristische Beschwerdekammer erwähnt und wie es in den Vertragsstaaten existiert, nicht über Artikel 125 EPÜ geschaffen werden kann.
4. Somit bleibt noch die Lösung zu untersuchen, die ETA während des gesamten Verfahrens verfochten hat, nämlich die Anwendung des Artikels 125 EPÜ auf die im EPÜ vorgesehenen Rechtsmittel, um im Rahmen dieser Rechtsmittel eine Beschwerde gegen eine Endentscheidung der Beschwerdekammern wegen Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes zu ermöglichen.
Eine solche Anwendung des Artikels 125 EPÜ würde zwar formal nicht mit dem Argument kollidieren, daß er zur Ergänzung bestehender Verfahren konzipiert wurde (s. unter Nr. 3). In der Sache würde eine solche Ergänzung aber bewirken, daß die bestehenden Rechtsmittel eine neue, ihnen nicht eigene Zweckbestimmung erhielten, für die es, was die Beschwerde gegen rechtskräftige Entscheidungen betrifft, in den Vertragsstaaten besondere, nämlich außerordentliche Rechtsmittel gibt. Würde man auf die im EPÜ verankerten Rechtsmittel, die ein kohärentes System bilden, diese zusätzliche und nicht zu ihrem eigentlichen Anwendungsbereich gehörige Zweckbestimmung aufpfropfen, so würde man die Abgrenzungen zwischen diesen Rechtsmitteln völlig aufheben. Dies zeigt sich darin, daß es dem Vorbringen von ETA zufolge im EPÜ mindestens vier Rechtsmittel gäbe (die ETA am 16. Januar 1992 vor der Technischen Beschwerdekammer 3.5.2 dargelegt hat), mit denen - nach Gutdünken des Beschwerdeführers - eine rechtskräftige Beschwerdekammerentscheidung wegen Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes angefochten werden könnte. Dies ginge nicht nur weit über das hinaus, was in den Vertragsstaaten vorgesehen ist, sondern hätte auch gravierende Rechtsunsicherheiten zur Folge, z. B. was die Fristen für die Antragstellung betrifft, die bei den bestehenden Rechtsmitteln unterschiedlich sind (vgl. die Fristen für die Beschwerde (Artikel 108 EPÜ), und die Fristen für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags, (Artikel 122 (2) EPÜ)). Solche Unsicherheiten sind mit dem Verfahrensrecht nicht vereinbar.
5. ETA behauptet außerdem, daß es der Vorschrift des Artikels 32 TRIPS zuwiderlaufe, wenn der Widerruf eines europäischen Patents erstmals durch eine Entscheidung einer Beschwerdekammer erfolge. Zwar sei das TRIPS-Übereinkommen erst am 1. Januar 1995 und damit lange nachdem ETA die Verfahren mit dem Ziel einer Überprüfung eingeleitet habe, in Kraft getreten, doch spreche der zwingende Charakter des Artikels 32 TRIPS, in dem ein ganz wesentliches patentrechtliches Erfordernis formuliert sei, dafür, diese Bestimmung auf alle laufenden Verfahren anzuwenden und nicht nur auf die, die nach dem 1. Januar 1995 eingeleitet worden seien.
a) Da die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.2 mehr als drei Jahre vor Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens ergangen ist und ETA sie innerhalb von zwei Monaten angefochten hat, erscheint die Anwendbarkeit des TRIPS-Übereinkommens auf die vorliegende Sache sehr zweifelhaft. Diese Frage kann aber letztlich ebenso offen bleiben wie die Frage der - umstrittenen - Bindungswirkung des TRIPS-Übereinkommens (vgl. das Urteil des High Court of Justice des Vereinigten Königreichs vom 20. Dezember 1996 in der Sache Lenzing AG's European Patent (UK) [1997] R.P.C., 245, vgl. S. 267 f.) und seiner Anwendung im Rahmen des EPÜ, angesichts des Umstandes, daß die EPO nicht Mitglied des TRIPS-Übereinkommens ist. Selbst wenn diese drei Fragen zu bejahen wären, ist die Große Beschwerdekammer nämlich der Auffassung, daß es nicht gegen das TRIPS-Übereinkommen verstößt, wenn ein europäisches Patent erstmals durch eine Beschwerdekammerentscheidung widerrufen wird, die nicht mehr angefochten werden kann.
b) Neben Artikel 32 TRIPS ist nämlich noch eine andere Bestimmung des TRIPS-Übereinkommens zu untersuchen, und zwar Artikel 62 (5). Dieser Artikel besagt, daß verwaltungsrechtliche Endentscheidungen in den Verfahren betreffend den Erwerb oder die Aufrechterhaltung von Rechten des geistigen Eigentums und, sofern das Recht eines Mitglieds solche Verfahren vorsieht, der Widerruf im Verwaltungsweg und Inter-partes-Verfahren wie zum Beispiel Einspruch, Widerruf und Löschung, der Nachprüfung durch ein Gericht oder eine gerichtsähnliche Einrichtung unterliegen.
c) Die Formulierung dieser Bestimmung paßt exakt auf die Situation, die sich im Rahmen des EPÜ und im vorliegenden Kontext ergibt. Eine verwaltungsrechtliche Entscheidung einer Einspruchsabteilung des EPA, die ein Patent aufrechterhält, ist nachprüfbar - hier: auf der Grundlage einer Beschwerde - durch ein Gericht oder eine gerichtsähnliche Einrichtung - hier: eine Beschwerdekammer. Die Beschwerdekammern können als Gerichte bezeichnet werden, weil sie alle Merkmale einer solchen Einrichtung aufweisen: Die Mitglieder der Kammern sind für ihre Entscheidungen an Weisungen nicht gebunden und nur dem EPÜ unterworfen (Art. 23 (3) EPÜ); sie werden für einen festen Zeitraum ernannt und können während dieses Zeitraums ihrer Funktion nicht enthoben werden, es sei denn, daß schwerwiegende Gründe vorliegen (Art. 23 (1) EPÜ); das EPÜ enthält Vorschriften, die die Unparteilichkeit der Mitglieder gewährleisten (Art. 24 EPÜ); die Kammern umfassen immer mindestens ein rechtskundiges Mitglied (Art. 21 EPÜ); es bestehen Verfahrensregeln; und schließlich erlassen die Kammern begründete, schriftliche Entscheidungen (R. 66 (2) EPÜ). Was den gerichtlichen Charakter der Beschwerdekammern betrifft, wird ferner auf die am 26. Oktober 1995 erlassene Entscheidung des Oberhauses des Vereinigten Königreichs "Merrel Dow v. Norton", [1996] R.P.C. 76, vgl. S. 82, verwiesen sowie auf die bereits genannte Entscheidung des High Court of Justice des Vereinigten Königreichs vom 20. Dezember 1996, S. 274 f (vgl. Nr. 5a). Selbst wenn die Eigenschaft als Gericht in Abrede gestellt werden sollte, handelt es sich bei den Beschwerdekammern angesichts des oben Gesagten doch immerhin um gerichtsähnliche Einrichtungen im Sinne des Artikels 62 (5) TRIPS.
d) Wenn also Artikel 62 (5) TRIPS seinem Wortlaut nach den vom EPÜ geregelten Sachverhalt abdeckt, muß noch sein Verhältnis zu Artikel 32 TRIPS untersucht werden, der kurz und bündig besagt, daß eine Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen, mit denen Patente widerrufen oder für verfallen erklärt werden, vorzusehen ist. Nach Auffassung von ETA würde Artikel 62 (5) TRIPS nicht mit Artikel 32 TRIPS kollidieren. Sie macht geltend, daß sich Artikel 62 (5) TRIPS eindeutig auf Entscheidungen von Verwaltungsinstanzen beziehe und abgesehen davon Verfahren bezüglich aller Rechte des gewerblichen Eigentums betreffe, während Artikel 32 TRIPS speziell für Patente und die darin zum Ausdruck gebrachte Regel nicht nur für verwaltungsrechtliche Entscheidungen gelte.
Diese Argumentation ist nicht schlüssig. Die Anwendung des Grundsatzes "lex specialis derogat legi generali" führt nämlich zu einem ganz anderen Ergebnis als von ETA behauptet. Artikel 32 gehört zu Teil II des TRIPS-Übereinkommens, der sich auf Normen betreffend die Verfügbarkeit, den Umfang und die Ausübung von Rechten des geistigen Eigentums bezieht. Dieser Teil enthält keine Verfahrensregeln, die den Erwerb von Patentrechten betreffen. Er umfaßt vielmehr - wenn man von bestimmten materiellrechtlichen Regeln zur Patentierbarkeit absieht - Vorschriften in bezug auf die Ausübung der Rechte aus einem Patent. Dagegen betrifft Teil IV des TRIPS-Übereinkommens, dessen einzige Vorschrift der Artikel 62 ist, den Erwerb und die Aufrechterhaltung von Rechten des geistigen Eigentums, und die in Artikel 62 (5) TRIPS enthaltene Verfahrensregel muß in eben den Kontext des Erwerbs dieser Rechte eingeordnet werden, zu dem auch die Erlangung von Patenten gehört. Dieser Faktor spielt für die Anwendung des Grundsatzes "lex specialis derogat legi generali" eine viel wichtigere Rolle als der Umstand, daß Artikel 32 TRIPS nur Patente betrifft und Artikel 62 TRIPS auch andere Rechte des geistigen Eigentums behandelt.
Was das Argument betrifft, Artikel 62 (5) TRIPS beziehe sich nur auf verwaltungsrechtliche Entscheidungen, während Artikel 32 TRIPS für alle - auch für gerichtliche - Entscheidungen gelte, so scheint es angesichts der spezifischen Besonderheit des Artikels 62 (5) TRIPS undenkbar, daß man auf die darin vorgesehene Nachprüfung (auf dem Weg über Artikel 32 TRIPS) eine weitere Überprüfung aufpfropfen wollte.
Entgegen der These in dem von ETA angeführten Artikel der Autoren von Morzé/Van Zant, The European Patent System and GATT TRIPs, Article 32, I.P.Q. 1998, S. 117 f., steht die Entstehungsgeschichte des TRIPS-Übereinkommens dieser Auslegung nicht im Wege. Artikel 32 TRIPS schließt sich unmittelbar an Artikel 31 TRIPS an, der weitergehende Einschränkungen bezüglich Zwangslizenzen vorsieht als Artikel 5A der Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (Pariser Verbandsübereinkunft, PVÜ); er enthält sowohl in der Überschrift als auch im Text die Begriffe "déchéance" (Verfall) und "révocation" (deutsche Fassung: Widerruf bzw. Zurücknahme), die in Artikel 5A (3) PVÜ vorkommen. Dies zeigt durchaus, daß den TRIPS-Unterhändlern der Schweiz, der Europäischen Kommission und der Vereinigten Staaten von Amerika daran gelegen war, die Gründe für den Widerruf eines Patents im Kontext des Artikels 5A PVÜ zu beschränken und für diese Fälle eine gerichtliche Überprüfung vorzusehen (s. a. a. O. S. 124). Als sich dann aus den Reihen der Entwicklungsländer eine starke Opposition gegen eine zu große Einschränkung dieser Gründe abzeichnete, verschwand der Hinweis auf die Widerrufsgründe, und nur der Hinweis auf die gerichtliche Überprüfung wurde beibehalten (s. a. a. O. S. 124). Selbst wenn man einräumen müßte - wie dies von Morzé/Van Zant auf S. 124 f. behaupten -, daß laut der Entstehungsgeschichte des Artikels 32 TRIPS der TRIPS-Gesetzgeber über den Rahmen des Artikels 5A der Pariser Verbandsübereinkunft hinausgehen wollte, kann doch keineswegs der Schluß gezogen werden, daß er darin den Widerruf von Patenten vor dem Ende des Erteilungsverfahrens regeln wollte. Insbesondere gibt es keinen Hinweis darauf, daß er die spezifische und erschöpfende Lösung des Artikels 62 (5) TRIPS in bezug auf das Verfahren zum Erwerb von Rechten des geistigen Eigentums ändern wollte.
e) Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Einspruchs- ebenso wie das mehrseitige Beschwerdeverfahren Bestandteil des europäischen Patenterteilungsverfahrens ist, auch wenn es erst nach der Patenterteilung stattfindet. Die Wahl zwischen einem der Patenterteilung vorgeschalteten Einspruchs- und Beschwerdeverfahren, wie es etwa die Schweiz und Deutschland kannten, und einem solchen der Erteilung nachgeschalteten Verfahren wurde bei der Schaffung des EPÜ lange erörtert. Letzteres wurde schließlich gewählt, weil sich der Zeitraum von der Anmeldung bis zur Erteilung eines Patents nicht übermäßig in die Länge ziehen sollte; das Verfahren ist und bleibt aber Bestandteil des Erteilungsverfahrens insgesamt. Hätten sich die Verfasser des EPÜ für das Modell eines der Erteilung vorgeschalteten Einspruchs entschieden, würde sich die Frage der Anwendung des Artikels 32 TRIPS im übrigen gar nicht stellen: bei den in einem solchen Verfahren erlassenen Entscheidungen könnte es nie um den Widerruf oder Verfall eines Patents gehen, weil ja noch kein Patent erteilt wäre. Auch dieses Argument spricht dafür, daß im Zusammenhang mit der Erteilung von Patenten nur Artikel 62 (5) TRIPS in Betracht kommt, denn es kann nicht angehen, daß die Anwendung des Artikels 32 TRIPS davon abhängig gemacht wird, ob der Einspruch der Erteilung vor- oder nachgeschaltet ist; diese Wahl wurde im Rahmen des EPÜ aus Gründen getroffen, die absolut nichts mit dem hier vorliegenden Problem zu tun haben.
f) Aus diesen Gründen hat Artikel 62 (5) TRIPS im Zusammenhang mit der Erteilung eines europäischen Patents Vorrang vor Artikel 32 TRIPS; weder das EPÜ noch die Praxis, die sich darunter ausgebildet hat, kollidieren mit letzterem Artikel.
6. Die Frage, ob im Rahmen des EPÜ Anträge, die auf die Überprüfung rechtskräftiger Beschwerdekammerentscheidungen abzielen und sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen, wirksam eingereicht werden können, ist in Anbetracht des oben Gesagten zu verneinen.
Damit wäre nun die nächste Frage zu prüfen, nämlich, welche verwaltungsmäßige oder gerichtliche Behandlung solche Anträge erfahren sollten. Die abschlägige Antwort in bezug auf solche Anträge reicht zur Beantwortung natürlich nicht aus, da Anträge dieser Art (unter Inanspruchnahme eines im EPÜ bestehenden Rechtsmittels oder unter einer Fantasiebezeichnung wie z. B. "Annullierungsantrag" oder "Kassationsbeschwerde") ja trotzdem gestellt werden können.
Wie die Juristische Beschwerdekammer feststellte, kann in der vorliegenden Sache die Behandlung der Anträge vom 16. Januar 1992 als rein verwaltungsmäßige Abweisung gewertet werden. Nach diesem Muster wurden alle Anträge dieser Art behandelt, die seit Bestehen der Beschwerdekammern gelegentlich an diese herangetragen worden sind. Entgegen den Ausführungen von ETA ist dies nicht völlig ungerechtfertigt, wenn man sich vor Augen hält, zu welchem Ergebnis die Große Beschwerdekammer in der vorliegenden Entscheidung in bezug auf die wirksame Stellung solcher Anträge gelangt ist. Stellt aber eine Partei, die an einem Verfahren beteiligt war, das mit einer rechtskräftigen Beschwerdekammerentscheidung endete, auf die Aufhebung dieser Entscheidung abzielende Anträge, so gelten diese auf jeden Fall als an die betreffende Kammer als gerichtliche Einrichtung gerichtet. Daher dürfte die gerichtliche Behandlung den allgemein anerkannten Verfahrensgrundsätzen eher entsprechen als die verwaltungsmäßige Behandlung. Da Anträge der von der Juristischen Beschwerdekammer umschriebenen Art nicht wirksam gestellt werden können, sind sie als unzulässig zu behandeln. Diese Lösung entspricht auch eher der Logik der Regel 65 (1) EPÜ, die von ETA angeführt wurde. Allerdings handelt es sich dabei um eine Unzulässigkeit ganz besonderer Art, weil es um ein nicht existentes Rechtsmittel (im weiteren Sinne) geht.
Zuständig für die Entscheidung über diese Anträge ist die Beschwerdekammer, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, nicht etwa eine andere oder gar die Große Beschwerdekammer, die im System des EPÜ nicht die Funktion einer Beschwerdeinstanz hat. Werden solche Anträge an andere Instanzen gerichtet, so sind sie der betreffenden Kammer zuzuleiten. Die Zusammensetzung der Kammer muß dabei nicht dieselbe sein wie beim Erlaß der angefochtenen Entscheidung.
Damit die gerichtliche Behandlung zum Tragen kommt, muß der Antrag - ungeachtet seiner Form - natürlich der von der Juristischen Beschwerdekammer umschriebenen Art entsprechen, d. h. es muß ein Antrag sein, der auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Beschwerdekammerentscheidung abzielt. Tritt diese Absicht nicht eindeutig zu Tage (z. B. im Falle eines Schreibens, in dem eine Partei lediglich ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt, ohne die Aufhebung der Entscheidung zu beantragen), bleibt es bei der rein verwaltungsmäßigen Behandlung. Es wird Sache der Rechtsprechung sein, diese Fälle abzugrenzen.
Was das Verfahren für die gerichtliche Behandlung von Anträgen der von der Juristischen Beschwerdekammer umschriebenen Art betrifft, stellt sich die Frage, ob dabei alle auf die ordnungsgemäßen Verfahren vor den Beschwerdekammern anwendbaren Regeln des EPÜ, insbesondere solche, die das Recht der anderen Beteiligten, sich zu den Anträgen zu äußern, die Einhaltung der Mindestfristen oder auch das Recht auf eine mündliche Verhandlung betreffen, angewendet werden müssen. Da die in Frage stehenden Anträge nicht wirksam gestellt werden können und zwangsläufig unzulässig sind, weil ein nicht existentes Rechtsmittel (im weiteren Sinne) gebraucht wird, ist offensichtlich, daß deren Anwendung die Verfahren auf eine Weise verlängern würde, die mit der Rechtssicherheit schwer in Einklang zu bringen wäre. Deshalb kann die betreffende Kammer einen auf die Überprüfung ihrer eigenen Entscheidung abzielenden Antrag unverzüglich und ohne weitere prozessuale Formalität prüfen. Gelangt sie zu der Auffassung, daß er zu der Art von Anträgen gehört, auf die die Juristische Beschwerdekammer in ihrer Vorlagefrage an die Große Beschwerdekammer abgehoben hat, so entscheidet sie unverzüglich auf Unzulässigkeit.
7. Die gerichtliche Behandlung von Anträgen der von der Juristischen Beschwerdekammer umschriebenen Art setzt der verwaltungsmäßigen Behandlung, wie sie bisher praktiziert wurde, ein Ende. Damit stellt sich die Frage, ab wann diese Änderung in die Praxis umgesetzt werden soll.
Da solche Anträge nicht wirksam gestellt werden können und deshalb für unzulässig erklärt werden müssen, kommt die gerichtliche Behandlung für die Vergangenheit nicht in Frage. Die bisher praktizierte verwaltungsmäßige Abweisung durch eine gerichtliche Abweisung zu ersetzen, brächte nämlich nicht den geringsten Nutzen. Der bloße Umstand, daß eine Partei - wie in der vorliegenden Sache - nach einer verwaltungsmäßigen Abweisung mit diversen Rechtsmitteln eine Überprüfung erwirken wollte, rechtfertigt nicht, daß eine Ausnahme zu ihren Gunsten gemacht wird. In dem unwahrscheinlichen Fall, daß ein grundsätzlich zulässiger Antrag verwaltungsmäßig abgewiesen würde, spräche aber das Interesse der anderen Beteiligten und Dritter daran, daß eine in der Vergangenheit rechtskräftig gewordene Entscheidung nicht mehr in Frage gestellt wird, gegen eine rückwirkende Anwendung der gerichtlichen Behandlung (vgl. dazu die Entscheidung G 9/93, ABl. EPA 1994, 891, Nr. 6.1 der Entscheidungsgründe). Die gerichtliche Behandlung ist daher Anträgen vorbehalten, die sich gegen eine Beschwerdekammerentscheidung richten, die erst nach Erlaß der vorliegenden Entscheidung ergangen ist.
8. Somit wäre noch die zweite von der Juristischen Beschwerdekammer vorgelegte Frage zu beantworten, ob Anträge der von ihr umschriebenen Art in das europäische Patentregister einzutragen sind und welches Verfahren diesbezüglich anzuwenden ist.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß diese Anträge nicht wirksam gestellt werden können, weil sie im Rahmen des EPÜ nicht vorgesehen sind. Deshalb kommt eine Eintragung dieser Anträge oder des Verfahrens zu ihrer Abweisung auf der Grundlage des Artikel 127 EPÜ und der Regel 92 (1) EPÜ nicht in Betracht. Es wäre auch nicht gerechtfertigt, wenn der Präsident des EPA ihre Eintragung gemäß Regel 92 (2) EPÜ vorsehen würde, weil diese Eintragung Anträge und entsprechende Verfahren beträfe, die zum Scheitern verurteilt sind.
Wird die Rechtsabteilung aufgefordert, über die Eintragung solcher Anträge in das europäische Patentregister zu entscheiden, darf sie diese Eintragung also nicht veranlassen, wenn sich herausstellt, daß sich diese Anträge ungeachtet ihrer Form in Wirklichkeit auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen und auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung einer Beschwerdekammer abzielen. Die Aufgabe der Rechtsabteilung wird dadurch erleichtert, daß der Antrag auf Überprüfung unter Umständen bereits durch eine Beschwerdekammerentscheidung in einem beschleunigten Verfahren für unzulässig erklärt wurde (vgl. Nr. 6).
9. Auch wenn die Große Beschwerdekammer zu dem Schluß gelangt ist, daß Anträge, die sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen, im Rahmen des EPÜ nicht wirksam gestellt werden können, und vor allem ein besonderes Rechtsmittel durch Richterrecht auf der Grundlage des Artikels 125 EPÜ nicht geschaffen werden kann, legt sie Wert auf die folgende Feststellung: Einerseits sind die Rechtssicherheit und der Grundsatz, daß jeder Rechtsstreit innerhalb vernünftiger Fristen zum Abschluß gebracht werden muß, wesentliche Elemente einer jeden Rechtsordnung; andererseits widerspricht die offenkundige Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes dem Gerechtigkeitsempfinden und beschädigt das Ansehen der Gerichte schwer. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn sich herausstellte, daß eine Entscheidung maßgeblich durch eine unrechtmäßige, ja sogar kriminelle Handlung beeinflußt wurde, etwa durch gefälschte Unterlagen oder eine Falschaussage. Der Gesetzgeber ist daher aufgefordert, in ganz bestimmten Fällen gravierender Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes eine Möglichkeit zur Überprüfung rechtskräftiger Beschwerdekammerentscheidungen vorzusehen. Er müßte nicht nur diese bestimmten Fälle festlegen, sondern auch die Modalitäten regeln, einschließlich des Schutzes Dritter. In Anbetracht des fundamentalen Charakters eines solchen Rechtsmittels und der Tatsache, daß im europäischen Patentsystem die Basis der Beschwerdeverfahren (im weiteren Sinne) im EPÜ zu finden ist, müßte diese Überprüfungsmöglichkeit zumindest in ihren Grundzügen im Übereinkommen selbst vorgesehen werden.
Entscheidungsformel:
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Rechtsfragen sind wie folgt zu beantworten:
1. Im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens ist es einem gerichtlichen Verfahren vorbehalten, Anträge, die sich auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützen und auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA abzielen, als unzulässig zu verwerfen.
2. Die Entscheidung über die Unzulässigkeit obliegt der Beschwerdekammer, die die Entscheidung erlassen hat, deren Überprüfung beantragt wird. Sie kann unverzüglich und ohne prozessuale Formalitäten ergehen.
3. Diese gerichtliche Behandlung ist Anträgen vorbehalten, die sich gegen eine Beschwerdekammerentscheidung richten, die nach Erlaß der vorliegenden Entscheidung ergangen ist.
4. Hat die Rechtsabteilung des EPA über die Eintragung eines gegen eine Beschwerdekammerentscheidung gerichteten Antrags in das europäische Patentregister zu entscheiden, so darf sie diese Eintragung nicht veranlassen, wenn sich herausstellt, daß sich dieser Antrag ungeachtet seiner Form auf die angebliche Verletzung eines wesentlichen Verfahrensgrundsatzes stützt und auf die Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung einer Beschwerdekammer abzielt.