ARBEITSSITZUNG
Neueste Rechtsprechung zu ergänzenden Schutzzertifikaten
Rian KALDEN
Oberrichterin, Berufungsgericht Den Haag
Diskussion der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zu ergänzenden Schutzzertifikaten (ESZ): die drei Rechtssachen vom 12. Dezember 2013
I. Einführung
Ein ergänzendes Schutzzertifikat ist ein IP-Recht sui generis, das bei Ablauf eines Grundpatents in Kraft tritt. Es hat eine Laufzeit von bis zu fünfeinhalb Jahren. ESZ wurden durch die Verordnung (EG) Nr. 469/2009 (vormals Nr. 1768/92) geschaffen und werden derzeit durch diese geregelt. Sie sind von großer Bedeutung. Bis zu 80 % der Gesamteinnahmen für ein wichtiges Arzneimittel können während der ESZ-Laufzeit generiert werden, und es heißt, dass sich sogar 80 % der Einnahmen eines Pharmaunternehmens während der Laufzeit von ESZ erzielen lassen.
In der Verordnung sind verschiedene Definitionen enthalten, wie etwa die des "Grundpatents" (ein Patent, das i) ein Erzeugnis als solches, ii) ein Verfahren oder iii) eine Verwendung eines Erzeugnisses schützt), des "Erzeugnisses" (der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels) und des "Arzneimittels" (ein Stoff, der als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet wird). Bei den vom Gerichtshof der Europäischen Union behandelten Fällen, die ich zur Sprache bringen möchte, geht es vorrangig um die Definition des "Erzeugnisses". Wie ich aufzeigen werde, ist das, "was du siehst" (in der Verordnung), nicht immer das, "was du bekommst" (vom EuGH).
Artikel 3 der Verordnung enthält die Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats. Dabei erscheint der Begriff "Erzeugnis" in jedem einzelnen Absatz dieses Artikels. Im Verlaufe der letzten zwei oder drei Jahre hat sich der EuGH mit den Unterabsätzen a, b und auch d befasst, und der Begriff "Erzeugnis" wurde dabei entsprechend der Rechtsprechung im Fall MIT sehr eng ausgelegt. Die Artikel 4 und 5 erfuhren eine weite Auslegung. Ein für A erteiltes ESZ würde sich auf alle Arzneimittel erstrecken, die A enthalten, selbst wenn die ursprüngliche Genehmigung für das Inverkehrbringen für A + B erteilt wurde und selbst wenn das angefochtene Arzneimittel noch andere Inhaltsstoffe als A enthält. 2013 wurden begründete Beschlüsse erlassen, mit denen diese Rechtsprechung offenbar fortgesetzt wird.
II. Der Stand der Rechtslage – genauer gesagt der Rechtsprechung – zu Artikel 3 Ende 2012
Unterabsatz a verlangt, dass das Erzeugnis "durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist".
Bis 2011 gab es unterschiedliche Auffassungen dazu, ob der von Lord Justice Jacob im Fall Takeda eingeführte "Offenbarungstest" oder der Verletzungstest angewandt werden sollte. Wir (d. h. Richter und Praktiker) hofften alle, dass es der Verletzungstest sein würde, da zumindest der eindeutig wäre. Das Erzeugnis wäre geschützt, auch wenn es das Grundpatent verletzt. Im Fall Medeva wurde dies jedoch als falsch dargestellt und darauf verwiesen, dass das Erzeugnis in den Ansprüchen genannt sein muss ("specified in the wording of the claims") In späteren Fällen hieß es dann "identified in the wording in the claims", jedoch sagte man mir, dass es nichts anderes bedeute, sondern lediglich eine Übersetzungsfrage sei. Gleichwohl aber: Was bedeutete "genannt"? Das war eine offene Frage. Und viele andere Fragen stellten sich:
- Was ist mit der Markush-Formel? Wenn mit ihr 2 Milliarden Verbindungen repräsentiert werden können, sind diese dann alle genannt?
- Was ist mit den Erzeugnisklassen? Ist beispielsweise ein vorliegendes Säureadditionssalz hinreichend geeignet, um die Oxalatsalze zu nennen bzw. zu bezeichnen?
- Was ist mit Diuretika? Dazu gehört alles von Hydrochlorothiazid bis hin zu Starkbier. Wäre bei einem Anspruch auf A plus Diuretikum HCTZ bezeichnet? Diese Frage stellte sich im Fall Actavis.
- Was ist mit den funktionellen Definitionen? Ist wie im Falle Eli Lilly ein Antikörper, der ein spezielles Protein bindet, hinreichend geeignet, um alle Stoffe mit dieser Funktion zu bezeichnen?
Alle diese Fragen waren noch offen, wobei im Verlaufe des Jahres 2013 einige Aspekte erhellt wurden.
Unterabsatz b verlangt, dass für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde.
Im November 2011 wurden mit dem Georgetown-Urteil die Dinge auf den Kopf gestellt, denn demnach ist eine Genehmigung für A plus B eine gültige Basis für ein ESZ für A, B und A plus B. Kein mit gewerblichem Rechtsschutz befasster Anwalt hatte einen solchen Ausgang erwartet, da er in den meisten – wenn nicht gar in allen – Ländern eine 180-Grad-Wende in der Praxis bedeutete. Dieser Ansatz lässt sich offenbar nur schwer mit der Definition von "Erzeugnis" in Einklang bringen.
Des Weiteren stellte sich im Rahmen von Artikel 3 Buchstabe b die Frage, wem die Genehmigung erteilt werden musste. Dem Patentinhaber oder dessen Lizenznehmer, oder könnte es auch der Erzfeind des Patentinhabers sein? Auch hier wieder gab es keinerlei Klarheit.
Unterabsatz c verlangt, dass für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde.
Bereits der Fall Biogen hatte gezeigt, dass es für ein bestimmtes Erzeugnis mehr als ein ESZ geben kann, wenn zwei Patente bei unterschiedlichen Patentinhabern vorliegen und beide das Erzeugnis betreffen. Unstreitig war die Vergabe von einem ESZ pro Patent pro Erzeugnis. Eine kurze Bemerkung in Medeva jedoch legte nahe, dass ein ESZ pro Patent möglich sei, was wegen der detaillierten Ausführungen von Generalanwältin Trstenjak zu dieser Frage große Aufmerksamkeit hervorrief. Sollte nach Meinung des Gerichtshofs von der allgemein anerkannten Auffassung im Fall Biogen abgewichen werden oder nicht?
Unterabsatz d legt fest, dass die unter Buchstabe b erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel sein muss.
Mit dem Fall Neurim wurde die gesamte frühere Rechtsprechung gekippt, und zwar ohne darauf Bezug zu nehmen. Es wurde im Wesentlichen gesagt, dass eine frühere Genehmigung ignoriert werden kann, wenn das frühere Arzneimittel außerhalb des Schutzbereichs des späteren Grundpatents liegt. Damit bot sich nunmehr die Möglichkeit, ESZ für die zweite medizinische Verwendung zu vergeben. Das ist nach meinem Dafürhalten der einzig korrekte Ansatz, aber mit Sicherheit nicht der bis dahin vertretene Standpunkt des EuGH. Offen ist noch die Frage, ob damit auch MIT aufgehoben ist.
Die drei Rechtssachen, zu denen der EuGH am 12. Dezember 2013 eine Entscheidung getroffen hat, behandeln ausnahmslos Artikel 3 der Verordnung.
Human Genome Sciences gegen Eli Lilly (C-493/12)
Der Sachverhalt stellte sich bei diesem Fall wie folgt dar: Das Patent von HGS beanspruchte das Protein Neutrokin alpha und die Antikörper, die spezifisch dieses Protein binden. Eli Lilly entwickelte einen Antikörper mit der Bezeichnung Tabalumab, der anerkanntermaßen das Patent verletzt.
Eli Lilly befürchtete, dass HGS basierend auf dem Patent von HGS und der Genehmigung von Eli Lilly einen Antrag auf ESZ einreichen würde. Sie beantragte bei dem britischen Gericht eine Erklärung, wonach ein solches ESZ in jedem Falle ungültig sei. Dafür brachte sie zwei Gründe an. Zum einen werde Tabalumab nicht durch einen Anspruch bestimmt, in dem es einfach heißt: "jeder Antikörper, der Neutrokin alpha bindet". Eine solche funktionelle Definition enthalte nicht genügend strukturelle Informationen. Der zweite Grund war, dass es gesetzeswidrig wäre, wenn HGS ohne Zustimmung von Eli Lilly ein ESZ basierend auf deren Genehmigung erteilt würde.
Richter Warrens vorläufiger Standpunkt war der, dass basierend auf der Genehmigung eines Dritten ein ESZ erteilt werden könne. Er hielt das für eindeutig und sah keine Notwendigkeit für eine Vorlage. Doch räumte er ein, dass die Frage der Spezifizierung zu Vorlagezwecken durchaus geeignet sei und legte die Frage vor, ob es ausreicht, dass die Antikörper anhand ihrer Bindungseigenschaften an ein Zielprotein definiert werden oder ob eine strukturelle Definition für den oder die Antikörper nötig ist. Aus der Entscheidung des EuGH geht eines klar hervor: Er lehnt den Verletzungstest weiterhin ab (Randnr. 33). Ansonsten ist die Entscheidung weniger eindeutig. So stellte der Gerichtshof fest, dass es nicht erforderlich sei, den Wirkstoff mit einer Strukturformel anzuführen, und dass für ein lediglich durch eine Funktionsformel bestimmtes Erzeugnis ein ESZ erteilt werden kann. Allerdings gelte dies nur unter der Voraussetzung, dass ausgehend von Artikel 69 EPÜ und dem dazugehörigen Auslegungsprotokoll der Schluss gezogen werden kann, dass sich die Ansprüche stillschweigend, aber notwendigerweise auf den Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat (Randnrn. 39 und 40).
Es gibt doch einige Diskussionen darüber, was das bedeutet. Ich vermute Folgendes.
Im Fall Medeva wird starkes Gewicht auf die Ansprüche gelegt, was in Randnr. 34 besonders zum Ausdruck kommt. Der Gerichtshof akzeptiert nunmehr jedoch eine funktionelle Definition, was bedeutet, dass die Spezifizierung des eigentlichen Wirkstoffs im Anspruch selbst nicht zu finden ist. Zudem können mit einem funktionellen Anspruch zahlreiche Verbindungen repräsentiert werden. Wird allerdings ein solcher Anspruch verwendet, muss – so verstehe ich den EuGH – die Forderung nach Nennung in den Ansprüchen stillschweigend erfüllt sein, d. h. durch Auslegung der Ansprüche. Ein Wirkstoff wird "in den Ansprüchen genannt", wenn der Anspruch durch ordnungsgemäße Auslegung nach Artikel 69 EPÜ, bei der die Patentbeschreibung Berücksichtigung findet, (vom Fachmann) notwendigerweise und spezifisch so verstanden wird, dass er sich auf den spezifischen Wirkstoff bezieht.
Das heißt also, dass das Kriterium "in den Ansprüchen genannt" auf zweierlei Weise erfüllt werden kann: Entweder das Erzeugnis (der Wirkstoff) wird in den Ansprüchen mit seiner Strukturformel beschrieben oder der Anspruch wird durch ordnungsgemäße Auslegung nach Artikel 69 EPÜ notwendigerweise so verstanden, dass er sich (auch) auf dieses Erzeugnis bezieht. Das legt meiner Ansicht nach nahe, dass das Erzeugnis zumindest dem Test nach Artikel 3 Buchstabe a Genüge tun würde, wenn es in der Beschreibung gesondert angeführt wird.
Der EuGH unterscheidet offenbar zwischen einem Verletzungstest und einem Test dahin gehend, ob das Erzeugnis "in den Schutzbereich der Ansprüche fällt". In Randnr. 37 stellte er dazu fest, dass mit Tabalumab das Patent verletzt würde, dies jedoch bei der Entscheidung, ob dieser Wirkstoff – wie in Artikel 3 Buchstabe a bestimmt – durch das betreffende Patent geschützt ist, nicht den Ausschlag geben kann.
Ich würde den EuGH so verstehen, dass dann, wenn eine Funktionsformel vorliegt, die A beinhaltet, A das Patent verletzt. Ob A durch dieses Patent "geschützt" ist, wie es Artikel 3 Buchstabe a vorsieht, ist eine ganz andere Sache. Das wäre nach meinem Dafürhalten nur dann der Fall, wenn die Anspruchsauslegung zu dem Schluss führt, dass sich der funktionelle Anspruch speziell auf A bezieht. Eine Nennung von A in der Beschreibung, etwa als Beispiel, wäre vermutlich ausreichend. Welcher Grad der Spezifität aber ist erforderlich? Ich werde darauf noch einmal zurückkommen.
Zunächst einmal wende ich mich noch einer anderen Frage zu, die sich aus dem Fall Eli Lilly ergibt. In Randnr. 43 wird im Zusammenhang mit der Diskussion des Zweckes der Verordnung den Bemühungen des Patentinhabers und den vorgenommenen Forschungen zur Identifizierung des spezifischen Wirkstoffs des Arzneimittels Bedeutung beigemessen: Danach "… könnte die Verweigerung der Erteilung eines ESZ für einen Wirkstoff, auf den ein … Patent nicht spezifisch Bezug nimmt, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gerechtfertigt werden, soweit … der Inhaber … des Patents keine Schritte zur Detaillierung und Klarstellung seiner Erfindung unternommen hat, um den Wirkstoff, der in einem den Bedürfnissen bestimmter Patienten entsprechenden Arzneimittel wirtschaftlich verwertet werden kann, eindeutig zu identifizieren. In einer solchen Konstellation dem Inhaber des Patents ein ESZ zu erteilen, obwohl er nicht der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des über die Spezifizierungen des Grundpatents hinaus entwickelten Arzneimittels ist und daher keine Forschungsinvestitionen hinsichtlich dieses Aspekts seiner ursprünglichen Erfindung vorgenommen hat, hieße das Anliegen der Verordnung zu missachten."
Es ist schwer zu verstehen, was der EuGH damit eigentlich sagen wollte. Ich denke, aus dem Urteil geht eindeutig hervor, dass der EuGH der Auffassung ist, dass Tabalumab im Patent nicht genannt wird (Randnr. 36) und folglich HGS diesen Wirkstoff nicht erfunden und auch nicht in ihn investiert hat (sondern vielmehr Eli Lilly als Inhaberin der Genehmigung) und es folglich nicht angemessen und auch nicht richtig ist, dass HGS auf der Grundlage der Genehmigung ihrer Gegnerin ein ESZ erhält.
Dieser Absatz wirft zwei Aspekte auf. Erstens scheint es um die Frage des Dritten zu gehen, obwohl diese nicht vorgelegt wurde – aber der EuGH schenkt dem, was tatsächlich vorgelegt wird, generell sehr wenig Beachtung. Es ist nicht ungewöhnlich, dass er vorgelegte Fragen nicht beantwortet, gleichwohl aber Antworten auf Fragen vorbringt, die gar nicht vorliegen. Soweit sich der Gerichtshof also nun mit der Dritten-Thematik befasst, stellt sich die Frage, ob er tatsächlich die Biogen-Entscheidung und die Entscheidung im kürzlichen Georgetown-Fall kippen wollte, bei denen ESZ auf der Grundlage von Genehmigungen Dritter beantragt wurden. Möglicherweise besteht der Unterschied darin, dass bei Biogen und Georgetown die Inhaber der Genehmigung keine Einwände vorgebracht haben. Zweitens scheint er sich auf Artikel 3 Buchstabe a zu beziehen. Es kann kein ESZ für Tabalumab vergeben werden, da es nicht spezifiziert ist, was bedeutet, dass der Patentinhaber es nicht wirklich erfunden hat (es ist nicht der Kern der Erfindung) und auch keine Forschungsinvestitionen vorgenommen hat. Und er sollte keinen Ausgleich für nicht erbrachte Forschungsleistungen erhalten, da dies nicht dem Anliegen der Verordnung entspricht.
Der Fall Eli Lilly wurde an den High Court in England zurückverwiesen. Hier hatte Richter Warren die wenig beneidenswerte Aufgabe herauszufinden, was der EuGH gemeint hat. Und er deutete dessen Ausführungen letztlich folgendermaßen:
- Das einzelstaatliche Gericht sollte auf der Grundlage von Artikel 69 EPÜ den Schutzbereich der Ansprüche festlegen. Fällt ein Erzeugnis in diesen Schutzbereich, ist es im Sinne von Artikel 3 Buchstabe a unter der genannten Voraussetzung geschützt.
- Die Voraussetzung, "dass sich die Ansprüche stillschweigend, jedoch notwendigerweise und spezifisch auf den tatsächlichen Wirkstoff beziehen", gilt jedoch nur für Verbindungen, die auf einer "Erweiterung des Wortlauts" in einem Anspruch basieren.
Dieser Analyse kann ich mich leider nicht anschließen, da die klare Orientierung aus dem Fall Medeva, dass der Wirkstoff in den Ansprüchen genannt sein muss, vollständig ignoriert wird. Die in Randnr. 39 des Urteils enthaltene Voraussetzung macht in ihrer Gesamtheit klar, dass ein ESZ auf einem funktionellen Anspruch basieren kann – der von Natur aus keine Spezifizierung eines einzelnen Wirkstoffs enthält. Voraussetzung dabei ist, dass der Fachmann einen solchen Anspruch notwendigerweise so versteht, dass er sich (somit stillschweigend) (auch) auf den tatsächlichen Wirkstoff bezieht, und zwar in spezifischer Art und Weise. Folgende Frage ist zu beantworten: "Interpretiert der Fachmann diesen spezifischen Wirkstoff automatisch in den Anspruch hinein?" Das ist es, was das nationale Gericht ausgehend von einer ordnungsgemäßen Anspruchsauslegung entscheiden muss. Und nach meinem Dafürhalten ist es etwas ganz anderes als die Bestimmung des Schutzumfangs des Anspruchs, da es – wie Richter Warren anerkennt – auf den Verletzungstest hinausläuft, der vom EuGH ausdrücklich – und bedauerlicherweise – abgelehnt wird.
Im Fall Eli Lilly wurde Tabalumab in der Beschreibung nicht ausdrücklich genannt. Es bleibt die Frage, ob die Voraussetzung bedeutet, dass der Wirkstoff in der Beschreibung durch eine Strukturformel konkret definiert ist, wie es Richter Warren vorschlägt. Der EuGH hat dies nicht festgestellt, und mir scheint es, dass der Verweis auf Artikel 69 EPÜ bedeutet, dass ein solcher Detailgrad bei der Beschreibung nicht unbedingt vorausgesetzt wird. Bei Anwendung des Tests nach Artikel 69 EPÜ muss in diesem Falle festgestellt werden, ob der Fachmann – unter Berücksichtigung der Offenbarung des gesamten Patents – Tabalumab für spezifisch offenbart halten würde. Konnte es der Fachmann sozusagen beim Lesen des Patents bereits voraussehen? Richter Warren stellt in seinem Urteil fest, es sei allgemein bekannt, dass nach Identifizierung eines Zielproteins spezifisch bindende Antikörper durch Standardverfahren hergestellt werden können. Offen bleibt natürlich, ob dies hinreichend spezifisch ist, um die Voraussetzung zu erfüllen.
Es wurde eine Berufung gegen das Urteil von Richter Warren zugelassen, und wir müssen nun sehen, wie sich die Dinge im Rechtsmittelverfahren entwickeln. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es zu diesem Punkt noch weitere Vorlagen beim EuGH geben wird, um in naher Zukunft die erforderliche Klarheit zu erlangen.
Actavis gegen Sanofi (C-443/12)
Der Sachverhalt stellte sich bei diesem Fall wie folgt dar: Sanofi besaß ein Patent auf eine Zusammensetzung, das Irbesartan beanspruchte, aber auch einen Anspruch auf die Verbindung zusammen mit einem Diuretikum enthielt. Sanofi verfügte über Genehmigungen sowohl für den einzelnen Wirkstoff (Aprovel) als auch für die Zusammensetzung mit dem Diuretikum HCTZ (CoAprovel) und erhielt zudem zwei ESZ – jeweils eine für Irbesartan und für die Zusammensetzung – mit einer Laufzeit von etwa einem Jahr.
Es gab in Europa mehrere anhängige Verfahren. In den Niederlanden ging es um eine einstweilige Verfügung. Mit den Parallelverfahren im Vereinigten Königreich sollte der Weg freigemacht werden, wobei Actavis die Annullierung des zweiten ESZ forderte. Dadurch war mehr Zeit für die Vorlage von Fragen gegeben, was auch tatsächlich geschah. In beiden Rechtsräumen gab es zwei Argumente. Unter Bezugnahme auf Artikel 3 Buchstabe a wurde festgestellt, dass Irbesartan-HCTZ in den Ansprüchen nicht als Zusammensetzung genannt sei. Und zweitens wurde angeführt, dass Sanofi auf der Grundlage einer ersten Genehmigung für Irbesartan bereits ein ESZ für Irbesartan erhalten habe und dies das "Erzeugnis" des Grundpatents sei. Gemäß Artikel 3 Buchstabe c sollten keine zusätzlichen ESZ erteilt werden, da es nur ein ESZ pro Patent geben könne (entsprechend der Auslegung im Fall Medeva). In den Niederlanden brachte Teva auch das teleologische Argument vor, dass das ESZ für die Zusammensetzung annulliert werden sollte, da es Ziel und Anliegen der Verordnung zuwiderläuft, denn die Erfindung sei Irbesartan und nicht HCTZ oder die Zusammensetzung.
Im englischen Verfahren entschied sich Richter Arnold für eine erneute Vorlage zur Bedeutung von Artikel 3 Buchstabe a, unterbreitete dieses Mal jedoch einen eigenen Lösungsvorschlag: Ob ein Verbindungserzeugnis durch das Grundpatent geschützt ist, sollte unter Bezug auf die erfinderische Tätigkeit des Patents ermittelt werden. Erstreckt sich diese lediglich auf Inhaltsstoff A, wäre jedwede Zusammensetzung mit diesem Wirkstoff nicht durch das Grundpatent geschützt.
Der EuGH beantwortete nicht die Frage, ob HCTZ durch ein Diuretikum spezifiziert ist, da es nicht notwendig war. Grundlage bei der Behandlung des Falls bildete Artikel 3 Buchstabe c. Aber gibt das Urteil irgendwelchen Aufschluss, was die Richter darüber denken würden? In dieser Hinsicht sind zwei Randnummern im Urteil von Relevanz, die Randnrn. 30 und 38. Sie enthalten widersprüchliche Aussagen, die jedoch beide auch ziemlich hypothetisch erscheinen. Ich denke, dass dieses Urteil in keiner Weise Aufschluss darüber gibt, ob nun HCTZ in den Ansprüchen spezifiziert ist oder nicht. Das niederländische Gericht entschied, dass dies der Fall war, denn nach Auslegung gemäß Artikel 69 EPÜ sah es HCTZ im Schutzbereich des Patents. Das könnte – auch wenn man sich meine Theorie zu Eli Lilly betrachtet – durchaus der richtige Ansatz sein.
Wie hat der EuGH nun in der Frage entschieden, ob in Anbetracht von Artikel 3 Absatz c auf der Grundlage desselben Patents ein zweites ESZ erteilt werden kann? Prinzipiell hat er das bejaht (Randnr. 29: "… auf der Grundlage eines Patents, durch das mehrere, sich voneinander unterscheidende 'Erzeugnisse' geschützt werden, [können] … grundsätzlich mehrere ergänzende Schutzzertifikate in Bezug auf die einzelnen, unterschiedlichen Erzeugnisse erteilt werden"). Dennoch entschied er in diesem Fall abschlägig. Warum das? So heißt es zunächst einmal in Randnr. 35, dass Sanofi aufgrund des ersten ESZ dem Inverkehrbringen eines Irbesartan zusammen mit Hydrochlorothiazid enthaltenden Arzneimittels mit einer vergleichbaren therapeutischen Indikation wie das Arzneimittel Aprovel widersprechen konnte. Damit wurde im Grunde gesagt, dass sich der Schutzbereich des einzelnen ESZ auch auf die Zusammensetzung erstreckt (es sei an die breite Auslegung der Artikel 4/5 erinnert). Die Chance war also da, eine zweite gibt es nicht. Aber damit ist es nicht getan. Hätte sich Sanofi zuerst für ein ESZ für die Zusammensetzung entschieden – um einmal von dieser hypothetischen Situation auszugehen – und dadurch nicht den vollständigen Schutz erhalten, da es Irbesartan allein nicht mit einschloss, hätte sie dennoch keinen Anspruch auf ein einzelnes ESZ gehabt, da dies – so der EuGH in Randnr. 38 – durch Artikel 3 Absatz c ausgeschlossen gewesen wäre. Der Schutzumfang des ersten ESZ ist also offenbar nicht der entscheidende Faktor. Was aber ist dann der entscheidende Faktor? Es geht letztlich darum, dass die Zusammensetzung aus Irbesartan und HCTZ und Irbesartan allein als das gleiche Erzeugnis anzusehen sind. Die Erfindung betrifft Irbesartan, nicht HCTZ und auch nicht die Zusammensetzung. Das wird in Randnr. 42 ziemlich klar herausgestellt: "… nach Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 469/2009 (ist es) also unzulässig, dem Patentinhaber aufgrund ein und desselben Patents mehrere ergänzende Schutzzertifikate in Bezug auf Irbesartan zu erteilen, da diese in Wirklichkeit ganz oder teilweise in Zusammenhang mit demselben Erzeugnis stünden".
Ich denke, der neue Ansatz besteht darin, dass der EuGH den Begriff "Erzeugnis" neu definiert. "Erzeugnis" bedeutet nunmehr einen "neuartigen Wirkstoff". Im Urteil formuliert der EuGH "für einen neuartigen Wirkstoff auf der Grundlage des ihn schützenden Patents". Auch in Randnr. 41 bezieht sich der EuGH auf "den Kern der erfinderischen Tätigkeit …, die Gegenstand des Grundpatents ist" oder "auf den Hauptwirkstoff, der als solcher durch das Grundpatent geschützt ist".
Was sind die Gründe dafür? In Randnr. 30 des Urteils führt der EuGH an, dass das zweite ESZ möglicherweise eine längere Laufzeit hat als das erste, was als "Evergreening" empfunden wird. Das Vorbringen, dass das zweite ESZ einen eingeschränkteren Schutzumfang hätte als das erste, wurde mit einer – recht eigentümlichen – Randnummer zurückgewiesen, in der es heißt, dass der Inhaber eines ESZ für die Zusammensetzung möglicherweise durch indirekte Verletzung auch das Inverkehrbringen des einzelnen Wirkstoffs verhindern und damit den Schutzzeitraum verlängern könnte. Das Vorbringen, dass für das Inverkehrbringen von Zusammensetzungen zusätzliche Forschungen bzw. Studien erforderlich sind, wurde ebenfalls als nicht relevant erachtet. Der EuGH stellte fest, dass die Verordnung nicht den Ausgleich der Rückstände in der wirtschaftlichen Verwertung in vollem Umfang "in Bezug auf alle möglichen Formen" dieser Verwertung der Erfindung bezweckt. Aus diesen Randnummern wird nicht nur deutlich, dass der EuGH bei den ESZ einen sehr zweckorientierten Ansatz verfolgt; gleichzeitig stellt sich die Frage, wie der EuGH entschieden hätte, wenn das ESZ für den Einzelwirkstoff nicht später abgelaufen wäre als das ESZ für die Zusammensetzung. Damit kommen wir zum nächsten Fall.
Georgetown II (C-484/12)
Der Sachverhalt stellte sich bei diesem Fall wie folgt dar: Das Patent enthielt Ansprüche auf HPV-16, HPV-18, HPV-16 und HPV-18 zusammen sowie verschiedene Kombinationen. Es gab ein ESZ für Gardasil® 2006 (HPV-6, HPV-11, HPV-16 und HPV-18) und für Cervirax® 2007 (HPV-16 und HPV-18). Für diese Kombinationen wurden also ESZ erteilt. Georgetown beantragte nunmehr ein ESZ nur für HPV-16.
In Randnr. 32 führte der EuGH aus, es scheine festzustehen, dass durch das Grundpatent zumindest die Kombinationen und das in Gardasil vermarktete HPV-16 geschützt werden. Anders als im Fall Actavis wurden hier die Erzeugnisse als separate neuartige Erzeugnisse angesehen, und daher konnte Georgetown nach Auffassung des EuGH für jedes einzelne von ihnen separate ESZ haben, auch für HPV-16 allein.
Im Vergleich zu Georgetown stellten sich im Fall Actavis gegen Sanofi noch weitere Sachverhalte anders dar, was möglicherweise von Belang war und auch für künftige Fälle von Bedeutung sein kann. Zunächst einmal beantragte Georgetown anders als Actavis gegen Sanofi ein ESZ auf der Grundlage ein und derselben Genehmigung für das Inverkehrbringen, d. h. der Genehmigung für die erste Kombination. Damit würden beide ESZ gleichzeitig ablaufen. Im Fall Georgetown gab es somit kein (empfundenes) Evergreening. Georgetown hätte theoretisch auch ein ESZ auf der Grundlage der zweiten Genehmigung beantragen können. Das hätte eine längere Schutzdauer gebracht. Hätte das Gericht in diesem Falle in gleicher Weise entschieden? Ich bin mir da nicht ganz sicher, da dies – zumindest seiner Auffassung nach – zu Evergreening führt (und wir werden es nie erfahren, denn der EuGH stellte fest, dass ein solcher Antrag nach Artikel 3 Buchstabe c scheitern würde, da das einzelne "Erzeugnis" HPV-16 in beiden Kombinationen das gleiche sei, Randnr. 38). Außerdem: Hätte Georgetown zuerst das Einzel-ESZ erhalten und dann ein Kombinations-ESZ beantragt, dann hätten sie entsprechend der in Actavis gegen Sanofi angeführten Begründung nach Artikel 4/5 mit dem einzelnen ESZ bereits den Schutz gesichert und keinen separaten und möglicherweise noch längeren Schutz durch ein Kombinations-ESZ benötigt. Es scheint also im Moment alles klar. Dennoch bin ich mir nicht ganz sicher, ob der EuGH mit der gleichen Lösung aufwarten würde, wenn sich ein ähnlicher Fall wie Georgetown auftut, d. h. mit separaten Erzeugnissen, aber unterschiedlicher Schutzdauer. Das bleibt abzuwarten.
Welche Schlussfolgerungen können aus diesen beiden Entscheidungen gezogen werden?
Offensichtlich ist es möglich, ein ESZ pro Erzeugnis pro Patent zu haben, sofern jedes Erzeugnis selbst neuartig ist. Die Existenz eines ESZ für A verhindert ein ESZ für A+B aufgrund von Artikel 3 Buchstabe c, wenn A der technische Beitrag war; A wird dann vom EuGH als "Erzeugnis" des Patents angesehen; A+B ist kein weiteres "Erzeugnis", und deshalb ist das "Erzeugnis" bereits Gegenstand eines früheren ESZ.
Somit wurde der Vorschlag von Richter Arnold übernommen, jedoch übertragen auf die Definition von "Erzeugnis" – das in jedem Absatz von Artikel 3 vorkommt – oder möglicherweise sogar auf das Ziel der Verordnung – umformuliert als "den Rückstand in der wirtschaftlichen Verwertung dessen auszugleichen, was den Kern der erfinderischen Tätigkeit ausmacht, die Gegenstand des Grundpatents ist" (Actavis gegen Sanofi, Randnr. 41). Die Konformität mit dem Ziel der Verordnung scheint dabei ein zusätzliches bzw. vorrangiges Erfordernis für den Erhalt eines ESZ geworden zu sein.
Wo stehen wir nun?
Zu Artikel 3 Buchstabe a: Das Erzeugnis muss in den Schutzbereich der Ansprüche fallen – entweder explizit, d. h. es wird "in den Ansprüchen genannt", oder implizit, d. h. der Anspruch muss notwendigerweise und spezifisch so verstanden werden, dass er sich auf den Wirkstoff bezieht (Test nach Artikel 69 EPÜ). Das gilt natürlich für funktionelle Ansprüche, könnte jedoch meiner Ansicht nach gleichermaßen auf Ansprüche auf Markush-Formeln, Erzeugnisklassen und Ähnliches angewandt werden.
Zu Artikel 3 Buchstabe b: Noch ist unklar, ob man ein ESZ für eine Genehmigung eines Dritten erhalten kann. Biogen gegen Georgetown und Eli Lilly sind hier offenbar schwer in Einklang zu bringen. Möglicherweise macht es für das Ergebnis einen Unterschied, ob Zustimmung (oder eine Lizenz) vorliegt. Es müssen weitere Entscheidungen abgewartet werden, um hier größere Klarheit zu erlangen.
Zu Artikel 3 Buchstabe c: Bei Erteilung eines ESZ für A wird ein weiteres ESZ für B oder A+B nur erteilt, wenn B oder A+B vom Grundpatent "als solches geschützt" ist, also ein ESZ pro "als solches" geschütztes Produkt pro Patent. Offen bleibt, wie zu bestimmen ist, ob eine Kombination/Zusammensetzung – neben dem einzelnen Wirkstoff – als solche geschützt ist (d. h. neuartig ist). Im Actavis-Urteil wird in Randnr. 42 vorgeschlagen, dass die Zusammensetzung Gegenstand eines neuen Grundpatents sein sollte. Das scheint jedoch nicht richtig zu sein und lässt sich auch nur schwer mit dem Georgetown-Fall vereinbaren, bei dem das Patent sowohl einzelne Wirkstoffe als auch verschiedene Kombinationen umfasste, die alle als neuartig galten.
Zu Artikel 3 Buchstabe d: ESZ der zweiten medizinischen Verwendung sind zugelassen (Neurim). Das zumindest ist jetzt klar. Für die Zukunft stellt sich aber die Frage, ob MIT noch gilt und für wie lange. Schlussfolgernd aus dem Neurim-Fall sollte es logischerweise zugunsten neuer erfinderischer Formulierungen aufgehoben werden. GSK war dafür nicht der richtige Fall, ein neuer MIT-Fall aber, bei dem die richtigen Fragen gestellt werden, könnte es sein.
Ausblick in die Zukunft
Nach wie vor werden ESZ bei den nationalen Patentämtern beantragt und von diesen genehmigt. Unklar ist, wie sich das EPG-System darauf auswirken wird.
Interessant ist, dass – wie ich erfahren habe – bei der Verhandlung des Falls HGS gegen Eli Lilly selbst der EuGH eine Reform der ESZ-Verordnung anmahnte. Allerdings spielen hier so viele Länder und so viele unterschiedliche Interessen eine Rolle, dass es sehr ungewiss ist, ob dies jemals geschieht.