BERICHTE NATIONALER RICHTER
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FR France - Sophie DARBOIS - Conseiller am Berufungsgericht (Cour d'appel), Paris - Aktuelle Entwicklungen in Recht und Rechtsprechung auf europäischer und nationaler Ebene
Urteil des Berufungsgerichts von Paris vom 2. Juli 2010
Parteien : SA TREVES / SA RENAULT, SILAC, SIMOLDES PLASTICOS FRANCE
Sachverhalt
Die Gesellschaft Treves, die sich mit der Entwicklung und Herstellung sowie dem Vertrieb von insbesondere für die Automobilindustrie bestimmten Erzeugnissen befasst,
- reichte am 10. April 1995 eine französische Patentanmeldung ein, die am 11. Oktober 1996 veröffentlicht wurde. Das Patent mit der Bezeichnung "Vorrichtung zum Einbau der hinteren Ablage eines Kraftfahrzeugs" wurde am 20. Juni 1997 erteilt.
- meldete am 5. April 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der französischen Anmeldung ein europäisches Patent für dieselbe Erfindung mit Benennung Frankreichs an. Das Patent wurde am 29. Dezember 1999 erteilt.
Die Gesellschaft Treves entrichtete weder die erste Jahresgebühr für den französischen Teil des europäischen Patents, die am 30. April 2000 in Frankreich fällig wurde, noch diese Gebühr nebst Zuschlagsgebühr. Das französische Patentamt INPI stellte daher mit Entscheidung vom 31. Dezember 2001 das Erlöschen des französischen Teils des europäischen Patents fest. Diese Entscheidung wurde nicht angefochten.
Nachdem die Gesellschaft Treves entdeckt hatte, dass die Gesellschaften Silac und Simoldes Ablagen und deren Stützen für den Renault Clio lieferten, die ihrer Ansicht nach den Ansprüchen ihres französischen Patents entsprachen, verklagte sie diese wegen Verletzung ihres französischen Patents.
Aufgeworfene Fragen
1) Konnte das französische Patent seine Wirkungen weiterhin entfalten, obwohl das europäische Patent mit Benennung Frankreichs an seine Stelle getreten war und der französische Teil dieses Patents wegen Nichtzahlung der Jahresgebühr erloschen war?
2) An welchem Tag ist besagter Rechtsverlust eingetreten?
Vorbringen der Parteien
Die Gesellschaft Treves machte geltend, der Verlust ihrer Rechte aus dem französischen Teil des europäischen Patents sei am 30. April 2000 eingetreten (und nicht am Tag des Erlasses der Entscheidung des INPI), d. h. vor Ablauf der am 29. September 2000 endenden Einspruchsfrist. Am 29. September 2000, dem Tag, an dem das europäische Patent an die Stelle des französischen Patents getreten wäre, habe der französische Teil des europäischen Patents daher mangels Zahlung der Jahresgebühr bereits aufgehört zu existieren, so dass das französische Patent, für das die Jahresgebühr entrichtet worden sei, in Kraft geblieben sei.
Nach Auffassung der beklagten Gesellschaften endeten die Wirkungen des französischen Patents am 29. September 2000, und an diesem Datum sei der französische Teil des europäischen Patents noch in Kraft gewesen, da die Entscheidung des INPI erst am 31. Dezember erlassen worden sei. Die Gesellschaft Treves könne sich daher für ihre Verletzungsklage nicht mehr auf ihr französisches Patent berufen.
Urteilsbegründung des Berufungsgerichts
Das Berufungsgericht stellte Folgendes fest:
1) Im französischen Gesetz über geistiges Eigentum heißt es, dass ein Fälligkeitsdatum für die Zahlung der Jahresgebühren festgesetzt wird, die aber innerhalb einer Frist von 6 Monaten gegen Zahlung eines Zuschlags noch nachentrichtet werden können. Das INPI muss somit den Ablauf dieser Nachfrist abwarten, bevor es feststellt, dass die Jahresgebühr nicht entrichtet worden ist. Vor diesem Datum kann keine Entscheidung, mit welcher das Erlöschen des Patents festgestellt wird, erlassen werden.
2) Die Gesellschaft Treves konnte die Jahresgebühr bis zum 30. Oktober 2000 entrichten, d.h. bis zu einem nach dem Ende der Einspruchsfrist für das europäische Patent liegenden Datum. Da die Einspruchsfrist am 29. September 2000 abgelaufen war, war das europäische Patent an diesem Tag unwiderruflich an die Stelle des französischen Patents getreten, dessen Wirkungen somit am 29. September 2000 endeten.
3) Der Verlust der Rechte aus dem französischen Teil eines europäischen Patents mangels Zahlung einer Jahresgebühr muss durch Entscheidung festgestellt werden und tritt nicht von Rechts wegen ein. Die Entscheidung wird mit Ablauf der für die Gebührenzahlung vorgesehenen Frist wirksam, d. h. vorliegend am 30. April 2000.
4) In Artikel L 614-13 des Gesetzes über geistiges Eigentum wird nicht ausdrücklich auf das Erlöschen eines Patents abgestellt. Das Berufungsgericht bezieht sich jedoch auf Artikel 50 des Luxemburger Übereinkommens vom 15. Dezember 1989, wonach ein Gemeinschaftspatent erlischt, wenn eine Jahresgebühr und gegebenenfalls die Zuschlagsgebühr nicht rechtzeitig entrichtet werden, und das Erlöschen des Gemeinschaftspatents wegen nicht rechtzeitiger Entrichtung einer Jahresgebühr und gegebenenfalls der Zuschlagsgebühr als am Fälligkeitstag der Jahresgebühr eingetreten gilt.
5) Da das europäische Patent am 29. September 2000, d. h. vor der Feststellung des Erlöschens des französischen Teils des europäischen Patents an die Stelle des französischen Patents getreten war, kann die Gesellschaft Treves sich somit nicht auf ihre Rechte aus dem französischen Patent berufen.