Rechtsprechung aus den Vertragsstaaten des EPÜ
I. PATENTIERBARKEIT
A. Patentfähige Erfindungen
1. Technischer Charakter einer Erfindung
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris vom 15. März 2006 (05/14785) - Cotranex v. Directeur Général de l'INPI
Schlagwort: Patentierbarkeit der Erfindung - Geschäftsmethode - technischer Charakter
Die Patentanmeldung betraf ein Verfahren und System zur Entschädigung von Versicherten in Form von Sachleistungen. Der Direktor des französischen Patentamts (INPI) vertrat die Auffassung, dass der Gegenstand der Patentanmeldung des Unternehmens C nicht als patentierbare Erfindung im Sinne des Gesetzes anzusehen war, und die Anmeldung wurde zurückgewiesen. Das Unternehmen C wendet sich gegen die Feststellung, dass seine Erfindung einen geschäftlichen Zweck verfolge, und die sich daraus ergebende Zurückweisung seiner Patentanmeldung, deren Ansprüche ihm zufolge technische Mittel einsetzen.
Unter Hinweis auf Art. L. 611-10 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, dass die Art der durch das Patent zu lösenden Aufgabe und die erfindungsgemäße Lösung zu prüfen sind, um festzustellen, ob eine Patentanmeldung eine grundsätzlich patentierbare Erfindung oder im Gegenteil eine von der Patentierbarkeit ausgeschlossene gedankliche oder geschäftliche Methode betrifft. Die Patentanmeldung ermöglicht es Versicherungen, die Verwendung der den Versicherten ausgezahlten Entschädigungssummen zu überprüfen, um eine Zweckentfremdung zu verhindern, und den Versicherten, statt einer Geldsumme einen entsprechenden Ersatz für die verlorene oder beschädigte Sache zu erhalten. Nach Auffassung des Gerichts hat der Direktor des INPI zu Recht festgestellt, dass die Lösung dieser beiden Aufgaben geschäftlicher und nicht technischer Art ist.
Zum Lösungsvorschlag ist nämlich festzustellen, dass sich Anspruch 1 auf ein Verwaltungszentrum, einen Server und Verbindungen zwischen dem Verwaltungszentrum, den Versicherten und den Versicherungen bezieht. Dieses System setzt mehrere Wirtschaftsakteure miteinander in Verbindung (Verwaltungsstelle, Geschäftsleute, Versicherte und Versicherungen). Dass in Anspruch 1 der Einsatz eines "Servers" erwähnt wird, verleiht dem System noch keinen technischen Charakter, da dieses Mittel nicht als solches beschrieben und im Übrigen auch nicht mit der ihm eigenen Konfiguration, seiner Verwendung und der Art und Weise, wie es zur Pflege des Systems beiträgt, beansprucht wird. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 enthalten kein zusätzliches Merkmal, das auf die Lösung einer technischen Aufgabe schließen lasse.
So wird in Anspruch 8 zwar angegeben, wie der Server im Rahmen von Anspruch 1 zum Einsatz kommt, doch wird dieser Server nicht anhand von technischen Merkmalen beschrieben, sondern einzig und allein durch Hinweis auf die Verarbeitung von geschäftlichen Informationen. Der Einsatz dieser technischen Mittel verleiht der beanspruchten Erfindung keinen technischen Inhalt, den sie für sich genommen nicht aufweist.
Nach Auffassung des Gerichts hat der Direktor des INPI daher zutreffend festgestellt, dass dieses Verfahren nicht als Erfindung angesehen werden kann und somit im Sinne von Art. L. 611-10 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum nicht patentierbar ist. Die Klage des Unternehmens C wurde abgewiesen.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris vom 5. Juni 2009 (07/20589) - Kone v. A
Schlagwort: technischer Charakter
Die beanspruchte Erfindung betrifft ein System zur ferngesteuerten Wartung einer Reihe von in Gebäuden eingebauten Anlagen wie Aufzüge, Lüftungs- und Zentralheizungssystemen oder automatischen Parkgaragentoren.
Das Bezirksgericht Paris hat die Klage des Unternehmens K auf Nichtigerklärung des französischen Patents Nr. 2 814 901, dessen Inhaber Herr A ist, wegen mangelnder Neuheit bzw. hilfsweise wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit mit Urteil vom 23. Oktober 2007 abgewiesen.
Gegen dieses Urteil legte das Unternehmen K Berufung ein und beantragte die Nichtigerklärung des Patents insbesondere mit der Begründung, dass es keine Erfindung beinhalte, sondern lediglich eine nichttechnische Lösung für eine wirtschaftliche Aufgabenstellung. Zur Gültigkeit von Anspruch 1 bringt der Kläger im Wesentlichen vor, Gegenstand dieser Erfindung sei ein auf dem Gebiet der geschäftlichen Tätigkeiten angesiedeltes Verwaltungssystem, das es dem Verwalter ermöglichen solle, sich selbst von der ordnungsgemäßen Erfüllung des Wartungsvertrags zu vergewissern; die zu lösende Aufgabe sei somit nicht technischer, sondern rein geschäftlicher Art; das Übermitteln von Informationen über Funktionsfehler der Anlagen, die von mit zwei Rechnern versehenen Überwachungseinheiten festgestellt würden, sei zum Zeitpunkt der Anmeldung des Patents bekannt gewesen. Der einzige Beitrag der Erfindung bestehe somit darin, eine geschäftliche Aufgabe dadurch zu lösen, dass beiden Vertragspartnern dieselben Informationen über die Ausführung eines Wartungsvertrags übermittelt würden.
Zum Vorliegen einer Erfindung im Sinne von Art. L. 611-10 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum stellte das Berufungsgericht Paris fest, dass das Unternehmen K sowohl die mit der Erfindung zu lösende Aufgabe als auch das mit ihr erzielte Ergebnis verkennt. Wie der Beklagte betont, muss ein Anspruch nämlich als Ganzes beurteilt werden, um zu ermitteln, ob das Gebiet, in das sein Gegenstand fällt, grundsätzlich von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, und ob er einen technischen Charakter aufweist. Vorliegend betrifft die zu lösende Aufgabe die unzulänglichen Informationen, über die der Verwalter der Anlagen zu deren Funktionieren und die Reaktion der Wartungsfirma auf Störungen verfügt.
Die Erfindung, die Gegenstand von Anspruch 1 ist, soll dem Verwalter Mittel an die Hand geben, um das Funktionieren der Anlagen kontrollieren und die Einsätze der Wartungsfirma verfolgen zu können. Es geht darum, ihn mit den technischen Informationsmitteln auszustatten, die es ihm ermöglichen, diese Kontrolle auszuüben; in diesem Stadium spielt es keine Rolle, ob diese technischen Mittel zum Zeitpunkt der Einreichung der Patentanmeldung einzeln oder in Verbindung miteinander bekannt waren. Das durch die Kombination der beanspruchten Mittel erzielte Ergebnis besteht darin, dass dem Verwalter von den Überwachungseinheiten vor Ort möglichst vollständige technische Informationen übermittelt werden, da es sich um dieselben Informationen handelt, die auch die Wartungsfirma erhält. Zwar kann sich der Verwalter anhand dieser Daten außerdem von der ordnungsgemäßen Erfüllung der im Wartungsvertrag festgelegten Verpflichtungen vergewissern, doch ist dies nur eine mögliche Verwertung des Ergebnisses, die an dessen Natur nichts ändert. Die beanspruchte Erfindung ist somit nach Auffassung des Berufungsgerichts tatsächlich eine Erfindung im Sinne von Art. L. 611-10 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum.
Das Berufungsgericht wies daher die Einwände der unzureichenden Beschreibung und mangelnden Neuheit zurück, erklärte Anspruch 1 jedoch wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig.
FR Frankreich
Kassationsgerichtshof vom 10. November 2009 (08-18218) - Syrdrec v. Groupement Carte Bleue
Schlagwort: technischer Charakter
Das Berufungsgericht Toulouse hat mit dem angefochtenen Urteil vom 28. Mai 2008 festgestellt, dass das Unternehmen S Inhaber des französischen Patents Nr. 9 107 639 für ein "Bezahlsystem" ist. Das Unternehmen O habe dann ein europäisches Patent für ein "Kreditkartensystem und -verfahren" erhalten, ... das vom Unternehmen G im Rahmen der Online-Bezahlfunktion "e-carte bleue" verwendet wurde. Das Unternehmen S verklagte G wegen Verletzung seines Patents.
Mit seiner Revision wandte sich das Unternehmen S insbesondere gegen die Nichtigerklärung der Ansprüche 1 und 7 des französischen Patents Nr. 9 107 639 durch das Berufungsgericht. S brachte vor, dass Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten als solche zwar nicht patentierbar seien, wohl aber die technische Anwendung derartiger Verfahren. Das Berufungsgericht habe festgestellt, dass sich das Patent des Unternehmens S darauf beschränke, Grundsätze aufzustellen, ohne die technischen Mittel zur Ausführung der Erfindung darzulegen. Es sei auf das Vorbringen des Unternehmens S nicht eingegangen, das nachgewiesen habe, dass die zu verwendenden technischen Mittel im Patent angegeben seien: nämlich eine Karte mit ganz bestimmten Merkmalen, Online-Kommunikationsmittel, eine Rechen- und Steuereinheit, eine funktionelle Bearbeitungssequenz für die Transaktionen sowie Signale für Annahme oder Ablehnung. Damit habe das Berufungsgericht gegen Art. 455 franz. Zivilprozessordnung verstoßen.
Der Kassationsgerichtshof urteilte jedoch, dass das Berufungsgericht in seinem Urteil festgestellt hatte, dass im Patent zwar die erwarteten Ergebnisse genannt würden, seine Funktionsweise jedoch in keiner Weise erläutert werde. Es würden somit lediglich Grundsätze aufgestellt, ohne die technischen Mittel zur Ausführung der Erfindung darzulegen. Im Urteil des Berufungsgerichts heiße es ferner, dass die Beschreibung nichts weiter sei als eine "Umschreibung" der generell bei den ins Auge gefassten Transaktionen zu erfüllenden Vorgaben und dass jeder Systementwickler im Hinblick auf die elektronische Verwaltung dieser logischen Vorgaben eine Datenbank verwenden müsse, die ein Verzeichnis der Käufer in einer Tabelle ohne Dubletten umfasse. Angesichts dieser Feststellungen sowie insbesondere auch der Tatsache, dass der Kläger (das Unternehmen S) in seinen Klageanträgen weder den Einsatz von Online-Kommunikationsmitteln noch den Grundsatz einer Rechen- und Steuereinheit beansprucht hatte, stellte der Kassationsgerichtshof fest, dass sich das Berufungsgericht sehr wohl zu den angeblich übergangenen Anträgen geäußert und die Patentierbarkeit einer technischen Anwendung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern festgestellt hat, dass eine solche vorliegend fehle. Damit hat es seine Entscheidung, die angefochtenen Ansprüche für nichtig zu erklären, begründet.
SE Schweden
Patentbeschwerdegericht Stockholm (Patentbesvärsrätten) vom 6. Februar 2009 - Rs. 04-329
Schlagwort: technischer Charakter - Kartenspiele
Im vorliegenden Fall bestand die Erfindung in einem speziellen Hilfsmittel für Personen, denen Lesen, Buchstabieren und die Worterkennung Schwierigkeiten bereiten, das ihnen durch eine besondere Trennung der Wörter in ihre Bestandteile helfen sollte, phonologische Bewusstheit zu entwickeln. Hierfür umfasste das Hilfsmittel eine Reihe von Kartenspielen mit mehreren Karten, die jeweils auf einer Seite mit einem Wort beschriftet waren.
Das schwedische Patentamt hatte die Anmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, die beanspruchte Erfindung sei nichts weiter als eine Wiedergabe von Informationen und als solche nicht patentierbar. Mit seiner Beschwerde gegen diese Entscheidung machte der Anmelder geltend, dass die beanspruchte Erfindung eine Lernhilfe in Form mehrerer mit Worten beschrifteter Karten beinhalte, die zu pädagogischen Zwecken eingesetzt werden sollten und nicht – wie vom Patentamt behauptet – einfach nur der Wiedergabe von Informationen dienten. Zur Untermauerung seines Standpunkts berief sich der Anmelder auf das Beispiel einer ähnlichen Erfindung, auf die das EPA ein Patent erteilt habe (siehe EP 1 007 168 B1 "Vorrichtung zum Spielen eines Spiels").
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts bezog sich Anspruch 1 auf ein Hilfsmittel, bestehend aus "einer Reihe von Kartenspielen, die mehrere Karten umfassen, die jeweils auf einer Seite mit einem Wort [beschriftet] sind". Die Merkmale "Kartenspiele" und "Karten", wie sie aufgrund der Beschreibung zu verstehen seien, seien physischer und somit technischer Natur. Die Beschriftung jeder Karte mit einem Wort sei ebenfalls als technisch anzusehen. Während die übrigen Merkmale nicht-technisch seien und nach Auffassung des Gerichts offenbar keine technische Wirkung beinhalteten, umfasse das in Anspruch 1 definierte Hilfsmittel technische Merkmale, so dass ihm als Ganzes technischer Charakter zuzusprechen sei, ganz unabhängig davon, ob die technischen Merkmale für den Fachmann bei der Abgrenzung des Hilfsmittels vom Stand der Technik hilfreich seien oder nicht. Das beanspruchte Hilfsmittel wurde daher als Erfindung im Sinne des Art. 52 (1) EPÜ gewertet.
Die technischen Merkmale des Hilfsmittels gingen jedoch nicht über die aus dem Stand der Technik bekannten Merkmale hinaus, die ebenfalls ein Kartenspiel kennzeichneten, das dazu konzipiert und somit geeignet war, zu pädagogischen Zwecken eingesetzt zu werden und insbesondere dazu, Kindern dabei zu helfen, lesen, buchstabieren und logisch denken zu lernen. Die Patentanmeldung wurde wegen mangelnder Neuheit zurückgewiesen.
2. Computerimplementierte Erfindungen
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 24. Mai 2004 (X ZB 20/03) - Elektronischer Zahlungsverkehr
Schlagwort: technischer Charakter - computerimplementierte Erfindungen
Die Erfindung betraf ein Verfahren zur gesicherten Durchführung einer Transaktion im elektronischen Zahlungsverkehr im Internet. Der Anmeldung war zu entnehmen, dass beim „electronic banking" über Internetverbindungen zwischen dem Kunden und seinem Kreditinstitut zur Sicherung der Datenübertragung Verschlüsselungstechniken verwendet werden, die gegen unberechtigte Angriffe weitestgehend resistent sind. Zwischen dem Computer des Anbieters und demjenigen des Kunden werden hingegen nur bestellrelevante Daten übermittelt, die für Dritte vergleichsweise wertlos sind.
In der Vorinstanz hatte das BPatG vertreten, dass im Vordergrund des Verfahrens keine technische Lehre, sondern ein geschäftliches Zahlungsmodell steht. Der BGH konnte hingegen die erforderliche Technizität im Streitfall nicht verneinen, da bei der angemeldeten Lehre das Problem betroffen ist, bestimmte schützenswerte Daten von einem Ort zu einem anderen zu schaffen, die ohne den Lösungsvorschlag über eine unsichere Leitung weitergegeben werden müssten. Ein Verfahren, das der Abwicklung eines im Rahmen wirtschaftlicher Betätigung liegenden Geschäfts mittels Computer dient, ist allerdings nur dann patentierbar, wenn der Patentanspruch über den Vorschlag hinaus, für die Abwicklung des Geschäfts Computer als Mittel zur Verarbeitung verfahrensrelevanter Daten einzusetzen, weitere Anweisungen enthält, denen ein konkretes technisches Problem zu Grunde liegt, so dass bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit eine Aussage darüber möglich ist, ob eine Bereicherung der Technik vorliegt, die einen Patentschutz rechtfertigt.
Insofern folgte der BGH seiner Entscheidung vom 17.10.2001 - Suche fehlerhafter Zeichenketten. Eine Aufgabe, die sich im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit stellt, die abgewickelt werden soll, ist - auch wenn sie im Vorfeld technischer Maßnahmen gelöst werden muss - für sich nicht genügend. Das folgt aus dem Zweck des Patentrechts, ausschließlich erfinderische Problemlösungen auf dem Gebiet der Technik durch ein zeitlich beschränktes Ausschließlichkeitsrecht zu fördern. Dabei kommt es auch nicht auf die Bekanntheit des Lösungsmittels "electronic banking" an, welche die Frage der Patentierungsvoraussetzungen und nicht die Frage des Patentierungsausschlusses berührt. Denn auch bei computerbezogenen oder Datenverarbeitung nutzenden Lehren darf die Wertung, ob ein konkretes technisches Problem besteht und gelöst wird oder ob mangels eines solchen ein gesetzlicher Patentierungsausschluss greift, im Ergebnis nicht davon abhängen, ob der angemeldete Gegenstand neu und erfinderisch ist.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 19. Oktober 2004 (X ZB 34/03) - Rentabilitätsermittlung
Schlagwort: technischer Charakter - computerimplementierte Erfindungen
Der BGH entschied, dass ein Verfahren, bei dem mittels automatischer Erfassung und Übertragung von Betriebsdaten eines ersten medizintechnischen Gerätes an eine zentrale Datenbank sowie der Ermittlung von Vergütungsdaten und kalkulatorischen Kosten die Rentabilität der Anschaffung eines zweiten medizintechnischen Gerätes errechnet wird, als solches nicht dem Patentschutz zugänglich ist.
Nach der BGH-Rechtsprechung ist ein Verfahren, das sich zur Herbeiführung des angestrebten Erfolges eines Programms bedient, mit dessen Hilfe eine Datenverarbeitungsanlage so gesteuert wird, dass der gewünschte Erfolg erzielt wird, nicht schon wegen des Vorgangs der elektronischen Datenverarbeitung dem Patentschutz zugänglich. Da das Gesetz Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche vom Patentschutz ausschließt (§ 1 (2) Nr. 4 und § 1 (3) PatG), muss die beanspruchte Lehre vielmehr Anweisungen enthalten, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen (BGH v. 24.5.2004 - Elektronischer Zahlungsverkehr; BGH v. 17.10.2001 - Suche fehlerhafter Zeichenketten).
Im vorliegenden Fall stellte der BGH klar, dass sowohl der technische Charakter des Gerätes, dessen Rentabilität ermittelt werden soll, als auch die Technizität der zur Datenverarbeitung verwendeten Systemkomponenten außer Zweifel stehen. Daraus ergibt sich aber noch kein technisches Problem, das mit den Merkmalen des beanspruchten Verfahrens gelöst würde. Die automatische Datenermittlung und -übertragung verleiht dem beanspruchten Verfahren keinen technischen Charakter. Denn diese Maßnahmen lassen sich nur dem allgemeinen Problem zuordnen, die für das angestrebte betriebswirtschaftliche Ergebnis relevanten Daten mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung selbsttätig zu ermitteln und zu übertragen. Das stellt aber kein konkretes technisches Problem im Sinne der Rechtsprechung dar. Denn es geht nicht über die gerade nicht genügende allgemeine Zielsetzung hinaus, sich zur Erreichung eines außertechnischen Ergebnisses der elektronischen Datenverarbeitung und -übertragung zu bedienen. Dementsprechend enthält der Anspruch auch kein Lösungsmittel, das über die Anweisung an den Fachmann hinausginge, die Datenermittlung und -übertragung "automatisch" vorzunehmen.
DE Deutschland
Bundespatentgericht vom 10. Februar 2005 (17 W (pat) 46/02) - Transaktion im elektronischen Zahlungsverkehr II
Schlagwort: technischer Charakter - computerimplementierte Erfindungen
Die streitige Anmeldung betraf ein Verfahren zur gesicherten Durchführung einer Transaktion im elektronischen Zahlungsverkehr auf Grund der Anweisung, zur Übermittlung des Überweisungsdatensatzes ein elektronisches Zahlungssystem zu benutzen. In seinem Vorbeschluss war das BPatG der Auffassung, dass im Vordergrund des streitigen Verfahrens ein geschäftliches Zahlungsmodell und nicht eine technische Lehre stehe. Der BGH hatte die Sache an das BPatG zurückverwiesen, da die Technizität der angemeldeten Lehre nicht verneint werden könne (siehe Zusammenfassung der BGH-Entscheidung vom 24.05.2004 - Elektronischer Zahlungsverkehr in diesem Bericht).
In der Folgeentscheidung Transaktion im elektronischen Zahlungsverkehr II bejahte das BPatG die Technizität des Verfahrens, wobei es erkannte, dass die Bereicherung der Technik allein in der Anweisung, zur Übermittlung des Überweisungsdatensatzes ein elektronisches Zahlungssystem zu benutzen, bestehe.
Das BPatG kam jedoch zu dem Ergebnis, dass das Verfahren nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Die Verwendung eines an sich bekannten elektronischen Zahlungssystems sei dem zuständigen Fachmann nahegelegt. In seiner Begründung ging das BPatG von den Ausführungen des BGH in der Entscheidung Elektronischer Zahlungsverkehr aus, dass bei der Prüfung computerimplementierter Verfahren auf erfinderische Tätigkeit lediglich die (weiteren) Anweisungen eines Anspruchs zu Grunde zu legen sind, die die Aussage ermöglichen, dass eine Bereicherung der Technik vorliegt; damit solle sichergestellt werden, dass sich die Feststellung erfinderischer Tätigkeit auf der Grundlage vollziehe, derentwegen der angemeldete Gegenstand eine Lehre zum technischen Handeln darstelle. Da im vorliegenden Fall allein der in Merkmal b) des Anspruchs angegebenen "Verwendung eines an sich bekannten elektronischen Zahlungssystems (electronic banking)" zur Übermittlung des (vollständigen) Überweisungsdatensatzes vom Computer des Kunden an den Computer seines Kreditinstituts eine konkrete technische Problemstellung zugrunde liege, sei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit allein diese Anweisung zugrunde zu legen. Die anderen Aspekte des Verfahrens, die sich mit der Abfolge der Zahlungsschritte unter Einschaltung einer neutralen Instanz unter Verwendung von Schlüsselinformationen und eines automatisch erzeugten Überweisungsdatensatzes befassten, seien durch geschäftliche Erwägungen bestimmt und somit für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit unbeachtlich (unter Verweis auf T 258/03, ABl. EPA 2004, 575).
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 19. Mai 2005 (X ZR 188/01) - Aufzeichnungsträger
Schlagwort: technischer Charakter - computerimplementierte Erfindungen
Das Streitpatent betraf in Patentanspruch 1 ein Verfahren zum Umkodieren einer Folge Datenbits in eine Folge Kanalbits und in Patentanspruch 11 einen Aufzeichnungsträger mit einer gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1 erzeugten Informationsstruktur. Der Kläger war der Auffassung, Patentanspruch 1 (und damit auch Patentanspruch 11) betreffe die Wiedergabe von Informationen und sei daher nach § 1 (2) Nr. 4 PatG nicht als Erfindung anzusehen. Der BGH lehnte diese Ansicht ab und entschied, dass sowohl das Problem des Streitpatents als auch die Mittel zu seiner Lösung technischer Natur sind. Letztere bestehen aus einem Umkodierungsverfahren, das zu einer Aufzeichnungsstruktur mit physikalischen Eigenschaften führt, die die optische Auswertbarkeit der mittels dieser Aufzeichnungsstruktur gespeicherten Informationen verbessern. Daraus ergibt sich zugleich, dass Patentanspruch 11 auf eine Lehre zum technischen Handeln und damit auf eine Erfindung i. S. des § 1 PatG gerichtet ist.
Dass ein Verfahren oder eine Vorrichtung die Wiedergabe von Informationen betrifft, steht einem Patentschutz für das Verfahren oder die Vorrichtung nicht entgegen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die beanspruchte Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen. Ist dies der Fall, kommt es nicht darauf an, ob der Patentanspruch auch auf die Verwendung eines Algorithmus, einen im geschäftlichen Bereich liegenden Zweck oder den Informationscharakter des Verfahrensergebnisses oder der beanspruchten Sache abstellt (vgl. auch T 517/97, ABl. EPA 2000, 515). Insofern gilt nichts anderes als für Verfahren, die sich zur Herbeiführung des angestrebten Erfolges eines Datenverarbeitungsprogramms bedienen.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 20. Januar 2009 (X ZB 22/07) - Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten
Schlagwort: Ausnahmen von der Patentierbarkeit - computerimplementierte Erfindungen - technische und nichttechnische Merkmale
Der Gegenstand der streitigen Anmeldung betraf ein Verfahren zur Verarbeitung medizinisch relevanter Daten im Rahmen einer durchzuführenden Untersuchung eines Patienten. Es war dadurch gekennzeichnet, dass ein in einer Datenverarbeitungseinrichtung abgelegtes Programmmittel anhand von eingegebenen symptomspezifischen und/oder diagnosespezifischen Informationen unter Verwendung einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank eine oder mehrere zur Untersuchung des Patienten durchzuführende Untersuchungsmodalitäten auswählte. Diese Untersuchungsmodalitäten wurden an eine Wiedergabeeinrichtung ausgegeben, wobei zu einer bestimmten Untersuchungsmodalität ein oder mehrere die Untersuchung definierende Untersuchungs- oder Messprotokolle durch die Datenbank ausgewählt und ausgegeben wurden. Das DPMA hatte die Anmeldung zurückgewiesen. Auch das BPatG hatte die Beschwerde wegen mangelnder Patentierbarkeit zurückgewiesen. Es vertrat dabei die Ansicht, das angemeldete Verfahren unterfalle dem Ausschluss vom Patentschutz, soweit es die richtige Auswahl von Untersuchungsmodalitäten (z. B. Röntgenuntersuchung, Computertomografie, Magnetresonanz) und gegebenenfalls die zweckmäßige Reihenfolge ihrer Anwendung bei einem Patienten durch ein Programmmittel unter Einsatz einer symptom- und/oder diagnosebasierten Datenbank betreffe.
Die Anmelderin hatte im Verfahren vor dem BGH Erfolg, was zur Zurückweisung der Sache an das BPatG führte. Unerheblich für das Technizitätserfordernis war nach Ansicht des Gerichts, ob der Gegenstand einer Anmeldung, wie es nach den getroffenen Feststellungen hier der Fall war, neben technischen Merkmalen auch nichttechnische aufwies. Die auf der sogenannten Kerntheorie beruhende Rechtsprechung zur Abgrenzung nicht schutzfähiger Kombinationen, auf die sich das Patentgericht für seinen gegenteiligen Ansatz berufen hatte, war bereits überholt. Ob Kombinationen von technischen und nichttechnischen Merkmalen im Einzelfall patentfähig waren, hing insoweit allein davon ab, ob sie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
Nach der BGH-Rechtsprechung muss eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch Software realisiertes Verfahren zum Gegenstand hat, über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten, welche die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben. Wegen des Patentierungsausschlusses von Computerprogrammen als solchen vermögen regelmäßig erst solche Anweisungen die Patentfähigkeit eines Verfahrens zu begründen, welche eine Problemlösung mit solchen Mitteln zum Gegenstand hat. Nicht der Einsatz eines Computerprogramms selbst, sondern die Lösung eines solchen Problems mit Hilfe eines (programmierten) Computers kann vor dem Hintergrund des Patentierungsverbotes eine Patentfähigkeit zur Folge haben. Jedenfalls dann, wenn das sich einer Datenverarbeitungsanlage bedienende Verfahren in den Ablauf einer technischen Einrichtung eingebettet ist (wie etwa bei der Einstellung der Bildauflösung eines Computertomografen), entscheidet über die Patentierung nicht das Ergebnis einer Gewichtung technischer und nichttechnischer Elemente. Maßgebend ist vielmehr, ob die Lehre bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Lösung eines über die Datenverarbeitung hinausgehenden konkreten technischen Problems dient.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 22. April 2010 (Xa ZB 20/08) - Dynamische Dokumentengenerierung
Schlagwort: Ausnahmen von der Patentierbarkeit - nichttechnische Merkmale
Die deutsche Patentanmeldung beanspruchte ein Verfahren zur dynamischen Generierung strukturierter Dokumente (z. B. im HTML-Format) auf einem Client-Server System; dabei wurde ein Verfahren beschrieben, das es einem vom Client angeforderten strukturierten Dokument ermöglichte, auch auf Servern mit beschränkten Ressourcen dynamisch generiert zu werden. Das BPatG hatte entschieden, das beanspruchte Verfahren gehöre nicht zum Gebiet der Technik, sondern basiere auf "konzeptionellen Überlegungen". Die Rechtsbeschwerde zum BGH machte geltend, die Verneinung der Technizität sei eine von der Wirklichkeit nicht gedeckte Fiktion und Computerprogramme seien per se technisch.
In dem vorliegenden Beschluss hob der BGH nun die Entscheidung des Bundespatentgerichts auf und verwies die Sache zurück, damit eine Entscheidung zur Neuheit und Erfindungshöhe getroffen werden kann. Zur Frage der Technizität hielt der BGH an der ständigen Rechtsprechung fest, dass es unerheblich sei, ob der Gegenstand einer Anmeldung neben technischen Merkmalen auch nichttechnische aufweist und welche dieser Merkmale die beanspruchte Lehre prägen. Daher komme es auch bei einem Verfahrensanspruch nicht darauf an, ob die Erfindung (prinzipielle) Abwandlungen der Arbeitsweise der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehre. Es genüge vielmehr, dass sie die Nutzung solcher Komponenten lehre und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gebe. Daher sei ein Verfahren, das das unmittelbare Zusammenwirken der Elemente eines Datenverarbeitungssystems (hier: eines Servers mit einem Client zur dynamischen Generierung strukturierter Dokumente) betreffe, stets technischer Natur, ohne dass es darauf ankäme, ob es in der Ausgestaltung, in der es zum Patent angemeldet wird, durch technische Anweisungen geprägt sei.
Ein solches Verfahren sei nicht als Programm für Datenverarbeitungsanlagen vom Patentschutz ausgeschlossen. Der BGH verwies diesbezüglich auf seine gefestigte Rechtsprechung, wonach eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch ein Datenverarbeitungsprogramm verwirklichtes Verfahren zum Gegenstand hat, über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten muss, die die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben. Der BGH ergänzte nun im vorliegenden Fall, dass eine Lösung mit technischen Mitteln nicht nur dann vorliege, wenn Systemkomponenten modifiziert oder in neuartiger Weise adressiert werden. Es reiche vielmehr aus, wenn der Ablauf eines Datenverarbeitungsprogramms, das zur Lösung des Problems eingesetzt wird, durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt werde oder wenn die Lösung gerade darin bestehe, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nehme.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 20. November 2007 (01/11641) - Infomil v. Atos
Schlagwort: Patentierbarkeit - computerimplementierte Erfindungen - erfinderische Tätigkeit - Fachmann
Das französische Patent Nr. 97 08712 betrifft ein computergestütztes Geschäftsverfahren und insbesondere "eine Kassiervorrichtung sowie ein Kassierverfahren und -system auf DV-Basis zum automatischen Ausstellen von Gutscheinen". Mit den von der Patentinhaberin hergestellten und vertriebenen Datensystemen können Supermärkte an ihre Kunden auf den Kassenzetteln aufgedruckte Einkaufsgutscheine ausgeben. Nachdem die Patentinhaberin festgestellt hatte, dass Wettbewerberinnen ein ähnliches System vertrieben, verklagte sie diese wegen Verletzung ihres Patents.
Die Gesellschaften, die angeblich das Patent verletzten, machten zu ihrer Verteidigung geltend, dass das französische Patent nichtig sei. Zunächst einmal sei die Erfindung nicht patentfähig (Art. L. 611 - 10 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum), weil sie sich nur auf das Gebiet der Wirtschaft und des Handels beziehe und ihr jeglicher technische Charakter fehle. Mit dem Patent werde der Inhalt von Kunden-, Merkmals- und Vergünstigungsdateien der Supermärkte geschützt.
Nach Auffassung des Gerichts lag der Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit jedoch nicht vor. Das Patent schütze ein Verfahren und eine Vorrichtung, die ein Datensystem beschrieben. Diese in ein Kassiersystem integrierte Struktur erlaube es, durch Abgleich der in den oben genannten Dateien enthaltenen Daten auf die Kassenzettel aufgedruckte Einkaufsgutscheine an die Kunden auszugeben. Diese Struktur falle nicht unter den Patentierbarkeitsausschluss, ganz unabhängig davon, ob das Ergebnis der Erfindung darin bestehe, "eine kommerzielle Vergünstigung einzuräumen und zum Marketing eines Supermarkts beizutragen".
In zweiter Linie machten die der Patentverletzung bezichtigten Gesellschaften geltend, das Patent sei wegen fehlender gewerblicher Anwendbarkeit, mangelnder Neuheit und unzureichender Beschreibung nichtig. Nach Auffassung des Gerichts waren die entsprechenden Patentierbarkeitsvoraussetzungen jedoch gegeben, sodass es diese Anträge kurz und bündig zurückwies.
Schließlich beriefen sich die Beklagten auf mangelnde erfinderische Tätigkeit. Als Stand der Technik wurde das am 6. Mai 1992 angemeldete europäische Patent Catalina (EP 0 512 509) angeführt. Das Gericht gelangte zu der Auffassung, dass die durch das französische Patent geschützte Struktur die gleiche sei wie diejenige im europäischen Patent Catalina. Die Neuerung im französischen Patent, die darin bestehe, "es zu ermöglichen, die unterschiedlichen Kassenzettel in der Weise zu personalisieren, dass die Bezahlung und die kommerziellen Vergünstigungen registriert und anschließend mehrere Arten von Kassenzetteln ausgegeben werden", setze keinerlei erfinderische Tätigkeit voraus. Der Fachmann würde diese Lösung ganz selbstverständlich vorschlagen und bräuchte lediglich "dieses Merkmal in den Inhalt einer der bereits vorhandenen Dateien einzuprogrammieren, um die betreffende Verbesserung zu erzielen". Die Erfindung werde durch den Stand der Technik nahegelegt; das französische Patent sei daher wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 19. März 2010 (08/01998) - Exalead v. Sinequa
Schlagwort: Ausnahmen von der Patentierbarkeit - computerimplementierte Erfindungen - Suchmaschine
Das Unternehmen E ist Inhaberin eines europäischen Patents, das eine Suchmaschine und ein Suchverfahren beinhaltet, mit denen ein Anwender auf benutzerfreundliche und transparente Weise frei zwischen Kategorien und Schlüsselwörtern navigieren kann. Es verklagt das Unternehmen S wegen Verletzung des französischen Teils seines europäischen Patents. Das Unternehmen S beantragt insbesondere, das Gericht möge die betreffende Erfindung für nicht patentierbar erklären.
Laut dem Unternehmen E zeigt eine Übersicht über die existierenden Suchmaschinen, dass es im Wesentlichen zwei Lösungsansätze gibt. Im Patent werde erklärt, dass sich Schlüsselwörter grundlegend von vordefinierten Kategorien unterschieden.
Das Unternehmen S macht seinerseits geltend, dass sich das beanspruchte Patent auf ein Suchverfahren beziehe, dem jeder technische Charakter fehle, da es sich rein gedanklich und ohne Einsatz irgendwelcher technischer Mittel durchführen lasse. Außerdem bestehe zwischen den Begriffen "Kategorien" und "Schlüsselwörter" keinerlei technischer Unterschied.
Demgegenüber erklärt das Unternehmen E, um die Patentierbarkeit dessen zu belegen, was es als Erfindung ansieht, dass diese die Lösung einer technischen Aufgabe bewirkt, indem sie es ermöglicht, in einer Datenbank treffendere Suchergebnisse zu erzielen. Sie stützt sich auch auf eine Mitteilung des EPA, aus der sie schließt, dass das EPA sie aufgefordert habe, eine technische Aufgabe zu formulieren.
Nach Auffassung des Gerichts beanstandete das EPA entgegen den Behauptungen des Unternehmens E nicht nur die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit, sondern auch den technischen Charakter der ihm unterbreiteten Erfindung und damit deren Patentierbarkeit.
Das Verfahren umfasst eine Kombination von theoretischen und abstrakten Schritten ohne Angabe einer Funktion oder von technischen Mitteln, die ihm technischen Charakter verleihen würden. Der Suchserver genügt im vorliegenden Fall nicht, um dem Gegenstand der Anmeldung technischen Charakter zu verleihen, und der durch die Ansprüche 1 bis 16 definierte Gegenstand betrifft somit trotz der Überschrift der Ansprüche 14 bis 16 ein Verfahren für gedankliche Tätigkeiten als solches.
Da sich die Beschreibung des beanspruchten Verfahrens darauf beschränkt, dessen Gegenstand zu nennen, ohne die zum Einsatz kommenden technischen Mittel anzugeben, und nur die dem Anwender zur Verfügung gestellten Ergebnisse und Möglichkeiten aufzählt, ohne die technischen Merkmale der Suchmaschine selbst anzugeben, ist dieses Verfahren nach Auffassung des Gerichts keine patentfähige Erfindung.
Daher werden sämtliche Anträge zurückgewiesen, ohne dass die angebliche Erweiterung des Patents und die mangelnde erfinderische Tätigkeit geprüft werden müssten, und der französische Teil des Patents wird für nichtig erklärt.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 27. Oktober 2006 - Aerotel Ltd v. Telco Holdings/Re Macrossan's Application [2006] EWCA Civ 1371
Schlagwort: Computerprogramme - ausgeschlossener Gegenstand - Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten
Über zwei Berufungsfälle, die gemäß Art. 52 EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossene Kategorien betrafen, nämlich computerimplementierte Erfindungen bzw. Geschäftsmethoden, wurde vor dem Court of Appeal gemeinsam verhandelt. In beiden Fällen war entschieden worden, dass die jeweilige Erfindung einen von der Patentierung ausgeschlossenen Gegenstand betreffe und somit nicht patentierbar sei.
Das Patent von Aerotel betraf ein System zum Telefonieren, bei dem Gespräche im Voraus bezahlt und später von einer beliebigen verfügbaren Telefonstation aus getätigt werden konnten. Das Patent wurde im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt. Gegenstand der Anmeldung von Macrossan war ein automatisiertes System zur Beschaffung der für eine Gesellschaftsgründung benötigten Unterlagen. Diese Anmeldung wurde vom Patentamt zurückgewiesen. Der Court of Appeal gab im Fall von Aerotel der Berufung statt, die Berufung von Macrossan wurde hingegen zurückgewiesen.
Das Gericht sah sich an seine frühere Entscheidung in der Sache Merrill Lynch gebunden und wandte daher den dortigen "technische Effekt"-Ansatz (in einer vom Patentamt angeregten Neuformulierung) an. Dieser umfasst vier Schritte: 1. die richtige Auslegung des Anspruchs; 2. die Ermittlung des Beitrags der Erfindung zum Stand der Technik; 3. die Klärung der Frage, ob dieser Beitrag unter den Patentierungsausschluss fällt; 4. die Feststellung, ob der tatsächliche oder angebliche Beitrag technischen Charakter hat.
Das Gericht unterzog das Aerotel-Patent diesem Test und ermittelte als Beitrag ein neues System, nämlich eine physische Vorrichtung aus verschiedenen, auf neue Weise miteinander kombinierten Komponenten. Dies sei mehr als nur ein Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten als solche und habe eindeutig technischen Charakter.
Hingegen wurde die Patentanmeldung von Macrossan als Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten als solche eingestuft, das die Erstellung von Geschäftsunterlagen und die diesbezügliche Beratung als geschäftliche Tätigkeit betraf, mit der ansonsten ein Anwalt oder eine mit Gesellschaftsgründungen beauftragte Person betraut worden wäre. Sie diente außerdem dazu, ein Computerprogramm ablaufen zu lassen, und darüber hinaus gab es daran nichts Technisches.
Das Gericht prüfte die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA und der nationalen Gerichte anderer europäischer Länder, stellte aber fest, dass die Entscheidungen der Beschwerdekammern untereinander widersprüchlich seien, da darin mindestens vier unterschiedliche Ansätze auszumachen seien:
1. der (vom Court of Appeal favorisierte) "Beitragsansatz";
2. der "technische Effekt"-Ansatz (den der Court of Appeal in der Sache Merrill Lynch angewandt habe und an den er somit mangels eines klaren und überzeugenden Leiturteils in der Rechtsprechung des EPA gebunden sei);
3. der "jede Hardware"-Ansatz und
4. die Abwandlungen des "jede Hardware"-Ansatzes.
Der Court of Appeal sprach sich dafür aus, dass der Präsident des EPA der Großen Beschwerdekammer diese Rechtsfrage vorlege, und schlug sogar mögliche Vorlagefragen vor.
Anmerkung des Herausgebers: Siehe auch Stellungnahme G 3/08 der Großen Beschwerdekammer vom 12.05.2010, ABl. EPA 2011, 10.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 25. Januar 2008 - Astron Clinica Ltd v. Comptroller General of Patents, Designs and Trade Marks [2008] EWHC 85 (Pat)
Schlagwort: Patentierbarkeit – ausgeschlossener Gegenstand – computerimplementierte Erfindungen
Der Beschwerdeführer Astron Clinica hatte mehrere Patentanmeldungen eingereicht. Bei jeder dieser Anmeldungen erachtete der Prüfer die Verfahrens- und Vorrichtungsansprüche für gewährbar, die entsprechenden Ansprüche auf Computerprogramme hingegen nicht, da sie unter das Patentierungsverbot des Art. 52 EPÜ fielen.
Astron Clinica legte Beschwerde gegen die Entscheidung des Patentamts ein, das die Zurückweisung ihrer Patentanmeldungen auf Computerprogramme bestätigt hatte. Das Patentamt hatte die Programmansprüche für nicht gewährbar und die Patentanmeldungen in ihrer gegenwärtigen Form für unzulässig erklärt. Es stellte sich die Frage, ob Patentansprüche auf Computerprogramme überhaupt jemals gewährt werden können.
Der Beschwerde wurde stattgegeben. Die Auffassung des Patentamts wurde verworfen, und die Fälle wurden zur erneuten Prüfung an das Patentamt zurückverwiesen.
Dem Richter am Patentgericht Kitchin J zufolge sollten das Patentamt und die Gerichte folgendermaßen vorgehen:
a) den Anspruch richtig auslegen;
b) den Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik ermitteln;
c) klären, ob dieser Beitrag ganz und gar unter den Patentierungsausschluss fällt;
d) prüfen, ob der Beitrag technischer Art ist; Aerotel Ltd v. Telco Holdings Ltd sei anzuwenden.
Ansprüche auf Computerprogramme seien nicht unbedingt durch Art. 52 EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen. Seien Ansprüche auf ein Verfahren, das mittels eines entsprechend programmierten Computers ausgeführt werde, oder Ansprüche auf einen für die Ausführung des Verfahrens programmierten Computer gewährbar, so sollte ein Anspruch auf das Programm selbst grundsätzlich ebenfalls gewährbar sein. Der Anspruch müsse so abgefasst sein, dass er die Merkmale der Erfindung wiedergebe, welche die Patentierbarkeit des Verfahrens gewährleisteten, das beim Ablaufen des Programms ausgeführt werden solle; unter Berücksichtigung von Oneida Indian Nation's Application.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 8. Oktober 2008 - Symbian Ltd v. Comptroller General of Patents [2008] EWCA Civ 1066
Schlagwort: Patentierbarkeitsausschluss - computerimplementierte Erfindungen
Die streitige Anmeldung mit dem Titel "Abbildung von dynamischen Link-Bibliotheken in einer Datenverarbeitungseinrichtung" war vom britischen Patentamt mit der Begründung zurückgewiesen worden, dass sie sich auf ein "Programm für Datenverarbeitungsanlagen … als solches" beziehe. Der High Court hob diese Entscheidung auf, wogegen das Patentamt Berufung einlegte.
Der Court of Appeal befasste sich mit dem jeweiligen Ansatz, den die Beschwerdekammern bzw. die britischen Gerichte allgemein in Fällen zugrunde legen, in denen beantragt wird, eine Patentanmeldung aus einem oder mehreren der in Art. 52 (2) EPÜ genannten Gründe zurückzuweisen. Ungeachtet der Geringschätzung, die in T 154/04 und in Aerotel Ltd v. Telco Ltd [2006] EWCA Civ 1371 dem vom jeweils anderen Gericht gewählten Ansatz entgegengebracht werde, so der Court of Appeal, scheine ihm doch, dass sich beide Ansätze in den genannten Rechtssachen wie auch in den meisten anderen Fällen miteinander vereinbaren ließen. Der in Aerotel vorgegebene dritte Schritt, bei dem gefragt werde, "ob der Beitrag voll und ganz unter den Patentierungsausschluss fällt", könne als identisch angesehen werden mit der in T 154/04 gestellten Frage, "ob der Beitrag nicht als technisch charakterisiert werden kann". Auch der Ansatz gemäß T 1543/06 stehe sowohl mit dem in Aerotel wie auch mit dem in T 154/04 verfolgten Ansatz in Einklang.
Der einzige wirklich strittige Punkt in dem Fall vor dem Court of Appeal betraf die Frage, ob der beanspruchte technische Beitrag zum Stand der Technik in dem ausgeschlossenen Gegenstand selbst gesehen werden könnte oder ob der Anspruch - in Anlehnung an den Aerotel-Ansatz - in Schritt 3 oder 4 gescheitert war. Unabhängig davon war zunächst der Umfang des Ausschlusses von "Programmen für Datenverarbeitungsanlagen ... als solchen" in Art. 52 EPÜ zu klären - ein naturgemäß schwieriges Unterfangen.
Das britische Patentamt hatte betont, dass in Art. 52 EPÜ nicht auf ein "technisches" Erfordernis abgestellt werde und dass die Kammern die Bedeutung und Wirkung dieses Begriffs nie erläutert hätten. Fordere man einen technischen Beitrag, so räumte der Court of Appeal ein, könne das dazu verleiten, danach zu fragen, ob eine Patentanmeldung dieses Erfordernis erfülle, statt danach, ob sie das gesetzliche Erfordernis selbst erfülle, was nicht ungefährlich sei - umso mehr, als der Begriff "technischer" Beitrag ungenau sei. Das heiße jedoch nicht, dass dieser Test nicht hilfreich oder dass er ungeeignet wäre. Angesichts der Unschärfe des Begriffs "Programme für Datenverarbeitungsanlagen ... als solche" sei es verständlich, ja sogar wünschenswert, dass mit der Anwendung dieses Begriffs befasste Gerichte praktische Leitlinien zur Klärung seiner Bedeutung aufstellten. Doch müssten solche Richtlinien klar sein, ansonsten käme zu all den Nachteilen des unklaren Originalwortlauts auch noch der Nachteil hinzu, dass nicht einmal der tatsächliche gesetzliche Test angewendet würde.
Nach einer Überprüfung einschlägiger Präzedenzfälle im Vereinigten Königreich und vor dem EPA zur Ermittlung, ob es zum Umfang des Ausschlusses von Computerprogrammen eine einhellige oder überwiegende Meinung gibt, stellte der Court of Appeal fest, dass die Beschwerdekammern den Ausschluss in jüngeren Entscheidungen erheblich enger auszulegen schienen (T 931/95, T 258/03 und T 424/03). Diese Entscheidungen waren vom Court of Appeal in Aerotel verworfen worden. In drei Entscheidungen der Beschwerdekammern, die nach Aerotel ergangen sind, wird dem in Aerotel verworfenen Ansatz offenbar ebenfalls gefolgt (T 154/04, T 1188/04 und T 1351/04). Für den Court of Appeal war dies kein Grund, sich diesem in Aerotel verworfenen Ansatz der Beschwerdekammern nun zu eigen zu machen.
Erstens liege keine einschlägige Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vor. Dies bedeute nicht nur, dass die Auffassung der Beschwerdekammern nicht so verbindlich sei, wie sie sein könnte, sondern lege auch nahe, dass die Beschwerdekammern die Zeit nicht für gekommen hielten, diese Frage abschließend zu klären. Zweitens seien die Ansätze in den vier nach Aerotel ergangenen Entscheidungen nicht identisch, wobei eine von ihnen mit der in Aerotel vertretenen Auffassung eher vereinbar scheine. Falls drittens die Aussage in T 1351/04 "das beanspruchte Verfahren erfordert den Einsatz eines Computers. Es hat somit technischen Charakter und stellt daher eine Erfindung dar …" die Auffassung der Kammern wiedergebe, könnte der Ausschluss von Computerprogrammen völlig bedeutungslos geworden sein. Viertens seien die englischen Gerichte nicht die Einzigen, die den Ansatz der Kammern kritisch sähen, wie folgende außergerichtliche Äußerungen des Richters am Bundesgerichtshof Mellulis anlässlich des europäischen Patentrichtersymposiums im September 2006 zeigten: "Software ist nicht schon allein wegen des Zusammenwirkens mit einem Universalcomputer patentfähig"; Mellulis habe außerdem den Gebrauch des Wortes "technisch" missbilligt, nicht zuletzt weil "ein technischer Gehalt gerade der Software als solcher wegen ihrer Interdependenz mit dem technischen Gerät schwer zu leugnen ist". Fünftens würde der Court of Appeal riskieren, die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen, wenn er allzu bereitwillig von seinem bisherigen Ansatz Abstand nähme.
In Anwendung dieser Grundsätze auf den zu entscheidenden Fall gelangte der Court of Appeal zu dem Schluss, dass bei der Entscheidung, ob eine Patentanmeldung einen "technischen" Beitrag aufweise, die verlässlichsten Leitlinien den Entscheidungen T 6/83, T 208/84 und T 115/85 sowie Merrill Lynch's Appn. [1989] RPC 561 und Gale's Application [1991] RPC 305, 323 zu entnehmen seien. Es wäre gefährlich, den Eindruck zu vermitteln, dass es eine klare Regel gebe, mit der sich bestimmen lasse, ob ein Programm nach Art. 52 (2) c) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen sei. Jeder Fall müsse anhand der ihm eigenen Fakten und Besonderheiten entschieden werden.
Der Court of Appeal wies daher die Berufung mit der Begründung zurück, dass die beanspruchte Erfindung sehr wohl einen technischen Beitrag leiste. Sie umfasse keine durch die anderen Negativkategorien des Art. 52 EPÜ ausdrücklich ausgeschlossenen Gegenstände. Positiv formuliert könnte man sagen, dass die Anweisungen "eine im Computer selbst liegende 'technische' Aufgabe lösen". Es könne keine Rolle spielen, dass die Verbesserung möglicherweise in der in den Computer einprogrammierten Software und nicht in der Hardware liege, die Teil des Computers sei. Ein Computer mit diesem Programm funktioniere besser als ein Computer aus dem Stand der Technik. Angesichts der Tatsache, das die beiden in T 6/83 und T 115/85 beanspruchten Erfindungen als technisch angesehen worden seien, gebe es auch keine Grundlage dafür, den Beitrag als nichttechnisch zu erachten.
B. Ausnahmen von der Patentierbarkeit
1. Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten
DE Deutschland
Bundespatentgericht vom 5. Dezember 2006 (3 Ni 42/04) - Neurale Vorläuferzellen
Schlagwort: Patentierbarkeit - Ausnahmen - öffentliche Ordnung oder gute Sitten - Stammzellen
Der Beklagte Brüstle war Stammzellenforscher und Inhaber eines deutschen Patents, das „neurale Vorläuferzellen, Verfahren zu ihrer Herstellung und ihre Verwendung zur Therapie von neuralen Defekten" betraf. Patentanspruch 1 umfasste isolierte, gereinigte Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften aus embryonalen Stammzellen ("ES"), enthaltend höchstens etwa 15 % primitive embryonale und nicht neuronale Zellen, erhältlich durch mehrere Schritte: Kultivierung der ES-Zellen zu neuralen Vorläuferzellen, Proliferierung der neuralen Vorläuferzellen in einem wachstumsfaktorhaltigen serumfreien Medium, Reinigung und Isolierung. Die embryonalen Stammzellen wurden dabei aus embryonalen Keimzellen der Gruppe umfassend Maus, Ratte, Hamster, Schwein, Rind, Primaten oder Mensch gewonnen. Der Kläger Greenpeace hielt das Streitpatent wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten für nichtig, soweit die Patentansprüche neurale Vorläuferzellen umfassten, die aus humanen embryonalen Stammzellen gewonnen wurden.
Die Prüfung der Rechtsbeständigkeit eines Patents im Nichtigkeitsverfahren richtete sich zwar grundsätzlich nach dem im Zeitpunkt der Patenterteilung geltenden Recht, das in der Regel dem Recht am Anmelde- oder Prioritätstag entspricht. Dieser Grundsatz war nach Ansicht des Gerichts in dem Fall des Nichtigkeitsgrundes der mangelnden Patentierbarkeit wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten aber nicht anzuwenden. Das folgte aus dem Sinn und Zweck dieses Patentierungsausschlusses. Er bezog sich im Gegensatz zu den anderen Nichtigkeitsgründen nicht auf die Erfindung selbst und ihre nach der Rechtslage am Anmelde- oder Prioritätstag vorzunehmende technische Prüfung, sondern knüpfte an die Verwertung der Erfindung nach der Patenterteilung an.
Nach Ansicht des Gerichts wurden mit dem Streitpatent ausdrücklich menschliche Embryonen als Edukte für die Gewinnung embryonaler Stammzellen beansprucht. Es handelte sich also nicht um eine lediglich hypothetisch mögliche Form der Benutzung der Erfindung, die nicht zu Lasten des Beklagten unterstellt werden dürfte, sondern um einen von ihm selbst konkret genannten bestimmungsgemäßen Gebrauch. Es widerspräche dem Sinn und Zweck des Patentierungsverbots nach § 2 PatG, die erklärte Benutzungsabsicht des Patentinhabers außer Betracht zu lassen und die Patentierbarkeit im Hinblick auf die zulässige Form der Benutzung der Erfindung mit tierischen embryonalen Stammzellen oder menschlichen embryonalen Keimzellen in vollem Umfang unter Einschluss des gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßenden Teils der Erfindung anzuerkennen.
Gemäß § 8 (1) ESchG gilt als Embryo im Sinne dieses Gesetzes u. a. jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Das Gericht stellte fest, bei pluripotenten Stammzellen handele es sich nach den Angaben in der Streitpatentschrift um Vorläuferzellen, welche in viele verschiedene, reife Zelltypen ausdifferenzieren können. Es bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob die Ansprüche überhaupt das Erfordernis der ursprünglichen Offenbarung erfüllen und ob der Fachmann am Anmeldetag die im Streitpatent ausschließlich genannten totipotenten Stammzellen auch als pluripotente Stammzellen gelesen habe. Die in Rede stehenden Stammzellen werden im Streitpatent nämlich nicht nur durchgehend ausschließlich als totipotent beschrieben, sondern es werde streitpatentgemäß im Zusammenhang mit den den verwendeten Begriffen zugrunde liegenden Definitionen überdies expressis verbis zwischen pluripotent und totipotent unterschieden. Ein Weg zur Herstellung von humanen embryonalen Stammzellen, anhand dessen der Fachmann am Anmeldetag hätte ersehen können, welche Stammzellen zur Verwendung gemäß Streitpatent vorgesehen gewesen sein könnten, werde nicht angegeben.
Diese Frage konnte nach Auffassung des Gerichts jedoch für die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage dahingestellt bleiben, weil unabhängig davon, ob die Stammzellen totipotent oder pluripotent sind oder ob ES-Zelllinien verwendet werden, zu ihrer Gewinnung am Anmeldetag stets Embryonen verbraucht werden mussten. Der Beklagte hatte weder zur Überzeugung des Gerichts vorgetragen noch war ersichtlich, dass sich hieran bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtigkeitsklage Grundlegendes geändert hätte. Das Brüstle-Patent wurde somit für nichtig erklärt.
Anmerkung des Herausgebers: Im Berufungsverfahren hat der Bundesgerichtshof am 17. Dezember 2009 beschlossen, den Gerichtshof der Europäischen Union insbesondere nach der Auslegung des Begriffs "menschlicher Embryo" zu fragen, der in der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen nicht definiert wird. Dabei ging es um die Frage, ob der Ausschluss des menschlichen Embryos von der Patentierbarkeit alle Stadien des Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst oder ob zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, z. B., dass ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht ist.
Am 18. Oktober 2011 urteilte der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-34/10 Oliver Brüstle v. Greenpeace e. V., dass der menschliche Embryo in allen Lebensstadien von der Befruchtung der Eizelle an von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist. Der Gerichtshof legte den Begriff "menschlicher Embryo" sehr breit aus und verwies auf das Ziel der Richtlinie 98/44/EG, das darin bestehe, jede Möglichkeit der Patentierung auszuschließen, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt werden könnte. So umfasse der Begriff "menschlicher Embryo" jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung und Totipotenz an sowie jede nicht befruchtete menschliche Eizelle, die durch künstliche Mittel totipotent gemacht wurde. Zu Stammzellen, die von einem menschlichen Embryo im Stadium der Blastozyste gewonnen werden, stellte der Gerichtshof fest, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, im Licht der technischen Entwicklung festzustellen, ob sie geeignet sind, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen, und folglich unter den Begriff des "menschlichen Embryos" fallen. Darüber hinaus verwehrte der Gerichtshof die Erlangung von Patentschutz für die Zwecke der wissenschaftlichen Forschung. Auch wenn das Ziel der wissenschaftlichen Forschung von industriellen oder kommerziellen Zwecken zu unterscheiden sei, so wäre eine Verwendung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken, wenn sie Gegenstand einer Patentanmeldung sei, untrennbar mit diesem Patent verbunden. Eine Ausnahme ließ der Gerichtshof jedoch zu: Die Verwendung von menschlichen Embryonen sollte nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden, wenn sie zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken erfolgt und auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist, z. B. um eine Missbildung zu beheben.
2. Medizinische Methoden
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 19. Dezember 2006 (X ZR 236/01) - Carvedilol II
Schlagwort: Patentierbarkeit - Ausnahmen - therapeutisches Verfahren - Verabreichung eines Stoffs
Der vorliegende Fall betraf Patentansprüche, die neben Merkmalen des zu verabreichenden Wirkstoffs (Carvedilol) und der Indikation (kongestivem Herzversagen) auch Anweisungen zu der Art der Verabreichung enthielten (u. a. 7-28 Tage einmal täglich mit Dosissteigerungen bis zu einer Maximaldosis). Das BPatG hatte das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Hiergegen richtete sich die Berufung der Patentinhaberin, die das Streitpatent vor dem BGH in einer zulässigerweise eingeschränkten Fassung verteidigte.
Der BGH stellte fest, dass das Patent in der verteidigten Fassung nicht schutzfähig ist. Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit vorgesehenen Medizin als solche sei ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers. Sie sei nicht Element der Herrichtung eines Stoffes zur Verwendung bei der Behandlung einer Krankheit. Die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten einschließlich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten sei prägender Teil der Tätigkeit des behandelnden Arztes und damit ein nach Art. 52 (4) EPÜ und § 5 (2) PatG dem Patentschutz entzogenes Verfahren. Zwar komme ein Verwendungsanspruch auch für die Herrichtung eines bestimmten Stoffs zur Behandlung einer Krankheit in Betracht, die durch einen im Vertrieb beigefügten Beipackzettel oder einen Verwendungshinweis auf der Packung erfolge. Ein Patentschutz für die von der Herrichtung des Stoffs gelöste, reine Dosierungsempfehlung ergebe sich daraus jedoch nicht. Sei eine dem Patentschutz nicht zugängliche Dosierungsempfehlung eines von mehreren Merkmalen eines Patentanspruches, so sei sie jedenfalls nicht zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit heranzuziehen. Es bleibe offen, ob die Aufnahme der Dosierungsempfehlung dazu führe, dass der Patentanspruch insgesamt vom Schutz ausgeschlossen sei (anders die EPA-Rechtsprechung).
Keine Bedenken bestanden allerdings gegen die Zulässigkeit der Patentansprüche nach Hilfsantrag 2, nach denen die Verwendung einer chemischen Substanz (zweckmäßige Konfektionierung der Tablettengrößen) bei der therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers geschützt werden solle. Diesen Ansprüchen stehe das Patentierungsverbot von Verfahren zur chirurgischen und therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nicht entgegen.
Neuheit:
Der Patentschutz stützte sich vor diesem Hintergrund allein auf den spezifischen Zweck einer Senkung der Mortalität durch die Verwendung des als Arzneimittel bekannten Stoffes Carvedilol in Kombination mit der ebenso bekannten Standardtherapie der genannten drei weiteren Arzneimittel auf dem bekannten Anwendungsgebiet der Behandlung von Herzinsuffizienz. Es erschien bereits zweifelhaft, ob sich aus dieser Zweckbestimmung hier die Neuheit der Lehre des Streitpatents herleiten ließ. Zudem handelte es sich bei der Neuheit um einen patentrechtlichen Begriff normativen Charakters. Es war daher unerheblich, ob der vom EPÜ nicht benutzte Terminus der medizinischen Indikation im medizinischen Sprachgebrauch auch durch das jeweils mit der Behandlung einer Krankheit verfolgte Therapieziel und nicht nur durch Krankheit und Behandlungsmethode definiert wird. Nach dem Gedanken des Art. 54 (5) EPÜ war maßgebend, ob die Anwendung des Stoffes in einem der in Art. 52 (4) EPÜ genannten Verfahren nicht zum Stand der Technik gehörte. Dass dieses Merkmal durch bisher nicht bekannte weitere therapeutische Anwendungen bei dem gleichen Krankheitsbild erfüllt werden konnte, erschien auch mit Blick auf den Zweck der Regelung nicht ohne weiteres einsichtig.
Erfinderische Tätigkeit:
Zahlreiche Veröffentlichungen belegten, dass der Einsatz von Carvedilol gerade wegen seiner gefäßerweiternden Eigenschaften als vielversprechende Therapie zur Behandlung von Herzinsuffizienz mit Betablockern diskutiert wurde. Der Vorschlag, das Medikament zur Verabreichung nach dem Dosierungsschema der Patentansprüche des Hilfsantrags 2 herzurichten, beruhte jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die einschleichende Dosierung von Betablockern und insbesondere Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz in Dosen und Zeiträumen, die sich allenfalls geringfügig und jedenfalls naheliegend von dem Dosierungsschema der Beklagten unterschieden, war auch im Stand der Technik nachgewiesen.
DE Deutschland
Bundespatentgericht vom 6. März 2008 (21 W (pat) 45/05) - Verfahren zur gesundheitlichen Orientierung
Schlagwort: Ausnahmen von der Patentierbarkeit - Diagnostizierverfahren
Aufgabe der streitigen Erfindung war, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur gesundheitlichen Orientierung einer Person und ein Computerprogramm bereitzustellen, die einem Benutzer eine Untersuchung seines Gesundheitszustands ermöglichen und eine zumindest erste Diagnose stellen, so dass Krankheiten vermieden bzw. frühzeitig erkannt werden können. Der Anmelder des einschlägigen Patents war der Meinung, dass die Verfahrensansprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag 1 kein Diagnostizierverfahren beträfen und die Gegenstände dieser Patentansprüche insgesamt neu und erfinderisch seien. Er beantragte somit, den Beschluss der Prüfungsstelle des DPMA aufzuheben.
Das BPatG hielt die Beschwerde für unbegründet, da die beanspruchten Verfahren als Diagnostizierverfahren unter das Patentierungsverbot fallen:
Diagnostizierverfahren seien Verfahren am lebenden menschlichen oder tierischen Körper zu medizinischen Zwecken, die der Erkennung, Lokalisierung oder dem Ausschluss von pathologischen (krankhaften) Zuständen dienen und deren Ergebnisse eine Grundlage für die weitere Therapie sein können. Da viele Krankheiten lediglich durch unspezifische Symptome gekennzeichnet seien, versuchte der behandelnde Arzt mit einer Ausschlussdiagnose durch weitere Untersuchungen die ZahI der möglichen Diagnosen einzuschränken, wobei zuerst versucht werde, die für den Patienten akut lebensbedrohlichen Krankheiten auszuschließen. Die Auswertung der Befunde oder Symptome könne daher bei einer geringen Anzahl von Befunden oder bei unklaren Befunden auch nur zu einem sehr allgemeinen Krankheitsbild bzw. zu vielen möglichen Diagnosen führen. Die Bandbreite der Zuordnung von Befunden zu einem Krankheitsbegriff reiche daher bei einer Diagnose von der eindeutigen Erkennung einer bestimmten Krankheit über den Ausschluss von einigen Krankheiten bis zu der Erkenntnis, dass der Patient nicht gesund ist, ohne dass die Befunde einer bestimmten Krankheit zugeordnet werden können. In Weiterführung der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer unterteilte das BPatG ein Diagnostizierverfahren deshalb in folgende Schritte:
i) Untersuchung mit Datenerhebung, ii) Vergleich dieser Daten mit Normwerten, iii) Feststellung einer Abweichung bei diesem Vergleich, iv) Deutung der Abweichung als krankhafter Zustand. Ein Verfahren zur gesundheitlichen Orientierung, das die o. g. Schritte beansprucht, falle unter das Patentierungsverbot des § 5 (2) PatG (a. F.)
Ein krankhafter Zustand gemäß Schritt iv) sei bereits gegeben, wenn durch das Verfahren aufgrund der erhobenen Daten ein nicht normaler Zustand im Sinne von "nicht gesund" gegenüber den Normwerten dargestellt wird. Die Beteiligung eines Arztes sei nicht erforderlich, so dass auch automatisch ablaufende Verfahren oder Verfahren zur Selbstdiagnose unter das Patentierungsverbot fallen können. Die Anforderung der Vornahme des Diagnostizierverfahrens "am menschlichen oder tierischen Körper" sei bereits erfüllt, wenn lediglich der erste Schritt i) am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werde.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 31. August 2010 (X ZB 9/09) - Bildunterstützung bei Katheternavigation
Schlagwort: Ausnahmen von der Patentierbarkeit - chirurgische Verfahren
Die Erfindung betraf ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten medizinischen Instruments als Katheter an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan. Das BPatG hatte das Legen eines Katheters als Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers eingestuft und gemäß § 2a (1) Nr. 2 Satz 1 PatG von der Patentierung ausgeschlossen.
Der BGH entschied, dass das Verfahren nicht dem Patentierungsverbot unterfällt. Die gezielte Navigation des invasiv eingeführten medizinischen Elements als Katheter an einen pathologischen Ort in einem menschlichen Hohlraumorgan gehört nämlich nicht zu den Merkmalen der beanspruchten Lehre. Weder die formulierten Ansprüche noch die gesamten Anmeldungsunterlagen widmen sich in irgendeiner Weise den Modalitäten der Katheteruntersuchung selbst, sondern setzen die Durchführung der Katheteruntersuchung als außerhalb des beanspruchten Verfahrensgegenstands liegenden Ablauf voraus. Zwar gebe es einen engen medizinisch-technischen Bezug zu der durchgeführten Katheternavigation, dies ändere aber nichts daran, dass der Patentanspruch sachlich zwischen dem Bildgebungsverfahren und der Katheternavigation unterscheide.
In diesem Punkt unterschied sich das vorliegende Verfahren von demjenigen, auf das sich Leitsatz 1 der Entscheidung G 1/07 der Großen Beschwerdekammer des EPA vom 15. Februar 2010 bezog. Dort ging es um ein Bildgebungsverfahren zur Magnetresonanzdarstellung der Lungen- und/oder Herzgefäße, bei dem polarisiertes Xenon verabreicht wird, und zwar unter anderem durch Injektion in eine Herzregion. Diese Maßnahme, in der die Große Beschwerdekammer ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers gesehen hatte, war konstitutiver Bestandteil des dort beanspruchten Bildgebungsverfahrens, und nicht, wie im vorliegenden Fall, ein außerhalb eines solchen Verfahrens liegender Vorgang. In dieser Hinsicht teilte der BGH die Auffassung der Großen Beschwerdekammer des EPA in G 1/07, dass Art. 53 c) EPÜ die Patentierung von chirurgischen Verfahren verbietet, nicht aber die Patentierung von Verfahren, die im Zusammenhang mit der Durchführung eines solchen Verfahrens verwendet werden können.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris vom 28. Juni 2006 (05/07852) - Lely v. Delaval
Schlagwort: therapeutisches Behandlungsverfahren
Die gegen den französischen Teil des europäischen Patents EP 0 535 754 mit der Bezeichnung "Gerät zum Melken von Tieren und Verfahren zur Zitzennachbehandlung eines gemolkenen Tieres" gerichtete Nichtigkeitsklage wurde vom Bezirksgericht Paris mit Urteil vom 10. Dezember 2004 abgewiesen. Der Einspruch des Unternehmens D gegen ebendieses Patent war wohlgemerkt von der Beschwerdekammer des EPA mit Entscheidung vom 21. Februar 2002 zurückgewiesen worden.
Anspruch 11 schützt ein Verfahren zur Nachbehandlung der Zitzen eines gemolkenen Tieres in einer Vorrichtung zum automatischen Melken von Tieren. Das Unternehmen D macht geltend, dass dieser Anspruch wegen fehlender gewerblicher Anwendbarkeit nach Art. L. 611-15 und L. 611-16 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum nichtig sei, da es sich bei dem beanspruchten Verfahren um ein therapeutisches Behandlungsverfahren handle.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts wendet das Unternehmen L jedoch zu Recht ein, dass es sich bei der Erfindung nicht um ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des Tieres handle, sondern um ein gewerblich anwendbares Verfahren, das es ermögliche, das Melken unter Einhaltung der Hygienevorschriften durchzuführen, wenngleich das Versprühen eines Desinfektionsmittels der Prophylaxe diene. Dieses Verfahren falle somit nicht in den Anwendungsbereich von Art. L. 611-16 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris vom 13. Juni 2008 (07/12143) - K. v. MTEC
Schlagwort: therapeutisches Behandlungsverfahren
Gegenstand des angefochtenen europäischen Patents ist eine elektronische Vorrichtung zur adrenergischen Reizung des sympathischen Nervensystems im venösen Umfeld und insbesondere der glatten Muskulatur des Gefäßgewebes, mit der sich die Wirksamkeit der Behandlung während der Durchführung flexibel und zuverlässig überwachen lässt.
Laut dem Unternehmen M kann die Erfindung insofern nicht als patentierbar angesehen werden, als sie nicht gewerblich anwendbar im Sinne von Art. L. 611-10 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum ist, in dem auf den Ausschluss von Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers in Art. L. 611-16 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum verwiesen wird.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts betrifft das Patent kein therapeutisches Verfahren, sondern eine Vorrichtung, die zwar auf die Verbesserung einer Behandlung abzielt, aber die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks definiert und eine Technik einsetzt. Somit gibt es für die Erfindung eine gewerbliche Anwendung, ganz unabhängig davon, wie hoch man ihren Nutzen veranschlagen mag.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 6. Oktober 2009 (07/16446) - Teva v. Sepracor
Schlagwort: Arzneimittel – therapeutische Anwendung – ausreichende Beschreibung – therapeutische Wirkung
Das Unternehmen T verklagte das Unternehmen S vor dem Bezirksgericht Paris und beantragte die Nichtigerklärung des französischen Teils des Patents EP 0 663 828 wegen unzureichender Beschreibung; das Patent offenbare keinerlei Versuche oder plausible Erklärungen zum Nachweis der behaupteten Wirkungen. Das Unternehmen S erwiderte, dass dieses Vorbringen völlig fehlgehe, da nicht vorgeschrieben sei, dass eine therapeutische Wirkung bewiesen oder belegt werden müsse.
Das Patent betraf des Unternehmens S betrifft die Verwendung von Levocetirizin zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von allergischer Rhinitis oder allergischem Asthma. Das Gericht erinnerte einleitend daran, dass Cetirizin ein chirales Molekül ist, das in Form von zwei Enantiomeren vorliegen kann. Eine chemische Lösung, die beide Enantiomere eines Moleküls zu gleichen Teilen enthält, wird als racemische Form (oder Racemat) bezeichnet. Wie in der Beschreibung des Patents ausgeführt wird, war die Verwendung von Cetirizin in racemischer Form als Arzneimittel zur Behandlung von allergischen Symptomen am Prioritätstag bekannt. Dem Patent liegt angeblich die Entdeckung zugrunde, dass Levocetirizin gegenüber der racemischen Form vorteilhafte Eigenschaften aufweist, und die patentgemäße Erfindung soll darin bestehen, dass Levocetirizin mindestens so wirksam wie Cetirizin zur Behandlung von allergischer Rhinitis und allergischem Asthma eingesetzt werden kann und gleichzeitig eine Reihe von bei Verwendung dieser Substanz auftretenden Nebenwirkungen erheblich verringert werden kann.
Zur unzureichenden Beschreibung führte das Gericht aus, dass auf pharmazeutischem Gebiet nach Art. 138 EPÜ die ausreichende Beschreibung einer Arzneimittelerfindung die Angabe der pharmakologischen Eigenschaften sowie einer oder mehrerer therapeutischer Anwendungen voraussetzt.
Vorliegend wird in der Beschreibung des Patents die zu lösende technische Aufgabe genannt, und in der Zusammenfassung der Erfindung wird die angebotene Lösung beschrieben.
Zwar lehrt das Patent tatsächlich wie vom Unternehmen S vorgebracht die Verwendung von Levocetirizin zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von allergischer Rhinitis oder allergischem Asthma. Doch wird beim Lesen der Patentbeschreibung offensichtlich, dass sie keine technischen Informationen enthält, welche die in der Anmeldung enthaltenen Behauptungen stützen, insbesondere durch Versuche oder plausible Erklärungen, die die behaupteten Wirkungen beweisen und eine wirkliche erfinderische Tätigkeit seitens des Unternehmens S belegen würden. Dieses hatte zum Zeitpunkt der Einreichung der Patentanmeldung offensichtlich keinerlei Versuche oder Tests durchgeführt, um nachzuweisen, dass Levocetirizin wirksamer ist (oder weniger Nebenwirkungen hat) als Cetirizin in racemischer Form.
Nach Auffassung des Gerichts hat sich das Unternehmen S demnach damit begnügt, über den pharmazeutischen Nutzen eines der beiden Enantiomere zu spekulieren. Schreibt das Gesetz jedoch eine ausreichende Beschreibung vor, so muss der Erfinder auf pharmakologischem Gebiet nicht das Ergebnis nachweisen, sondern darlegen, dass dieses Ergebnis angestrebt wurde und vorliegt. Wenn keinerlei Forschungsarbeiten und Ergebnisse erwähnt werden, beweist dies den spekulativen Charakter der Patentanmeldung und verschleiert folglich die mangelnde erfinderische Tätigkeit.
Daher versuchte das Unternehmen S sodann eine erfinderische Tätigkeit mit der Behauptung nachzuweisen, der Fachmann sei davon ausgegangen, dass die Enantiomere hinsichtlich der sedierenden Wirkung dieselben Nachteile wie das Racemat hätten, und es hätte daher nicht auf der Hand gelegen, Forschungen statt auf eine Änderung der Struktur von Cetirizin auf die Enantiomere des Cetirizins zu richten. Die erfinderische Tätigkeit sei somit bereits durch die Tatsache belegt, dass seine Patentanmeldung die Verwendung von Levocetirizin als einem Enantiomer von Cetirizin zur Behandlung von Allergien unter Verringerung der Nebenwirkungen lehre. Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Behauptung, man selbst habe nicht die für den Fachmann einleuchtenden Überlegungen angestellt, nicht genügt, um eine erfinderische Tätigkeit nachzuweisen; es müsse auch eine wirkliche Erfindung gemacht, d. h. eine konkrete technische Lösung für eine bestimmte technische Aufgabe gefunden worden sein, was zumindest ein Minimum an Versuchen und Tests voraussetze, an denen es vorliegend fehle.
Außerdem deutet die Existenz der "Schwesteranmeldung" WO-A-94/06429 zum fraglichen Patent darauf hin, dass das Unternehmen S zum Zeitpunkt der Einreichung dieser Anmeldungen keinen Anhaltspunkt dafür hatte, welches der beiden Enantiomere wirksamer war (oder weniger Nebenwirkungen hatte), ja dass es noch nicht einmal wusste, ob eines der beiden Enantiomere wirksamer war (oder weniger Nebenwirkungen hatte) als die racemische Form.
Das Nachreichen von Versuchsdaten zu Beweiszwecken kann diesen Mangel nicht heilen. Eine anderslautende Entscheidung würde zum einen bedeuten, dass es möglich ist, eine Idee bzw. Intuition zu patentieren, und zum anderen, dass sich die Antwort auf die Frage, ob ein beanspruchter Gegenstand als Lösung für eine bestimmte Aufgabe anerkannt wird, mit der Zeit ändern könnte. Dies würde dem Grundsatz widersprechen, dass die erfinderische Tätigkeit wie alle anderen Patentierbarkeitsvoraussetzungen zu dem für die Anmeldung maßgeblichen Stichtag zu beurteilen ist.
Auch wenn zusätzliche, später veröffentlichte Beweismittel ebenfalls berücksichtigt werden können, können sie folglich nicht als einzige Grundlage für den Nachweis der beanspruchten erfinderischen Tätigkeit dienen. Und schließlich stellte das Gericht fest, dass in den Versuchen, die zur Stützung der beiden Anmeldungen wie auch der "Schwesteranmeldung" nachgereicht worden sind, auf Tests verwiesen wird, die in der von einem Dritten eingereichten späteren Patentanmeldung US 5,478,894 enthalten sind.
Nach alledem wurde dem Antrag auf vollumfängliche Nichtigerklärung des Patents EP 0 663 828 wegen unzureichender Beschreibung stattgegeben.
C. Neuheit
1. Zurechnung zum Stand der Technik
AT Österreich
Oberster Patent- und Markensenat vom 28. April 2010 (OBp 2/09)
Schlagwort: Neuheit - öffentliche Zugänglichmachung - offenkundige Vorbenutzung
In der vorliegenden Sache betraf die Erfindung ein fliessfähiges selbstverdichtendes Künettenfüllmaterial. Das Material war vor der Anmeldung in zwei Prüfberichten beschrieben worden und mehreren Abteilungen des Magistrats der Stadt Wien zugekommen. Zudem war das Material auf mehreren Versuchsbaustellen verwendet worden. Der Antragssteller bestritt die Neuheit der Erfindung.
Zu den Prüfberichten:
Der OPM verwies auf etliche Kommentare und die Rechtsprechung des deutschen BGH und der Beschwerdekammern des EPA und stellte klar, dass ein nicht der Öffentlichkeit zugängliches Wissen dann vorliegt, wenn es nur wenigen Personen bekannt ist und von ihnen geheim gehalten wird. Dabei genügt die bloße Verpflichtung zur Geheimhaltung an sich nicht; entscheidend ist vielmehr, dass sie auch eingehalten wird. Davon ist jedoch regelmäßig auszugehen, solange keine Indizien dafür vorliegen, dass die Geheimhaltungspflicht tatsächlich verletzt wurde. Eine Geheimhaltungsverpflichtung kann sich auch aus einer konkludenten Vereinbarung ergeben. Eine solche Vereinbarung ist in der Regel dann anzunehmen, wenn mehrere Personen oder Unternehmen bei der Entwicklung und Erprobung eines neuen technischen Verfahrens zusammenarbeiten. Denn in diesem Fall besteht gewöhnlich ein gemeinsames Interesse aller Beteiligten, die Erfindung Dritten gegenüber geheim zu halten. Der OPM kam zu dem Ergebnis, dass ein solcher Fall hier vorlag.
Zu den Versuchsbaustellen:
Durch Benutzung wird ein Patent dann der Öffentlichkeit zugänglich, wenn dadurch für einen nicht beschränkten Personenkreis eine nicht entfernt liegende, d.h. nicht bloß theoretische Möglichkeit der Kenntnisnahme entsteht. Betrifft das Patent die Zusammensetzung eines Erzeugnisses, so liegt eine neuheitsschädliche Offenbarung dann vor, wenn das Erzeugnis selbst der Öffentlichkeit zugänglich ist und von einem Fachmann analysiert und reproduziert werden kann. Die Möglichkeit, das neuartige Erzeugnis zu betrachten, begründet demgegenüber (nur) dann öffentliche Zugänglichkeit, wenn ein Fachmann schon durch bloßen Augenschein die technischen Zusammenhänge erkennt. Der OPM kam zu dem Ergebnis, dass bei Verfüllmaterial, das auf Baustellen eines öffentlichen Auftraggebers eingesetzt wird, nur eine theoretische Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand.
BE Belgien
Gericht erster Instanz Brüssel vom 19. Dezember 2008 – Lefebvre v. Bogaert
Schlagwort: Neuheit – im Internet offenbarter Stand der Technik
L war Inhaberin eines belgischen Patents für ein "Thermodermie-Gerät, das der Massage und der Reduzierung des Körperumfangs dient". Das Patent betraf ein Gerät zur Anwendung eines physiotherapeutischen Verfahrens, bei dem die Haut angesaugt und gleichzeitig ein Bündel starker Rot- und Infrarotstrahlung hineinprojiziert wurde, das die Lipolyse der Fettzellen auslöste.
Das Gericht führte in Bezug auf die Neuheit aus, dass laut B die Erfindung nicht neu sei, weil es bereits mehrere auf der Wirkung von Infrarotstrahlung beruhende Anwendungen des Verfahrens gegeben habe, welches die Reduzierung des Körperumfangs fördern soll. Hierfür berief sich B auf das aus verschiedenen Websites bestehende Dokument 13 in ihren Akten. Das Gericht stellte jedoch fest, dass das Datum der Erfindung und der Markteinführung der vorgestellten Geräte sich anhand dieser Seiten, die am 9. Mai 2007 ausgedruckt worden waren, nicht mit letzter Sicherheit bestimmen lasse, sodass eine etwaige Vorwegnahme der von L patentierten Erfindung nicht bewiesen sei.
Was die gewerbliche Anwendbarkeit anging führte das Gericht aus, dass B außerdem geltend machte, das Patent sei ungültig, weil die Erfindung laut der Patentanmeldung von L "ein Gerät zur Straffung der Haut, zur Verbesserung der Hautdurchblutung und zur Verringerung von Fettdepots" betreffe; nach Art. 7 belgisches PatG gälten chirurgische oder therapeutische Behandlungsverfahren jedoch nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen. Nach Auffassung des Gerichts schien B zu vergessen, dass das Patent auf das Gerät gerichtet sei und nicht auf das mit diesem Gerät anzuwendende Verfahren.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 29. Juni 2010 (X ZR 49/09) - Ziehmaschinenzugeinheit II
Schlagwort: Stand der Technik - lang stagnierte Bereich der Technik
Das Streitpatent betraf eine Zugeinheit für eine Ziehmaschine zum Einsatz auf dem Gebiet des kontinuierlichen Metallziehens. Zur Erzeugung des erforderlichen hohen Anpressdrucks wirkten die Triebketten mit (starren) Führungen zusammen, die innerhalb der von den umlaufenden Ketten gebildeten Ovale entlang der Zugzone vorgesehen waren. Um das Problem der Reibung zwischen den starren Führungen und den umlaufenden Ketten zu vermeiden, waren der Beschreibung zufolge im Stand der Technik verschiedene Lösungen bekannt, die hauptsächlich darauf hinausliefen, die Gleitreibung durch eine Rollreibung von wesentlich geringerem Wert zu ersetzen. Das Streitpatent sah insoweit zwischen den Ketten und den starren Führungen Last tragende Mitlaufrollen vor, die zu einer Endloskette (in einer Schleife) zusammengefügt waren und die in dieser Formation der Bewegung der Triebketten folgten, wobei sie zwischen den Gleitoberflächen der Gliedkörper und der starren Führungen angeordnet waren. Das BPatG hatte in der Vorinstanz den streitigen Gegenstand für nichtig erklärt.
Auch der BGH hielt den beanspruchten Gegenstand für nicht patentfähig, da er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhte. Der Ansicht der Beklagten, der Fachmann hätte zur Prioritätszeit eine aus dem Jahr 1949 stammende Anmeldung schon deshalb nicht zurate gezogen, weil er sich von einem so alten Dokument keine Anregungen für eine Weiterentwicklung versprach, konnte der BGH nicht zustimmen. Hat der Stand der Technik vor dem Prioritätstag einer neuen Erfindung über lange Zeit stagniert, ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalls (hier: zu verzeichnende lange Entwicklungszyklen auf dem betroffenen technischen Gebiet), ob dies darauf hindeutet, dass die neue Erfindung dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war oder nicht.
Auch wenn die in das Verfahren eingeführten Schriften gattungsfremden Stand der Technik betrafen, bezog der auf eine Verbesserung von Ziehmaschinenzugeinheiten am Prioritätstag bedachte Fachmann sie in seine Überlegungen ein. Nach seiner Ausbildung und Qualifikation ist von ihm eine systematische Vorgehensweise zu erwarten, die sich nicht auf die Recherche des unmittelbar gattungsgemäßen Stands der Technik beschränkt, sondern darin solchen gattungsfremden Stand der Technik einbezieht, bei dem nach Art der sich dort stellenden Probleme vom Prinzip her Lösungen zu erwarten sind, wie er sie benötigt, auch wenn die Anforderungen im Detail durchaus erheblich differieren können.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 13. Oktober 2006 (04/07666) - Asahi v. General Electric
Schlagwort: Neuheit – implizite Merkmale
Die Gesellschaft G ist Inhaberin des europäischen Patents EP 0 685 527 mit der Bezeichnung "Thermoplastische Zusammensetzung aus kompatibilisiertem Polyphenylenether-Poliamidharz und elektrisch leitender Ruß". Mit ihrer Nichtigkeitsklage greift die Gesellschaft A sämtliche Ansprüche des französischen Teils des Patents wegen unzureichender Beschreibung sowie mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit an. Die Gesellschaft A behauptet bezüglich der Neuheit, Anspruch 1 sei gegenüber der Lehre des japanischen Patents ISHIDA mit der Bezeichnung "Gemisch aus elektrisch leitenden Harzen" nicht neu und damit nichtig.
Das Gericht erinnert daran, dass eine Entgegenhaltung für eine Erfindung nur dann neuheitsschädlich ist, wenn sie eindeutig belegt und umfassend ist, d. h., wenn sie die Erfindung in all ihren Elementen – Form, Anordnung und Funktionsweise – im Hinblick auf die Erzielung desselben technischen Ergebnisses so offenbart, dass der Fachmann sie ausführen kann, ohne dass es einer Auslegung der Entgegenhaltung bedürfte. Zwar kann mangelnde Neuheit sich aus dem ergeben, was in einem Dokument aus dem Stand der Technik implizit enthalten ist, doch müssen die nicht ausdrücklich beanspruchten Merkmale eindeutig aus der Ausführung der Lehren dieses Dokuments resultieren.
Die Gesellschaft A hatte verschiedene Versuche durchführen lassen, um nachzuweisen, dass das frühere Patent die übrigen Merkmale des Anspruchs des Streitpatents, und insbesondere den Volumenwiderstand und die Schlagfestigkeit, implizit mitenthielt. Das Gericht stellte jedoch fest, dass es mit keinem der mit der ISHIDA-Zusammensetzung bzw. dem ISHIDA-Verfahren durchgeführten Versuche gelungen sei, die Eigenschaften des Patents der Gesellschaft G hervorzubringen.
Dementsprechend gelangte das Gericht zu dem Schluss, dass die Behauptung von A, das Patent ISHIDA sei aufgrund von implizit in dem Dokument aus dem Stand der Technik enthaltenen Elementen für das Patent von G neuheitsschädlich, unbegründet sei. Letztendlich erklärte das Gericht jedoch den französischen Teil des Streitpatents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit in vollem Umfang für nichtig.
FR Frankreich
Kassationsgerichtshof vom 7. Oktober 2008 (07-17518) - SMCA v. SAT
Schlagwort: Neuheit – Stand der Technik – Vertraulichkeitsklausel
Das Unternehmen S, das Inhaberin eines französischen Patents war, verklagte das Unternehmen T wegen Patentverletzung, das daraufhin Widerklage auf Nichtigerklärung des Patents erhob. Das Berufungsgericht hatte das Patent für nichtig erklärt.
Der Kassationsgerichtshof urteilte, das Berufungsgericht habe festgestellt, dass alle vom Unternehmen T übermittelten Pläne zwar mit einem Vertraulichkeitsvermerk versehen waren, das Verkaufsangebot vom 21. Oktober 1998, das eine Beschreibung der Anlage umfasste, jedoch nur mit einer Eigentumsklausel, sodass es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Patents S als Stand der Technik berücksichtigt werden konnte. Das Berufungsgericht habe somit den Willen der Parteien frei gewürdigt, ohne den Inhalt von Art. 1 der dem Verkaufsangebot als Anlage beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu verfälschen.
Der Kassationsgerichtshof wiest die Revision des Unternehmens S zurück.
IT Italien
Gericht erster Instanz Florenz vom 29. Dezember 2005 (17178/2005) - Barbieri v. Bacci
Schlagwort: Neuheit - Koordination bekannter Elemente - "Übertragungserfindungen"
Das Erfordernis der Neuheit bedingt kein absolutes Maß an Originalität und Kreativität gegenüber dem Stand der Technik. Neuheit kann auch bei einer originellen und klugen Koordination bekannter Elemente und Mittel vorliegen, die zu einem technisch neuen und wirtschaftlich nützlichen Ergebnis führt (sog. Kombinationserfindung), bei einer anderen und kostengünstigeren Lösung für technische Aufgaben, die zuvor anders gelöst wurden (sog. Verbesserungserfindungen) und bei der Übertragung eines bekannten Prinzips oder einer früheren Erfindung auf ein anderes Gebiet oder mit einem anderen abschließenden Ergebnis (sog. Übertragungserfindung). Eine Übertragungserfindung liegt dann vor, wenn die Anwendung eines bekannten Erzeugnisses oder Verfahrens auf andere Erzeugnisse oder Verfahren zu neuen und unvorhersehbaren Ergebnissen führt, die sich von denen der früheren Erfindung unterscheiden.
Die Beurteilung einer Übertragungserfindung beruht auf der Analyse, ob die Kombination bekannter Elemente und Mittel einen originellen und klugen Beitrag darstellt, mit dem ein neues und wirtschaftlich nützliches Ergebnis erzielt werden kann, das zuvor nicht möglich war. Die Erfindung sollte Qualitätsmerkmale aufweisen, d. h. einen originellen, technologischen Fortschritt darstellen, und zwar sowohl zum Zeitpunkt ihrer geistigen Schöpfung als auch zum Zeitpunkt der praktischen Umsetzung in ein wirtschaftlich-industrielles Ergebnis. Die Übertragung einer erfinderischen Idee, eines Verfahrens oder eines Erzeugnisses aus dem ursprünglichen technischen Gebiet kann nur zu einer patentierbaren Erfindung führen, wenn und insoweit sie zu einem neuen und anderen Ergebnis als demjenigen führt, das unmittelbar durch die Anwendung der aus dem Stand der Technik bekannten Grundsätze erzielt wird. Sie sollte eine erfinderische Tätigkeit aufweisen, um auch die technischen Aufgaben zu lösen, die in der Übertragung selbst impliziert sind.
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te 's-Gravenhage) vom 9. Dezember 2009 - Intervet v. Merial
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Vorveröffentlichung
Die von Merial gehaltenen Streitpatente (EP 1 281 760, EP 1 386 617) betrafen die Isolierung eines neuen Virustyps, der für das Ausbrechen des (am Prioritätstag im Jahr 1997 bereits bekannten) sogenannten Postweaning Multisystemic Wasting Syndroms (PMWS) ("seuchenhaftes Kümmern nach dem Absetzen") bei Schweinen verantwortlich ist. Intervet griff das Patent mit Verweis auf eine Vorveröffentlichung an, in der angeblich die gleichen Erkenntnisse offenbart waren.
Das Gericht erkannte das angeführte Dokument als Stand der Technik an und stellte fest, dass das Isolieren dieses neuen Virustyps keine erfinderische Tätigkeit aufweise. Auch wenn aus der Vorveröffentlichung nicht eindeutig hervorgehe, was einen neuen Virustyp ausmache, werde der Fachmann angeregt, seine Forschung auf das Isolieren neuer Varianten auszurichten, anstatt sich auf die bekannten Varianten zu konzentrieren. Auch die Auffassung des Patentinhabers, dass das Isolieren eines neuen Virus als solches erfinderisch sei, konnte das Gericht nicht teilen. Zur Stützung seines Arguments hatte der Patentinhaber auf T 1231/01 verwiesen, wo es um eine vergleichbare Erfindung mit Prioritätstag im Jahr 1992 gegangen war. In dieser Entscheidung hatte die Beschwerdekammer festgestellt, dass das Isolieren eines spezifischen Virusstamms, der als Bestandteil eines Impfstoffs Schweine vor dem porcinen reproduktiven und respiratorischen Syndrom schützen sollte, eine erfinderische Tätigkeit war.
Nach Auffassung des Gerichts ist aus dieser Entscheidung jedoch nicht abzuleiten, dass das Isolieren eines Virus in jedem Fall auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Vielmehr hänge die Beurteilung vom Wissen und von den Fähigkeiten des Fachmanns am Prioritätstag ab. Aufgrund der Zeitspanne von fünf Jahren zwischen den beiden Prioritätstagen und der raschen Weiterentwicklung auf diesem speziellen Gebiet habe der Fachmann 1997 über erheblich mehr Wissen und Fähigkeiten verfügt. Im vorliegenden Fall habe die Vorveröffentlichung ausreichende Informationen offenbart, sodass die Isolierung des neuen Virustyps nacharbeitbar gewesen sei. Gestützt werde dies zudem durch die Tatsache, dass es drei anderen Forschungsteams um den Prioritätstag herum gelungen war, die DNA-Sequenz des Virus zu ermitteln.
NL Niederlande
Berufungsgericht Den Haag (Gerechtshof te 's-Gravenhage) vom 13. Juli 2010 - Clyde Bergemann v. Magaldi
Schlagwort: Neuheit - Stand der Technik - Zugänglichmachung - Akteneinsicht
Im Berufungsverfahren gegen das Urteil des Gerichts, das eine Widerrufsklage abgewiesen hatte, machte der Patentinhaber geltend, dass ein neuheitsschädliches Schreiben in der Erteilungsakte einer anderen, früher beim EPA eingereichten Anmeldung nicht zum Stand der Technik gehöre, weil solche Erteilungsakten am Prioritätstag im Jahr 1990 nicht in digitaler Form verfügbar gewesen seien.
Dieses Argument wies das Berufungsgericht zurück und widerrief das Patent. Erteilungsakten seien am Prioritätstag insofern verfügbar gewesen, als sie von der Öffentlichkeit im Rahmen von Art. 128 (4) EPÜ angefordert oder eingesehen werden konnten. Die Tatsache, dass die Öffentlichkeit den Inhalt einer Erteilungsakte nicht im Voraus habe kennen können, ändere nichts daran, dass ihr dieser Inhalt zugänglich gewesen sei. Hier seien die Fakten anders gelagert als in T 314/99, wo die Technische Beschwerdekammer festgestellt hatte, dass eine unveröffentlichte und noch nicht in einer Bibliothek katalogisierte Diplomarbeit nicht zum Stand der Technik gehört. Während nicht erwartet werden könne, dass die Öffentlichkeit die gesamten Bestände einer Bibliothek auf möglicherweise relevantes Material durchforste, sei die Durchsicht einer Erteilungsakte auf relevante Unterlagen mit keinem allzu großen Aufwand verbunden.
NO Norwegen
Beschwerdekammer des Patentamts vom 7. Januar 2010 (Fall-Nr. 7886) - Laminaria hyperborea
Schlagwort: Neuheitsbegriff - Harmonisierung mit EPA-Standard
Vorliegend ging es um die Beschwerde gegen eine Entscheidung der Prüfungsabteilung des norwegischen Patentamts, mit der eine Patentanmeldung wegen mangelnder Neuheit zurückgewiesen worden war. Die Anmeldung betraf einen Bodendünger mit dem Riesentang laminaria hyperborea als Inhaltsstoff. Im nächstliegenden Stand der Technik (D1) war lediglich die Verwendung von Tang generell offenbart, ohne dass eine bestimmte Art genannt wurde. Es galt die Frage zu klären, ob die Auswahl einer bestimmten Riesentangart der Anmeldung Neuheit verleihen konnte. Die Antwort auf diese Frage war vom angewandten Neuheitsbegriff abhängig.
Nach norwegischem Recht wurde das Neuheitserfordernis traditionell als das Erfordernis eines "deutlichen technischen Unterschieds" zwischen dem nächstliegenden Stand der Technik und der Erfindung verstanden. Damit wurden strengere Maßstäbe angewandt als beim EPA, wo eine Erfindung nur dann als vorweggenommen gilt, wenn all ihre Merkmale unmittelbar und eindeutig aus einer einzigen Entgegenhaltung abgeleitet werden können.
Die Beschwerdekammer befand, dass die Anwendung eines strengeren Neuheitsbegriffs in Norwegen in früheren Zeiten gerechtfertigt war, aufgrund von zwei Umständen aber kaum mehr Bestand haben kann: Zum einen ist Norwegen am 1. Januar 2008 dem EPÜ beigetreten. Zum anderen ist am 16. Dezember 2008 das Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs im Olanzapin-Fall ergangen, mit dem der deutsche Neuheitsbegriff an den vom EPA angewandten Standard angepasst wurde. Legte Norwegen also weiterhin strengere Maßstäbe an, so würde es von einer mehr oder weniger allgemein anerkannten europäischen Praxis abweichen. Nach Auffassung der Kammer liefe dies dem Ziel einer europaweiten Harmonisierung des Patentrechts zuwider.
Daher verwarf die Beschwerdekammer den alten Neuheitsbegriff und orientierte sich am EPA-Standard. Da die Auswahl einer bestimmten Riesentangart nicht unmittelbar und eindeutig aus dem nächstliegenden Stand der Technik abgeleitet werden konnte, wurde das Neuheitserfordernis als erfüllt angesehen.
Anmerkung des Herausgebers: zum Olanzapin-Fall siehe Kapitel V. 2.
2. Chemische Erfindungen und Auswahlerfindungen
CH Schweiz
Bundesgericht vom 28. Februar 2007 (4C.403/2005) - Citalopram
Schlagwort: Neuheit - chemische Erfindung - Erreichen eines höheren Reinheitsgrads
Das Patent betraf die Herstellung des zur Behandlung von Depressionen verwendeten Stoffes Citalopram als kristalline Base mit einem besonders hohen Reinheitsgrad (mehr als 99,8 %). In der Vorinstanz war das Handelsgericht Zürich zu dem Schluss gelangt, mit der in den Patentansprüchen definierten Reinheit des vorbekannten Stoffes Citalopram werde keine neue Erfindung offenbart und kein bisher unbekannter technischer Effekt erreicht, weshalb Neuheit und erfinderische Tätigkeit fehlten.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens gegen dieses Urteil nahm das Bundesgericht vorweg, dass die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA gegebenenfalls von Bedeutung ist und in Betracht gezogen werden darf. Entgegen der Ansicht der Beklagten (Patentinhaberin) sei daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Rechtsprechung der Beschwerdekammern berücksichtigt habe, soweit sie die Auslegung des EPÜ betreffe und für die zu beurteilende Frage erheblich sei.
Was die Frage der Neuheit anging, war im vorliegenden Fall nicht bestritten, dass der im Patent als kristalline Base beanspruchte chemische Stoff Citalopram als solcher der Öffentlichkeit bekannt und für den Fachmann herstellbar war. Das Bundesgericht stellte dabei fest, dass die weitere Reinigung der in einem chemischen Verfahren erzeugten Verbindungen aus der Sicht des Fachmanns auf dem Gebiet der präparativen organischen Chemie zu den üblichen Maßnahmen gehört, wobei ihm die dazu erforderlichen gebräuchlichen Verfahren bekannt sind. Aus diesem Grund kommt nach der Praxis der Beschwerdekammern des EPA ein Patent für die Herstellung einer vorbekannten, besonders reinen Substanz nur ausnahmsweise in Betracht, wenn diese allgemein bekannten Verfahren für eine zusätzliche Reinigung nicht ausreichen und daher für den Fachmann aufgrund der allgemein bekannten Verfahren der chemische Stoff in einer bestimmten Reinheit nicht herstellbar ist (vgl. T 990/96, ABl. EPA 1998, 489). Nur unter diesen Umständen wird der beanspruchte Reinheitsgrad ausnahmsweise als ein gegenüber dem Stand der Technik neues Element anerkannt (vgl. T 803/01).
Nachdem die vorliegend beanspruchte chemische Verbindung zum Stand der Technik gehörte und damit nach allgemeiner Erfahrung in sämtlichen Reinheitsgraden vorbekannt war, bedurfte nach Ansicht des Bundesgerichts besonderer Begründung, weshalb mit dem beanspruchten Reinheitsgrad ein neues Element eingeführt wurde und der Anspruch ausnahmsweise als neu anzusehen war. Der entsprechende Nachweis konnte insbesondere mit dem Beweis erbracht werden, dass ein besonderes Verfahren zur Herstellung dieser Reinheit erforderlich war. Es oblag allerdings in jedem Fall der Patentinhaberin, den Beweis zu erbringen, dass der von ihr beanspruchte Reinheitsgrad mit herkömmlichen Methoden nicht zu erreichen war.
GB Vereinigtes Königreich
House of Lords vom 20. Oktober 2005 - Synthon BV v. Smithkline Beecham plc [2005] UKHL 59
Schlagwort: Neuheit – Stand der Technik – chemische Erfindungen – Vorwegnahme von chemischen Verbindungen
Das House of Lords gab der Revision gegen die Entscheidung des Court of Appeal statt und stellte die Entscheidung des High Court wieder her, der das Patent von SB (UK Patent Nr. 2 336 364) auf eine Verbindung mit verbesserten Eigenschaften zur Behandlung von Depressionen für nichtig erklärt hatte. In einer früheren, von Synthon eingereichten Patentanmeldung wurde die Existenz eben des Erzeugnisses offenbart, das Gegenstand des Patents von SB war, und dieses Erzeugnis ließ sich durch Ausführung der früheren Anmeldung herstellen.
Die das Urteil tragende Begründung wurde von Lord Hoffmann verfasst. Nach dem Gesetz gebe es zwei Erfordernisse für eine Vorwegnahme: eine frühere Offenbarung und Ausführbarkeit. Dies seien unterschiedliche Voraussetzungen, die beide erfüllt sein müssten und für die jeweils eigene Regeln gälten.
Die Entgegenhaltung muss einen Gegenstand offenbaren, dessen Ausführung das Patent notwendigerweise verletzt. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Stand der Technik dieselbe Erfindung offenbart. In diesem Fall steht außer Frage, dass die Ausführung der früheren Erfindung das Patent verletzt, und für jemanden, der sowohl den Stand der Technik als auch das Patent kennt, ist die Verletzung des Patents in der Regel offensichtlich. Doch setzt eine Patentverletzung nicht voraus, dass sich der Betreffende der Verletzung bewusst ist. Die frühere Offenbarung darf nicht im Lichte des späteren Patents ausgelegt werden, sondern so, wie sie der Fachmann am Tag der Offenbarung verstanden hätte (siehe T 396/89). Durch das Erfordernis, dass die Ausführung einer im Stand der Technik offenbarten Erfindung das Patent notwendigerweise verletzt, unterscheidet sich Neuheit von Naheliegen.
Ausführbarkeit bedeutet, dass der Durchschnittsfachmann in der Lage wäre, die Erfindung, die das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung erfüllt, auszuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob der offenbarte Gegenstand nach s. 2 (2) oder - wie im vorliegenden Fall - nach s. 2 (3) Patents Act 1977 dem Stand der Technik zugerechnet wird (d. h. in einer anderen Patentanmeldung enthalten ist, die bestimmte Voraussetzungen erfüllt).
Lord Hoffmann stellte daher die Frage: "Offenbart die Anmeldung von Synthon eine Erfindung, deren Ausführung das Patent von SB verletzen würde? Es werden unzählige Verbindungen offenbart, von denen jede Einzelne als Erfindung angesehen werden kann, weil die Anmeldung sich auf eine anhand einer Formel definierte Klasse von chemischen Stoffen erstreckt. Ist eine dieser Verbindungen das im Patent beanspruchte kristalline PMS?". Lord Hoffmann gelangte zu der Auffassung, dass die Existenz von PMS-Kristallen von hinreichender Reinheit und ihre Vorteile für eine pharmazeutische Nutzung klar offenbart würden. Ob sie sich herstellen ließen, sei eine Frage der Ausführbarkeit wie auch eine Tatfrage. Die erste Instanz habe festgestellt, dass eine ausführbare Offenbarung vorliege; mit einer solchen Tatsachenfeststellung sollte sich eine Beschwerdeinstanz im Regelfall nicht befassen.
ES Spanien
Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 18. Oktober 2007 (Berufungs-Nr. 116/2007) - LEK Pharmaceuticals v. Warner-Lambert Company
Schlagwort: Neuheit - Auswahlerfindung - technisches Gutachten nach Art. 25 EPÜ - Atorvastatin
Das beklagte Unternehmen WL entwickelte in den 80er Jahren neue Inhibitoren des Enzyms, das an der Biosynthese des Cholesterins in den ersten Stufen beteiligt ist. Damit wurde eine Reihe von Verbindungen der allgemeinen Formel I geschaffen, die in den USA und in Europa geschützt sind. Danach entwickelte WL ein neues, verbessertes Verfahren zur Gewinnung der Verbindungen der allgemeinen Formel I und meldete unter anderem am 22. Februar 1989 ein europäisches Patent an. Diese als "D1" bezeichnete Anmeldung führte zur Erteilung des Patents EP 0 330 172, das in Spanien unter der Nummer ES 2 058 356 veröffentlicht wurde. Schließlich wählte und entwickelte die Beklagte unter den darin enthaltenen Möglichkeiten das Calcium-Atorvastatin, das durch das Patent EP 0 409 281 ('281) geschützt ist und in Spanien als ES 2 167 306 veröffentlicht wurde. Die Klägerin war der Ansicht, dass das Patent EP '281 wegen mangelnder Neuheit teilweise nichtig sei, da der Gegenstand dieser Ansprüche bereits zu dem am Prioritätstag der EP '281 (d. h. am 21. Juli 1989) vorhandenen Stand der Technik gehört habe. Als Entgegenhaltung wurde eben dieses als "D1" bezeichnete von WL angemeldete europäische Patent vom 22. Februar 1989 angeführt.
Der 15. Senat des Berufungsgerichts Barcelona vertrat die Auffassung, dass bei dem Auswahlpatent EP '281 die Neuheit zu bejahen sei, und dass er damit nicht etwa von den durch die Beschwerdekammern des EPA erarbeiteten allgemeinen Kriterien für die Neuheit abweiche, sondern diese ganz konkret unter Heranziehung des sogenannten Zwei-Listen-Prinzips auf den vorliegenden Fall anwende. Wenn die Information, die einem Fachmann auf dem betreffenden Gebiet in der Offenbarung zur Verfügung gestellt werde, ausreichen müsse, um ihn zum relevanten Zeitpunkt in die Lage zu versetzen, die technischen Lehren, die Gegenstand des Dokuments seien, in die Praxis umzusetzen, und um darin implizite, neuheitsschädliche Lehren zu sehen, sei es in der Tat erforderlich, dass die spätere Erfindung unmittelbar und eindeutig daraus hervorgehe, d. h. dass sie direkt und unmissverständlich aus der Beschreibung erschlossen werden könne als etwas, was mit Sicherheit eintreten werde und unweigerlich abzuleiten sei (in T 677/91 werde festgestellt, dass es, um dem Gegenstand der Ansprüche mangelnde Neuheit zu attestieren, nicht genüge, dass er aus dem zum Stand der Technik gehörenden Dokument hätte hergeleitet werden können. Es müsse vielmehr eine klare und unmissverständliche Lehre der beanspruchten Elemente vorliegen). Gebe es hingegen eine signifikante Anzahl von Möglichkeiten und Alternativen für den Fachmann, so könne nicht auf mangelnde Neuheit der getroffenen Auswahl geschlossen werden, da das erhaltene Ergebnis nicht in unmittelbarer und eindeutiger Weise aus dem Dokument hervorgegangen sei, sondern sich aus der später vorgenommenen spezifischen Auswahl ergeben habe, konkret individualisiert in etwas Neuem, das zuvor noch nicht beschrieben worden sei. Je komplexer die Möglichkeiten für den mit dem älteren Dokument konfrontierten Fachmann seien, desto weniger eindeutig und zwangsläufig seien die Schlussfolgerungen, zu denen er gelange.
Das Gericht führte in seinem Urteil aus, dass die Komplexität und der Umfang der zur Verfügung stehenden Auswahlmöglichkeiten den eigentlichen Kern des Zwei-Listen-Prinzips bildeten: Entscheidend sei nicht das formale Vorhandensein zweier Ausgangslisten an sich. Je komplexer sich die Auswahlmöglichkeiten für den mit dem älteren Dokument konfrontierten Fachmann darstellten, desto weniger eindeutig und zwangsläufig seien die Schlussfolgerungen, zu denen er gelange. Diese Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze zur ausreichenden Beschreibung, deren zentrales Kriterium die Komplexität der Auswahlmöglichkeiten sei, spiegele sich auch in Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA sowie in den Prüfungsrichtlinien wider, die sich ganz konkret mit Auswahlerfindungen befassten (siehe Entscheidung T 12/81, später gefolgt von T 7/86). Die Auffassung der Beschwerdekammern habe bereits darauf schließen lassen, dass die spätere Auswahl eines Calciumsalzes von Atorvastatin als neu einzustufen sei. In diesem Sinne habe sich auch die Prüfungsabteilung des EPA in ihrem Gutachten vom 19. Oktober 2006 geäußert, in dem sie genau diese Grundsätze aus der Entscheidung T 12/81 zugrunde gelegt habe. Das Gericht sah keine explizite Beschreibung im Dokument D1, weder des Calcium-Atorvastatins noch irgendeines anderen Salzes dieser Verbindung. Was die Möglichkeit einer impliziten Beschreibung anbelange, so seien die Auswahlmöglichkeiten für den Fachmann zum relevanten Zeitpunkt komplex genug gewesen, um bejahen zu können, dass die Gewinnung eines Calciumsalzes von Atorvastatin keine zwangsläufige Folgerung gewesen sei, d. h. keine klare und unmissverständliche Lehre, zu der man unweigerlich und mit hundertprozentiger Sicherheit gelangen musste. Das Gericht verwies darauf, dass der Neuheitsbegriff von den Beschwerdekammern des EPA in großer Ausführlichkeit abgehandelt worden sei. Diese Maßstäbe, die für die Justizbehörden in den Unterzeichnerstaaten des EPÜ selbstverständlich nicht bindend seien, da sie rein verwaltungstechnischer Natur seien, könnten jedoch zur Veranschaulichung von Schlüsselbegriffen im EPÜ und als Leitlinien für deren Auslegung herangezogen werden. Dies sei in einem Rechtsstreit wie diesem, bei dem die Gültigkeit eines europäischen Patents zur Debatte stehe, zweifellos sehr nützlich.
Anmerkung des Herausgebers: Siehe auch Urteile vom 17. März 2008 (Laboratorios Cinfa, S.A. et al. v. Warner-Lambert Company) und vom 30. Oktober 2009 (Laboratorios Ranbaxy, S.A. et al. v. Warner-Lambert Company), in denen das Gericht die Neuheit der Erfindung mit derselben Begründung bejahte.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 20. Februar 2009 (05/12994) - Glaxo v. Merck
Schlagwort: Neuheit – im Stand der Technik offenbarte Verbindung – "neuer" Reinheitsgrad
Die Erfindung betrifft eine amorphe Form von Cefuroximaxetil, ein Verfahren zu ihrer Herstellung, eine sie enthaltende Verbindung und ihre medizinische Verwendung. Das Unternehmen M bestreitet die Neuheit des streitigen französischen Patents des Unternehmens G unter Hinweis auf das britische Patent GB 1 571 683.
Dem Gericht zufolge steht fest, dass Cefuroximaxetil und seine Verwendung als Wirkstoff einer pharmazeutischen Zubereitung seit dem 15. Februar 2004 nicht mehr patentgeschützt sind. In der Beschreibung des betreffenden Patents selbst heißt es, dass man Cefuroximaxetil mit den im britischen Patent beispielhaft angeführten Herstellungsverfahren "in relativ unreiner amorpher Form oder in reinerer kristalliner Form erhält". Nach Auffassung des Gerichts kann ein neuer Reinheitsgrad, der dem Fachmann durch Anwendung klassischer Aufbereitungstechniken zugänglich ist, einem bereits bekannten Erzeugnis keine Neuheit verleihen.
Im Übrigen sind die vom Unternehmen G in anderen Verfahren erwirkten US-Entscheidungen nicht geeignet, die Neuheit von Anspruch 1 zu begründen, der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.
Zur Gültigkeit des Patents unter dem Gesichtspunkt der Neuheit urteilt das Gericht infolgedessen, dass Anspruch 1 des französischen Patents Cefuroximaxetil in amorpher Form offenbart, das im Stand der Technik enthalten ist und sich von diesem nur durch seinen Reinheitsgrad unterscheidet; dieser Anspruch ist wegen fehlender Neuheit für nichtig zu erklären, da ein neuer Reinheitsgrad einem bekannten Erzeugnis nicht zur Patentierbarkeit verhelfen kann.
NL Niederlande
Berufungsgericht Den Haag (Gerechtshof te 's-Gravenhage) vom 16. März 2010 - Aventis v. Apothecon
Schlagwort: Neuheit - Auswahlerfindungen - Fexofenadin
Der Patentinhaber legte Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts ein, mit dem sein Patent widerrufen worden war. Das strittige europäische Patent EP 0 639 976 betraf die Verwendung von Fexofenadin als Antihistaminikum zur Behandlung von Heuschnupfenpatienten, die auch an einer Lebererkrankung leiden. Die Verwendung chemischer Stoffe zur Behandlung von Heuschnupfen war bereits bekannt. Die beanspruchte Erfindung sollte jedoch die Nebenwirkungen eines anderen Antihistaminikums - Terfenadin - verhindern, das bei Heuschnupfenpatienten mit einer Lebererkrankung zu Herzinsuffizienz führt. Der Patentinhaber machte geltend, dass die Neuheit des beanspruchten Stoffs auf einer Auswahl beruhe, nämlich der Auswahl der spezifischen Gruppe der Heuschnupfenpatienten mit einer Lebererkrankung.
Das Gericht wies auf die ständige europäische Rechtsprechung hin, wonach eine Auswahlerfindung nur dann Gültigkeit erlangen kann, wenn die Auswahl nicht willkürlich ist. Im vorliegenden Fall sei die Auswahl jedoch als willkürlich zu betrachten, weil weder eine überraschend bessere therapeutische Wirkung noch das Ausbleiben schwerer Nebenwirkungen nachgewiesen worden sei. Nachdem die Verabreichung von Fexofenadin bei Heuschnupfenpatienten unabhängig davon, ob sie unter einer Lebererkrankung litten oder nicht, keine Herzinsuffizienz hervorrufe, sei die Verhinderung der Herzinsuffizienz an sich nicht als überraschende technische Wirkung der beanspruchten Erfindung anzusehen.
3. Neuheit der Verwendung
AT Österreich
Oberster Patent- und Markensenat vom 28. September 2005 (Op 3/04) - Omeprazol III
Schlagwort: Stoffschutz - schweizerische Anspruchsform
Das streitige Patent betraf die Verwendung neuer Benzimidazole (Trivialbezeichnung "Omeprazol") zur Herstellung von pharmazeutischen Präparaten zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren und war in der schweizerischen Anspruchsform "Swiss-type claim" abgefasst. In vorangegangenen Entscheidungen hatte der Oberste Gerichtshof im Rahmen eines Verletzungsstreites das Patent für nichtig erachtet, da die so formulierten Ansprüche kein bestimmtes Verfahren beschrieben und damit unter das damals bestehende - und aufgrund eines österreichischen Vorbehalts gültige - Stoffschutzverbot für Arzneimittel fielen (OGH vom 21.12.2004 - Omeprazol II; OGH Entscheidung vom 28.09.2004 - Omeprazol I).
Der OPM hat im Rahmen des vorliegenden Nichtigkeitsverfahrens entschieden, dass "Swiss-type claims" als zweckgebundene Verfahrensansprüche mit dem Stoffschutzverbot vereinbar sind. Sie schützen nicht das Arzneimittel als solches, sondern ein Verfahren zur Herstellung eines Arzneimittels, das durch die Verwendung eines bestimmten Wirkstoffs für eine bestimmte medizinische Indikation definiert ist. Die Beschränkung auf eine bestimmte medizinische Indikation schließt eine Monopolisierung des Arzneimittels aus, wie sie das Stoffschutzverbot verhindern will.
Nach der österreichischen Rechtsprechung müsste das Verfahren zur Herstellung eines Arzneimittels "bestimmt" sein, um eine Umgehung des Stoffschutzverbotes zu verhindern. Umgangen würde das Stoffschutzverbot durch ein reines Mischverfahren. Die nach der schweizerischen Anspruchsform abgefassten Ansprüche betreffen aber kein reines Mischverfahren. Denn die für die "augenfällige Herrichtung" eines Arzneimittels notwendigen Maßnahmen wie Formulierung und Dosierung des Wirkstoffes und die entsprechende Verpackung des Arzneimittels können dem nicht gleich gehalten werden. Sie sind nicht trivial, sondern ergeben sich aus der jeweiligen medizinischen Indikation und dienen dazu, die daraus folgende Einschränkung des Schutzbereiches umzusetzen. Dass sie im Patentanspruch nicht im Einzelnen angeführt sind, macht das Verfahren nicht unbestimmt, sondern hat seinen Grund darin, dass sie der Fachmann ohnehin kennt.
AT Österreich
Oberster Gerichtshof vom 9. Februar 2010 (17 Ob 35/09k) - Isoflavon
Schlagwort: Stoffschutz - schweizerische Anspruchsform
Das Patent enthielt einen Verwendungsanspruch (schweizerische Anspruchsform), nämlich die Verwendung eines Isoflavon-Phytoöstrogen-Extrakts für die Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von bestimmten Krankheiten und Beschwerden. Die Patentinhaberin warf der Beklagten vor, sie vertreibe ein Nahrungsergänzungsmittel, dessen Einnahme nach der Beschreibung Erleichterung bei ähnlichen Beschwerden infolge der darin enthaltenen Isoflavone bewirken solle.
Nach Auffassung des Gerichts handelte es sich bei dem streitigen Patentanspruch um einen zweckbestimmten Stoffschutz zur Anwendung in einem therapeutischen Verfahren (Art. 54 (5) i. V. m. Art. 52 (4) EPÜ 1973). Neuheitsbegründend war dabei die Wirkung des Stoffes (medizinische Zweckangabe), so dass der Patentschutz nur solche Erzeugnisse und Produkte umfasste, die sich für den angegebenen Zweck eigneten. Das finale Element des Verwendungszwecks begrenzte insofern den Schutzbereich des Patents, als dem Inhaber (nur) jene Handlungen vorbehalten waren, die sich auf Herstellung und Verwendung von Stoffen gleicher Beschaffenheit und Zweckbestimmung als Arzneimittel im Bereich der beanspruchten Indikation bezogen.
Für die Beantwortung der Frage, ob der im Patent genannte oder ein anderer Zweck verfolgt und erreicht war, sollte ein praktisch vernünftiger Maßstab angelegt werden. Dass sich ein Mittel - auch - für den im Klagepatent genannten Zweck eignete, besagte noch nicht, dass es auf eine solche Verwendung (in Dosierung, Formulierung, Konfektionierung und Verpackung) auch ausgerichtet war. Zur Benutzung der in dem "zweckgebundenen Anspruch" unter Schutz gestellten Lehre musste vielmehr hinzukommen, dass der der Erfindung innewohnende Zweck im Sinne der konkreten Zielrichtung der patentierten Lehre in einem praktisch erheblichen Umfang erreicht wurde.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 12. Oktober 2007 - Teva Pharmaceutical Industries Ltd & Teva UK Ltd v. Merrell Pharmaceuticals Inc, Aventis Inc & Sepracor [2007] EWHC 2276 (Ch)
Schlagwort: neue Verwendung – zweite medizinische Indikation – schweizerische Anspruchsform – Fexofenadin
Merrell hatte ein Patent auf Terfenadin inne, einem Antihistaminikum, das bei oraler Verabreichung im menschlichen Körper in seinen Säuremetaboliten umgewandelt wird und die bei anderen Medikamenten gewöhnlich auftretenden Nebenwirkungen wie Benommenheit oder kardiovaskuläre Probleme nicht hervorruft.
Aventis und Sepracor waren Inhaberinnen von zwei anderen Patenten, die sich auf die Verwendung des Säuremetaboliten anstelle von Terfenadin zur Herstellung eines Antihistaminikums (mit dem Freinamen Fexofenadin) zur Behandlung von allergischen Symptomen bezogen.
Der Generikahersteller Teva, der Fexofenadin im Vereinigten Königreich vertreiben wollte, klagte vor dem Patentgericht auf Nichtigerklärung dieser Patente. Bei den streitigen Ansprüchen handelte es sich zumeist um eine schweizerische Anspruchsform.
Der Richter am Patentgericht Warren erklärte die Patente dem Antrag von Teva entsprechend für nichtig, da sie weder neu seien noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. Am Prioritätstag habe es zum allgemeinen Fachwissen gehört, dass der Großteil, wenn nicht die gesamte pharmazeutische Wirkung bei der Verwendung als Antihistaminikum auf Fexofenadin zurückzuführen sei. Nichts stand der Erprobung von Fexofenadin als etwas entgegen, das einen Versuch wert und durchaus erfolgversprechend war. Somit konnten die Fexofenadin-Arzneimittel nicht als neu bezeichnet werden und gehörten zum Stand der Technik.
In seiner Entscheidung nahm Richter Warren eine eingehende Analyse und Bewertung von technischen Beweisen vor und erstellte folgende hilfreiche Zusammenfassung des aktuellen Stands zur schweizerischen Anspruchsform vor dem EPA und in der Praxis des Vereinigten Königreichs:
- Es ist möglich, ein Patent auf die erste medizinische Verwendung eines bekannten Stoffs oder Stoffgemisches zu erlangen, wenn bislang nicht bekannt war, dass es für diesen Stoff bzw. dieses Stoffgemisch eine medizinische Verwendung gibt.
- Beim EPA wird die Praxis des schweizerischen Patentamts, wonach ein europäisches Patent erteilt werden kann, wenn Ansprüche auf die Verwendung eines Stoffs oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels für eine angegebene neue und erfinderische therapeutische Anwendung gerichtet sind, aus rechtspolitischen Gründen akzeptiert. Dies hat zum inzwischen weitverbreiteten Gebrauch der zweiten medizinischen Indikation unter Verwendung der sogenannten "Schweizer Fassung" von Ansprüchen geführt (siehe G 1/83). Demnach würde ein Anspruch in der Fassung: "Verwendung von [X] zur Behandlung von [Y]" nicht akzeptiert, wohingegen ein Anspruch "Verwendung von [X] zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von [Y]" zugelassen würde. Wohlgemerkt ist das Merkmal, aus dem sich Neuheit und erfinderische Tätigkeit herleiten, die neue Behandlung; dessen ungeachtet ist der Anspruch in der schweizerischen Anspruchsform auf die Verwendung des Stoffs zur Herstellung des betreffenden Arzneimittels gerichtet und nicht auf die Verwendung des Arzneimittels für die neue Therapie.
- Leiturteil zu Ansprüchen in der schweizerischen Anspruchsform ist im englischen Recht die Entscheidung des Court of Appeal in Bristol-Myers Squibb v. Baker Norman, in der es nicht um eine neue therapeutische Anwendung, sondern um eine neue Dosierung geht. Kurz zusammengefasst urteilte der Court of Appeal, dass die schweizerische Anspruchsform, soweit sie überhaupt zulässig ist, sich auf eine therapeutische Anwendung beschränken muss, die nicht nur erfinderisch, sondern auch neu ist; die Neuheit muss in der neuen zweiten (oder weiteren) medizinischen Verwendung begründet sein. Mit anderen Worten, die Neuheit muss auf einer neuen Anwendung beruhen (d. h., mit dem bekannten Stoffgemisch soll eine weitere gesundheitliche Störung behandelt werden, oder es wird nicht mehr zur Heilung, sondern zur Verhütung einer Erkrankung eingesetzt), und nicht in einer verbesserten Anwendung im Rahmen der Durchführung einer existierenden Therapie.
Richter Warren setzte sich mit den Einlassungen der Beklagten auseinander, die technische Beschwerdekammer des EPA habe G 1/83 kürzlich anders ausgelegt als der Court of Appeal in Bristol-Myers und habe es ausdrücklich abgelehnt, sich dessen Auslegung anzuschließen. Das englische Recht halte mit der Rechtsprechung des EPA nicht mehr Schritt, so die Beklagte. Daher solle das Gericht in Anbetracht der Ausführungen des House of Lords, wonach Entscheidungen des EPA, und erst recht Entscheidungen der technischen Beschwerdekammern, als zur Nachahmung empfohlene Präzedenzfälle anzusehen seien, von der bisherigen Rechtsprechung abrücken.
Richter Warren sah sich jedoch nicht als befugt an, von der Entscheidung in Bristol-Myers abzuweichen, da es sich um eine sorgfältig bedachte und begründete Entscheidung des Court of Appeal handle. Diesem Gericht obliege es, zu prüfen, ob angesichts der Weiterentwicklung der Rechtsprechung des EPA eine Abkehr von seiner früheren Entscheidung geboten sei.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 30. Juni 2008 - Actavis Ltd v. Janssen [2008] EWHC 1422 (Pat)
Schlagwort: Neuheit - zweite medizinische Verwendung
Das beklagte Unternehmen, Janssen, war Inhaber des europäischen Patents EP 0 334 429. Die patentgegenständliche Erfindung betraf ein Medikament, das die Wirkung von Blutdrucksenkern potenziert. Actavis griff - mit einigem Erfolg - die Rechtsgültigkeit des Patents an und begründete dies u. a. mit mangelnder Neuheit.
Das Gericht befand, dass mehrere Ansprüche des Streitpatents durch ein früheres Patent des Patentinhabers vorweggenommen würden. In Anlehnung an die kurz zuvor in Synthon v. SmithKline Beecham [2006] RPC 10 geänderte Rechtsprechung bezüglich Neuheit ging das Gericht von dem Grundsatz aus, dass die als Stand der Technik angeführten Dokumente Offenbarungen enthalten müssten, die bei Ausführung zwangsläufig zu einer Patentverletzung führen würden. Das Gericht legte dies dahingehend aus, dass es ermitteln sollte, was bei Abwägung der Wahrscheinlichkeit tatsächlich geschehen würde. So kam es zu der Schlussfolgerung, dass in diesem Fall zwangsläufig eine Patentverletzung die Folge wäre.
Der Patentinhaber hatte unter Berufung auf G 2/88 vorgebracht, dass sich ein Anspruch durchaus auf die Verwendung eines bekannten Stoffes zur Erzeugung einer bislang unbekannten technischen Wirkung erstrecken könne und es für solche Ansprüche keine Rolle spiele, dass sich die technische Wirkung inhärent aus der Verwendung des Stoffes zur Erzielung der bekannten technischen Wirkung ergebe. In G 2/88 sei das technische Merkmal des Anspruchs (Verringerung der Reibung) in der alten Verwendung inhärent enthalten gewesen und habe sich zwangsläufig aus dem Einfüllen des Zusatzstoffes in den Motor ergeben. Doch dieses technische Merkmal habe als der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht gegolten. Janssen behauptete, dass sich dies nicht von dem Fall einer neuen medizinischen Behandlung unterscheide. Wenn entdeckt werde, dass ein altes (zur Behandlung der Krankheit X bekanntes) Arzneimittel auch zur Behandlung der Krankheit Y eingesetzt werden könne, so sei es natürlich unvermeidlich, dass einige der Patienten, bei denen dieses Arzneimittel bislang zur Behandlung der Krankheit X angewandt worden sei, möglicherweise auch die Krankheit Y gehabt hätten und inhärent dagegen behandelt worden seien. Doch reiche allein schon die Neuheit des Zwecks aus, also die Verwendung zur Behandlung von Y. Dieser Grundsatz sei inzwischen definitiv in der Rechtsprechung des Vereinigten Königreichs verankert (siehe G 5/83; Wyeth v. Schering [1985] RPC 545).
In G 2/88 ging es um die Behandlung von Ansprüchen, die auf die Verwendung eines bekannten Stoffes für einen neuen Zweck gerichtet waren, die auf einer neuen, nicht offenbarten (jedoch de facto bereits erzielten) technischen Wirkung beruhte. Der beanspruchte neue Zweck, die Verringerung der Reibung, unterschied sich eindeutig vom Zweck der Verhinderung von Rostbildung und wurde durch die neue und andersartige technische Wirkung ermöglicht. In diese Kategorie ließ sich der vor dem Gericht anhängige Fall nur schwer einordnen.
Das Gericht war der Auffassung, dass, wenn in G 2/88 richtig entschieden worden sei, eine nicht bekannt gemachte technische Wirkung, die einer neuen Verwendung eines bekannten Mittels zugrunde liege, eine Ausnahme von der Regel bezüglich zwangsläufiger Ergebnisse darstelle. Jedoch schlössen sich das EPA und Gerichte im Vereinigten Königreich der Entscheidung G 2/88 offenbar nur bedingt an. Die Fälle T 958/90 und T 279/93 zeigten, dass das EPA mittlerweile zwischen echten neuen Verwendungen und reinen Zusatzinformationen zu alten Verwendungen unterscheide. Im erstgenannten Fall hatte die Beschwerdekammer festgestellt, dass die in dem Patent enthaltenen neuen Informationen lediglich "einen weiteren Grund für die Verwendung des bekannten Gemisches in der bekannten Weise für den bekannten Zweck" lieferten und damit keinen Beitrag zum Stand der Technik darstellten.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die bloße Erklärung eines Mechanismus, auf dem eine im Stand der Technik bereits beschriebene Verwendung basiere, keine Neuheit begründen könne, wenn nicht mehr offenbart werde. In G 2/88 hätten der neuen und der alten Verwendung verschiedene und unterschiedlich geartete technische Wirkungen zugrunde gelegen. Nicht immer lasse sich die Entdeckung der Funktionsweise eines Arzneimittels in einen neuen Zweck umsetzen und als solcher beanspruchen.
Zudem wurde nachgewiesen, dass der Gegenstand mehrerer Ansprüche auf einer wissenschaftlichen Konferenz präsentiert und damit vorweggenommen worden war. Daher wurden die meisten Ansprüche des Patents wegen mangelnder Neuheit für nichtig erklärt, und nur einer behielt seine Gültigkeit.
D. Erfinderische Tätigkeit
1. Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit
CH Schweiz
Handelsgericht Bern vom 6. Juli 2005 (HG 03 9024) - Anschlaghalter III
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - namhafter technischer Fortschritt
Im Rahmen einer Streitigkeit aus einer Abhängigkeitslizenz, der die Verletzung des älteren Patents durch die Benutzung des jüngeren Rechts zugrunde lag, stellte das Handelsgericht fest, dass die jüngere Erfindung im Vergleich zur älteren einen namhaften technischen Fortschritt von erheblicher Bedeutung darstellen muss. Eine inhaltliche Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs des namhaften technischen Fortschritts kann weder dem schweizerischen Patentgesetz noch den Materialien entnommen werden. Der Lehre lässt sich in dieser Hinsicht entnehmen, dass die jüngere Erfindung eine wesentliche technische Verbesserung bringen und somit für die Technik eine wichtige Bereicherung bedeuten muss, ohne dass dabei ein eigentlicher Technologiesprung verlangt wird. Ein technischer Fortschritt in Anlehnung an die deutsche Praxis kann beispielsweise dann bejaht werden, wenn die neue Lehre ein besseres Mittel an die Hand gibt, welches namentlich eine Verfahrensvereinfachung oder -beschleunigung bewirkt oder schlicht weniger störanfällig ist. Ebenso kann der Umstand, dass die jüngere Lehre ein technisches Problem zwar gleichwertig, aber verschiedenartig löst, als Kriterium dienen. Allerdings kann bei dieser Konstellation nur dann von einer technischen Bereicherung gegenüber der älteren Erfindung die Rede sein, wenn ein Bedürfnis nach einem Ersatzmittel besteht.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 12. Oktober 2004 (X ZR 190/00) - Paneelelemente
Schlagwort: Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit - Fachmann - Funktionsverbesserung bekannter Elemente
Das Streitpatent betraf eine Wand- oder Deckenverkleidung mit Paneelelementen und diese verbindenden Befestigungsklammern. Es befasste sich insbesondere mit dem Problem, wie bei derartigen Paneelelementen in möglichst einfacher und kostengünstiger Weise unterschiedlich breite, sichtbare Fugen erzielt werden können. Vor dem Bundespatentgericht hatte die Klägerin geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Unter Klageabweisung wurde das Streitpatent teilweise für nichtig erklärt - soweit die Beklagte das Streitpatent nicht in weitergehendem Umfang verteidigt hat. Mit der Berufung verfolgte die Klägerin vor dem Bundesgerichtshof den Antrag weiter, das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären.
Wie das Bundespatentgericht war auch der BGH nicht überzeugt, dass der Stand der Technik dem Fachmann den im Berufungsverfahren noch verteidigten Gegenstand des Streitpatents nahegelegt hatte, so dass es zu seiner Bereitstellung keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft hätte. Insbesondere vermittelten die aus dem Stand der Technik bekannten Lösungen keine Anregung, bei denen die Paneelelemente - sei es zusätzlich zu einer Nut-Feder-Verbindung im Sinne des Streitpatents, sei es in Kombination mit einer Nut-Nut-Verbindung - mit einer Befestigungsklammer versehen worden sind. Denn die Befestigungsklammer erschien immer - wie ihr Name auch sagt - als Befestigungselement, das der Befestigung der Paneelelemente an der Unterkonstruktion dient, und nicht als "Abstandshalter", d. h. als ein Element, das der Fachmann verwendet hätte, um allein damit die Breite der sichtbaren Fuge zwischen zwei benachbarten Paneelelementen festzulegen.
Um zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen, musste der Fachmann daher die Funktion der Nut-Feder-Verbindung einerseits und der Befestigungsklammer andererseits neu konzipieren. Insbesondere die Nut-Feder-Verbindung verlor ihre herkömmliche Bedeutung, da die Feder nicht mehr, wie es bis dahin geschehen war, in den Nutgrund eingeführt wurde (wenn auch im Hinblick auf die zu berücksichtigende Quellung des Holzes nur annähernd). Ohne einen konkreten Anstoß hierzu ließ sich nicht feststellen, dass ein solches verändertes Konzept für den Fachmann nahegelegen hätte. Vielmehr sprach es für erfinderische Tätigkeit, wenn der Fachmann die Funktionen bekannter Bauteile eines Erzeugnisses ändern musste, um eine vereinfachte Konstruktion und damit eine Kostenersparnis zu erzielen, und der Stand der Technik zu einem solchen veränderten Konzept keine Anregung lieferte.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 15. Mai 2007 (X ZR 273/02) - Papiermaschinengewebe
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Teilaufgaben
Die Beklagte war Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patents EP 0 532 510. Die Erfindung war darauf gerichtet, ein Papiermaschinengewebe anzugeben, dessen Durchlässigkeit gering war, mit gewebten, flachen Kettenfäden gesteuert wird, und insgesamt aus Monofilamenten unter Verzicht auf Füllfäden hergestellt war und bei dem kein Teil der Festigkeit oder Stabilität geopfert wurde. Das Bundespatentgericht hatte das Streitpatent teilweise für nichtig erklärt. Im Berufungsverfahren vor dem BGH verteidigte die Beklagte das Streitpatent nur noch auf ein "Papiermaschinengewebe" beschränkt. Insoweit hatte die Berufung Erfolg.
Das Bundespatentgericht hatte den teilweisen Widerruf des Patents mit der Erwägung begründet, die Vorveröffentlichung einer europäischen Anmeldung offenbare, dass mit der von ihr vorgeschlagenen Verwendung von Kettenfädenpaaren eine hohe Längsstabilität erzielt werde, was identisch sei mit der Merkmalsgruppe des Streitpatents, durch welche die "Teilaufgabe" ausreichender Festigkeit und Stabilität gelöst werde. Hinzu kam die vorveröffentlichte US-Patentschrift, welche offenbarte, dass mit der dort beschriebenen Webweise ein Flattern der Papierbahn auf dem Gewebe bei geringer Durchlässigkeit des Gewebes erreicht werde, wodurch die "Restaufgabe" der Merkmalsgruppe 4 des Streitpatents gelöst werde.
Dem konnte der BGH nicht zustimmen. Ein nach Maßgabe von "Teilaufgaben" in einzelne Merkmalsgruppen aufgesplitterter Gegenstand der Erfindung konnte nicht in der Weise der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zugrunde gelegt werden, dass einzelne Merkmale oder Merkmalsgruppen daraufhin untersucht wurden, ob sie dem Fachmann durch den Stand der Technik je für sich nahegelegt waren. Der Prüfung der Rechtsfrage, ob der Gegenstand der Erfindung am Prioritätstag des Streitpatents durch den Stand der Technik nahegelegt war, ist vielmehr der Gegenstand der Erfindung in der Gesamtheit seiner Lösungsmerkmale in ihrem technischen Zusammenhang zugrunde zu legen. Bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit dürften wie bei der Auslegung des Patentanspruchs einzelne Merkmale oder Merkmalsgruppen auch dann nicht isoliert mit dem Stand der Technik verglichen werden, wenn sich der Gegenstand der Erfindung in einzelne "Teilaufgaben" aufspalten lasse. Deshalb sei auch in einem solchen Fall der gesamte Inhalt der unter Schutz gestellten Lehre in den Blick zu nehmen.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 18. Juni 2009 (Xa ZR 138/05) - Fischbissanzeiger
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - nächstliegender Stand der Technik
Das Streitpatent betraf einen Fischbissanzeiger, ein Gerät, durch das die Leine einer fixierten Angel geführt wird und das über ein Sensorsignal anzeigt, dass ein Fisch "an der Angel hängt". Im Stand der Technik waren Geräte bekannt, die die Länge der nach einem Fischbiss abgezogenen Leine anzeigen konnten, wenn diese infolge eines Fischbisses ausgerollt wurde. Die Beschreibung des Streitpatents bemängelt, dass hierbei die Empfindlichkeit ("sensitivity") des Geräts nicht an die Bewegung der Leine angepasst werden könne. Das Bundespatentgericht hatte in der Vorinstanz das Patent mangels erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt.
Der BGH hielt diese Entscheidung aufrecht. Bei der Beurteilung des Naheliegens eines patentgeschützten Gegenstands kann nicht stets der "nächstkommende" Stand der Technik als alleiniger Ausgangspunkt zugrunde gelegt werden. Die Wahl eines Ausgangspunkts (oder auch mehrerer Ausgangspunkte) bedarf vielmehr einer besonderen Rechtfertigung, die in der Regel aus dem Bemühen des Fachmanns abzuleiten ist, für einen bestimmten Zweck eine bessere - oder auch nur eine andere - Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt. Für ein ausschließliches Abstellen auf einen "nächstkommenden" Stand der Technik bietet auch das EPÜ keine Grundlage.
DK Dänemark
Oberlandesgericht des östlichen Gebiets (Østre Landsret) vom 29. August 2008 (B-3527-03) - Ranbaxy v. Pfizer
Schlagwort: Neuheit - erfinderische Tätigkeit - Stand der Technik - Atorvastatin
Im Verletzungsverfahren um das auf Atorvastatincalcium gerichtete europäische Patent EP 0 409 281 ("Salzpatent") befasste sich das Gericht mit den Nichtigkeitsangriffen der Klägerin in Bezug auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit. Dazu ist festzuhalten, dass das dänische Gericht auf der Grundlage des Art. 25 EPÜ ein technisches Gutachten des EPA angefordert hatte, in dem die Prüfungsabteilung sowohl die Neuheit als auch die erfinderische Tätigkeit des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik bestätigte. Die erfinderische Tätigkeit wurde zuvor auch von der Beschwerdekammer bestätigt, die die Anmeldung für das Salzpatent geprüft hatte.
Zur Neuheit stellte das Gericht fest, dass im Stand der Technik, d. h. in einer dänischen Anmeldung für ein Verfahrenspatent mit demselben Salz, weder bestimmte Salze als besonders vorteilhaft hervorgehoben noch Anweisungen zur Herstellung der Salze gegeben worden seien. Zudem habe es nach den verfügbaren Informationen zum Prioritätszeitpunkt kein Standardverfahren für ein Salzscreening gegeben. Der Fachmann habe daher mehrfach eine Auswahl treffen müssen und wäre nicht unweigerlich zu dem Atorvastatinsalz gelangt. Dass das Enantiomer von Atorvastatin in der Vorveröffentlichung erwähnt war, führte zu keinem anderen Schluss.
Was die erfinderische Tätigkeit betrifft, so stellte das Gericht mehrere Unzulänglichkeiten im vorveröffentlichten Patent der Beklagten als Stand der Technik fest: Es befasste sich nicht mit der Frage der Handhabungseigenschaften wie der Hygroskopizität und der Löslichkeit; es gab keine Hinweise darauf, wie das Racemat von Atorvastatin zur Verbesserung der Handhabungseigenschaften modifiziert werden müsste; es enthielt keinerlei Information darüber, wie etwaige Handhabungsprobleme im Zusammenhang mit den Verbindungen (Natriumsalz des Racemats von Atorvastatin) gelöst werden könnten, und es fehlte ein Anreiz, die im Stand der Technik enthaltenen Verbindungen zu modifizieren. Abgesehen davon wurde das Calciumsalz darin gegenüber anderen Salzen nicht als besonders vorteilhaft dargestellt. Vor diesem Hintergrund wurde das Salzpatent als erfinderisch und rechtsgültig befunden. Der Umstand, dass es für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt naheliegend war, die biologische Wirkung des Enantiomers verglichen mit dem im Stand der Technik beschriebenen Racemat zu prüfen, änderte an diesem Ergebnis nichts.
FR Frankreich
Kassationsgerichtshof vom 15. Mai 2007 (06-12487) - Lesaffre v. Puratos
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit – Stand der Technik – Definition eines genauen Verhältnisses
Die Gesellschaft P klagte auf Nichtigerklärung eines Patents der Gesellschaft L auf "eine Substanz zur Verbesserung der Brotbereitung und ein Verfahren, in dem diese Substanz eingesetzt wird".
Das Berufungsgericht hatte den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund fehlender Neuheit mit der Begründung zurückgewiesen, die vom spanischen Gesundheitsministerium im Vorfeld der Genehmigung durchgeführte Analyse stelle auch dann, wenn sie bereits Elemente von Anspruch 1 offenbare, insofern keine Vorwegnahme dar, als sie der Öffentlichkeit nicht zugänglich gewesen sei. Sie erklärte die acht Ansprüche jedoch wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit für nichtig. Die Gesellschaft L legte gegen dieses Urteil Revision vor dem Kassationsgerichtshof insbesondere wegen widersprüchlicher Urteilsbegründung ein.
Der Kassationsgerichtshof urteilte wie folgt: Das Berufungsgericht, das festgestellt hatte, dass das Dokument, das die Analyse des bereits auf dem Markt befindlichen Produkts enthielt, nicht zu dem am Anmeldetag bekannten Stand der Technik gehörte, konnte gleichwohl zu der Auffassung gelangen, dass es dem Fachmann anhand einer ebensolchen Analyse dieses selbst zugänglichen Produkts möglich war, seine Bestandteile zu identifizieren und insbesondere festzustellen, dass es Fettsäuren-Monoglyceride enthielt.
Es sei auch nicht widersprüchlich, zugleich festzustellen, dass ein aus dem Stand der Technik bekanntes Produkt zwar nicht die Verwendung ganz bestimmter Zutaten lehre, nämlich hier die Verwendung gesättigter Fettsäuren-Monoglyceride, aber die Verwendung von Fettsäuren-Monoglyceriden offenbare, die durch eine Analyse identifiziert werden könnten.
Schließlich habe das Berufungsgericht nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass die Definition des geeigneten Verhältnisses der Produktzutaten Gegenstand einer erfinderischen Tätigkeit sein könne, sondern habe zu Anspruch 1 des Patents festgestellt, dass die Ermittlung dieses Verhältnisses nichts weiter als handwerkliches Können erfordere, und zu Anspruch 2, dass der Fachmann nach einigen Versuchen ganz selbstverständlich die geeignetsten Dosierungen wählen würde, mit denen sich das bestmögliche technische Ergebnis erzielen ließ; daraus konnte das Gericht schließen, dass die Definition dieses Verhältnisses vorliegend nur Ausführungshandlungen ohne jede erfinderische Tätigkeit voraussetzte.
Die Revision der Gesellschaft L gegen das Urteil des Berufungsgerichts wurde daher zurückgewiesen.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 7. Mai 2010 (08/12537) - Hexal, Sandoz v. Boehringer
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit – Bonuseffekt
Das Unternehmen H verklagte das Unternehmen B und beantragte die Nichtigerklärung der Ansprüche des französischen Teils des europäischen Patents EP 0 589 874 wegen mangelnder Neuheit oder zumindest mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
Einleitend rekapitulierte das Gericht eine Reihe chemischer Grundbegriffe und Definitionen, insbesondere, dass eine Unterkategorie von Stereoisomeren als Enantiomere und dass ein äquimolekulares Gemisch beider Enantiomere als Racemat bezeichnet wird. Die pharmazeutischen Eigenschaften der beiden Enantiomere können ganz unterschiedlich sein.
Dem Patent zufolge war eine überraschende therapeutische Wirkung festgestellt worden.
Zur Neuheit von Anspruch 1 erinnerte das Gericht zunächst daran, unter welchen Bedingungen eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich ist. Vorliegend stehe fest, dass eine der beiden genannten Vorveröffentlichungen (es handelte sich um zwei Patente) den Wirkstoff sowie seine Verwendung als Arzneimittel zur Behandlung von Diabetes mellitus aufzeige. Die Kläger behaupteten, dass diese Vorveröffentlichung auch die Mittel aufzeige, um die darin offenbarten Enantiomere der Racemate zu erhalten.
Das Gericht stellte jedoch fest, dass keines der als Stand der Technik angeführten Patente die spezifische Wirkung des Enantiomers S(+) gegenüber dem Racemat untersucht. Da die Erfindung somit nicht vollständig vorweggenommen wird, sind diese Patente für die Erfindung daher nicht neuheitsschädlich.
Zur erfinderischen Tätigkeit von Anspruch 1: Nachdem das Gericht den Fachmann als Mitglied eines Teams von Spezialisten definiert hatte, setzte es sich mit den in der Verhandlung vorgelegten Vorveröffentlichungen auseinander. Die Prüfung der übermittelten, zum Zeitpunkt der Einreichung der Patentanmeldung verfügbaren Literatur zeige, dass der Fachmann ermutigt worden sei, die Wirkung jedes der beiden Enantiomere eines als Arzneimittel eingesetzten chiralen Moleküls zu untersuchen; er musste also kein Vorurteil überwinden, da ihn die von dem Beklagten übermittelte Literatur nicht davon abhielt, sondern ganz im Gegenteil veranlasste, beide Enantiomere zu untersuchen.
Das Unternehmen B behauptete, die Verwendung von Repaglinid als Wirkstoff, der sich aufgrund seiner unerwarteten pharmakologischen Eigenschaften hervorragend für die Herstellung eines Langzeitdiabetikums eigne, sei erfinderisch.
Das Gericht erinnerte daran, dass ein als überraschend beurteilter Effekt als Anzeichen für erfinderische Tätigkeit gewertet werden kann. Wenn sich für den Fachmann jedoch ein Sachverhalt, der unter einen Patentanspruch fällt, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, weil aus einer Verbindung der Lehren bekannter Druckschriften eine vorteilhafte Wirkung zu erwarten war, liegt bei dem betreffenden Anspruch auch dann keine erfinderische Tätigkeit vor, wenn eine möglicherweise unvorhergesehene zusätzliche Wirkung erzielt wird.
Nach Auffassung des Gerichts handelte es sich bei dem unerwarteten Bonuseffekt um nichts weiter als eine zusätzliche, im Rahmen der durch den Stand der Technik nahegelegten Untersuchungen von selbst eintretende Wirkung, die dem Anspruch keinen erfinderischen Charakter verleihe. Anspruch 1 des Streitpatents wurde daher wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt.
GB Vereinigtes Königreich
House of Lords vom 14. Oktober 2004 - Sabaf SpA v. MFI Furniture Centres Ltd et al. [2004] UKHL 45
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Naheliegen - Windsurfing-Ansatz - EPA-Richtlinien – mehr als eine Erfindung – Aggregation von Merkmalen
Sabaf SpA war Inhaber des Patents GB 2 100 411, das einen Brenner für Gaskocher und Gaskochmulden betraf. Zweck der Erfindung war die Bereitstellung eines sehr flachen Gasbrenners, der in flachen Kochmulden einsetzbar ist. Dazu wurden sowohl der Lufteinlass als auch die Vorrichtung zur Nutzung des Venturi-Effekts - die Umwandlung von kinetischer in potenzielle Energie durch Verringerung der Fließgeschwindigkeit von Gas in einem speziell geformten Rohr – von der Unterseite der Kochmulde an die Oberseite verlegt.
Das Patent war im Juni 2001 abgelaufen. Sabaf behauptete, dass Meneghetti SpA das noch gültige Patent durch die Einfuhr von patentverletzenden Erzeugnissen in das Vereinigte Königreich verletzt habe. Meneghetti erhob Widerklage und forderte, das Patent für nichtig zu erklären, weil die Erfindung naheliegend sei. In der ersten Instanz stellte der Richter fest, dass Meneghetti die Erzeugnisse tatsächlich importiert habe, das Patent jedoch nichtig sei. Der Court of Appeal urteilte, dass das Patent gültig sei, aber Meneghetti die Erzeugnisse nicht importiert habe.
Das House of Lords stellte fest, dass das Patent von vornherein nichtig gewesen sei und infolgedessen keine Verletzung stattgefunden habe.
Bei der Beurteilung, ob eine Erfindung für den Fachmann nicht naheliegend ist (s. 3 Patents Act 1977), müsse das Gericht zunächst fragen, was die Erfindung ausmache und vor allem, ob es sich um eine, zwei oder mehrere Erfindungen handele. Das House of Lords verwies auf die EPA-Richtlinien (C-IV, 9.5 und Anlage 2.1 – Stand Dezember 2003), die festschrieben, auf welcher Grundlage zu entscheiden sei, ob es sich um eine einzige Erfindung handele oder nicht. Wenn daher die beiden Bestandteile in Wechselwirkung zueinander stünden und es dadurch zu einer Synergie zwischen beiden komme, stellten sie eine einzige Erfindung mit kombinierter Wirkung dar, und s. 3 Patents Act 1977 sei auf die Idee, sie zu kombinieren, anzuwenden. Wenn hingegen jeder Bestandteil seine Funktion unabhängig von den anderen ausführe, stelle jeder Bestandteil eine eigene Erfindung im Sinne von s. 3 Patents Act 1977 dar, und diese Vorschrift müsse dann auf jeden getrennt angewandt werden.
Das House of Lords urteilte, dass der Richter der ersten Instanz die einschlägigen Grundsätze in jeder Phase korrekt angewandt habe. Er habe festgestellt, dass die beiden Merkmale der Erfindung, also der Lufteinlass oberhalb der Kochmulde und die radial wirkende Venturi-Vorrichtung, nicht in Wechselwirkung zueinander stünden und dass er es demzufolge mit zwei angeblichen Erfindungen zu tun habe, die unabhängig voneinander die Prüfung nach s. 3 Patents Act 1977 zu bestehen hätten. Bei jeder Erfindung habe er die erfinderische Tätigkeit ermittelt. Er habe sich gefragt, wie sich die jeweilige Erfindung vom einschlägigen Stand der Technik unterscheide, und er habe praktisch keine Unterschiede festgestellt. Daraus habe er geschlossen, dass ein Fachmann mit allgemeinem Fachwissen nicht erfinderisch tätig gewesen sein müsse, um ein Erzeugnis gemäß der angeblichen Erfindung zu entwickeln. In anderen Worten, auf jedes der Merkmale, die angeblich die Erfindung begründeten, habe der Richter s. 3 Patents Act 1977 nach dem Windsurfing-Ansatz angewandt.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 20. Mai 2009 - Aerotel Ltd v. Wavecrest Group Enterprises Ltd [2009] EWCA Civ 408
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit – kommerzielle Verwertung
Aerotel legte Berufung gegen ein Urteil des Patentgerichts ein, das ihr Patent für nichtig erklärt hatte. Das Patent war bereits erloschen und stammte aus einer Ära der Telefontechnologie, die längst der Vergangenheit anzugehören schien, da das Prioritätsdatum im Jahr 1985 lag. Mit dem Patent wurde ein Verfahren zum Tätigen von (Prepaid-)Telefon-gesprächen beansprucht.
Dass der strukturierte Windsurfing-Test, der in Pozzoli v. BDMO beschrieben wird, hier hilfreich sein konnte, war unstreitig. Anerkannt wurde auch folgende Aussage: "Wenn die Anwendung eines gesetzlichen Maßstabs wie Fahrlässigkeit oder Naheliegen keine Grundsatzfrage ist, sondern eine Frage der Ausprägung, sollte ein Berufungsgericht sehr vorsichtig sein, bevor es von der Beurteilung durch die Tatsacheninstanz abweicht. (Lord Hoffmann in Biogen v. Medeva).
Die Berufungsklägerin warf der ersten Instanz vier grundsätzliche Fehler vor: die Banalisierung des im Stand der Technik bestehenden Problems, die unrichtige Wiedergabe der erfinderischen Idee, die Missachtung von Sachverständigengutachten und eine "a posteriori"-Betrachtungsweise. Durch diese Vorwürfe zog sich so etwas wie ein Leitmotiv, nämlich, dass die angebliche Erfindung kommerziell erfolgreich gewesen sei. Das Patentgericht hatte zwar eingeräumt, dass dies ein gewichtiges Indiz für Nicht-Naheliegen sein könne, unter Hinweis auf Haberman v. Jackal aber verneint, dass dies vorliegend der Fall sei. Das Prioritätsdatum reiche bis ins Jahr 1985 zurück, die Anmeldung sei in Europa 1986 veröffentlicht worden, und doch habe bis 1994 offenbar niemand von der Erfindung Gebrauch gemacht, und auch danach sei dies nicht aufgrund von irgendetwas, das Aerotel gesagt oder getan habe, geschehen. Das Patentgericht hatte festgestellt, dass Aerotel mit dem Patent vor allem in den USA durch Prozesse oder die Androhung von Prozessen gegenüber Nutzern Geld verdient hatte. Dies sei nicht weiter beeindruckend, da bekannt sei, dass die allgemeine Situation, was US-Patentstreitigkeiten betreffe, extrem klägerfreundlich geworden sei. Ebenso unbewiesen sei, dass das ab 1994 zunehmende Geschäft mit Prepaid-Telefonkarten auf die im Patent offenbarte Erfindung zurückzuführen sei. Hierfür trage die Beschwerdeführerin die Beweislast. Versuche ein Patentinhaber, den Vorwurf, seine Erfindung sei naheliegend, unter Hinweis auf ihren kommerziellen Erfolg zu widerlegen, so sei er dafür beweispflichtig, dass dieser Erfolg seiner Erfindung geschuldet sei. Kämen für diesen Erfolg wie vorliegend eine Reihe weiterer Gründe in Betracht, so würde ihm dieser Beweis nur gelingen, wenn er nachweisen könne, dass diese für den Erfolg keine oder kaum eine Rolle gespielt hätten.
Dies gelte hier angesichts des langen Zeitraums, in dem die Erfindung nicht genutzt worden sei, umso mehr, da es hierfür ansonsten keine Erklärung gebe. Die Verbreitung von Prepaid-Karten seit Mitte der 1990er-Jahre sei voll und ganz auf Faktoren zurückzuführen, die mit der Erfindung nichts zu tun hätten – oder vielmehr sei angesichts des Vorhandenseins anderer Faktoren nicht bewiesen, dass ihre Verbreitung auf die Erfindung zurückzuführen sei.
Das Patentgericht hatte außerdem festgestellt, dass die im Patent geschilderten angeblichen Probleme aus dem Stand der Technik bis auf eines gar nicht existierten, sondern dass sie entweder durch WATS (Wide Area Telephone Service), ein in den USA verwendetes, zum Stand der Technik gehörendes System gelöst worden waren oder dass sie unbewiesen waren und wenig glaubhaft erschienen. Das einzige ungelöste Problem war die Schwierigkeit, einen Kredit zu erhalten.
Vor diesem Hintergrund setzte sich Lord Justice Jacob mit dem Unterschied zwischen der erfinderischen Idee und WATS (3. Schritt gemäß Windsurfing) sowie mit den grundsätzlichen Fehlern auseinander, die der ersten Instanz angeblich unterlaufen sein sollten. Er stellte fest, dass das im Stand der Technik bestehende Problem im Patent tatsächlich gewaltig aufgebauscht werde, da der Vorschlag, Geschäfte in der Weise abzuwickeln, dass für zu erbringende Dienstleistungen Vorauszahlung verlangt werde, wohl kaum erfinderisch sei. Ebenso wenig sei die erfinderische Idee falsch wiedergegeben worden (das Patentgericht habe sie vom Sachverständigen der Berufungsklägerin selbst übernommen). Auch die Feststellung fehlender erfinderischer Tätigkeit sei angesichts der gesamten Beweislage nicht fehlerhaft. Die betreffenden Beweise wären möglicherweise anders bewertet worden, wenn nachgewiesen worden wäre, dass die Erfindung sich 1985 kommerziell ausgezahlt hätte. Und schließlich gehe die Behauptung, vom Fachmann werde a posteriori verlangt, WATS zu verbessern, von der Prämisse aus, dass die Idee der Vorauszahlung erfinderisch sei, was nicht der Fall sei.
Somit war der Vorinstanz kein grundsätzlicher Fehler unterlaufen, und die Berufung wurde zurückgewiesen.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 31. Juli 2009 - Wake Forest University v. Smith & Nephew [2009] EWCA Civ 848
Schlagwort: Naheliegen
Das Patent betraf eine als "Apparat zur Behandlung von Gewebeschäden" beschriebene medizinische Vorrichtung zur Behandlung von Wunden, die mit herkömmlichen Verfahren wahrscheinlich nicht vollständig ausheilen würden. Die Erfindung bestand in der Verwendung einer Pumpe, die einen Unterdruck erzeugt. Der Patents Court urteilte, dass Anspruch 1 auf einen Apparat, der Vakuummittel zur Erzeugung eines Unterdrucks umfasst, durch den russischen Stand der Technik Bagautdinov vorweggenommen werde. Hiergegen wendeten sich die Patentinhaberin Wake Forest mit ihrer Berufung. Im selben Urteil hat das Gericht außerdem die Auffassung vertreten, dass Anspruch 4 auf einen Apparat, der eine flexible Polymerfolie umfasst, Anspruch 16 auf zyklisch arbeitende Vakuummittel sowie Anspruch 19 auf in bestimmten Zeitintervallen zyklisch arbeitende Vakuummittel nicht naheliegend seien.
Der Court of Appeal entschied, dass die erste Instanz zu Recht festgestellt habe, dass Anspruch 1 durch den Stand der Technik vorweggenommen werde. Hingegen schloss er sich den Feststellungen zum Naheliegen nicht an und erklärte Anspruch 4, 16 und 19 für naheliegend.
Dem Gericht zufolge ist Vorsicht geboten, wenn es darum geht, die Beurteilung der Tatsacheninstanz aufzuheben. Hat sich ein Gericht jedoch in Bezug auf Naheliegen des falschen Ansatzes bedient, so wird sich das Berufungsgericht auf der Grundlage der von der ersten Instanz festgestellten oder den Unterlagen eindeutig zu entnehmenden Tatsachen oder aufgrund anderer in der Entscheidung ausdrücklich erwähnter Beweise sein eigenes Urteil bilden.
Die Anwendung des Windsurfing-Tests – wie er im Fall Pozzoli bekräftigt worden sei – sei zwar nicht zwingend, doch stelle er einen hilfreichen Ansatz dar, so der Court of Appeal. Dieser Test umfasst vier Schritte:
In Schritt 1 wird ermittelt, welche Art von Fachmann und von allgemeinem Fachwissen einschlägig ist. In Schritt 2 muss die dem betreffenden Anspruch zugrunde liegende erfinderische Idee definiert werden. In Schritt 3 werden die Unterschiede zum Stand der Technik ausgemacht. Zweck von Schritt 4 ist es schließlich, zu beurteilen, ob diese Unterschiede eine Erfindung voraussetzen.
Vorwegnahme:
Die Berufungsbeklagte Wake Forest trägt vor, Anspruch 1 hätte weniger großzügig ausgelegt werden müssen; es gehe darin nur um die Mittel, den Unterdruck für lange Zeit aufrechtzuerhalten. Nach Auffassung des Court of Appeal ist diese Auslegung für die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils nicht relevant.
Naheliegen:
Gegen den Vorwurf des Naheliegens wurden unter anderem die angeblichen Risiken des Bagautdinov-Verfahrens ins Feld geführt. Diese würden insbesondere in den Augen westlicher Ärzte gegen die gute fachliche Praxis verstoßen.
Bei der Prüfung dieser Frage wandte das Gericht den Pozzoli-Test an. In Schritt 3 wurde als Unterschied zum Stand der Technik die Verwendung einer selbsthaftenden Folie anstelle von Vaseline und einer Folie definiert. Zur Frage, ob dies naheliegend sei (Schritt 4), argumentierte Wake Forest, bei Verwendung einer selbsthaftenden Folie wäre das Entfernen des Verbands schmerzhafter als bei Verwendung einer nur durch Vaseline festgehaltenen Folie.
Angesichts der Tatsache, dass es 1991, am Prioritätstag des Patents, schwierig gewesen wäre, nichthaftende Folien zu finden, stellte das Gericht fest, dass Anspruch 4 als naheliegend anzusehen sei.
Diese Auffassung wurde durch die Feststellungen zum Entfernen einer selbsthaftenden Folie bestätigt. Nach Ansicht des Gerichts deutete nichts darauf hin, dass eine selbsthaftende Folie gegenüber der von Bagautdinov als eine mögliche Alternative vorgeschlagenen Behandlung den Nachteil hätte, sich weniger leicht entfernen zu lassen und für den Patienten unangenehmer zu sein. Außerdem lehrte Bagautdinov nicht, dass nicht auch eine selbsthaftende Folie verwendet werden könne. Des Weiteren hatte die erste Instanz die Anwendung der Behandlung auf eine bestimmte Patientengruppe nicht berücksichtigt, für welche die Verwendung der selbsthaftenden Folie nicht mehr Hautschädigungen verursachen oder Missempfinden bereiten würde. Und schließlich hatte sie auch nicht berücksichtigt, dass der Fachmann es gewohnt ist, einen Verband mehrmals täglich zu wechseln, um die Wundheilung zu erleichtern, was häufig mehr oder weniger schmerzhaft ist. Ein Fachmann würde somit die Verwendung von selbsthaftender Folie in Betracht ziehen.
Der Court of Appeal erinnerte außerdem daran, dass es nicht darum ging, ob die patentgemäßen Verfahren neu waren, sondern ob die Änderung des Apparats naheliegend war. Daher war es irrelevant, dass das Patent darauf ausgelegt war, Unterdruck für eine längere Dauer anzuwenden als bei dem im Stand der Technik beschriebenen Apparat. Insbesondere war dies für die Frage unerheblich, ob es naheliegend wäre, für genau denselben Zweck und unter denselben Bedingungen eine selbsthaftende Folie zu verwenden.
Schließlich stimmte das Gericht der Behauptung von Wake Forest nicht zu, dass die fragwürdige Qualität des betreffenden Dokuments den Fachmann davon abhalten würde, Bagautdinov auszuführen. Insbesondere hätte ein Fachmann den 100%igen Erfolg bei den in diesem Dokument angeführten 170 Patienten gesehen.
Obwohl Bagautdinov nicht lehrt, den Unterdruck zyklisch anzuwenden, erachtete der Court of Appeal sowohl Anspruch 16 als auch Anspruch 19 für naheliegend. Nichts stand der Verwendung eines Apparats entgegen, der neben einem herkömmlichen "Ein/Aus"-Schalter auch eine zyklische Funktion hatte, selbst wenn eine solche Funktion bei der Umsetzung von Bagautdinov nicht zum Einsatz gekommen war.
ES Spanien
Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 30. Oktober 2009 (Berufungs-Nr. 56/2008) - Laboratorios Ranbaxy, S.A. et al. v. Warner-Lambert Company
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - "could-would approach"
Nach der Entscheidung über die Neuheit des Patents ES 2 167 306 (EP 0 409 281) (im Folgenden als "P 306" bezeichnet) hatte das Gericht im vorliegenden Rechtsstreit zu klären, ob die Ansprüche R1, R2 und R3 des Patents P 306 aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit nichtig seien. Die Klägerin verwies in diesem Zusammenhang auf Präjudizien in anderen Staaten, die die erfinderische Tätigkeit des Patents P 306 aberkannt hatten.
Die dem Patent P 306 zugrunde liegende objektive technische Aufgabe bestand in der Gewinnung von hypercholesterinämischen bzw. hypolipidämischen Verbindungen mit verbesserten Gebrauchseigenschaften, insbesondere besserer Löslichkeit und besserem Wasserbindungsvermögen. Das Gericht erklärte, dass die objektive technische Aufgabe weder in P 633 (dem laut Klageantrag nächstliegenden Stand der Technik) enthalten sei, noch in irgendeiner Weise in den vom Sachverständigen der Klägerin angeführten Dokumenten des Stands der Technik erwähnt werde, was maßgeblich für Beurteilung des Grades an Motivation bzw. des Anreizes sei, die den Fachmann zu der Auswahl, die ihn schließlich zum Calciumsalz des entantiomerenreinen Atorvastatins führte, veranlasst habe. Grundsätzlich bestritt das Gericht nicht, dass es einem Fachmann auf dem Gebiet möglich gewesen wäre, unter sämtlichen Verbindungen, die durch P 633 generisch geschützt sind, das racemische Atorvastatin auszuwählen und sich dann für das Isomer R-(R*,R*) zu entscheiden. Es sei allerdings kein schlüssiger Beweis dafür erbracht worden, dass sich der Fachmann unter allen Möglichkeiten, die ausgehend von P 633 und dem zum fraglichen Zeitpunkt vorhandenen allgemeinen Wissensstand denkbar waren, ausgerechnet für diese entschieden hätte, weil sie zur Lösung der technischen Aufgabe, vor die er gestellt war, naheliegend gewesen wäre.
Ein wichtiger Aspekt bei der letzten Stufe des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes sei das im britischen Sprachgebrauch als "could-would approach" bezeichnete Konzept. Dieses besage, dass es nicht ausreiche, dass ein durchschnittlicher Fachmann auf dem Gebiet sich für die vom Anmelder vorgeschlagene Lösung hätte entscheiden können, sondern es müsse vielmehr so sein, dass er diese Wahl auch tatsächlich getroffen hätte. Angesichts der Tatsache, dass die Frage, ob die Voraussetzung der erfinderischen Tätigkeit erfüllt sei, zum Prioritätsdatum des untersuchten Patents zu beurteilen sei, sei eine Ex-post-facto-Analyse des Stands der Technik unter Berücksichtigung und in Kenntnis der durch die Erfindung vorgeschlagenen Lösung (Richtlinien für die Prüfung C-IV, 9.10.2) in jedem Falle unangebracht. Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass P 633 keinerlei Lehren oder Informationen über mögliche Formulierungsprobleme oder Gebrauchseigenschaften der geschützten Verbindungen enthalten habe und auch nicht über mögliche Probleme der dem Hemicalcium-Salz des Atorvastatins nächstliegenden Verbindung, d. h. des Natriumsalzes des racemischen Atorvastatins. Daher leite P 633 den Fachmann nicht zur Lösung einer technischen Aufgabe an. Die verbesserten Eigenschaften der Löslichkeit und des Wasserbindungsvermögens des Atorvastatin-Hemicalciums seien bereits während des Erteilungsverfahrens für das Patent nachgewiesen worden (siehe Entscheidung T 229/97). Die Vorteile der in dem Patent beanspruchten Verbindung seien zum Zeitpunkt der Formulierung der zugrunde liegenden technischen Aufgabe, die gelöst werden sollte, zu berücksichtigen gewesen, und zwar im Einklang mit der Rechtsprechung des EPA, nach der die Berücksichtigung zusätzlicher, in der Anmeldung nicht genannter vorteilhafter Wirkungen zulässig sei, "sofern sie das Wesen der Erfindung nicht verändern". Diese Bedingung sei erfüllt, wenn ein technischer Zusammenhang zwischen den Vorteilen und der ursprünglichen, in der Anmeldung genannten Aufgabe gegeben sei (T 440/91 und T 1062/93).
Das Gericht weiche damit von den Auffassungen der Justizbehörden anderer Staaten ab, die die Voraussetzung der erfinderischen Tätigkeit des streitigen Patents als nicht erfüllt angesehen hätten - eine Situation, die vom europäischen Patentsystem in seiner ursprünglichen und in seiner aktuellen Ausgestaltung durchaus geduldet werde.
Anmerkung des Herausgebers: Siehe auch Urteile desselben Gerichts vom 18. Oktober 2007 (LEK Pharmaceuticals v. Warner-Lambert Company) sowie vom 17. März 2008 (Laboratorios Cinfa, S.A. et al. v. Warner-Lambert Company).
IT Italien
Gericht erster Instanz Venedig vom 14. Juli 2005 (7064/2004) - Stelplast v. La Brenta
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Kombination früherer Erfindungen
Während das Neuheitserfordernis als erfüllt gilt, sobald das Erzeugnis zum Anmeldetag nicht Teil des Stands der Technik ist, kommt bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ein anderer Ansatz zum Tragen: Das Erzeugnis kann insofern vom Stand der Technik unterschieden werden, als es auf dem betreffenden Gebiet eine "offensichtliche" Entwicklung im Hinblick auf Struktur oder Funktion des Erzeugnisses darstellt (die beiden Parameter - Struktur oder Funktion -, die der Beurteilung zugrunde zu legen sind, sind Alternativen und können für sich genommen das Urteil über die erfinderische Tätigkeit stützen). Außerdem kann die erfinderische Tätigkeit nicht allein damit begründet werden, dass ein Erzeugnis, das die Einzelmerkmale bereits erteilter Patente kombiniert, noch nicht Gegenstand einer Patentanmeldung war; mit der Kombination früherer Erfindungen kann das Risiko nicht ausgeschlossen werden, dass die Erfindung dennoch als naheliegend betrachtet wird. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sollte der Stand der Technik (anders als bei der Neuheit) nicht individuell und separat, sondern im zugehörigen technischen Gesamtkontext betrachtet werden. Deshalb muss der mit der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit beauftragte Fachmann auf den technischen Gebieten der kombinierten Erfindungen bewandert sein, um ein Naheliegen in den Fällen auszuschließen, bei denen die Kombination aus einer intuitiven Tätigkeit bezüglich jeder der Komponenten hervorgeht, zu der niemand mit rationalen Überlegungen alleine gelangt wäre.
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te 's-Gravenhage) vom 13. Mai 2009 - ratiopharm v. Sepracor
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Enantiomere
Das strittige europäische Patent (EP 0 663 828) betraf die Anwendung von Levocetirizin zur Behandlung allergischer Erkrankungen wie Heuschnupfen; Levocetirizin ist eines der beiden Enantiomere des Antihistaminikums Cetirizin. Der Patentinhaber machte geltend, dass die Anwendung des reinen Enantiomers insbesondere deshalb als erfinderisch anzusehen sei, weil es überraschenderweise genauso wirksam sei wie das racemische Gemisch, aber weniger Nebenwirkungen aufweise. Das Gericht befand, dass dem Fachmann genügend Anreiz geboten war, die Eigenschaften der Enantiomere zu untersuchen. In diesem Zusammenhang verwies das Gericht auf die Feststellung in T 296/87 (ABl. EPA 1990, 195), dass es bei der Forschung an der Verbesserung eines Arzneimittels, das aus Enantiomeren besteht, naheliegt, zunächst einmal die beiden Enantiomere in isolierter Form zu testen. Die therapeutische Anwendung eines Enantiomers für sich genommen sei daher naheliegend, und die beanspruchte Erfindung beruhe unabhängig davon, ob sie zu unerwarteten Wirkungen führe, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2. Aufgabe-Lösungs-Ansatz
AT Österreich
Oberster Patent- und Markensenat vom 29. März 2006 (Op 5/05)
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Aufgabe-Lösungs-Ansatz
In dieser Entscheidung stellte der OPM grundlegende Kriterien für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit auf. Der OPM wies darauf hin, dass bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit es im Unterschied zur Neuheit zulässig ist, veröffentlichte Dokumente im Lichte der späteren Erkenntnisse auszulegen und den Wissensstand zu berücksichtigen, der dem Fachmann im Allgemeinen zum Zeitpunkt des wirksamen Anmelde- oder Prioritätstags der beanspruchten Erfindung zugänglich ist. Bei der Beurteilung, ob die Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sind das Wissen und Können des Fachmannes zugrunde zu legen.
Im Interesse einer objektiven und nachvollziehbaren Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist in der Regel nach dem sogenannten Konzept "Aufgabe-Lösungs-Ansatz" vorzugehen, der sich in drei Phasen gliedert: a) Ermittlung des nächstliegenden Stands der Technik; b) Bestimmung der zu lösenden objektiven technischen Aufgabe und c) Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der technischen Aufgabe für eine Fachperson naheliegend gewesen wäre. Naheliegend ist eine Maßnahme, die nicht über die normale technologische Weiterentwicklung hinausgeht, sondern sich ohne Weiteres oder folgerichtig aus dem bisherigen Stand der Technik ergibt, also keine Geschicklichkeit oder Fähigkeit verlangt, die über das bei der beschriebenen Fachperson voraussetzbare Mass hinausgeht.
In der vorliegenden Sache entsprach die objektive Aufgabe nicht dem, was der Anmelder in seiner Anmeldung ursprünglich als die Aufgabe dargestellt hatte. Der OPM stellt fest, dass eine derartige Neuformulierung der technischen Aufgabe basierend auf - im Patenterteilungsverfahren vor dem EPA objektiv festgestellten - Sachverhalten zulässig ist, weil jede Wirkung der Erfindung als Grundlage für die Neuformulierung der technischen Aufgabe verwendet werden kann, sofern die entsprechende Wirkung aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableitbar ist. Der OPM merkte an, dass dies auch in völliger Übereinstimmung zur Praxis der österreichischen Behörden steht.
AT Österreich
Oberster Patent- und Markensenat vom 25. Februar 2009 (Op 6/08)
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Aufgabe-Lösungs-Ansatz
Der OPM fasste in dieser Entscheidung die von ihm entwickelte Rechtsprechung zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zusammen.
Eine Erfindung beruht auf erfinderischer Tätigkeit, wenn sie die technische Aufgabe auf eine Weise löst, die für die Maßfigur einer durchschnittlichen Fachperson angesichts des nächstliegenden Stands der Technik nicht naheliegend ist. Naheliegend ist eine Maßnahme, die nicht über die normale technologische Weiterentwicklung hinausgeht, sondern sich ohne Weiteres oder folgerichtig aus dem bisherigen Stand der Technik ergibt (siehe oben OPM vom 29.03.2006).
Im Interesse einer objektiven Beurteilung der Erfindung, die einer rückschauenden Betrachtungsweise vorbeugen soll, wird die Frage der erfinderischen Tätigkeit insbesondere nach dem vom EPA herangezogenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz beurteilt. Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit kommt es nach diesem Prüfungskonzept nicht darauf an, ob es einer Fachperson prinzipiell möglich wäre, die im Patent beschriebenen Maßnahmen einzusetzen; entscheidend ist vielmehr die Frage, ob diese Fachperson eine Veranlassung hatte, dies auch tatsächlich zu tun.
NL Niederlande
Oberster Gerichtshof (Hoge Raad) vom 15. Februar 2008 - Rockwool v. Saint-Gobain
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Aufgabe-Lösungs-Ansatz - "could-would approach"
Das Patent von Rockwool betraf ein Verfahren zum Aufbringen eines Benetzungsmittels auf Steinwolle, damit diese als Pflanzenzuchtsubstrat eingesetzt werden konnte. Der Patentinhaber legte Kassationsbeschwerde gegen den Widerruf seines Patents durch das Berufungsgericht ein. Der Oberste Gerichtshof befand, dass das Berufungsgericht die erfinderische Tätigkeit anhand des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes richtig beurteilt habe, und wies die Beschwerde ab.
Der Oberste Gerichtshof beschäftigte sich mit der Frage, ob die beanspruchte Verwendung für die Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit relevant ist, und befand, dass zur Beurteilung der Rechtsgültigkeit eines Verfahrenspatents bei der patentgemäßen Erfindung angesetzt werden muss. Die Neuheit und der erfinderische Charakter des mit dem Verfahren hergestellten Erzeugnisses oder seiner Anwendung spielten bei dieser Beurteilung in der Regel keine entscheidende Rolle, und sei es nur deshalb, weil auch für ein neues Verfahren zur Herstellung eines bekannten Erzeugnisses auf eine günstigere Weise ein Patent erteilt werden kann. Die Neuheit und der erfinderische Charakter des Erzeugnisses oder seiner Verwendung, so sie sich aus dem Patent ableiten ließen, könnten in bestimmten Fällen als potenzieller Hinweis auf die Neuheit und den erfinderischen Charakter des Verfahrens berücksichtigt werden.
Ferner stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass der erfinderische Schritt nicht dadurch beurteilt werden könne, dass in Kenntnis des patentierten Verfahrens rückschauend nach Vorveröffentlichungen gesucht werde, auf die das Verfahren zurückgeführt werden könnte. In dieser Hinsicht seien bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit drei Fragen zu klären. Erstens, ob der Durchschnittsfachmann die Aufgabe erkannt hätte, die mit dem patentgemäßen Verfahren gelöst wird. Zweitens, ob er im Hinblick auf die Lösung dieser Aufgabe die Vorveröffentlichungen eingesehen hätte. Und drittens, ob er mit seinem allgemeinen Fachwissen das patentgemäße Verfahren als naheliegende Lösung aus dem damaligen Stand der Technik nicht nur ableiten können, sondern dies auch tatsächlich getan hätte.
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te 's-Gravenhage) vom 26. Januar 2011 - Sandoz v. Glaxo
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Aufgabe-Lösungs-Ansatz - "could-would approach" - Bonuseffekt
Glaxo war Inhaber eines europäischen Patents (EP 0 416 951), das auf eine Kombination von Salmeterol und Fluticason zur Behandlung von Asthma und anderen Atemwegserkrankungen gerichtet war. In Anlehnung an die entsprechenden Urteile der Gerichte im Vereinigten Königreich, in Deutschland und in Irland erklärte das Bezirksgericht Den Haag das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig und ging dabei besonders auf die Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes ein.
Im Verfahren plädierte Glaxo für einen anderen Ansatz zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, bei dem nicht ein einzelnes Dokument als nächstliegender Stand der Technik herangezogen, sondern der gesamte Stand der Technik einschließlich Synergieeffekten und "negativer Hinweise" auf Fluticason und die Kombination berücksichtigt werde. Das Gericht lehnte diesen Ansatz ab und hielt sich stattdessen an die ständige Rechtsprechung in den Niederlanden und an die gängige Praxis des EPA, wo bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit generell der Aufgabe-Lösungs-Ansatz angewandt wird. Da sich der vorliegende Fall gut für den strukturierten Aufgabe-Lösungs-Ansatz eigne, wolle es hier keine Ausnahme machen. Folglich sollte auch in diesem Fall ein einzelnes Dokument als nächstliegender Stand der Technik herangezogen werden. Andere Vorveröffentlichungen könnten bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hinzukommen, soweit sie erstens dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen seien und zweitens als Hintergrundinformationen die Fortentwicklung bei den verschiedenen Kategorien von patentierten Arzneimitteln zur Asthmabehandlung aufzeigten. Nach Auffassung des Gerichts bleibt abzuwarten, ob die verschiedenen in Europa existierenden Ansätze zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit tatsächlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Bezüglich der Aussage, dass das von Glaxo propagierte Beurteilungsverfahren dem aktuellen englischen Ansatz in Pozzoli/Windsurfing entspreche, erklärte das niederländische Gericht, die englischen Gerichte wiesen immer wieder darauf hin, dass sich der "englische" Ansatz zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht wesentlich vom Ansatz des EPA unterscheide und nicht zu anderen Ergebnissen führen dürfte.
Bei der Bestätigung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes stützte sich das niederländische Gericht in seiner Urteilsbegründung auf die Publikation "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 6. Auflage, 2010 (und die darin zusammengefassten einschlägigen Entscheidungen) sowie auf die Richtlinien des EPA. Insbesondere hinsichtlich des dritten Schritts des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes betonte das Gericht, wie wichtig es sei, den sogenannten "could-would approach" korrekt anzuwenden und eine rückschauende Betrachtungsweise bei der Beurteilung zu vermeiden, was auch im Einklang mit der niederländischen Rechtsprechung stehe.
In Bezug auf das Schlüsselargument des Patentinhabers, dass das Patent aufgrund der Wechselwirkung zwischen den beiden Komponenten eine synergistische und somit überraschende Wirkung erziele, die eine bahnbrechende Erfindung auf dem Gebiet der Asthmabehandlung begründe, lehnte das Gericht es ab, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einen solchen "Bonuseffekt" zu berücksichtigen, der dem Durchschnittsfachmann sofort in den Sinn käme, sobald dieser den deutlichen Wegweisern im nächstliegenden Stand der Technik folge.
3. Der Fachmann
BE Belgien
Gericht erster Instanz Lüttich vom 6. Dezember 2007 - Joskin Machines Agricoles v. Veenhuis Machines
Schlagwort: Definition des Fachmanns
Die beiden Parteien sind Unternehmen, die Landmaschinen und insbesondere Geräte zum Verteilen und Einspritzen von Dünger herstellen.
Das Unternehmen J beantragte, das Unternehmen V wegen Patentverletzung zu verurteilen und sein Patent EP 1 044 592 mit Wirkung für Belgien für nichtig zu erklären.
Das Unternehmen V beantragte seinerseits im Wege der Widerklage die Nichtigerklärung des Patents von J (EP 0 520 974). Hilfsweise beantragte es, nach Art. 25 EPÜ die Einholung eines Gutachtens anzuordnen und ein technisches Gutachten des EPA anzufordern. Die Beklagte (das Unternehmen V) stellte insbesondere den erfinderischen Charakter des Patents der Klägerin (des Unternehmens J) in Abrede.
Hierzu erinnert das Gericht daran, dass die Erfindung erfinderisch ist, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Der Fachmann ist ein Mann der Praxis mit gewöhnlichen Fähigkeiten, d. h. von durchschnittlicher Intelligenz, die es ihm erlaubt, die fachbezogenen Aufgaben, mit denen er tagtäglich konfrontiert wird, zu lösen. In einem Urteil vom 10. Februar 1999 hatte dasselbe Gericht den Fachmann definiert als "fiktive Person, die vom Fach ist, über ein gutes Fachwissen verfügt (sie muss alle existierenden Vorveröffentlichungen kennen) und intelligent genug ist, um bestimmte Anpassungen im Zusammenhang mit gängigen Aufgabenstellungen auf ihrem Fachgebiet vorzunehmen, aber nicht allzu intelligent. Der Fachmann ist nicht kreativ, aber verständig genug, um mit gängigen Anforderungen fertig zu werden, die sich durch eine mechanische und stereotype Anwendung der gängigen Techniken nicht bewältigen lassen". Den Stand der Technik bildet alles, was der Öffentlichkeit vor dem Anmeldetag der Patentanmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (Art. 5 Abs. 2 belgisches PatG).
Aus den in dieser Sache vorgelegten Unterlagen geht nach Auffassung des Gerichts hervor, dass interessierte Fachkreise sich seit vielen Jahren um eine Lösung der in all diesen Patenten – einschließlich des Patents von J und des Streitpatents von V – aufgegriffenen Aufgabe bemühen, nämlich dem Zerkleinern der faserigen Düngerpartikel. Dies kann als Anzeichen für eine erfinderische Tätigkeit gewertet werden. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten beansprucht J als das eigentlich Erfinderische an seiner Maschine nicht so sehr die "Schertechnik" als vielmehr die zur Erzielung dieses Schereffekts eingesetzte Vorrichtung, die für sich genommen erfinderisch und innovativ ist. Der betreffende Effekt wird im Hauptanspruch des Patents deutlich beschrieben. Somit ist laut Gericht festzustellen, dass sich frühere Patente zwar um eine Lösung für das Problem der faserigen Düngerbestandteile bemüht haben, teilweise auch unter Nutzung eines Schereffekts; dennoch ist die in der Erfindung von J zur Erzielung dieses Schereffekts eingesetzte Technik erfinderisch. Sie war für den Fachmann nicht naheliegend, da sich die Frage stellte, wie und in welcher Form sich der Schereffekt am besten erzielen ließ.
Das Unternehmen V beantragte hilfsweise, das Gericht möge ein technisches Gutachten des EPA anfordern. Dieser Antrag ist nach Auffassung des Gerichts für die Lösung des Rechtsstreits wenig hilfreich. Im Übrigen habe das EPA die erfinderische Tätigkeit von J anerkannt und ihm das beantragte Patent erteilt.
CH Schweiz
Bundesgericht vom 18. Mai 2005 (4C.52/2005) - Dübel zum Einsatz in bröckeligem Werkstoff
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Fachmann - Aufgabe-Lösungs-Ansatz
Das Bundesgericht bestätigte in diesem Urteil seine Rechtsprechung zum Naheliegen:
Die für die Patenterteilung vorausgesetzte erfinderische Tätigkeit umschreibt Art. 1 (2) schweiz. PatG entsprechend Art. 56 EPÜ mit dem Begriff des Nichtnaheliegens. Das Erfinderische beginnt danach jenseits der Zone, die zwischen dem vorbekannten Stand der Technik und dem liegt, was der durchschnittlich gut ausgebildete Fachmann des einschlägigen Gebiets gestützt darauf mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten weiterentwickeln und finden kann. Entscheidend ist, ob ein solcher Fachmann nach all dem, was an Teillösungen und Einzelbeiträgen den Stand der Technik ausmacht, schon mit geringer geistiger Anstrengung auf die Lösung des Streitpatents kommen kann, oder ob es dazu eines zusätzlichen schöpferischen Aufwandes bedarf. Der durchschnittlich gut ausgebildete Fachmann ist weder Experte des betreffenden technischen Sachgebiets noch Spezialist mit hervorragenden Kenntnissen. Er muss nicht den gesamten Stand der Technik überblicken, jedoch über fundierte Kenntnisse und Fähigkeiten, über eine solide Ausbildung und ausreichende Erfahrung verfügen und so für den in Frage stehenden Fachbereich gut gerüstet sein.
Die erfinderische Tätigkeit ist von der Ausgangslage her zu beurteilen, wie sie im maßgebenden Zeitpunkt objektiv gegeben war. Der damalige Stand der Technik ist in seiner Gesamtheit, gewissermaßen als "Mosaik" - nicht aber als dessen Einzelteile - zu betrachten. Dabei ist üblich, vom nächstliegenden Stand der Technik auszugehen und weiter entfernte Entgegenhaltungen nur - aber immerhin - darauf zu beurteilen, ob sie für die beanspruchte Lösung eine richtungweisende Anregung enthalten. Zwar sind alle in der Öffentlichkeit zugänglichen Lehren und alle Entgegenhaltungen als der technische Erfahrungsschatz zu betrachten, der dem mit normaler Kombinationsgabe ausgestatteten Fachmann bzw. Fachteam für die Lösung der Aufgabe zur Verfügung gestanden hat; aber die Kombination von Einzelelementen aus dem Stand der Technik findet ihre Grenze dort, wo sie zu einer künstlichen Ex-post-Betrachtung in Kenntnis der beanspruchten Erfindung führen würde. Eine Kombinierung von Entgegenhaltungen ist nur zulässig, wenn dafür Anregungen im Stand der Technik vorhanden waren.
Da die Vorinstanz die Anforderungen an die Fachperson nicht definiert hatte und auch sonst ihr methodisches Vorgehen in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit nicht nachvollziehbar war, wurde der kantonale Entscheid aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung zurückgewiesen. Hier erwog das Bundesgericht, der in der Rechtsprechung der Beschwerdekammer des EPA maßgebende Aufgabe-Lösungs-Ansatz sei zwar nicht die ausschließlich zulässige Methode; unerlässlich seien jedoch Feststellungen zum Stand der Technik, zum Fachmann und zum (Nicht-)Naheliegen der im Streitpatent offenbarten Lösung, da ansonsten das Ergebnis der Streitentscheidung nicht überprüfbar sei.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 7. März 2006 (X ZR 213/01) - Vorausbezahlte Telefongespräche
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Fachmann
Das Streitpatent betraf ein Verfahren zum Verarbeiten von im Voraus bezahlten Telefonanrufen. Die Streitpatentschrift bezog sich dabei auf das in einer älteren US-Patentschrift beschriebene Verfahren und System zur Verarbeitung im Voraus bezahlter Telefonanrufe, welches sich auf spezielle, zertifizierbare Codezahlen stützte. Diese wurden den Anrufern gegen Erwerb eines Guthabens zugeteilt. Die Guthaben wurden im Computer spezieller zentraler Stationen gespeichert, sodass von jedem beliebigen privaten Telefon angerufen werden konnte. An diesem Verfahren kritisierte die Streitpatentschrift als Nachteil, dass derjenige, der interessiert sei, dieses Verfahren zu nutzen, eine ganze Reihe vorbereitender Schritte durchlaufen müsste - meistens über Kreditkartenunternehmen -, um eine entsprechende Berechtigung zur Nutzung des Systems zu erhalten. Die Streitpatentschrift bezeichnete es somit als Aufgabe der Erfindung, die Nachteile der öffentlichen Münz- und Magnetkartentelefonanschlüsse zu vermeiden und zugleich jede vorherige Verbindung mit Telefonkarten- und/oder Kreditkartenunternehmen überflüssig zu machen. Das BPatG hatte in der Vorinstanz das Streitpatent für nichtig erklärt.
Der BGH hielt das Patent für neu und erfinderisch. Ob sich der Gegenstand einer Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe, sei eine Rechtsfrage, die mittels wertender Würdigung der tatsächlichen Umstände zu beurteilen sei, die - unmittelbar oder mittelbar - geeignet seien, etwas über die Voraussetzungen für das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen.
Der angesprochene Fachmann sei nicht mit einer tatsächlich existierenden Person gleichzusetzen. Eine dem Gebot der Rechtssicherheit genügende einheitliche Beurteilung einer Erfindung wäre auf der Grundlage individueller Kenntnisse und Fähigkeiten auch gar nicht möglich. Fachmännisches Denken, Erkennen und Vorstellen werde deshalb bemüht, um mit dem auf dem betreffenden Gebiet der Technik üblichen Fachwissen sowie den durchschnittlichen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der dort tätigen Fachleute und dem hierdurch geprägten Verständnis vom Inhalt einer technischen Lehre eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu gewinnen.
Der Fachmann (im vorliegenden Fall ein ausgebildeter Nachrichtentechniker und/oder Informatiker mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Telekommunikation), der es sich zur Aufgabe gestellt hatte, eine möglichst einfache und preiswerte Lösung für die Verarbeitung von im Voraus bezahlten Telefonanrufen zu finden, kannte zwei Arten der Speicherung der zur Durchführung vorbezahlter Telefonanrufe erforderlichen Daten: zum einen die Variante, bei der die Daten sämtlich auf einem auf der Karte befindlichen Chip oder Magnetstreifen gespeichert sind, und zum anderen die Variante, dass die Daten in einer Datenbank in der Weise gespeichert sind, dass ein bestimmtes Guthaben einer bestimmten Identifikationsnummer zugeordnet ist.
Wollte der Fachmann den Nachteil vermeiden, dass der Vertrieb Datenleitungen von der Vertriebsstelle zur Datenbank erforderlich machte, konnte er hierauf nur verzichten, wenn er dem Kunden die Identifikationsnummer auf andere Weise bekannt gab. Das Gericht sah jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass dies dem Fachmann die insbesondere bei Chipkarten übliche Standardisierung auf bestimmte Beträge nahelegte, die es ihm dann ermöglichte, die Identifikationsnummer schon vor dem Erwerb des Guthabens durch den Kunden diesem Guthaben zuzuordnen. Dieser Schritt brachte nur dann eine Vereinfachung des Vertriebs mit sich, wenn der Fachmann zugleich eine Lösung für das Problem erkannte, wie die Identifikationsnummer dem Kunden bekannt gegeben werden konnte. Hierfür gab es bei der Chipkarte kein Vorbild, weil sich dieses Problem dort nicht stellt. Es genügte also nicht der Übergang von individuell bestimmten Guthaben auf von vornherein standardisierte Guthabenbeträge, vielmehr erforderte dieser Übergang weitere Schritte, nämlich die vorherige Zuordnung von Guthaben und Identifikationsnummer in der Datenbank und die Bekanntgabe dieser Nummer an den Kunden.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris vom 22. Februar 2008 (06/08776) - Thermohauser v. Matfer
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit – Fachmann – benachbartes Gebiet
Das Patent betraf allgemein Küchenutensilien und insbesondere aus mehreren offenen Stahldrahtschleifen zusammengesetzte Rührbesen zum Schlagen von Gemischen, wobei die Stahldrahtschleifen zusammengefasst und mit einem Griff verbunden waren, an dem sich der Rührbesen zu seiner Verwendung greifen ließ.
Zur Nichtigkeitsklage: Außer auf die bereits von der ersten Instanz geprüften Entgegenhaltungen beruft sich die Klägerin T auf Druckschriften, die sich auf Schraubenzieher und Messer beziehen und die von der ersten Instanz verworfen worden sind. Die Patentinhaberin M macht geltend, dass nicht alle angeführten Entgegenhaltungen berücksichtigt werden dürften, da diejenigen, die sich auf Schraubenzieher und Messer bezögen, nicht dem normalen Fachwissen auf dem Spezialgebiet des Fachmanns zuzurechnen seien, bei dem es sich vorliegend um dem Fachmann für Rührbesen handle.
Das Gericht folgt dem Vorbringen der Gesellschaft M in diesem Punkt nicht. Der Fachmann, der über die normalen Kenntnisse der fraglichen Technik verfüge (Problem der Befestigung eines Werkzeugs an einem Stiel), sei nicht nur der Fachmann auf dem Gebiet des Gegenstands der Erfindung, d. h. vorliegend der Rührbesen, sondern auch der Fachmann, der allgemeinere Kenntnisse auf dem Gebiet der kleinen Handgeräte habe, bei denen ein Belastungen ausgesetzter funktioneller Teil des Werkzeugs an einem Griff befestigt sei, wie dies beispielsweise bei Messern (auf kulinarischem Gebiet) und allgemeiner bei Schraubenziehern der Fall sei. Dieses Sachgebiet sei Gegenstand von zwei in die Verhandlung eingebrachten früheren Patenten, die sich zwar insbesondere mit Schraubenziehern befassten, allgemeiner aber mit Griffen für Haushaltsgeräte wie Rührbesen und Pfannenschaber. Mangelnde erfinderische Tätigkeit sei folglich vor dem Hintergrund sämtlicher in der Berufung angeführten Entgegenhaltungen zu prüfen.
Angesichts der Aufgaben, die sich dem Fachmann stellten (nämlich sicherzustellen, dass das zusammengesetzte Gerät wasserdicht und sehr robust war), sah sich dieser durch keine der früheren Lehren dazu veranlasst, ganz selbstverständlich in Richtung eines Zusammenwirkens des Griffs und des die Befestigungsmittel umfassenden Teils zu forschen, von denen jedes eine andere Funktion erfüllte. Er wurde ganz im Gegenteil durch die Entgegenhaltungen veranlasst, zu denken, dass die Verbindung durch Umspritzen der Metallteile mit Kunststoff und somit durch Einführung von Materie, welche die Drähte fest umschloss und so daran hinderte, sich in Längsrichtung oder rotierend zu verschieben, ausreichte, um das angestrebte Ergebnis zu erzielen, das jedoch in Wirklichkeit nur unvollkommen ausfiel.
FR Frankreich
Kassationsgerichtshof vom 26. Februar 2008 (06-19149) - Newmat v. Normalu
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit – Fachmann – benachbartes Gebiet
Das Berufungsgericht hatte Anspruch 1 eines Patents auf "ein profiliertes Teil zum Aufhängen einer Spanndecke" mit der Begründung für nichtig erklärt, die Druckschrift Peillex sei zwar nicht unmittelbar auf Spanndecken anwendbar, beziehe sich jedoch auf Verbindungen zwischen Mauern und Decken, mit denen sich diese abdichten ließen, was bedeute, dass diese Verbindungen den Zweck hätten, keine Zwischenräume zwischen den anderen Elementen zu lassen; der Fachmann (hier: für Zwischendecken) könne die verschiedenen zur Herstellung der Verbindung zwischen Mauern und Decken vorgesehenen Strukturen nicht außer Betracht lassen, und die Behauptung, es sei nicht möglich, sich auf die Lehre des Dokuments Peillex zu beziehen, sei daher zurückzuweisen.
Der Kassationsgerichtshof führte aus, dass der Fachmann derjenige ist, der über das normale Fachwissen auf dem betreffenden Gebiet verfügt und in der Lage ist, allein aufgrund seines Fachwissens die Lösung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe aufzufinden.
Das Berufungsgericht habe gegen Art. L. 611-14 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum verstoßen, indem es davon ausgegangen sei, dass der Fachmann, bei dem es sich vorliegend um den Fachmann für Spanndecken handle, über Fachwissen auf einem anderen als seinem eigenen Sachgebiet verfüge, nämlich auf dem Spezialgebiet des Abdichtens.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 28. Januar 2009 (07/06328) - Technip France v. ITP
Schlagwort: Definition des Fachmanns
Das Unternehmen I ist eine Ingenieurfirma, die sich mit dem Bau von Pipelines für die Beförderung von Kohlenwasserstoffen auf dem Meeresboden befasst. Es ist Inhaber des französischen Patents Nr. 2 746 891 sowie des unter Priorität des französischen Patents erteilten europäischen Patents EP 0 890 056, in dem Frankreich nicht benannt wird. Dieses europäische Patent ist von der Beschwerdekammer des EPA mit der Entscheidung T 1013/02 vom 17. Februar 2004 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit widerrufen worden.
Die patentgemäße Erfindung war im Ausland Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren zwischen den Unternehmen I und T. Das Unternehmen T verklagte das Unternehmen I vorliegend vor dem Bezirksgericht Paris auf Nichtigerklärung der Ansprüche 1 bis 16 des französischen Patents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
Das Unternehmen T behauptete, dass die Erfindung dem Fachmann, der seines Erachtens ein Fachmann für die Isolierung von Röhrensystemen ist, durch die Lehren aus dem Stand der Technik nahegelegt wird.
Für das Unternehmen I ist der Fachmann ein Pipeline-Ingenieur, der sich mit der Planung und dem Bau von Offshore-Pipelines befasst und den man gemeinhin als Offshore-Pipeline-Ingenieur bezeichnet. Die diesem Fachmann gestellte Aufgabe besteht darin, die Wärmeleistung der existierenden Pipelines unter im Übrigen gleichen Bedingungen zu verbessern. Nichts im Stand der Technik führte zu den Merkmalen der Erfindung hin. Mikroporöse Erzeugnisse gab es nämlich schon seit Anfang der 1960er-Jahre, und sie waren vor der Erfindung nicht in Pipelines verwendet worden.
Laut dem Unternehmen I entspringe die Gedankenführung des Unternehmens T einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.
Zur Definition des Fachmanns führte das Gericht aus, dass feststeht, dass dieser Begriff einen Mann der Praxis umfasst, der darüber unterrichtet ist, was am Tag der Einreichung der betreffenden Patentanmeldung zum allgemein üblichen Wissensstand auf dem betreffenden Gebiet gehört.
Aufgrund der Angaben in der Beschreibung der Erfindung ist das zu betrachtende einschlägige Fachgebiet nach Auffassung des Gerichts dasjenige der Planung und des Baus von Rohren mit doppelter Ummantelung zur Bildung von Leitungen, die für den Transport von Flüssigkeiten bei gleichbleibender Temperatur bestimmt sind und bei deren Verlegung besondere Anforderungen zu erfüllen sind (z. B. auf dem Meeresboden). Zwar wird das Gebiet der Erfindung durch den Wortlaut von Anspruch 1 tatsächlich nicht auf Leitungen für Mineralölerzeugnisse beschränkt, doch geht es in der gesamten Beschreibung um Leitungen, die sowohl hinsichtlich der transportierten Flüssigkeiten als auch der geographischen Lage ihrer Verlegung und Länge (mehrere Kilometer) besondere Anforderungen stellen. Im Gegensatz zum Unternehmen T war das Gericht der Auffassung, dass der Fachmann nicht ein "Fachmann für die Isolierung von Leitungen", sondern ein mit der Planung und dem Bau von Pipelines befasster Ingenieur ist.
Wie das Unternehmen I zutreffend anmerkt, steht die vom Unternehmen T vertretene Definition des Fachmanns im Widerspruch zu der Qualifikation der Zeugen, die es im schottischen Verfahren hinzugezogen hat, die alle über große Erfahrung auf dem Gebiet der Pipeline-Konstruktion verfügten und deren Profil nicht demjenigen des "Fachmanns für die Isolierung von Leitungen" entsprach.
Wie Lord Smith im schottischen Verfahren zwischen denselben Parteien zur Gültigkeit des europäischen Patents festgestellt hat, verfügt dieser Pipeline-Ingenieur über umfassende Kenntnisse, ist jedoch kein Experte für die verschiedenen Dämmprodukte.
Zur gestellten Aufgabe: Laut der Beschreibung wollte der Patentinhaber vor allem die Kosten für die Verlegung der zum Stand der Technik gehörenden doppelt ummantelten Rohre senken, in denen im ringförmigen Zwischenraum zwischen beiden Rohren ein Hochvakuum erzeugt wird, und die Wärmedämmung für die transportierte Flüssigkeit verbessern; zugleich sollte den für diese Art von Anlagen geltenden Anforderungen in allen Stadien ihrer Herstellung, Beförderung, Verlegung und Nutzung entsprochen werden.
Nach Auffassung des Gerichts hat die Beschwerdekammer des EPA die zu lösende Aufgabe unzutreffend definiert; bei der Definition der Aufgabe, die sich dem Fachmann stellt, ist sie nämlich von den Ergebnissen der Erfindung ausgegangen (einfache Verlegung und geringere Abmessungen). Aus der Beschreibung geht jedoch klar hervor, dass der Patentinhaber beabsichtigte, "die Kosten zu senken und die Qualität und Haltbarkeit der Wärmedämmung zu verbessern", und nicht etwa, die Verlegung zu erleichtern oder den Durchmesser von Rohren mit Doppelummantelung zu verringern.
Zum nächstliegenden Stand der Technik: Die Parteien sind sich darüber einig, dass der nächstliegende Stand der Technik das Preussag-Patent ist. Die Preussag-Erfindung betrifft eine doppelt ummantelte Rohrleitung zur Förderung von gasförmigen oder flüssigen Medien, deren Temperatur von der Umgebungstemperatur abweicht, wobei das Innenrohr mit einer Wärmedämmung ummantelt ist.
Nach Auffassung des Gerichts unterscheidet sich die Preussag-Erfindung von der Erfindung des Unternehmens I in zweierlei Hinsicht und liegt sowohl in Bezug auf die gestellte Aufgabe (Wegfall der Abstandshalter, die Wärmebrücken bilden und dadurch zu Wärmeverlusten führen) als auch in Bezug auf die vorgeschlagene Lösung (jeweilige Lage des Innen- und des Außenrohrs, Art des Dämmstoffs) weitab von der vorliegenden Erfindung.
Das Gericht schloss sich der von Lord Smith in seinem Urteil vertretenen Auffassung an, dass keine der Kombinationen der Lehren von Preussag mit den Entgegenhaltungen des Unternehmens T die Erfindung nahelegt, die Gegenstand von Anspruch 1 des Patents des Unternehmens I ist. Diese Position wird außerdem durch folgende Anzeichen für eine erfinderische Tätigkeit bestätigt: – aus einem vertraulichen Dokument geht hervor, dass der Rechtsnachfolger des Unternehmens T trotz der heute von ihm als offensichtlich beschriebenen Vorteile und des erheblichen Kostendrucks, dem die Mineralölgesellschaften hinsichtlich der Rentabilität ihrer Anlagen ausgesetzt sind, mikroporöse Materialien mit offenen Poren damals nicht verwendete; – der frühere Generaldirektor des Unternehmens M, Herr H, bezeichnete die Mitarbeiter des Unternehmens I als "crazy Frenchmen", nachdem sie ihn gebeten hatten, die Verwendung der Microtherm-Produkte zur Isolierung von Pipeline-Leitungen in Betracht zu ziehen; – die Zeitspanne zwischen der Entwicklung der Microtherm-Erzeugnisse zur Marktreife im Jahr 1967 und ihrer erstmaligen Verwendung in Pipeline-Systemen, die 1982 entwickelt worden waren, im Jahr 1996 zeigt hinlänglich, dass diese Anwendung alles andere als naheliegend war.
Unter diesen Umständen weist das Gericht den Antrag des Unternehmens T auf Nichtigerklärung der Ansprüche des Patents des Unternehmens I zurück. Da Anspruch 1 gültig ist, sind auch die übrigen von diesem abhängigen Ansprüche gültig.
Anmerkung des Herausgebers: Das Berufungsgericht Paris vom 22. September 2010 (09/02379) bestätigte dieses Urteil.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 1. April 2004 - Rockwater v. Technip France SA [2004] EWCA Civ 381
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Fachmann - Sachverständiger
Im Rahmen dieses Urteils ging Lord Justice Jacob auf die Merkmale eines Fachmanns ein.
Laut Lord Justice Jacob wird auf den "Fachmann" in vielen kritischen Fragen des Patentrechts abgestellt. Patentansprüche seien so zu verstehen, wie es diese fiktive Person bei ihrer Lektüre tun würde. Ebenso komme es bei vielen Fragen zur Gültigkeit eines Patents (wie zum Beispiel Naheliegen und ausreichende Offenbarung) darauf an, die Dinge aus seiner Sicht zu betrachten. Der Fachmann genieße gesetzliche Anerkennung - in den Artikeln 56, 83 und 100 EPÜ werde ausdrücklich auf den "Fachmann" Bezug genommen.
Es stehe fest, dass dieser Mann, wenn es ihn tatsächlich gäbe, ein schrecklich langweiliger Mensch wäre - ein Fachidiot. Mit den Worten von Lord Reid in Technograph v. Mills & Rockley [1972] RPC 346, S. 355: "... der hypothetische Adressat ist ein sachkundiger Mann vom Fach, der mit Werkstatttechnik bestens vertraut ist und die einschlägige Literatur sorgfältig gelesen hat. Ihm wird unterstellt, dass er über eine unbegrenzte Fähigkeit verfügt, sich gegebenenfalls den Inhalt von Hunderten von Patentschriften anzueignen, aber dass er nicht zu einem Fünkchen Kreativität fähig ist. Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit darf anders als bei der Neuheit aus den einschlägigen Dokumenten ein "Mosaik" gebildet werden, aber es muss ein Mosaik sein, das ein phantasieloser Mensch ohne jeden Erfindungsgeist zusammenfügen kann."
Das "Mosaikverbot" mache den Fachmann außerdem sehr vergesslich. Er habe den gesamten Stand der Technik gelesen, aber wenn dieser nicht zu dem Fachwissen gehöre, das er mitbringe, vergesse er den Inhalt eines Dokuments aus dem Stand der Technik, das er gelesen (oder von dem er erfahren) habe, bevor er das nächste lese, es sei denn, diese könnten ein phantasieloses Mosaik bilden oder enthielten einen ausreichenden Querverweis, der es rechtfertige, sie als ein einziges Dokument zu lesen.
Andererseits verfüge er über ein sehr gutes Hintergrundwissen - das sogenannte allgemeine Fachwissen. Die Gerichte im Vereinigten Königreich hätten schon seit Langem hierfür einen Standard festgesetzt, der in der vielzitierten Passage aus dem Urteil General Tire v. Firestone Tire & Rubber [1972] RPC 457 auf Seite 482 umschrieben werde, wo wiederum den Ausführungen des Richters Luxmoore in British Acoustic Films 53 RPC 221, S. 250 zugestimmt werde. Justice Luxmoores geglückte Formulierung "allgemeiner Wissensfundus" vermittle eine Ahnung davon, was dieser fiktive Mann wisse. In anderen Staaten des Europäischen Patentübereinkommens würden im Wesentlichen dieselben Standards verwendet.
In entsprechenden Fällen könne der Mann auch ein Team sein, zusammengestellt aus Fachidioten mit unterschiedlichen Grundfähigkeiten, einer so phantasielos wie der andere. Der Fachmann sei aber kein Roboter, weil außerdem feststehe, dass er die auf dem betreffenden Fachgebiet herrschenden allgemeinen Vorurteile und konservativen Ansichten teile.
Nichts davon sei umstritten. Mitunter sei das Erfordernis, dass der Fachmann keinen Erfindungsgeist besitzen dürfe, aber vom Rechtsbeistand eines Patentinhabers verwendet worden, um eine Sachverständigenmeinung abzuwerten oder zu verwerfen, die als Nachweis für das Naheliegen einer Erfindung herangezogen worden war - nach dem Motto "mein Zeuge ist ein größerer Fachidiot als seiner". In Anbetracht der Aufgabe von Sachverständigen in Patentsachen hielt Lord Justice Jacob diesen Ansatz nicht für sinnvoll. Hauptaufgabe von Sachverständigen sei es, dem Gericht die Technik zu vermitteln. Ein Sachverständiger dürfe sich auch zu einer "grundlegenden Frage" äußern, sofern diese keine Rechtsfrage sei. Aber nur weil die Meinungsäußerung zulässig sei, bedeute dies noch lange nicht, dass das Gericht ihr auch folgen müsse.
Da die an sich zulässige Schlussfolgerung des Sachverständigen (z. B. Erfindung liegt nahe oder nicht) als solche also wenig Gewicht habe, spielten die tatsächlichen Merkmale des realen Sachverständigen in der Praxis keine große Rolle. Von Bedeutung seien allein die Gründe für seine Meinung. Und diese Gründe hingen nicht davon ab, wie nahe der Sachverständige dem Fachmann komme.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 12. Oktober 2005 - Ranbaxy und Arrow Generics v. Warner-Lambert [2005] EWHC 2142 (Pat)
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Fachmann - Auswahlerfindung - Atorvastatin
Die beiden Streitpatente (EP (UK) 0 409 281 ("281") von Warner-Lambert und EP (UK) 0 247 633 ("633") von Ranbaxy) betrafen Atorvastatin, einen Cholesterinsynthesehemmer von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Streitpunkt der Beteiligten war der richtige Ansatz für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit. Diese Frage wurde sowohl nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz als auch nach dem Ansatz gemäß Windsurfing International Inc v. Tabur Marine (GB) Ltd [1985] RPC 59 geprüft.
Das Gericht zitierte Lord Wilberforce in E. I. Du Pont de Nemours (Witsiepe's) Application [1982] FSR 303:
"Bei einem Auswahlpatent besteht die erfinderische Tätigkeit in der Entdeckung, dass ein oder mehrere Mitglieder einer bereits bekannten Klasse von Erzeugnissen für einen bestimmten Zweck einen besonderen Vorteil aufweisen, der vor dieser Entdeckung nicht vorherzusehen war (In re I. G. Farbenindustrie A.G.'s Patents (1930) 47 RPC 283 laut Justice Maugham). Als Gegenleistung für das ihm gewährte Ausschlussrecht offenbart der Erfinder in seiner Patentschrift die besonderen Vorteile der ausgewählten Mitglieder der Klasse (Beecham Group Ltd v. Bristol Laboratories International S.A. [1978] RPC 521, 579)."
Die ausgewählte Klasse könne naheliegend sein; dies werde jedoch unter anderem danach beurteilt, welcher Art der Vorteil sei. Der Fall Witsiepe sei nach dem Gesetz von 1949 behandelt worden, dieselben Grundsätze habe der Court of Appeal aber auch in einem Fall nach dem Gesetz von 1977, Hallen v. Brabantia [1991] RPC 195, befolgt. Solange im späteren Patent nicht angegeben sei, welchen Vorteil die ausgewählte Klasse besitze, handle es sich lediglich um eine willkürliche Auswahl aus bereits Offenbartem, der es an Neuheit fehle.
Der Richter bezeichnete es als irrige Auffassung, dass es bei den Rechtsvorschriften zu Auswahlpatenten um die erfinderische Tätigkeit gehe. Sie sei nur von Belang, wenn das spätere Patent nicht vorweggenommen worden sei; ob die ausgewählte Klasse naheliegend sei, werde dann nach den üblichen Grundsätzen ermittelt. Der Patentinhaber könne den Vorwurf, seine Erfindung sei naheliegend, zwar sicherlich leichter widerlegen, wenn er auf eine Darstellung des Vorteils der ausgewählten Klasse verweisen könne, doch sei dies nicht wesentlich.
Das EPA vertrete hier eine strengere Auffassung. Sie gehe im Sinne von T 198/84 (ABl. EPA 1985, 209) dahin, dass ein neu entdeckter Effekt einer enger gefassten Klasse keine Neuheit verleihen könne, wenn die Klasse ansonsten alt sei. Das eigentliche Problem hänge jedoch mit bestimmten Aspekten des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes zusammen. Bei diesem Ansatz könne es zwei Schwierigkeiten geben. Zum einen konzentriere er sich auf den nächstliegenden Stand der Technik, weil offenbar davon ausgegangen werde, dass eine Erfindung, die durch den nächstliegenden Stand der Technik nicht nahegelegt werde, sich auch nicht in naheliegender Weise aus einem weiter entfernten Stand der Technik ergeben könne. Dies widerspreche potenziell dem Grundsatz, dass der Fachmann frei sein müsse, das zu tun, was durch jedes einzelne Dokument des Stands der Technik im Lichte des allgemeinen Fachwissens nahegelegt werde. Zum anderen könne durch die Neuformulierung der Aufgabe verschleiert werden, was objektiv naheliegend sei.
Nach Auffassung vom Richter unterscheidet sich dieser Ansatz in den allermeisten Fällen im Ergebnis letztlich nicht vom Windsurfing-Ansatz. Etwaige Unterschiede hingen im Allgemeinen damit zusammen, welche Bedeutung ein Richter bei Befolgung des Windsurfing-Ansatzes dem allgemeinen Fachwissen beimesse.
Wenn die Neuformulierung der Aufgabe auf der Grundlage jedes Vorteils erlaubt werden würde, der dem Patentinhaber vor dem Prioritätstag bekannt, aber nicht in der Patentschrift erwähnt war bzw. der erst nach dem Prioritätstag entdeckt wurde, so bestünde aus der Sicht des Richters ein erhebliches Risiko, dass die Neuformulierung zum Nichtnaheliegen des Gegenstandes führen würde, denn wie könne man eine (objektive) Aufgabe lösen, von deren Existenz man nichts wisse?
Somit sei es aus den vom Richter Jacob in Richardson-Vicks [1995] RPC 568 und in T 867/95 genannten Gründen sehr unwahrscheinlich, dass nachträglich entdeckte Vorteile einen erfinderischen Schritt begründen könnten. In der genannten Kammerentscheidung werde betont, dass eine Neuformulierung der Aufgabe zulässig sei, "soweit für den Fachmann noch erkennbar ist, dass die Wirkung in der ursprünglich gestellten Aufgabe implizit enthalten ist oder im Zusammenhang mit ihr steht".
Justice Pumfrey konnte keinen echten materiellrechtlichen Unterschied zwischen der jeweiligen Rechtsprechung erkennen. Die Ansätze in Bezug auf die Lösung der Aufgabe mögen sich zwar unterscheiden, doch sind die Unterschiede in diesem Fall wie auch in den sonstigen Fällen in seinen Augen bewertungsbedingt und nicht grundsätzlicher Natur.
Das Patent 281 wurde wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt, und die Klage von Ranbaxy auf Feststellung der Nichtverletzung des Patents 633 wurde abgewiesen. Beide Beteiligten riefen den Court of Appeal an, der sich nicht mit der erfinderischen Tätigkeit befasste und der beide Berufungsklagen abwies (Ranbaxy (UK) Ltd v. Warner-Lambert Company [2006] EWCA Civ 876).
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 22. Juni 2007 - Pozzoli v. BDMO & Moulage Industriel de Perseigne [2007] EWCA Civ 588
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit – Fachmann
Der Patentinhaber, die Pozzoli SpA, legte Berufung gegen die Entscheidung des Patents Court ein, der ihr Patent auf ein Doppelschubfach für CD-Packungen, in dem CDs überlappend untergebracht werden konnten, wegen Naheliegens (mangelnder erfinderischer Tätigkeit) für nichtig erklärt hatte.
Der Court of Appeal griff den bekannten (vier Schritte umfassenden) Windsurfing-Test wieder auf, der gewöhnlich bei der Prüfung des Naheliegens angewandt wird, und vertiefte ihn. Die ersten beiden Schritte müssten in umgekehrter Reihenfolge ausgeführt werden – das Gericht müsse sich zuerst in die Position des durchschnittlich ausgebildeten, aber nicht kreativen fachmännischen Adressaten versetzen, ihm das allgemeine Fachwissen zum Prioritätstag unterstellen und erst dann die erfinderische Idee ermitteln. Denn nur mit den Augen des Fachmanns könne richtig erkannt werden, wie dieser das vom Patentinhaber Gemeinte verstanden hätte; hiervon ausgehend könne die erfinderische Idee ermittelt werden. Außerdem umfasse der nunmehr erste Schritt tatsächlich zwei Schritte, nämlich zum einen die Ermittlung der Attribute des "Durchschnittsfachmanns" und zum anderen die des allgemeinen Fachwissens.
Bei der Ermittlung der erfinderischen Idee sei auf die dem betreffenden Anspruch zugrunde liegende erfinderische Idee abzustellen und nicht auf eine der Patentschrift als Ganzes entnommene verallgemeinerte Idee. In der Regel sei zunächst eine Auslegung des Anspruchs notwendig, um zu versuchen, seinen Kern zu erfassen und ihn von unnötigem Wortwust zu befreien. Worauf es ankomme, seien die Unterschiede zwischen dem, was beansprucht werde, und dem Stand der Technik – diese Unterschiede machten die "Schritte" aus, die in Phase 4 zu prüfen seien.
In einigen Fällen erübrige sich eine ausgeklügelte Auslegung, da die Idee ohnehin ziemlich offensichtlich sei. In anderen Fällen sei es praktisch gar nicht möglich, eine Idee zu ermitteln, beispielsweise bei einem Anspruch auf eine Klasse chemischer Verbindungen. Bei der Ermittlung der erfinderischen Idee sei die Berücksichtigung des Stands der Technik fehl am Platz.
Die überarbeitete Prüfung auf Naheliegen stellt sich somit wie folgt dar:
1. a) Ermittlung des "Durchschnittsfachmanns"
1. b) Ermittlung des einschlägigen allgemeinen Fachwissens dieses Fachmanns
2. Ermittlung der dem betreffenden Anspruch zugrunde liegenden erfinderischen Idee und, wenn dies nicht ohne Weiteres möglich ist, Auslegung des Anspruchs
3. Ermittlung etwaiger Unterschiede zwischen dem als Stand der Technik angegebenen Gegenstand und der dem Anspruch bzw. dem ausgelegten Anspruch zugrunde liegenden erfinderischen Idee
4. Klärung der Frage, ob es sich bei diesen Unterschieden, wenn man sie in Unkenntnis der beanspruchten angeblichen Erfindung betrachtet, um für den Fachmann naheliegende Schritte handelt oder ob sie zumindest bis zu einem gewissen Grad erfinderisch sind
Der Patentinhaber versuchte seine Erfindung gegen den Vorwurf des Naheliegens damit zu verteidigen, dass gegen sie ein technisches Vorurteil bestanden habe ("ein Löwe auf dem Weg"). Der Court of Appeal stellte folgende Überlegungen an:
- Ein Patentinhaber, der etwas Neues beisteuert, indem er zeigt, dass eine Idee entgegen einem irrigen Vorurteil funktioniert oder praktisch umsetzbar ist, hat etwas Neues aufgezeigt. In diesem Fall ist der Löwe auf dem Weg nichts weiter als ein Papiertiger.
- Ein Patentinhaber, der lediglich eine alte Idee patentieren lässt, von der man dachte, sie würde nicht funktionieren oder sei nicht umsetzbar, und nicht erklärt, weshalb oder wie sie entgegen dem Vorurteil funktioniert oder sich umsetzen lässt, trägt nichts zum menschlichen Wissen bei. Der Löwe bleibt sichtbar, und für das Patent gibt es keine Rechtfertigung.
Der Court of Appeal stellte fest, dass Letzteres im vorliegenden Fall zutreffe und das Patent wegen Naheliegens nichtig sei; die Berufung wurde daher zurückgewiesen.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 17. Februar 2010 - Actavis UK Ltd v. Novartis AG [2010] EWCA Civ 82
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Fachmann - Fluvastatin
Novartis legte Berufung gegen das Urteil des Patents Court ein, der das Patent EP (UK) 0 948 320 des Unternehmens für naheliegend und damit für ungültig erklärt hatte. Das Patent betraf eine Formulierung zur verzögerten Freisetzung von Fluvastatin. Am Prioritätstag war Fluvastatin als ein Statin in einer Formulierung mit sofortiger Freisetzung bekannt, und zu Formulierungen mit Freisetzungsverzögerung im Allgemeinen lagen umfassende Kenntnisse vor. Im Patent wurde geltend gemacht, dass Bedarf für eine Formulierung zur verzögerten Freisetzung von Fluvastatin bestehe, dieses weise jedoch eine so hohe Löslichkeit auf, dass die herkömmlichen Methoden nicht funktionieren würden. Im Patent wurde dann offenbart, dass Formulierungen zur verzögerten Freisetzung von Fluvastatin tatsächlich mithilfe eines der drei bereits anerkannten herkömmlichen Verfahren erzeugt werden können.
Nach Auffassung des Court of Appeal, der die Berufung zurückwies, ging es schlicht und einfach um die Frage, ob die Erfindung naheliegend sei. Die Gerichte im Vereinigten Königreich hätten eine strukturierte Vorgehensweise zur Untersuchung – wenn auch nicht zur Lösung – dieser Frage gefunden. Nach neuestem Stand sehe sie die Beantwortung von Fragen vor, wie sie in Pozzoli v. BDMO [2007] FSR 37 dargestellt sind (siehe oben).
Diese strukturierte Vorgehensweise sei keineswegs eine britische Besonderheit. Damit werde nur das explizit durchgeführt, was in allen anderen Ansätzen implizit enthalten sei. So werde beispielsweise in Schritt 4 lediglich eine Frage gestellt. Es werde nicht versucht, irgendeine Struktur für deren Beantwortung vorzugeben. Je nach Sachlage könnten verschiedene andere Ansätze herangezogen werden, z. B. "naheliegender Versuch" oder der "Aufgabe-Lösungs-Ansatz". Für Schritt 1 (Ermittlung des nächstliegenden Stands der Technik) des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes in Pozzoli/Windsurfing gebe es zwar keine Entsprechung, dies liege jedoch darin begründet, dass vor dem britischen Patentgericht zugelassene Patentvertreter gelernt hätten, sich insbesondere vor Gericht auf ihre besten Fälle zu beschränken. Mit ausschweifenden Zitaten würden britische Patentrichter ganz einfach nicht konfrontiert.
Der Aufgabe-Lösungs-Ansatz habe zwar seine Grenzen, wenn jedoch keine Notwendigkeit zur Umformulierung der Aufgabe bestehe, könne er sehr gute Dienste leisten. Dies sei hier der Fall.
Laut Patent würde der Fachmann die Löslichkeit von Fluvastatin für sehr hoch und infolgedessen eine Formulierung zur verzögerten Freisetzung für unmöglich halten. Diese Auffassung teilte das Gericht nicht. Allein aufgrund seines allgemeinen Fachwissens würde der Fachmann nicht auf diesen Gedanken kommen. Die im Patent dargelegte Aufgabe sei irreal – in Wirklichkeit existiere sie gar nicht, weil Fluvastatin nicht in so hohem Maße löslich sei, dass der Fachmann die Erzeugung einer Formulierung zur verzögerten Freisetzung für schwierig oder gar unmöglich halten würde. Wenn das Hindernis, das der Erzeugung einer Formulierung mit Freisetzungsverzögerung patentgemäß entgegenstehe, nachweislich irreal sei, dann sei eine Formulierung zur verzögerten Freisetzung naheliegend. Im Sinne von Pozzoli unterscheide sich der Anspruch vom Stand der Technik nur durch die Idee, eine Formulierung zur verzögerten Freisetzung zu erzeugen. Diese Idee sei technisch motiviert und berge weder echte noch scheinbare Schwierigkeiten.
Zu diesem Ergebnis führe auch der Aufgabe-Lösungs-Ansatz. Die Aufgabe bestehe in der Erzeugung einer Formulierung zur verzögerten Freisetzung von Fluvastatin. Die Lösung sei naheliegend, weil ganz offensichtlich auch die Standardmethoden für solche Formulierungen wirksam angewandt werden könnten. Eine Umformulierung des Problems sei nicht erforderlich und wäre auch falsch. Dies sei kein Fall, wo dem Patentinhaber unbekannte Teile des Stands der Technik aufgetaucht seien. Auch sei es nicht richtig, die Aufgabe im Sinne einer Suche nach besseren medizinischen Wirkungen umzuformulieren, wenn das nicht mit der Aufgabe aus der Sicht des Patentinhabers übereinstimme; ebenso wenig dürfe die Lösung dahin gehend umformuliert werden, dass solche Wirkungen erzielt würden, wenn sie vom Patentinhaber nicht versprochen worden seien. In dieser Hinsicht unterscheide sich dieser Fall von dem Fall Napp v. ratiopharm [2009] EWCA Civ 252, [2009] RPC 539, der unlängst ebenfalls vom Court of Appeal behandelt worden sei und eine Formulierung zur verzögerten Freisetzung von Oxycodon betroffen habe. Bis zum Patent sei Oxycodon als ein mittelstarkes Opioid bekannt gewesen, das, wenn überhaupt, normalerweise als Bestandteil eines Kombinationspräparats verabreicht worden sei. Durch seine langsame Freisetzung stelle es dem Patent zufolge eine wirkliche Alternative zu Morphium dar – und dies sei keinesfalls zu erwarten gewesen. Die Erfindung in Napp v. ratiopharm sei eindeutig nicht naheliegend.
Der Kläger brachte ferner vor, dass der Fachmann zwar zugegebenermaßen auf die Idee einer Formulierung zur verzögerten Freisetzung von Fluvastatin käme, dass dies jedoch nicht genüge, um einen entsprechenden Patentanspruch als naheliegend anzusehen. Es müsse nachgewiesen werden, dass ein Fachmann sie tatsächlich umsetzen würde. Hierbei berief sich der Kläger auf die Richtlinien (sowie die beiden Beschwerdefälle T 632/91 und T 116/90). Nach Auffassung von Lord Justice Jacob enthielten die Richtlinien jedoch kein Erfordernis, wonach der Durchschnittsfachmann die Idee tatsächlich konkret umsetzen müsse – gemeint sei, dass es nicht genüge, dass der Fachmann vom Stand der Technik ausgehend zu der Erfindung hätte gelangen können, vielmehr müsse nachgewiesen werden, dass er dorthin gelangt wäre. Ob er die Dinge tatsächlich vorantreiben und die Idee umsetzen würde, hänge von vielen anderen, auch kommerziellen, Erwägungen ab.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 28. Juli 2010 - Schlumberger Holdings Ltd v. Electromagnetic Geoservices AS [2010] EWCA Civ 819
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Fachmann
Der Patents Court hatte zwei Patente der Firma Electromagnetic Geoservices (EMGS) widerrufen, die die sogenannte CSEM-Technik (Controlled Source Electromagnetic) zur Erkundung von Erdöl- und Erdgasvorkommen im Meer betrafen. Mithilfe der beanspruchten Erfindung kann ermittelt werden, ob eine unterseeische geologische Formation Öl oder Wasser enthält, ohne teure Bohrungen durchführen zu müssen, was vor der Erfindung die einzige Erkundungsmöglichkeit gewesen war. Da Einigkeit darüber herrschte, dass die beiden Patente zusammen stehen oder fallen, war nur eines Gegenstand des Verfahrens und wurde aufgrund von drei Dokumenten des Stands der Technik für naheliegend befunden. Der Angriff wegen mangelnder Neuheit wurde jedoch zurückgewiesen. EMGS legte Berufung ein.
Der Court of Appeal gab der Berufung statt. Lord Justice Jacob, der die für das Urteil maßgeblichen Entscheidungsgründe verfasste, ging insbesondere auf den Begriff des "Fachmanns" ein, auf den im EPÜ an drei Stellen (Artikel 69, 83 und 56) Bezug genommen wird. Sowohl im Vereinigten Königreich als auch im EPA habe sich im Großen und Ganzen die Rechtsprechung gefestigt, wonach der Fachmann gegebenenfalls auch ein Team von Personen mit unterschiedlichen Kenntnissen sein könne. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch um die Frage, ob dieses Team von Rechts wegen immer die gleiche Besetzung aufweisen müsse. In keinem der Fälle vor dem EPA oder vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs sei von einer allgemeingültigen Regel hinsichtlich der Zusammensetzung des Teams die Rede gewesen.
Ansetzen müsse man bei der tatsächlichen Aufgabe, vor der mit der Erdölsuche befasste Geophysiker stünden. Sei ihnen bewusst, dass ihre Aufgabe - die Bestimmung, ob eine infrage kommende poröse Gesteinsschicht wirklich Kohlenwasserstoff oder nur Wasser enthält - lösbar sei? Würde der fiktive Geophysiker das tatsächliche Nutzungspotenzial von CSEM erkennen?
Auch aus der Perspektive des CSEM-Fachmanns sei die Frage zu betrachten. Würde er das Problem des Geophysikers kennen und, wenn ja, wäre ihm das echte Nutzenpotenzial von CSEM bewusst?
Mit einem Satz: Läge die Verbindung also für beide Partner nahe? Diese Frage beantwortete Lord Justice Jacob mit Nein, und weil die Verbindung ihres Wissens nicht naheliegend sei (hier zitierte er zustimmend Haberman v. Jackel [1999] FSR 683), beruhe der Patentgegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Für nicht erforderlich hielt Lord Justice Jacob hingegen die Frage, ob ein fiktives Team mit Fachleuten beider Seiten erkennen würde, dass CSEM das Problem lösen könnte. Zudem wies er auf eine Gefahr hin, die es zu vermeiden gelte: Es gebe Fälle, in denen ein Problem rückwirkend betrachtet klar erkannt und auch benannt werden könne, während den Betroffenen zum fraglichen Zeitpunkt ebendies nicht gelungen sei und sie sich stattdessen mit den Gegebenheiten abgefunden hätten. Das Wesen der Erfindung beruhe auf der Erkenntnis, dass es überhaupt ein lösbares Problem gibt.
Es wurde vorgetragen, dass der im EPÜ an drei Stellen verwendete Begriff des Fachmanns keine unterschiedlichen Bedeutungen haben könne, sondern nach allen bekannten Auslegungsgrundsätzen immer das Gleiche bedeuten müsse. Lord Justice Jacob war der Auffassung, dass der Fehler hierbei in der Annahme liege, dass das Fachwissen vor und nach der Erfindung zwangsläufig das gleiche sei. In den meisten Fällen stimme diese Annahme wohl auch, aber einige Erfindungen würden eben selbst eine Änderung des Fachwissens bewirken. Wenn ein Anmelder sage, zur Lösung eines Problems müsse man das Wissen zweier verschiedener Fachbereiche verbinden, so liege diese Verbindung möglicherweise nahe oder eben auch nicht. Wenn sie nicht naheliege und zu einem echten technischen Fortschritt führe, dann stehe dem Anmelder ein Patent zu.
Grund hierfür sei nicht eine unterschiedliche Auslegung des Begriffs Fachmann in den einzelnen Artikeln, sondern seine Anwendung auf unterschiedliche Situationen.
4. Erfindungshöhe des Patents und des Gebrauchsmusters
AT Österreich
Oberster Patent- und Markensenat vom 22. Dezember 2010 (OGM 1/10)
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Verhältnis zwischen der Erfindungshöhe des Patents und des Gebrauchsmusters
In der vorliegenden Sache behandelte der OPM die Rechtsfrage, ob die geforderte Erfindungshöhe im Patentrecht von jener des Gebrauchsmusterrechts abweicht.
Nach der österreichischen Rechtsprechung und Lehre ist eine Erfindung nicht schon dann naheliegend, wenn der Fachmann aufgrund des Standes der Technik zu ihr hätte gelangen können, sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte. Diese Prüfung erfolgt insbesondere nach dem vom EPA herangezogenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz. Demgegenüber lagen nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und der bisherigen Rechtsprechung des OPM im Bereich des Gebrauchsmusters die materiellen Schutzvoraussetzungen niedriger; gefordert wurde (nur) ein erfinderischer Schritt, der ein geringeres Ausmaß an Erfindungsqualität aufweist, als es für eine Patentierung erforderlich wäre.
Zudem wies der OPM auf die Entscheidung Demonstrationsschrank (zusammengefasst in diesem Bericht, siehe unten) des deutschen Bundesgerichtshofs hin, dass für die Beurteilung des erfinderischen Schritts im Gebrauchsmusterrecht auf die im Patentrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden müsse. Es verbiete sich, Naheliegendes als auf einem erfinderischen Schritt beruhend zu bewerten. Dies wurde damit begründet, dass durch die auch in Deutschland erfolgte Übernahme der in Art. 56 EPÜ enthaltenen Definition der erfinderischen Leistung die Anforderungen an die Schutzfähigkeit im Patentrecht derart herabgesetzt wurden, dass sie bereits alle nicht nur durchschnittlichen Leistungen erfassen. Auch der OPM war der Ansicht, dass die ehemalige Auffassung, dass die Anforderungen an die Erfindungshöhe im Gebrauchsmusterrecht geringer als im Patentrecht anzusetzen seien, nicht aufrechtzuerhalten ist.
Eine eigenständige Definition des „erfinderischen Schritts" sei weder Lehre noch Rechtsprechung gelungen. Während die Ausfüllung des unbestimmten Gesetzesbegriffs der Erfindung im Patentrecht nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz erfolge, falle auf, dass der „erfinderische Schritt" überwiegend durch Negativabgrenzungen definiert werde: Für die Anerkennung einer gebrauchsmusterrechtlich schützbaren Leistung werde etwa mit „nicht allzu fernliegenden" Lösungen argumentiert. Durch die Übernahme des vom EPA entwickelten Aufgabe-Lösungs-Ansatzes seien die bisherigen Anforderungen an eine Erfindung im Patentrecht herabgesetzt worden: Beim Aufgabe-Lösungs-Ansatz sei es zur Bejahung des Naheliegens eines Gegenstandes nicht mehr ausreichend gewesen, dass der Fachmann Kenntnis zweier Vorhalte hatte, die in Verbindung miteinander den zu prüfenden Gegenstand ergeben. Nur dann, wenn der Fachmann darüber hinaus konkrete Veranlassung habe, die Vorhalte auch tatsächlich zu vereinigen, liege die „Erfindung" nahe. Der Spielraum zwischen Neuheit und nicht Naheliegendem sei somit zu klein, um ein dazwischen liegendes Niveau für die erfinderische Leistung eines Gebrauchsmusters konkret definieren zu können. Der Versuch, zwischen der neuen und der nicht naheliegenden Lösung die Kategorie einer „nicht ganz naheliegenden Lösung" einzuführen, sei angesichts des Umstandes, dass auch eine nicht „ganz naheliegende" Lösung letztlich in dem Sinn naheliegt, dass der Fachmann irgendeine Veranlassung haben muss, sie vorzuschlagen (andernfalls liegt die Lösung nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz ohnedies nicht nahe), als gescheitert anzusehen. Das Kriterium des erfinderischen Schritts im Gebrauchsmusterrecht sei ein qualitatives und kein quantitatives.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 20. Juni 2006 (X ZB 27/05) - Demonstrationsschrank
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - nächstliegender Stand der Technik - Gebrauchsmuster
In dieser Entscheidung befasste sich der BGH mit dem Ausmaß der erfinderischen Leistung im Patent- und Gebrauchsmusterrecht:
Im Patentrecht sind alle Erfindungen ohne jegliche Differenzierung schutzfähig, die neu und gewerblich anwendbar sind und für den Fachmann nicht naheliegen. Die Anforderungen an die Schutzfähigkeit sind damit derart herabgesetzt worden, dass sie alle nicht nur durchschnittlichen Leistungen erfassen. Verallgemeinerungsfähige Kriterien, mit denen diese Anforderungen noch unterschritten werden können, andererseits aber eine Monopolisierung trivialer Neuerungen vermieden wird, bei denen ein Ausschluss Dritter von der Benutzung auch vor dem Hintergrund höherrangigen Rechts nicht zu rechtfertigen wäre, sind bislang noch nicht entwickelt worden; für sie sind hinreichend sichere Kriterien auch nicht zu erkennen. Gegen die unterschiedliche Bewertung im Hinblick auf die Schutzvoraussetzung einer erfinderischen Leistung spricht darüber hinaus, dass die Schutzwirkungen des Patents und des Gebrauchsmusters jedenfalls im Wesentlichen die gleichen sind. Wenn auch Gebrauchsmusterschutz nicht auf allen dem Patentschutz zugänglichen Gebieten erlangt werden kann, ist das Gebrauchsmuster aber dort, wo ein entsprechender Schutz eröffnet ist, kein minderes Recht, sieht man von seiner kürzeren Höchstlaufzeit ab. Dem Anliegen des Gesetzgebers, eine Unterscheidung vorzunehmen, ist zudem dadurch Rechnung getragen, dass der zu berücksichtigende Stand der Technik, und zwar nicht nur für die Neuheitsprüfung, sondern auch für die Beurteilung der erfinderischen Leistung, abweichend vom Patentrecht bestimmt ist.
Wie die Patentierungsvoraussetzung der erfinderischen Tätigkeit im Patentrecht ist auch das Kriterium des erfinderischen Schritts im Gebrauchsmusterrecht nach § 1 GebrMG kein quantitatives, sondern ein qualitatives; die Beurteilung des erfinderischen Schritts ist wie die der erfinderischen Tätigkeit das Ergebnis einer Wertung. Zudem unterscheiden sich die Wertungskriterien beim Patent und beim Gebrauchsmuster lediglich marginal. Schon von daher erscheint die Annahme, Ausschließlichkeit könne an eine "geringere" erfinderische Leistung anknüpfen als das Patent, ja sich letztlich sogar auf Naheliegendes gründen, als Systembruch.
Für die Beurteilung des erfinderischen Schritts kann bei Berücksichtigung der Unterschiede, die sich daraus ergeben, dass der Stand der Technik im Gebrauchsmusterrecht hinsichtlich mündlicher Beschreibungen und hinsichtlich von Benutzungen außerhalb des Geltungsbereichs des Gebrauchsmustergesetzes in § 3 GebrMG abweichend definiert ist, auf die im Patentrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Es verbietet sich dabei, Naheliegendes etwa unter dem Gesichtspunkt, dass es der Fachmann nicht bereits auf der Grundlage seines allgemeinen Fachkönnens und bei routinemäßiger Berücksichtigung des Stands der Technik ohne Weiteres finden könne, als auf einem erfinderischen Schritt beruhend zu bewerten.
E. Gewerbliche Anwendbarkeit
GB Vereinigtes Königreich
Oberster Gerichtshof vom 2. November 2011 - Human Genome Sciences Inc v. Eli Lilly [2011] UKSC 51
Schlagwort: Biotechnologie - gewerbliche Anwendbarkeit
In diesem Fall ging es um die Patentierbarkeit eines von Human Genome Sciences (HGS) als Neutrokin-α bezeichneten Proteins, die passenden Antikörper und die für das Protein codierende Polynukleotidsequenz. Seine Existenz wurde erstmals von HGS entdeckt, und zwar mithilfe der sogenannten "Bioinformatik".
Im Erstinstanzurteil waren alle Ansprüche des Patents (EP (UK) 0 939 804) aus drei Gründen für ungültig erklärt worden: mangelnde gewerbliche Anwendbarkeit, unzureichende Offenbarung und Naheliegen mangels eines technischen Beitrags. HGS hatte dagegen Berufung eingelegt.
Der Court of Appeal wies die Berufung wegen mangelnder gewerblicher Anwendbarkeit zurück, bestätigte in dieser Hinsicht also das Urteil der Vorinstanz und musste daher die anderen Gründe nicht betrachten. Der Patentinhaber HGS legte dagegen Beschwerde zum Supreme Court ein. Der Oberste Gerichtshof gab der Beschwerde statt, wies die Anschlussbeschwerde in Bezug auf die unzureichende Offenbarung zurück und verwies die Sache an den Court of Appeal zur Entscheidung über die noch offenen Fragen zurück.
Obwohl das Patent auf sehr weit gefasste, allgemeine Verwendungsmöglichkeiten des Proteins Neutrokin-α und seiner Antikörper hindeutet, ergab sich die einzige maßgebliche Lehre letztlich aus der Verteilung von Neutrokin-α im Gewebe, aus seiner Expression in T-Zell- und B-Zell-Lymphomen und aus der Tatsache, dass es zu den Liganden der TNF-Superfamilie gehört. Daher stellte sich die Frage, ob die erste Instanz zu Recht gefolgert hatte, dass die Schlussfolgerungen, die hieraus 1996 gezogen worden wären, nicht ausgereicht hätten, um dem Erfordernis von Art. 57 EPÜ zu genügen. Nach Auffassung der ersten Instanz waren die Funktionen von Neutrokin-α "bestenfalls als Erwartungen anzusehen, die außerdem viel zu allgemein formuliert sind, als dass sie eine vernünftige oder konkrete Grundlage für etwas sein könnten, was über ein Forschungsprojekt hinausgeht".
Der Oberste Gerichtshof räumte ein, dass es im Vereinigten Königreich nur wenige Autoritäten in Bezug auf das Thema der gewerblichen Anwendbarkeit gebe und die anzuwendenden Grundsätze daher in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA gesucht werden müssten. Der Ansatz der ersten Instanz stimme nicht mit dem der Beschwerdekammern betreffend die Erfordernisse von Art. 57 EPÜ im Zusammenhang mit biologischem Material überein, der in den folgenden allgemeinen Grundsätzen zusammengefasst werden könnte:
i) Das Patent muss eine "praktische Anwendung" und eine "gewinnbringende Einsatzmöglichkeit" für den beanspruchten Stoff offenbaren, sodass das daraus resultierende Monopol "einen gewissen kommerziellen Nutzen erwarten lässt" (T 870/04, T 898/05).
ii) Ein "konkreter Nutzen", nämlich die "gewerbliche Nutzung in der Praxis" muss bei Zugrundelegung des allgemeinen Fachwissens "unmittelbar aus der Beschreibung herleitbar sein" (T 898/05, T 604/04).
iii) Ein lediglich "spekulativer" Nutzen reicht nicht aus, d. h., "ein vager und spekulativer Hinweis auf mögliche Ziele, die erreicht werden könnten oder auch nicht," genügt nicht (T 870/04 und T 898/05).
iv) Das Patent und das allgemeine Fachwissen müssen den Fachmann in die Lage versetzen, die beanspruchte Erfindung ohne "unzumutbaren Aufwand" und ohne Durchführung eines "Forschungsprogramms" "nachzuarbeiten" oder "gewerblich zu verwerten" (T 604/04, T 898/05).
Ferner wurden spezifische Grundsätze in Bezug auf neue Proteine und die für sie codierenden Gene sowie auf Familien- und Superfamilienmitglieder entwickelt.
Die erste Instanz hatte festgestellt, dass das Patent Neutrokin-α als neues Mitglied der TNF-Superfamilie von Ligand-Proteinen offenbart. Gemäß den von den Beschwerdekammern aufgestellten Grundsätzen hätte dies unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens ausreichen müssen, um den Erfordernissen von Art. 57 EPÜ zu genügen. Der Supreme Court stützte sich in seiner Argumentation im Wesentlichen auf den in T 18/09 (Beschwerdekammerentscheidung zum selben Patent) dargelegten Ansatz. In dieser Entscheidung hatte die Kammer festgestellt, dass die Offenbarung eines anerkannten neuen Mitglieds der TNF-Superfamilie von Ligandproteinen (im Verbund mit Einzelheiten zu seiner Verteilung im Gewebe) den Erfordernissen von Art. 57 EPÜ genügte, da alle bereits bekannten Mitglieder auf T-Zellen exprimierten und zur Kostimulation der T-Zell-Proliferation befähigt seien, weshalb davon auszugehen sei, dass Neutrokin-α eine ähnliche Funktion habe.
Die erste Instanz hatte festgestellt, dass die Offenbarung in Bezug auf die Verwendungsmöglichkeiten von Neutrokin-α selbst unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens lediglich "spekulativ" sei und nicht zu einem "unmittelbaren konkreten Nutzen" führe. Diesem Argument lag jedoch die implizite Annahme zugrunde, dass die Offenbarung des Patents an sich unzureichend sei und daher den Erfordernissen von Art. 57 EPÜ nicht genüge. Wenn aus Sicht der Beschwerdekammern die bereits bekannten Wirkungsweisen der Liganden der TNF-Superfamilie aber ausreichten, um die Patentierbarkeit des offenbarten neuen Moleküls (und des für es codierenden Gens) - das auf plausible Weise als Mitglied dieser Familie identifiziert wurde - zu rechtfertigen, so stellt die Tatsache, dass weitere Arbeiten erforderlich waren, um festzustellen, ob die offenbarte Erfindung tatsächlich einen therapeutischen Nutzen hat, die Gültigkeit des Patents allein nicht infrage. Aus denselben Gründen musste auch die Anschlussberufung wegen mangelnder Offenbarung zurückgewiesen werden.
Der von der ersten Instanz angelegte Maßstab für die gewerbliche Anwendbarkeit war strenger als der, den die Beschwerdekammern zugrunde legen. Die erste Instanz hatte von einer Beschreibung erwartet, dass sie den tatsächlichen Nachweis über eine bestimmte Verwendungsmöglichkeit des Produkts führt, und nicht, dass sie darlegt, dass sich das Produkt auf plausible Weise als "nutzbar" gezeigt hat, was die Verwendung des Moleküls zu Forschungszwecken mit einschließt. Die Beschwerdekammer hatte dies in T 18/09 an sich schon als gewerbliche Tätigkeit gewertet.
Aus diesen Gründen wurde die Entscheidung des Patents Court, wonach die beanspruchten Erfindungen zum Zeitpunkt der Patenterteilung nicht gewerblich anwendbar gewesen seien, aufgehoben.
II. AUSREICHENDE OFFENBARUNG
AT Österreich
Oberster Gerichtshof vom 9. November 2004 (4 Ob 214/04f) - Paroxat
Schlagwort: ausreichende Offenbarung
In der vorliegenden Sache berief sich die Beklagte zur Neuheitsschädlichkeit des Patents auf eine im vereinigten Königreich veröffentlichte prioritätsältere Patentanmeldung. Die Klägerin entgegnete, dass aufgrund der Angaben der englischen Patentanmeldung der Stoff laut Anspruch 4 nicht nachgearbeitet werden könne und somit die Patenschrift keine neuheitsschädliche Offenbarung sei.
Der OGH untersuchte die Frage, welche Anforderungen an die Neuheitsschädlichkeit einer Vorveröffentlichung zu stellen sind, und zwar, ob die prioritätsältere britische Patentanmeldung den an eine Offenbarung zu stellenden Anforderungen genügte. Nach älterer österreichischer Rechtsprechung war eine Druckschrift nur dann neuheitsschädlich, wenn ein Fachmann ohne Weiteres den erfindungswesentlichen Gedanken entnehmen konnte, der Erfindungsgedanke musste so klar und deutlich beschrieben sein, dass ein Sachverständiger aufgrund der bloßen Angaben der Druckschrift ohne Zuhilfenahme anderer Darstellungen im Stande war, die Erfindung auszuführen.
Der OGH analysierte umfassend die deutsche und die Rechtsprechung zum EPÜ und stellte grundlegend fest, dass für die Frage, unter welchen Umständen ein in einer Patentschrift offenbartes Erzeugnis geeignet ist, als Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt zu gelten, eine harmonisierungsfreundliche Auslegung des innerstaatlichen Patentrechts im Lichte des EPÜ geboten ist, schon weil § 87a (1) österr. PatG und Art. 83 EPÜ inhaltlich übereinstimmen. Abzustellen ist darauf, ob der Durchschnittsfachmann aufgrund der in der Anmeldung enthaltenen Informationen in die Lage versetzt wird, unter Inanspruchnahme des von ihm zu erwartenden Informations- und Wissenstandes und des allgemeinen Fachwissens und mithilfe der vom Anmelder aufgezeigten Ausführungswege die Lehre zum technischen Handeln zuverlässig, wiederholbar und ohne Umwege in die Praxis umzusetzen, ohne dabei einen unzumutbaren Aufwand treiben und eine unangemessene Zahl anfänglicher Fehlschläge hinnehmen zu müssen. Was der Fachmann noch als zumutbar ansieht, hängt dabei stets von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem mit der Erfindung verbundenen Fortschritt und dem jeweiligen Gebiet der Technik ab. Diese beeinflussen auch die Frage, welche Fehlerquote der Fachmann dabei hinnehmen wird.
Anmerkung des Herausgebers: Die Rechtsprechung wurde in der Entscheidung OPM (Oberster Patent- und Markensenat) vom 27.09.2006, Op 3/06 (N 21/2000), Österreichisches Patentblatt, 2006, 151 bestätigt.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 19. Januar 2005 (04/17466) - CEA v. Samsung
Schlagwort: ausreichende Beschreibung
Das "Commissariat à l'énergie atomique", eine öffentliche Einrichtung für wissenschaftlich-technisch-industrielle Forschung (nachstehend: CEA) ist Inhaber des europäischen Patents EP 0 162 775 sowie des französischen Patents Nr. 2 595 156. Nachdem das CEA erfahren hatte, dass das Unternehmen S im Inland LED-Fernseher und Computermonitore in Verkehr brachte, die seines Erachtens die Merkmale einiger Ansprüche seines europäischen und seines französischen Patents umsetzten, ließ es am 10. Dezember 2003 ein Fernsehgerät [...] und am 30. März 2004 einen Computermonitor […] kaufen.
Die Erfindung betrifft eine Flüssigkristallzelle, die eine homeotrope Struktur aufweisen kann, mit kompensierter Doppelbrechung für diese Struktur, und die laut Patent vor allem bei der Herstellung von Datenanzeigevorrichtungen wie etwa Uhren oder elektronischen Taschenrechnern Anwendung finden soll. Die aus dem Stand der Technik bekannten Zellen haben den Nachteil, dass sich der Kontrast verschlechtert, wenn sie homeotrop angeordnet sind und schräg beobachtet werden, und zwar umso stärker, je größer der Beobachtungswinkel ist, wobei sich der Kontrast sogar umkehren kann. Hauptziel der Erfindung ist es, diesen Nachteil zu beseitigen, um auch bei schräger Beobachtung einen hohen Kontrast zu wahren. Erfindungsgemäß wird als Dicke der Flüssigkristallschicht das Doppelte der speziellen Dicke e0 genommen, die der Durchschnittsfachmann mithilfe einer Computersimulation oder einer experimentellen Simulation festlegen kann.
Im Wege der Widerklage gegen die vom CEA erhobene Verletzungsklage beantragte das Unternehmen S insbesondere die Nichtigerklärung von Anspruch 1 des europäischen Patents EP 0 162 775 mit Wirkung für Frankreich wegen unzureichender Beschreibung gemäß Art. 138 (1)b) EPÜ. Dem Beklagten zufolge beschreibt das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass der Fachmann sie ausführen kann.
Das CEA erwiderte, dass dem Fachmann zum Zeitpunkt der Einreichung der Patentanmeldung Computerprogramme zur Verfügung gestanden hätten, mit denen er eine Computersimulation durchführen konnte, und dass er als Fachmann für Optik außerdem sein eigenes Rechenprogramm schreiben konnte. Des Weiteren konnte er die experimentelle Methode anwenden und mehrere Prototypen mit einer Flüssigkristallschicht jeweils unterschiedlicher Dicke herstellen. Anschließend musste er nur noch diejenige Dicke wählen, bei der sich bei schräger Beobachtung die beste Kompensation und somit der beste Kontrast ergaben.
Das Gericht urteilte jedoch, dass der Fachmann vorliegend ein auf Flüssigkristalloptik spezialisierter Forschungsingenieur ist, der die Erfindung zum Zeitpunkt der Einreichung der Patentanmeldung anhand von Anspruch 1 und der Beschreibung nicht ohne erfinderisches Zutun ausführen konnte. Im Bemühen, die Patentverletzung nachzuweisen, hatte das CEA nämlich den Wert e0 für die optischen Eigenschaften der Vorrichtung, die in dem wie vorstehend beschrieben gekauften Fernsehgerät eingebaut war, durch Herrn Dr. S bestimmen lassen; dieser musste zur Bestimmung des Werts e0 eine Software mit der Bezeichnung "DIMOS LCD Workbench" verwenden, die erst seit 1987 verfügbar war, d. h. drei Jahre nach dem Prioritätstag des Patents.
Das CEA konnte sich somit nicht ohne nähere Angaben auf die Anwendung der experimentellen Methode oder die Entwicklung eines Computersimulationsprogramms berufen, um nachzuweisen, dass es in seinem Patent tatsächlich alle Mittel offenbart hat, die es dem Fachmann ermöglichen, die Erfindung ohne erfinderisches Zutun auszuführen. Dieser mag zwar ein auf hohem Niveau tätiger Forscher sein, doch kann nicht vorausgesetzt werden, dass er über die gleichen Mittel für eine Computersimulation verfügt wie eine Einrichtung wie das CEA. Das Gericht erklärte daher Anspruch 1 des europäischen Patents EP 0 165 775 in Anwendung von Art. L. 614-12 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum sowie Art. 138 (1)b) EPÜ für nichtig.
Anmerkung der Redaktion: Das Berufungsgericht Paris (08/09712) stellte am 2. Juli 2008 fest, dass die beiden Parteien die Klage einvernehmlich zurückgezogen haben.
SE Schweden
Patentbeschwerdegericht Stockholm (Patentbesvärsrätten) vom 31. Januar 2007 - Rs. 04-139
Schlagwort: ausreichende Offenbarung - Desideratum - Parameter
Die Erfindung bezog sich auf ein neuartiges unbeschichtetes Papier- oder Kartonerzeugnis mit einer Oberfläche aus gebleichtem Zellstoff, die eine bessere Bedruckbarkeit gewährleisten sollte. Dies wurde durch ein Verfahren erreicht, bei dem das Kalandrieren auf bestimmte Weise in einem Breitnip-Softkalander erfolgte, um ein unbeschichtetes Papier- oder Kartonerzeugnis mit spezifischen Oberflächeneigenschaften zu erhalten, die durch Werte für die Parameter Glanz, Glanzschwankungskoeffizient und Oberflächenrauheit definiert waren.
Dem Gericht zufolge bezog sich Anspruch 1 jedoch lediglich darauf, was erreicht, und nicht, wie es erreicht werden sollte, und stellte damit einen sogenannten "Desideratum"-Anspruch dar. Der Anspruch umfasste alle Erzeugnisse mit den angegebenen Oberflächeneigenschaften, auf die in seinem Oberbegriff Bezug genommen wurde, ganz gleich, wie diese Eigenschaften erzielt worden waren.
Das Gericht stellte klar, dass ein Anspruch in der Regel die Verallgemeinerung eines oder mehrerer Beispiele für unter die Beschreibung fallende Ausführungsformen darstellt, wobei der Grad der Verallgemeinerung sich nach dem Stand der Technik und den vorgelegten Versuchsdaten richtet. Bei einer Erfindung auf einem neuen Gebiet kann gewöhnlich ein größerer Verallgemeinerungsgrad zugelassen werden als bei einer Erfindung, die sich auf eine Weiterentwicklung des Stands der Technik bezieht.
Im vorliegenden Fall umfasste das Erzeugnis nach Anspruch 1 vorgegebene Intervalle für die drei Parameter Glanz, Glanzschwankungskoeffizient und Oberflächenrauheit, bei denen es sich allesamt um im Stand der Technik bekannte Messvariablen für kalandrierte Papier- oder Kartonerzeugnisse handelte, die mit der Erzielung einer guten Bedruckbarkeit derartiger – auch unbeschichteter – Erzeugnisse in Verbindung gebracht werden. Nach Auffassung des Gerichts konnte die Charakterisierung eines erfundenen Erzeugnisses durch Parameterintervalle nur dann zugelassen werden, wenn bekannt war, wie sich diese erzielen ließen, und wenn die Erfindung hierzu weitere Angaben enthielt. Die Ansprüche 1 und 4 (Anspruch 4 bezog sich auf die Verwendung des Erzeugnisses nach Anspruch 1) beschrieben jedoch eine Erfindung, bei der die Oberflächeneigenschaften des beanspruchten Erzeugnisses als gegeben vorausgesetzt wurden. Darüber hinaus war in der Beschreibung nicht angegeben, dass sich die Erfindung auf eine solche Definition bezog.
Es entspricht einem allgemein anerkannten Grundsatz, dass einem Patentanmelder der Schutz zu gewähren ist, der dem Beitrag des Erfinders entspricht. Der Schutzbereich muss hinreichend bestimmt sein und in einem angemessenen Verhältnis zum Beitrag des Erfinders zum Stand der Technik stehen. Die im Anspruch vorgenommenen Definitionen müssen dem in der Beschreibung festgelegten Umfang der Erfindung entsprechen. Bei Ansprüchen, die Parameter enthalten, müssen die Angaben in der Beschreibung den Fachmann in die Lage versetzen, das durch diese Parameter bestimmte Ergebnis ohne unzumutbaren Aufwand im gesamten Schutzbereich des Anspruchs zu erzielen (Verweis auf T 409/91, Nr. 3.5 der Entscheidungsgründe, letzter Absatz). Das Gericht vermochte die fragliche Erfindung – die durch weite Bereiche und einen breiten Schutzbereich gekennzeichnet war – nicht als so ausreichend beschrieben anzusehen, dass der Fachmann sie anhand der Beschreibung mit Sicherheit ausführen konnte (Artikel 8 und 25 (1) Unterabsatz 2 schwedisches PatG). Das Patent wurde daher widerrufen.
SE Schweden
Patentbeschwerdegericht Stockholm (Patentbesvärsrätten) vom 19. Dezember 2008 - Rs. 05-217
Schlagwort: ausreichende Offenbarung - therapeutisches Verfahren
Im vorliegenden Fall umfasste die Erfindung Verfahren und Zusammensetzungen zur Vermeidung und Behandlung von Gefäßverschlusserkrankungen wie insbesondere neointimaler Hyperplasie. Zu den bevorzugten Ausführungsformen der Erfindung gehörten Verfahren und Zusammensetzungen zur Messung der Induktion der Synthese von HSPG (Heparansulfat-Proteoglykanen) wie insbesondere Syndecan, Glypican und Perlecan. Die Erfindung umfasste außerdem Tests zum Nachweis von Verbindungen, die spezifische biologische Wirkungen hatten und als therapeutische Wirkstoffe nutzbar sein könnten. In der Beschreibung wurde der Begriff "Verbindung" so verwendet, dass er alle Einzelsubstanzen und Kombinationen umfasste, deren Aktivität in den Tests der betreffenden Erfindung messbar war. Zu diesen Substanzen gehörten unter anderem chemische Elemente, Moleküle, Verbindungen, Gemische, Emulsionen, Chemotherapeutika, pharmakologische Wirkstoffe, Hormone, Antikörper, Wachstumsfaktoren, Zellfaktoren, Nukleinsäuren, Proteine, Peptide, Peptidmimetika, Nucleotide, Kohlenhydrate sowie Kombinationen, Fragmente, Analoga oder Derivate derartiger Substanzen. Die Wirkungen und therapeutischen Anwendungen der Verbindung in den Tests der betreffenden Erfindung waren in der Patentschrift nicht näher angegeben, sodass jeder Wirkstoff, der bei den Zellen oder Verbindungen des Tests eine messbare Reaktion hervorrief, unter den Schutzbereich der Erfindung fiel.
Anspruch 5 war außerdem auf die Verwendung einer Zusammensetzung aus einer oder mehreren Verbindungen zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Gefäßverschlusserkrankungen gerichtet. Die Hauptmerkmale des Anspruchs bestanden in Angaben zur Behandlung, d. h. zur medizinischen Indikation, sowie dazu, welche Verbindungen eingeschlossen waren. Der Wirkstoff als solcher wurde nicht spezifiziert, sondern umfasste eine oder mehrere Verbindungen, die anhand eines im Anspruch beschriebenen dreistufigen Verfahrens "bestimmt" werden sollte(n).
Nach Art. 8 (2) schwedisches PatG muss eine Patentanmeldung eine Beschreibung der Erfindung enthalten, die erforderlichenfalls Zeichnungen umfasst, und genaue Angaben zu dem durch die Ansprüche festgelegten Schutzbereich. Die Beschreibung muss außerdem so deutlich sein, dass ein Fachmann die Erfindung anhand der Beschreibung ausführen kann. Das Gericht stellte klar, dass dieses Erfordernis gewährleisten soll, dass die betreffenden Informationen mit der in der Anmeldung beschriebenen Erfindung übereinstimmen. Die Ansprüche müssen daher von der Beschreibung gestützt sein und dürfen sich nicht auf eine andere Erfindung beziehen. Dass ein Anspruch für sich genommen eindeutig und ohne Zuhilfenahme der Beschreibung in der Anmeldung verständlich ist, bedeutet nicht unbedingt, dass das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung erfüllt ist (siehe Entscheidungssammlung des Obersten Verwaltungsgerichts für 1991 (RÅ 1991), Anmerkung 17, und insbesondere Urteil des Patentbeschwerdegerichts in der Rs. P 87-226, sowie EPA-Beschwerdekammer-Entscheidung T 409/91).
Im vorliegenden Fall umfasste Anspruch 5 die Verwendung sämtlicher Verbindungen, die mithilfe eines im Anspruch angegebenen Verfahrens "bestimmt" worden waren und somit das vorgegebene Kriterium der Induktion der HSPG-Synthese erfüllten, ganz unabhängig davon, ob diese Verbindungen am Anmeldetag bereits existierten, später hergestellt worden waren oder in Zukunft würden hergestellt werden – in den Augen des Gerichts ein sogenannter "Durchgriffsanspruch". Nach Auffassung des Gerichts war Anspruch 5 nicht eindeutig zu entnehmen, was mit der Patentanmeldung geschützt werden sollte. Weder das Anspruchsmerkmal, wonach die Verbindungen mithilfe eines Verfahrens bestimmt worden waren, noch das Merkmal, wonach die anspruchsgemäße Verwendung sich auf eine Verbindung oder Verbindungen mit einer unbekannten Zellwachstumsaktivität bezog, vermochte den Schutzbereich für die Verbindungen hinreichend einzugrenzen.
SE Schweden
Patentbeschwerdegericht Stockholm (Patentbesvärsrätten) vom 26. Februar 2010 - Rs. 07-161
Schlagwort: ausreichende Offenbarung - chemische Erfindungen - Parameter
Die Erfindung bezog sich auf ein Gas-Flüssigkeitsgemisch, ein Feuerlöschmittel, eine Feuerlöscheinheit, die einen Behälter für das Feuerlöschmittel umfasste, und ein Verfahren zur Verhinderung der Ausbreitung eines Feuers oder von Glut. Gegenstand der Erfindung war es unter anderem, ein Gas-Flüssigkeits-Gemisch bereitzustellen, das sich in bestehenden Feuerlöschsystemen anstelle bekannter Mittel wie Halonen einsetzen ließ. Halone sind als Feuerlöschmittel geeignet, schaden jedoch der Ozonschicht. Der Erfindung zufolge war das beanspruchte Mittel offenbar in etwa genauso wirksam wie Halone, aber viel weniger umweltschädlich. Dies wurde durch die Kombination von drei Komponenten im Gas-Flüssigkeitsgemisch erreicht: einer Löschgrundlage, einem Dispersionsmittel und einem Treibmittel. Die bevorzugten Inhalte der drei Komponenten wurden durch Bereiche definiert, die sich auf den Dampfdruck, den Siedepunkt der Zusätze und die Löslichkeit der chemischen Verbindungen bezogen.
In seiner Entscheidung stellte das Gericht fest, dass die Angaben in der Beschreibung bei Ansprüchen, die charakteristische Werte wie Parameter umfassen, so deutlich und vollständig sein müssen, dass der Fachmann das Erzeugnis im gesamten Schutzbereich des Anspruchs zuverlässig und ohne unzumutbaren Aufwand herstellen kann. Diesbezüglich zitierte das Gericht die Entscheidung einer EPA-Beschwerdekammer T 12/81, welche die nähere Charakterisierung eines chemischen Stoffs durch spezifische Produktparameter, d. h. physikalisch-chemische Eigenschaften wie Schmelzpunkt oder Hydrophilie in Fällen für zulässig erklärt hat, in denen sich die chemische Verbindung nicht durch eine hinreichend exakte allgemeine Formel beschreiben lässt. Voraussetzung für die Zulässigkeit von Produktparametern ist, dass ein laut der Beschreibung wesentlicher Parameter sich aus dieser ableiten lässt bzw. dass der Fachmann ihn ohne unzumutbaren Aufwand und Experimentieren bestimmen kann, und dass dies für den gesamten Schutzbereich des Anspruchs gilt (siehe T 965/01).
In Anwendung der obigen Grundsätze auf den vorliegenden Fall urteilte das Gericht, dass der Anmelder in der Beschreibung angeben musste, wie der Fachmann eine Kombination der drei Komponenten auszuwählen habe, um das gewünschte Gas-Flüssigkeitsgemisch zu erhalten. Nach Auffassung des Gerichts offenbarten der allgemeine Teil der Beschreibung und die gegebenen Beispiele die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass der Fachmann in die Lage versetzt wurde, sie anhand der Anweisungen im gesamten Schutzbereich, der durch die Attribute und die breiten Definitionen der darin enthaltenen Komponenten abgedeckt wurde, auszuführen.
III. PATENTANSPRÜCHE
A. Form der Ansprüche
GB Vereinigtes Königreich
House of Lords vom 21. Oktober 2004 - Kirin-Amgen Inc et al v. Hoechst Marion Roussel Ltd et al [2004] UKHL 46
Schlagwort: Neuheit - Product-by-Process-Ansprüche - DNA-Sequenzen - Erythropoietin
Das Verfahren betraf das europäische Patent EP 01 486 05 B2, in dem es um die Herstellung von Erythropoietin ("EPO") durch rekombinante DNA-Technologie ging. Die Patentinhaberin, Kirin-Amgen Inc ("Amgen"), hatte behauptet, dass Transkaryotic Therapies Inc ("TKT") die Ansprüche des Patents verletzt habe. In erster Instanz war eine Anspruchsverletzung festgestellt worden, gleichzeitig aber waren die Ansprüche wegen unzureichender Offenbarung beanstandet worden. Der Court of Appeal befand, dass die Ansprüche gültig seien, aber keine Verletzung vorliege. Amgen legte gegen letztere Entscheidung Berufung ein, und TKT und andere beantragten eine Feststellung der Nichtverletzung und die Nichtigerklärung des Patents. Das House of Lords befand, dass TKT keinen der Ansprüche verletzt habe. Das Patent von Amgen wurde für nichtig erklärt, weil ein Anspruch wegen neuheitsschädlicher Vorwegnahme und ein anderer wegen unzureichender Offenbarung nichtig war.
Bei der Beurteilung der Neuheit des Anspruchs auf mit rekombinanter DNA-Technologie hergestelltes EPO prüfte Lord Hoffmann, der die für das Urteil maßgeblichen Entscheidungsgründe verfasste, noch einmal den allgemeinen Ansatz bei Product-by-Process-Ansprüchen. Nach der Praxis im Vereinigten Königreich gemäß dem Patentgesetz 1949 und davor habe man die Tatsache, dass ein Erzeugnis durch ein neues Verfahren hergestellt werde, als ausreichend betrachtet, um es von einem identischen Erzeugnis aus dem Stand der Technik zu unterscheiden. Ein Product-by-Process-Anspruch habe den Vorteil, dem Erfinder eines neuen Verfahrens zu ermöglichen, nicht nur den Hersteller zu verfolgen, der seinen Anspruch auf das Verfahren verletze, sondern auch jeden, der mit einem Erzeugnis handle, das mit diesem Verfahren hergestellt wurde. Dies sei vor allem bei einem importierten Erzeugnis nützlich gewesen, das in einem Gebiet außerhalb der gerichtlichen Zuständigkeit mit einem Verfahren hergestellt wurde, das gegen den Verfahrensanspruch verstoßen hätte, wenn das betreffende Erzeugnis im Vereinigten Königreich hergestellt worden wäre.
Das EPÜ jedoch enthalte in Art. 64 (2) eine Bestimmung, durch die der Patentinhaber sich unmittelbar auf seinen Verfahrensanspruch stützen könne, um auf Verletzung eines durch das patentierte Verfahren hergestellten Erzeugnisses zu klagen. Mit dieser Bestimmung, die im britischen Recht durch das Patentgesetz 1977 wirksam geworden sei, werde das praktische Argument zur Zulassung von Product-by-Process-Ansprüchen weitgehend aufgehoben. Das EPA habe somit das logische Argument annehmen können, dass ein neues Verfahren nicht ausreiche, um dem Erzeugnis Neuheit zu verleihen, und akzeptiere deshalb normalerweise keine Product-by-Process-Ansprüche (siehe z. B. T 150/82, ABl. EPA 1984, 309). Dieser Ansatz sei von anderen Mitgliedstaaten übernommen worden. Es sei für das Vereinigte Königreich wichtig, bei Entscheidungen darüber, was nach dem EPÜ als neu gelte, dasselbe Recht anzuwenden wie das EPA und die übrigen Mitgliedstaaten. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt kam Lord Hoffmann zu dem Schluss, dass der Anspruch auf mit rekombinanter DNA-Technologie hergestelltes EPO aufgrund einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme nichtig war.
ES Spanien
Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 17. März 2008 (Berufungs-Nr. 184/2007) - Laboratorios Cinfa, S.A. et al. v. Warner-Lambert
Schlagwort: chemische und pharmazeutische Erzeugnisse - Nichtigkeitsklage - Verwendungsansprüche - Reichweite des spanischen Vorbehalts nach Art. 167 (2) a) EPÜ
Die Kläger und späteren Berufungskläger beantragten die teilweise Nichtigerklärung der Ansprüche R1, R2 und R3 des europäischen Patents EP 0 409 281 (ES 2 167 306), bei dem es sich um ein Verfahrenspatent zur Herstellung des Calcium-Atorvastatins handelt. Sie begründeten die Nichtigkeit der Ansprüche damit, dass sie einem chemisch-pharmazeutischen Erzeugnis Schutz gewährten, obwohl die Patentierung von chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen zum Zeitpunkt der Patentanmeldung aufgrund des von Spanien erklärten Vorbehalts bei der Unterzeichnung der Beitrittsurkunde zum Europäischen Patentübereinkommen (Art. 167 (2) a) EPÜ) ausdrücklich verboten gewesen sei.
Das Gericht führte in seiner Entscheidung aus, dass Verwendungsansprüche zulässig seien und dass sie sich außerdem von ihrer Konzeption und ihren Wirkungen her, insbesondere jedoch hinsichtlich ihres Schutzumfangs von den Produktansprüchen unterschieden. Letztere böten einen absoluten Schutz, da sie das Produkt unabhängig vom Herstellungsverfahren und unabhängig von seiner Verwendung schützten, wohingegen Ansprüche, die auf eine Tätigkeit gerichtet seien (Ansprüche für ein Herstellungsverfahren und Verwendungsansprüche) nur einen relativen Schutz gewährten, der auf die beanspruchte Tätigkeit begrenzt sei und sich nicht auf das Produkt oder die Vorrichtung als solche erstrecke, sofern diese außerhalb der beanspruchten Tätigkeit eingesetzt würden. Das Gericht legte dar, dass der von Spanien formulierte Vorbehalt, so wie er vom Wortlaut her zu verstehen sei, lediglich eine ausschließende Wirkung für europäische Patente entfalte, "soweit sie Schutz für chemische Erzeugnisse als solche oder für Arzneimittel als solche gewähren" (Beitrittsurkunde Spaniens zum EPÜ), d. h. für Patente für chemische Erzeugnisse und Arzneimittel, die "in Spanien keinerlei Wirkung entfalten". Er erstrecke sich jedoch nicht auf solche Patente, die sich auf ein Verfahren zur Herstellung bezögen oder, wie im vorliegenden Fall, auf die Verwendung eines chemischen Erzeugnisses. Aus diesem Grund sei die beantragte Nichtigkeit lediglich für die beiden ersten Ansprüche zu untersuchen, bei denen es sich tatsächlich um Produktansprüche handele, nicht jedoch für den dritten Anspruch (R3).
Andererseits verwies das Gericht darauf, dass Spanien mit der Beitrittsurkunde zum EPÜ vom 10. Juli 1986 keinen Vorbehalt geltend gemacht habe, der die Möglichkeit vorgesehen hätte, europäische Patente für Erfindungen chemischer Erzeugnisse oder Arzneimittel für nichtig zu erklären; vielmehr habe sich der Vorbehalt auf die Wirksamkeit dieser Patente beschränkt. Das Produktpatent sei daher nach Art. 138 EPÜ nicht etwa nichtig, sondern gelte, sofern es unter diesen Ansprüchen eingeführt worden sei, als "stillgelegt" oder "eingefroren", d. h. es habe in Spanien keinerlei Wirkung entfaltet. Von den beiden Möglichkeiten eines Vorbehalts, die den Staaten beim Beitritt zum EPÜ nach Art. 167 (2) a) EPÜ hinsichtlich europäischer Patente für chemische oder pharmazeutische Erzeugnisse zugestanden würden, also entweder Unwirksamkeit oder die Möglichkeit der Nichtigerklärung, habe Spanien sich ausschließlich für erstere entschieden, nach der solche Patente in Spanien unwirksam seien. Hätte Spanien sich für die Möglichkeit der Nichtigerklärung entschieden, so die Argumentation des Gerichts, hätte es dies auf die gleiche Weise gemacht wie Österreich, d. h. es hätte dies bei der Formulierung des Vorbehalts klar zum Ausdruck gebracht. Das Gericht sah es als eindeutig an, dass der Vorbehalt, wie ihn Spanien in der Beitrittsurkunde und später auch in der Übergangsbestimmung des Königlichen Dekrets 2424/1986 formuliert habe, eine Klage zur Nichtigerklärung europäischer Patente für chemische oder pharmazeutische Erzeugnisse nicht zulasse, sondern lediglich zur Geltendmachung ihrer Unwirksamkeit in Spanien. Folglich befand es in seiner Entscheidung, dass die von der Beklagten vorgebrachte Einrede des fehlenden Klagegrunds zuzulassen sei, und bestätigte in diesem Punkt das angefochtene Urteil.
Anmerkung des Herausgebers: Siehe auch Berufungsgericht Madrid (Audiencia Provincial) vom 26. Oktober 2006; Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 24. Januar 2008; Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 30. Juni 2008.
GR Griechenland
Gericht erster Instanz Athen in Einzelrichterbesetzung (Monomeles Protodikeion Athinon) vom 23. Dezember 2010 (Entscheidungs-Nr. 9908/2010)
Schlagwort: Swiss-Type-Ansprüche - Reichweite des griechischen Vorbehalts nach Art. 167 (2) a) EPÜ - TRIPS
Die Erfindung betraf ophtalmische Zusammensetzungen aus einem β-adrenergischen Antagonisten und einem topischen Carbonsäuredehydrase-Inhibitor, die sich besonders zur Behandlung von okulärer Hypertension eignen, insbesondere bei Patienten, die unzureichend auf β-adrenergische Antagonisten ansprechen (EP 0 509 752). Die betreffenden Ansprüche waren in Form von Swiss-Type-Ansprüchen abgefasst. Das europäische Patent umfasste in seinem Geltungsbereich in Griechenland die Verwendung von Dorzolamid und Timolol zur Behandlung von Glaukom, die entsprechende pharmazeutische Zusammensetzung sowie das Verfahren zu ihrer Herstellung. Als Inhaber einer ausschließlichen Lizenz zur Herstellung und zum Vertrieb des entsprechenden Erzeugnisses unter der Bezeichnung "Cosopt" auf dem griechischen Markt beantragte der Kläger vor dem Einzelrichter am Gericht erster Instanz Athen eine einstweilige Verfügung gegen ein Unternehmen, das ein Generikum desselben Erzeugnisses für dieselbe therapeutische Verwendung vermarkten wollte. Der Beklagte berief sich seinerseits auf den griechischen Vorbehalt zum EPÜ (früherer Art. 167 (2) a) EPÜ), wonach europäische Patente, die vor dem 7. Oktober 1992 angemeldet worden sind, in Griechenland nicht wirksam sind, soweit sie chemische oder pharmazeutische Erzeugnisse als solche schützen. Der Beklagte machte geltend, dass Swiss-Type-Ansprüche unter diesen Vorbehalt fielen.
Das Gericht wies die Einwände des Beklagten zurück und bestätigte, dass der griechische Vorbehalt zum EPÜ in Bezug auf Pharmapatente eng auszulegen sei und nur für Erzeugnisansprüche gelte. Im Anschluss an die ständige griechische Rechtsprechung unterschied das Gericht drei Arten von Ansprüchen, nämlich Erzeugnis-, Verfahrens- und Verwendungsansprüche, wobei es die Gültigkeit von Swiss-Type-Ansprüchen als einer besonderen Kategorie von Verwendungsansprüchen anerkannte. Es stellte außerdem klar, dass der mit Erzeugnisansprüchen einhergehende Schutz unabhängig vom Herstellungsverfahren und der Verwendung als absolut angesehen wird, während für Verfahrens- und Verwendungsansprüche ein relativer Schutz gilt, der auf das beanspruchte Verfahren oder die beanspruchte Verwendung des betreffenden Erzeugnisses beschränkt ist, ohne sich auf das Erzeugnis selbst zu erstrecken. Swiss-Type-Ansprüche fielen somit nicht unter den griechischen Vorbehalt.
Dieses Ergebnis stand nach Auffassung des Gerichts in Einklang mit dem Geist des EPÜ und der im TRIPS-Abkommen vorgesehenen Flexibilität. Was das TRIPS-Abkommen betrifft, lehnte das Gericht entgegen der ständigen Rechtsprechung die unmittelbare Anwendbarkeit der einschlägigen Bestimmungen (Artikel 27 und 70 TRIPS) in Griechenland wegen ihrer mangelnden Klarheit in dieser Frage ab.
Anmerkung des Herausgebers: In einer Grundsatzentscheidung vom 3. Februar 2009 (Entscheidung Nr. 728/2009) hatte das Gericht erster Instanz Athen im Plenum ("Polymeles Protodikeion Athinon", Abteilung für gewerblichen Rechtschutz und Handelsrecht) festgestellt, dass vor 1992 angemeldete Ansprüche auf pharmazeutische Erzeugnisse, die unter den griechischen Vorbehalt fielen, vor dem Hintergrund des TRIPS-Abkommens gültig seien; dieses Abkommen sei in Griechenland am 9. Februar 1995 in Kraft getreten und habe von diesem Stichtag an vorrangige Geltung gegenüber dem Vorbehalt.
B. Änderungen der Ansprüche
AT Österreich
Oberster Gerichtshof vom 19. November 2009 (17 Ob 24/09t) - Nebivolol
Schlagwort: Änderungen der Patentansprüche - Streichung von Merkmalen
In Bezug auf Änderungen an einem Patent führte der OGH aus, dass nach Art. 123 (2) EPÜ die europäische Patentanmeldung und das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden dürfen, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Nach Art. 123 (3) EPÜ darf das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass sein Schutzbereich erweitert wird. In Art. 138 (1) c) und d) EPÜ sind korrespondierende Nichtigkeitsgründe normiert. Nach Art. 105a (1) EPÜ kann das europäische Patent auf Antrag des Patentinhabers durch Änderung der Patentansprüche beschränkt werden.
Die genannten Vorschriften beziehen sich zwar auf das Verfahren vor dem EPA. Sie sind jedoch Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes. Ein erteiltes Patent kann später schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht beliebig geändert werden. Wird das Patent mit geänderten Ansprüchen verteidigt, kann es damit nur Bestand haben, wenn es auch mit dem neuen Inhalt patentrechtlich zulässig ist. Eine Änderung darf nicht dazu führen, dass an die Stelle der geschützten Erfindung eine andere gesetzt und der Gegenstand oder der Schutzbereich erweitert wird. Unzulässig ist daher grundsätzlich die Streichung von Merkmalen, da sie in aller Regel nicht die Einschränkung eines Patentanspruchs zur Folge hat, sondern umgekehrt zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führt. Eine Einschränkung ist zulässig, wenn der Schutzbereich durch sie tatsächlich verkleinert wird und die ursprüngliche Offenbarung dadurch nicht überschritten wird.
BE Belgien
Berufungsgericht Brüssel vom 20. Juni 2008 – GSK v. Sanofi
Schlagwort: Änderungen – Verletzung einer Geheimhaltungsvereinbarung
Zum fraglichen Zeitpunkt bemühte sich die Aktiengesellschaft GlaxoSmithKline Biological (nachstehend: "GSK"), einen neuen Impfstoff gegen Pneumokokkeninfektionen zu entwickeln und zu vermarkten. Um eine Gefährdung ihres Vorhabens durch das bestehende europäische Patent EP 0 983 087 der Gesellschaft französischen Rechts Sanofi Pasteur SA (nachfolgend: Sanofi) zu vermeiden, beantragte GSK daher in der ersten Instanz die Nichtigerklärung des Patents mit Wirkung für Belgien.
Außerdem ist daran zu erinnern, dass die Aktiengesellschaft Sanofi ursprünglich GSK aufgefordert hatte, ihr die Zusammensetzung des Impfstoffs mitzuteilen, den GSK vermarkten wollte, um ein etwaiges Rechtsschutzinteresse ihrerseits prüfen zu können. GSK hatte sich hierzu ausdrücklich nur insoweit bereit erklärt, als Sanofi diese Information benötigte, um ihre Argumente im Rahmen eines etwaigen, im Wege der Widerklage eingeleiteten Verletzungsverfahrens zu untermauern.
In einem ersten Urteil vom 20. Juni 2007 hatte das Gericht erster Instanz Brüssel festgestellt, dass Sanofi die ihr obliegende Geheimhaltungspflicht nicht verletzt habe, und die von Sanofi vorgeschlagenen geänderten Ansprüche für zulässig erklärt.
In einem zweiten Urteil – Gericht erster Instanz Brüssel vom 17. Oktober 2007, GSK v. Sanofi – war die Klage von GSK in erster Instanz für begründet und das Patent mit Wirkung für Belgien für nichtig erklärt worden. Mangels gesetzlicher Grundlage könnten einzig und allein Opportunitätserwägungen ein nationales Gericht veranlassen, die Entscheidung über die Gültigkeit eines Patents bzw. über Verletzungshandlungen in Erwartung einer ausstehenden Entscheidung des EPA auszusetzen. Vorliegend sei eine Aussetzung nicht gerechtfertigt.
Selbst angenommen, es liege eine neue und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhende Erfindung vor, so müsse diese auch so weit ausgearbeitet sein, dass sie anwendbar sei, d. h. so deutlich und vollständig beschrieben sein, dass ein Fachmann sie ausführen könne (Art. 49 (1) Nr. 2 belgisches PatG). Hier verblieben jedoch zu viele Unbekannte, um einen sicheren und wirksamen Impfstoff entwickeln zu können, bei dem das beschriebene Phänomen der negativen Interferenz nicht auftrete. Wie die Klägerin nach Auffassung des Gerichts völlig zutreffend angemerkt habe, handele es sich um ein Patent für eine Idee oder ein Konzept.
GSK legte Berufung gegen das Urteil vom 20. Juni 2007 ein, Sanofi gegen das Urteil vom 17. Oktober 2007. GSK beantragte insbesondere, das Berufungsgericht möge feststellen, dass die Einreichung von geänderten Ansprüchen für das Patent durch Sanofi rechtsmissbräuchlich gewesen sei; die geänderten Ansprüche dürften daher im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht zugelassen werden. Da in beiden Fällen Berufung gegen zwei aufeinanderfolgende Urteile in ein und derselben Sache eingelegt worden ist, waren die Verfahren zu verbinden.
Zum Umfang der Geheimhaltungsverpflichtung: Das Berufungsgericht stellte fest, dass Sanofi die ihr von GSK übermittelten vertraulichen Informationen nur dazu verwenden durfte, die Zweckmäßigkeit der Einleitung eines Verletzungsverfahrens in allen im europäischen Patent benannten Staaten abzuschätzen. Diese Vereinbarung war völlig unmissverständlich abgefasst und spiegelte die gemeinsame Absicht der Parteien wider; sie war somit nicht auslegungsbedürftig. Sie gestattete es Sanofi nicht, die vertraulichen Informationen dazu zu nutzen, ihr Patent zu ändern, um eventuell bestehende Nichtigkeitsgründe zu beseitigen. Die Vereinbarung war strikt auf die Prüfung der Zweckmäßigkeit einer Verletzungsklage beschränkt. Entgegen den Behauptungen von Sanofi sind Gültigkeit und Verletzung eines Patents völlig verschiedene Fragen. Darf der Beklagte im Nichtigkeitsprozess anerkanntermaßen der Ungültigkeit seines Patents durch eine Änderung der Ansprüche abhelfen, so sind derartige Änderungen bei einer Patentverletzung nicht vorgesehen.
Es war nie vereinbart worden, dass die vertraulichen Informationen es Sanofi ermöglichen sollten, ihr Patent einzuschränken und ihre Erfindung sogar ganz auf das Patent von GSK zuzuschneiden, um zu Ansprüchen zu gelangen, die quasi auf eine besondere Variante des Impfstoffs von GSK beschränkt waren. Ferner behaupte Sanofi zu Unrecht, dass die Parteien sich bereit erklärt hätten, den vertraulichen Informationen dieselben Wirkungen zuzuschreiben wie einer Beschlagnahme zu Beweiszwecken ("saisie-description") und dass ihre Verwendung daher nur den für eine solche Beschlagnahme geltenden Einschränkungen unterliege. Eine solche Auslegung finde in der Akte keine Stütze. Dass die Einspruchsabteilung des EPA die Änderungen des Patents für zulässig erachtet habe, sei für die Lösung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich.
Zur Verletzung der Geheimhaltungsverpflichtung: Sanofi bestritt nicht, die vertraulichen Informationen bei der Ausarbeitung der zusätzlichen Ansprüche berücksichtigt zu haben. Somit stand fest, dass zwischen den vertraulichen Informationen und den Änderungen ein enger Zusammenhang bestand. Entgegen ihren Behauptungen hat sich Sanofi nicht darauf beschränkt, zu prüfen, ob die von ihr beabsichtigten Änderungen ihrer Verletzungsklage nicht schadeten, d. h., ob der mutmaßliche Verletzungsgegenstand damit nicht aus dem Schutzbereich des Patents herausfiel, sondern hat im Gegenteil die vertraulichen Informationen dazu genutzt, ihr Patent zu ändern, um die Beseitigung der Nichtigkeitsgründe zu versuchen. Sanofi stritt das im Übrigen nicht ernsthaft ab, da sie das Recht für sich beansprucht, auf diese Weise vorzugehen, und zu Unrecht behauptete, das Nichtigkeits- und das Verletzungsverfahren seien nicht voneinander zu trennen.
Das Gericht stellte fest, dass Sanofi die vertraulichen Informationen über den Impfstoff von GSK unter Verletzung ihrer vertraglichen Verpflichtungen genutzt hat. Somit kann sie sich nicht auf die geänderten Ansprüche des Patents EP 0 983 087 berufen, und diese können im vorliegenden Verfahren nicht zugelassen werden.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 16. Oktober 2007 (X ZR 226/02) - Sammelhefter II
Schlagwort: Patentansprüche - Änderungen - Zulässigkeit - Zwischenverallgemeinerung - Ausführungsform
Das Streitpatent betraf einen Sammelhefter, mit dem bedruckte und gefaltete Bogen (Druckbogen) gesammelt und anschließend in derselben Maschine zur Herstellung von mehrseitigen Druckprodukten wie Zeitschriften, Broschüren oder dergleichen geheftet werden. Die Klägerin, die rechtskräftig wegen Verletzung des Streitpatents verurteilt ist, hat das Streitpatent mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus und der Schutzbereich dieses Patentanspruchs sei gegenüber der erteilten Fassung des Patents erweitert. Das BPatG hatte im Weglassen eines Merkmals des Patentanspruchs 1 eine unzulässige Erweiterung gesehen und somit das Streitpatent für teilweise nichtig erklärt, wobei der Patentanspruch eine neue Fassung erhielt. Das BPatG hatte dies damit begründet, dass vom Schutzbereich des geltenden Anspruchs auch Sammelhefter umfasst sein könnten, die nicht mit der offenen Seite voran gegen, sondern beispielsweise von der Seite her auf die Sammelstrecke gefördert würden, wie es aus der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung bekannt sei.
Daraufhin legte die Klägerin Berufung ein, mit dem Antrag, das Patent für nichtig zu erklären und das angefochtene Urteil abzuändern. Der BGH wies ihre Berufung zurück. Änderungen der Patentansprüche dürfen nach Ansicht des Gerichts weder zu einer Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung noch dazu führen, dass an die Stelle der angemeldeten Erfindung eine andere gesetzt werde. Der Patentanspruch dürfe mithin nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, von dem aus fachmännischer Sicht aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht zu erkennen sei, dass er von vornherein von dem Schutzbegehren umfasst sein sollte. Der Anmelder oder Patentinhaber, der nur noch für eine bestimmte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung Schutz begehre, ist dabei nicht genötigt, sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen.
Werde von mehreren, ein Ausführungsbeispiel der Erfindung beschreibenden Merkmalen nur eines in den Patentanspruch aufgenommen, das die mit dem Ausführungsbeispiel erzielte technische Wirkung angebe, liege darin auch dann keine unzulässige Erweiterung, wenn ein anderer Weg zur Erzielung derselben Wirkung nicht offenbart sei.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris vom 31. Januar 2007 (05/22227) - Nergeco v. Mavil
Schlagwort: Änderungen
Die patentgemäße Erfindung betrifft ein Industrietor mit anhebbarem Rollladen, das zwei seitliche vertikale Pfosten umfasst, die jeweils eine Gleitschiene aufweisen oder bilden.
Das Unternehmen N verklagte das Unternehmen G wegen Verletzung seines europäischen Patents EP 0 476 788. Dieses machte daraufhin geltend, Anspruch 5 sei nach Art. L. 613-25 c) franz. Gesetz über das Geistige Eigentum und Art. 138 (1) c) EPÜ nichtig, da er sich auf Industrietore erstrecke, die nicht die Merkmale der Ansprüche 1 und 6 der europäischen Patentanmeldung in der eingereichten Fassung umsetzten.
Das Berufungsgericht stellte fest, dass die Streichung eines Merkmals in einem Anspruch im Laufe des europäischen Patenterteilungsverfahrens gegen Artikel 123 (2) und 138 (1) c) EPÜ verstößt, wenn dieses Merkmal im Hinblick auf die zu lösende technische Aufgabe als für die Erfindung wesentlich und für ihre Ausführung unerlässlich hingestellt wird.
Nach Auffassung des Gerichts behauptet das Unternehmen N zu Unrecht, das gestrichene Merkmal sei für die Lösung der gestellten Aufgabe nicht unerlässlich. Die Erfindung soll nämlich die technische Aufgabe des Wiedereinführens des Rollladens in die Gleitschienen lösen, aus denen er unter der Einwirkung eines heftigen (Wind)Stoßes herausgetreten ist. In der Patentanmeldung wie auch im erteilten Patent wird angegeben, dass die Erfindung verhindern soll, dass beim Herunterlassen des Rollladens dessen seitliche Ränder aus den Ausschnitten oder Öffnungen heraustreten, die ihr Wiedereinführen in die Gleitschienen ermöglichen sollen.
Einzig die bewegliche Wand ermöglicht die Lösung dieser technischen Aufgabe, wie Anspruch 1 in der ursprünglichen Fassung noch zu entnehmen war, wonach dieses Element ein Austreten des Rollladens verhindern soll. Das Unternehmen N hat nicht nachgewiesen, dass dieser Zweck bereits durch die Ausgestaltung der Führungen erreicht wird, welche laut der Patentanmeldung zum beweglichen Wandelement hinzukommen. Daraus folgt, dass die Streichung dieses für die Ausführung der Erfindung wesentlichen Merkmals von Anspruch 5 eine Ausweitung des Gegenstands des Patents über die ursprüngliche Anmeldung hinaus bewirkt hat und gegen Art. 123 (2) EPÜ verstößt. Dieser Anspruch ist somit in Anwendung von Art. 138 (1) c) EPÜ mit Wirkung für Frankreich für nichtig zu erklären.
Im Übrigen scheint das Merkmal der beweglichen Wand auch in dieser besonderen Ausgestaltung für die Erzielung des angestrebten Ergebnisses keineswegs nebensächlich, sodass Anspruch 9 ebenso wie Anspruch 5 nach Art. 138 (1) c) EPÜ mit Wirkung für Frankreich für nichtig zu erklären ist.
Da das Unternehmen N seine Verletzungsklage nur auf die Ansprüche 5 und 9 gestützt habe, war das Unternehmen G nicht befugt, die Nichtigerklärung des europäischen Patents in vollem Umfang zu beantragen.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 27. Januar 2009 (06/07287) - ADA Cosmetic v. Emicela
Schlagwort: Änderungen
Das Unternehmen C erhielt das europäische Patent EP 0 530 789 mit Benennung Frankreichs. Dieses Patent ist auf einen Dosierspender für Flüssigseife, Haarshampoo oder dergleichen Flüssigkeiten gerichtet und verfolgt einen doppelten Zweck, nämlich die Gewährleistung einer guten Hygiene, indem eine Verunreinigung der Flüssigkeit durch Keime bei jeder Betätigung vermieden wird, und eine einfache Nachfüllbarkeit des Spenders unter Ausschluss von Diebstahlsgefahr.
Am 13. April 2006 verklagte das Unternehmen C das Unternehmen E vor dem Bezirksgericht Paris insbesondere wegen Verletzung der Ansprüche 1, 2, 4, 5, 6, 8, 11 und 13 seines Patents.
In seinem letzten Schriftsatz vom 8. Dezember 2008 machte das Unternehmen E geltend, das Patent sei gemäß Art. 138 (1) b) und c) EPÜ wegen unzureichender Beschreibung und Erweiterung des Patents über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus nichtig.
In seinem letzten Schriftsatz vom 5. Dezember 2008 brachte das Unternehmen C vor, sein Patent ermögliche es, die Seife nicht mithilfe einer Pumpe, sondern einfach durch Druck auf die elastische Wand des Vorratsbehälters zu entnehmen; dieser Behälter sei mit einer abnehmbaren Haltehülse, die mit einem Diebstahlsicherungssystem gesichert sei, in einen Halter integriert.
Das Unternehmen C bestritt, dass der Gegenstand des Patents über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus erweitert worden sei. Es habe auf Aufforderung des EPA redaktionelle Änderungen an Anspruch 1 vorgenommen, doch ließen sich die von dem Unternehmen E beanstandeten technischen Merkmale eindeutig aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen herleiten. Die beiden Ausführungsformen von Anspruch 1 würden hinreichend beschrieben, sodass der Antrag des Unternehmens E auf Nichtigerklärung zurückzuweisen sei.
Das Patent ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass i) der Halter an einem seiner freien Endbereiche eine Haltehülse aufweist, j) die den Vorratsbehälter bereichsweise umgreift, k) lösbar mit dem Halter verbunden ist l) und daran mittels einer Diebstahlssicherung gesichert ist.
Laut dem Unternehmen E zeigte die Prüfung der Merkmale i) und j), dass zwei Ausführungsarten in Betracht gezogen werden: 1) die Haltehülse umgreift den Hals des Seifenbehälters und ist am unteren Ende des Halters befestigt; 2) die Haltehülse umgreift einen anderen Teil des Behälters, insbesondere den Boden, und ist am oberen Ende des Halters befestigt. Die zweite Ausführungsform sei in der Patentanmeldung jedoch nicht vorgesehen.
Das Gericht stellte fest, dass es in Anspruch 8 heißt "die Haltehülse umgreift den Vorratsbehälter im Bereich eines Behälter- oder Flaschenhalses." Diese jeweiligen Positionen von Haltehülse und Hals sind als Einzige angegeben, und es wird keine Alternative ins Auge gefasst. Die Patentanmeldung als Ganzes enthält keinen Hinweis auf eine mögliche andere Anordnung von Hülse und Vorratsbehälter. Selbst wenn es wegen des Worts vorzugsweise denkbar erscheint, dass eine andere Ausführungsform in Betracht gezogen wird, schließt der weitere Wortlaut des Anspruchs zur Anordnung des Behälterhalses in der Hülse jede andere Anordnung als die einer am unteren Ende des Halters befindlichen Hülse eindeutig aus. Anspruch 1 des Patents, in dem es unter j) heißt, dass die Haltehülse den Vorratsbehälter bereichsweise umgreift, stimmt daher insofern nicht mit der ursprünglichen Anmeldung überein, als diese neue Fassung eine zuvor nicht vorgesehene Ausführungsform ins Spiel bringt.
In Anwendung von Art. 138 (1) c) EPÜ und Art. L. 614-12 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum erklärte das Gericht Anspruch 1 des Patents für nichtig. Die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2, 4, 5, 6, 8, 11 und 13 wurden ebenfalls für nichtig erklärt. Die auf einer Verletzung dieser Ansprüche beruhenden Anträge des Unternehmens C wurden daher zurückgewiesen.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 25. Juni 2008 - Zipher Ltd v. Markem Systems Ltd, Markem Technologies Ltd [2008] EWHC 1379 (Pat)
Schlagwort: Änderung der Patentansprüche - unzulässige Erweiterung
In dieser Entscheidung ging es unter anderem um das Ermessen des Gerichts, einem Patentinhaber zu gestatten, sein Patent zu ändern, sofern diese Änderungen keine Einwände nach dem Patentgesetz nach sich ziehen.
Vor der Ratifizierung des EPÜ durch das Vereinigte Königreich hatten die britischen Gerichte ein sehr breites Ermessen ausgeübt, wenn es darum ging, einer Partei zu gestatten, den Umfang des durch ein erteiltes Patent verliehenen Monopols zu ändern. Bei der Ausübung dieses Ermessens hatten sie zum Beispiel die zeitliche Abfolge der Handlungen des Patentinhabers zu prüfen, seine Einstellung zur Notwendigkeit der Änderung und die Auswirkungen des nicht geänderten Patents auf Dritte.
Da es aufgrund von Änderungen der Rechtsvorschriften notwendig wurde, einschlägige nach dem EPÜ geltende Grundsätze zu berücksichtigen, muss ein Richter nun das EPÜ heranziehen und prüfen, nach welchen Grundsätzen dort entschieden wird, ob Änderungen zuzulassen sind.
Der Richter stellte fest, dass das EPÜ hierzu nur wenige ausdrückliche Hinweise enthält. Aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern gehe hervor, dass für das Ermessen, ob Änderungen im Einspruchsverfahren zulässig sind, als hauptsächliches und vielleicht einziges Kriterium die Frage gilt, ob die Änderungen für das Verfahren angemessen sind, ob sie notwendig und ob sie mit der Verfahrensgerechtigkeit vereinbar sind. Mit dem EPÜ 2000 sei in Art. 105a ein neues Verfahren eingeführt worden, mit dem der Patentinhaber ein erteiltes europäisches Patent durch eine Änderung der Ansprüche außerhalb des Einspruchsverfahrens und durch einen zentralen Antrag beim EPA beschränken könne. Wenn die Verfahrenserfordernisse erfüllt seien, könne das Patent wie beantragt beschränkt werden.
Wenn im Einspruchsverfahren eine ordnungsgemäße Änderung fristgerecht beantragt werde, die zur Entkräftung des Einspruchs notwendig und angemessen sei, werde sie folglich aller Wahrscheinlichkeit nach zugelassen. Es wäre seltsam, wenn eine Änderung, die nach dem zentralen Beschränkungsverfahren rechtmäßig zur Verfügung stehe, nur deshalb abgelehnt würde, weil sich das Patent im Einspruchsverfahren befinde. Ein solches Ergebnis sei nur zu rechtfertigen, wenn a) sich die Änderungen nicht auf den Einspruch auswirkten und somit nach Abschluss des Einspruchsverfahrens vorgenommen werden könnten, sofern das Patent aufrechterhalten werde, oder b) die Änderungen nach dem Grundsatz der Verfahrensgerechtigkeit gegenüber den Einsprechenden nicht berücksichtigt werden könnten.
Schließlich sei das Ermessen des Richters zur Ablehnung von Änderungen, die mit dem Patentgesetz konform seien, eingeschränkt worden. Kriterien, die früher für die Ausübung des Ermessens als relevant gegolten hätten, wie etwa das Verhalten des Patentinhabers, spielen keine Rolle mehr.
ES Spanien
Oberster Gerichtshof vom 4. November 2010 (Berufungs-Nr. 6669/2009) - Pfizer v. Medichem
Schlagwort: Berichtigung der Übersetzung eines europäischen Patents - Anwendungsbereich - Einführung neuer Produktansprüche
Der spanische Oberste Gerichtshof hatte zu klären, ob es möglich ist, in der berichtigten Fassung einer Übersetzung Ansprüche einzuführen, die in der ursprünglichen Übersetzung nicht enthalten waren. Bei der zugrunde liegenden rechtlichen Frage ging es also im Kern um den Anwendungsbereich des Verfahrens zur Berichtigung einer Übersetzung und den möglichen Schutz von Produktansprüchen nach Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens, die in der ursprünglichen Übersetzung aufgrund des von Spanien unter Berufung auf Art. 167 EPÜ erklärten Vorbehalts zum EPÜ nicht enthalten waren. Die Gesellschaft Pfizer Inc. hatte gegen das vom Senat für streitige Verwaltungsgerichtsbarkeit (zweiter Senat) des Obersten Gerichts Madrid am 26. März 2009 erlassene Urteil Revision eingelegt. Darin hatte das Gericht den von der Revisionsklägerin eingelegten Rechtsbehelf im Verwaltungsverfahren gegen die Entscheidung des Spanischen Patent- und Markenamts (OEPM) vom 27. Oktober 2006 verworfen, mit der dieses die von der Revisionsklägerin beantragte Veröffentlichung der berichtigten Fassung der Übersetzung des europäischen Patents EP 0 463 756 abgelehnt und entschieden hatte, die Fassung des Patents so beizubehalten, wie es in Spanien validiert worden war, d. h. in der ursprünglichen Übersetzung, die innerhalb der Frist von drei Monaten nach Bekanntmachung des Hinweises auf Erteilung des Patents durch das EPA eingereicht worden war.
Der Oberste Gerichtshof wies in seinem Urteil die Auffassung zurück, wonach die Rolle des OEPM auf die einer reinen Registrierungsstelle beschränkt sei, deren Aufgabe ausschließlich darin bestehe, die Übersetzung europäischer Patente entgegenzunehmen und zu veröffentlichen und dabei lediglich zu bestätigen, dass es sich um die Übersetzung eines europäischen Patents handele. Er wies darauf hin, dass die offizielle Veröffentlichung der Übersetzung eines Patents durch das OEPM erhebliche rechtliche Auswirkungen habe, beispielsweise das Recht des Patentinhabers zur gewerblichen Nutzung des Patents, weshalb eine solche Veröffentlichung Rechtssicherheit gegenüber Dritten bieten müsse. Dieser Umstand an sich liefere die Begründung dafür, dass dem spanischen Amt auch die Aufgabe einer Beurteilung zukommen müsse. Dies gelte nicht nur für Übersetzungen, sondern aus denselben Gründen auch für berichtigte Fassungen von Übersetzungen.
Eine zweite Frage, die es zu klären galt, bestand darin, zu untersuchen, ob es mittels des Verfahrens der Berichtigung der Übersetzung eines europäischen Patents möglich sei, den Schutzbereich der ursprünglichen Übersetzung bis an die durch das europäische Patent gesteckte Grenze zu erweitern. Der Oberste Gerichtshof führte in seinem Urteil dazu aus, dass die Bestimmung des EPÜ, nach der die Vertragsstaaten dem Patentanmelder bzw. –inhaber die Möglichkeit einräumen müssten, eine berichtigte Übersetzung vorzulegen und deren rechtliche Wirkung an die Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen zu knüpfen, sowie das Zugeständnis an die Vertragsstaaten, den Schutz der Rechte Dritter, die diese unter den in Art. 70 (4) b) EPÜ genannten Voraussetzungen erworben hätten, gewähren zu dürfen, eindeutig zu der Schlussfolgerung führten, dass die Berichtigung der Übersetzung einem wesentlich weitreichenderen Zweck als dem vom OEPM und vom erstinstanzlichen Gericht vertretenen diene. Der Anwendungsfall einer berichtigten Fassung der Übersetzung könne praktisch kein anderer sein als eben die Einführung von Ansprüchen, die im europäischen Patent enthalten seien, jedoch, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der in dem anderen Vertragsstaat vorgelegten Übersetzung. Zweifellos könne es verschiedene Gründe dafür geben, dass in einer ersten Übersetzung nicht alle Ansprüche des europäischen Patents enthalten seien, beispielsweise seinerzeit den von Spanien erklärten Vorbehalt zum EPÜ hinsichtlich Ansprüchen für pharmazeutische Erzeugnisse, oder aber rein geschäftliche Vereinbarungen mit anderen pharmazeutischen Unternehmen sowie sonstige Erwägungen rein wirtschaftlicher oder kaufmännischer Natur. In allen derartigen Fällen könne sich der Patentinhaber beim Wegfall dieser Gründe für die Einführung der zunächst weggelassenen Ansprüche entscheiden. Der Oberste Gerichtshof kam weiterhin zu dem Schluss, dass die durch Art. 70 (4) b) EPÜ eingeräumte und in Art. 12 der Königlichen Verordnung 2424/1986 verankerte Möglichkeit, eine Berichtigung der Übersetzung einzureichen, dem Patentinhaber ohne jede zeitliche Beschränkung offenstehe.
Der Oberste Gerichtshof befand, dass das Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens in Spanien jeglichen etwa verbliebenen Zweifel hinsichtlich möglicher Wirkungen des Vorbehalts für davon betroffene Patente beseitigt habe, da mit dem TRIPS-Übereinkommen, ausdrücklich anerkannt werde, dass nicht nur eine Möglichkeit zur Einreichung von Ansprüchen für pharmazeutische Erzeugnisse vorzusehen sei, sondern dass diese auch in all jenen Fällen zuzulassen seien, in denen es vorher aufgrund nationaler Entscheidungen - wie im Falle der Vorbehalte - nicht möglich gewesen sei, und dies gegenüber dem EPÜ vorrangig gelten müsse. Ab dem 1. Januar 1996, zu dem das TRIPS-Übereinkommen voll wirksam geworden sei, sei das Patent, das Gegenstand dieses Rechtsstreits sei, als erteilt zu betrachten und der Vorbehalt in Bezug auf Produktpatente im Einklang mit dem Europäischen Patentübereinkommen habe seine Gültigkeit verloren.
IT Italien
Gericht erster Instanz Mailand vom 23. September 2010 (14437/10) - Giellepi Chemicals v. Meda Pharma
Schlagwort: Neuheit - Disclaimer
Meda Pharma war Inhaberin des europäischen Patents EP 0 994 705, das die Mischung von zwei chemischen Verbindungen zur Reduzierung von diabetischen Komplikationen betraf. Im Verfahren vor dem Gericht erster Instanz brachte die Klägerin vor, dass das Patent gegenüber dem einschlägigen Stand der Technik keine neue technische Lehre aufweise. Die Patentinhaberin machte zu ihrer Verteidigung geltend, dass sich die im Stand der Technik beanspruchte Mischung von der Verbindung unterscheide, die den Kern des Patents von Meda Pharma bilde. Die synergetische, gemeinsame Anwendung der beiden Verbindungen im Dokument aus dem Stand der Technik sei rein zufällig. Außerdem enthalte das Dokument aufgrund fehlender Versuchsdaten nicht genug Informationen über eine wirksame Mischung der beiden Verbindungen. Da jedoch die im Stand der Technik beanspruchte Mischung auch zu den im Streitpatent beanspruchten Mischungen gehörte, schlug die Patentinhaberin vorsorglich die Verwendung eines Disclaimers vor.
Der vorgeschlagene Disclaimer wurde für zulässig und wirksam befunden. Zur Frage seiner Zulässigkeit zog das Gericht die einschlägigen italienischen und europäischen Bestimmungen heran. Im Hinblick auf den vorliegenden Fall gestattet das italienische Recht Änderungen nach der Erteilung, wenn a) die Beschränkung des Gegenstands auf Antrag des Inhabers zugelassen wird (Art. 79 ital. PatG) und b) die Beschränkung des Patents auch die Folge eines Urteils über seine teilweise Nichtigkeit sein könnte (Art. 76 (2) ital. PatG). Die Umwandlung eines nichtigen Patents in ein anderes Patent, das den Gültigkeitserfordernissen entspricht und das der Anmelder in Kenntnis der Nichtigkeit beantragt hätte (Art. 76 (3) ital. PatG), ist ebenfalls zulässig. Gemeinsam ist solchen Änderungen nur die Einschränkung, dass der Gegenstand des Patents durch die Änderung nicht über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus erweitert wird.
Besteht die Änderung in einem Disclaimer, der eine Beschränkung oder ein Mittel zur Streichung eines Teils des für nicht schutzwürdig befundenen Gegenstands darstellt, sollte dies laut Gericht zugelassen werden, was auch im Einklang mit den Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA (T 583/93) und der Großen Beschwerdekammer (G 1/03) steht. Das EPA hat insbesondere klargestellt, dass die Einführung von Disclaimern zulässig ist, um einen Konflikt mit dem Stand der Technik zu vermeiden. Im vorliegenden Fall konnte der vorgeschlagene Disclaimer auch tatsächlich die Überschneidung mit dem Stand der Technik beseitigen.
C. Auslegung der Ansprüche - Relevanz von Artikel 69 EPÜ
AT Österreich
Oberster Patent- und Markensenat vom 26. Mai 2010 (Op 3/09)
Schlagwort: Auslegung der Patentansprüche - Schutzumfang - Art. 69 EPÜ
Der OPM fasste in dieser Entscheidung die österreichische Rechtsprechung zum Schutzbereich eines Patents zusammen. Nach § 22a österr. PatG wird der Schutzbereich des Patents und der bekannt gemachten Anmeldung durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Dabei ist das Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ sinngemäß anzuwenden. Nach dem Auslegungsprotokoll zu Art. 69 EPÜ ist diese Bestimmung nicht in der Weise auszulegen, dass unter dem Schutzbereich des europäischen Patents der Schutzbereich zu verstehen ist, der sich aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche ergibt, und dass die Beschreibung sowie die Zeichnungen nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen anzuwenden sind. Ebenso wenig ist Art. 69 EPÜ dahin auszulegen, dass die Patentansprüche lediglich als Richtlinie dienen und der Schutzbereich sich auch auf das erstreckt, was sich dem Fachmann nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt. Die Auslegung soll vielmehr zwischen diesen extremen Auffassungen liegen und einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte verbinden.
Nach Auffassung des OPM ist demnach für den Schutzumfang eines Patents das ausgewogene Verhältnis zwischen dem, was sich aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche ergibt, und dem, was aus der Beschreibung und den Zeichnungen als Lösung des technischen Problems hervorgeht, maßgeblich. Zudem ist für eine entsprechende Rechtssicherheit des Patentinhabers wie auch der Öffentlichkeit von einem Patent zu fordern, dass der Wortlaut der Ansprüche den Schutzumfang eingrenzt und nicht erst durch die Auslegung der Beschreibung und Zeichnungen der Schutzbereich ermittelt werden muss. Dies ist ganz im Sinne der Bestimmung des § 22 österr. PatG nebst Auslegungsprotokoll zu Art. 69 EPÜ, in welchem gleichermaßen gefordert wird, dass der Schutzumfang nicht das sein kann, was sich dem Fachmann erst nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt.
BE Belgien
Handelsgericht Lüttich vom 8. Juli 2010 - Core, Urban v. Germeau Carrière
Schlagwort: Auslegung der Ansprüche
Die Klägerinnen waren gemeinsame Inhaberinnen des am 10. Januar 2007 erteilten europäischen Patents EP 1 448 865 für eine Ausziehleiter und zugehörige Herstellungsverfahren mit Prioritätstag 2. August 2002. Gegen dieses Patent wurde kein Einspruch eingelegt. Die Klägerinnen haben festgestellt, dass die Firma Germeau Carrière Leitern vertreibt, die ihres Erachtens Anspruch 1 des Patents entsprechen und dieses Patent somit verletzen.
Die Erfindung betraf eine Ausziehleiter und ein Verfahren zum Zusammenbau einer solchen Leiter. Anspruch 1 definiert den Hauptgegenstand der Erfindung. Die Gültigkeit des Patents der Klägerinnen wird nicht bestritten.
Die Firma Germeau behauptete, dass keine Patentverletzung vorliege, weil die von ihr vertriebenen Leitern Führungsflächen mit rundem Querschnitt und ohne abgeflachten Teil hätten. Hierfür stützte sie sich auf die Abbildungen 6 und 7: In den Zeichnungen in EP 865 werde keine andere Ausführungsform für eine Führungsfläche dargestellt, woraus geschlossen werden könne, dass diese Form ein wesentliches Merkmal der beanspruchten Leiter sei. Die Klägerinnen entgegneten, dass dieses spezielle Detail – die Form bzw. der Querschnitt der Führungsfläche – nicht Bestandteil des Anspruchs und somit kein geschütztes wesentliches Merkmal sei.
In rechtlicher Hinsicht wies der Gerichtspräsident auf Art. 26 belgisches PatG hin, wonach der Gegenstand des Patents und somit der durch das Gesetz gewährte Schutz einzig und allein durch den Anspruch festgelegt wird. Die Beschreibung samt Zeichnungen diene nur der Auslegung des Anspruchs. Er führte zahlreiche Verweise auf das französische Recht und die französische Rechtsprechung an, wonach es insbesondere nicht zulässig ist, ein im Anspruch nicht enthaltenes Merkmal im Wege der Auslegung hinzuzufügen. Wie das Berufungsgericht Paris in einem Urteil vom 10. Mai 1994 festgestellt habe, sei Auslegen nicht gleich Hinzufügen. Wenngleich die Ansprüche laut Art. 84 EPÜ von der Beschreibung gestützt werden müssen, wird keine völlige Übereinstimmung von Beschreibung und Ansprüchen verlangt.
Wie die Klägerinnen zu Recht anmerkten, so der Gerichtspräsident, werde die Form (der Querschnitt) der Holme im Anspruch nicht näher festgelegt. Die dargestellte Form sei daher kein geschütztes Merkmal, und die Behauptung, es müsse anhand der Zeichnungen möglich sein, den Anspruch auszulegen, um seinen Inhalt zu bestimmen, stehe im Widerspruch zu dessen Wortlaut, der völlig klar und präzise ist. In Anspruch 1 des Patents sei nirgends die Rede von einer besonderen Form der Holme und Ringe oder von ihrem Querschnitt.
Im Ergebnis sah der Gerichtspräsident eine Patentverletzung in Anwendung der Äquivalenztheorie als erwiesen an.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris vom 4. März 2009 (07/08437) - Institut Pasteur v. Chiron
Schlagwort: Schutzbereich - Art. 69 EPÜ
Das Institut Pasteur ist eine Stiftung mit Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Mikrobiologie. Chiron ist eine im Bereich der Biotechnologie tätige Gesellschaft nach amerikanischem Recht, die Impfstoffe, therapeutische Produkte und Bluttests herstellt und vertreibt.
Das Institut Pasteur hatte vor dem Bezirksgericht Paris eine Verletzungsklage gegen die Firma Chiron erhoben, weil diese seit September 1999 HIV-Tests vertrieben habe, die Mittel zur Umsetzung der Ansprüche 8 und 11 seines Patents seien. Das Gericht wies diese Klage mit Urteil vom 7. Februar 2007 ab. Dagegen legte das Institut Pasteur Berufung ein.
Das Berufungsgericht Paris hielt zusammenfassend fest, dass das europäische Patent EP 0 178 978, das vom Institut Pasteur am 17. September 1985 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 19. September 1984 angemeldet und am 6. Februar 1991 erteilt worden war, von der Firma Chiron vor dem EPA mit einem Einspruch angefochten und durch Entscheidung der Beschwerdekammer vom 18. November 1999 (T 824/94) mit geänderten Ansprüchen aufrechterhalten wurde.
Streitpunkt der Parteien war der Schutzumfang der Ansprüche 8 und 11 des Patents. Das Gericht verwies auf die rechtliche Regelung in Art. 69 EPÜ, wonach der Schutzbereich des europäischen Patents und der europäischen Patentanmeldung durch die Patentansprüche bestimmt wird, die Beschreibung und die Zeichnungen jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sind.
Das Institut Pasteur brachte vor, dass dem europäischen Patent eine herausragende Innovation zugrunde liege, die ihm bahnbrechenden Charakter verleihe, sodass der Schutzumfang der Ansprüche 8 und 11 über deren wörtliche Bedeutung hinausgehe.
Dagegen befand das Gericht, dass ein Patent im Falle einer bahnbrechenden Erfindung zwar eine Ausführungsform dieser Erfindung beschreiben und jede andere mögliche Ausführungsform beanspruchen kann, dass aber selbst einem bahnbrechenden Patent kein allgemeiner Schutzbereich zugesprochen werden kann, wenn seine Ansprüche eng gefasst sind. So könne einem eindeutigen Anspruch mit engem Schutzumfang nicht unter dem Vorwand der Auslegung ein allgemeiner Schutzumfang verliehen werden, und dies schon gar nicht, wenn der Patentinhaber im Erteilungs- und Einspruchsverfahren gezwungen war, den Schutzumfang einzuschränken, um das Patent vom Stand der Technik abzugrenzen. Das Gericht stellte fest, dass die Patentanmeldung ursprünglich 24 Ansprüche hatte und später nach einem von Chiron angestrengten Einspruchsverfahren sowie einem Beschwerdeverfahren (T 824/94) ein Patent mit 11 Ansprüchen und eingeschränktem Schutzbereich erteilt wurde.
Zu Anspruch 11 führte das Gericht insbesondere aus, dass der Patentinhaber, der seine Ansprüche geändert und so ihren Schutzumfang eingeschränkt hatte, nicht ohne Beeinträchtigung der Rechtssicherheit für Dritte behaupten kann, dass diese Änderungen nicht notwendig gewesen seien, dass die eingeschränkten Ansprüche denselben Schutzumfang hätten wie die ursprünglich umfangreicheren Ansprüche und dass der Stand der Technik, der Anlass für die Änderungen war, nicht relevant sei.
Bezüglich des Anspruchs 8 erklärte das Gericht, das Institut Pasteur könne nicht geltend machen, dass dieser Anspruch alle Diagnoseverfahren unabhängig von der verwendeten Sonde abdecke, weil er indirekt auf den Anspruch 1 verweise, der wegen des Begriffs "entspricht" weiterhin jedes beliebige DNA-Fragment umfasse.
Schon die Beschwerdekammer des EPA habe im Zusammenhang mit Anspruch 1 festgehalten, dass der Begriff "entspricht" offenbar im engen Sinne einer basengenauen Entsprechung verwendet werde, wobei aus der Sicht des Fachmanns auch Abwandlungen zulässig wären, die die Hybridisierbarkeit mit den retroviralen Genomen von LAV nicht wesentlich verändern würden. Ohne diese Entscheidung zu verfälschen, kann dem Gericht zufolge daher nicht behauptet werden, dass sich der Schutz der zulässigen Abwandlungen auch auf sämtliche äquivalente DNA-Fragmente erstreckt.
Unter Anspruch 8 kann nicht jedes diagnostische Verfahren unabhängig von der Art der verwendeten Sonde fallen. Daher entschied das Gericht, dass der Schutzumfang des Anspruchs 8 auf ein Testverfahren unter Nutzung von Sonden beschränkt ist, die aus Klonfragmenten bestehen und ein DNA-Fragment umfassen, das dem in λJ19 enthaltenen retroviralen Genom entspricht. Angesichts dieser Definition des Schutzumfangs der Ansprüche 8 und 11 des angefochtenen Patents erübrigte sich aus Sicht des Gerichts die Prüfung des Hilfsantrags von Chiron auf Nichtigerklärung der Ansprüche, deren Gültigkeit in der nach dem Einspruch geänderten und entsprechend ausgelegten Fassung von Chiron nicht angefochten wird.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Bezirksgerichts Paris vom 7. Februar 2007 in allen Punkten einschließlich der Abweisung der vom Institut Pasteur erhobenen Verletzungsklage. Der Revisionsantrag gegen das Berufungsurteil wurde von der Handelskammer des Kassationsgerichtshofs mit Urteil vom 23. November 2010 (09-15668) zurückgewiesen (siehe unten).
FR Frankreich
Kassationsgerichtshof vom 23. November 2010 (09-15668) - Institut Pasteur v. Chiron
Schlagwort: Schutzbereich - Art. 69 EPÜ
Das Institut Pasteur, Inhaber des europäischen Patents EP 0 178 978, legte gegen das Urteil des Berufungsgerichts von Paris vom 4. März 2009 (siehe dort) Revision ein.
Das Institut Pasteur beanstandete, u. a. mit Verweis auf Art. 69 EPÜ, dass das Berufungsgericht seine Klage wegen Verletzung der Patentansprüche 8 und 11 des Patents abgewiesen habe, obwohl doch insbesondere etwaige in den Verfahren vor dem EPA vorgenommene Änderungen der Patentanmeldung bei der Bestimmung des Schutzumfangs der endgültigen Fassung der Patentansprüche außer Acht zu lassen seien, weil diese ein in sich geschlossenes Ganzes darstellten.
Der Kassationsgerichtshof urteilte, dass das Berufungsgericht sich nicht auf eine wörtliche Auslegung der Ansprüche beschränkt habe, sondern seine Beurteilung des Schutzumfangs der Ansprüche 8 und 11 des Patents auf die geltenden Fassungen gestützt und dabei insbesondere Folgendes berücksichtigt habe: Zum einen decke Anspruch 8 nicht alle Diagnostizierverfahren unabhängig von den dabei verwendeten Sonden ab, sondern beschränke sich auf ein Bestimmungsverfahren, bei dem die in den Ansprüchen 1 bis 6 definierten Sonden verwendet würden, d. h. Sonden aus einem der geklonten DNA-Fragmente, die durch ihre Restriktionsstellen definiert seien und dem in Klon J19 enthaltenen Retrovirus-Genom von LAV entsprächen. Zum anderen schütze Anspruch 11 nur den spezifischen Charakter des beanspruchten gereinigten RNA-Strangs, d. h. seine Größe von etwa 9,1 bis 9,2 kb und seine Fähigkeit zur Hybridisierung mit der im Klon J19 enthaltenen cDNA, nicht aber sämtliche Sequenzen der gereinigten RNA des LAV-Virus (bzw. des HIV1-Virus) gleich welcher Größe.
Außerdem sei in Art. 69 EPÜ und Art. L. 613-2 franz. Gesetz über das Geistige Eigentum festgelegt, dass sich der Schutzbereich des Patents durch die Patentansprüche in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung bestimme und die Zeichnungen und die Beschreibung zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen seien. Nach Auffassung des Kassationsgerichtshofs habe sich das Berufungsgericht in seinem Urteil nur auf den Schutzumfang der Ansprüche in ihrer endgültigen Fassung gestützt, denn es habe darauf hingewiesen, dass die Patentanmeldung ursprünglich mit 24 Ansprüchen eingereicht, das Patent aber im Einspruchsverfahren mit 11 Ansprüchen mit beschränktem Schutzumfang aufrechterhalten worden sei.
Hinsichtlich der weiteren vom Institut Pasteur vorgebrachten Einwände betreffend den vom Berufungsgericht zugrunde gelegten beschränkten Schutzumfang der Ansprüche 11 und 8 führte der Kassationsgerichtshof aus, dass das Berufungsgericht nicht verpflichtet sei, sich im Zusammenhang mit der Bestimmung des Schutzumfangs von Anspruch 11 zu den im Erteilungsverfahren vorgenommenen Änderungen zu äußern, und er betonte erneut, dass das Berufungsgericht, indem es sich bei der Bestimmung des Schutzumfangs von Anspruch 8 nicht auf das Erteilungsverfahren gestützt, sondern lediglich festgestellt habe, dass der Anspruch in diesem Verfahren geändert worden sei, den Anspruch in seiner endgültigen Fassung beurteilt habe. Abschließend erklärte der Kassationsgerichtshof, dass die Beurteilung des Schutzumfangs eines Anspruchs nicht dasselbe sei wie die Prüfung, ob ein Anspruch verletzt worden sei.
GB Vereinigtes Königreich
House of Lords vom 21. Oktober 2004 - Kirin-Amgen Inc et al v. Hoechst Marion Roussel Ltd et al. [2004] UKHL 46
Schlagwort: Schutzbereich - Auslegung der Patentansprüche - Äquivalente - Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ - Protokollfragen - DNA-Sequenzen - Erythropoietin
Das Verfahren betraf das europäische Patent EP 0 148 605 B2, in dem es um die Herstellung von Erythropoietin ("EPO") durch rekombinante DNA-Technologie ging. Die Patentinhaberin, Kirin-Amgen Inc ("Amgen"), hatte behauptet, dass Transkaryotic Therapies Inc ("TKT") die Ansprüche des Patents verletzt habe. In erster Instanz wurde entschieden, dass die Ansprüche verletzt worden seien, aber dass sie unzureichend offenbart seien. Der Court of Appeal befand, dass die Ansprüche gültig seien, aber keine Verletzung vorliege. Amgen legte gegen letztere Entscheidung Rechtsmittel ein, und TKT und andere beantragten eine Feststellung der Nichtverletzung sowie die Nichtigerklärung des Patents. Das House of Lords entschied, dass TKT keinen der Ansprüche verletzt habe. Das Patent von Amgen wurde für nichtig erklärt, weil ein Anspruch wegen neuheitsschädlicher Vorwegnahme und ein anderer wegen unzureichender Offenbarung nichtig war.
Auslegung der Patentansprüche:
Lord Hoffmann, der die für das Urteil maßgeblichen Entscheidungsgründe verfasste, führte die Grundsätze für die Auslegung der Ansprüche bei der Prüfung einer Patentverletzung weiter aus. Er stellte fest, dass die Rolle der Ansprüche in einer beim EPA eingereichten Anmeldung in Art. 84 EPÜ festgelegt sei. Die Ansprüche definierten den Gegenstand, für den Schutz begehrt werde. Der Schutzumfang sei geregelt durch Art. 69 EPÜ und das Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ ("das Protokoll"). Lord Hoffmann folgerte, das Protokoll solle die künstlichen englischen Vorschriften für die Auslegung von Patentansprüchen ersetzen, die auf der "wörtlichen Auslegung" ("literalism") basierten und durch das Common Law vor dem Patentgesetz 1977 entwickelt worden seien. Danach wandte er sich den heute geltenden Grundsätzen für die Auslegung zu.
Ein Gericht müsse bei einem Patent dieselben Regeln zur Auslegung anwenden wie bei einem anderen Dokument. Es müsse die grundlegende Frage stellen, welche beabsichtigte Bedeutung der Durchschnittsfachmann der Formulierung des Autors entnommen hätte. Die Antwort auf diese Frage hänge weitgehend vom Kontext und vom Hintergrund der spezifischen Äußerung ab.
Im Fall einer Patentschrift sei der Durchschnittsfachmann der Fachmann auf dem betreffenden Fachgebiet. Dieser würde die Patentschrift vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachwissens lesen, in der Annahme, dass ihr Zweck darin bestehe, eine Erfindung - eine praktische Idee des Patentinhabers für ein neues Erzeugnis oder Verfahren - zu beschreiben und abzugrenzen.
Was die Patentansprüche betreffe, so laute die wesentliche Frage für das Gericht: "Was hätte der Fachmann dem vom Patentinhaber verwendeten Anspruchswortlaut als gemeint entnommen?" Dieses Prinzip der zweckgerichteten Auslegung bedeute, dass die vom Anmelder gewählten Formulierungen in der Regel von ausschlaggebender Bedeutung seien. Der Fachmann ginge normalerweise davon aus, dass der Patentinhaber den Wortlaut so gewählt habe, dass er seine Erfindung möglichst präzise darstellte. Außerdem werde bei der Formulierung gewöhnlich auf fachliche Beratung zurückgegriffen. Dennoch gebe es einige Fälle, in denen es für den Fachmann klar sei, dass der Patentinhaber in gewisser Hinsicht vom üblichen Sprachgebrauch abgewichen sei oder in die Beschreibung der Erfindung Elemente eingefügt habe, denen er keine wesentliche Bedeutung beimesse. Diese Fälle seien aber nicht sehr häufig.
Die Äquivalenzdoktrin und der Catnic-Ansatz:
Die wörtliche Auslegung der Patentansprüche könne nach Auffassung von Lord Hoffmann einer Auslegung im Wege stehen, mit der dem Patentinhaber angemessener Schutz gewährt werde. Hier gebe es zwei Alternativen: Zum einen könne man bei der Auslegung der Ansprüche die wörtliche Auslegung beibehalten und eine Doktrin entwickeln, mit der die Ansprüche ergänzt würden, indem der Schutz auf Äquivalente erweitert werde (wofür sich die Amerikaner entschieden hätten). Oder aber man gehe von der wörtlichen Auslegung ab. Das habe das House of Lords im Fall Catnic (Catnic Components Ltd v. Hill & Smith Ltd [1982] RPC 183) getan und einen Grundsatz für die Auslegung beschlossen, der dem Rechnung trage, was der Fachmann als vom Patentinhaber beansprucht verstanden hätte. Seit dem Catnic-Fall gebe es den Art. 69 EPÜ, der jeder Doktrin zur Erweiterung des Schutzes über die Ansprüche hinaus einen Riegel vorschiebe.
Lord Hoffmann betonte, dass der Catnic-Ansatz im Einklang mit dem Protokoll stehe. Das Protokoll solle die Auslegung von Art. 69 EPÜ erleichtern und lege kein ausdrückliches Prinzip für die Auslegung der Ansprüche fest. Im Protokoll stehe, welche Grundsätze nicht zu befolgen seien, nämlich die alte, wörtliche Auslegung nach englischer Gepflogenheit, ansonsten aber besage es nur, dass man nicht über die Ansprüche hinausgehen solle. Es heiße ferner, dass das Ziel laute, einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden. Ein Grundsatz der Auslegung, der dem Patentinhaber angemessenen Schutz garantiere, bestehe darin, dem Patentinhaber das Monopol über die gesamte Breite dessen zuzuerkennen, was sich dem Fachmann als der vom Patentinhaber begehrte Schutz darstelle. Ein Grundsatz, mit dem ausreichende Rechtssicherheit für Dritte gewährt würde, laute, dem Patentinhaber nicht mehr als die gesamte Breite des Monopolrechts auf das zuzusprechen, was sich dem Fachmann als der vom Patentinhaber begehrte Schutz darstelle. Der Catnic-Ansatz stehe damit mit dem Protokoll im Einklang. Er ziele darauf ab, dem Patentinhaber das Monopol über die gesamte Breite dessen zuzuerkennen, was sich einem vernünftigen Fachmann, der die Patentansprüche im Kontext lese, als der vom Patentinhaber begehrte Schutz darstelle, aber keinen darüber hinausgehenden Schutz.
Obwohl Art. 69 EPÜ verhindere, dass mit einer Äquivalenz der Schutz über die Ansprüche hinaus erweitert werde, gebe es keinen Grund, warum diese nicht ein wichtiger Teil des Hintergrundwissens des Fachmanns sein könne, das beeinflusse, wie dieser die Bedeutung der Ansprüche verstehe. Sei vom "Catnic-Prinzip" die Rede, so gelte es zu unterscheiden zwischen dem Prinzip der zweckgerichteten Auslegung, die den Erfordernissen des Protokolls Geltung verschaffe, und den Leitlinien für die Anwendung dieses Prinzips auf Äquivalente, die in den "Protokollfragen" zu finden seien. Diese Fragen seien von den englischen Gerichten in den letzten fünfzehn Jahren als Rahmen für die Entscheidung verwendet worden, ob Äquivalente in den Schutzbereich der Ansprüche fielen.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 21. Juli 2005 - Halliburton Energy Services Inc v. Smith International (North Sea) Ltd [2005] EWHC 1623 (Pat)
Schlagwort: Auslegung von Ansprüchen - Art. 69 EPÜ
Das Gericht stellte fest, dass die für die Auslegung von Ansprüchen geltenden Grundsätze in Lord Hoffmanns Ausführungen in der Sache Kirin-Amgin v. Hoechst Marion Roussel [2004] UKHL 46 dargelegt sind. Da sich dieser den Bemerkungen von Lord Justice Jacob in der Sache Rockwater v. Technip France SA [2004] EWCA Civ 381 angeschlossen hatte, übernahm Justice Pumfrey diese Liste mit einer Änderung, die er wegen des einzigen Kritikpunkts von Lord Hoffmann an dieser Liste als erforderlich erachtete:
a) Der übergreifende Grundsatz ist in Art. 69 EPÜ enthalten.
b) Art. 69 EPÜ besagt, dass der Schutzbereich durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt wird. Er besagt weiterhin, dass die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sind. Kurz gesagt, die Ansprüche sind im Zusammenhang auszulegen.
c) Die Ansprüche sind zweckgerichtet auszulegen, wobei der vom Erfinder verfolgte Zweck aus der Beschreibung und den Zeichnungen ermittelt wird.
d) Die Ansprüche dürfen nicht so ausgelegt werden, als ob sie allein stünden und die Zeichnungen sowie die Beschreibung nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten anzuwenden sind. Für die Auslegung der Ansprüche ist der Zweck von ausschlaggebender Bedeutung.
e) Bei der Ermittlung des vom Erfinder verfolgten Zwecks muss man sich vor Augen halten, dass er je nach Grad der Allgemeingültigkeit seiner Erfindung mehrere Ziele haben kann. Üblicherweise kann ein Erfinder z. B. auf eine - in der Regel mehr als eine - bestimmte Ausführungsart als auch ein verallgemeinertes Konzept abstellen. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass der Patentinhaber zwangsläufig beabsichtigt hat, dass der von ihm gewählten Formulierung die breitestmögliche, mit seinem Zweck übereinstimmende Bedeutung zugeschrieben wird: Zweck und Bedeutung sind unterschiedliche Dinge.
f) Der Zweck ist aber nicht die Hauptsache. Letzten Endes geht es um die Bedeutung der verwendeten Formulierung. Daher ist die im Protokoll genannte andere extreme Auffassung - eine bloße Richtlinie - auch durch Art. 69 EPÜ selbst ausgeschlossen. Es ist der Inhalt der Ansprüche, der den Bereich des Patentinhabers abgrenzt.
g) Daraus folgt, dass das, was der Patentinhaber aufgenommen hat und offensichtlich eine gewollte Beschränkung seiner Ansprüche ist, eine Bedeutung haben muss. Offensichtlich gewollte Elemente dürfen nicht außer Acht gelassen werden.
Anmerkung des Herausgebers: Obwohl Halliburton beim Court of Appeal Berufung einlegte, bezog sich diese nicht auf die Auslegung einiger Ansprüche. Insofern akzeptierte Halliburton die Feststellungen der ersten Instanz.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 22. Oktober 2009 - Virgin Atlantic Airways Ltd v. Premium Aircraft Interiors UK Ltd [2009] EWCA Civ 1062
Schlagwort: Auslegung von Ansprüchen – sachkundiger Leser
Virgin hatte Premium Aircraft Interiors ("Contour") wegen Verletzung des britischen Teils ihres (von einer europäischen Teilanmeldung abgeleiteten) europäischen Patents verklagt, das sich auf ein Sitzsystem für ein Passagierfahrzeug, insbesondere ein Flugzeug, und auf eine Sitzeinheit für ein Passagiersystem bezog. Die Verletzungsklage wurde vom Patentgericht unter anderem deshalb abgewiesen, weil es den Schutzbereich von Anspruch 1 des Patents dahingehend auslegte, dass es auf ein System mit zu Liegen umklappbaren Sitzen beschränkt war, so dass es keine Überschneidungen mit Contours System mit Schlafsesseln gab. Virgin legte gegen diesen Teil des Urteils Berufung ein, während Contour mit ihrer Anschlussberufung die Nichtigerklärung des Patents für den Fall beantragte, dass der Court of Appeal das Patent so weit auslegen würde, dass ihr eigenes System darunter fiel.
Der Court of Appeal hob das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Anschlussberufung von Contour in allen Punkten, einschließlich der Frage des Schutzbereiches, zurück. Lord Justice Jacob machte einige Ausführungen dazu, wie Ansprüche im Hinblick auf die Bestimmung des Schutzbereichs eines Patentes auszulegen sind.
Zunächst legte Lord Justice Jacob die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung von Art. 69 EPÜ dar, wie sie in der Entscheidung Kirin-Amgen v Hoechst Marion Roussel [2005] RPC 9 des House of Lords bestätigt wurden und in der Entscheidung Halliburton v. Smith International [2005] EWHC 1623 (Pat) weiterentwickelt wurden. Lord Justice Jacob machte drei weitere Fragen aus, die Contours Vorbringen aufwarf. Bei diesen Fragen ging es darum, wie viel juristische und praktische Kenntnisse des Patentsystems beim Fachmann vorausgesetzt werden können, die in seine Überlegungen, was der Patentinhaber mit dem Wortlaut seines Anspruchs gemeint hat, einfließen werden. Der Entscheidung Kirin-Amgen zufolge ist davon auszugehen, dass der fachkundige Leser beim Patentinhaber gewisse Kenntnisse des Patentrechts voraussetzen wird – nämlich, dass der Zweck eines Anspruchs darin besteht, ein Monopol abzustecken, und dass er auf etwas Neues gerichtet sein sollte. Dieses Hintergrundwissen kann sich sehr wohl darauf auswirken, wie der Anspruch ausgelegt wird. Zu berücksichtigen waren vorliegend die für die Abfassung des Patents und der Patentansprüche geltenden ausdrücklichen Konventionen sowie – angesichts des Hinweises, dass es sich bei dem Patent um eine Teilanmeldung handelte – die Kenntnis des Systems der Stamm- und Teilanmeldungen.
Erstens darf die Verwendung von Ziffern die Auslegung des Anspruchs somit nicht beeinflussen. Patentinhabern wird in R. 29 (7) EPÜ 1973 mitgeteilt, dass Zahlen im Anspruch nicht dazu verwendet werden dürfen, diesen einzuschränken. Es wäre nicht fair, wenn ein Gericht später diese Zahlen in Betracht ziehen würde, um einen Anspruch einzuschränken, und Patentinhaber würden es wohlweislich unterlassen, Zahlen einzufügen, wenn dies gegen sie verwendet werden könnte. Zahlen dienen dem Leser, der gerade versucht, sich eine allgemeine Vorstellung davon zu machen, wovon das Patent handelt, als Orientierungshilfe, doch ist der Anspruch so auszulegen, als seien die Zahlen nicht Teil davon. Der Court of Appeal wies daher Contours Argument zurück, dass eine Zahl, mit der auf eine spezielle Ausführungsform verwiesen wurde, nämlich auf einen zur Liege umklappbaren Sitz, zugleich auch eine Beschränkung auf diese Art von Sitz bedeute.
Zweitens, zu der Frage, ob der Leser vor dem Hintergrund der R. 29 (1) EPÜ 1973 bei einem zweiteiligen Anspruch zumindest erwarten würde, dass ein Gegenstand, der in dem kennzeichnenden Teil vorangestellten Abschnitt (Oberbegriff) beschrieben wird, zum Stand der Technik gehört, stellte Lord Justice Jacob fest, dass der fachkundige Leser auch ohne einen solchen zweiteiligen Aufbau wüsste, dass der Patentinhaber versucht, etwas zu beanspruchen, das er als neu ansieht, und dass er als Leser somit gänzlich abgeneigt wäre, dem Anspruch eine Bedeutung zuzuschreiben, die dem entspricht, was der Patentinhaber nach eigenem Bekunden als alt ansieht. Und wenn der Patentinhaber nicht nur anerkannt hat, dass ein Dokument aus dem Stand der Technik alt ist, sondern anschließend im Anspruch einen Abschnitt voranstellt, der ganz offensichtlich auf diesem Stand der Technik beruht, so würde der fachkundige Leser noch stärker dazu neigen, diesen Abschnitt als Beschreibung des (alten) Stands der Technik zu verstehen. Dementsprechend würde er im vorliegenden Fall, da zu Liegen umklappbare Sitze nicht alt sind, auch nicht erwarten, dass die (im Oberbegriff) verwendete Formulierung sich auf diese Art von Sitzen beschränkt. Tatsächlich wurden zu Liegen umklappbare Sitze im Anspruch überhaupt nicht erwähnt.
Drittens und ganz allgemein würde der fachkundige Leser, falls darauf hingewiesen wird, dass das Patent eine Teilanmeldung ist, über die Praxis von Teilanmeldungen Bescheid wissen (vgl. Art. 76, R. 25 EPÜ 1973). Dies kann die Art und Weise beeinflussen, in der er den Anspruch versteht, weil er weiß, dass es Aspekte des im Patent Beschriebenen gibt oder geben kann, die in einem oder mehreren anderen von der ursprünglichen Anmeldung ausgeschiedenen Patent(en) beansprucht werden. Der fachkundige Leser wird erwarten, dass der zur Liege umklappbare Sitz aus der als einzigen beschriebenen besonderen Ausführungsform irgendwo patentiert ist, aber da er weiß, dass der Inhalt des angefochtenen Patents ausgesondert worden ist, wird er nicht unbedingt erwarten, dass dieser Sitz gerade hier patentiert wird.
Lord Justice Jacob richtete sodann sein Augenmerk auf das Problem des verschenkten Platzes hinter dem zur Liege umklappbaren Sitz und auf die platzsparende Idee, die Liege in diesen Leerraum auszuziehen (wie im kennzeichnenden Teil von Anspruch 1 dargelegt); er stellte fest, dass es hierfür ganz offensichtlich keine Rolle spielte, ob die Liege umklappbar war oder nicht. Somit hätte der fachkundige Leser keinen Grund gehabt, anzunehmen, dass der Patentinhaber seinen Anspruch auf zu Liegen umklappbare Sitze beschränken wollte.
Im Ergebnis wurde festgestellt, dass Anspruch 1 nicht auf diese Art von Sitz beschränkt war.
IT Italien
Gericht erster Instanz Mailand vom 22. Oktober 2005 (22222/05) - Assograph v. Termozeta
Schlagwort: Auslegung von Patentansprüchen
Die Beschreibung und die Ansprüche eines Patents sind komplementär: Die Beschreibung enthält die technischen Aspekte und offenbart die Erfindung an sich, während die Ansprüche Ausdruck des Willens sind, den spezifischen beanspruchten Schutz individuell anzupassen, sodass alles, was nicht beschrieben und gleichzeitig beansprucht ist, nicht patentiert werden kann. Obwohl die Grenzen des durch ein Patent erteilten Schutzes über die Formulierung der Ansprüche definiert sind, sind die Beschreibung und die Zeichnungen hilfreich für die Auslegung der Ansprüche nach dem in Art. 8 des Straßburger Patentübereinkommens vom 11. November 1963 (ratifiziert mit Gesetz Nr. 260/1978) festgelegten Grundsatz. Eine solche Auslegung ermöglicht einen Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit - die durch die Ansprüche und ihre Hauptfunktion gewahrt sind - und dem angemessenen Schutz des Anmelders. Letzterer sollte nicht übermäßig bestraft werden, nur weil der Adressat der Patentanmeldung Schwierigkeiten hat, den beanspruchten Gegenstand zu verstehen, solange diese Schwierigkeit durch Lektüre des Gesamttexts ohne Weiteres behoben werden kann.
NL Niederlande
Oberster Gerichtshof (Hoge Raad) vom 22. Dezember 2006 - Dijkstra v. Saier
Schlagwort: Auslegung der Ansprüche - Relevanz der Patenterteilungsakte
Im Patentverletzungsverfahren vor dem Berufungsgericht beanspruchte der Patentinhaber erneut einen Teil des europäischen Patents EP 0 565 967 (Kunststoffeimer mit Deckel), der zuvor im Einspruchsverfahren vor dem EPA vom Schutz ausgenommen worden war, damit die Erfindung die Patentfähigkeitsvoraussetzungen erfüllte. Um zu verhindern, dass der Patentinhaber den Teil des Patents, auf den er verzichtet hatte, wiedererlangte, berief sich der Beklagte auf die Erteilungsakte, und zwar insbesondere auf das Patent in der ursprünglich erteilten Fassung sowie auf die Stellungnahme der Technischen Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung im Einspruchsverfahren gegen das Patent. Das Berufungsgericht ließ diese Verweise jedoch nicht zu, da es die Zuziehung der Patenterteilungsakte nicht für gerechtfertigt hielt; der Anspruch sei für sich genommen hinreichend klar und gebe keinen Anlass für eine solche Einsichtnahme.
Im Kassationsverfahren gegen dieses Urteil hob der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des Berufungsgerichts auf und verwies den Fall zur weiteren Entscheidung zurück. In seiner Begründung stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass sich die Vertragsstaaten des EPÜ nicht einig seien, ob, wann und in welchem Umfang die Patenterteilungsakte für die Auslegung eines Patents relevant sein könnte. Das Gericht bekräftigte seine frühere Entscheidung vom 13. Januar 1995 im Fall Ciba Geigy v. Oté Optics. Hier war es um eine Beschwerde gegen das Urteil des Berufungsgerichts gegangen, wonach der öffentlich zugängliche Teil der Erteilungsakte - zu einem gewissen Grad - gegen den Patentinhaber ins Feld geführt, auf keinen Fall jedoch für die Auslegung eines Patents herangezogen werden kann, das vom Patentinhaber verteidigt und von einem der Patentverletzung angeklagten Dritten angefochten wird. Unter Hinweis auf dieses Grundsatzurteil stellte der Oberste Gerichtshof im vorliegenden Fall klar, dass das Gericht erhellende Informationen in der Patenterteilungsakte nur dann für eine Auslegung des Patents im Sinne des Patentinhabers berücksichtigen kann, wenn es der Auffassung ist, dass der Fachmann selbst nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen immer noch ernsthafte Zweifel hätte, wie der Inhalt der Ansprüche zu verstehen sei. Diese restriktive Regel trage dazu bei, bei der Auslegung eines Patents ein angemessenes Maß an Rechtssicherheit für Dritte zu gewährleisten. Wenn jedoch andere Beteiligte als der Patentinhaber die Patenterteilungsakte zur Stützung ihrer Auslegung des Patents heranzögen, sehe der Oberste Gerichtshof keinen Grund, warum die Verwendung von öffentlich zugänglichen Informationen aus der Erteilungsakte in irgendeiner Weise beschränkt sein sollte.
NL Niederlande
Oberster Gerichtshof (Hoge Raad) vom 7. September 2007 - Lely v. Delaval
Schlagwort: Auslegung der Ansprüche
Unter Bezugnahme auf Art. 69 EPÜ und das dazugehörige Auslegungsprotokoll bestätigte der Oberste Gerichtshof sein Grundsatzurteil vom 13. Januar 1995 im Fall Ciba Geigy v. Oté Optics, das Richtlinien für die Auslegung von Ansprüchen enthält. In diesem Zusammenhang erklärte das Gericht, dass bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Wesensgehalt der Erfindung, für die Schutz begehrt wird, d. h. die dem Wortlaut der Ansprüche zugrunde liegende erfinderische Idee, nicht der Ausgangspunkt für die Auslegung dieser Ansprüche, sondern lediglich ein Aspekt ist, der den Gegenpol zum genauen Wortlaut der Ansprüche bildet (siehe die beiden "extremen Auffassungen" im Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ).
Anmerkung des Herausgebers: In seinem Urteil vom 13. Januar 1995 in der Sache Ciba Geigy v. Oté Optics hat der Oberste Gerichtshof verschiedene Schritte für die Bestimmung des Schutzbereichs eingeführt. So hat das Gericht i) den Wesensgehalt der Erfindung zu ermitteln, ii) zu beurteilen, ob eine am Wesensgehalt der Erfindung ausgerichtete Auslegung der Ansprüche Dritte ausreichend schützt, iii) die öffentlich zugänglichen Teile der Patenterteilungsakte zu verwerten, wobei eine den Patentinhaber begünstigende Auslegung nur in engen Grenzen zulässig ist, und iv) die Besonderheiten des Falles einschließlich des Umfangs der Erfindung zu berücksichtigen. Zu einer Zusammenfassung dieses Urteils, siehe "Europäische Nationale Patentrechtsprechung, Bericht", 1. Auflage 2004, S. 231.
IV. PRIORITÄT
AT Österreich
Oberster Patent- und Markensenat vom 27. Juni 2007 (Op 7/06)
Schlagwort: Priorität - dieselbe Erfindung - Zahlenwerte
In der vorliegenden Sache vertrat die Antragstellerin unter Verweis auf Art. 4C (4) PVÜ die Auffassung, die Priorität sei nicht zu Recht beansprucht worden. Gegenstand des Patents war ein diagnostisches Mittel zur Anwendung als Kontrastmittel in der Diagnostik. Der OPM verwies auf die relevante Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA und fasste zusammen, dass sich der Umfang des Prioritätsrechts auf dieselbe Erfindung erstreckt. Priorität für einen Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung gemäß Art. 88 EPÜ ist nur dann anzuerkennen, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann. Eine Identität von offenbartem Gegenstand der ersten Anmeldung und dem Anspruch der Nachmeldung liegt nicht vor, wenn dieser zusätzliche Merkmale aufweist. Ein durch mehrere Merkmale definierter Gegenstand einer Patenanmeldung kann nur eine einzige Priorität beanspruchen. Besitzen einzelne Merkmale des Gegenstands unterschiedliche Prioritäten, genießt der gesamte Gegenstand nur die Priorität jener Voranmeldung, in der erstmals die Gesamtheit aller Merkmale offenbart worden ist. Einem Patentanspruch mit mehreren unterschiedlichen prioritätsbegründenden Merkmalen kommt daher insgesamt nur die dem jüngsten Merkmal zugeordnete Priorität zu.
Die Angabe von Zahlenwerten in Patentansprüchen hat stets verbindlichen und wesentlichen Charakter; solche Angaben können nicht in beliebiger Form verändert werden, ohne den technischen Sinngehalt der Zahlenangaben wesentlich zu verändern. Eine Anmeldung, die sich auf eine frühere Anmeldung als prioritätsbegründend beruft, kann in den Patentansprüchen als zwingendes Merkmal also nur gleiche oder engere, aber keinesfalls weitere Bereichsangaben als die frühere Anmeldung aufweisen. Nach Ansicht des OPM lag die in der Sache vorliegende - zweieinhalb Zehnerpotenzen umfassende - Abweichung der Untergrenze des Konzentrationsbereichs nicht mehr im Bereich üblicher Toleranzen. Der über den im Prioritätsdokument genannten Bereich hinausgehende Konzentrationsbereich von 1µMol bis 0,5nMol im Anspruch des angefochtenen Patents war also dort ein zusätzlich aufscheinendes Merkmal.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 12. Juni 2009 - Edwards Lifesciences AG v. Cook Biotech Inc [2009] EWHC 1304 (Pat)
Schlagwort: Priorität – Anrecht – gemeinsame Anmelder
Für die dem angefochtenen Patent (europäisches Patent EP (UK) 1 255 510) zugrunde liegende internationale Anmeldung wurde die Priorität einer US-Anmeldung beansprucht, die im Namen dreier Miterfinder eingereicht worden war, von denen der eine zum Zeitpunkt der Erfindung Arbeitnehmer des Beklagten/Patentinhabers Cook war. Die internationale Anmeldung war im Namen von Cook eingereicht worden, doch das einzige Anrecht, das Cook zu diesem Zeitpunkt an der Erfindung hatte, leitete sich vom Arbeitsverhältnis mit dem betreffenden Arbeitnehmer ab. Die Anrechte der beiden anderen Erfinder/Anmelder wurden 21 Monate nach Einreichung der internationalen Anmeldung, jedoch vor Erteilung des Patents auf Cook übertragen. Unter Hinweis auf ein im Prioritätsintervall veröffentlichtes Dokument bestritt Edwards das Anrecht von Cook auf die Priorität.
Das Vorbringen des Patentinhabers, sein Prioritätsanspruch sei deswegen wohlbegründet, weil er vor dem Tag der Erteilung des streitigen Patents alle Rechte an der Erfindung erworben und ihm ohnehin immer das Anrecht seines Arbeitnehmers zugestanden habe, wurde vom Gericht zurückgewiesen. Die Wirkung der einschlägigen Bestimmungen über das Prioritätsrecht, nämlich s. 5 Patents Act 1977 und Art. 4 der Pariser Verbandsübereinkunft (vgl. Art. 8 PCT), sei eindeutig. Demjenigen, der ein Patent einreiche, werde nur dann das Recht eingeräumt, eine Priorität zu beanspruchen, wenn er selbst die prioritätsbegründende frühere Anmeldung eingereicht habe oder der Rechtsnachfolger desjenigen sei, der sie eingereicht habe. Seine Rechtsposition verbessere sich auch nicht, wenn er die Rechte an der Erfindung später erwerbe. Es bleibe dabei, dass ihm das Recht, die Priorität in Anspruch zu nehmen, zu dem Zeitpunkt, als er die spätere Anmeldung eingereicht und seinen Anspruch angemeldet habe, nicht zugestanden habe. Jede andere Auslegung würde zu Rechtsunsicherheit und der Gefahr von Unbilligkeit für Dritte führen. Die Beschwerdekammern des EPA haben Art. 87 EPÜ in J 19/87 und T 62/05 ebenso ausgelegt.
Dementsprechend verwarf das Gericht das (auf s. 7 Patents Act 1977 gestützte) Vorbringen von Cook, dass er berechtigt sei, die Anmeldung einzureichen, und aufgrund der späteren Übertragungen als Rechtsnachfolger sämtlicher Erfinder auch Anspruch auf Erteilung des Patents habe und daher dasselbe in Bezug auf die Priorität gelten müsse. Section 7 Patents Act 1977 behandle die hiervon getrennte Frage des Rechts auf Erteilung eines Patents, so das Gericht, und es sei unzulässig, die Pariser Verbandsübereinkunft vor dem Hintergrund dieser Vorschrift auszulegen.
Auch mit seinem weiteren Vorbringen, dass es genüge, dass ihm immer die Rechte seines Arbeitnehmers an der Erfindung zugestanden hätten, hatte Cook keinen Erfolg. Die US-Anmeldung war im Namen der drei Miterfinder eingereicht worden und nicht allein vom Arbeitnehmer. Dieser sei somit nicht jemand, der im Sinne von Art. 4A (1) der Pariser Verbandsübereinkunft "die Anmeldung für ein Erfindungspatent vorschriftsmäßig hinterlegt" habe. Diese Auffassung stimmte wiederum mit derjenigen der Beschwerdekammer des EPA in T 788/05 überein.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Tatsache, dass Cook zu einem späteren Zeitpunkt sämtliche Rechte an der Erfindung erworben hatte, ihn nicht berechtigte, die Priorität in Anspruch zu nehmen, sondern dass er für das Patent nur den internationalen Anmeldetag für sich beanspruchen konnte.
Anmerkung des Herausgebers: Die Wirksamkeit des Prioritätstags war für das nachfolgende Berufungsverfahren nicht relevant (s. Cook Biotech Inc v. Edwards Lifescience AG [2010] EWCA Civ 718).
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 23. Juni 2010 - KCI Licensing Inc et al v. Smith & Nephew plc et al [2010] EWHC 1487 (Pat)
Schlagwort: Priorität - Anspruch - gemeinsame Anmelder
In diesem Verfahren ging es um die Frage der Prioritätsberechtigung zweier europäischer (UK) Patente, denen eine europäische Stammanmeldung bzw. eine europäische Teilanmeldung zugrunde lagen, die aus einer internationalen Anmeldung hervorgingen. Anmelder der internationalen Anmeldung waren ein Herr Lina für die USA, die KC Inc (Muttergesellschaft aller Klägerinnen) für alle PCT-Bestimmungsstaaten außer den USA und Mediscus, eine 100%ige Tochtergesellschaft der KC Inc, "nur für GB". Die US-Prioritätsanmeldung war jedoch im Namen von Herrn Lina als einzigem Erfinder und Anmelder eingereicht worden. Unbestritten war, dass KC Inc nur dann berechtigt war, die Priorität zu beanspruchen, wenn KC Inc zum Zeitpunkt der Einreichung der PCT-Anmeldung Rechtsnachfolger von Herrn Lina war. Folglich hatte das Gericht unter anderem zu entscheiden, ob eine frühere Geheimhaltungsvereinbarung von Herrn Lina zugunsten seiner Arbeitgeberin, der KC Inc, genügte, um seine Rechte an der künftigen Erfindung an diese zu übertragen.
Für diese Entscheidung wandte das Gericht die Regeln des englischen Rechts an, unter der Annahme, dass diese Regeln dem maßgeblichen Recht entsprachen. Insbesondere sei es gemäß s. 7 (2) b) Patents Act 1977 möglich, dass eine andere Person als der Erfinder das gesamte Eigentum an einer Erfindung erlangen konnte, wenn dies vertraglich zwischen dieser Person und dem Erfinder vereinbart wurde, bevor die Erfindung gemacht wurde. Nach Ansicht des Gerichts war es demnach möglich, den Rechtstitel (und nicht nur das faktische Eigentumsrecht) an einer Erfindung zu übertragen, bevor sie gemacht wird. Demnach wurde der Rechtstitel an der Erfindung nach den Bestimmungen der Geheimhaltungsvereinbarung wirksam an die KC Inc übertragen, die dadurch am Tag der internationalen Anmeldung Rechtsnachfolgerin von Herrn Lina war und somit nach Art. 4 A. (1) PVÜ die Priorität der Prioritätsunterlage beanspruchen konnte. Unter Verweis auf die Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer J 19/87 befand das Gericht weiter, dass selbst dann, wenn die Vereinbarung keine Übertragung des Rechtstitels an der Erfindung bewirken würde, dennoch das gesamte faktische Eigentumsrecht durch sie wirksam übertragen worden wäre. Wenn es zu ermitteln gelte, ob jemand Rechtsnachfolger im Sinne von Art. 4 A. (1) PVÜ (und auch Art. 87 (1) EPÜ) ist, komme es auf dessen materielle Rechte und nicht auf die Erfüllung rechtlicher Formalitäten an.
Eine weitere Frage lautete, ob es die Gültigkeit des Prioritätsanspruchs beeinträchtigen würde, wenn die nur für GB benannte Firma Mediscus Mitanmelderin neben KC Inc wäre, was ihr vom Gericht für den europäischen Teil der internationalen Anmeldung, der allein für den Prioritätsanspruch der streitigen Patente von Belang war, abgesprochen wurde. Das Gericht schloss sich dem Vorbringen der Patentinhaberin an, dass der vorliegende Fall anders gelagert ist als in der Sache Edwards v. Cook [2009] EWHC 1304 (Pat) (siehe oben) und in der EPA-Beschwerdekammerentscheidung T 788/05 (in beiden Fällen wurde die Priorität nur von einem der gemeinsamen Anmelder einer früheren Anmeldung beansprucht), weil die Prioritätsanmeldung im jetzigen Fall von einem einzelnen Anmelder eingereicht worden war und dieser die Möglichkeit hatte, seine Rechte an der Erfindung mit einem Dritten zu teilen, sodass beide berechtigt waren, die Priorität für eine spätere gemeinsame Anmeldung zu beanspruchen.
Das Gericht kam zum Schluss, dass für beide Patente das beanspruchte Prioritätsdatum gültig war.
V. EUROPÄISCHE PATENTE ALS STREITGEGENSTAND IN VERSCHIEDENEN RECHTSORDNUNGEN
1. Dauertragekontaktlinse (EP 0 819 258)
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te 's-Gravenhage) vom 11. Februar 2009 - Novartis v. Johnson & Johnson
Schlagwort: Auslegung von Patentansprüchen - Parameter
Im europäischen Patent EP 0 819 258 von Novartis ging es um eine ophthalmische Linse, die zum Tragen über längere Zeiträume geeignet war, ohne dass das Auge geschädigt wurde. Als Reaktion auf ein von der Patentinhaberin angestrengtes Verletzungsverfahren erhoben Johnson & Johnson Widerklage auf Ungültigkeit mit der Begründung, dass das Patent nicht nacharbeitbar und die Erfindung nicht neu sei. Sie machten insbesondere geltend, dass der Hauptanspruch keine wesentlichen technischen Merkmale der zugrunde liegenden Erfindung aufweise, sondern lediglich auf ein gewünschtes Ergebnis abhebe.
Das Gericht beanstandete zwar die Klarheit des Hauptanspruchs gemäß Art. 84 EPÜ, sah darin aber keinen Nichtigkeitsgrund. Nach Auffassung des Gerichts war das Patent nacharbeitbar, weil die Beschreibung mehrere Beispiele für Dauertragekontaktlinsen enthielt, sodass der Fachmann die Erfindung ausführen konnte. Die im Patent beschriebenen Parametergrenzwerte seien gute Anhaltspunkte dafür, dass die Linse über einen längeren Zeitraum hinweg getragen werden könne. Darüber hinaus lasse sich die tatsächliche Eignung leicht anhand routinemäßiger klinischer Tests feststellen, die - sofern sie vom Fachmann nach Maßgabe der Parameteranforderungen durchgeführt würden - in den meisten Fällen zu einem Erzeugnis mit den im Streitpatent angegebenen technischen Merkmalen führen würden. Infolgedessen sei die Behauptung der Beklagten nicht haltbar, dass der Fachmann nur mit unzumutbarem Aufwand zu der beanspruchten Erfindung gelangen könne.
Das Gericht erhielt das Patent aufrecht und erließ zudem eine einstweilige Verfügung gegen Johnson & Johnson, um den weiteren Vertrieb des verwandten Erzeugnisses Acuvue Oasys in den Niederlanden zu unterbinden.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 29. September 2010 - Novartis AG v. Johnson & Johnson Medical Ltd [2010] EWCA Civ 1039
Schlagwort: ausreichende Offenbarung – unzumutbarer Aufwand – Erfolgsaussichten – Beweislast
Novartis (N) verklagte Johnson & Johnson (J&J) wegen Patentverletzung. Daraufhin erklärte der Patents Court das Patent von Novartis auf Dauertragelinsen (EP (UK) 0 819 258) wegen unzureichender Offenbarung für nichtig. Gegen diese Entscheidung legte Novartis Berufung ein und machte Folgendes geltend:
- J&J sei dafür beweispflichtig, dass die im Patent gegebenen Anweisungen nicht dazu geeignet seien, die beanspruchten Kontaktlinsen herzustellen; J&J habe keinerlei Versuche durchgeführt und sei diesen Beweis somit schuldig geblieben.
- Welche Erfolgsaussichten hinsichtlich der Herstellung einer "funktionierenden" Linse bestünden, sei für die Frage der ausreichenden Offenbarung nicht relevant.
- Die erste Instanz habe bei der Prüfung der ausreichenden Offenbarung den falschen Test angewandt und irrelevante Erwägungen zum Naheliegen bzw. zur Vorwegnahme hineingebracht.
- Die erste Instanz habe übersehen, dass J&J zwei unstimmige Argumentationslinien verfolge, die eine zum Naheliegen und die andere zur ausreichenden Offenbarung. Es lägen Aussagen von Zeugen J&Js vor, wonach eine anspruchsgemäße Linse hergestellt und getestet werden könne; die Behauptung, die Offenbarung sei unzureichend, sei somit unhaltbar.
Die Berufung von Novartis wurde zurückgewiesen. Das Patent sei nicht ausreichend offenbart; seine Lehren gehörten zum allgemeinen Fachwissen und ermöglichten es dem Fachmann nicht, ohne erfinderisches Zutun eine Silikon-Hydrogel-Dauertragelinse herzustellen, oder sie vermittelten keine allgemeine Lehre dazu, wie derartige Linsen ohne unzumutbaren Aufwand hergestellt werden könnten.
Laut Lord Justice Jacob hatten die Patentinhaber sogar eingeräumt, nicht zu wissen, ob die in ihrem eigenen Patent angeführten Beispiele tatsächlich "funktionierten". Dies sei offenbar weder im Rahmen der Parallelverfahren in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland noch im Verfahren vor dem EPA (T 246/04) deutlich geworden; in all diesen Verfahren seien die Gerichte davon ausgegangen, dass die Beispiele funktionierten. In keiner der parallel erlassenen Entscheidungen sei erkannt worden, wie sehr dem fraglichen Anspruch eine sinnvolle Beschränkung fehle. Dies sei vielleicht dem Umstand geschuldet, dass die betreffenden Gerichte sich nicht auf die eingehende Sachverhaltsüberprüfung und die Sachverständigenaussagen hätten stützen können, die das im englischen Verfahren vorgesehene Kreuzverhör biete, und angenommen hätten, dass die Beispiele funktionierten. Dass J&J keine Versuche durchgeführt habe, um nachzuweisen, dass die Anweisungen im Patent nicht dazu geeignet seien, eine anspruchsgemäße Linse herzustellen, sei unerheblich. Natürlich könne ein Fachmann eine Linse herstellen, die unter den Anspruch mit seinen sehr weit gefassten physikalischen Grenzen falle, und anschließend Tests durchführen, um festzustellen, ob sie "funktioniere". Das könne der Fall sein oder auch nicht – das Patent liefere keine Anhaltspunkte dafür, ob der Betreffende erfolgreich sein würde, und sei offenkundig nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar.
Außerdem könnten Erfolgsaussichten für die Frage der ausreichenden Offenbarung sehr wohl relevant sein, so etwa hier, wo die funktionelle Begrenzung des Anspruchs in Bezug auf die ophthalmische Verträglichkeit der Linsen so entscheidend sei. Das Patent enthalte keine Angaben dazu, was absehbar zum Erfolg führen würde. Der Fachmann müsse seine eigenen Forschungsarbeiten durchführen und hierbei viele Polymerenpaare in einem unterschiedlichen Verhältnis und vielleicht auch mit unterschiedlichen Oberflächenbehandlungen herstellen und testen.
Der sachkundige Leser könne dem Patent somit nicht entnehmen, ob irgendeines der Beispiele "funktionieren" würde. Im Hinblick auf die Frage der ausreichenden Offenbarung sei dies durchaus von Belang. Was solle der Fachmann denn tun, wenn er sich nicht an den Beispielen orientieren könne? Er müsse aus zwei umfangreichen Klassen zwei polymerisierbare Materialien auswählen. Dem Leser würden kaum Hinweise zum jeweiligen Anteil der beiden Polymere gegeben. Zwar werde ihm gesagt, dass Ionenpermeabilität ein unerwartetes Indiz für die wichtige Bewegung der Linse am Auge sei, doch erfahre er nicht, wie er diese Information nutzen solle. Die einzige Möglichkeit, die ihm das Patent biete, herauszufinden, ob er alles richtig gemacht habe, sei, es auszuprobieren – wenn es funktioniere, schön und gut, doch sage das nichts über den restlichen weiten Schutzbereich des Anspruchs aus. "Funktioniere" es hingegen nicht, sei das Patent hinsichtlich des weiteren Vorgehens wenig hilfreich.
Dies genüge dem Test für eine ausreichende Offenbarung bei Weitem nicht, und Lord Justice Jacob bekräftigte die in T 435/91 aufgestellten Grundsätze (Nr. 2.2.1 der Entscheidungsgründe) sowie die Entscheidung T 494/92, in der die Kammer das Zusammenspiel von Art. 83 EPÜ mit Art. 84 EPÜ-Erwägungen erläutert hatte. Die Schlüsselfrage bei der Prüfung der ausreichenden Offenbarung laute: "Kann der Fachmann die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand und ohne erfinderisches Zutun problemlos ausführen?"
J&J hatte vorgebracht, dass T 1743/06 dem vorliegenden Fall stark ähnele. Dort habe die Beschwerdekammer festgestellt, dass der Fachmann (für einen Teil des beanspruchten Patents) mit einer Vielzahl von Prozessvariablen konfrontiert werde, die sich auf die beanspruchten Parameter auswirkten; bei einem Fehlschlag mit einem Parameterwert gebe es jedoch keine klare Anleitung, wie der Fachmann die vielen Verfahrensschritte hätte anpassen sollen, um sicher zur beanspruchten Erfindung zu gelangen. Zwar könne ein gewisses Maß an Herumexperimentieren verlangt werden, doch sei die breite Definition des streitigen Anspruchs nichts weiter als eine Aufforderung, ein Forschungsprogramm durchzuführen, und das Erfordernis des Art. 83 EPÜ, wonach dem Fachmann hinreichende Anleitungen zu geben sind, damit er die Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand im gesamten beanspruchten Bereich ausführen kann, sei nicht erfüllt.
Lord Justice Jacob pflichtete J&J bei, dass dies auch auf den dem Court of Appeal unterbreiteten Fall zutreffe. Die erste Instanz habe den richtigen Test im Sinn gehabt. Das Patent sei offenkundig nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar. Es wurde daher in vollem Umfang für nichtig erklärt.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris vom 27. Oktober 2010 (09/08135) - Johnson & Johnson v. Novartis
Schlagwort: ausreichende Beschreibung – Fachmann – Definition – Team
Das Unternehmen Novartis verklagte das Unternehmen Johnson & Johnson wegen Verletzung des europäischen Patents EP 0 819 258 durch Inverkehrbringen von Kontaktlinsen, die ihres Erachtens die durch Anspruch 1 seines Patents geschützten Merkmale reproduzierten.
In dem Urteil vom 25. März 2009 wurde die gegen den französischen Teil des europäischen Patents gerichtete Nichtigkeitsklage von J&J zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung beantragte das Unternehmen J&J die Nichtigerklärung von Anspruch 1 des französischen Teils des europäischen Patents wegen unzureichender Beschreibung, mangelnder Neuheit sowie hilfsweise wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
Unzureichende Beschreibung:
Die Beteiligten waren sich im vorliegenden Rechtsstreit im Grundsatz darüber einig, dass die Beschreibung - um im Sinne von Art. 138 (1) b) EPÜ ausreichend zu sein - es dem Fachmann ermöglichen muss, die Erfindung ohne übermäßige Schwierigkeiten in vollem Umfang auszuführen. Sie beanstandeten nicht die im Urteil vorgenommene Definition des Fachmanns als Team aus einem Polymerchemiker, der geeignete Materialen entwickeln soll, einem mit der Bestimmung der physikalischen Eigenschaften der Linsen beauftragten Physiker und einem auf Kontaktlinsen spezialisierten Augenarzt.
Das Berufungsgericht prüfte zunächst eingehend das Vorbringen des Unternehmens J&J zu den Materialien und dann sein Vorbringen zu den Werten für die Ionenpermeabilität; in dieser Frage sah das Berufungsgericht den vom Berufungskläger behaupteten Widerspruch als nicht gegeben an. Zu den Beispielen sei festzuhalten, dass J&J behaupte, dass sich dem Fachmann aus der Beschreibung nicht erschließe, anhand welcher Beispiele aus einer langen, aber nutzlosen Aufzählung sich Anspruch 1 tatsächlich ausführen lasse, dass sie ihm in keiner Weise helfe, sich von den Beispielen zu lösen oder nach Verbesserungen zu suchen, und dass sich die Beispiele jedenfalls aufgrund der großen Anzahl notwendiger Tests und insbesondere klinischer Versuche nur übermäßig schwer beurteilen ließen. Das Berufungsgericht gelangte hingegen zu der Auffassung, dass das Unternehmen N zu Recht geltend mache, dass es sich um Routinevorgänge handele, die, auch wenn sie in großer Zahl durchgeführt werden müssten, nicht die übermäßigen Schwierigkeiten aufwiesen, die auf eine unzureichende Beschreibung hindeuteten.
Zur Messung des Parameters der Sauerstoffdurchlässigkeit:
Der Berufungskläger beharrte darauf, dass die Beschreibung unzureichend sei, da das für die Messung der Sauerstoffdurchlässigkeit notwendige Gerät DK 1000 samt Zubehör nicht mehr erhältlich sei und das Messverfahren selbst nur unzulänglich erläutert werde. Das Berufungsgericht stellte jedoch fest, dass dem Vorbringen von Novartis nicht ernsthaft widersprochen worden sei, wonach es für den Fachmann nicht übermäßig schwierig sei, bei Bedarf ein ähnliches Gerät wie das DK 1000, dessen Funktionsweise auf seit mehr als einem Jahrhundert bekannten chemischen Gesetzen beruhe, zu bauen oder bauen zu lassen. Auch behaupte J&J zu Unrecht, dass im Patent zwei widersprüchliche Feuchtmessverfahren beschrieben würden, was beim Fachmann Ratlosigkeit hervorrufen würde.
Nach alledem bestätigte das Berufungsgericht die Zurückweisung des Einwands der Nichtigkeit von Anspruch 1 des Patents wegen unzureichender Beschreibung, die den Fachmann angeblich daran hindere, die Erfindung im vollen Umfang und ohne übermäßige Schwierigkeiten nachzuarbeiten.
Neuheit:
Der Berufungskläger, der beweisen wolle, dass das betreffende europäische Patent EP 0 819 258 nicht neu ist, bestritt nicht, dass eine Entgegenhaltung nur dann neuheitsschädlich ist, wenn sie zweifelsfrei vorliegt, d. h. kein Zweifel an ihrer Existenz und ihrem Inhalt besteht; wenn sie ausreichend ist, d. h. in sich alle Informationen enthält, die der Fachmann benötigt, um die beanspruchte Erfindung anhand der gegebenen Offenbarung ohne übermäßige Schwierigkeiten zu verstehen und nachzuarbeiten; und die Erfindung vollständig vorwegnimmt, d. h. alle Merkmale der Erfindung in derselben Form, Anordnung und Funktionsweise im Hinblick auf dasselbe technische Ergebnis offenbart.
Der Berufungskläger behauptete nicht etwa, dass die von ihm angeführten Entgegenhaltungen diesen Kriterien deshalb genügten, weil die Lehren des streitigen Patents darin explizit und unter den vorstehend genannten Bedingungen offenbart würden, sondern machte geltend, die in den Entgegenhaltungen zitierten Patente seien für diesen Anspruch dennoch neuheitsschädlich, weil sie seinen Inhalt implizit offenbarten, indem sie es ermöglichten, mit Sicherheit Linsen mit den beanspruchten Merkmalen herzustellen.
Das Berufungsgericht prüfte vorab die Prioritätsansprüche und stellte fest, dass der im Rahmen der Neuheitsprüfung relevante Stand der Technik derjenige zum Zeitpunkt der Einreichung der Patentanmeldung ist, deren Priorität bei Anmeldung des Streitpatents für dieses wirksam beansprucht worden ist. Nach Art. 88 (2) EPÜ können mehrere Prioritäten in Anspruch genommen werden.
Die Beteiligten erkannten den Grundsatz an, wonach für eine Anmeldung die Priorität einer früheren Anmeldung nur insoweit in Anspruch genommen werden kann, als die in der späteren Anmeldung beanspruchte Erfindung dieselbe ist; dies ist nur dann der Fall, wenn der Fachmann den Gegenstand der beanspruchten Erfindung der früheren Anmeldung aufgrund seines allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig entnehmen kann. Diesbezüglich machte sich das Berufungsgericht die Feststellungen der Vorinstanz zu eigen. Anschließend prüfte es nacheinander eingehend den Einwand mangelnder Neuheit im Hinblick auf verschiedene frühere Patentanmeldungen und gelangte zu der Auffassung, dass Neuheit gegeben ist; damit wurde das Urteil der Vorinstanz auch in diesem Punkt bestätigt.
Auch hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit bestätigte das Berufungsgericht nach genauer Prüfung die Zurückweisung des Nichtigkeitsgrunds mangelnder erfinderischer Tätigkeit. Die Definition des Fachmanns in besagtem Urteil als Team aus einem Polymerchemiker, der geeignete Materialien entwickeln soll, einem mit der Bestimmung der physikalischen Eigenschaften der Linsen beauftragten Physiker sowie einem auf Kontaktlinsen spezialisierten Augenarzt, war von den Beteiligten wohlgemerkt nicht beanstandet worden.
2. Olanzapin (EP 0 454 436)
ES Spanien
Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 17. Januar 2008 (Berufungs-Nr. 368/2007) - Laboratorios Cinfa et al. v. Eli Lilly and Company Ltd
Schlagwort: Produktanspruch - Vorbehalt nach Art. 167 (2) a) EPÜ - wirksam und durchsetzbar - TRIPS
Im vorliegenden Rechtsstreit hatten die Kläger unter anderem eine gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit des Anspruchs R5 des Patents ES 2 078 440 (EP 0 454 436) beantragt, der sich auf das Produkt Olanzapin als solches bezieht, mit der Begründung, dass es sich um ein Produktpatent handele, das vor dem 7. Oktober 1992 erteilt worden und damit aufgrund des spanischen Vorbehalts zum EPÜ unwirksam sei.
Das Berufungsgericht wies die Klage ebenso ab, wie das erstinstanzliche Gericht es getan hatte. Es stellte diesbezüglich in seinem Urteil eindeutig fest, dass die Aufrechterhaltung oder Aufhebung von Vorbehalten zum EPÜ (Art. 167 EPÜ) in den Anwendungsbereich des Münchner Übereinkommens falle, unbeschadet dessen, ob die einzelnen Vertragsstaaten weitere internationale Verträge unterzeichnet hätten, die ihnen in Patentangelegenheiten bindende Pflichten auferlegten. Die Frage, wie weitgehend die Rechte von Privatpersonen zu schützen seien, die diesen durch die von den einzelnen Staaten unterzeichneten internationalen Verträge, einschließlich des EPÜ, zugestanden würden, sei von den nationalen Justizbehörden der Vertragsstaaten zu entscheiden. Was das TRIPS-Übereinkommen anbelange, so betonte das Gericht, dass sich das Recht zur Patentierung und zur Ausübung von Patentrechten ohne Diskriminierung zweifellos auch auf chemische und pharmazeutische Erzeugnisse als solche erstrecke, und dass dies auch die Patente betreffe, die vor dem 1. Januar 1996 erteilt worden seien, denn so sei es in den Übergangsbestimmungen des TRIPS-Übereinkommens selbst festgelegt.
Das Gericht argumentierte in seinem Urteil folgendermaßen: Ließe man die Tatsache außer Acht, dass Spanien den Vertrag zur Errichtung der Welthandelsorganisation und dessen Anhang IC, das TRIPS-Übereinkommen, unterzeichnet habe, so wäre es offensichtlich, dass die Forderung der Kläger juristisch untermauert sei, denn vor der Unterzeichnung dieses Übereinkommens sei es eindeutig klar gewesen, dass Patente für chemische oder pharmazeutische Erzeugnisse vor dem 7. Oktober 1992 ungültig gewesen seien, wenngleich die Forderung nach einer Nichtigerklärung zurückzuweisen gewesen wäre. Durch Unterzeichnung des am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen TRIPS-Übereinkommens habe sich der juristische Rahmen allerdings entscheidend geändert. Das Gericht war der Ansicht, dass sich Spanien nicht über den Inhalt der Artikel 27 (1) und 70 (2) TRIPS hinwegsetzen könne, wodurch sich direkte Auswirkungen auf die vor Inkrafttreten des Übereinkommens erteilten Patente ergäben, und dass seit dessen Inkrafttreten der Schutz von Patenten für chemische oder pharmazeutische Erzeugnisse geboten sei. Es schloss seine Ausführungen mit der Feststellung, dass es sich beim Anspruch 5 des europäischen Patents zweifelsfrei um einen Produktanspruch handele, dass dieses jedoch deshalb nicht für nichtig zu erklären sei, sondern dass es ganz im Gegenteil dank der direkten Anwendung des TRIPS-Übereinkommens sämtliche Wirkungen entfalten müsse, die ihm eigen seien.
Anmerkung des Herausgebers: Für eine ähnliche Entscheidungsbegründung siehe auch Berufungsgericht Madrid (Audiencia Provincial) vom 26. Oktober 2006; Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 30. Juni 2008; Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 27. März 2009.
NO Norwegen
Landgericht Oslo (Tingrett) vom 2. Dezember 2008 - Actavis Norway AS v. Eli Lilly and Co. Ltd
Schlagwort: Neuheit - erfinderische Tätigkeit - Aufgabe-Lösungs-Ansatz
In dieser Sache ging es um die Gültigkeit des norwegischen Teils des Patents von Eli Lilly auf Olanzapin (NO 178 766), ein von der Firma unter dem Handelsnamen Zyprexa vermarktetes Arzneimittel zur Behandlung von Schizophrenie. Actavis erhob Nichtigkeitsklage und machte geltend, dass die Erfordernisse der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit nicht erfüllt seien. Als Stand der Technik war ein Artikel von Chakrabarti (1980) angeführt, der nicht direkt auf Olanzapin verwies, aber strukturell ähnliche Verbindungen offenbarte, sowie das UK-Patent von Eli Lilly (GB 1 533 235), das neben anderen Molekülen der allgemeinen Formel in Anspruch 1 auch Olanzapin umfasste. Actavis brachte vor, dass Olanzapin nicht neu sei, weil man es direkt aus Chakrabarti ableiten könne. Auf jeden Fall sei die Auswahl von Olanzapin nicht erfinderisch, da Tests von Verbindungen auf der Grundlage von Chakrabarti einen begrenzten Umfang hätten und lediglich aus Routinearbeit bestünden.
Das Landgericht erhielt das Patent aufrecht und wies die Klage von Actavis ab. Laut Gericht war das Erfordernis der Neuheit erfüllt, weil aus dem angeführten Stand der Technik nicht hergeleitet werden konnte, dass Olanzapin gegen Schizophrenie wirken und dabei deutlich weniger gravierende Nebenwirkungen haben würde als bekannte Behandlungen.
Ausgehend vom Aufgabe-Lösungs-Ansatz erkannte das Gericht dem Patent eine erfinderische Tätigkeit zu. Gelöst werde nämlich die Aufgabe, ein Arzneimittel zur Behandlung von Schizophrenie herzustellen, das weniger gravierende Nebenwirkungen hervorruft als bekannte Behandlungen. Das Gericht führte aus, dass sich die im Patent beanspruchte chemische Lösung zwar nicht stark von der früheren Beschreibung in Chakrabarti unterscheide, dass aber frühere Forschungsgruppen, deren Fähigkeiten die des Durchschnittsfachmanns überstiegen hätten, nicht zu dieser Lösung gelangt seien. Die Auswahl von Olanzapin sei erst im Nachhinein als Routine anzusehen. Zudem deute der kommerzielle Erfolg von Zyprexa stark darauf hin, dass die Lösung nicht naheliegend gewesen sei.
Anmerkung des Herausgebers: Urteile aus England und Deutschland in den gleichzeitig anhängigen Parallelverfahren gingen in verschiedene Richtungen; der norwegische Richter maß ihnen nur wenig Gewicht bei.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 16. Dezember 2008 (X ZR 89/07) - Olanzapin
Schlagwort: Neuheit - Auswahlerfindungen - Vorveröffentlichung
Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des europäischen Streitpatents betreffend eine mit dem Freinamen Olanzapin bekannte chemische Verbindung, ihre Verwendung als Arzneimittel, insbesondere als Antipsychotikum zur Behandlung von Schizophrenie und akuter Manie, und ein Verfahren zur Herstellung dieser Verbindung. Die Klägerinnen, welche die Patentfähigkeit mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit in Frage stellten, hatten in der Vorinstanz erreicht, dass das Patentgericht das Streitpatent für nichtig erklärte.
Der BGH beschloss, dass die Vorinstanz das Streitpatent zu Unrecht für nichtig erklärt hatte, und wies die zulässige Klage als unbegründet ab. Er bestätigte zunächst den einheitlichen Offenbarungsbegriff und schloss sich dabei seiner bisherigen Rechtsprechung an:
Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen sei, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich sei, welche technische Information dem Fachmann offenbart werde. Der Offenbarungsbegriff sei dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt werde. Zu ermitteln sei dabei nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen könne oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln könne, sondern ausschließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre entnehme. In der Rechtsprechung des BGH und der Beschwerdekammern des EPA werde dies auch dahingehend ausgedrückt, dass maßgeblich sei, was aus fachmännischer Sicht einer Schrift "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen sei. Hierzu stehe es nicht in Widerspruch, dass das Gericht insbesondere im Hinblick auf den Zweck der (gesonderten) Neuheitsprüfung, Doppelpatentierungen zu vermeiden, eine Ausdehnung des neuheitsschädlich Offenbarten über den "reinen Wortlaut" hinaus für unabdingbar gehalten habe.
Offenbart könne auch dasjenige sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich sei und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedürfe, sondern "mitgelesen" werde. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaube jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern diene, nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d. h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnehme. Der BGH sah sich mit dieser allgemeinen Beurteilung des Offenbarungsgehalts chemischer Formeln im Wesentlichen in Einklang mit der auch vom englischen Patents Court in dem das Streitpatent betreffenden Nichtigkeitsverfahren zugrunde gelegten Rechtsprechung der EPA-Beschwerdekammern, nach der nur solche technische Lehren neuheitsschädlich sind, die einen Stoff als zwangsläufiges Ergebnis eines vorbeschriebenen Verfahrens oder in spezifischer, d. h. individualisierter, Form offenbaren.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 18. Dezember 2009 - Dr Reddy's Laboratory (UK) Ltd v. Eli Lilly & Co. Ltd [2009] EWCA Civ 1362
Schlagwort: Neuheit - Auswahlerfindungen
Dr Reddy's Laboratory (DRL) hatte gegen die Ablehnung seines Antrags auf Widerruf des Patents EP (UK) 0 454 436, das von dem beklagten Unternehmen Eli Lilly gehalten wurde, Berufung eingelegt und dies mit mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und unzureichender Offenbarung begründet. Das Patent betraf eine einzelne chemische Substanz mit der Bezeichnung Olanzapin.
DRL behauptete, Olanzapin gehöre zum Stand der Technik, da es in einem Dokument offenbart worden sei; obwohl es dort nicht explizit genannt werde, gehöre es zu den 1019 Verbindungen der Formel (I) und den 86 000 Verbindungen der "bevorzugten" Klasse, weil es sich positiv auf das Nervensystem auswirke. Die Behauptung lief auf Folgendes hinaus: Jede Offenbarung einer chemischen Klasse offenbare gleichzeitig auch alle Mitglieder dieser Klasse.
Der Court of Appeal wies die Berufung aus zwei Gründen zurück: Erstens sprächen A-priori-Argumente dagegen und zweitens stehe die Berufung im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA. Aus logischen Gründen sei das Argument zurückzuweisen, dass mit der Offenbarung einer großen Klasse auch alle darin enthaltenen Mitglieder offenbart würden; dies stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des EPA (siehe T 296/87, in der gewissermaßen frühere Fälle zusammengefasst wurden). Danach müsse man durch Antizipation nach einer "individualisierten Vorbeschreibung" der später beanspruchten Verbindung oder Verbindungsklasse suchen. Davon sei der vorliegende Fall jedoch meilenweit entfernt. Diese Rechtsauffassung stehe in Einklang mit der Entscheidung des House of Lords in Synthon's Patent [2006] RPC 10. Sei ein patentiertes Erzeugnis oder eine patentierte Klasse von Erzeugnissen Teil einer größeren Klasse, so ließen die Gerichte den Einwand des Naheliegens zu, wenn der Patentinhaber keinen wirklichen technischen Fortschritt vollbracht habe.
Wenn es also im Falle eines Patents für eine bestimmte chemische Verbindung eine allgemeine Offenbarung im Stand der Technik gebe, so stelle die Ausführung der allgemeinen Offenbarung (was nichts anderes bedeute als die Verwendung einer darin enthaltenen Ausführungsform) nicht zwangsläufig eine Patentverletzung dar. Mit Befriedigung stellte der Court of Appeal fest, dass seine Auffassung nicht nur vom EPA, sondern auch von deutschen Gerichten geteilt werde (siehe Fall STADApharm No.1-2W 47/07, 29. Mai 2008).
FI Finnland
Landgericht Helsinki vom 19. Februar 2010 (Entscheidungs-Nr. 3641) - Eli Lilly v. Oy Leiras Finland AB
Schlagwort: analoges Verfahrenspatent - Äquivalenzlehre
In diesem Verletzungsverfahren hatte das finnische Gericht zu entscheiden, ob die in Finnland vermarkteten und verkauften generischen Olanzapin-Produkte der Beklagten das finnische Patent FI 101 379 und das darauf basierende ergänzende Schutzzertifikat verletzten, die den neuen Arzneistoff Olanzapin zum Gegenstand hatten.
Da es in Finnland vor dem 1. Januar 1995 keinen Stoffschutz für Arzneimittel gab, war der neue Arzneistoff Olanzapin mit einem sogenannten analogen Verfahrenspatent geschützt, d. h. die Patentierbarkeit des Streitpatents beruhte auf der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit des Endprodukts, während in den Patentansprüchen bekannte Verfahren zur Herstellung dieses Produkts beschrieben waren.
Das Landgericht stellte unter Berücksichtigung von Art. 57a finnisches PatG, wonach sich die Beweislast bei analogen Verfahrenspatenten umkehrt, zugunsten der Beklagten fest, dass Leiras nachgewiesen habe, dass ihre generischen Olanzapin-Produkte mit einem in den europäischen Patenten EP 1 513 845 und EP 1 814 886 beschriebenen Verfahren ("Adamed-Verfahren") hergestellt werden.
In der Frage, ob das Adamed-Verfahren in den Schutzumfang des Streitpatents fällt, kam das Gericht jedoch zu dem Schluss, dass der Schutzumfang eines analogen Verfahrenspatents nicht nur Herstellungsverfahren umfasst, die das Patent im Wortlaut verletzen, sondern auch Verfahren, die im Wesentlichen identisch mit dem in den Patentansprüchen beschriebenen Verfahren sind. Das Gericht stellte fest, dass i) im Adamed-Verfahren und im Verfahren aus Anspruch 1a des Streitpatents ("Lilly-Verfahren") das Endprodukt (Olanzapin) und eines der Ausgangsprodukte (Benzodiazepin-Derivat) gleich sind, ii) der wichtigste Schritt in beiden Syntheseverfahren chemisch identisch ist, und iii) der anschließende Methylierungsschritt des Adamed-Verfahrens ein unbedeutender und routinemäßiger zusätzlicher Schritt bei der Herstellung von Olanzapin ist.
Folglich befand das Gericht, dass das Adamed-Verfahren eine naheliegende Alternative zum Lilly-Verfahren darstellt und die zwei Verfahren chemisch äquivalent sind. Außerdem stellte das Gericht fest, dass die auf das Adamed-Verfahren erteilten Patente unerheblich für die Beurteilung sind, ob das Adamed-Verfahren und das Lilly-Verfahren äquivalent sind. Unter Anwendung der Äquivalenzlehre gelangte das Gericht zu dem Schluss, dass das Verfahren zur Herstellung von Olanzapin für die Leiras-Produkte das Streitpatent verletzte, und erließ eine dauerhafte Unterlassungsverfügung.
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te 's-Gravenhage) vom 24. März 2010 - ratiopharm v. Eli Lilly
Schlagwort: Neuheit - erfinderische Tätigkeit - Fehler im Stand der Technik
Eli Lilly ist Inhaberin des europäischen Patents EP 0 454 436 betreffend Olanzapin, den Wirkstoff des Arzneimittels Zyprexa. Dieses kommt bei Störungen des zentralen Nervensystems, insbesondere bei Schizophrenie und schizophrenieähnlichen Störungen, sowie bei der Behandlung leichter Angstzustände zum Einsatz. Der Vorteil von Olanzapin besteht darin, dass es die von früheren Medikamenten verursachten starken Nebenwirkungen wie unkontrollierbare motorische Störungen im Gesicht, an Zunge, Armen und Beinen reduziert.
ratiopharm beantragte vor dem Bezirksgericht Den Haag, den niederländischen Teil des Patents und das dazugehörige ergänzende Schutzzertifikat für nichtig zu erklären, weil Olanzapin bereits unmittelbar und eindeutig in den Studien Schauzu (1983) und Chakrabarti (1980) offenbart worden sei. Eli Lilly bestritt die vorausgegangene Offenbarung von Olanzapin, weil insbesondere das Basismolekül in Schauzu nicht mit dem Basismolekül von Olanzapin vergleichbar sei und Olanzapin ein Stickstoffatom – und nicht wie die Entgegenhaltung – ein Kohlenstoffatom aufweise. ratiopharm räumte diesen Unterschied ein, behauptete jedoch, dieser beruhe auf einem leicht erkennbaren Fehler in der von Schauzu offenbarten Struktur. Dem widersprach die Beklagte mit dem Argument, dass der Fachmann diesen Fehler weder erkennen würde noch korrigieren könnte.
Das Gericht prüfte in erster Linie die angebliche Vorwegnahme von Olanzapin in der Schauzu-Entgegenhaltung, die in einer ihrer zwei Fußnoten eine Rückverweisung auf Chakrabarti enthält. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA unterschied das Gericht zwei Fälle: In dem einen enthält das Dokument prima facie erkennbar einen Fehler, und im anderen würde der fachkundige Leser den Fehler beim Studium der Ausgangsdokumente mühelos erkennen.
Das Gericht befand, dass eine Offenbarung einen prima facie erkennbaren Fehler enthalten könne, der den Fachmann in Bezug auf den Stand der Technik irreführt, das betreffende Dokument deswegen aber nicht unberücksichtigt bleiben sollte. Wenn die notwendige Korrektur ebenso offensichtlich sei wie die Existenz des Fehlers, sich also unmittelbar und eindeutig erschließe, dann gebe es allen Grund, die korrigierte Offenbarung gelten zu lassen. Wenn der Fachmann einen Fehler in der Offenbarung nicht auf Anhieb erkenne, gehe er davon aus, dass die Veröffentlichung eine technische Aufgabe in der offenbarten Art und Weise löse. Dieser Grundsatz komme aber nicht zum Tragen, wenn in der Offenbarung selbst auf ein anderes Dokument verwiesen werde, das der Fachmann zweifellos konsultieren und dem er sofort entnehmen würde, dass die fragliche Information nicht richtig ist (T 591/90). Auch in diesem Fall würde der Fachmann den Fehler auf der Basis des konsultierten Dokuments korrigieren. Laut Gericht muss es allerdings plausibel sein, dass der Fachmann das Dokument wirklich konsultiert, etwa weil er die Richtigkeit der offenbarten Information anzweifelt (T 412/91) oder das Dokument nur eine Kurzbeschreibung des Bezugsdokuments ist (T 77/87) oder weil er es mit einem gänzlich unbekannten Stand der Technik zu tun hat (T 591/90).
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass das Schauzu-Dokument einen für den Fachmann ohne weitere Rückverweisung erkennbaren Fehler enthielt. Ebenso erkennbar war die Korrektur dieses Fehlers. Olanzapin war unmittelbar und eindeutig in diesem einen Dokument offenbart. Es gab daher für den Fachmann keinen Anlass, Chakrabarti zu konsultieren. Hätte der Fachmann es dennoch getan, hätte diese Rückverweisung seine erste Annahme bestätigt, dass Schauzu fehlerhaft ist. Dementsprechend wurde das Patent für nichtig erklärt.
Anmerkung des Herausgebers: Am Ende des Urteils gibt das Gericht einen kurzen Überblick über den Ausgang der parallelen Verfahren im Vereinigten Königreich, in Deutschland, Österreich und Kanada.
3. Alendronat (EP 1 175 904)
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te 's-Gravenhage) vom 13. Februar 2008 - Merck v. Generics, ratiopharm et al.
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Dosierungsanleitung - Doppelpatentierung
Die Firma Merck ist Inhaberin des europäischen Patents EP 1 175 904, das auf die Verwendung von Alendronat zur Behandlung von Osteoporose gerichtet ist und aus einer Teilanmeldung hervorging. Orale Alendronatpräparate gegen Knochenkrankheiten wie Osteoporose waren bereits vor dem frühesten Prioritätstag bekannt und wurden von Merck unter der Medikamentenbezeichnung Fosamax vertrieben, dessen tägliche Standarddosierung 10 mg betrug. Zur Vermeidung ernsthafter gastrointestinaler Nebenwirkungen sind bei der Verabreichung oraler Alendronatpräparate strikte Maßregeln zu beachten. So ist das Medikament morgens auf nüchternen Magen mit viel Wasser einzunehmen; der Patient muss dabei stehen oder aufrecht sitzen und darf dann 30 - 60 Minuten nichts essen oder trinken. Vor dem ersten Prioritätstag gab es aus klinischen Tests keinen Hinweis darauf, dass die Nebenwirkungen von Alendronat dosierungsabhängig waren. Darüber hinaus war schon vor dem ersten Prioritätstag die Wirksamkeit einer wöchentlichen Gesamtdosis von 70 mg bekannt; der Fachmann wusste also, dass eine tägliche oder wöchentliche Verabreichung keine wesentlich andere Absorption von Alendronat im Körper bewirken würde.
Generics vertrieb orale Alendronatpräparate zur Behandlung von Osteoporose mit einer wöchentlichen Einheitsdosis von 70 mg. Merck verklagte Generics wegen Patentverletzung. Generics erhob Widerklage und beantragte die Nichtigerklärung des Patents sowie die Feststellung, dass Merck sich der Mehrfachpatentierung schuldig gemacht habe.
Das Gericht erklärte das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig. Die Patentinhaberin konnte nicht belegen, dass eine wöchentliche, einmalige Dosierung von 70 mg weniger Nebenwirkungen hervorruft als eine tägliche Dosis von 10 mg. Ebensowenig konnte sie substanziieren, dass eine wöchentliche, einmalige Dosierung von 70 mg therapeutisch vorteilhafter ist als eine solche von 40 oder 80 mg gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik. Klinische Studien trugen nichts Wesentliches zur Stützung bei, weil sie nicht über einen Vergleich zwischen 10 mg täglich und 70 mg wöchentlich hinausgingen. Angesichts dessen befand das Gericht, dass Dosierungsanleitungen für Alendronatpräparate zur Behandlung von Osteoporose mit einer wöchentlichen, einmaligen Dosierung von 70 mg als nicht erfinderische Abwandlung des Stands der Technik zum frühesten in dieser Sache geltend gemachten Prioritätstag zu werten sind.
Den Argumenten der Beklagten hinsichtlich der Doppelpatentierung widersprach das Gericht mit der Begründung, dass das auf die Stammanmeldung erteilte Patent zuvor widerrufen worden sei. Das Gericht hielt fest, dass das EPA die Teilanmeldung letztlich weiterbearbeitet habe, nachdem es - nach Auffassung des Gerichts zu Unrecht - mehrere Einwendungen Dritter zurückgewiesen hatte, die auf unberechtigte Doppelpatentierung abhoben. Das Gericht verwies auf sein früheres Urteil in der Sache Medinol v. Cordis zur selben Thematik, in dem es die Unvereinbarkeit von Doppelpatentierungen mit den Grundsätzen des Patentrechts aufgezeigt habe. In der vorliegenden Sache führte das Gericht hierzu aus, dass die Nichtigkeitsgründe ein geschlossenes System darstellten, das nicht durch die Hintertür geöffnet werden sollte, auch wenn dies unliebsame Konsequenzen habe.
CH Schweiz
Bundesgericht vom 4. März 2011 (4A_435/2010) - Alendronsäure (Fosamax)
Schlagwort: Patentierung eines Stoffes zur therapeutischen Behandlung - Dosierungsregime - schweizerische Anspruchsform
Merck war Inhaberin eines europäischen Patents, welches die Verwendung des Wirkstoffs "Alendronsäure" zur Behandlung von Osteoporose (EP 1 175 904) betraf. Alendronsäure war zugleich der wirksame Bestandteil des bereits vermarkteten Arzneimittels Fosamax, bei dem der Patient täglich 10 mg zu sich nehmen musste. In der Zwischenzeit hatte die Patentinhaberin eine neue Form von Fosamax auf den Markt gebracht, bei welcher der Patient wöchentlich 70 mg einzunehmen hatte. Das Handelsgericht Zürich hatte die beanspruchte neue Dosierung als ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung nach Art. 2 (2) a) schweiz. PatG und Art. 52 (4) EPÜ 1973 angesehen und somit von der Patentierung ausgeschlossen. Die kantonale Instanz hatte dabei ausgeführt, die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten, einschließlich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten, sei prägender Teil der Tätigkeit des behandelnden Arztes und damit ein dem Patentschutz entzogenes Verfahren.
Das Bundesgericht hob die kantonale Entscheidung auf und wies die Streitsache zur neuen Beurteilung zurück. In seiner Begründung und im Hinblick auf eine einheitliche Auslegung des europäischen Patentrechts verwies das Gericht auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA sowie auch auf einschlägige Entscheide ausländischer Gerichte (UK Court of Appeal vom 21.05.2008, Actavis v. Merck und Bezirksgericht Paris vom 28.09.2010; beide Entscheide zusammengefasst in diesem Bericht). Besonders ausführlich setzte sich das Bundesgericht mit G 2/08 (ABl. EPA 2010, 456) sowie mit den relevanten Vorschriften der Artikel 53 c) und 54 (4) EPÜ (vormals Artikel 52 (4) und Art. 54 (5) EPÜ 1973) auseinander:
Art. 53 c) EPÜ unterscheidet - wie vormals Art. 52 (4) EPÜ 1973 - zwischen nicht gewährbaren Verfahrensansprüchen, die auf eine therapeutische Behandlung gerichtet sind (Satz 1), und gewährbaren Ansprüchen, die sich auf Erzeugnisse zur Anwendung in solchen Verfahren beziehen (Satz 2). Beiden Bestimmungen kommt dasselbe Gewicht zu, weshalb auf eine therapeutische Behandlung gerichtete Verfahrensansprüche absolut ausgeschlossen sind, während Ansprüche, die auf Erzeugnisse zur Anwendung in einem solchen Verfahren gerichtet sind, gewährt werden, sofern ihr Gegenstand neu und erfinderisch ist. Damit sind Art. 53 c) Satz 2 sowie Art. 54 (4) EPÜ nicht etwa eng auszulegende Ausnahmen vom absoluten Patentierungsverbot für therapeutische Verfahren (Art. 53 c) Satz 1 EPÜ), sondern gleichrangige Vorschriften, die darauf abzielen, Patentschutz für Arzneimittel grundsätzlich zuzulassen.
Für ein Erzeugnis zur Anwendung in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung kann demnach nicht nur dann Patentschutz gewährt werden, wenn es an sich neu ist und damit Gegenstand eines Erzeugnisanspruchs sein kann. Vielmehr ist es als Stoff oder Stoffgemisch nach Art. 54 (4) EPÜ auch dann patentierbar, wenn es an sich zwar bereits bekannt ist, aber noch nicht in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung angewendet wurde. Unter der Geltung des EPÜ 1973 bestand noch keine Art. 54 (5) EPÜ 2000 vergleichbare Vorschrift, die ausdrücklich einen patentrechtlichen Schutz auch für Erzeugnisse (Stoffe oder Stoffgemische) vorgesehen hätte, die bereits als Arzneimittel bekannt sind. Diese Lücke war damals durch die sog. schweizerische Anspruchsform für eine zweite oder weitere medizinische Indikation gefüllt worden. Gemäß G 2/08 sind in der schweizerischen Anspruchsform abgefasste Ansprüche nunmehr nicht zuzulassen, wobei die mit Art. 54 (5) EPÜ neu geschaffene Anspruchskategorie des zweckgebundenen Stoffschutzes bereits erteilte Patente nicht betrifft. Die erforderliche Neuheit und damit gegebenenfalls auch die erfinderische Tätigkeit leiten sich in diesen Fällen nicht vom Stoff oder Stoffgemisch als solchem ab, sondern von seiner beabsichtigten therapeutischen Verwendung.
Zusammenfassend sah das Bundesgericht keinen Grund dafür, die Patentierbarkeit schon deshalb auszuschließen, weil das einzige nicht zum Stand der Technik gehörende Anspruchsmerkmal eine neue Dosierungsanleitung für ein bekanntes Arzneimittel ist. Dieses Dosierungsregime muss allerdings neu und erfinderisch sein. Es reicht somit nicht aus, dass die Definition der Dosierungsanleitung im Anspruch bloß anders formuliert ist, sie muss vielmehr eine vom Stand der Technik abweichende technische Lehre beinhalten.
4. Finasterid (EP 0 724 444)
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 21. Mai 2008 - Actavis Ltd v. Merck and Co Inc [2008] EWCA Civ 444
Schlagwort: Neuheit - zweite medizinische Verwendung - schweizerische Anspruchsform
Das Patent EP (UK) 0 724 444 der Firma Merck war vom Patentgericht wegen mangelnder Neuheit nach Art. 54 EPÜ (section 2 Patents Act 1977) für nichtig erklärt und der Gegenstand als Behandlungsverfahren im Sinne von Art. 54 (5) EPÜ (umgesetzt als section 2 (6) Patents Act 1977) für nicht patentierbar befunden worden. Hiergegen legte Merck Berufung ein. Die Berufungsbeklagte Actavis legte Anschlussberufung ein, mit der sie die Feststellung des Nichtnaheliegens angriff.
Das Patent betraf die Verwendung eines Arzneimittels namens Finasterid zur Behandlung einer als androgene Alopezie bezeichneten Funktionsstörung, die zu Haarausfall bei Männern führt. Die übliche therapeutische Dosierung für dieses Krankheitsbild lag bei 1 mg Finasterid täglich. Aufgrund eines früheren Patents hatte Merck Finasterid unter einem anderen Namen für die Behandlung von gutartiger Prostatavergrößerung vermarktet. Die übliche therapeutische Dosierung für dieses Krankheitsbild lag bei 5 mg Finasterid täglich. In der Patentschrift des früheren Patents wurde offenbart, dass Finasterid in der Therapie von androgener Alopezie nutzbringend eingesetzt werden könne, doch wurde für diese Anwendung eine viel höhere Dosierung genannt als die im streitigen Patent angegebenen 0,5 bis 1 mg.
In Bezug auf das Naheliegen bestätigte der Court of Appeal die Entscheidung, in Bezug auf die Neuheit und das Behandlungsverfahren folgte er jedoch der von den Beschwerdekammern vertretenen, etablierten Auslegung des europäischen Patentrechts und hob das richterliche Urteil auf.
Auf der Grundlage von G 5/83 stellte der Court of Appeal fest, dass Ansprüche in der schweizerischen Anspruchsform dann gewährbar seien, wenn Neuheit durch eine neue Dosierungsanleitung oder eine andere Darreichungsform eines Stoffes begründet werde. Diese Feststellung besage noch lange nicht, dass es ganz allgemein genüge, einfach nur eine neue Dosierung in einem "Swiss-Type-Claim" anzugeben, um ein wirksames Patent zu erhalten. Eine solche Dosierung wäre so gut wie immer naheliegend. Nur in einem ungewöhnlichen Fall wie dem vorliegenden (in dem es sich für keine Dosierungsanleitung mehr gelohnt habe, die Behandlung der Funktionsstörung mit dem Stoff zu erforschen) könne die Angabe einer Dosierungsanleitung als Teil der therapeutischen Anwendung einem ansonsten unwirksamen Anspruch zu Wirksamkeit verhelfen. Wichtig sei auch, dass es nun ein klares Leiturteil der Beschwerdekammern gebe, wonach eine neue Dosierungsanleitung einem Anspruch in der schweizerischen Anspruchsform Neuheit verleihen könne.
Die Entscheidung des Court of Appeal im Fall Bristol Myers Squibb Co v. Baker Norton Pharmaceuticals Inc [1999] RPC 253 enthalte keine klare rechtliche Beurteilung (ratio decidendi), wonach ein "Swiss-Type-Claim" nicht neu sei, wenn der einzige Unterschied zwischen diesem Anspruch und dem Stand der Technik eine neue Dosierungsanleitung für eine bekannte Erkrankung ist. Der Court of Appeal sei daher nicht an eine ratio in dieser Entscheidung "gebunden". Es stehe ihm aber frei, auch wenn er nicht dazu verpflichtet sei, von der ratio decidendi seiner eigenen früheren Entscheidung abzuweichen, wenn er überzeugt sei, dass die Beschwerdekammern des EPA sich eine ständige Auffassung zum europäischen Patentrecht gebildet hätten, die mit dieser früheren Entscheidung nicht übereinstimme. Der Court of Appeal würde einer solchen ständigen Auffassung im Allgemeinen folgen.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 28. September 2010 (07/16296) - Actavis v. Merck
Schlagwort: zweite therapeutische Anwendung – Dosierungsanleitung – schweizerische Anspruchsform
Das europäische Patent des Unternehmens M bezog sich auf ein Medikament zur Behandlung von androgenetischer Alopezie. Anhand des Patents bestand die zu lösende Aufgabe darin, "einem Patienten die niedrigstmögliche therapeutisch noch wirksame Dosierung einer pharmazeutischen Verbindung zu verabreichen".
Das Unternehmen M wurde vom Unternehmen A verklagt, das die Nichtigerklärung des französischen Teils des Patents beantragte; A machte insbesondere geltend, dass eine Dosierung eine Behandlungsmethode sei, die als solche von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei.
Das Gericht urteilte, dass die Verwendung von Finasterid zur Behandlung von androgenetischer Alopezie bereits bekannt sei; somit sei es allein die Dosierung von ca. 0,05 bis 1,0 mg, die als neu und schutzwürdig beansprucht werde. Demnach bleibe zu klären, ob das Unternehmen M die auf eine bestimmte Dosierung gerichtete Erfindung patentieren lassen konnte. M habe sich hierfür auf die Entscheidung G 2/08 berufen.
Das Gericht wies darauf hin, dass die französischen Gerichte an die Entscheidungen des EPA, das kein Gericht sei, nicht gebunden sind, sodass sogar die Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer lediglich Informationscharakter hinsichtlich der vom EPA bei der Erteilung von europäischen Patenten vorgenommenen Analyse haben. Das Gleiche gilt für die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten.
Mit ihrem Hinweis, dass die schweizerische Anspruchsform hinfällig geworden sei, habe die Große Beschwerdekammer nach Auffassung des Gerichts den logischen Schluss aus dem neuen Art. 54 (4) EPÜ gezogen, der die Patentierung desselben Stoffes für eine zweite therapeutische Indikation gestattet.
Des Weiteren werde in Art. 54 (4) EPÜ, der es gestattet, dasselbe Medikament im Hinblick auf eine zweite therapeutische Wirkung zu patentieren, nichts über die Möglichkeit gesagt, eine bestimmte Dosierung zu patentieren. Die Antwort der Großen Beschwerdekammer ergebe sich somit nicht aus dem EPÜ, sondern aus der von ihr vorgenommenen Auslegung, wonach eine Dosierung eine zweite therapeutische Indikation darstelle; das sei sie aber ganz offensichtlich nicht.
Nach Auffassung des Gerichts sei eine bestimmte Dosierung zur Behandlung einer Krankheit weder eine erste noch eine zweite therapeutische Anwendung, sondern lediglich die Angabe des Dosierungsbereichs, in dem der betreffende Stoff für die Behandlung einer bestimmten Krankheit wirksam sei.
Die therapeutische Anwendung beschränke sich folglich auf die Verwendung eines Stoffes für die Behandlung einer bestimmten Krankheit und erstrecke sich nicht auf die Auswahl einer bestimmten Dosierungsanleitung aus einer Bandbreite wirksamer Dosierungen. Es obliege dem praktizierenden Arzt, die für die Behandlung der mit diesem Stoff behandelten Krankheit geeignete Dosierungsanleitung festzulegen.
Die ideale Dosierung als einzige Indikation sei etwas rein Virtuelles, und es sei allein Sache des Arztes, die für den Patienten geeignete Dosierungsanleitung zu bestimmen.
Es spiele keine Rolle, dass das solchermaßen geschützte Medikament von der Patentinhaberin mit einem Beipackzettel vermarktet wird, in dem eine bestimmte Dosierung empfohlen wird, denn zum einen sei diese Information nur ein Richtwert, und zum anderen sei allein der Arzt im Rahmen seines therapeutischen Vorgehens befugt, die für jeden Patienten geeignete Dosierung zu verschreiben. Darüber hinaus werde auf dem für das Inverkehrbringen jedes zugelassenen Medikaments vorgeschriebenen Beipackzettel in Frankreich darauf hingewiesen, dass die Dosierungsanleitungen nur Richtwerte seien und ein Arzt konsultiert werden müsse. Die Vermarktung eines Medikaments sei jedenfalls kein relevantes Kriterium, das für die Beurteilung seiner Patentfähigkeit zu berücksichtigen wäre.
Demnach sei es möglich, ein Medikament zunächst für die Behandlung einer ersten Krankheit und später für die Behandlung einer weiteren Krankheit zu patentieren, nicht aber eine für die Behandlung der betreffenden Krankheiten geeignete Dosierungsanleitung, da damit versucht würde, ein therapeutisches Verfahren zu patentieren; dies sei aber ausgeschlossen, weil ein solches Verfahren Teil der medizinischen Betreuung sei, die jeder Arzt völlig frei und eigenverantwortlich ausübe.
Anspruch 1 des Patents EP 0 724 444, bei dem nur die angegebene Dosierung gegenüber dem Stand der Technik neu sei, sei somit von der Patentierbarkeit ausgeschlossen und nach Art. 53 c) EPÜ 2000 für nichtig zu erklären.
Das Gericht merkte beiläufig an, dass auch die vom EPA anerkannten Patentierbarkeitsvoraussetzungen nicht vorliegen, weil der Aufgabe-Lösungs-Ansatz nicht zur Anwendung kommen könne. Beansprucht werde nämlich nicht eine bestimmte Aufgabe, da keine Nebenwirkungen beschrieben werden, denen mit der neuen Dosierungsanleitung abgeholfen werden sollte. Dass einem Patienten die niedrigstmögliche therapeutisch noch wirksame Dosierung einer pharmazeutischen Verbindung verabreicht werde, könne für sich genommen nicht als eine besondere zu lösende Aufgabe angesehen werden, wenn die Verwendung des Medikaments bereits bekannt und geschützt sei.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 9. November 2010 (09/12713) - Teva v. Merck
Schlagwort: Dosierungsanleitung - ausreichende Offenbarung der Erfindung - Nichtigerklärung des europäischen Patents
Der Pharmakonzern Teva ist im Bereich Generika tätig, aber auch für Originalarzneimittel bekannt. Merck ist eine Gesellschaft nach amerikanischem Recht und Marktführer bei Arzneimitteln. Merck ist Inhaberin des europäischen Patents EP 0 724 444 mit dem Titel "Behandlung von androgener Alopezie mit 5-Alpha-Reduktase-Hemmern".
Teva verklagte Merck, um sämtliche Ansprüche des französischen Teils des Patents von Merck wegen unzulässiger Erweiterung, mangelnder Neuheit und unzureichender Beschreibung in Bezug auf Anspruch 1 sowie wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit in Bezug auf die Ansprüche 2 und 3 für ungültig erklären zu lassen.
Teva machte geltend, dass die vom Patent gelöste technische Aufgabe die Verabreichung eines Arzneimittels zur Behandlung von androgener Alopezie mit dem in seiner Zusammensetzung und für diese Anwendung bekannten Wirkstoff Finasterid "in einer niedrigstmöglichen Dosierung" sei. Ferner brachte Teva vor, dass Anspruch 1 des Patents ungültig sei, da er insofern über den Inhalt der Beschreibung hinausgehe, als die Patentanmeldung nur auf eine tägliche Verabreichung abstelle und Anspruch 1 auf die Verabreichung von Finasterid mit einer beliebigen Häufigkeit gerichtet sei. Außerdem sei dieser Anspruch aufgrund einer unzureichenden Beschreibung ungültig, weil keine Versuchsergebnisse zur Stützung der Patentanmeldung vorgelegt und die pharmakologischen Eigenschaften nicht beschrieben worden seien. Des Weiteren sei Anspruch 1 wegen mangelnder Neuheit ungültig, denn die zweite therapeutische Anwendung sei nicht neu und somit nicht patentierbar. Hilfsweise plädierte sie auf Ungültigkeit des Anspruchs 1 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber der sog. Diani-Entgegenhaltung, die diesen Anspruch hinsichtlich der oralen Verabreichung von Finasterid in einer Menge von 0,001 bis 10 mg/kg Körpergewicht vorwegnehme, gegenüber der Entgegenhaltung EP 0 285 382 mit dem einschlägigen allgemeinen Fachwissen des Fachmanns und gegenüber dem Artikel von Dr. S.
Merck brachte insbesondere vor, dass in anderen europäischen Ländern Parallelverfahren stattgefunden hätten: So habe das englische Gericht in seinem Urteil vom 21. Mai 2008 festgestellt, dass das Patent kein nicht patentfähiges Behandlungsverfahren betreffe, dass Neuheit vorliege und das Patent somit rechtswirksam sei. Das deutsche Bundespatentgericht habe entschieden, dass der deutsche Teil des europäischen Patents EP 0 724 444 nicht neu sei, und sich dabei auf das Urteil des Bundesgerichtshofs in der Sache Carvedilol II gestützt. Die Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010 führte Merck als Beleg dafür an, dass der Gegenstand des Patents nicht nach Art. 53 c) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei.
Die Sache wurde auf Antrag der Parteien und im Einvernehmen mit dem Gericht am 27. September 2010 verhandelt. Merck beantragte vor Gericht die Aussetzung des Verfahrens bis zum Vorliegen des Urteils der Cour d'appel über die Berufung gegen das Urteil vom 28. September 2010 in der Sache Actavis v. Merck. Das Gericht wies diesen Antrag zurück und begründete dies unter anderem damit, dass Teva nicht dieselben Klagegründe vorgebracht habe wie Actavis.
In der Sache wies das Gericht darauf hin, dass es zunächst den Schutzbereich des Patents im Vergleich zum Stand der Technik und somit seinen Gegenstand zu definieren gelte.
So befand das Gericht, dass die Verwendung von Finasterid zur Behandlung von androgener Alopezie bereits bekannt war und folglich nur die Dosierung von etwa 0,05 bis 1,0 mg als neu und schutzfähig beansprucht werden konnte.
Der Klagegrund der unzulässigen Erweiterung wurde vom Gericht als unbegründet erachtet und zurückgewiesen.
Hinsichtlich der unzureichenden Beschreibung stellte das Gericht fest, dass eine Erfindung im Bereich der Pharmazie nur dann ausreichend beschrieben ist, wenn die pharmakologischen Eigenschaften sowie eine oder mehrere therapeutische Anwendungen des betreffenden Arzneimittels angegeben sind. Auch wenn der Erfinder hier keine Versuchsergebnisse vorzulegen brauche, müsse er doch angeben, dass solche Ergebnisse angestrebt wurden und auch existierten und dass er Tests und Versuche durchgeführt habe, um die angebliche therapeutische Wirkung nachzuweisen. Das Patent enthalte mehrere Beispiele; an keiner Stelle werde aber angegeben, dass die Verfahren tatsächlich während eines Zeitraums x an x Personen durchgeführt wurden oder dass ein Vergleich mit einer Stichprobe von Personen angestellt wurde, denen während desselben Zeitraums ein "Substrat" verabreicht wurde. Nachdem lediglich Techniken zur Aufnahme von Fotos beschrieben würden, um Haare auf einem abgegrenzten Bereich des Kopfes zu zählen, könnten entsprechende Schlussfolgerungen nicht gezogen werden, wenn nirgendwo präzisiert werde, dass tatsächlich Untersuchungen nach diesen Methoden durchgeführt wurden. Beispiel 4 könne nicht als Versuchsbericht betrachtet werden, da es keinerlei Aussage über etwaige Versuchsbedingungen enthalte. Zudem habe es den Anschein, dass der in Beispiel 5 des Patents genannte Versuch nicht aussagekräftig sei und nur angeführt wurde, um die für die Erteilung des Patents und die Beurteilung seiner Rechtsgültigkeit erforderlichen Voraussetzungen der ausreichenden Beschreibung zu erfüllen, da ihm keine soliden Forschungen zur Wirksamkeit des betreffenden Erzeugnisses zugrunde lägen.
Folglich befand das Gericht die Beschreibung im europäischen Patent für unzureichend, sodass es Anspruch 1 für ungültig erklärte. Anspruch 2 als von Anspruch 1 abhängiger Verwendungsanspruch für eine Dosierung von 1,0 mg und der auf die Behandlung von Haarausfall beim Mann gerichtete und von den Ansprüchen 1 und 2 abhängige Anspruch 3 wurden aus denselben Gründen für ungültig erklärt, weil nur die angegebene Dosierung ein gegenüber dem Stand der Technik neues Element darstellte.
5. Taxol-Stents (EP 0 706 376)
GB Vereinigtes Königreich
House of Lords vom 9. Juli 2008 - Conor Medsystems Inc v. Angiotech Pharmaceuticals Inc et al. [2008] UKHL 49
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - Naheliegen – Naheliegen des Versuchs – ausreichende Offenbarung – Parallelverfahren
Der strittige Patentanspruch betraf einen Stent, ein röhrchenförmiges Metallgittergerüst, das in eine Arterie eingesetzt wird, um diese offen zu halten, und das in diesem Fall mit dem wucherungshemmenden Arzneimittel Taxol zur "Behandlung oder Verhinderung von Rezidivstenosen" beschichtet war. Während der Antrag von Conor, das Patent wegen Naheliegens für nichtig zu erklären, in einem Parallelverfahren vor dem Bezirksgericht Den Haag abgewiesen worden war, hatte er sowohl vor dem Patents Court als auch vor dem Court of Appeal Erfolg. Das House of Lords kam im Revisionsverfahren zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanzen. In den Entscheidungsgründen räumte Lord Hoffmann ein, aus verschiedenen Gründen sei es hin und wieder nicht zu vermeiden, dass nationale Gerichte in ein und der derselben Patentsache zu widersprüchlichen Urteilen kämen; grundsätzlich jedoch sollte das EPÜ von nationalen Gerichten und vom EPA möglichst einheitlich ausgelegt werden. Die Frage in diesem Fall sei, wie die der Erfindung zugrunde liegende Idee, die möglicherweise eine "erfinderische Tätigkeit" im Sinne von Art. 56 EPÜ und s. 1 (1) b) Patents Act 1977 darstelle, zu ermitteln sei.
Conor hatte argumentiert - und dem waren die Vorinstanzen gefolgt -, dass die im Patent offenbarte erfinderische Tätigkeit keineswegs in der Beschichtung des Stents mit Taxol bestehe. Vielmehr beruhe der erfinderische Charakter auf der allgemeineren Idee, versuchsweise eine oder mehrere Taxol/Polymer-Kombinationen im Hinblick auf eine mögliche Behandlung von Rezidiv¬stenosen einzusetzen. Das Patent vermittele also lediglich die Lehre, dass die Verwendung von Taxol einen Versuch wert sei, und trage damit nicht zum vorhandenen Wissen bei. Unbestritten lohne Taxol, wie viele andere wucherungshemmende Arzneimittel auch, einen Versuch. Dies sei naheliegend. Ferner behauptete Conor, es müsse gar nicht nachgewiesen werden, dass die Verwendung von Taxol für die Behandlung von Rezidivstenosen tatsächlich naheliegend sei, weil das Patent keine Lehre bezüglich der Wirksamkeit enthalte.
Lord Hoffmann hielt diesen Ansatz für eine unzulässige Mischung der Erfordernisse bezüglich erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ), ausreichender Offenbarung (Art. 83 EPÜ) und/oder Stützung (Art. 84 EPÜ). Es sei die beanspruchte Erfindung, die auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen müsse, und das sei prima facie die im Anspruch beschriebene Erfindung (s. 125 (1) Patents Act 1977). Im vorliegenden Fall liege die angebliche erfinderische Tätigkeit in dem Anspruch, dass das Erzeugnis eine bestimmte Eigenschaft aufweisen würde, nämlich die Verhinderung oder Behandlung von Rezidivstenosen (vgl. Pharmacia Corp v. Merck & Co Inc [2002] RPC 775). Im Hinblick auf das Naheliegen gehe es also darum, ob die Verwendung eines mit Taxol beschichteten Stents zu diesem Zweck naheliegend sei, und dem Patentinhaber stehe eine Beantwortung dieser Frage unter Bezugnahme auf seinen Anspruch zu und nicht auf irgendeine vage Paraphrase, die vom Umfang der Offenbarung in der Beschreibung abhänge. In Übereinstimmung mit der Auffassung des Bezirksgerichts Den Haag (Entscheidungsgrund Nr. 4.17) stellte Lord Hoffmann fest, weder das EPÜ noch das Patents Act 1977 forderten, dass anhand von Versuchsdaten in der Beschreibung nachgewiesen werden muss, dass und warum die Erfindung funktionieren würde. Die im Patent enthaltene Lehre, soweit sie den strittigen Anspruch stütze, bestehe ganz eindeutig darin, dass ein mit Taxol beschichteter Stent eine Rezidivstenose verhindern oder behandeln würde. Ferner pflichtete Lord Hoffmann dem niederländischen Gericht darin bei (Entscheidungsgrund Nr. 4.17), dass der "Patentinhaber im Patent ausreichend deutlich angibt, dass sich der Einsatz von Taxol (nicht nur, aber insbesondere bei Rezidivstenosen) vorteilhaft auswirkt, und zur Belegung seiner anti-angiogenen Wirkung ausführt, dass Taxol … im CAM-Test gute Ergebnisse zeigt; dabei ist zu berücksichtigen, dass der Patentinhaber die Lösung bei Rezidivstenose in der Verwendung eines anti-angiogenen Faktors gesehen hat". Folglich laute die Frage, ob dies naheliegend sei, und nicht, ob es naheliegend sei, dass Taxol (als eines von vielen anderen Erzeugnissen) diese Wirkung haben könnte. Es sei schwer nachzuvollziehen, etwas, das einen Versuch lohne oder das eine Wirkung haben könnte, als Erfindung zu beschreiben, die einen Monopolanspruch begründen würde.
Es treffe zu, dass für eine rein spekulative Idee ohne stützende Angaben in der Beschreibung kein Patent erteilt wird (vgl. Art. 84 EPÜ, s. 14 (5) c) Patents Act 1977). Im vorliegenden Fall wurde jedoch beansprucht, dass ein mit Taxol beschichteter Stent eine Rezidivstenose verhindern würde, und die Plausibilität dieses Anspruchs habe Conor nicht angezweifelt. Im Hinblick auf die Feststellung der Vorinstanzen, dass die besondere Eignung von Taxol für die Verhinderung von Rezidivstenose im Patent nicht "offenbart" werde, räumte Lord Hoffmann ein, dass in der Beschreibung zwar gemutmaßt werde, warum Taxol eine Rezidivstenose verhindern würde (aufgrund seiner anti-angiogenen Eigenschaften), Belege dafür, dass sich dies als zutreffend erweisen würde, liefere sie jedoch nicht. Wenn sich dies als nicht zutreffend erwiesen hätte, wäre die Offenbarung in dem Patent unzureichend gewesen. Wenn der Offenbarungsumfang eines Patents ausreiche, um der Erfindung Plausibilität zu verleihen, gebe es jedoch prinzipiell keinen Grund, die Frage des Naheliegens entsprechend den Nachweisen anders zu bewerten, die der Patentinhaber erbracht habe, um zu beweisen, dass sein Patent funktioniert.
Die Frage, wann eine Erfindung als naheliegend zu betrachten sei, weil es nahe liege, sich an ihr zu versuchen, habe Lord Justice Jacob im Court of Appeal umfassend behandelt und dabei die Quellen, angefangen mit Johns-Manville Corporation's Patent [1967] RPC 479, in der Aussage zusammengefasst, dass der Ansatz "naheliegender Versuch" nur dann sinnvoll sei, wenn eine angemessene Erfolgserwartung bestehe. Wie hoch die Aussicht sein müsse, hänge von der jeweiligen Sachlage ab.
Die zunehmende Anwendung des Ansatzes "naheliegender Versuch" wurde auch von Lord Walker unter Verweis auf weitere Quellen kommentiert. Seit dem Fall Johns-Manville, der ein recht einfaches technisches Verfahren betraf, habe der Umfang der Forschungsarbeiten im Bereich der Spitzentechnologien, insbesondere in der Pharmazie und der Biotechnologie, erheblich zugenommen. Für die Forschung würden enorme Mittel aufgewendet, weil es auf den Märkten weltweit ein so großes Gewinnpotenzial gebe. Es herrsche ein harter Wettbewerb. In diesem Umfeld führe der Ansatz "naheliegender Versuch" immer mehr ein Eigenleben als wichtige Waffe zur Anfechtung eines Patents.
Anmerkung des Herausgebers: Lord Walkers Darlegung des Ansatzes des Naheliegens, im Sinne von einem "naheliegenden Versuch", wurde vom Irischen High Court in seinem Urteil vom 26. Juni 2009 in der Sache Glaxo Group Ltd v. Patents Act [2009] IEHC 277 übernommen (siehe Erörterung dieses Punktes in para. 31).
NL Niederlande
Berufungsgericht Den Haag (Gerechtshof te 's-Gravenhage) vom 27. Januar 2009 - Sahajanand v. Angiotech
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit
Das europäische Patent EP 0 706 376 betraf einen mit Taxol beschichteten Stent für die Restenosisprävention. Die Anmeldung war aus einer Stammanmeldung hervorgegangen, die sich auf Taxol und viele andere antiangiogenische Mittel zur Behandlung von Krebs, Restenosis und sonstigen Krankheiten erstreckte.
In der Vorinstanz hatte Angiotech eine Verletzungsklage gegen die Firma Sahajanand erhoben, woraufhin die Beklagte die Gültigkeit des Patents anfocht. Das Bezirksgericht hatte die Verwendung von Taxol für erfinderisch gehalten und der Verletzungsklage stattgegeben. Es vertrat die Auffassung, dass der Fachmann im Stand der Technik nicht genügend Anhaltspunkte dafür gefunden habe, Taxol aus einer Vielzahl beanspruchter Substanzen in der Erwartung auszuwählen, dass es Restenosis vorbeugen würde oder könnte. Sahajanand legte gegen diese Entscheidung Berufung ein.
Das Berufungsgericht sah die Basis des vorliegenden Patents darin, dass ein antiangiogenischer Faktor, insbesondere Taxol, die Entstehung von Blutgefäßen und damit unerwünschtes Gewebewachstum verhindert. Die Patentschrift lehre nicht, dass Taxol die auszuwählende Substanz sei, mache aber klar, dass Taxol zu bevorzugen sei. Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit hielt das Gericht fest, dass es im Stand der Technik keine klaren Hinweise gab, die den Fachmann zur Auswahl von Taxol veranlasst hätten. Für den Durchschnittsfachmann sei es nicht naheliegend gewesen, Taxol als Alternative zu anderen Substanzen auszuwählen, denn er habe im Stand der Technik sowohl Anhaltspunkte dafür als auch Gegengründe gefunden. Zudem lag seinerzeit kein Sicherheitsprofil für Taxol vor, sodass der Durchschnittsfachmann die Substanz, obwohl sie schon einige Zeit bekannt war, nur sehr zögernd für einen polymerbeschichteten vaskulären Stent gewählt hätte, der in Herznähe in die Koronararterie zu platzieren ist. Das Gericht sah die erfinderische Tätigkeit somit durch keine der angeführten Entgegenhaltungen widerlegt und wies die Argumente der Berufungsklägerin zurück.
6. Sojabohnen-Mehl (EP 0 546 090)
Anmerkung des Herausgebers: In dieser Sache ging es um Sojamehl aus Argentinien, das in verschiedene europäische Länder importiert wurde. Das Mehl stammte aus Argentinien, wurde aber aus ursprünglich von Monsanto gelieferten, genetisch veränderten Sojabohnen hergestellt. Die Sojabohnen enthielten eine DNA-Sequenz, die sie gegen Monsantos Roundup-Herbizid resistent machte. In Argentinien hatte Monsanto die Sojabohnen nicht geschützt, in Europa war hingegen ein Patent in Kraft. Monsanto strengte mehrere Verletzungsklagen gegen die Importeure der argentinischen Sojabohnen an. Im niederländischen Parallelverfahren befand das Bezirksgericht Den Haag, dass die Rechtsfragen eine Auslegung der Biotechnologierichtlinie 98/44/EG erforderten, und verwies die Sache an den EuGH. Der EuGH legte in seinem Urteil Monsanto v. Cefetra C 428/08 vom 6. Juli 2010 den Art. 9 der Richtlinie dahin aus, dass er keinen patentrechtlichen Schutz für eine in Sojamehl enthaltene patentierte DNA-Sequenz gewährt, wo sie nicht die Funktion erfüllt, für die sie patentiert ist. Dies gilt unabhängig davon, dass sie diese Funktion zuvor in der Sojapflanze erfüllt hat, aus der das Mehl als Verarbeitungserzeugnis gewonnen wurde, und dass sie diese Funktion möglicherweise erneut erfüllen könnte, nachdem das Material aus dem Mehl isoliert und dann in die Zelle eines lebenden Organismus eingebracht worden ist. Die nachstehenden Zusammenfassungen geben Aufschluss über den Ausgang der Monsanto-Verfahren in Spanien, im vereinigten Königreich und in den Niederlanden, über die vor dem EuGH-Urteil entschieden wurde.
ES Spanien
Handelsgericht Madrid (Juzgado de lo Mercantil) vom 27. Juli 2007 (Verletzungsklage-Nr. 48/2006) - Monsanto Technology LLC v. Sesostris S.A.E
Schlagwort: Patentierbarkeit - Funktion der DNA-Sequenz
Monsanto Technology verklagte Sesostris wegen Verletzung ihres in Spanien validierten europäischen Patents EP 0 546 090 (ES 2 089 232). Die Klägerin brachte vor, dass die Beklagte ohne ihre Genehmigung Sojabohnenmehl aus Argentinien importiert habe, das die von der Klägerin patentierte DNA-Sequenz enthalten habe. Der als verletzt angesehene Anspruch 1 des Patents war auf eine isolierte DNA-Sequenz gerichtet, die für ein bestimmtes Enzym der Klasse II EPSPS kodiert.
Das Handelsgericht Madrid stellte fest, dass die Beklagte nicht die DNA-Sequenz importiert hat, sondern Sojamehl, das nicht Gegenstand des Patentanspruchs war. Die Beklagte hat somit nicht gegen Art. 50.1 a) spanisches PatG verstoßen. Um ermitteln zu können, ob das in einem Erzeugnis enthaltene biotechnologische Material eine Verletzung des Streitpatents darstellt, musste jedoch auch geprüft werden, ob das importierte Sojamehl die Bedingungen in Art. 50.4 spanisches PatG (auch Art. 9 der Biotechnologierichtlinie) erfüllt. Hier wies das Gericht darauf hin, dass für Patente im Bereich Biotechnologie dieselben Grundsätze gelten wie für Patente auf anderen Gebieten der Technik und es nicht Zweck der Richtlinie sei, den Schutzumfang von Biotechnologiepatenten zu erweitern. Ferner ist das Patentrecht, das ausschließliche Rechte gewährt und somit eine Ausnahme vom in Art. 38 der spanischen Verfassung verankerten Grundsatz des freien Handels darstellt, wie jede Ausnahme von allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen.
Abschließend stellte das Gericht fest, dass gemäß den Erwägungsgründen 23 und 24 der Richtlinie 98/44/EG bei biotechnologischen Erfindungen nicht die DNA-Sequenz maßgeblich ist, sondern ihre Funktion. Das Gericht führte weiter aus, dass nach Art. 50.4 spanisches PatG das Erzeugnis die genetische Information enthalten muss, die genetische Information in das neue Material eingegangen sein muss und dort ihre Funktion erfüllen muss. Insbesondere hätte nachgewiesen werden müssen, dass die in das neue Material eingegangene genetische Information ihre Funktion weiterhin erfüllt, um das Kriterium der gewerblichen Anwendbarkeit einzuhalten (Erwägungsgrund Nr. 24 der Richtlinie). Die Klägerin konnte jedoch nicht belegen, dass die genetische Information der Sequenz in dem von Sesostris importierten Sojabohnenmehl ihre Funktion erfüllt hat.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court vom 10. Oktober 2007 - Monsanto v. Cargill [2007] EWHC Civ 2257 (Pat)
Schlagwort: Begriff "isolierte DNA-Sequenz" - "unmittelbares Produkt des Verfahrens"
Die Klägerin brachte Cargill wegen angeblicher Verletzung des Patents EP (UK) 0 546 090 vor Gericht. Die Erfindung betraf in der Patentschrift als EPSPS bezeichnete Enzyme, die, wenn sie in einer Pflanze exprimiert wurden, diese gegen das Roundup-Herbizid resistent machten. Die Beklagte hatte in Argentinien Sojabohnen gekauft, die aus Saatgut mit dem Gen eines der im Patent offenbarten EPSPS-Enzyme (CP4R, bekannt als Roundup Ready) gezogen worden waren; das daraus hergestellte Sojamehl wurde von der Beklagten in das Vereinigte Königreich importiert. Alle Roundup-Ready-Sojabohnenpflanzen in Argentinien waren direkte Abkömmlinge der gemäß dem patentierten Verfahren veränderten Ursprungspflanze.
Cargill brachte vor, dass das Patent im Wesentlichen auf DNA-Sequenzen gerichtet sei und dass keine einzel- oder doppelsträngige DNA die Behandlung der Sojabohnen bei der Verarbeitung zu Mehl überstehe. Die DNA werde dabei zerstört, sodass das importierte Material keine Patentverletzung begründe. Zugleich stellte Cargill die Gültigkeit des Patents wegen Vorwegnahme, Naheliegens und unzureichender Offenbarung infrage, wobei die Entdeckung des CP4-Enzyms als Erfindung anerkannt wurde. Monsanto vertrat als Klägerin den Standpunkt, dass ihre bestehenden Ansprüche rechtsgültig sind und verletzt wurden, stellte jedoch einen unbedingten Antrag auf Änderung der Ansprüche des Streitpatents. Das Patent wurde als gültig angesehen, aber nicht verletzt. Dem Antrag auf Änderung wurde stattgegeben.
In Zusammenhang mit dem Verletzungsvorwurf ergaben sich Auslegungsfragen. So war insbesondere fraglich, ob das RuR-Gen im Mehl "isoliert" war (in einigen Ansprüchen war von einer "isolierten DNA-Sequenz" die Rede), was ein "EPSPS-Enzym der Klasse II" war und ob die RuR-Sequenz im Mehl für dieses Enzym codiert.
In diesem Kontext stellte sich ferner die Frage, ob das Mehl entsprechend dem Erfordernis in s. 60 (1) (c) Patents Act 1977 durch das Verfahren unmittelbar hergestellt wurde. Nach dem Gericht ist damit prima facie das "unmittelbare Produkt des Verfahrens" gemeint bzw. wenn das patentierte Verfahren eine Zwischenstufe bei der Herstellung eines Endprodukts ist, dieses Endprodukt, allerdings nur, wenn das Produkt aus der Zwischenstufe seine Identität behalte. Dies sei in den meisten Fällen nach Sachlage und Ausprägung zu beurteilen, aber nicht immer. Da alle Roundup-Ready-Sojabohnenpflanzen in Argentinien direkte Abkömmlinge der transformierten Ursprungspflanze seien, könnte man das Sojamehl als Endprodukt der ursprünglichen Transformation der Elternpflanze bezeichnen. Als unmittelbares Produkt dieser Transformation könne das Mehl aber kaum gelten, denn diese Bezeichnung sei der transformierten Ursprungspflanze vorbehalten. Monsantos Argumentation verwechsle den informatorischen Gehalt dessen, was zwischen den Generationen weitergegeben werde (die Genomsequenz von Roundup Ready) mit dem Produkt, nämlich bloßem Sojamehl ohne bestimmte intrinsische Eigenschaften aus einer der Pflanzengenerationen. Dieser Aspekt des Anspruchs ging daher ins Leere.
Eine weitere Frage war, ob das verarbeitete Mehl überhaupt noch irgendeine der beanspruchten DNA-Sequenzen enthielt. Das Gericht wies darauf hin, dass Monsantos Experimente zwar nicht unanfechtbar seien, Cargill aber keine konkreten Ergebnisse vorgelegt habe, die ausreichende Zweifel an den offenbar erzielten Ergebnissen aufkommen ließen. Deshalb stellte er als Tatsache fest, dass in dem Mehl etwas genomische DNA vorhanden ist, die das RuR-EPSPS-Gen enthält, und dass diese DNA ganz oder teilweise doppelsträngig ist. Im Weiteren befand das Gericht jedoch, dass die gefundene DNA nicht mit derjenigen aus den Ansprüchen übereinstimme, da diese auf eine isolierte DNA-Sequenz gerichtet seien. Das Wort "isoliert" habe exakt die Bedeutung, die der sachverständige Zeuge für Cargill ihm beigemessen habe, nämlich zu den von ihm genannten Zwecken "getrennt von anderen molekularen Spezies in Form eines gereinigten DNA-Fragments". Im Kontext der Patentschrift verstand das Gericht den Anspruch genau so. Es sei in dem Anspruch nicht von genomischer DNA die Rede, auf deren Gegenteil er abstelle, und nicht von der DNA der Nachkommenschaft einer oder mehrerer Pflanzen, die unter Verwendung eines Plasmids mit dieser DNA-Sequenz transformiert wurden. Der Verletzungsvorwurf hinsichtlich aller Ansprüche, in denen eine isolierte Gensequenz erforderlich sei, war somit nicht haltbar.
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te 's-Gravenhage) vom 19. März 2008 - Monsanto v. Cefetra
Schlagwort: Begriff "isolierte DNA-Sequenz"
Mit Bezug auf die Argumentation des englischen Patents Court befand das Bezirksgericht Den Haag, dass das Sojamehl die auf die "isolierte" DNA gerichteten Patentansprüche (Ansprüche 1 und 4 sowie abhängige Ansprüche 2, 3 und 5) nicht verletzte, weil die DNA nicht isoliert vorlag, sondern lediglich im Sojamehl enthalten war. Das Gericht konnte das Argument von Monsanto nicht akzeptieren, dass die DNA-Sequenz in die DNA der Sojapflanze aus der natürlichen Umgebung – dem bakteriellen Chromosom – eingebracht worden sei und das Mehl aus der Bohne daher als eine isolierte DNA-Sequenz zu betrachten sei. Ein Fachmann würde den Begriff "isolierte DNA" als DNA verstehen, die aus der Zelle oder dem Zellkern eines Organismus zur weiteren Bearbeitung in einer auf dem relevanten Gebiet üblichen Weise abgeleitet wurde. Monsanto gab keine Begründung dafür an, warum im vorliegenden Fall anzunehmen sei, dass der Fachmann diesen Begriff anders als in seiner üblichen Bedeutung auslegen würde.
Des Weiteren wies das Gericht die Auffassung zurück, dass das Sojamehl als unmittelbares Erzeugnis des patentierten Verfahrens zu betrachten sei, das in den Ansprüchen 14 und 17 bis 19 wie folgt beschrieben wird: "Verfahren zur Herstellung genetisch transformierter Pflanzen, die eine Resistenz gegenüber Glyphosat-Herbizid aufweisen". Es befand, dass die Sojapflanze und die Sojabohnen selbst tatsächlich unmittelbar aus dem patentierten Verfahren hervorgegangen sein könnten. Die Bohnen seien jedoch anschließend durch ein Pressverfahren in verschiedene Bestandteile mit einer neuen Identität aufgespalten und einer Reihe zusätzlicher Schritte unterzogen worden, die zur Herstellung von Sojamehl führten. Laut Gericht war dieses Verfahren zu weitreichend, als dass der Fachmann eine ummittelbare Verbindung zwischen dem Verfahren und dem Erzeugnis Sojamehl in Betracht ziehen würde.
7. Escitalopram (S-Enantiomer) (EP 0 347 066)
GB Vereinigtes Königreich
House of Lords vom 25. Februar 2009 - Generics (UK) Ltd v. H. Lundbeck A/S [2009] UKHL 12
Schlagwort: ausreichende Offenbarung - Erzeugnisansprüche - technischer Beitrag
Die Firma Lundbeck hatte das Racemat aus ihren früheren Patenten für das Antidepressivum Citalopram erfolgreich in seine zwei Enantiomere aufgespalten und herausgefunden, dass die antidepressive Wirkung einzig und allein auf dem (+)-Enantiomer beruhte. Auf der Grundlage des Verfahrens zum Isolieren dieses Enantiomers erlangte sie ein Patent für eine neue Abwandlung des früheren Arzneimittels, nämlich für Escitalopram, ein Isomer von Citalopram.
Das Patent umfasste einen Erzeugnisanspruch für das (+)-Enantiomer und einen Erzeugnisanspruch für ein pharmazeutisches Stoffgemisch mit Escitalopram als Wirkstoff. Generics griff das Patent vor den Vorinstanzen wegen mangelnder Neuheit, Naheliegens und unzureichender Offenbarung an und argumentierte, die Firma Lundbeck habe nur einen begrenzten technischen Beitrag zur Aufspaltung von Citalopram geleistet, weil sie lediglich ein einziges Verfahren zur Herstellung des (+)-Enantiomers vollständig offenbart habe. Daher seien die Ansprüche gemäß dem in T 409/01 aufgestellten Grundsatz ungültig, weil sie (obwohl als gewöhnliche Erzeugnisansprüche abgefasst) eigentlich Product-by-Process-Ansprüche seien, die auf das im Verfahren über die Diolvorstufe hergestellte Escitalopram hätten beschränkt werden müssen.
Der Court of Appeal erklärte das Patent für gültig. Vor dem House of Lords war nur noch ein Punkt strittig, nämlich die vom Court of Appeal und vom Patents Court unterschiedlich beurteilte Frage, ob der Anspruch auf das (+)-Enantiomer unzureichend offenbart war. Dementsprechend gingen die Lords davon aus, dass das Enantiomer ein neues Erzeugnis und die Gewinnung des Enantiomers nicht naheliegend war.
Kern des Verfahrens war die Unterscheidung zwischen Erzeugnisansprüchen und Verfahrensansprüchen, insbesondere bei der entsprechenden Prüfung auf ausreichende Offenbarung. Aus Sicht von Lord Mance lautete die grundlegende Frage, ob ein Patentanspruch, der auf ein Erzeugnis und nicht auf ein Verfahren gerichtet ist, dazu führen kann, dass das Patent gemäß s. 72 (1) c) Patents Act 1977 wegen unzureichender Offenbarung widerrufen wird, wenn die einzige erfinderische Tätigkeit in Zusammenhang mit dem Erzeugnis in seinem Herstellungsverfahren besteht und wenn in der Beschreibung und der Patentschrift nur dieses erfinderische Verfahren offenbart ist und Dritte überlegene Methoden gefunden haben, die nicht auf dieses Verfahren zurückgehen. Die Lords entschieden einstimmig, dass ein solches Patent nicht dem Widerruf ausgesetzt ist.
In der ersten Instanz hatte das Gericht die Ansprüche wegen unzureichender Offenbarung für ungültig erklärt; dabei hatte er sich auf den Grundsatz berufen, den Lord Hoffmann in dem vor dem House of Lords verhandelten Fall Biogen v. Medeva aufgestellt hatte, wonach der Erste, der einen Weg findet, ein offenkundig erstrebenswertes Ziel zu erreichen, kein Monopol auf alle anderen Wege zu diesem Ziel beanspruchen kann. Die erstinstanzliche Entscheidung wurde vom Court of Appeal mit der Begründung aufgehoben, die erste Instanz habe aus seiner Analyse des Biogen-Falls, in dem der Erzeugnisanspruch auf eine Klasse von DNA-Molekülen gerichtet war, die die Antigene des Hepatitis-B-Virus in einer Host-Zelle exprimierten, einen zu allgemeinen Grundsatz abgeleitet. Im Biogen-Fall hatte das House of Lords befunden, dass der Erzeugnisanspruch für eine Klasse von Molekülen nur nacharbeitbar ist, wenn ein Fachmann die Erfindung für alle Mitglieder dieser Klasse ausführen kann.
Im vorliegenden Fall bestätigte das House of Lords die Entscheidung des Court of Appeal einstimmig, schloss sich in seinen Stellungnahmen der Analyse des Court of Appeal an und wies das Rechtsmittel zurück. Im Biogen-Fall gehe es nicht um einen Anspruch für ein einzelnes Erzeugnis, sondern um einen Anspruch, der ebenso sehr ein Verfahrensanspruch wie ein Erzeugnisanspruch sei ("fast ein Process-by-Product-by-Process-Anspruch"). Es gelte zwischen der Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit einerseits und des technischen Beitrags andererseits zu unterscheiden. Bei der Prüfung der Gültigkeit eines einfachen Erzeugnisanspruchs könne es in die Irre führen, wenn man sich auf die Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit statt des technischen Beitrags konzentriere. "Erfinderische Tätigkeit" suggeriere, wie etwas getan worden sei, doch gehe es zumindest bei einem Erzeugnisanspruch in erster Linie darum, was angeblich erfunden worden sei, und nicht darum, wie dies geschehen sei. Wenn der Anspruch dagegen auf ein Verfahren gerichtet sei oder – wie im Fall Biogen – ein Verfahren umfasse, scheine die Frage im Vordergrund zu stehen, wie man zu der angeblichen Erfindung gelangt sei.
Das House of Lords wies die Behauptung zurück, dass der Beklagten - falls sich das Patent auf Escitalopram als Erzeugnis erstrecke - ein Ausschlussrecht zugesprochen würde, das über ihren technischen Beitrag zum Stand der Technik hinausgehe. Auch wenn kein gesetzlich verankertes Konzept dazu vorliege, hielt es Lord Neuberger of Abbotsbury für legitim, das Ausschlussrecht, das dem Patentinhaber gewährt werde, zumindest in der Regel nach dem "technischen Beitrag" der Lehre des Patents zu bemessen. Dieser Ansatz entspreche der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (siehe z. B. T 409/91, ABl. EPA 1994, 653, Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe). Der technische Beitrag der Beklagten habe in diesem Fall jedoch immerhin darin bestanden, ein zuvor nicht zugängliches Erzeugnis, nämlich das isolierte (+)-Enantiomer von Citalopram, zum ersten Mal zugänglich zu machen. Daraus ergebe sich, dass die Beklagte berechtigt sei, dieses Enantiomer zu beanspruchen. Die Beschwerdekammern des EPA hätten durchgängig so entschieden wie der Court of Appeal in diesem Fall (siehe auch z. B. T 595/90, ABl. EPA 1994, 695).
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te s-Gravenhage) vom 8. April 2009 - Tiefenbacher v. Lundbeck
Schlagwort: Neuheit - Offenbarung eines Racemats
In Bezug auf die Beurteilung der Neuheit eines Enantiomers im Gegensatz zu einem Racemat schloss sich das Bezirksgericht der ständigen Rechtsprechung des EPA an, wonach die Offenbarung eines Racemats nicht automatisch neuheitsschädlich für eines der Enantiomere ist. Dies wäre nur bei einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung eben dieser Verbindung in Form einer technischen Lehre der Fall (siehe T 1046/97). Die theoretische Möglichkeit, dass ein bekanntes Racemat in getrennte Enantiomere aufgespalten werden kann, ist für die Beurteilung der Neuheit unerheblich (siehe auch T 296/87, Nr. 6.5 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall war zwar die Strukturformel des (R) Enantiomers von Citalopram im Stand der Technik ("Smith") vorhanden, doch konnte aus der Veröffentlichung nicht abgeleitet werden, ob, und wenn ja, wie dieses Enantiomer, geschweige denn das (S) Enantiomer tatsächlich in individualisierter Form gewonnen wurde. Da nicht nachgewiesen wurde, dass Escitalopram tatsächlich vor dem Prioritätstag bereitgestellt war, erachtete das Gericht den Stoff als neu.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit befand das Gericht, dass alle Ansprüche des Patents von Lundbeck (und des niederländischen ergänzenden Schutzzertifikats, das darauf beruhte) wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit nichtig sind. Da der nächstliegende Stand der Technik ein Verfahren zur Herstellung von racemischem Escitalopram mithilfe eines Diols beschrieb, wäre es für den Fachmann naheliegend gewesen, dass das Durchführen einer SN2-Reaktion mit dem enantiomerischen Diol der einzig mögliche Herstellungsweg für Escitalopram war. Des Weiteren stimmte das Gericht mit Tiefenbacher überein, dass die FDA-Vorschriften einen starken Anreiz darstellten, um die Aktivität der einzelnen Enantiomere zu untersuchen und daher die Enantiomere aufzuspalten. Die Behauptung von Lundbeck, wonach die erfinderische Tätigkeit bei dem Escitalopram-Enantiomer in der Art und Weise seiner Gewinnung liege, weil es ungewöhnlich schwierig sei, Citalopram in die einzelnen Enantiomere aufzuspalten, wurde somit zurückgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts sei Escitalopram für den Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand zu gewinnen gewesen.
Das niederländische Gericht wich mit seinem Urteil aufgrund der von Tiefenbacher vorgetragenen, in das englische Verfahren nicht aufgenommenen Beweismittel explizit vom früheren Urteil des englischen Gerichts ab.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 10. September 2009 (Xa ZR 130/07) - Escitalopram
Schlagwort: Stoffschutz
Das europäische Streitpatent betraf ein Enantiomer und seine Herstellung. Die geschützte chemische Verbindung war mit dem internationalen Freinamen Citalopram bekannt und hatte sich als wirksames Antidepressivum erwiesen. Die gesamte Entwicklungsarbeit erfolgte nach Angaben in der Patentschrift mit dem Razemat, also mit einem Gemisch mit zwei gleichen Anteilen von Enantiomeren. In der Patentschrift wurde allerdings nicht ausdrücklich dargelegt, welches technische Problem dem Streitpatent zugrunde lag. Im Anschluss an die Darstellung wurde ausgeführt, es sei überraschenderweise gezeigt worden, dass es möglich sei, dass in den Patentansprüchen beschriebene razemische Gemisch in seine Enantiomere aufzutrennen und diese in stereoselektiver Art in die Enantiomere von Citalopram umzuwandeln.
Das BPatG, welches das Patent für nichtig erklärte, hatte die technische Aufgabe darin gesehen, die beiden Enantiomere von Citalopram in voneinander getrennter Form bereitzustellen. Es führte aus, die Enantiomertrennung sei für den Fachmann mit den am Prioritätstag kommerziell erhältlichen Materialien mit vertretbarem Aufwand möglich gewesen.
Dieser Beurteilung konnte sich der BGH nicht anschließen. Im Fall des Streitpatents stand der Fachmann vor dem Problem, einen Stoff bereitzustellen, der als Antidepressivum in Betracht kommt und im Vergleich zu Citalopram eine Alternative darstellt. Zwar gab es Argumente dafür, dass der Fachmann es für sinnvoll gehalten hätte, sich zur Lösung des Problems an der Gewinnung der Citalopram-Enantiomere zu versuchen. Diese Argumente waren aber nicht in dem Sinne zwingend, dass alle anderen Lösungswege von vornherein ausgeschlossen waren. Die Entscheidung zugunsten der Citalopram-Enantiomere war damit bereits ein Teil der Lösung. Steht der Fachmann vor dem Problem, einen Stoff bereitzustellen, der als Arzneimittel für bestimmte Anwendungsgebiete in Betracht kommt und im Vergleich zu auf diesem Gebiet bekannten Arzneimitteln eine Alternative darstellt, und kommen hierfür mehrere Stoffe oder Stoffgruppen in Betracht, ist die Entscheidung zugunsten eines bestimmten Stoffs bereits ein Teil der Lösung.
Einer Veröffentlichung, aus der sich ergibt, dass es von einer chemischen Verbindung Enantiomere geben muss, sind in der Regel die Enantiomere selbst nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, sofern die Veröffentlichung es dem Fachmann nicht ohne Weiteres ermöglicht, die Enantiomere in die Hand zu bekommen. Die Bereitstellung eines einzelnen Enantiomers einer bislang nur als Gemisch von Enantiomeren (Razemat) vorliegenden Verbindung kann auch dann auf erfinderischer Tätigkeit beruhen, wenn sich das Vorhandensein der Enantiomere in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Entscheidend ist, ob es am Prioritätstag einen für den Fachmann naheliegenden Weg gab, das Enantiomer in die Hand zu bekommen.
FR Frankreich
Bezirksgericht Paris vom 30. September 2010 (10/08089) - ratiopharm GmbH v. Lundbeck
Schlagwort: erfinderische Tätigkeit - ex-post-facto-Betrachtung
Das Gericht verneinte den Nichtigkeitseinwand der fehlenden Neuheit. Zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit stellte das Gericht ausdrücklich fest, dass der Fachmann in diesem Fall als Team zu definieren ist. Eine Betrachtung ex-post-facto muss vermieden werden. Den Nichtigkeitseinwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit hielt das Gericht letztlich für unbegründet. Schließlich wies das Gericht die Nichtigkeitsklage gegen das ergänzende Schutzzertifikat ab.
8. Oxycodon (EP 1 810 697; EP 0 722 730; EP 1 258 246)
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 1. April 2009 - Napp Pharmaceutical Holdings Ltd v. ratiopharm GmbH; und Napp Pharmaceutical Holdings Ltd v. Sandoz Ltd [2009] EWCA Civ 252
Schlagwort: Änderung der Patentansprüche - unzulässige Erweiterung
In dem Fall ging es um die Gültigkeit und die angebliche Verletzung von zwei Patenten (EP 0 722 730, EP 1 258 246), die Rezepturen für die kontrollierte Freisetzung von Oxycodon, einem Schmerzmittel, betrafen. Beide Patente waren aus Teilanmeldungen hervorgegangen. Der Richter am Patents Court hatte die Patente für gültig befunden, aber keine Verletzung festgestellt. Der Court of Appeal musste bei der Prüfung der Frage der Gültigkeit unter anderem ermitteln, ob die Patente nichtig sind, weil durch Änderungen im Rahmen der Einreichung von Teilanmeldungen der Gegenstand unzulässig erweitert wurde.
Der Court of Appeal verwies auf G 1/93 als grundlegende Entscheidung des EPA zu Art. 123 (2) EPÜ und merkte an, dass auch die Gerichte im Vereinigten Königreich die dort aufgestellten Grundsätze anwandten, die den vom Richter Aldous bereits in der Sache Bonzel v. Intervention (No 3) [1991] RPC 553 entwickelten entsprächen. Um zu prüfen, ob bei einer Änderung der Gegenstand erweitert wurde, sollte demnach wie folgt vorgegangen werden:
(1) Aus der Sicht des Fachmanns ist zu ermitteln, was in der Anmeldung explizit wie auch implizit offenbart ist.
(2) Für das Patent in der erteilten Fassung ist ebenso zu verfahren.
(3) Die beiden Offenbarungen sind zu vergleichen, und es ist zu entscheiden, ob durch Streichung oder Ergänzung ein erfindungsrelevanter Gegenstand hinzugefügt wurde. Es handelt sich insofern um einen strengen Vergleich, als ein Gegenstand als hinzugefügt gilt, wenn er nicht klar und eindeutig in der Anmeldung - explizit oder implizit - offenbart ist.
Dieser Ansatz wurde in jüngster Zeit in der Sache European Central Bank v. Document Security Systems [2007] EWHC 600 (Pat) vom 26. März 2007 weiterentwickelt (in dieser Sache auch vom Court of Appeal bestätigt):
(1) Als Erstes muss das Gericht sowohl die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung als auch die Patentschrift auslegen, um deren Offenbarung zu bestimmen. Hierfür sind die Patentansprüche Teil der Offenbarung, doch ist natürlich nicht alles, was in den Schutzumfang der Ansprüche fällt, zwangsläufig auch offenbart.
(2) Als Zweites muss das Gericht diese Prüfung aus der Sicht des Fachmanns durchführen. Dieser liest die Unterlagen vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachwissens.
(3) Als Drittes sind die beiden Offenbarungen zu vergleichen, um herauszufinden, ob ein erfindungsrelevanter Gegenstand hinzugefügt wurde. Es handelt sich um einen strengen Vergleich. Ein Gegenstand gilt als hinzugefügt, wenn er nicht klar und eindeutig in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart ist.
(4) Als Viertes ist zu prüfen, was explizit wie auch implizit offenbart wurde. Daher ist die Hinzufügung einer Bezugnahme auf etwas, was der Fachmann für selbstverständlich ansieht, ohne Belang. Hingegen darf der Patentinhaber keinen Gegenstand durch eine Änderung hinzufügen, der für den Fachmann aus der Anmeldung naheliegend gewesen wäre.
(5) Als Fünftes ist die Frage zu klären, ob ein erfindungsrelevanter Gegenstand hinzugefügt wurde. Wie in G 1/93 festgestellt, sind alle Umstände zu berücksichtigen, um zu bestimmen, ob ein den Schutzbereich einschränkendes, hinzugefügtes Merkmal gegen Art. 123 (2) EPÜ verstößt. Wenn das Merkmal einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leistet, würde es dem Patentinhaber zu einem ungerechtfertigten Vorteil verhelfen. Schließt das Merkmal hingegen lediglich den Schutz für einen Teil des Gegenstands der beanspruchten Erfindung gemäß der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung aus, so kann man vernünftigerweise nicht unterstellen, dass seine Hinzufügung dem Anmelder zu einem ungerechtfertigten Vorteil verhilft. Sie beeinträchtigt auch nicht die Interessen Dritter.
(6) Als Sechstes ist es wesentlich, eine Bewertung im Nachhinein zu vermeiden.
In der Sache Vector Corporation v. Glatt Air Techniques Inc [2007] EWCA Civ 805 hatte der Court of Appeal diesen Ansatz bestätigt und folgende Bemerkungen hinzugefügt:
(7) Bei der Prüfung einer Änderung eines erteilten Patents ist die Anmeldung - im Gegensatz zum erteilten Patent - mit der vorgeschlagenen Änderung zu vergleichen.
(8) Eine Sonderform einer Erweiterung des Gegenstands wird mit dem Fachbegriff "Zwischenverallgemeinerung" bezeichnet.
Nachdem das Gericht diesen allgemeinen Ansatz zum Thema unzulässige Erweiterung zusammengefasst hatte, widmete es sich einem spezifischeren Punkt, nämlich Änderungen in Form von "nicht offenbarten Disclaimern". Das Gericht stimmte dem Richter am Patents Court darin zu, dass Disclaimer von Gegenständen, die eine zufällige Vorwegnahme sind oder als Vorwegnahme betrachtet werden, nicht gegen die anwendbaren Bestimmungen verstoßen, weil sie keine erfindungsrelevanten Gegenstände hinzufügen. Wenn ein Disclaimer, der durch eine Teilanmeldung eingeführt wird, keinen erfindungsrelevanten Gegenstand hinzufügt, sondern lediglich Gegenstände vom Schutz ausschließt, wird er ebenfalls nicht gegen die Bestimmung verstoßen.
Aufgrund der Sachlage wurde entschieden, dass keine unzulässige Erweiterung vorliegt.
DE Deutschland
Landgericht Düsseldorf vom 30. März 2010 (4a O 13/10) - Mundipharma v. Sandoz
Schlagwort: Neuheit - erfinderische Tätigkeit
Im vorliegenden Fall betraf das Europäische Patent EP 1 810 679 eine kontrolliert freisetzende Oxycodonhydrochlorid-Dosierungsform. Dem Patent lag die Aufgabe zu Grunde, ein Verfahren zur wesentlichen Verbesserung der Wirksamkeit und Qualität der Schmerzbehandlung bereitzustellen. Das Patent wurde am 5.01.2007 von der Napp Pharmaceutical Holdings Ltd (Cambridge/Großbritannien) als Teilanmeldung zur europäischen Patentanmeldung EP 1 438 959 eingereicht, die auf die Stammanmeldung EP 0 576 643 zurückging. Im Rahmen eines Verletzungsverfahrens vor dem Landgericht Düsseldorf, stellte Mundipharma, ein Schwesterunternehmen von Napp, wegen Verletzung seines Patents durch generische Versionen von Oxycodon-Zusammensetzungen mit kontrollierter Freisetzung (Retardtabletten) von Sandoz einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Das Gericht war der Auffassung, dass die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre des Patents wortsinngemäß Gebrauch machten. Das Patent verstand den Begriff "kontrolliert freisetzend" entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen nicht allgemein als örtlich oder zeitlich gesteuerte Freisetzung des Wirkstoffs, sondern - in Abgrenzung zur "sofortigen Freisetzung" - als eine "verlängerte Freisetzung". Das hieß, die Wirkung des Oxycodonhydrochlorid solle im Vergleich zu sofort freisetzenden Formulierungen langsamer einsetzen und länger anhalten. Dies ergab sich aus der zur Auslegung des Patentanspruchs gemäß Art. 69 EPÜ heranzuziehenden Beschreibung. Auch wenn es sich bei den Beispielen nicht um erfindungsgemäße Ausführungsformen handele, ändere dies nichts daran, dass der Begriff der kontrollierten Freisetzung in der Patentschrift durchweg als verlängerte Freisetzung im vorgenannten Sinne verstanden werde.
Dem hielten die Antragsgegnerinnen ohne Erfolg den Hinweis in der Patentschrift entgegen, dass es auf pharmazeutischem Gebiet üblich sei, für einen mindestens zwölfstündigen therapeutischen Effekt einer kontrolliert freisetzenden Dosierungsform eine Formulierung zu bilden, die einen maximalen Plasmaspiegel des Wirkstoffs nach vier bis acht Stunden nach der Verabreichung erreiche, und überraschend gefunden worden sei, dass im Fall von Oxycodon ein maximaler Plasmaspiegel bereits nach zwei bis viereinhalb Stunden für einen zwölfstündigen therapeutischen Effekt sorge. Nach Ansicht des Gerichts gehe es dem Verfügungspatent nicht darum, den gegebenenfalls anderweitig üblichen Verzögerungseffekt von vier bis acht Stunden zu verkürzen, sondern überhaupt eine Dosierungsform mit dem Wirkstoff Oxycodonhydrochlorid und einer kontrollierten, etwas verlängerten, statt sofortigen Freisetzung bereitzustellen. Diese Auslegung decke sich weitgehend mit dem allgemeinen Verständnis des Fachmanns vom Begriff der kontrollierten Freisetzung.
Was die Nichtigkeitseinwände anging, sprach sich das Gericht für den Rechtsbestand des europäischen Patents aus. Es führte u. a. aus, das im Verfügungspatent genannte technische Problem sei durchaus zutreffend formuliert. Hingegen schien die von den Antragsgegnerinnen vertretene Ansicht, das technische Problem bestehe darin, eine möglichst einfache Retard-Formulierung mit äquivalenter kontrollierter Oxycodon-Freisetzung zu schaffen, verfehlt zu sein, weil sie einen Teil der technischen Lösung, nämlich die Wahl des richtigen Wirkstoffs, bereits in das technische Problem verlagerte. Ausgehend von dem oben genannten technischen Problem stellte das Gericht fest, die Lehre des streitigen Patentanspruchs sei nicht nahegelegt, weil für den Fachmann bereits kein Anlass bestand, Oxycodonhydrochlorid als Alternative zu den bekannten Wirkstoffen Morphin und Hydromorphon in einer kontrolliert freisetzenden Dosierungsform für die Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen einzusetzen.
Im Rahmen des Verfahrens verwies das deutsche Gericht auch noch auf die Rechtsprechung des englischen Court of Appeal und des niederländischen Rechtbank te 's-Gravenhage, die den Rechtsbestand paralleler Oxycodon-Patente bestätigt hatten.
NL Niederlande
Bezirksgericht Den Haag (Rb. te 's-Gravenhage) vom 7. April 2010 - Mundipharma v. Sandoz
Schlagwort: ausreichende Offenbarung - Disclaimer
Mundipharma ist Inhaber des niederländischen Teils des europäischen Patents EP 0 722 730, der Rezepturen für die kontrollierte Freisetzung von Oxycodon oder einem Salz davon zur Schmerztherapie bei Krebspatienten betrifft. Im Rahmen einer Teilanmeldung wurde ein Patent erteilt für "eine Dosierungsmatrix zur kontrollierten Freisetzung, bei der es sich nicht um eine Acrylharzmatrix handelt". In der Teilanmeldung wie auch in der Stammanmeldung wurde Acrylharz als die bevorzugte Ausführungsart genannt; in der Stammanmeldung wurde diese Ausführungsart auch beansprucht. Die Teilanmeldung wurde mit dem Disclaimer "bei der es sich nicht um eine Acrylharzmatrix handelt" ergänzt, um sie vom auf die Stammanmeldung erteilten Patent zu unterscheiden. Im anschließenden Patentverletzungsverfahren stellte das Bezirksgericht fest, dass das Patent gültig war und durch die spezifischen Matrizen der Firma Sandoz verletzt wurde. Dabei ging das Gericht ausführlich auf die Argumente des Beklagten ein, der Nichtigkeit u. a. wegen unzureichender Offenbarung und wegen des angeblich nicht offenbarten Disclaimers geltend gemacht hatte.
Zu der Behauptung von Sandoz, dass weder der Disclaimer noch der verbliebene beanspruchte Gegenstand eine direkte und eindeutige Grundlage in der Stammanmeldung habe, stellte das Gericht fest, dass die Stammanmeldung für den Durchschnittsfachmann hinreichend deutlich offenbare, dass sich die gewünschte Rezeptur mit verlängerter Freisetzung durch Verwendung einer Matrix mit kontrollierter Freisetzung erzielen lässt, in der als einziger Bestandteil oder als eine von mehreren Komponenten Acrylharz eingesetzt wird. Für den Durchschnittsfachmann sei eindeutig zu erkennen, welcher Gegenstand durch den Disclaimer vom Schutz ausgenommen und welcher somit noch durch den patentierten Anspruch geschützt sei. Ob die Aufnahme des Disclaimers in die letztendlich erteilte Fassung das Klarheitserfordernis (Art. 84 EPÜ) verletze, liege im Ermessen des EPA und könne bei der Beurteilung der Gültigkeit des Patents durch das nationale Gericht nicht mehr berücksichtigt werden. Entgegen dem Vorbringen von Sandoz könne das Gericht aus G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) nicht ableiten, dass die Große Beschwerdekammer Art. 84 EPÜ als Grundlage für die Nichtigerklärung eines Patents in nationalen Gerichtsverfahren hinzufügen wollte. Da es im vorliegenden Fall um die Gültigkeit des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung gehe und nicht um einen Antrag auf Änderung, könne Art. 84 EPÜ hier nicht angeführt werden.
Zu der Aussage von Sandoz, dass der Disclaimer die in G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) genannten Anforderungen an nicht offenbarte Disclaimer nicht erfülle, erklärte das Gericht, der Disclaimer umfasse Gegenstände, die zwar nicht wortwörtlich in der Stammanmeldung enthalten seien, vom Durchschnittsfachmann aber daraus abgeleitet werden könnten. Dies sehe das Gericht durch den Ansatz in G 1/03 bestätigt, wonach die Aufnahme eines Disclaimers nicht wegen Verletzung von Art. 123 (2) EPÜ verweigert werden darf, nur weil die Stammanmeldung weder den Disclaimer noch den dadurch ausgeschlossenen Gegenstand offenbart hatte. Letzteres bedeute, dass der später ausgeschlossene Gegenstand in der Stammanmeldung tatsächlich offenbart wurde, weil es sonst unsinnig wäre, zur Unterscheidung einen Disclaimer, also eine negative Formulierung, in die Teilanmeldung aufzunehmen. Im vorliegenden Fall sei der Disclaimer als offenbart anzusehen und könne daher nicht anhand der in G 1/03 dargelegten Anforderungen beurteilt werden.
Ferner hatte Sandoz geltend gemacht, dass der Disclaimer eine technische Bedeutung habe. Hierzu befand das Gericht, der Durchschnittsfachmann würde erkennen, dass der Disclaimer ausschließlich aus rechtlichen Gründen aufgenommen wurde, nämlich um im Hinblick auf die Stammanmeldung eine Doppelpatentierung zu vermeiden. Der Disclaimer schließe lediglich einen Teil der Erfindung aus, sodass eine enger umgrenzte Stoffauswahl für die Zusammensetzung einer Matrix zur kontrollierten Freisetzung übrig bleibe. Eine technische Bedeutung könne dem nicht beigemessen werden, da die technische Lehre des Patents dadurch nicht verändert worden sei.
Das Bezirksgericht erließ eine einstweilige Verfügung zugunsten von Mundipharma und setzte das Urteil im Hauptverfahren bis zur Entscheidung im anhängigen Einspruchsverfahren (T 1676/08) außer Kraft.
NO Norwegen
Borgarting Oberlandesgericht (Lagmannsrett) vom 20. Dezember 2010 - Mundipharma AS v. ratiopharm und Acino Pharma
Schlagwort: Neuheit - erfinderische Tätigkeit - Aufgabe-Lösungs-Ansatz
Mundipharma war Inhaberin von zwei norwegischen Patenten für Oxycodonsalzformulierungen mit kontrollierter Freisetzung (NO 307 028 und NO 318 890). In den Ansprüchen waren die Formulierungen weitgehend durch die Plasmawerte definiert, die sich über einen Zeitraum von 12 Stunden nach der Verabreichung erzielen ließen. ratiopharm und Acino hatten eine Nichtigkeitsklage und eine anschließende Verletzungsklage gegen die Patente erhoben und verschiedene Nichtigkeitsgründe genannt. Das Landgericht Oslo erklärte in seinem Urteil vom 15. Oktober 2009 beide Patente wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit für ungültig. Daraufhin legte Mundipharma Berufung vor dem Borgarting Oberlandesgericht ein, das das erstinstanzliche Urteil aufhob.
Bezüglich der Neuheit befand das Gericht, dass eine vorbekannte Oxycodonsalzformulierung mit kontrollierter Freisetzung die Erfindung nicht vorwegnahm. Weder offenbarten die Ansprüche Plasmawerte für diese bestimmte Formulierung, noch bestand eine zwingende Korrelation zwischen In-vitro- und In-vivo-Daten, die dem Fachmann eine Voraussage dazu ermöglicht hätte, ob sich mit der Formulierung über den Zeitraum von 12 Stunden dieselben Plasmawerte erzeugen ließen wie mit den patentgemäßen Formulierungen.
Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wandte das Gericht den Aufgabe-Lösungs-Ansatz an. Dabei wurde ein Dokument, das Probleme in Bezug auf Titration und Dosisvariation im Zusammenhang mit Morphin behandelte, als nächstliegender Stand der Technik herangezogen. Das Gericht befand, dass diese Probleme in den Streitpatenten durch die Wahl von Oxycodon glaubhaft gelöst wurden, die für den Fachmann (hier ein Team aus einem Kliniker, einem Pharmakologen und einem Galeniker) nicht naheliegend war. Der Stand der Technik enthielt aus Sicht des Gerichts keine klaren Anhaltspunkte für die Lösung, weil verschiedene Opioide zur Wahl standen und nicht vorauszusagen war, dass Oxycodon eine geringere Dosisvariation und eine einfachere Titration bewirken würde. Daher wurde entschieden, dass die Patente auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.
Zudem erklärte das Gericht das Prioritätsdatum für gültig und die Erfindung für ausreichend offenbart. Dass durch In-vivo-Tests ermittelt werden muss, ob eine Ausführungsart nicht mehr unter den Anspruch fällt, wurde als zumutbarer Aufwand erachtet.
Ein in einem der Patente enthaltener Disclaimer für bestimmte Formulierungsträger stellte keinen Nichtigkeitsgrund dar, weil der Disclaimer nicht als unzulässige Änderung galt. Nach Auffassung des Gerichts grenzte der Disclaimer lediglich den Schutzumfang gegenüber bereits in der Stammanmeldung beanspruchten Trägern ein.
Anmerkung des Herausgebers: Dieses Urteil wurde vor dem Obersten Gerichtshof angefochten, der die Klagen aber ohne Anhörung in der Sache abwies.
9. Okklusionsvorrichtung (EP 0 808 138)
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 22. Juni 2010 - Occlutech GmbH v. AGA Medical Corporation & Ors [2010] EWCA Civ 702
Schlagwort: Auslegung der Ansprüche - Schutzumfang - Relevanz von Art. 69 EPÜ
AGA Medical Corporation legte Berufung gegen eine Entscheidung des Patents Court ein, mit der festgestellt worden war, dass Occlutech das streitige Patent auf Intravaskulär-Okklusionsvorrichtungen zur Behandlung bestimmter Erkrankungen nicht verletze.
Der Streit um die angebliche Patentverletzung drehte sich fast ausschließlich um die Frage, was unter "Klemmen" und dem Festklemmen "der Litzen an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung" im Erzeugnisanspruch zu verstehen sei. Occlutech zufolge bedeutete dies, dass Schutz nur für eine Vorrichtung beansprucht wurde, an deren beiden Enden Klemmen zum Einsatz kamen, um die geflochtenen Metalllitzen zu fixieren und ein Auffasern zu verhindern. Ihre eigenen Erzeugnisse seien anders ausgestaltet, nämlich unter Verwendung einer Tasche aus Maschendraht, die nur an einem Ende abgeschnittene Litzen aufwies. Diese seien nicht mit einer externen Klemme fixiert, sondern vielmehr miteinander verschweißt. Die zu beantwortenden Fragen lauteten somit:
1. Waren die Occlutech-Vorrichtungen angesichts der Tatsache, dass die Enden der Metalllitzen durch Verschweißen fixiert waren, in dem im Streitpatent beschriebenen Sinne festgeklemmt?
2. Was bedeuteten die Worte "Klemmen (15) zum Festklemmen der Litzen an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung ausgeführt sind"? Waren die Occlutech-Vorrichtungen angesichts der Tatsache, dass die losen Enden der Metallfasern alle an einem Ende der Vorrichtung lagen (statt an beiden), auf die beschriebene Weise festgeklemmt?
Bei der Prüfung dieser Auslegungsfragen folgte der Court of Appeal den Grundsätzen, die davor im Urteil Virgin Atlantic Airways Ltd v. Premium Aircraft Interiors UK Ltd [2009] EWCA Civ 1062 zusammengefasst sind:
Die Aufgabe des Gerichts besteht darin, zu bestimmen, welche Bedeutung der Patentinhaber nach Einschätzung des Fachmanns dem Anspruch mit der gewählten Formulierung geben wollte. Die entsprechenden Grundsätze lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Der erste, übergeordnete Grundsatz ist Art. 69 EPÜ zu entnehmen.
- Laut Art. 69 EPÜ wird der Schutzbereich durch die Ansprüche bestimmt, zu deren Auslegung die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Kurz gesagt, sind die Ansprüche im Kontext auszulegen.
- Daraus folgt, dass die Ansprüche ihrem Zweck entsprechend auszulegen sind – wobei der vom Erfinder verfolgte Zweck anhand der Beschreibung und der Zeichnungen zu ermitteln ist.
- Daraus folgt weiter, dass die Ansprüche nicht isoliert auszulegen sind, wobei die Zeichnungen und die Beschreibung nur zur Behebung von Unklarheiten heranzuziehen wären. Der Zweck ist vielmehr für die Auslegung der Ansprüche grundlegend.
- Bei der Ermittlung des vom Erfinder verfolgten Zwecks darf nicht vergessen werden, dass er mehrere Ziele verfolgen kann, je nachdem, wie allgemein seine Erfindung gehalten ist. Zweck und Bedeutung sind außerdem zweierlei.
- Der Zweck ist somit nicht das Maß aller Dinge. Letzten Endes ist eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung des verwendeten Wortlauts unumgänglich.
- Hat der Patentinhaber in seine Ansprüche offensichtlich eine bewusste Einschränkung aufgenommen, muss dies somit eine Bedeutung haben. Bewusst aufgenommene Merkmale können nicht einfach außer Acht gelassen werden.
- Hat der Patentinhaber einen Begriff oder Passus verwendet, der ohne jeden Kontext eine besondere (enge oder weite) Bedeutung haben kann, so hat er in einem bestimmten Kontext nicht unbedingt diese Bedeutung.
- Daraus folgt außerdem, dass es keine generelle "Äquivalenzlehre" gibt.
- Auf der anderen Seite kann eine teleologische Auslegung ("purposive construction") zu dem Ergebnis führen, dass ein technisch trivialer oder geringfügiger Unterschied zwischen einem Anspruchsmerkmal und dem entsprechenden Merkmal des angeblichen Verletzungsgegenstands unter Berücksichtigung des Zwecks noch von der Bedeutung des betreffenden Anspruchsmerkmals miterfasst wird. Das liegt nicht an der Äquivalenzlehre, sondern ergibt sich aus einer Lesart des Anspruchs, die den Kontext angemessen berücksichtigt.
- Und schließlich hilft eine teleologische Auslegung die spitzfindigen Wortinterpretationen zu vermeiden, die Juristen aufgrund ihrer Ausbildung nur allzu gerne praktizieren.
Nach Auffassung des Gerichts stellten diese Leitlinien einen sinnvollen Kompromiss zwischen dem früher im Vereinigten Königreich üblichen Ansatz dar, bei dem der Wortsinn als allein maßgebend angesehen wurde, und dem Ansatz in einigen anderen Ländern, in denen auf das Wesen der Erfindung abgestellt wurde, um die Konsequenzen einer solchen buchstäblichen Auslegung zu vermeiden. Catnic Components ist ein frühes Beispiel für die teleologische Auslegung, und ein Großteil der Urteilsbegründung in Kirin-Amgen ist darin bereits in Ansätzen vorhanden. Letztere Entscheidung war jedoch insofern wichtig, als darin anerkannt wurde, dass der Zweck des Patents zwar sicherlich als kontextbezogene Auslegungshilfe dienen kann, jedoch nicht unbedingt für den Schutzbereich maßgeblich ist.
Der Court of Appeal wies darauf hin, dass die niederländischen und britischen Gerichte in der ersten Instanz zugunsten von Occlutech entschieden und festgestellt hätten, dass der Hinweis auf das Festklemmen der "Litzen an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung" Okklusionsvorrichtungen nicht abdecke, bei denen die Litzen an nur einem Ende der Vorrichtung festgeklemmt würden. In Deutschland hingegen sei die erstinstanzliche Entscheidung, wonach die Ansprüche nicht auf Vorrichtungen beschränkt seien, bei denen die Enden der Drahtlitzen an beiden Enden der Vorrichtung festgeklemmt seien, in der Berufung bestätigt worden – der Wortlaut sei dahingehend zu verstehen, dass er sich auf das Festklemmen der entgegengesetzten Enden der Litzen (und nicht auf das Festklemmen an entgegengesetzten Enden der Vorrichtung) beziehe, und die Verwendung von zwei Klemmen pro Vorrichtung sei weder als wesentliches Merkmal noch als Einschränkung des Schutzbereichs der Ansprüche anzusehen. Nach Auffassung des Court of Appeal wäre die deutsche Sichtweise dann zutreffend, wenn man unterstellte, dass alle Aspekte der Lehre in die Ansprüche Eingang finden sollten; dann müsste der Wortlaut dementsprechend ausgelegt werden. Die Begründung des deutschen Gerichts beruhe auf dieser Annahme. Die dritte Frage gemäß der Entscheidung Improver sei jedoch nicht gestellt worden: "Hätte der Fachmann dennoch aus dem Text des Anspruchs geschlossen, dass der Patentinhaber die buchstäbliche Übereinstimmung mit der primären Bedeutung als ein entscheidendes Erfordernis der Erfindung verstanden wissen wollte? Wenn ja, liegt die Variante außerhalb des Patentanspruchs." Die Möglichkeit, dass der Patentinhaber den Schutzbereich der Ansprüche gegenüber der Lehre bewusst eingeschränkt habe, sei gar nicht in Betracht gezogen worden.
Der Court of Appeal stellte fest, dass der Begriff "Klemme" vorliegend eine externe Vorrichtung nicht einschließe, die nach Abschluss des Formgebungsprozesses über die bereits verschweißten Enden angebracht und physisch mit diesen verbunden werde. Auch schließe Festklemmen weder Löten noch Schweißen ein. Nichts veranlasste den Fachmann zu einer anderen Lesart als derjenigen, die ihm die natürliche Bedeutung der Wörter vermittelte. Er würde die erwähnten Klemmen (Plural) als notwendiges Unterscheidungsmerkmal der Erfindung ansehen. Die Berufung wurde daher zurückgewiesen.
NL - Niederlande
Berufungsgericht Den Haag (Gerechtshof te 's-Gravenhage) vom 19. Oktober 2010 - AGA v. Occlutech
Schlagwort: Auslegung der Patentansprüche - Erteilungsakte
AGA war Inhaberin des europäischen Patents auf eine Okklusionsvorrichtung, die bei der Behandlung von strukturellen Herzerkrankungen einschließlich struktureller Herzfehler zum Einsatz kommen sollte. Die medizinische Vorrichtung von AGA umfasste ein Metallgewebe aus geflochtenen Metalllitzen, das durch Klemmen zum Festklemmen der Litzen an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung gekennzeichnet war. Die Patentinhaberin beantragte eine einstweilige Verfügung gegen Occlutech, die hantelförmige medizinische Vorrichtungen zum Verschließen von Herzscheidewanddefekten herstellte. Obwohl Occlutechs Vorrichtung nur eine einzige Klemme an einem Ende der Vorrichtung umfasste, machte AGA geltend, dass das betreffende Merkmal in den Schutzbereich ihres Patents falle und dieses mit äquivalenten Mitteln verletze. In der ersten Instanz hatte das Bezirksgericht Den Haag entschieden, dass dies nicht zutreffe.
Im Berufungsverfahren berief sich die Patentinhaberin auf drei Abschnitte der Beschreibung, die angeblich belegten, dass auch eine Vorrichtung mit nur einer Klemme beansprucht worden sei. Occlutech stützte sich für ihre Auslegung des Patents auf die Erteilungsakte und behauptete, dass eine Vorrichtung mit nur einer Klemme von den Ansprüchen nicht erfasst werde.
Nach Auffassung des Gerichts war das Festklemmen an entgegengesetzten Enden der Vorrichtung ein wesentliches Anspruchsmerkmal. Derartige wesentliche Merkmale dürften nicht zu weit ausgelegt werden, es sei denn, die Beschreibung und die Zeichnungen lieferten hierfür klare Hinweise. Um zu klären, was die Ansprüche dem Fachmann vermitteln sollten, ließ das Gericht den Inhalt der Erteilungsakte als Auslegungshilfe zu, obwohl diese nicht von der Patentinhaberin, sondern von der Beklagten in das Verfahren eingebracht worden war. Aus der Erteilungsakte ging hervor, dass gegen die ursprüngliche Anmeldung ein Einwand mangelnder Einheitlichkeit erhoben worden war, was AGA veranlasste, einige Ansprüche aufzugeben. Die Stellen in der Beschreibung, auf die sich die Patentinhaberin berief, bezogen sich auf einen solchen aufgegebenen Anspruch und hätten gestrichen werden müssen. Sie konnten somit im vorliegenden Fall nicht als Grundlage für eine weite Auslegung anderer Ansprüche dienen. Unter Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung entschied das Gericht daher, dass die Vorrichtungen von Occlutech das Patent nicht verletzten, und wies die Berufung zurück.
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 10. Mai 2011 (ZR 16/09) - Okklusionsvorrichtung
Schlagwort: Auslegung der Patentansprüche - Schutzumfang Art. 69 EPÜ
Die Klägerin war eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents (Klagepatents), das eine Intravaskulär-Okklusionsvorrichtung und ein Verfahren zu deren Herstellung betraf. Die kollabierbare mezinische Vorrichtung umfasste ein Metallgewebe aus geflochtenen Mitelllitzen (in der Verfahrenssprache: braided metal strands) sowie Klemmen zum Festklemmen der Litzen (clamps ... to clamp the strands), die an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung ausgeführt waren. Die Patentinhaberin reichte gegen die Beklagte wegen wortlautgemäßer, jedenfalls aber äquivalenter Verletzung des Klagepatents eine Klage ein.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte in der Berufungsinstanz festgestellt, die angegriffene Ausführungsform entspreche wortlautgemäß der technischen Lehre des Patentanspruchs. Es verwarf dabei das Vorbringen der Beklagten, dass die angegriffene Vorrichtung die Drähte nur an einem Ende der Vorrichtung zusammenführe. Aus der Sicht der Berufungsinstanz lehre zwar das Klagepatent bei philologischer Betrachtung mehrere Klemmen und schreibe darüber hinaus vor, mit diesen Klemmen die Litzen an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung festzuklemmen. Bei diesem rein sprachlichen Verständnis bleibe der Fachmann jedoch nicht stehen. Er sehe, dass die Klemmen dem Bündeln der Litzen dienten, und zwar unabhängig davon, ob die Litzen in gestrecktem Zustand belassen oder ihre Enden durch Umbiegen übereinander gelegt seien, denn dadurch hörten die beiden Litzenenden nicht auf zu existieren. Der Fachmann werde deshalb davon ausgehen, dass der Patentanspruch in seinem technischen Sinngehalt auch Ausführungen umfasse, bei denen beide Litzenenden übereinander gelegt und nur an einem Ende der Vorrichtung gebündelt seien.
Der BGH konnte diesen Ausführungen nicht folgen. Der Patentanspruch verlange zwar an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung angebrachte Klemmen; eine einzige, an einem Ende der Vorrichtung angebrachte Klemme entspreche jedoch diesem Erfordernis nicht. Zwar sage weder der Begriff "Klemmen" (clamps) noch der Begriff "Enden" (ends) für sich genommen etwas darüber aus, wie viele von ihnen vorhanden sein müssen; grundsätzlich sei auch eine Auslegung dahin denkbar, dass es sich um Gattungsbegriffe handele, wie dies das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend gesehen habe. Das Berufungsgericht habe aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass mit der Formulierung "at the opposed ends of the device" eine Festlegung dahin getroffen sei, dass Klemmen an den entgegengesetzten Enden der Vorrichtung angebracht werden sollen, und dass damit notwendigerweise zwei Klemmen vorhanden sein müssen, wie dies auch die englischen und niederländischen Gerichte gesehen hatten. Die entgegengesetzten Enden der Vorrichtung können daher nicht anders als wörtlich verstanden werden.
Zwar sei ein buchstäbliches Verständnis der Patentansprüche nicht zur Erfassung des geschützten Gegenstands geeignet, andererseits dürfe der Schutzgegenstand aber auch nicht durch Verallgemeinerung konkreter, im Anspruch angegebener Lösungsmittel erweitert werden. Insbesondere dürfe ein engerer Patentanspruch nicht nach Maßgabe einer weiter gefassten Beschreibung interpretiert werden. Der Patentanspruch habe vielmehr Vorrang gegenüber der Beschreibung. Was in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden habe, könne nicht unter den Schutz des Patents fallen. Die Beschreibung und die Zeichnungen seien zwar nach Art. 69 (1) Satz 2 EPÜ zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen, ihre Heranziehung dürfe aber weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen. Bei Widersprüchen zwischen Patentansprüchen und Beschreibung seien solche Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht in den Patentschutz einbezogen. Die Beschreibung dürfe somit nur insoweit berücksichtigt werden, als sie sich als Erläuterung des Gegenstands des Patentanspruchs lesen lasse. Offenbare die Beschreibung mehrere Möglichkeiten, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, sei jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden, begründe die Benutzung einer der übrigen Möglichkeiten regelmäßig keine Verletzung des Patents mit äquivalenten Mitteln.
Das Berufungsurteil wurde mithin aufgehoben.
VI. INSTITUTIONELLE FRAGEN
1. Gerichtscharakter der EPA-Beschwerdekammern
DE Deutschland
Verwaltungsgerichtshof München vom 20. November 2006 (5 BV 05.1586) - Zurückweisung verspäteten Vorbringens / Fernsehgerät
Schlagwort: institutionelle Fragen - Rechtsnatur der Beschwerdekammern
Vor dem Verwaltungsgerichtshof wandte sich der Kläger gegen die Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA, durch die ein zunächst erteiltes europäisches Patent widerrufen worden ist. Er machte geltend, dass die Entscheidung der Beschwerdekammer über die Zurückweisung seiner Hilfsanträge als verspätet unter Missachtung der vom Grundgesetz unabdingbar gebotenen Anforderungen an ein gerichtliches Verfahren ergangen sei und unter anderem das Gebot rechtlichen Gehörs verletze.
Das Gerichtstellte klar, dass für Klagen, die sich unmittelbar gegen Rechtsprechungsakte supranationaler Gerichte richteten, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht gegeben sei. Insbesondere handelt es sich bei den Entscheidungen der Beschwerdekammern um gerichtliche Entscheidungen, die außerhalb der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit liegen.
Zur Begründung, dass es sich bei den Entscheidungen der Beschwerdekammern um Akte der Rechtsprechung handelt, führte das Gericht an, das Beschwerdeverfahren sei nach Art. 106 ff. EPÜ gegen Entscheidungen der Einspruchsabteilung ein vom erstinstanzlichen Verfahren vollständig getrenntes, unabhängiges Verfahren mit der Aufgabe, ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer davon strikt zu trennenden früheren Entscheidung der erstinstanzlichen Stelle zu fällen. Das Beschwerdeverfahren ist rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet, wobei die allgemeinen Grundsätze für Gerichtsverfahren Anwendung finden. Das Verwaltungsgericht verweist dabei auf die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Beschwerdekammermitglieder, die ihrer Funktion grundsätzlich nicht enthoben werden können (Artikel 21 und 23 EPÜ). Sie dürfen ferner nicht denjenigen Organen des EPA angehören, die die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung erlassen haben. Die Mitglieder der Beschwerdekammern können schließlich von jedem Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe des Art. 24 (3) EPÜ insbesondere wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
Zwar sind die Beschwerdekammern Teil des EPA und treten unter dessen Briefkopf auf (vgl. Art. 15 f) und g) EPÜ). Sie sind jedoch von den übrigen erstinstanzlich tätigen Organen im Verfahren (Art. 15 a) bis e) EPÜ) nicht nur durch die geschilderten Verfahrensregelungen, sondern nach R. 10 EPÜ 1973 (R. 12 EPÜ) auch organisatorisch durch eine eigene Präsidialverfassung hinreichend abgetrennt: Als autonomes Organ innerhalb der die Beschwerdekammern umfassenden Organisationseinheit erlässt das Präsidium die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern und verteilt - in erweiterter Besetzung mit allen Vorsitzenden der Beschwerdekammern - vor Beginn eines jeden Geschäftsjahrs die Geschäfte in sachlicher und personeller Hinsicht. Dies sichert auch organisatorisch die Trennung exekutiver und judikativer Funktionen.
DE Deutschland
Bundesverfassungsgericht vom 27. April 2010(2 BvR 1848/07) - Automatische Holzschneidemaschine
Schlagwort: Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der EPA-Beschwerdekammern
Die Beschwerdeführerin, eine juristische Person des italienischen Privatrechts, erhielt vom EPA ein Patent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland. Den Einspruch eines italienischen Konkurrenzunternehmens gegen die Patenterteilung wies das EPA zurück. Gegen diese Entscheidung legte die Konkurrentin Beschwerde ein. Die Beschwerdekammer hob das Patent auf, wobei sie darauf hinwies, dass keine der Beteiligten einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt habe und die Kammer diese auch nicht für erforderlich erachte, zumal die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hätten. Vor dem Bundesverfassungsgericht wendete sich nun die Beschwerdeführerin gegen das verfahrensrechtliche Vorgehen der Beschwerdekammer; die Beschwerdeführerin sei in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör verletzt, da die Kammer ihr die Möglichkeit eröffnen hätte müssen, ihren Rechtsstandpunkt im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu erläutern. Die Beschwerdeführerin sah sich zudem in ihrem Grundrecht aus Art. 19 (4) GG dadurch verletzt, dass die Entscheidung der Beschwerdekammer nicht weiter anfechtbar sei.
Zunächst stellte das Gericht klar, dass die Entscheidung einer Beschwerdekammer einen Rechtsakt darstellt, der grundsätzlich mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann. Den Grundsatz der Angreifbarkeit supranationaler Hoheitsakte mit der Verfassungsbeschwerde, der zunächst in Bezug auf Sekundärrechtsakte der Organe der Europäischen Gemeinschaft aufgestellt wurde (Maastricht-Urteil), hatte das Gericht in der Folge unter Zugrundelegung eines funktionalen Verständnisses der öffentlichen Gewalt explizit auf Rechtsakte der Europäischen Patentorganisation erstreckt, da die Europäische Patentorganisation eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne von Art. 24 (1) GG darstelle. Es handele sich nämlich um eine ins Völkerrecht verselbständigte juristische Person, wobei dem EPA Hoheitsrechte zur Ausübung übertragen werden.
Weitere Voraussetzung ist aber auch, dass der konkret beanstandete Rechtsakt supranationaler Natur ist, d. h. auf die Rechtsstellung des Adressaten de iure unmittelbar einwirkt. Nur dann liegt ein Rechtsakt vor, der den Grundrechtsberechtigten in Deutschland im Sinne der Maastricht-Rechtsprechung „betrifft". Bei der angegriffenen Entscheidung der Beschwerdekammer handelt es sich tatsächlich um einen solchen Rechtsakt mit supranationaler Wirkung:
Mit der Erteilung des europäischen Patents war die Beschwerdeführerin Inhaberin eines gewerblichen Schutzrechts mit allen daran anknüpfenden rechtlichen Befugnissen und wirtschaftlichen Vorteilen (siehe Artikel 2 (2) und 64 (1) EPÜ). Infolge der Kammerentscheidung hatte die Beschwerdeführerin in der Bundesrepublik Deutschland kein dem deutschen Patent gleichstehendes Schutzrecht mehr inne. Dementsprechend erzeugte die angegriffene Beschwerdeentscheidung unmittelbar rechtliche Wirkungen in der deutschen Rechtsordnung. Allerdings genügte die vorliegende Verfassungsbeschwerde nicht den für Verfassungsbeschwerden gegen supranationale Hoheitsakte geltenden Begründungsanforderungen: nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Verfassungsbeschwerden gegen supranationale Rechtsakte von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass im Rahmen der in Rede stehenden Organisation der nach dem Grundgesetz als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell und offenkundig nicht mehr gewährleistet ist.
Vorliegend hatte die Beschwerdeführerin nur allgemein erklärt, es bestehe im Rahmen der Europäischen Patentorganisation kein angemessener verfahrensrechtlicher Grundrechtsstandard, da weder eine Rechtsschutzmöglichkeit vor dem Europäischen Gerichtshof bestehe, noch Bekenntnisse der Organe der Patentorganisation zum Grundrechtsschutz vorlägen. Nach Ansicht des Gerichts konnte dies für eine substantiierte Behauptung eines defizitären innerorganisatorischen Grundrechtsstandards nicht ausreichen. Vielmehr hätte die Beschwerdeführerin sich näher mit der zweifachen organisationsinternen Rechtsschutzmöglichkeit und den diesbezüglichen verfahrensrechtlichen Bestimmungen ebenso befassen müssen, wie mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern. Ohne eine solche Auseinandersetzung kann ein Grundrechtsschutzdefizit nicht substantiiert dargelegt werden; dies umso weniger, als das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach festgestellt hat, das vom EPÜ eingerichtete Rechtsschutzsystem mit seinen Beschwerdemöglichkeiten unter Berücksichtigung der Unabhängigkeit der Mitglieder der Beschwerdekammern und der Ausformung verfahrensrechtlicher Standards durch deren Rechtsprechung entspreche im Wesentlichen den Anforderungen des Grundgesetzes.
2. Auseinandersetzung mit Entscheidungen des EPA und der nationalen Gerichte
DE Deutschland
Bundesgerichtshof vom 15. April 2010 (Xa ZB 10/09) - Walzenformgebungsmaschine
Schlagwort: Berücksichtigung der EPA-Rechtsprechung - Verletzung des rechtlichen Gehörs
Mit der vor dem BGH eingelegten Rechtsbeschwerde rügte der Antragsgegner, das deutsche Patentgericht habe seinen Vortrag übergangen, wonach die Einspruchsabteilung des EPA bei inhaltsgleichem Vortrag die Patentansprüche des europäischen Patents, die mit bestimmten Schutzansprüchen des Streitgebrauchsmusters identisch seien, aufrechterhalten habe. Damit habe es den Anspruch des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Der BGH entschied, dass die deutschen Gerichte Entscheidungen, die durch die Instanzen des EPA oder durch Gerichte anderer Vertragsstaaten des EPÜ ergangen sind und eine im Wesentlichen gleiche Fragestellung betreffen, zu beachten und sich gegebenenfalls mit den Gründen auseinanderzusetzen haben, die bei der vorangegangenen Entscheidung zu einem abweichenden Ergebnis geführt haben. Dies gilt auch, soweit es um Rechtsfragen geht, beispielsweise um die Frage, ob der Stand der Technik den Gegenstand eines Schutzrechts nahegelegt hat. Nicht jede Verletzung dieser Pflicht verletzt jedoch den Anspruch der betroffenen Partei auf rechtliches Gehör.
Im vorliegenden Fall brauchte sich das Patentgericht unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Antragsgegners mit der Beurteilung durch die Einspruchsabteilung des EPA in den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht ausdrücklich auseinanderzusetzen, weil der Antragsgegner den Beschluss der Einspruchsabteilung nicht vorgelegt und nicht näher vorgetragen hatte, auf welche Erwägungen diese Entscheidung gestützt war.
Anmerkung des Herausgebers: Siehe Volltext der Entscheidung in den drei Amtssprachen des EPA, ABl. EPA 2010, 622. Zur Frage der Rechtsnatur der Entscheidungen der Beschwerdekammern nehmen beispielsweise die im vorliegenden Bericht aufgeführten folgenden Entscheidungen Stellung: Berufungsgericht Barcelona (Audiencia Provincial) vom 18. Oktober 2007 (ES); Bezirksgericht Paris vom 9. Januar 2008 (FR); Bezirksgericht Paris vom 28. September 2010 (FR); Court of Appeal vom 8. Oktober 2008 (GB); Beschwerdekammer des norwegischen Patentamts vom 7. Januar 2010 (NO); Patents Court vom 12. Oktober 2007 (GB).
3. Aussetzung des nationalen Patentverfahrens
DE Deutschland
Bundespatentgericht vom 20. Oktober 2006 (3 Ni 7/06 (EU)) - Torasemid
Schlagwort: parallele Verfahren - Einspruchsverfahren vor dem EPA - Nichtigkeitsklage - Zulässigkeit - Subsidiaritätsprinzip
Das europäische Streitpatent betraf eine "neue Kristallmodifikation N von Torasemid" und wurde auf Antrag der Patentinhaberin durch Beschluss des DPMA mit Wirkung für Deutschland beschränkt. Gegen das Streitpatent war beim EPA unter anderem von der Nichtigkeitsklägerin Einspruch erhoben worden. Das Einspruchsverfahren war noch vor der Einspruchsabteilung des EPA anhängig. Die Klägerin machte mit ihrer Nichtigkeitsklage geltend, der Schutzbereich des europäischen Patents sei in dem erfolgten (nationalen) Beschränkungsverfahren unzulässig erweitert worden. Sie hielt die Nichtigkeitsklage ungeachtet der Vorschrift des § 81 (2) PatG für zulässig, weil sie auf einen Nichtigkeitsgrund gestützt sei, der nicht zugleich einen Einspruchsgrund nach Art. 100 EPÜ bilde. Gemäß § 81 (2) PatG kann nämlich eine Nichtigkeitsklage nicht erhoben werden, solange die Einspruchsfrist läuft oder - wie hier - ein Einspruchsverfahren gegen das Streitpatent anhängig ist (Subsidiaritätsprinzip).
Das BPatG wies die Klage als unzulässig ab mit der Begründung, § 81 (2) PatG sei auch auf Nichtigkeitsklagen gegen europäische Patente anzuwenden, die auf den nicht zugleich einen Einspruchsgrund nach Art. 100 EPÜ bildenden Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs des angegriffenen Patents gestützt seien. Dies folge aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift, der eine Differenzierung nach Einspruchsverfahren vor dem DPMA und dem EPA nicht vorsehe, und finde Halt in der herrschenden Lehre. Der Ausschluss des Nichtigkeitsverfahrens bei dem noch anhängigen Einspruchsverfahren gelte ferner generell, ohne dass diese Vorschrift insoweit einen Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum eröffnet oder sonst Ausnahmen von dem dort normierten Subsidiaritätsprinzip vorsieht.
Entgegen der Ansicht der Klägerin solle mit der subsidiären Ausgestaltung des Nichtigkeitsverfahrens generell ausgeschlossen werden, dass eine Entscheidung über die vollständige oder teilweise Nichtigkeit eines Patents getroffen werde, obwohl noch gar nicht feststehe, ob und gegebenenfalls in welcher Fassung es im Einspruchsverfahren letztlich Bestand habe. Die Vorschrift des § 81 (2) PatG diene der Vermeidung paralleler Entscheidungen über den Rechtsbestand eines Patents, unabhängig davon, aus welchem Rechtsgrund dieses angegriffen werde, und gleichzeitig der Entlastung des BPatG von aufwendigen Nichtigkeitsverfahren. Sei das Einspruchsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, fehle in einem parallel anhängigen Nichtigkeitsverfahren die Grundlage für die Feststellung, ob und mit welchem Inhalt das Streitpatent aufrechterhalten bleibe. Die Durchführung eines Nichtigkeitsverfahrens in einer derartigen "Schwebesituation" solle mit der einschlägigen Regelung gerade verhindert werden.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 31. Januar 2008 - Glaxo v. Genentech und Biogen [2008] EWCA Civ 23
Schlagwort: parallele Verfahren – Einspruchsverfahren vor dem EPA – Aussetzung des Verfahrens
Die Beklagten Genentech und Biogen fochten einen Beschluss des Patentgerichts an, das die von ihnen beantragte Aussetzung des von der Klägerin Glaxo eingeleiteten Verfahrens zurückgewiesen hatte, das auf die Nichtigerklärung des Patents der Beklagten für eine zweite medizinische Indikation mit Wirkung für das Vereinigte Königreich gerichtet war. Glaxo hatte zunächst vor dem EPA Einspruch gegen die Patenterteilung eingelegt und anschließend im Vereinigten Königreich Nichtigkeitsklage eingereicht.
Zur Begründung machten die Beklagten geltend, dass es prima facie schikanös und ein Verfahrensmissbrauch sei, wenn ein Kläger gegen einen Beklagten wegen desselben Klagegrunds zwei Verfahren einleite, mit denen er dasselbe Ziel verfolge. Es müsse eine starke Vermutung dafür gelten, das vorliegende Verfahren bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem EPA auszusetzen.
Das Rechtsmittel wurde mit folgender Begründung zurückgewiesen:
Ausgangspunkt für die Erörterung der grundsätzlichen Befugnis der englischen Gerichte, Gerichtsverfahren auszusetzen, müssen die Gesetzesvorschriften sein, die diese Befugnis anerkennen und schützen, nämlich s. 49 (3) des Supreme Court Act 1981. Darin ist die grundsätzliche Befugnis eines Gerichts verankert, ein vor ihm anhängiges Verfahren entweder von Amts wegen oder auf Antrag auszusetzen, "wenn es dies für angezeigt hält". Dies ist das größtmögliche gerichtliche Ermessen.
Der Court of Appeal sollte in die Ausübung dieses sehr weiten Ermessens nicht eingreifen, es sei denn, es liegt ein grundsätzlicher Rechtsfehler vor oder die Entscheidung ist aus einem anderen Grund vollkommen falsch.
Die Vorgehensweise der Gerichte bei der Ausübung von gerichtlichem Ermessen ist einfach: Alle im betreffenden Fall für eine ausgewogene Entscheidung relevanten Umstände sind gegeneinander abzuwägen.
Die Struktur und die Vorschriften des EPÜ stecken den Kontext für die gerichtliche Befugnis ab, nationale Verfahren auszusetzen. Dies ist ein anderer Ausgangspunkt als im Falle einer Normenkollision im Wirtschaftsrecht, bei der davon ausgegangen wird, dass nur ein Gericht für die Entscheidung über die Streitfrage zuständig ist. Auf dieses Merkmal der "forum conveniens"-Fälle gründet eine allgemeine Vermutung bzw. Tendenz, eines der beiden Verfahren auszusetzen.
Die Geschäftswelt muss wissen, woran sie ist. Die Klägerin hat ein ernsthaftes wirtschaftliches Interesse an der Nichtigerklärung des Patents. Das Patentgericht hatte festgestellt, dass ihr ein wirklicher Schaden entstehen würde, wenn sich die Klärung der Frage der Gültigkeit des Patents hinauszögere.
Der Richter am Patents Court hat eine korrekte Bewertung der Faktoren vorgenommen, die für und gegen eine Aussetzung sprechen, und war befugt zu entscheiden, dass der Antrag der Beklagten auf Aussetzung des von der Klägerin eingeleiteten Nichtigkeitsverfahrens nach billiger Abwägung abzuweisen war.
Der Court of Appeal stellte außerdem allgemeine Richtlinien zum Ermessen des Patentgerichts auf, ein nationales Verfahren wegen paralleler Verfahren vor dem EPA auszusetzen:
- Dieses in der Tat sehr weite Ermessen sollte im Sinne einer gerechten Abwägung der Interessen der Parteien unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls ausgeübt werden.
- Dieses Ermessen steht dem Patentgericht und nicht dem Court of Appeal zu.
- Obwohl weder das EPÜ noch der Patents Act 1977 ausdrückliche Vorschriften zu einer Aussetzung des Verfahrens von Rechts wegen oder nach Ermessen enthalten, liefern sie den Kontext für die Ermessensausübung und bedingen diese.
- Die Möglichkeit von parallelen Verfahren, in denen die Gültigkeit eines europäischen Patents angefochten wird, ist dem EPÜ inhärent. Nationale Gerichte haben die ausschließliche Zuständigkeit für Verletzungsfragen und eine mit derjenigen des EPA konkurrierende Zuständigkeit für Gültigkeitsfragen.
- Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass ein Gesichtspunkt bei der Ermessensausübung in der Regel mehr wiegen wird als alle anderen, nämlich die Frage, wie lange es dauern wird, bis im jeweiligen Verfahren Rechtssicherheit hinsichtlich der Frage der Gültigkeit hergestellt wird, so dass die Geschäftswelt weiß, woran sie ist.
- Es gibt keinen Grund, weshalb das Patentgericht von der Vermutung ausgehen sollte, dass parallele Verfahren ohne Weiteres die Aussetzung eines Verfahrens vor dem Patentgericht rechtfertigen.
- Der Richter am Patents Court ist befugt, eine Aussetzung abzulehnen, wenn sich eine gewisse Rechtssicherheit in Geschäftsangelegenheiten wie hier vor dem englischen Gericht erheblich früher erreichen lässt als vor dem EPA.
- Dem Vorbringen einer gewerbetreibenden Partei, dass sie einen guten Grund hat, sich einer Aussetzung zu widersetzen, ist großes Gewicht beizumessen. Behaupten Wettbewerber, dass dies nicht notwendig sei, sind hingegen Zweifel angebracht.
- Andere Überlegungen können in die Abwägung einfließen, wiegen aber im Allgemeinen weniger als der Gesichtspunkt der schnelleren Herbeiführung von Rechtssicherheit in Geschäftsangelegenheiten. Bei seiner Ermessensausübung braucht der Richter in seiner Entscheidung nicht im Einzelnen auf alle von den Beteiligten aufgeworfenen Fragen einzugehen.
GB Vereinigtes Königreich
Court of Appeal vom 25. April 2007 - Unilin Beheer BV v. Berry Floor NV, Information Management Consultancy Ltd [2007] EWCA Civ 364
Schlagwort: Parallelverfahren - res judicata - "estoppel" - Schadensersatz bei Patentverletzung
Das europäische Patent der Firma Unilin, das einen Bodenbelag betraf, war auf der Grundlage einer Teilanmeldung nach Art. 76 EPÜ erteilt worden. Unilin verklagte Berry Floor wegen Patentverletzung im Vereinigten Königreich. In einem Parallelverfahren legte die Muttergesellschaft von Berry Floor im März 2003 beim EPA Einspruch gegen das Patent von Unilin ein. Im nationalen Patentverletzungsverfahren vor dem Patents Court stellte Judge Fysh die Gültigkeit und die Verletzung des britischen Teils des Patents durch Berry fest. Er erkannte Unilin eine finanzielle Entschädigung für die Verletzung zu, befand jedoch, dass keine res judicata in Bezug auf Schäden und entgangene Gewinne bestehe und dass Berry vom "estoppel" nicht daran gehindert werde, die betreffenden Ansprüche von Unilin anzufechten. Richter Fysh machte dennoch nicht von seinem Ermessensspielraum Gebrauch, das Verfahren aufgrund des beim EPA anhängigen Verfahrens auszusetzen. Gegen dieses Urteil legten beide Parteien Berufung ein.
Der Court of Appeal stimmte in der Frage des "estoppel" nicht mit der ersten Instanz überein. Lord Justice Jacob stellte fest, dass das Urteil in Bezug auf Schadensersatz res judicata sei und durchaus ein "estoppel" vorliege, und zwar ungeachtet des Ausgangs des Verfahrens vor dem EPA. Würde das EPA das Patent anschließend widerrufen, so würde mit ihm auch eine etwaige einstweilige Verfügung unwirksam; gleichwohl würde dies nicht das zuvor erworbene Recht des Patentinhabers auf Schadensersatz berühren. Würde das Patent widerrufen, wäre der Weg hierfür frei; würde es aufrechterhalten und läge eine Verletzung vor, bestünde Schadensersatzpflicht für vergangene Handlungen.
Der Court of Appeal befasste sich auch mit Fragen, die sich bei Überschneidungen von Verfahren zwischen nationalen Gerichten und dem EPA stellen. Lord Justice Jacob zufolge ginge es nicht um die Frage, ob in parallelen Verletzungsverfahren das nationale Gericht oder das EPA die "oberste Instanz" sein soll. Er war der Auffassung, dass dies von den jeweiligen Umständen abhänge, wie die nachstehenden Szenarien deutlich machten:
i) Während das Einspruchsverfahren zu einem Patent noch anhängig ist, stellt ein nationales Gericht seine Gültigkeit fest, und das EPA widerruft anschließend das Patent: Hier ist das EPA die "oberste Instanz".
ii) Das EPA stellt die Gültigkeit des Patents fest, und ein nationales Gericht erklärt es im Anschluss für nichtig (eine Entscheidung des EPA begründet keinen "estoppel" in Bezug auf die Gültigkeit eines Patents - siehe hierzu Buehler v. Chronos [1998] RPC 703): Hier ist das nationale Gericht die "oberste Instanz".
Zur Frage, wie sich der Widerruf eines europäischen Patents auf nationale Verletzungsverfahren (einschließlich der Anfechtung der Gültigkeit) auswirkt, verwies Lord Justice Jacob auf die frühere Rechtsprechung zum Grundsatz der res judicata und übertrug diese auf den britischen Teil europäischer Patente. Nach seiner Ansicht könne dem britischen Patentgesetz von 1977 keinerlei Hinweis entnommen werden, dass eine rechtskräftige und verbindliche Entscheidung der britischen Gerichte nur als vorläufig anzusehen sei. Auch das EPÜ lasse seiner Ansicht nach nicht den unsauberen Kompromiss zu, dass ein rechtskräftiges Urteil eines nationalen Gerichts über die Zurückweisung eines Angriffs auf die Gültigkeit eines Patents lediglich als vorläufig zu betrachten sei. Im Gegenteil: Der Kompromiss bestehe vielmehr darin, es zu ermöglichen, dass Patentinhaber Verletzungsklage erheben und Dritte nach der Patenterteilung ein nationales Patent vor einem nationalen Gericht anfechten könnten. Hätten die Vertragsparteien festlegen wollen, dass das Ergebnis, wenn es für den Patentinhaber von Vorteil ist, nur als vorläufig anzusehen sei, so wäre dies im EPÜ sicherlich deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Ferner wäre die Entscheidung sicherlich nicht vorläufig, wenn das Ergebnis in die andere Richtung ginge, d. h. das Patent durch ein nationales Gericht für nichtig erklärt würde; eine nachfolgende Entscheidung im Einspruchsverfahren vor dem EPA, mit der das Patent aufrechterhalten würde, würde es im betreffenden Vertragsstaat nicht wieder rechtswirksam werden lassen.