AUS DEN VERTRAGS- / ERSTRECKUNGSSTAATEN
DE Deutschland
Beschluß des Bundespatentgerichts vom 6. Mai 2003
(21 W (pat) 12/02)1
Stichwort: "Rentabilität eines medizinischen Geräts"
§ 1 Absatz 2 Nr. 3 PatG
Schlagwort: "Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten - Nutzung einer Datenverarbeitungsanlage - technischer Charakter der Erfindung"
Leitsätze:
I. Ein Verfahren zum Ermitteln der Rentabilität eines medizintechnischen Geräts, bei dem aus Einsatzdaten des Geräts, der Vergütung des Betreibers und kalkulatorischen Kosten die Rentabilität ermittelt wird, bei dem weder technische Einrichtungen überwacht oder Meßgrößen ausgearbeitet werden, noch regelnd oder steuernd eingewirkt wird, sondern ausschließlich betriebswirtschaftliche Abläufe nachvollzogen werden, erschöpft sich in einer Regel für geschäftliche Tätigkeiten und ist nach Artikel 1 Absatz 2 Nr. 3 PatG vom Patentschutz ausgeschlossen.
II. Die Ermittlung von betriebswirtschaftlichen Daten automatisch vorzunehmen, kann zwar für sich genommen technisch sein, aber für die Lehre des hier beanspruchten Verfahrens stellt dies lediglich eine beiläufige, das im Vordergrund stehende betriebswirtschaftliche Verfahren weiter ausgestaltende Maßnahme dar, was in gleicher Weise auch für die vorliegend lediglich bestimmungsgemäße Nutzung einer Datenverarbeitungsanlage zur automatischen Ermittlung der Rentabilität zutrifft.
III. Eine konkrete Vorrichtung im Sinne einer physikalischen Entität, die für einen bestimmten Zweck hergestellt wird, ist per se technisch, so daß einer Vorrichtung, die in bestimmter, näher definierter Weise eingerichtet ist, der technische Charakter ohne weiteres zukommt.
Gründe:
I. Die Patentanmeldung wurde am 25. Juli 2001 unter der Bezeichnung "Verfahren zum Ermitteln einer Rentabilität eines medizintechnischen Gerätes" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 B hat mit Beschluß vom 5. Februar 2002 die Anmeldung zurückgewiesen, weil das ... beanspruchte Verfahren seinem Wesen nach nichttechnisch sei. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Die Anmelderin verfolgt ihr Patentbegehren gemäß einem Hauptantrag und einem Hilfsantrag weiter.
Dem Anmeldungsgegenstand nach Hauptantrag liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren anzugeben, mit dessen Hilfe in automatischer Weise ermittelt wird, ob die Anschaffung oder ein Ersatz eines medizintechnischen Gerätes wirtschaftlich rentabel ist. Eine weitere Aufgabe der Erfindung ist es, ein System derart auszuführen, daß mit ihm in automatisierter Weise ermittelt werden kann, ob die Anschaffung oder ein Ersatz eines medizintechnischen Gerätes wirtschaftlich rentabel ist. ...
Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Verfahren zum Ermitteln, ob für einen Betreiber (2) wenigstens eines ersten medizintechnischen Gerätes (1 a-1 c) eine Anschaffung eines weiteren medizintechnischen Gerätes oder ein Ersatz für das erste medizintechnische Gerät (1 a-1 c) wirtschaftlich rentabel ist, aufweisend folgende Verfahrensschritte:
- Automatisches Ermitteln von einen Einsatz des ersten medizintechnischen Gerätes (1 a-1 c) beschreibenden ersten Daten (30) während des Einsatzes durch das erste medizintechnische Gerät (1 a-1 c),
- automatisches Übertragen der ersten Daten (30) an eine zentrale Datenbank (10),
- Ermitteln von zweiten Daten (31), die eine Vergütung des Betreibers (2) aufgrund des Einsatzes des ersten medizintechnischen Gerätes (1 a-1 c) beschreiben,
- Ermitteln von dritten Daten (34), die kalkulatorische Kosten des Betreibers (2) umfassen,
- basierend auf den ersten (30), zweiten (31) und dritten (34) Daten, Ermitteln einer Rentabilität (38) des ersten medizintechnischen Gerätes durch eine der zentralen Datenbank (10) zugeordnete Auswerteeinrichtung (12), und
- basierend auf den ersten (30), zweiten (31) und dritten (34) Daten und der Rentabilität (38) des ersten medizintechnischen Gerätes (1 a-1 c), Ermitteln einer potentiellen Rentabilität des weiteren medizintechnischen Gerätes bzw. des Ersatzes des ersten medizintechnischen Gerätes durch eine der zentralen Datenbank (10) zugeordnete Auswerteeinrichtung (12)."
Der nebengeordnete Patentanspruch 9 entspricht dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag (s. u.) mit dem Unterschied, daß es beim Hauptantrag "System" statt "Vorrichtung" heißt.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet:
"Vorrichtung zum Ermitteln, ob für einen Betreiber (2) wenigstens eines ersten medizintechnischen Gerätes (1 a-1 c) eine Anschaffung eines weiteren medizintechnischen Gerätes oder ein Ersatz für das erste medizintechnische Gerät (1 a-1 c) wirtschaftlich rentabel ist, aufweisend
- eine zentrale Datenbank (10), die an ein Kommunikationsnetz anschließbar ist,
das erste medizintechnische Gerät (1 a-1 c), das derart ausgeführt ist, daß es automatisch seinen Einsatz beschreibende erste Daten (30) ermittelt und über das Kommunikationsnetz an die zentrale Datenbank (10) übermittelt, und
- eine der zentralen Datenbank (10) zugeordnete Auswerteeinrichtung (12), die derart ausgeführt ist, daß sie, basierend auf den ersten Daten (30), in der zentralen Datenbank (10) gespeicherten zweiten Daten (31), die eine Vergütung des Betreibers (2) aufgrund des Einsatzens des ersten medizintechnischen Gerätes (1 a-1 c) beschreiben, und in der Datenbank (10) gespeicherten dritten Daten (34), die kalkulatorische Kosten des Betreibers (2) umfassen, eine Rentabilität (38) des ersten medizintechnischen Gerätes ermittelt und basierend auf den ersten (30), zweiten (31) und dritten (34) Daten und der Rentabilität (38) des ersten medizintechnischen Gerätes (1 a-1 c) eine potentielle Rentabilität des weiteren medizintechnischen Gerätes bzw. des Ersatzes des ersten medizintechnischen Gerätes ermittelt."
...
II. Die Beschwerde der Anmelderin ist zulässig. Sie ist nicht begründet, soweit sie sich auf den im Rahmen des Hauptantrags geltenden Patentanspruch 1 bezieht, da dessen Gegenstand nicht die erforderliche Technizität aufweist. Die Beschwerde ist jedoch begründet, soweit sie sich auf den im Beschwerdeverfahren im Rahmen des Hilfsantrags vorgelegten Patentanspruch 1 bezieht, denn dieses Patentbegehren hat eine neue Sachlage ergeben, gegenüber der einerseits die den angefochtenen Beschluß tragenden Gründe nicht mehr durchgreifen und die andererseits vom Patentamt noch nicht abschließend geprüft werden konnte (PatG § 79 Abs. 3, Satz 1 Nr. 1, 3).
A) Hauptantrag
Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist in den ursprünglichen Unterlagen offenbart ... . Es mangelt ihm jedoch an der erforderlichen Technizität.
Gemäß PatG § 1 Absatz 1 werden Patente für Erfindungen erteilt, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Der im Gesetz nicht weiter bestimmte Begriff der Erfindung wird in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dahin verstanden, daß es sich um eine Lehre auf dem Gebiet der Technik handeln müsse (BGH GRUR 2000, 498 - "Logikverifikation", II 4 d) m. w. N.).
Die erforderliche Technizität erachtet der BGH in seiner Rechtsprechung u. a. für gegeben, wenn die prägenden Anweisungen einer beanspruchten Lehre der Lösung eines konkreten technischen Problems dienen (BGH GRUR 2002, 144, 145 - "Suche fehlerhafter Zeichenketten"). Unter dieser Voraussetzung ist eine beanspruchte Lehre auch dann dem Patentschutz zugänglich, wenn sie als Computerprogramm oder in einer sonstigen Erscheinungsform geschützt werden soll, die eine Datenverarbeitungsanlage nutzt. Für die Beurteilung der Technizität nach § 1 PatG ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund steht (BGH GRUR 2000, 498 - "Logikverifikation", II 4 d) m. w. N.).
Der Patentanspruch 1 betrifft ein Verfahren zum Ermitteln, ob für einen Betreiber wenigstens eines ersten medizintechnischen Gerätes eine Anschaffung eines weiteren medizinischen Gerätes oder ein Ersatz für das erste medizintechnische Gerät wirtschaftlich rentabel ist. Im Vordergrund steht bei der Lehre des Verfahrens nach Patentanspruch 1, aus den Daten über den Einsatz des ersten medizintechnischen Gerätes, über die mit dem Einsatz erzielte Vergütung und über die kalkulatorischen Fixkosten in betriebswirtschaftlicher Weise die Rentabilität des ersten medizintechnischen Gerätes zu ermitteln und davon abgeleitet die Ersatzbeschaffung oder Zusatzbeschaffung eines weiteren medizintechnischen Gerätes zu bestimmen.
Damit erschöpft sich die Lehre des Patentanspruchs 1 in einer rein gedanklichen Regel für geschäftliche Tätigkeiten, nämlich in einer Vorschrift zur Aufbereitung betriebswirtschaftlicher Faktoren. Das gegenständliche erste medizintechnische Gerät wird hierbei durch das anmeldungsgemäße Verfahren weder weitergebildet noch in irgend einer Weise gesteuert oder geregelt, sondern die Angabe dieses Merkmals schränkt das ansonsten ganz allgemein gültige betriebswirtschaftliche Verfahren nunmehr auf einen konkreten Fall ein, ohne der betriebswirtschaftlichen Lehre damit einen technischen Charakter zu geben. Daß die Ermittlung der verschiedenen Daten und der Rentabilität dabei automatisch erfolgt, gibt der Gesamtbetrachtung dieser Lehre auch keinen technischen Charakter. Die Ermittlung von Daten automatisch vorzunehmen, kann zwar für sich genommen technisch sein, aber für die Lehre des Verfahrens nach Anspruch 1 stellt dies lediglich eine beiläufige, das im Vordergrund stehende betriebswirtschaftliche Verfahren weiter ausgestaltende Maßnahme dar, was in gleicher Weise auch für die lediglich bestimmungsgemäße Nutzung einer Datenverarbeitungsanlage zur automatischen Ermittlung der Rentabilität bzw. der abgeleiteten potentiellen Rentabilität zutrifft.
...
Dem Verfahren nach Patentanspruch 1 fehlt es mithin an der notwendigen Technizität. Der Patentanspruch 1 ist daher nicht gewährbar. Mit ihm fallen auch die übrigen Patentansprüche 2 bis 9, da nur über die Anmeldung im Ganzen entschieden werden kann.
B) Hilfsantrag
Der geltende Patentanspruch 1 ist in den ursprünglichen Unterlagen ... offenbart und damit zulässig. Dieser Patentanspruch 1 ist auf eine Vorrichtung zum Ermitteln, ob für einen Betreiber wenigstens eines ersten medizintechnischen Gerätes eine Anschaffung eines weiteren medizintechnischen Gerätes oder ein Ersatz für das erste medizintechnische Gerät wirtschaftlich rentabel ist, gerichtet.
Hierbei handelt es sich um einen technischen Gegenstand, da eine konkrete Vorrichtung im Sinne einer physikalischen Entität, die für einen bestimmten Zweck hergestellt wird, per se technisch ist. Einer Vorrichtung, die in bestimmter, näher definierter Weise eingerichtet und nicht auf ein Verfahren oder ein Programm gerichtet ist, kommt der erforderliche technische Charakter ohne weiteres zu (BGH BIPMZ 2000, 276 - "Sprachanalyseeinrichtung", II 1 bb; EPA GRUR Int. 2002, 87 - Steuerung eines Pensionssystems/PBS PARTNERSHIP2).
Dem steht auch nicht entgegen, daß auf der Vorrichtung die Bearbeitung nichttechnischer Vorgänge vorgenommen wird, wie z. B. die Bearbeitung von Texten oder die Ausführung bzw. Unterstützung einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Auch der Spezialfall, wonach dann, wenn der Vorrichtungsanspruch auf die Ausführung von Verfahrensansprüchen rückbezogen ist, zunächst eine Bewertung der Kategorie des diesbezüglichen Anspruchs vorgenommen werden muß, liegt nicht vor (vgl. BGH GRUR 2002, 145 - "Suche fehlerhafter Zeichenketten"). Die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 ist durch ihre technischen Merkmale, wie das medizintechnische Gerät, die Übertragungseinrichtungen und die Datenverarbeitungsanlage charakterisiert. Die betriebswirtschaftlichen Aspekte fügen lediglich weitere Eigenschaften hinzu, ohne daß die konkrete technische Vorrichtung dadurch ihre Technizität verliert. Dem widerspricht auch nicht, daß einem entsprechenden Verfahren, wie dargelegt, die Technizität fehlt, denn nach PatG § 1 Absatz 2 Satz 3 sind Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten ausdrücklich nicht als Erfindungen im Sinne des PatG § 1 anzusehen.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 weist mithin die erforderliche Technizität auf.
Da die bisherige Prüfung der Anmeldung nur auf die Frage der Technizität gerichtet war ... und nicht auszuschließen ist, daß bei einer Recherche bezüglich der Merkmale des geltenden Anspruchs 1 nach Hilfsantrag noch relevanter Stand der Technik ermittelt wird, war die Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zu beschließen. ...
DE 2/05
1 Amtliche Leitsätze samt gekürzter Entscheidung; eine vollständige Fassung der Entscheidung ist veröffentlicht in BPatGE 47, 43. Die Rechtsbeschwerde zum BGH blieb in der Sache ohne Erfolg (Verfahren X ZB 34/03, Entscheidung veröffentlicht in Mitt. 2005, 20).