BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.1 vom 26. März 1992 - T 702/89 - 3.2.1
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | F. Gumbel |
Mitglieder: | J.-C. Saisset |
| P. Alting van Geusau |
Patentinhaber/Beschwerdegegner: ALLIED-SIGNAL INC.
Einsprechender/Beschwerdeführer: Alfred Teves GmbH
Stichwort: Proportionierventil/ALLIED-SIGNAL INC.
Regel: 85 (1), 85 (2) EPÜ
Schlagwort: "Verlängerung von Fristen (verneint)" - "allgemeine Unterbrechung oder anschließende Störung der Postzustellung (verneint)" - "Versäumung der Einspruchsfrist - Wiedereinsetzung (verneint)"
Leitsatz
Ein von einem Einsprechenden gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in die in Artikel 99 (1) EPÜ für die Einreichung eines Einspruchs und die Entrichtung der entsprechenden Gebühr vorgesehene Frist ist als unzulässig zurückzuweisen.
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 0 175 089 wurde am 21. September 1988 auf die am 22. Juli 1985 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 85 109 138.9 erteilt (vgl. Patentblatt 88/38).
II. Am 22. Juni 1989 wurde beim Europäischen Patentamt Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents mit der Begründung beantragt, daß dieses die Erfordernisse der Artikel 54 und 56 EPÜ nicht erfülle. Die Einspruchsgebühr wurde am selben Tag entrichtet.
III. Am 25. Juli 1989 teilte der Formalprüfer der Einspruchsabteilung der Einsprechenden gemäß Regel 69 (1) EPÜ mit, daß der Einspruch als nicht eingelegt gelte, da die Einspruchsfrist in dem betreffenden Fall am 21. Juni 1989, d. h. einen Tag vor Eingang des Einspruchs, abgelaufen sei.
IV. In einem am 12. August 1989 eingegangenen Schreiben beantragte die Einsprechende nach Artikel 122 EPÜ die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie erläuterte, sie habe am 16. Juni 1989, d. h. fünf Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist, die Einspruchsschrift abgesandt und die Entrichtung der entsprechenden Gebühr veranlaßt. Damit habe sie alle gebotene Sorgfalt beachtet, da die Zustellungszeit - wie die vorgelegten Beispiele zeigten - bei Postsendungen ins Ausland in der Regel drei Tage und von Frankfurt am Main nach München einen Tag betrage. Die eintägige Verspätung gehe daher nicht auf eine Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht, sondern auf eine Unregelmäßigkeit im Postdienst zurück.
V. Mit Entscheidung vom 4. Oktober 1989 wies der Formalprüfer der Einspruchsabteilung den Antrag auf Wiedereinsetzung im wesentlichen unter Berufung auf die Entscheidung G 1/86, ABl. EPA 1987, 447, zurück, in der die Große Beschwerdekammer den Antrag einer Einsprechenden auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist ausdrücklich für unzulässig befunden hatte. Daher entschied er aufgrund von Artikel 99 (1) EPÜ, daß der Einspruch als nicht eingegangen gelte und die Wiedereinsetzungs- und die Einspruchsgebühr zurückzuerstatten seien.
VI. Am 28. Oktober 1989 wurde unter Entrichtung der Beschwerdegebühr gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt. Mit dieser Beschwerde wurde die Technische Beschwerdekammer 3.2.1 befaßt.
In ihrer am 14. Februar 1990 eingegangenen Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) als Hauptantrag, daß ihr Einspruch für zulässig erklärt werde; hilfsweise beantragte sie, von Artikel 122 EPÜ Gebrauch machen zu dürfen, damit sie den Einspruch weiterverfolgen könne.
VII. Mit Bescheid vom 12. Juni 1991 unterrichtete die Kammer die Beteiligten, daß sie das Verfahren aussetze, bis die Große Beschwerdekammer in einer anderen Sache (T 272/90, ABl. EPA 1991, 205) entschieden habe, ob die Juristische Beschwerdekammer für die Prüfung von Beschwerden gegen Entscheidungen zuständig sei, die - wie im vorliegenden Fall - nach Regel 9 (3) EPÜ von Formalsachbearbeitern erlassen worden seien. In der entsprechenden Entscheidung G 2/90, ABl. EPA 1992, 10 befand die Große Beschwerdekammer dann, daß die Zuständigkeitsregelung in Artikel 21 (3) a) und b) und (4) durch Regel 9 (3) EPÜ nicht beeinflußt wird.
Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren fortgesetzt, nachdem bestätigt worden war, daß ausschließlich die Technischen Beschwerdekammern für die Prüfung solcher Beschwerden zuständig sind.
VIII. Am 12. Dezember 1991 wurden die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung geladen; vorab wurden sie von der Kammer mit einer Mitteilung desselben Datums über deren vorläufige Auffassung unterrichtet.
IX. In der mündlichen Verhandlung vom 26. März 1992 führte die Beschwerdeführerin ihren Vortrag weiter aus und brachte ein neues Argument vor.
Zunächst erklärte sie zu ihrem Hilfsantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sie bestreite die von der Einspruchsabteilung angeführte Entscheidung der Großen Beschwerdekammer (vgl. Punkt V oben) inhaltlich nicht, sondern halte sie hinsichtlich der Rechte des Einsprechenden insofern für einen Fortschritt, als sie das bisher umstrittene Recht des Einsprechenden anerkenne, Artikel 122 EPÜ zumindest teilweise für sich in Anspruch zu nehmen. Mit ihrer Feststellung, daß dieser Artikel nicht dahingehend ausgelegt werden dürfe, daß er nur auf den Anmelder und Patentinhaber Anwendung finde, habe die Große Beschwerdekammer eine Änderung der Praxis eingeführt, die darauf abziele, dem Einsprechenden dieselben Rechte einzuräumen wie dem Anmelder und Patentinhaber. In Weiterführung dieser Entwicklung sollte der Antrag eines Einsprechenden auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugelassen werden, wenn dieser ohne eigenes Verschulden verhindert worden sei, die Einspruchsfrist einzuhalten. Sollte diese Entwicklung nicht dazu führen, daß der Einsprechende Artikel 122 EPÜ generell in Anspruch nehmen dürfe, so sollte er - konkret gesprochen - hierzu zumindest dann berechtigt sein, wenn - wie im vorliegenden Falle - das Fristversäumnis lediglich durch eine Unregelmäßigkeit im Dienstbetrieb einer Behörde - in diesem Falle der Post - bedingt sei und derjenige, der das Schreiben zur Post gegeben habe, alle erforderlichen Maßnahmen getroffen habe.
Im Zusammenhang mit ihrem Hauptantrag brachte sie nochmals die Argumente aus ihrer Beschwerdebegründung vor, die sich auf Artikel 120 in Verbindung mit Regel 85 (2) EPÜ stützen. Den von der Kammer in ihrem Bescheid vom 12. Dezember 1991 dargelegten Sachverhalt bestritt sie ebenso wenig wie die Tatsache, daß zum Zeitpunkt des Ablaufs der Einspruchsfrist keine allgemeine Unterbrechung der Postzustellung vorlag. Sie hielt jedoch an dem nachstehend dargelegten Standpunkt fest: Ihre Erkundigungen bei den Postbehörden hätten ergeben, daß die Ursache der betreffenden Verzögerung nicht bekannt sei. Daraus leitete sie ab, daß solche Unregelmäßigkeiten zwar nur vereinzelt, aber immerhin so häufig aufträten, daß sie als allgemeine Störung der Postzustellung bezeichnet werden könnten und damit die Frist entsprechend Regel 85 (2) EPÜ um einen Tag verlängert werden könne.
In einem weiteren Versuch, die Zulassung ihres Einspruchs zu erreichen, brachte sie ein neues, diesmal der Regel 85 (1) EPÜ entnommenes Argument vor, das sie anhand der Nummer 14.02 des "Manual of patent practice in the U. K. Patent Office", des Handbuchs zur Patentpraxis des Patentamts des Vereinigten Königreichs, auslegte; die betreffende Seite legte sie als Beweismittel vor. Sie wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Regel 85 (1) EPÜ folgendes vorsehe: "Läuft eine Frist an einem Tag ab, an dem ... gewöhnliche Postsendungen ... nicht zugestellt werden, so erstreckt sich die Frist auf den nächstfolgenden Tag ...". Nach dem Handbuch des Patentamts des Vereinigten Königreichs gelte eine auf dem Postweg eingereichte Patentanmeldung als zu dem Zeitpunkt eingereicht, "zu dem das die Anmeldung enthaltende Schreiben auf dem gewöhnlichen Postweg zugestellt worden wäre." Die Beschwerdeführerin führt an, daß der in beiden Fundstellen vorkommende Begriff "gewöhnliche Post" es dem Amt ermöglichen sollte, die Frist für den Eingang von Postsendungen zu verlängern, die - wie im vorliegenden Fall - zwar abgesandt worden, aber nicht innerhalb der normalen Zustellungsdauer eingegangen sind.
X. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) brachte in ihrer Erwiderung im wesentlichen vor, die Tatsache, daß der Einspruch nicht zulässig sei, bedeute für die Einsprechende noch keinen unwiderruflichen Rechtsverlust. Außerdem müsse der Absender einer Postsendung bei der Abschätzung der Zustellungsdauer neben der üblicherweise erforderlichen Zeit eine Sicherheitsmarge einkalkulieren: Da die Einsprechende dies nicht getan habe, habe sie nicht alle gebotene Sorgfalt beachtet. Darüber hinaus habe sie das Datum nicht glaubhaft gemacht, an dem die betreffende Sendung zur Post gegeben worden sei, und auch nicht nachgewiesen, daß die Erfordernisse des Artikels 85 (2) EPÜ erfüllt gewesen seien. Die Beschwerdegegnerin beantragte deshalb die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Die Beschwerdeführerin berief sich zunächst auf Artikel 120 in Verbindung mit Regel 85 (2) EPÜ und später auf Regel 85 (1) EPÜ, um zu erreichen, daß ihr Einspruch für zulässig erklärt wird.
2.1 Zu dem aus Artikel 120 und Regel 85 (2) hergeleiteten Argument:
2.1.1 Wie die Kammer den Beteiligten in ihrem Bescheid vom 12. Dezember 1991 erläutert hatte, erachtet sie einen Antrag auf Fristverlängerung auf der Grundlage von Artikel 120 in Verbindung mit Regel 85 (2) EPÜ dann als zulässig, wenn die Frist - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - während einer Störung der Postzustellung abgelaufen ist. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Entscheidung J 11/88, ABl. EPA 1989, 433 stellt diesbezüglich einen Präzedenzfall dar.
2.1.2 Im Zusammenhang mit der materiellrechtlichen Beurteilung eines solchen Antrags heißt es in der genannten Entscheidung, daß es sich hierbei auch außerhalb der vom Präsidenten des Amts ordnungsgemäß verlautbarten Zeiträume einer allgemeinen Unterbrechung oder anschließenden Störung der Postzustellung um eine Tatfrage handle, die die Beschwerdekammer anhand aller verfügbaren glaubwürdigen Informationen entscheiden müsse. In der Praxis bedeutet diese Entscheidung, daß das Europäische Patentamt verpflichtet ist, sich auf Nachweise und glaubwürdige Informationen zu stützen (vgl. Nummer 2 der Entscheidungsgründe), um festzustellen, ob eine Unterbrechung oder eine anschließende Störung der Postzustellung, die zu einer Verzögerung geführt hat, die Bedingung einer "allgemeinen Unterbrechung" im Sinne der Regel 85 (2) erfüllt, wenn keine entsprechende Verlautbarung des Präsidenten des Amts vorliegt (vgl. Nummer 5 der Entscheidungsgründe). Was die Verzögerung selbst anbelangt, so wurde in der Entscheidung vorausgesetzt, daß sie durch eine Unterbrechung oder anschließende Störung der Postzustellung verursacht war (vgl. Nummern 2 und 3 der Entscheidungsgründe). Zu klären war nur die Frage, ob eine "allgemeine" Unterbrechung vorlag.
Im vorliegenden Fall behauptet die Beschwerdeführerin, daß die Einspruchsschrift und die Anweisungen bezüglich der Entrichtung der Einspruchsgebühr, die beide vom 15. Juni 1989 datiert waren, am 16. Juni 1989 zur Post gegeben worden seien. Tag des Eingangs beim Europäischen Patentamt war der 22. Juni 1989.
Die Beschwerdegegnerin bestritt, daß überhaupt eine Verzögerung vorgelegen habe, da die Einsprechende nicht nachgewiesen habe, daß die betreffenden Postsendungen am 16. Juni aufgegeben worden seien. Die Kammer setzt dies jedoch voraus. Sie ist der Auffassung, daß die Beschwerdegegnerin nicht stichhaltig dargelegt hat, weshalb sie an der Gutgläubigkeit der Beschwerdeführerin zweifelt, sondern dieses Argument erst in einem späten Stadium des Verfahrens vorgebracht hat, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte, die Vorlage des strittigen Briefumschlags als Beweismittel innerhalb des Zeitraums von einem Jahr zu veranlassen, in dem das Amt Umschläge aufbewahrt. Schließlich entspricht es der allgemeinen Praxis, Geschäftspost an dem Tag, dessen Datum sie trägt, oder am nächsten Tag zur Post zu geben.
Die Beschwerdeführerin erklärte ihrerseits, ihre Nachforschungen bei den Postbehörden hätten keine Erklärung dafür geliefert, weshalb zwischen dem Absende- und dem Eingangsdatum der betreffenden Dokumente sechs Tage verstrichen seien.
Die Kammer räumt ein, daß eine Dauer von sechs Tagen für die Zustellung von Frankfurt am Main nach München unüblich ist und - wie auch die Beschwerdeführerin folgert - auf eine durch unbekannte Faktoren bedingte Verzögerung bei der Postzustellung zurückzuführen sein dürfte. Obwohl die Ursache der Verzögerung nicht bekannt ist, steht doch fest, daß damals keine allgemeine Unterbrechung und somit auch keine anschließende Störung der Postzustellung im Sinne der Regel 85 (2) EPÜ vorlag.
In der Entscheidung J 4/87, ABl. EPA 1988, 172, befand die Kammer aber, daß die in Regel 85 (2) vorgesehene Frist nicht einfach aufgrund einer Verzögerung bei der Postzustellung verlängert werden kann. In dieser Entscheidung - wie auch in der oben angeführten Entscheidung J 11/88 - heißt es, daß die Verzögerung in Anbetracht des Wortlauts der Regel 85 (2) EPÜ auf eine allgemeine Unterbrechung oder anschließende Störung der Postzustellung zurückgehen muß.
Da im vorliegenden Fall keine der Voraussetzungen erfüllt ist, entscheidet die Kammer in Einklang mit der Rechtsprechung in den obigen Präzedenzfällen, daß keine Gründe für eine Fristverlängerung nach Artikel 120 und Regel 85 (2) EPÜ vorliegen.
2.2 Zu dem aus Regel 85 (1) hergeleiteten Argument:
Die Kammer stellt zunächst fest, daß sich die Bestimmungen dieser Regel auf Fälle beschränken, in denen die Frist, deren Verlängerung beantragt wird, an einem Tag abläuft, an dem eine Annahmestelle des Europäischen Patentamts nicht geöffnet ist oder an dem gewöhnliche Postsendungen dort nicht zugestellt werden. Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Mittwoch, der 21. Juni 1987 war nämlich ein Werktag, an dem alle Stellen des Amts für die Öffentlichkeit geöffnet waren und Postsendungen regulär entgegengenommen wurden. Es ist richtig, daß in der Regel 85 (1) EPÜ von der Zustellung gewöhnlicher Postsendungen die Rede ist, und auch das "Manual of patent practice in the U. K. Patent Office" sieht vor, daß "Dokumente, die auf dem Postweg eingereicht werden, als an dem Tag eingereicht gelten, an dem das betreffende Schreiben auf dem gewöhnlichen Postweg zugestellt worden wäre".
Jedoch ist festzustellen, daß die Bedingungen, die den Ablauf von Fristen im Europäischen Patentübereinkommen und im oben angeführten Handbuch regeln, auf zwei gegensätzlichen Auffassungen beruhen. Im ersten Fall, dem EPÜ, ist das maßgebende Kriterium das Eingangsdatum: Mit anderen Worten muß der Empfänger - in diesem Fall das Europäische Patentamt - den Wunsch des Absenders vor Ablauf der jeweiligen Frist zur Kenntnis genommen haben. Im zweiten Fall ist das maßgebende Kriterium das Absendedatum: Hier genügt es, daß der Absender seine Postsendung vor Ablauf der jeweiligen Frist abgesandt hat, wobei die übliche Dauer der Postzustellung berücksichtigt wird. Das auf dem Eingangsdatum basierende System des EPÜ ist mit Rücksicht auf die legitimen Interessen des Absenders angepaßt worden (vgl. beispielsweise Artikel 122 EPÜ oder - genauer - Regel 85 EPÜ). Diese Anpassungen dürfen aber nicht zu der von der Beschwerdeführerin angesprochenen Aufgabe des Systems zugunsten des auf dem Absendedatum basierenden Systems führen, das zwar bei den Vorarbeiten zum Europäischen Patentübereinkommen (vgl. beispielsweise Bericht über die 9. Tagung der Arbeitsgruppe I der Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens, BR/135/71, Nummer 158) vorgeschlagen, von den Verfassern des EPÜ aber - wie aus dem Wortlaut des Artikels 120 EPÜ und dem späteren Wortlaut der Regel 85 (1) EPÜ ersichtlich - bewußt abgelehnt worden war.
Daher entscheidet die Kammer, daß die Regel 85 (1) EPÜ im vorliegenden Fall keine Anwendung finden kann.
2.3 Analog zu der oben angeführten Entscheidung J 4/87 und unter Ausklammerung des Artikels 122 EPÜ, auf den unter Nummer 3 eingegangen wird, sowie der Regel 85 (1) und (2), die im vorliegenden Fall keine Anwendung findet, gelangt die Kammer insgesamt zu der Auffassung, daß es nach dem Europäischen Patentübereinkommen nicht zulässig ist, eine Frist wegen einer Verzögerung der Postzustellung zu verlängern.
2.4 Aus allen diesen Gründen weist die Kammer den Antrag zurück, den Einspruch für zulässig zu erklären.
3. Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
3.1 Die Anforderungen an die Zulässigkeit eines vom Einsprechenden nach Artikel 122 EPÜ gestellten Antrags sind zum Teil in der oben angeführten Entscheidung G 1/86 der Großen Beschwerdekammer dargelegt. Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin, daß diese Entscheidung für die Rechte des Einsprechenden insofern einen Fortschritt darstellt, als ihm damit die Möglichkeit gegeben wird, im Falle der verspäteten Einreichung der Beschwerdebegründung Artikel 122 EPÜ in Anspruch zu nehmen, was zuvor nur dem Anmelder und Patentinhaber möglich war.
Die Gründe für diese Entscheidung der Großen Beschwerdekammer beruhten aber auf einer Analyse der Unterschiede zwischen den Rechten, die der Einsprechende bzw. der Anmelder oder Patentinhaber, je nachdem, ob der Rechtszug eröffnet ist oder nicht (vgl. Nummer 9 der Entscheidungsgründe), rechtmäßig geltend machen kann. Im Beschwerdeverfahren ist der Rechtszug eröffnet, wenn die Beschwerde eingelegt und die entsprechende Gebühr entrichtet worden ist (vgl. Nr. 8, Absatz 2).
Aus denselben Gründen wie die Große Beschwerdekammer stellt diese Kammer fest, daß gemäß Artikel 99 (1) EPÜ der Rechtszug im Einspruchsverfahren eröffnet ist, wenn der Einspruch eingelegt und die entsprechende Gebühr entrichtet worden ist.
Im weiteren Verlauf ihrer Analyse befand die Große Beschwerdekammer, daß dem Einsprechenden - nachdem eine Beschwerde anhängig war - bezüglich der Einreichung der Beschwerdebegründung und anderer im Beschwerdeverfahren vorgesehener Fristen dieselben Rechte nach Artikel 122 EPÜ eingeräumt werden sollten wie dem Anmelder oder Patentinhaber, da eine Versäumung der Verfahrensfristen auch für den Einsprechenden einen Rechtsverlust zur Folge haben kann (vgl. Nr. 10 der Einspruchsgründe).
Andererseits wies die Große Beschwerdekammer bezüglich der Fristen im Zusammenhang mit der Eröffnung des Rechtszuges darauf hin, daß die Arbeitsgruppe, die sich bei den Vorarbeiten zum Europäischen Patentübereinkommen mit dem Umfang der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand befaßt hatte, mehrheitlich der Auffassung war, die Wiedereinsetzung sollte nicht für den Einsprechenden gelten, da er seine Rechte auf andere Weise, insbesondere durch Nichtigkeitsklage vor einzelstaatlichen Gerichten, geltend machen könne. Demgegenüber hätte ein Anmelder oder Patentinhaber, der unter vergleichbaren Umständen die Fristen im Zusammenhang mit der Eröffnung des Rechtszuges nicht einhalten konnte und der gegen eine Entscheidung über die Zurückweisung seiner Patentanmeldung oder den Widerruf seines Patents Beschwerde einlegen wollte, seine Rechte unwiderruflich verloren, wenn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich wäre.
Allerdings ist die der oben angegebenen Entscheidung zugrunde liegende Sache erst nach Einreichung der Beschwerdebegründung an die Große Beschwerdekammer verwiesen worden, so daß diese bei ihrer Entscheidung natürlich von einer Analyse der besonderen Umstände des Beschwerdeverfahrens ausging (vgl. unter anderem Nr. 5 bis 11 der Entscheidungsgründe). Mit ihrer Entscheidung, den Einsprechenden von einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auszuschließen, da er seine Rechte auf andere Weise geltend machen könne, wollte die Ad-hoc-Arbeitsgruppe diesen Ausschluß jedoch nicht auf den speziellen Fall der Versäumung der Beschwerdefristen beschränken; er sollte vielmehr in allen Fällen einer Fristversäumung vor dem Europäischen Patentamt Anwendung finden. Eine entsprechende Verallgemeinerung ist daher auch in Artikel 122 EPÜ zu finden, der sich nicht nur auf Beschwerdeverfahren bezieht.
3.2 Infolgedessen ist der Antrag der Einsprechenden auf Wiedereinsetzung in die in Artikel 99 (1) EPÜ festgelegte Frist von neun Monaten für die Einreichung des Einspruchs und die Entrichtung der entsprechenden Gebühr ungeachtet aller zur Erläuterung der Ursachen des Versäumnisses vorgebrachten Argumente, die bei der Beurteilung der materiellrechtlichen Voraussetzungen und nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrags zu berücksichtigen sind, als unzulässig zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.