ARBEITSSITZUNG
Welche Änderungen sind zulässig, damit die Erfordernisse von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ erfüllt sind?
ARBEITSSITZUNG
Welche Änderungen sind zulässig, damit die Erfordernisse von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ erfüllt sind?
Vorsitz: Manfred Vogel (AT)
Fritz BLUMER
Mitglied der Juristischen Beschwerdekammer, Europäisches Patentamt
Welche Änderungen sind zulässig, damit die Erfordernisse von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ erfüllt sind?
I. Gleichgewicht zwischen der Freiheit des Anmelders/Patentinhabers und dem Schutz für Dritte
1. Einführung
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich über die Gelegenheit, Ihnen die im Zusammenhang mit Artikel 123 EPÜ relevanten Aspekte aus der Sicht der Beschwerdekammern präsentieren zu können. Aufgrund des engen Zeitrahmens und des umfangreichen Themas muss ich mich auf allgemeine Grundsätze beschränken − was auch ein Vorteil ist, da diese grundlegenden Punkte gerne vergessen werden, während spezifische Teilaspekte wie Disclaimer etc. eingehend erörtert werden.
Artikel 123 "Änderungen" ist in Teil VII des Übereinkommens ("Allgemeine Vorschriften") angesiedelt. In Absatz 1 wird grundsätzlich gewährleistet, dass Anmeldungen nach der Einreichung noch geändert werden können, wobei auf die Ausführungsordnung Bezug genommen wird. Die anderen beiden Absätze sind − wie wir sehen werden − nicht nur formeller oder verfahrenstechnischer Natur.
In der Praxis werden die meisten Änderungen an den Patentansprüchen eines Patents oder einer Patentanmeldung vorgenommen. Sie können sich aus formalen Erfordernissen wie den Bestimmungen in Artikel 84 EPÜ zur Klarheit und Knappheit der Ansprüche ergeben. Tatsächlich werden allerdings die meisten Änderungen an Patentansprüchen vorgenommen, um den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik abzugrenzen bzw. stärker abzugrenzen. Dies ist ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung der Zulässigkeit von Änderungen.
Hinsichtlich der Bedeutung von Artikel 123 EPÜ in der Praxis möchte ich nur eine Zahl anführen: In der öffentlichen Datenbank der Entscheidungen der Beschwerdekammern wurden im letzten Jahr 449 Entscheidungen veröffentlicht, in denen entweder Artikel 123 (2) oder Artikel 123 (3) EPÜ als Rechtsgrundlage herangezogen wurde − das sind etwa 30 % aller Entscheidungen. Da ich in diesem Rahmen nicht alle Aspekte behandeln kann, werde ich mich auf einige allgemeine Grundsätze konzentrieren.
2. Gemeinsame Ziele der Absätze 2 und 3
Aus dem Wortlaut von Absatz 2 geht hervor, dass dieser sich auch auf die Patentanmeldung und nicht nur das erteilte Patent bezieht. Er setzt dem technischen Inhalt der Patentanmeldung während ihres Lebenszyklus eine klare Grenze: Nach dem ursprünglichen Anmeldetag darf kein technischer Inhalt − d. h. keine technische Information − mehr hinzugefügt werden. Zum einen wird damit der Gegenstand klar auf das beschränkt, was der Anmelder vor der Einreichung der Patentanmeldung erfunden hatte. Zum anderen kann jeder Dritte aus der veröffentlichten ursprünglichen Patentanmeldung erschließen, wie weit der Anmelder im endgültigen Wortlaut seines Patents gehen kann.
Absatz 3 betrifft ausschließlich das erteilte Patent. Nach der Erteilung kann der Schutzumfang nicht mehr geändert werden. Dieser Grundsatz dient in erster Linie dem Schutz Dritter. Sie können sicher sein, dass die Wirkung nach der Prüfung und der Erteilung innerhalb der vom erteilten Patent gesetzten Grenzen bleibt.
Beide Beschränkungen sind so wichtig, dass sie für den gesamten Lebenszyklus des Patents gelten. Ein Verstoß gegen eine der beiden Bestimmungen der Absätze 2 und 3 kann dazu führen, dass das Patent − entweder in einem Verfahren vor dem EPA oder in einem nationalen Gerichtsverfahren − für nichtig erklärt wird.
II. Artikel 123 (2) EPÜ als Begrenzung des technischen Inhalts einer Anmeldung
1. In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern entwickelte Grundsätze
Bei der Bewertung einer jeden Änderung des Wortlauts der Ansprüche oder eines anderen Teils muss die grundlegende Frage gestellt werden, ob die technische Lehre klar und eindeutig aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableitbar ist. Diese Formulierung birgt wenigstens eine gute Nachricht: Der Wortlaut einer geänderten Anmeldung bzw. eines geänderten Patents ist nicht auf den genauen Wortlaut der ursprünglichen Anmeldung beschränkt. Es ist ausreichend, dass der maßgebliche Fachmann den geänderten Gegenstand klar und eindeutig aus dem ursprünglichen Inhalt einer Anmeldung ableiten kann. Aber − und das ist ein großes Aber − die betreffende Lehre muss klar und eindeutig aus dem ursprünglichen Inhalt einer Anmeldung hervorgehen.
Zur Erläuterung der wichtigsten Aspekte der magischen Formel "klar und eindeutig" möchte ich eine Art schematische Darstellung einer typischen Patentanmeldung geben. Sie umfasst folgende Bestandteile:
- Einführung/Zusammenfassung: zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Aspekte einer Erfindung
- Beschreibung des relevanten Stands der Technik (soweit dem Anmelder bekannt)
- detaillierte Beschreibung der Erfindung
- Beschreibung bestimmter Beispiele/ Ausführungsformen
- Anspruchssatz (allgemeiner gefasste unabhängige Ansprüche und spezifischere abhängige Ansprüche).
Jede Beschreibung bzw. Definition einer spezifischen technischen Lehre besteht aus einer begrenzten Anzahl technischer Merkmale wie z. B. Zutaten eines Nahrungsmittels oder Inhaltsstoffe eines kosmetischen Produkts, Schritte eines Herstellungsverfahrens oder Bestandteile einer Maschine. Solche Merkmale können durch einzelne Eigenschaften oder Zahlenbereiche definiert sein; bei bestimmten Merkmalen kommt auch eine Liste von Alternativen infrage.
Damit ein spezifischer Gegenstand in einer wie auch immer gearteten Änderung zulässig ist, müssen alle seine Merkmale klar und eindeutig − in Kombination! − aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableitbar sein. Diese auf den ersten Blick einfache Regel kann auf vielfache Weise verletzt werden. Im Folgenden möchte ich einige gängige Muster vorstellen, die bei der Prüfung eines neu formulierten Patentanspruchs nach Artikel 123 (2) EPÜ häufig beanstandet werden:
- Wird ein abhängiger Anspruch mit dem relevanten unabhängigen Anspruch kombiniert, werden in der Regel keine Einwände erhoben.
- Verallgemeinerung einer Definition: Die Streichung eines oder mehrerer Merkmale ist normalerweise nicht zulässig, wenn nicht aus der ursprünglichen Anmeldung eindeutig hervorgeht, dass die Erfindung ohne diese(s) spezifische(n) Merkmal(e) funktioniert. Wird ein Anspruch oder eine allgemeine Beschreibung durch einige, aber nicht alle Merkmale eines spezifischen Ausführungsbeispiels ergänzt, spricht man von "Zwischenverallgemeinerung".
- Die Verallgemeinerung eines Merkmals ist kritisch. Ersetzt man "Dieselmotor" durch "Verbrennungsmotor", werden andere Verbrennungsmotoren wie Ottomotoren hinzugefügt, die unter Umständen in der ursprünglichen Anmeldung im selben Zusammenhang offenbart waren − vielleicht aber auch nicht.
- Das "mosaikartige" Zusammensetzen einer Merkmalsgruppe aus verschiedenen Teilen der Beschreibung und/oder verschiedenen Ansprüchen wird in der Regel beanstandet, weil aus der ursprünglichen Anmeldung nicht hervorgeht, dass diese spezifische Merkmalsgruppe eine funktionsfähige Ausführungsform der Erfindung darstellt.
- Die Auswahl aus einem breiteren Bereich ist nur unter bestimmten Bedingungen zulässig. So kann beispielsweise ein enger Bereich durch das untere Ende eines ursprünglich offenbarten breiteren Spektrums und das obere Ende eines bevorzugten ursprünglich offenbarten Spektrums − oder umgekehrt − definiert werden.
- Die Auswahl aus einer Liste von Alternativen ist normalerweise zulässig, da jede Alternative der Liste einzeln offenbart ist. Muss jedoch mehr als eine Auswahl aus Listen oder allgemeinen Bereichen getroffen werden, gilt das Ergebnis einer solchen Mehrfachauswahl nicht als in den Bereich der ursprünglichen Offenbarung fallend. Eine Auswahl einer spezifischen Lehre, die nicht unmittelbar und eindeutig aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hergeleitet werden kann, wird oft als "Herausgreifen" bzw. "singling out" bezeichnet.
In allen diesen Fällen, in denen das Patentamt oder ein Einsprechender eine neu eingeführte Kombination von Merkmalen beanstandet, muss der Anmelder oder Patentinhaber überzeugend darlegen, warum der Fachmann die relevante Lehre klar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung ableiten könnte. In diesem Zusammenhang sind nicht nur logische Argumente (Mengenlehre) zu berücksichtigen, sondern auch das Verständnis des maßgeblichen Fachmanns − einschließlich des allgemeinen Fachwissens dieser hypothetischen Person am Anmeldetag.
2. Typisches Beispiel: Dosierungsanleitung (T 612/09)
Die Erfindung betrifft die Dosierungsanleitung für die Behandlung von Patienten mit dem bekanntem Antibiotikum Daptomycin. Die ursprüngliche Anmeldung bezog sich auf eine bevorzugte Ausführungsform: 3 bis 12 mg Daptomycin alle 24 bis 48 Stunden. Im Laufe des Verfahrens kam die Frage auf, ob die Kombination aus einer Dosierung von 3 bis 10 mg und einem Intervall von 48 Stunden klar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung herleitbar ist. Die Beschwerdekammer verneinte die Frage. Dies ist angesichts der vorstehend dargelegten Grundsätze nicht überraschend: Der Fachmann konnte keinen Teilbereich des ursprünglich offenbarten Dosierungsbereichs ableiten, und er hätte bezweifeln können, dass der niedrigere Dosierungsbereich mit der Obergrenze des ursprünglich offenbarten Intervalls kombiniert werden kann.
3. Systematischer Ansatz: Wer sollte ein Patent erhalten?
Diese Rechtsprechung − die manchmal streng erscheinen könnte − ist auch im Lichte der Verwendung des Konzepts der "klaren und eindeutigen Offenbarung" in einem weiteren Zusammenhang zu betrachten. Gemäß der Rechtsprechung zur Neuheit (nach Artikel 54 EPÜ) gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht klar und eindeutig im Stand der Technik offenbart ist. Anhand einiger logischer Überlegungen lässt sich verdeutlichen, warum das Konzept der klaren und eindeutigen Offenbarung auf Artikel 123 (2) EPÜ in derselben Weise angewandt werden sollte wie auf die Frage der Neuheit.
Lassen Sie uns annehmen, dass A die ursprüngliche Offenbarung einer spezifischen Lehre und A' die geänderte Fassung ist, z. B. eine Definition, bei der ein Zahlenbereich auf einen engeren Teilbereich begrenzt wurde, oder nehmen wir als weiteres Beispiel den soeben erwähnten Fall der Dosierung von Daptomycin. Eine erste Anmeldung umfasst die Lehre A in ihrer ursprünglichen Fassung; später wird die Lehre A' in dieselbe Anmeldung eingeführt. Eine zweite Anmeldung, die A' in ihrer ursprünglichen Fassung enthält, wird nach dem Anmeldetag der ersten Anmeldung eingereicht, jedoch bevor A' in die erste Anmeldung aufgenommen wird.
Gilt A' als unmittelbar und eindeutig in A offenbart, oder anders gesagt, ist A' technisch mit A identisch, wäre die Änderung der ersten Anmeldung nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig, und gegen Lehre A' in der zweiten Anmeldung würde angesichts der Lehre A in der ersten Anmeldung ein Einwand wegen mangelnder Neuheit erhoben. Nur der erste Anmelder würde ein Patent für A' erhalten.
Wird A' dagegen nicht als identisch mit A (bzw. nicht als unmittelbar und eindeutig aus A herleitbar) betrachtet, wäre die Änderung der ersten Anmeldung nach Artikel 123 (2) EPÜ unzulässig, und Lehre A' in der zweiten Anmeldung wäre neu. Nur der zweite Anmelder würde ein Patent für A' erhalten.
Nach beiden Annahmen hätte nur der Anmelder, der A' zuerst in seine Anmeldung aufnimmt, eine Chance auf Erlangung eines Patents für A' − was angesichts des Erstanmelderprinzips auch die einzige gerechte Lösung ist. Würde das Konzept der "klaren und eindeutigen Offenbarung" nach Artikel 54 und Artikel 123 (2) EPÜ unterschiedlich angewandt, würde die beschriebene Standardsituation zu schwierigen Ergebnissen führen:
- Wird A' für die Zwecke von Artikel 123 (2) EPÜ als identisch mit A und für die Zwecke von Artikel 54 EPÜ als nicht identisch angesehen, wäre die Änderung der ersten Anmeldung zulässig, und A' in der zweiten Anmeldung wäre neu. Beide Anmeldungen könnten also zu einem Patent für A' führen.
- Wird A' für die Zwecke von Artikel 123 (2) EPÜ als nicht identisch mit A und für die Zwecke von Artikel 54 EPÜ als identisch angesehen, dürfte die erste Anmeldung A' nicht enthalten, und gegen die zweite Anmeldung würde erfolgreich ein Einwand wegen mangelnder Neuheit erhoben. Keine der Anmeldungen könnte zu einem Patent für A' führen.
Damit solche Situationen der "Doppelpatentierung" bzw. "Nichtpatentierung" vermieden werden, muss das Konzept der "klaren und eindeutigen Offenbarung" nach Artikel 54 und Artikel 123 (2) EPÜ gleich angewandt werden. Das bedeutet, dass Neuheitsüberlegungen als Kontrolle für Artikel 123 (2) EPÜ verwendet werden können. In ein Patent oder eine Patentanmeldung sollte keine Lehre aufgenommen werden, die gegenüber der ursprünglich eingereichten Anmeldung neu wäre.
Man könnte argumentieren, dass die Definition von "klar und eindeutig" unter Zuhilfenahme derselben Begriffe "klar und eindeutig" aus einem anderen Kontext ein Zirkelschluss ist. Zum einen eröffnet jedoch die Betrachtung des Neuheitsbegriffs eine sehr umfangreiche Rechtsprechung. Zum anderen lassen sich durch die Verwendung derselben Offenbarungskriterien für Artikel 54 und 123 (2) EPÜ widersinnige Situationen vermeiden.
III. Artikel 123 (3) EPÜ als Rechtsschutz für Dritte vor einer Erweiterung des Schutzbereichs
1. Schutzbereich durch Erteilungsbehörde begrenzt
Artikel 123 (3) EPÜ betrifft den Schutzbereich von Patenten. Nach Artikel 69 EPÜ wird der Schutzbereich primär durch die Patentansprüche bestimmt. Eine geltend gemachte Verletzung fällt in den Schutzbereich, wenn sie vom Wortlaut des Patentanspruchs abgedeckt wird, der gegebenenfalls ausgelegt werden muss. Die Auslegung von Ansprüchen und die Bestimmung des Schutzbereichs werden in der Regel von den für Verletzungsfälle zuständigen Gerichten vorgenommen. Aus diesem Grund war das EPA gelegentlich zurückhaltend bei der Zulassung von Anspruchsänderungen, wenn seiner Ansicht nach das Risiko bestand, dass ein nationales Gericht die Änderung aufgrund nationalen Rechts als Erweiterung des Schutzbereichs ansehen könnte. Allerdings hatte die Große Beschwerdekammer bereits in einer frühen Entscheidung (G 2/88) befunden, dass im Zusammenhang mit Artikel 123 (3) EPÜ das nationale Verletzungsrecht der Vertragsstaaten außer Betracht bleiben sollte. Folglich konnte und musste das EPA eine Rechtsprechung zum Schutzbereich entwickeln, um Artikel 123 (3) EPÜ in einer kohärenten und "europäischen" Weise anwenden zu können.
Diese Rechtsprechung umfasst einige Entscheidungen zur Änderung der Anspruchskategorie. So kann beispielsweise ein Produktanspruch in einen Anspruch auf eine spezifische Verwendung des Produkts umgewandelt werden. Diese Änderung ist zulässig, weil ein Produktanspruch jede mögliche Verwendung des Produkts umfasst. Die Umwandlung eines Anspruchs auf ein Herstellungsverfahren für ein spezifisches Produkt in einen Anspruch auf dieses spezifische Produkt ist dagegen nach Artikel 123 (3) EPÜ nicht zulässig, weil der Produktanspruch breiter ist und das Produkt unabhängig vom Herstellungsverfahren abdeckt.
2. In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern entwickelte Grundsätze und vereinfachtes Beispiel (T 2017/07)
Zur Veranschaulichung einer Reihe von anderen Standardsituationen möchte ich ein einfaches Beispiel heranziehen, aus dem schon ersichtlich ist, dass sich recht schnell komplexere Fragen ergeben können. Ein einfacher Patentanspruch auf ein Nahrungsmittelerzeugnis könnte folgendermaßen lauten:
Nahrungsmittelerzeugnis enthaltend
- 30 - 60 % Joghurt
- 5 - 10 % Süßungsmittel
- bis zu 15 % Beeren
Im Laufe des Einspruchs- oder Beschränkungsverfahrens könnten verschiedene Änderungen vorgenommen werden, von denen nur manche zulässig sind:
- Die Streichung eines Merkmals ist normalerweise nicht zulässig, weil damit die Definition und der Schutzbereich erweitert werden. Die Streichung des Merkmals "Süßungsmittel" führt dazu, dass auch Erzeugnisse ohne Süßungsmittel abgedeckt sind, die durch das Patent in der erteilten Fassung nicht abgedeckt waren. Dies könnte sich gravierend auf Dritte auswirken, die ungesüßten Beerenjoghurt herstellen.
- Die Verallgemeinerung eines Merkmals führt regelmäßig zum selben Problem. Ersetzt man das Wort "Beeren" durch "Früchte" so fällt Apfeljoghurt, der keine Beeren enthält, nach der Änderung unter den Anspruch, während er vorher nicht abgedeckt war.
- Kein Problem ist in der Regel das Ersetzen eines Merkmals durch ein engeres oder spezifischeres Merkmal, weil der Schutzbereich dadurch weiter eingeschränkt wird. Wird der Süßungsmittelgehalt auf 5 - 8 % begrenzt, so ist eine bestimmte Kategorie von besonders süßem Joghurt nicht mehr durch den Anspruch geschützt.
In jedem Fall sind der Kontext des Merkmals und die Bedeutung des Anspruchs insgesamt zu berücksichtigen. Eine mögliche Einschränkung des Anspruchs könnte darin bestehen, die Beeren auf Erdbeeren zu beschränken. Auf den ersten Blick werden dadurch Definition und Schutzbereich eingeschränkt. Andererseits wird so der Umfang der letzten Bedingung enger, was dazu führen kann, dass die Definition insgesamt breiter wird. So würde ein Nahrungsmittelerzeugnis, das 50 % Joghurt, 10 % Zucker, 10 % Erdbeeren und 10 % Cranberrys enthält, nicht in den Schutzbereich des ursprünglichen Anspruchs fallen, weil der Beerengehalt über 15 % beträgt. Nach der Änderung würde es unter den Anspruch fallen, weil der Erdbeergehalt unter 15 % liegt und der Anteil anderer Beeren nach dem offenen Anspruch nicht mehr eingeschränkt ist. Der Fall läge anders, wenn der Anspruch nicht offen wäre, d. h. wenn die Zutatenliste erschöpfend wäre. Dies wird erreicht, wenn "enthaltend" ersetzt wird durch "bestehend aus".
In unserem Beispiel einer offenen Definition ist die Beschränkung der "Beeren" auf "Erdbeeren" nicht zulässig, weil es mindestens eine Ausführungsform gibt, die nur nach der Änderung des erteilten Anspruchs abgedeckt wäre. Das ist genau die Situation, die durch Artikel 123 (3) EPÜ vermieden werden soll. Eine nach der Patenterteilung vorgenommene Änderung verstößt schon dann gegen diese Bestimmung, wenn nach der Änderung auch nur eine Ausführungsform, die bei der ursprünglichen Erteilung des Patents nicht abgedeckt war, in den Schutzbereich fällt.
IV. Schlussfolgerungen: kurze Beantwortung der Fragen im Titel
Wenn eine kurze Beantwortung der zwei Fragen im Titel dieses Programmabschnitts überhaupt möglich ist, so könnte sie so aussehen:
- Eine Änderung ist nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig, wenn die geänderte Patentanmeldung bzw. das geänderte Patent keinen Gegenstand enthält, der gegenüber der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung neu wäre.
- Eine Änderung ist nach Artikel 123 (3) EPÜ zulässig, wenn der Schutzbereich des geänderten Patents keine Ausführungsform abdeckt, die vom Patent in der erteilten Fassung nicht abgedeckt war.
Aber der Teufel steckt natürlich im Detail: Lassen Sie uns an den Details arbeiten und dabei die Grundprinzipien nicht vergessen!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.