ARBEITSSITZUNG
Das einheitliche Patentgericht
Hana PIPKOVA - Richterin am Berufungsgericht Prag (Městský soud gegen Praze) - Streitregelungssystem in Patentsachen
Die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums wurde mit dem Gesetz Nr. 221/2006 des Gesetzblatts in das tschechische Recht umgesetzt.
Mit diesem Gesetz wurde die gerichtliche Zuständigkeit für Patentsachen in der Tschechischen Republik geregelt. Das zuständige Gericht für die Feststellung der Verletzung geistiger Eigentumsrechte (einschließlich gewerblicher Schutzrechte) ist das zweitinstanzliche Berufungsgericht (Městský soud gegen Praze).
Dieses Gericht hat vier Kammern - für Zivilrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht und Handelsrecht; zuständig für Patentsachen sind die Verwaltungs- und die Handelskammer.
Die Verwaltungskammer ist unter anderem für Einspruchs- und Beschränkungsverfahren sowie für Beschwerdeverfahren zuständig.
Beklagter ist immer das Amt (Amt für gewerbliches Eigentum in Prag).
Kläger kann der Patentanmelder, der Erfinder oder ein betroffener Dritter sein.
Gegenstand des Verfahrens ist eine Entscheidung des Amts (Nichtigkeitsfälle).
Die Handelskammer ist zuständig für Fälle unlauteren Wettbewerbs.
Beklagter und Kläger sind natürliche oder juristische Personen.
Gegenstand des Verfahrens sind der Schutz geistiger Eigentumsrechte und entsprechende Unterlassungsanordnungen gegenüber dem Verletzer (Verletzungsfälle).
Beide Verfahren sind voneinander vollkommen unabhängig.
Die Urteile der Verwaltungskammer sind mit der Zustellung rechtskräftig. Als Rechtsmittel steht nur der außerordentliche Rechtsbehelf der Kassationsbeschwerde beim Obersten Verwaltungsgerichtshof (Nejvyšší správní soud) zur Verfügung.
Die Urteile der Handelskammer sind mit der Zustellung noch nicht rechtskräftig. Den Parteien stehen als ordentliches Rechtsmittel die Berufung beim Obergericht Prag (Vrchní soud gegen Praze) und als außerordentliches Rechtsmittel die Revision beim Obersten Gerichtshof (Nejvyšší soud) zur Verfügung, die allerdings nicht zugelassen werden muss.
Wenn Sie meine Rede mit der meines Vorredners vergleichen, können Sie sehen, dass das tschechische System dem deutschen System sehr nahe ist. Der Unterschied liegt in der letzten Instanz. In Deutschland endet alles beim BGH, aber wir haben zwei letzte Instanzen, die voneinander vollkommen unabhängig sind.
Mit Blick auf den Grad der Angleichung der tschechischen Gesetzgebung im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums mit dem EU-Recht kann die tschechische Regelung als ausreichend angesehen werden. Das vorrangige Ziel der Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht darin, grundrechtlich garantierten Rechtsschutz möglichst effektiv und zeitnah zu gewährleisten und die Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns sicherzustellen. Dabei stellt die mündliche Verhandlung einen Grundsatz der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Tschechischen Republik dar. Im Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden; dasselbe gilt im Falle der Unüberprüfbarkeit der angefochtenen Entscheidung. Beweise werden während der mündlichen Verhandlung aufgenommen; so können insbesondere der Augenschein genommen, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte oder dritte Personen vernommen und Urkunden beigezogen werden. Der Umfang der Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts durch das Gericht wird vom Klagevorbringen bestimmt.
Das Gericht entscheidet durch Urteile; es kann die angefochtene Entscheidung (den Verwaltungsakt) aufheben und die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amt zurückverweisen, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, oder es kann die Klage abweisen.
Das Patenterteilungsverfahren - das Prüfungsverfahren bzw. das Einspruchsverfahren - vor dem Amt geht über höchstens zwei Instanzen. Die Teilnehmer können gegen die Entscheidung des Amts Rechtsmittel einlegen. Über das Rechtsmittel (ohne Devolutiveffekt, aber mit aufschiebender Wirkung) entscheidet der Vorsitzende des Amts, der einen speziellen Beirat hat. Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden kann Klage vor der Verwaltungskammer erhoben werden.
Die größten tschechischen Erfinder sind nie Teilnehmer oder Dritte im Verfahren vor der Verwaltungskammer. Einer der größten Patentanmelder bzw. Erfinder in der Tschechischen Republik, das Institut für organische Chemie und Biochemie der tschechischen Akademie der Wissenschaften, v.v.i. (vor allem unter Prof. RNDr. Antonín Holý, Dr. Sc., Dr. h. c. mult.), registriert alle seine Erfindungen grundsätzlich beim Patentamt der USA. Binnen Jahresfrist werden diese Erfindungen dann in Europa angemeldet - beim tschechischen Amt in Prag oder beim EPA in München. Das Patenterteilungsverfahren in den USA ist schneller als in Europa, und auch die Gebühren sind in USA niedriger als in Europa, z. B. sind sie für akademische Institutionen um weitere 50 % reduziert. Die Aufrechterhaltungsgebühren werden nicht jedes Jahr, sondern nur alle dreieinhalb Jahre bezahlt.
Die Erfindung ist durch die Patentansprüche definiert, und der Patentinhaber hat Anspruch auf den Schutz seiner Patentrechte. Die Verfahrensbeteiligten vor dem Gericht sind meist ausländische pharmazeutische Unternehmen. Es folgt eine Betrachtung konkreter Fälle aus dem Bereich der Arzneimittel:
Verfahren nach einem der Ansprüche 11 und 12, bei dem Bisphosphonsäure oder eines ihrer pharmazeutisch brauchbaren Salze gemäß einem der Ansprüche 1 bis 10 verabreicht wird.
Europäisches Patent 1 506 041 mit der Bezeichnung "Ibandronsäure zur Behandlung und Vorbeugung von Osteoporose"
Anmeldetag: 2.5.2003
Prioritätstag: 10.5.2002 (EP)
Anmelder: F. HOFFMANN-LA ROCHE AG, Basel (CH)
Veröffentlichungstag der Anmeldung: 20.11.2003
Veröffentlichungstag des Patents: 24.10.2007
Diese Erfindung betrifft die Verwendung einer Bisphosphonsäure oder eines ihrer pharmazeutisch brauchbaren Salze zur Herstellung von Arzneimitteln zur Prävention oder Behandlung von Erkrankungen, die durch pathologisch erhöhte Knochenresorption gekennzeichnet sind, insbesondere für die Prävention und Behandlung von Osteoporose.
Der Inhaber des Patents EP 1 506 041 klagte auf Schutz gegen die Patentverletzung, machte einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geltend und forderte gleichzeitig mit dem Unterlassungsbegehren vor der Handelskammer, dass die Beklagten 1) Teva Pharma B.V., Utrecht, 2) Teva Pharmaceuticals s.r.o., Prag, und 3) Teva Czech Industries s.r.o., Opava, das Medikament "Ibandronic Acid Teva 150 mg, beschichtete Tabletten" (Nr. EU/1/10/642/003 bzw. Nr. EU/1/10/642/2004) nicht auf den tschechischen Markt bringen dürfen.
Dem Ersuchen des Patentinhabers wurde vom Gericht in seiner Vorabentscheidung mit Bezug auf die Beklagten 2) und 3) stattgegeben. Das Obergericht Prag bestätigte diesen Beschluss am 14.12.2011, obwohl die Entscheidung des EPA vom 9.12.2010, das die Erteilung des europäischen Patents EP 1 506 041 im Einspruchsverfahren mit kleineren Änderungen der Patentansprüche bestätigte, von verschiedenen Einsprechenden (einschließlich Teva Pharma B.V., Utrecht) mit einer Beschwerde angefochten worden war. Das Beschwerdeverfahren vor dem EPA ist noch anhängig, ebenso das Verfahren wegen Patentverletzung und wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
Patent CZ 298 499 mit der Bezeichnung "Oxycodonhaltige Zubereitungen mit gesteuerter Wirkstoffabgabe"
Anmeldetag: 25.11.1992
Prioritätstag: 27.11.1991 (USA)
Anmelder: Mundipharma Medical GmbH, Basel (CH)
Veröffentlichungstag der Anmeldung: 13.4.1994
Veröffentlichungstag des Patents: 17.10.2007
Laufzeit des Patents bis 25.11.2012
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur deutlichen Verringerung der Tagesdosen, die zur Schmerzlinderung bei ca. 80 % der Patienten erforderlich sind, wobei den Patienten eine feste, kontrolliert freisetzende Darreichungsform von etwa 10 bis etwa 40 mg Oxycodon oder einem Salz davon oral verabreicht wird.
Die Formulierung gewährleistet nach wiederholter Verabreichung in 12-Stunden-Intervallen etwa 2 bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von rund 6 bis rund 60 ng/ml und etwa 10 bis 14 Stunden nach der Verabreichung eine mittlere minimale Plasmakonzentration von rund 3 bis rund 30 ng/ml.
Eine andere Ausführungsart betrifft ein Verfahren zur deutlichen Verringerung der Tagesdosen, die zur Schmerzlinderung bei im Wesentlichen allen Patienten erforderlich sind.
Der Inhaber des Patents CZ 298 499 klagte auf Schutz gegen die Patentverletzung, machte einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geltend und forderte gleichzeitig mit dem Unterlassungsbegehren vor der Handelskammer, dass die Beklagte Zentiva k.s., Prag (CZ), das Medikament "Dolocodon 10 mg, 20 mg und 40 mg" (Reg.-Nr. 65/674/10-C, 65/675/10-C, 65/676/10-C) nicht auf den tschechischen Markt einführen darf.
Über das Gesuch des Beklagten wurde schon früher, am 27.6.2011, mit der Entscheidung des Vorsitzenden des Amts rechtskräftig entschieden. Der Beklagte hatte in diesem Gesuch angeführt, dass der Gegenstand (das Medikament Dolocodon) mit dem Schutzumfang des Patents CZ 298 499 mit der Bezeichnung "Oxycodonhaltige Zubereitungen mit gesteuerter Wirkstoffabgabe" nicht übereinstimme. Diesem Gesuch gab das Amt nicht statt, da der Gegenstand alle wesentlichen Merkmale der angeführten Patentansprüche aufweist. Eine Klage vor der Verwaltungskammer war möglich, wurde von Zentiva k.s., Prag, aber nicht erhoben.
Der Anspruch des Patentinhabers wurde vom Gericht mit der Vorabentscheidung bestätigt. Das Obergericht Prag bestätigte diesen Beschluss am 11.6.2012.
Das Obergericht Prag erklärte in seinem Beschluss zum Vorbringen des Beklagten, dass die Vorabentscheidung nicht nur auf die Laufzeit des Patents beschränkt ist, d. h. bis zum 25.11.2012, da man sich bei der Würdigung des Unterlassungsbegehrens nicht nur von der Tatsache leiten lassen sollte, dass der Schutz des Patents CZ 298 499 mit seinem Erlöschen zum 25.11.2012 endet. Das Verfahren wegen Patentverletzung und wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist noch anhängig.
Patent CZ 300 514 mit der Bezeichnung "Pharmazeutische Kombination von Ethinylestradiol und Drospirenone als empfängnisverhütendes Mittel"
Anmeldetag: 31.8.2000
Prioritätstag: 31.8.1999 (USA), 31.8.1999 (EP)
Anmelder: Bayer Schering Pharma Aktiengesellschaft, Berlin, DE
Veröffentlichungstag der Anmeldung: 14.8.2002
Veröffentlichungstag des Patents: 3.6.2009
Der Inhaber des Patents CZ 300 514 klagte auf Schutz gegen die Patentverletzung, machte einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geltend und forderte gleichzeitig mit dem Unterlassungsbegehren vor der Handelskammer, dass die Beklagte Gedeon Richter, Budapest, HU, das Medikament "Maitalon" (Nr. 17/267/10-C) nicht auf den tschechischen Markt einführen darf.
Der Anspruch des Patentinhabers wurde vom Gericht mit der Vorabentscheidung bestätigt. Das Obergericht Prag bestätigte diesen Beschluss am 23.3.2011.
Das Obergericht Prag erklärte in seinem Beschluss zum Vorbringen des Beklagten, dass bei Patentstreitigkeiten, die nach der Statistik des Justizministeriums der Tschechischen Republik mehr als 9 Jahre dauern, die ergangene Vorabentscheidung praktisch der endgültigen Lösung der Sache entspricht, dass die Entscheidung des Amts vom 7.2.2011, mit der das Patent CZ 300 514 widerrufen wurde, für das Vorabentscheidungsverfahren zureichend ist und dass der Kläger die einzelnen Ansprüche bewiesen haben muss. Die Handlung des Beklagten wurde als Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb eingestuft.
Der Einwand des Beklagten, dass mit der Entscheidung des Amts vom 7.2.2011 über den Widerruf des Patents CZ 300 514 das Patent keine Wirkung mehr entfalte, ist für die Entscheidung des Berufungsgerichts bedeutungslos. Der vorläufige Ausgang des Widerrufsverfahrens ist nicht entscheidend, weil das Gericht bis nach dem rechtskräftigen Widerruf des Patents an die Eintragung des Rechts gebunden ist.
Die Entscheidung des Amts vom 7.2.2011 über den Widerruf des Patents wurde später mit der Entscheidung des Vorsitzenden des Amts vom 1.12.2011 bestätigt. Eine Klage vor der Verwaltungskammer war möglich, wurde von Bayer Schering Pharma Aktiengesellschaft, Berlin, aber nicht erhoben.
Das Verfahren wegen Patentverletzung und wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist nicht mehr anhängig. Aufgrund der Klagerücknahme vom 16.12.2011 wurde das Gerichtsverfahren in der Tschechischen Republik am 23.2.2012 eingestellt.
Diese Erfindung wurde auch beim EPA angemeldet und im Anschluss an das Prüfungsverfahren als EP 1 214 076 patentiert. Am 18.8.2004 lief mit dem Einspruch von HEXAL Pharmaforschung GmbH, DE, das Einspruchsverfahren an. Am 7.7.2011 erging die Entscheidung über den Widerruf des Patents EP 1 214 076. Am 25.11.2011 ist ein Antrag auf Überprüfung beim EPA eingegangen, und den Parteien wurde bereits der Termin der mündlichen Verhandlung mitgeteilt (22.11.2012). Das Verfahren zu dieser Erfindung ist also immer noch anhängig. Die Richter der Handelskammer respektieren die Fachentscheidung des Amts bzw. des EPA; die Richter der Verwaltungskammer mehr oder weniger ebenfalls. Gegenstand des Verfahrens waren die Patentrechtsverletzung und die Frage der erfinderischen Tätigkeit. Als Juristen (Fachrichter) können wir die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit der Erfindung nicht beurteilen.
Zum Ende meines Berichts möchte ich mich zu den Entwürfen der Kommission aus dem Herbst 2011 über das europäische und das EU-Patent äußern, und zwar mit den Worten meines Lieblingsschriftstellers Milan Kundera: "Das Leben ist anderswo." Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir als Regionalkammer des einheitlichen Patentgerichts zusammen mit Kollegen aus der Slowakei, Polen und Ungarn die Verletzung und Rechtsgültigkeit von Patenten bewerten und beurteilen können. Das ist die Wahrheit.
Bei den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 28.-29. Juni 2012 sehe ich Verbesserungsbedarf, vor allem was die Entwürfe für die Zentralkammer und die lokalen Kammern anbelangt, die meiner Meinung nach nur aus Richtern aus dem Staat des Sitzes der jeweiligen Kammer zusammengesetzt sein sollten.