BERICHTE NATIONALER RICHTER
FR Frankreich
COUR DE CASSATION (Kassationsgerichtshof) - Vollversammlung
Öffentliche Sitzung vom 17. Februar 2012
Ablehnung
Herr LAMANDA, Gerichtspräsident
Urteil Nr. 604 P+B+R+I
Rechtsmittel Nr. A 10-24.282
FRANZÖSISCHE REPUBLIK
IM NAMEN DES FRANZÖSISCHEN VOLKES
Die COUR DE CASSATION hat in VOLLVERSAMMLUNG tagend folgendes Urteil erlassen:
Bezüglich des Rechtsmittels von Herrn Réginald Wehrkamp-Richter, wohnhaft in Le Moulin, Chemin du Breuil, 63960 Veyre-Monton,
gegen das am 8. Juni 2010 von der Cour d'appel (Berufungsgericht) von Grenoble (1. Zivilkammer) erlassene Urteil im Rechtsstreit zwischen:
1°/ Herrn Louis Paul Guitay, wohnhaft in Err de Crans, 5 rue du Prado, 3963 Crans Montana (Schweiz),
2°/ der Firma LPG Systems AG mit Sitz in Technoparc de la Plaine, NP 35, 30 rue du Docteur Abel, 26902 Valence cedex,
Beklagte im Kassationsverfahren;
hat die Handels-, Finanz- und Wirtschaftskammer mit Urteil vom 4. Oktober 2011 beschieden, die Sache vor die Vollversammlung zu verweisen.
Der Beschwerdeführer legt vor der Vollversammlung die diesem Urteil beigefügte Kassationsbeschwerde ein.
Dieser einzige Kassationsgrund wurde in einem Schriftsatz niedergelegt, der von der SCP Delaporte, Briard et Trichet, der anwaltlichen Vertretung von Herrn Wehrkamp-Richter, bei der Gerichtskanzlei der Cour de cassation eingereicht wurde.
Eine Klagebeantwortung wurde von der SCP Boré et Salve de Bruneton, der anwaltlichen Vertretung von Herrn Guitay und der Firma LPG Systems, bei der Gerichtskanzlei der Cour de cassation eingereicht.
Der schriftliche Bericht von Herrn André, Berichterstatter, und die schriftliche Stellungnahme von Herrn Le Mesle, erster Generalanwalt, wurden den Parteien zugänglich gemacht.
Der GERICHTSHOF tagte als Vollversammlung in öffentlicher Sitzung vom 3. Februar 2012, bei der zugegen waren: Herr Lamanda, Gerichtspräsident, Frau Favre, Herr Lacabarats, Herr Louvel, Herr Charruault, Herr Loriferne, Herr Terrier, Vorsitzende, Herr André, Berichterstatter, Herr Blondet, Herr Le Corroller, Herr Pluyette, Herr Bailly, Herr Bizot, Herr Petit, Frau Bellamy, Frau Geerssen, Frau Mandel, Herr Maunand, Herr Girardet, Berichterstatter, Herr Le Mesle, erster Generalanwalt, Frau Tardi, Leiterin der Gerichtskanzlei.
Nach Anhörung des Berichts von Herrn André, Berichterstatter, unter Mitwirkung von Herrn Régis, Sachbearbeiter in der Abteilung Dokumentation, Studien und Berichterstattung, der Bemerkungen der SCP Delaporte, Briard et Trichet, der SCP Boré et Salve de Bruneton, der Stellungnahme von Herrn Le Mesle, erster Generalanwalt, worauf die SCP Delaporte, Briard et Trichet als eine der hierzu aufgeforderten Parteien eine Erwiderung vorbrachte, und nach Beratung nach Maßgabe des Gesetzes.
Zum einzigen Klagegrund:
Gemäß dem angefochtenen Urteil (Grenoble, 8. Juni 2010) wurde Herr Wehrkamp-Richter mit einem rechtskräftigen Urteil vom 10. September 2001 wegen Verletzung der Ansprüche 1, 3, 4 und 5 des unter der Nr. 87-03 865 eingetragenen Patents, das von Herrn Guitay eingereicht wurde, der der Firma LPG Systems die ausschließliche Nutzung eingeräumt hat, zur Zahlung verschiedener Beträge verurteilt. Da diese Ansprüche mit einem rechtskräftigen Urteil vom 21. Februar 2002 für nichtig erklärt wurden, forderte Herr Wehrkamp-Richter Herrn Guitay und die Firma LPG Systems gerichtlich zur Rückerstattung dieser Beträge auf.
Herr Wehrkamp-Richter beanstandet an dem Urteil, dass damit seine Klage abgewiesen wurde, während dem Klagegrund zufolge, die rückwirkend und unbeschränkt geltende Entscheidung zur Nichtigerklärung eines Erfindungspatents der vorher ergangenen Verurteilung wegen Verletzung des aufgehobenen Patents die Rechtsgrundlage entzieht, und dies auch gegenüber einem Dritten in einem Aufhebungsverfahren. Diese Entscheidung bewirkt, dass Zahlungen, mit denen einer solchen Verurteilung nachgekommen wird, unbegründet sind, auch wenn die Verurteilung uneingeschränkt rechtskräftig geworden ist, und eröffnet Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Beträge. Die Cour d'appel hat keine rechtlichen Schlussfolgerungen aus ihren eigenen Feststellungen gezogen und gegen die Artikel 1235 und 1376 des französischen Zivilgesetzbuchs (Code civil) sowie Artikel L. 613-27 des Gesetzes über das geistige Eigentum (Code de la propriété intellectuelle) verstoßen, nachdem sie die Klage von Herrn Wehrkamp-Richter, mit der dieser die Rückerstattung des Gesamtbetrags in Höhe von 6 000 EUR erlangen wollte, den er gemäß dem Urteil des Tribunal de grande instance von Limoges vom 13. März 1997 wegen Verletzung der Ansprüche 1, 3, 4 und 5 des Patents Nr. 87-03 865, das durch das Urteil der Cour d'appel von Limoges vom 10. September 2001 bestätigt wurde, gezahlt hatte, abgewiesen hat, danach jedoch feststellte, dass die vorgenannten Patentansprüche mit dem Urteil des Tribunal de grande instance von Lyon vom 15. Juni 2000 für nichtig erklärt worden waren und die Cour d'appel von Lyon mit Urteil vom 21. Februar 2002 die Nichtigerklärung bestätigt hatte.
Aus der Feststellung, dass Herr Wehrkamp-Richter rechtskräftig wegen einer Patentverletzung verurteilt wurde, zog die Cour d'appel jedoch zu Recht den Schluss, dass die rückwirkende und vollständige Aufhebung des Patents, soweit sie die mit einer späteren Entscheidung verfügte Nichtigerklärung der Ansprüche betrifft, nicht die Erstattung der in Ausführung der Verurteilung vom Patentverletzer gezahlten Beträge rechtfertigt. Der Rechtsmittelgrund ist unbegründet.
ENTSCHEIDUNGSTENOR:
Die Revision wird VERWORFEN.
Herr Wehrkamp-Richter trägt die Kosten des Verfahrens.
Gestützt auf Artikel 700 der Zivilprozessordnung (Code de procédure civile) werden Herr Guitay und die Firma LPG Systems zur Zahlung des Gesamtbetrags von 2 500 EUR verurteilt. Die von Herrn Wehrkamp-Richter eingereichte Klage wird abgewiesen.
Für Recht erkannt und entschieden von der in Vollversammlung tagenden Cour de cassation und verkündet durch den Gerichtspräsidenten in öffentlicher Sitzung am 17. Februar 2012.
EINZIGER KASSATIONSGRUND
Gegen das angefochtene Urteil wird vorgebracht, dassdurch Bestätigung des ergangenen Urteils die Klage von Herrn Wehrkamp-Richter abgewiesen wurde, Herrn Guitay und die Firma LPG Systems als Gesamtschuldner zur Erstattung des Betrags von 6000 EUR zuzüglich der gesetzlichen Zinsen zu verurteilen, was den Beträgen entspricht, die in Vollzug des gegen ihn wegen Verletzung der Ansprüche 1, 3, 4 und 5 des später für nichtig erklärten Patents Nr. 87-03 865 ergangenen Urteils gezahlt wurden.
Entscheidungsgründe der Vorinstanz:"Es ist festzustellen, dass das Bestehen einer Patentverletzung durch Herrn Wehrkamp-Richter und Herrn Andrieux in Bezug auf den flachen Massagekopf, der Gegenstand des Patents Nr. 87-03 865 von Herrn Guitay ist (Verletzung der Patentansprüche 1 bis 5), durch ein Urteil des Tribunal de grande instance von Limoges vom 13. März 1997 festgestellt und durch ein Urteil der Cour d'appel von Limoges vom 10. September 2001 bestätigt wurde, und dass unterdessen das Tribunal de grande instance von Lyon mit Urteil vom 15. Juni 2000 die Patentansprüche 1 bis 5 des unter der Nr. 87-03 865 eingetragenen Patents für nichtig erklärt hat und diese Nichtigerklärung mit Urteil vom 21. Februar 2002 bestätigt wurde. Herr Wehrkamp-Richter macht geltend, dass er dem Urteil des Tribunal de grande instance von Limoges und dem Urteil der Cour d'appel von Limoges nachgekommen ist und den Gesamtbetrag von 6 000 EUR gezahlt hat. Der Anwendungsbereich der Entscheidung zur Nichtigerklärung ist in Artikel L. 613-27 des Gesetzes über das geistige Eigentum geregelt, demzufolge 'die Entscheidung zur Nichtigerklärung eines Erfindungspatents vorbehaltlich des Einspruchs Dritter unbeschränkte Wirkung hat'. Daraus folgt, dass sobald die Entscheidung zur Nichtigerklärung rechtskräftig geworden ist, das Patent gegenüber jedermann endgültig aufgehoben ist. Ein rechtskräftig wegen einer Patentverletzung Verurteilter kann sich jedoch weder der ergangenen Verurteilung entziehen, indem er rückwirkend die später durch eine andere Person erwirkte Entscheidung zur Nichtigerklärung geltend macht, noch kann er die Erstattung des von ihm geleisteten Schadenersatzes durchsetzen. Der Berufungskläger verweist auf die jüngste Rechtsprechung, der zufolge 'eine Cour d'appel zu Recht davon ausgehen kann, dass dem Schadenersatzverfahren jede Rechtsgrundlage entzogen ist, sobald eine Nichtigerklärung eines Patents seine Tilgung am Tag der Abgabe der Patentanmeldung bewirkt'. Im vorliegenden Fall war der Schadenersatz jedoch nicht Gegenstand einer endgültigen Entscheidung und wurde noch nicht einmal gerichtlich verhandelt, sondern allein der Umstand der Patentverletzung wurde endgültig festgestellt. Da der Schadenersatz endgültig geleistet wurde, ist die Begründung hinsichtlich des Entzugs einer Rechtsgrundlage nicht anwendbar und das ergangene Urteil ist zu bestätigen, soweit damit die Klage von Herrn Wehrkamp-Richter, mit der die Rückerstattung einer nicht geschuldeten Zahlung erwirkt werden sollte, aufgrund der Rechtskraft der entschiedenen Sache abgewiesen wurde" (angefochtenes Urteil S. 8 letzter Absatz bis S. 9 drittletzter Absatz).
Erstinstanzliche Entscheidungsgründe:"Gemäß Artikel L. 613-27 Absatz 1 des französischen Gesetzes über geistiges Eigentum 'hat die Nichtigerklärung eines Erfindungspatents vorbehaltlich des Einspruchs Dritter unbeschränkte Wirkung'. Diese Bestimmung, aus der sich die endgültige Nichtigerklärung des Patents und der aufgrund dieses Patents erfolgten Nutzungshandlungen wegen Gegenstandslosigkeit gegenüber jedermann ableitet, kann jedoch nicht die Wirkungen von rechtskräftig gewordenen Urteilen gegenüber Dritten wegen Patentverletzungen infrage stellen (siehe insbesondere: Cour d'appel von Paris – 4. Kammer, 29. September 1995 und Cour de cassation, Handelskammer, 27. Januar 1998; Cour de cassation, Handelskammer, 28. Januar 2003). Im vorliegenden Fall wurde Herr Wehrkamp-Richter mit Urteil der Cour d'appel von Limoges vom 10. September 2001 rechtskräftig wegen Patentverletzung verurteilt. Die spätere Nichtigerklärung der Ansprüche 1 bis 7 des Patents, dessen Inhaber Herr Guitay war, durch das Urteil der Cour d'appel von Lyon vom 21. Februar 2002 vermag die Wirkungen der rechtskräftigen Entscheidung nicht infrage zu stellen" (angefochtenes Urteil S. 6 Absätze 3 bis 6).
Somit ist festzustellen: Die rückwirkend und unbeschränkt geltende Entscheidung zur Nichtigerklärung eines Erfindungspatents entzieht der vorher ergangenen Verurteilung wegen Verletzung des aufgehobenen Patents die Rechtsgrundlage, und dies auch gegenüber einem Dritten in einem Aufhebungsverfahren. Diese Entscheidung bewirkt, dass Zahlungen, mit denen einer solchen Verurteilung nachgekommen wird, unbegründet sind, auch wenn die Verurteilung uneingeschränkt rechtskräftig geworden ist, und eröffnet Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Beträge. Die Cour d'appel hat keine rechtlichen Schlussfolgerungen aus ihren eigenen Feststellungen gezogen und gegen die Artikel 1235 und 1376 des französischen Zivilgesetzbuchs (Code civil) sowie Artikel L. 613-27 des Gesetzes über das geistige Eigentum (Code de la propriété intellectuelle) verstoßen, nachdem sie die Klage von Herrn Wehrkamp-Richter, mit der dieser die Rückerstattung des Gesamtbetrags in Höhe von 6 000 EUR erlangen wollte, den er gemäß dem Urteil des Tribunal de grande instance von Limoges vom 13. März 1997 wegen Verletzung der Ansprüche 1, 3, 4 und 5 des Patents Nr. 87-03 865, das durch das Urteil der Cour d'appel von Limoges vom 10. September 2001 bestätigt wurde, gezahlt hatte, abgewiesen hat, danach jedoch feststellte, dass die vorgenannten Patentansprüche mit dem Urteil des Tribunal de grande instance von Lyon vom 15. Juni 2000 für nichtig erklärt worden waren und die Cour d'appel von Lyon mit Urteil vom 21. Februar 2002 die Nichtigerklärung bestätigt hatte.