BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.2 vom 15. März 2000 - T 1194/97 - 3.5.2
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender : | W. J. L. Wheeler |
Mitglieder: | R. G. O'Connell |
| B. J. Schachenmann |
Anmelder: Koninklijke Philips Electronics N. V.
Stichwort: Datenstrukturprodukt/PHILIPS
Artikel: 52 (2) d) und (3), 54, 56, 84 EPÜ
Artikel: 31 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
Regel: 39.1 v) PCT
Schlagwort: "Wiedergabe von Informationen als solche (verneint)" - "Klarheit (bejaht)" - "Neuheit (bejaht)" - "erfinderische Tätigkeit (bejaht)"
Leitsätze
I.Bei einem Aufzeichnungsträger, der dadurch gekennzeichnet ist, daß darauf funktionelle Daten aufgezeichnet sind, geht es nicht um eine Wiedergabe von Informationen als solche; er fällt deshalb nicht unter den Patentierungsausschluß nach Artikel 52 (2) d) und (3) EPÜ (Entscheidungsgründe 3.3).
II. Der Begriff funktionelle Daten schließt in diesem Zusammenhang eine Datenstruktur ein, die so definiert ist (hier: Informationen für die Synchronisation codierter Bildzeilen, Zeilennummern und Adressen), daß sie inhärent die technischen Merkmale des Systems aufweist (hier: Lesevorrichtung samt Aufzeichnungsträger), in dem der Aufzeichnungsträger verwendet wird (in Weiterführung von T 163/85, Farbfernsehsignal/BBC, ABl. EPA 1990, 379).
Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 91 919 380.5 durch die Prüfungsabteilung. Die Zurückweisung des damaligen Hauptantrags erfolgte aus den in der Anlage zur Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ vom 18. März 1997 dargelegten Gründen. Die Anmelderin war mit der in der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ zur Erteilung vorgeschlagenen Fassung des Hilfsantrags nicht einverstanden.
II. In der Begründung für die Zurückweisung des Hauptantrags, die der Anlage zur Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ zu entnehmen war, hieß es unter anderem, daß der unabhängige Anspruch 4, der auf einen Aufzeichnungsträger gerichtet ist, auf dem ein codiertes Bild in neuem Format aufgezeichnet ist, nicht klar sei und daß ferner der Gegenstand dieses Anspruchs nicht neu sei und unter den Patentierungsausschluß nach Artikel 52 (2) d) und (3) EPÜ falle. Als Stand der Technik wurde die folgende Druckschrift herangezogen:
D1: US-A-4 914 515
III. Nach telefonischer Unterredung mit dem Berichterstatter reichte die Beschwerdeführerin Änderungen zu den Ansprüchen und zur Beschreibung ein. Die unabhängigen Ansprüche 1, 4 und 7 (Hauptantrag) lauten nunmehr wie folgt:
1. "Bildwiederauffindungssystem mit einem Aufzeichnungsträger und einer Lesevorrichtung, wobei ein codiertesBild, bestehend aus aufeinanderfolgenden codierten Bildzeilen, auf einer mit Adressen versehenen angrenzenden Spur des Aufzeichnungsträgers aufgezeichnet ist und die Lesevorrichtung einen Lesekopf zum Lesen der aufgezeichneten codierten Bildzeilen mittels Scannen der Spur sowie Mittel umfaßt, mit denen der Lesekopf zu einem Spurabschnitt mit einer ausgewählten Adresse hin bewegt werden kann, dadurch gekennzeichnet, daß zusammen mit den codierten Bildzeilen Informationen über die Zeilensynchronisation und Zeilennummern auf dem Datenträger gespeichert sind, wobei jede Zeilennummer die Sequenznummer der betreffenden codierten Bildzeile in dem codierten Bild und jede Information über die Zeilensynchronisation den Beginn der betreffenden codierten Bildzeile bezeichnet, die codierten Bildzeilen eine variable Codelänge aufweisen, Adressen für eine Zahl, die kleiner ist als die Gesamtzahl der codierten Bildzeilen des codierten Bildes, ebenfalls auf dem Aufzeichnungsträger aufgezeichnet sind und angeben, wo die betreffenden Bildzeilen auf der Spur aufgezeichnet sind, die Vorrichtung Mittel umfaßt zur Auswahl einer codierten Bildzeile aus einem ausgewählten codierten Bild, Mittel zum Lesen der aufgezeichneten Adressen für eine Zahl, die kleiner ist als die Gesamtzahl der Bildzeilen des ausgewählten Bildes, Mittel, die anhand der so gelesenen Adressen einen Spurabschnitt auswählen, der vor dem Spurabschnitt liegt, an dem die Aufzeichnung der ausgewählten codierten Bildzeile beginnt, Mittel, die bewirken, daß der Lesekopf zu dem ausgewählten Spurabschnitt hin bewegt wird, sowie Mittel, die anschließend anhand der gelesenen Zeilennummern und Informationen über die Zeilensynchronisation die Information über den Beginn der ausgewählten codierten Bildzeile erkennen."
4. "Aufzeichnungsträger zur Anwendung in dem System nach Anspruch 1, wobei ein codiertes Bild, bestehend aus aufeinanderfolgenden codierten Bildzeilen variabler Länge, auf einer mit Adressen versehenen angrenzenden Spur des Aufzeichnungsträgers aufgezeichnet ist, dadurch gekennzeichnet, daß zusammen mit den codierten Bildzeilen Informationen über die Zeilensynchronisation und Zeilennummern auf dem Aufzeichnungsträger aufgezeichnet sind, wobei jede Zeilennummer die Sequenznummer der betreffenden codierten Bildzeile in dem codierten Bild und jede Information über die Zeilensynchronisation den Beginn der betreffenden codierten Bildzeile bezeichnet, die codierten Bildzeilen eine variable Codelänge aufweisen, Adressen für eine Zahl, die kleiner ist als die Gesamtzahl der codierten Bildzeilen des codierten Bildes, ebenfalls auf dem Aufzeichnungsträger aufgezeichnet sind und angeben, wo die betreffenden Bildzeilen auf der Spur aufgezeichnet sind."
7."Lesevorrichtung zur Anwendung in dem System nach Anspruch 1, wobei die Lesevorrichtung einen Lesekopf zum Lesen der aufgezeichneten codierten Bildzeilen mittels Scannen der Spur und Mittel umfaßt, die den Lesekopf zu einem Spurabschnitt mit einer ausgewählten Adresse hin bewegen, dadurch gekennzeichnet, daß die Vorrichtung Mittel umfaßt zur Auswahl einer codierten Bildzeile aus einem ausgewählten codierten Bild, Mittel zum Lesen der aufgezeichneten Adressen für die Zahl, die kleiner ist als die Gesamtzahl der Bildzeilen des ausgewählten Bildes, Mittel, die anhand der so gelesenen Adressen einen Spurabschnitt auswählen, der vor dem Spurabschnitt liegt, an dem die Aufzeichnung der ausgewählten codierten Bildzeile beginnt, Mittel, die bewirken, daß der Lesekopf zu dem ausgewählten Spurabschnitt hin bewegt wird, sowie Mittel, die anschließend anhand der gelesenen Zeilennummern und Informationen über die Zeilensynchronisation die Information über den Beginn der ausgewählten codierten Bildzeile erkennen."
IV. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem zurückgewiesenen Anspruch 4 auf den Träger läßt sich wie folgt zusammenfassen:
i) Auslegung des Artikels 52 (2) d) EPÜ
a) Es sei unbedingt zu unterscheiden zwischen dem Begriff "Wiedergabe" ("presentation") mit der Bedeutung "jemandem etwas zeigen, in die Öffentlichkeit bringen" und dem Begriff "Darstellung" ("representation") mit der Bedeutung "als Symbol für etwas dienen". Der Ausschluß nach Artikel 52 (2) d) und (3) EPÜ beziehe sich darauf, daß Informationen dem Menschen direkt präsentiert würden. Die einschlägigen Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA zu diesem Artikel folgten in der Regel dieser Auslegung, etwa im Hinblick auf einen Computerbildschirm wie im Fall T 599/93 vom 4. Oktober 1996 oder einen Anzeiger für Tasten eines Musikinstruments wie in der Entscheidung T 603/89, Anzeiger/BEATTIE (ABl. EPA 1992, 230). Diese Auslegung werde auch durch die deutsche Fassung des Artikels 52 (2) d) EPÜ bestätigt, wo von der "Wiedergabe von Informationen" (Hervorhebung durch die Beschwerdeführerin) die Rede sei.
b)Mit der "Darstellung" ("representation") hingegen sei eine normale technische Maßnahme gemeint, bei der ein physikalisches Signal für eine Information stehe - z. B. eine elektrische Ladung in einem Kondensator, die eine logische 0 oder 1 darstelle. Dies entspreche insofern der wörtlichen Bedeutung des Begriffs "Darstellung", als bestimmten physikalischen Parameterwerten eine Bedeutung zugeordnet sei, z. B. im Fall von Signalen zur Bezeichnung eines Bankkontos. Bei einer Datenverarbeitungsanlage werde deshalb automatisch davon ausgegangen, daß elektrische oder logische Signale Informationen darstellten. Artikel 52 (2) d) EPÜ dürfe nicht dahingehend ausgelegt werden, daß technische Sachverhalte lediglich deshalb ausgeschlossen würden, weil es sich um eine Darstellung handele.
c) Anzumerken sei ferner, daß an der Konfusion, was die Auslegung des Begriffs "Wiedergabe" ("presentation") angehe, die Richtlinien für die Prüfung im EPA, C-IV, 2.3 nicht ganz unschuldig seien. Dort werde nämlich der Wortlaut des Artikels 52 (2) d) EPÜ (in der englischen Fassung) wie folgt umschrieben:"Any representation [Hervorhebung durch die Beschwerdeführerin] of information characterized solely by the content of the information is not patentable." ("Jede Art der Wiedergabe von Informationen, die lediglich durch den Inhalt der Informationen gekennzeichnet wird, ist nicht patentierbar.") Diese breitere Auslegung werde durch Beispiele belegt, bei denen es sich zum Teil tatsächlich um die Wiedergabe von Informationen handele, z. B. bei Büchern oder Verkehrszeichen, während andere eher Darstellungen von Informationen seien, die auf einem Träger aufgezeichnet seien, etwa die in der Beispielliste aufgeführten Schallplatten, die durch das Musikstück gekennzeichnet seien, oder Magnetbänder mit einem Computerprogramm. Während Bücher aufgrund des Artikels 52 (2) d) EPÜ auszuschließen seien, weil ihr Inhalt dem Leser dargeboten werde, sollten Schallplatten nicht unter diesen Ausschluß fallen, da sie Träger darstellten, die physikalische Vorgänge enthielten, die von einer Lesevorrichtung als Symbole entschlüsselt würden. Allerdings wäre bei Schallplatten auch ein Ausschluß denkbar, weil sie keinen technischen Beitrag zum Stand der Technik leisteten, da ihr Informationsgehalt (das Musikstück) zwar neu sei, aber keine technischen Überlegungen erforderlich mache; vgl. Entscheidung T 769/92, universelles Verwaltungssystem/SOHEI (ABl. EPA 1995, 525). Ein weiterer Ausschließungsgrund wäre unter Umständen in Artikel 52 (2) b) EPÜ zu sehen, da das Musikstück als ästhetische Formschöpfung gelten könnte. Die als Beispiel genannten Magnetbänder, die durch die auf ihnen gespeicherten Daten oder Programme gekennzeichnet seien, sollten ebenfalls nicht nach Artikel 52 (2) d) EPÜ vom Patentschutz ausgenommen werden, weil es sich hierbei nicht um eine Wiedergabe von Informationen für den Menschen, sondern um die Darstellung eines Programms handele, das von einem geeigneten Computer gelesen werden könne. Somit könne ein solches Band nur nach Artikel 52 (2) c) EPÜ ausgeschlossen werden, während ein Protokoll desselben Computerprogramms auf Papier eine Informationswiedergabe darstelle, die als solche nach Artikel 52 (2) d) EPÜ auszuschließen sei.
d) Bei dem Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 sei die Information über den Zugriff auf das codierte Bild in der dafür bereitgestellten Datenstruktur enthalten und sei somit eine Darstellung ("representation") der Information, während der Informationsgehalt eine technische Funktion habe. Diese Darstellung der Information könne vom Menschen nicht unmittelbar genutzt werden, sondern müsse erst mit technischen Mitteln, nämlich mit der Lesevorrichtung, verarbeitet werden, die die Bits in der Datenstruktur aufschlüsseln könne. Daher sei Artikel 52 (2) d) EPÜ auf den Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 nicht anzuwenden.
ii) "Erfindung" im Sinn des Artikels 52 (1) EPÜ
a) Gebiet der Erfindung - Aufgabe und Lösung
Auch wenn der in Artikel 52 (1) EPÜ vorkommende Begriff der Erfindung im EPÜ nicht ausdrücklich positiv definiert sei, sei doch in Regel 27 EPÜ festgeschrieben, daß sich eine Erfindung auf ein technisches Gebiet beziehen müsse und daß mit dem beanspruchten Gegenstand eine technische Aufgabe gelöst werden müsse.
Der Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 beziehe sich auf das Gebiet des Speicherns und Wiederauffindens eines Bildes. Es handele sich also eindeutig um ein technisches Gebiet, weil die Speicherung durch die physikalischen Eigenschaften des Aufzeichnungsmittels realisiert werde, die wiederum von einer technischen Vorrichtung erkannt und mit elektronischen Mitteln decodiert und angezeigt würden. Die Merkmale des Speicher- und Wiederauffindungssystems seien technischer Natur, da das Wiederauffinden nicht vom Menschen ausgeführt werden könne und der direkte Zugriff auf die gespeicherten Bilder mit den Sinnesorganen des Menschen nicht möglich sei. Außerdem stelle die Herstellung von Aufzeichnungsträgern und ihres Informationsgehalts eine gewerbliche Tätigkeit dar.
Der Erfindung liege die technische Aufgabe zugrunde, "aufgezeichnete Bilddaten, die für jeden Teil (d. h. Ausschnitt) eines Bildes problemlos zugänglich sind", bereitzustellen.
Diese Aufgabe werde mit dem erfindungsgemäßen Aufzeichnungsträger gelöst, der die codierten Bilder und die Datenstruktur für den Zugriff auf die Bilddaten enthalte. Diese Struktur sei eindeutig technischer Art, da sie die Funktion habe, den Betrieb der Wiederauffindungsvorrichtung zu steuern; vgl. T 110/90, editierbare Dokumentenform/IBM (ABl. EPA 1994, 557, Nr. 4 der Entscheidungsgründe), die den Steuerzeichen für den Drucker technischen Charakter attestiere, weil sie den Betrieb der Druckvorrichtung steuerten.
Somit stelle der Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4, der die Datenstruktur für den Zugriff auf die Bilddaten enthalte, die technische Lösung einer technischen Aufgabe und damit eine Erfindung im Sinn des Artikels 52 (1) EPÜ dar.
b) Technischer Charakter des neuen Merkmals, nämlich der Datenstruktur
Das neue technische Merkmal im Sinn der Regel 29 (1) b) EPÜ sei bei der Erfindung nach Anspruch 4 die Datenstruktur für den Zugriff auf die Bilddaten.
Die technische Natur dieser Datenstruktur leite sich vor allem daraus her, daß das System ohne einen Aufzeichnungsträger, auf dem die Datenstruktur nach Anspruch 4 aufgezeichnet sei, nicht funktioniere. Die Bilder auf diesem Aufzeichnungsträger könnten nur mit einer Vorrichtung nach Anspruch 7 wiedergegeben werden, und umgekehrt könne eine solche Wiedergabevorrichtung ihre Aufgabe (schnelle Anzeige von Teilen des gespeicherten Bildes) nur mit einem solchen Aufzeichnungsträger erfüllen. Der Aufzeichnungsträger enthalte die benötigte Datenstruktur, und die Wiederauffindungsvorrichtung umfasse Mittel, die durch diese Datenstruktur gesteuert würden. Die wesentlichen Bestandteile des erfinderischen Gegenstands befänden sich teils im Wiedergabegerät, teils im Aufzeichnungsträger. Wie also könne man einem System technische Merkmale bescheinigen und gleichzeitig dem Aufzeichnungsträger jegliches technische Merkmal absprechen?
Die Entscheidung T 163/85, Farbfernsehsignal/BBC (ABl. EPA 1990, 379), sei besonders relevant, wenn es darum gehe, den Informationsgehalt als technisch oder als nichttechnisch einzustufen. Die Nummer 2 der Entscheidungsgründe laute wie folgt (Hervorhebungen durch die Beschwerdeführerin):
"...das beanspruchte Fernsehsignal [könnte] als Wiedergabe von Informationen betrachtet werden, die ja als solche gemäß Artikel 52 (2) d) und (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist. Das beanspruchte Fernsehsignal scheint jedoch mehr zu sein als eine bloße Wiedergabe von Informationen "als solche". Tatsächlich enthält es inhärent die technischen Merkmale des Fernsehsystems, in dem es verwendet wird; es gibt zwar Informationen wieder, diese Informationen weisen jedoch genau die technischen Merkmale des Systems auf, in dem das Signal vorkommt. Die Kammer hält es für richtig, bei der Informationswiedergabe zwischen zwei Arten von Informationen zu unterscheiden. Danach kann zwar ein Fernsehsystem, das lediglich durch die Informationen an sich gekennzeichnet ist, z. B. durch bewegte Bilder, die nach einem TV-Standardsignal moduliert werden, unter die Ausschlußbestimmung des Artikels 52 (2) d) und (3) EPÜ fallen, nicht jedoch ein Fernsehsignal, das so definiert ist, daß es inhärent die technischen Merkmale des Fernsehsystems aufweist, in dem es vorkommt."
Das erfindungsgemäße Speicherungs- und Wiederauffindungssystem sei eindeutig nicht durch die Informationen an sich, z. B. den Inhalt unbewegter Bilder, gekennzeichnet. Wie bei dem Fernsehsignal spiele der Inhalt der gespeicherten Bilder, z. B. Landschaften, Farben usw., keine Rolle und sei nicht Gegenstand der Erfindung.
Nach der Entscheidung T 163/85 enthalte die beanspruchte Datenstruktur (Informations-struktur) inhärent die technischen Merkmale des Systems zur Bildspeicherung und -wiederauffindung, nämlich die Daten zur Steuerung des Schnellabrufs. Diese zweite Art der Bildinformation, die in dem strittigen System zur Bildspeicherung und -wiederauffindung vorkomme, sei eindeutig technischer Natur.
Es sei darauf hinzuweisen, daß die Kammer das Fernsehsignal als Darstellung der Information eingestuft habe. Damit habe sie einen Träger, der durch die Darstellung von Informationen gekennzeichnet sei, zur Patentierung zugelassen, weil sein Inhalt im Fernsehempfänger eine technische Funktion habe.
Schließlich sei festzuhalten, daß zwischen der Anspruchskategorie eines Signals und derjenigen eines Aufzeichnungsträgers bei der Patentierung kein Unterschied gemacht werden sollte. Bei einem (Analog-)Signal werde (fortlaufenden) physikalischen Parametern eine Bedeutung zugeordnet, deren Kenntnis eine Voraussetzung für die Darstellung sei; so entspreche z. B. die Amplitude eines elektromagnetischen Felds zu einem bestimmten Zeitpunkt nach einem Synchronisationsimpuls einer bestimmten Intensität eines Pixels auf dem Fernsehbildschirm. Bei einem auf einem Aufzeichnungsträger "eingefrorenen" digitalen Signal werde (einzelnen) physikalischen Parametern eine bestimmte Bedeutung zugeordnet; so entspreche z. B. das Reflexionsvermögen bzw. das fehlende Reflexionsvermögen eines kleinen Teils einer Spur auf einer CD einem bestimmten Schalldruck, der dann vom Audiosystem wiedergegeben werden müsse. Bei einem Signal oder einem Aufzeichnungsträger stelle die Datenstruktur (Informationsstruktur) ein funktionelles technisches Merkmal dar.
Aus all dem sei zu schlieβen, daß die erfindungsgemäße neue Datenstruktur (Informationsstruktur) technischer Natur sei und deshalb eine "Erfindung" im Sinn des Artikels 52 (1) EPÜ darstelle.
Anzumerken sei auch, daß die Welthandelsorganisation (WTO) in dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) ihre Mitglieder dazu verpflichte, Patentschutz "für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik [zu gewähren], sowohl für Erzeugnisse als auch für Verfahren, vorausgesetzt, daß sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind". Die Vertragsstaaten des EPÜ seien alle Mitglieder der WTO, so daß das EPA der Harmonisierungswirkung des Übereinkommens Rechnung tragen müsse; vgl. Entscheidung G 1/83, zweite medizinische Indikation/BAYER (ABl. EPA 1985, 60, Nr. 5 und 6 der Entscheidungsgründe). Insbesondere habe das Patent- und Markenamt der Vereinigten Staaten (USPTO) ein brauchbares Kriterium für die Patentierbarkeit von Aufzeichnungsträgern entwickelt. Danach sei Patentschutz unter der Voraussetzung möglich, daß die aufgezeichnete Datenstruktur funktionell sei, was bei der vorliegenden Erfindung eindeutig der Fall sei. Würden Aufzeichnungsträger von der Patentierung ausgeschlossen, so blieben sie im wesentlichen ungeschützt, weil sie eindeutig nicht unter das Urheberrecht fielen (das sich grundsätzlich auf Informationswiedergaben erstrecke, die Originalschöpfungen seien).
iii) Klarheit und Neuheit
Die Feststellung der Prüfungsabteilung, daß Anspruch 4 nicht klar und auch nicht neu sei, sei darauf zurückzuführen, daß die Prüfungsabteilung die kennzeichnenden Merkmale der Ansprüche, die die Datenstruktur für den Zugriff auf die Bilddaten auf dem Aufzeichnungsträger definierten, unberücksichtigt gelassen und dies damit begründet habe, daß diese Datenstruktur a) nichttechnisch und b) insofern mehrdeutig sei, als sie eine unbegrenzte Anzahl von Auslegungen zulasse. Die Prüfungsabteilung sei zu diesem Fehlschluß gelangt, weil sie der Funktion der auf dem Aufzeichnungsträger aufgezeichneten Datenstruktur nicht die ihr gebührende Bedeutung beigemessen habe. Diese Struktur ermögliche nämlich den Schnellzugriff auf jeden ausgewählten Teil des codierten Bildes, z. B. um sich einen ausgewählten Bildbereich heranzuholen. Damit sie diese Funktion erfüllen könne, bedürfe es eines geeigneten Zugriffsmittels, nämlich der Lesevorrichtung des Bildwiederauffindungssystems nach Anspruch 1, die auf die Datenstruktur zugreifen und sie entschlüsseln könne. Die Formulierung "zur Anwendung in dem System nach Anspruch 1" beziehe sich auf die richtige Entschlüsselung der auf dem Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 gespeicherten Datenstruktur für den Zugriff auf die Bilddaten.
V. In ihrem Hauptantrag beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung des Patents auf der Grundlage der folgenden Unterlagen:
Patentansprüche: 1 bis 8 (Hauptantrag), eingereicht mit Fax vom 29. Februar 2000.
Beschreibung: Seite 1 mit Einlegeblatt 1a, eingereicht mit Schreiben vom 23. Oktober 1995, das am 25. Oktober 1995 einging,
Seiten 2 bis 34 und 36 in der ursprünglich eingereichten Fassung,
Seite 35 in der ursprünglich eingereichten Fassung, jedoch nach Streichung der Zeilen 14 bis 19 (s. Fax vom 29. Februar 2000),
Zeichnungen: Blätter 1 bis 16 in der ursprünglich eingereichten Fassung.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Klarheit
2.1 Diese Patentanmeldung betrifft ein zweiteiliges Bildwiederauffindungssystem, bestehend aus einem Aufzeichnungsträger und einer Lesevorrichtung, also zwei gesonderten, aber zusammenwirkenden Artikeln, die getrennt verkauft werden können, die aber jeder für sich für die Umsetzung komplementärer Aspekte des gleichen erfinderischen Gedankens eigens angepaßt sind. Anspruch 1 ist auf das System gerichtet, während mit Anspruch 4 der Aufzeichnungsträger an sich geschützt werden soll. Bei Erfindungen dieser Art - die landläufig als "Pfeil- und Bogen"- oder "Stecker- und Steckdose"-Erfindungen bekannt sind, in dieser Entscheidung aber als mehrteilige Erfindungen bezeichnet werden - entspricht es der üblichen Anspruchsformulierung, im Zusammenhang mit dem Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 anzugeben, daß er "zur Anwendung in dem System nach Anspruch 1" gedacht ist; vgl. Prüfungsrichtlinien, C-III, 3.3 und 3.7a.
2.2 Die Kammer kann sich der Feststellung der Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung nicht ganz anschließen, daß der Anspruch 4 durch die Formulierung zur Anwendung nicht eingeschränkt werde. Nach der üblichen Praxis des EPA ist (außer bei genau definierten Ausnahmen wie z. B. im Fall des Artikels 54 (5) EPÜ) die Formulierung zur Anwendung in der Bedeutung für die genannte Anwendung geeignet zu verstehen. Im vorliegenden Fall heißt dies, daß der Aufzeichnungsträger für die Lesevorrichtung nach Anspruch 1 lesbar sein muß. Obwohl man meinen könnte, daß in Anspruch 4 alle für die Lesbarkeit erforderlichen Merkmale ausdrücklich erwähnt sind, insbesondere das Format, in dem die Bildinformationen aufgezeichnet sind, wird mit der Formulierung zur Anwendung mit Bezug auf Anspruch 1 aber dargelegt, wie dieses Format verwendet wird, d. h. der Grund für die Verwendung dieses Formats angegeben und damit der Gegenstand des Schutzbegehrens abgesteckt. Die Formulierung zur Anwendung schränkt den Anspruch insoweit ein, als sie Auslegungen ausschließt, die mit dieser Anwendung nicht vereinbar wären.
2.3 Die Prüfungsabteilung hat ferner festgestellt, daß in Anspruch 4 einzig ein Aufzeichnungsträger mit adressierbarer angrenzender Spur eindeutig definiert sei, da die Bedeutung aller übrigen Merkmale (Zeilennummern, codierte Bildzeilen und Adressen) - als physische Eigenschaften betrachtet - Auslegungssache, also mehrdeutig und damit unklar sei, denn es sei unmöglich, den technischen Gehalt allein anhand des Aufzeichnungsträgers zu beurteilen. In diesem Zusammenhang verwies die Prüfungsabteilung auf das analoge Beispiel der Mehrdeutigkeit eines geschriebenen Worts, dessen Bedeutung je nach Sprache anders interpretiert werden könne. Wären die kennzeichnenden Merkmale als rein logische Charakteristika anzusehen, so wäre die tatsächliche physische Darstellung auf dem Medium nicht definiert, und der Träger würde keine zusätzlichen Einschränkungen erfahren.
2.4 Die Kammer kann sich dieser Aussage nicht anschließen, weil sie den Besonderheiten mehrteiliger Erfindungen nicht Rechnung trägt, die naturgemäß mehrere zusammenwirkende Gegenstände umfassen, die für sich betrachtet "mehrdeutig" oder gar "unsinnig" sein können. Die Aussage der Formulierung zur Anwendung in Anspruch 4, derzufolge dieser Anspruch mit Bezug auf das System nach Anspruch 1 ausgelegt werden muß, darf bei der Prüfung des Anspruchs auf Vorliegen der in Artikel 84 EPÜ geforderten Klarheit nicht außer acht gelassen werden. Die Zeilennummern, codierten Bildzeilen, Adressen und Synchronisationsinformationen auf dem Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 werden beim Betrieb durch die Lese-, Adressier-, Auswahl- und Erkennungsmittel der Lesevorrichtung nach Anspruch 1 ebenso zweifelsfrei "interpretiert", wie eine Zahntrommel in einer Kamera die Lochungen einer Filmrolle "interpretiert". Zwar wird der Anspruch 1 durch die Vielzahl der möglichen physischen Ausführungen seiner kennzeichnenden Merkmale sehr allgemein, doch ist dies nur Ausdruck der Tatsache, daß die Merkmale mit funktionellen Begriffen ausgedrückt sind und folglich die Beziehung zwischen dem Träger der Aufzeichnung und dem Lesegerät dadurch geprägt ist, daß sie in ihrer Funktion zusammenwirken. Die Grundsätze, die für die Zulässigkeit funktioneller Merkmale in Ansprüchen gelten, gelten ebenso auch für mehrteilige Erfindungen. Die daraus resultierende allgemeine Kombinierbarkeit ist als solche noch kein Anzeichen für mangelnde Klarheit. Nach Ansicht der Kammer ist die vorliegende Erfindung auf einer allgemeinen funktionellen Ebene angesiedelt und muß deshalb auch auf dieser Ebene beansprucht werden.
2.5 Wie unter Nummer 3.3 dargelegt, definieren die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 4 funktionelle Daten, die in besondere physikalische Strukturen des Aufzeichnungsträgers umgesetzt werden und diesen dadurch von anderen, nicht erfindungsgemäßen Aufzeichnungsträgern unterscheiden. Somit erfüllt der Anspruch insofern die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ, als er eindeutig einen (offensichtlich neuen) physischen Gegenstand funktionell definiert.
3. Wiedergabe von Informationen als solche (Artikel 52 (2) d) und (3) EPÜ)
3.1 Die Prüfungsabteilung legte den Anspruch 4 dahingehend aus, daß er einen bekannten Aufzeichnungsträger definiere, auf dem Daten gespeichert seien, die keine eindeutige technische Funktion hätten. Sie schloß daraus im Hinblick auf Artikel 52 (2) d) EPÜ, daß "das, was auf dem Aufzeichnungsträger gespeichert ist, für die Zwecke der Beurteilung des technischen Gehalts des Aufzeichnungsträgers effektiv eine bloße Wiedergabe von Informationen darstellt". Wie bereits gesagt, vertritt die Kammer die Auffassung, daß die Prüfungsabteilung bei ihrer Auslegung des Anspruchs 4 die Formulierung zur Anwendung falsch interpretiert hat. Richtig verstanden weist der Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 funktionelle technische Merkmale auf - nämlich Zeilennummern, codierte Bildzeilen, Adressen und Synchronisationsinformationen -, die so angepaßt sind, daß sie mit entsprechenden Mitteln in der Lesevorrichtung zusammenwirken und ein Bildwiederauffindungssystem bereitstellen.
3.2 Obwohl sich die Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung bei der Anwendung des Artikels 52 (2) d) EPÜ auf Anspruch 4 nicht auf die Richtlinien für die Prüfung im EPA bezieht, ist es durchaus möglich, daß die in den Richtlinien, C-IV, 2.3 unter der Überschrift "Wiedergabe von Informationen" gemachte Aussage "Jede Art der Wiedergabe (sic) von Informationen, die lediglich durch den Inhalt der Informationen gekennzeichnet wird, ist nicht patentierbar" und die Tatsache, daß dort unter den Beispielen für ausgeschlossene Gegenstände "Magnetbänder von Datenverarbeitungsanlagen, die durch die auf ihnen gespeicherten Daten oder Programme gekennzeichnet sind" genannt sind, sie davon abgehalten haben, die auf einem Träger aufgezeichneten Daten als technische Merkmale anzuerkennen.
3.3 In der Entscheidung T 163/85, Farbfernsehsignal/BBC (ABl. EPA 1990, 379, Nr. 2 der Entscheidungsgründe), hielt es die Beschwerdekammer für richtig, bei der Informationswiedergabe zwischen zwei Arten von Informationen zu unterscheiden. Danach könne zwar ein Fernsehsystem, das lediglich durch die Informationen an sich gekennzeichnet sei, z. B. durch bewegte Bilder, die nach einem TV-Standardsignal moduliert werden, unter die Auschlußbestimmung des Artikels 52 (2) d) und (3) EPÜ fallen, nicht jedoch ein Fernsehsignal, das so definiert sei, daß es inhärent die technischen Merkmale des Fernsehsystems aufweise, in dem es vorkomme. Nach Auffassung der jetzigen Kammer besteht in dieser Hinsicht eine Analogie zwischen einem Aufzeichnungsträger, auf dem Daten aufgezeichnet sind, und einem modulierten Fernsehsignal; sie hält es deshalb für richtig, hier in entsprechender Weise zwischen Daten, die einen kognitiven Inhalt, z. B. ein Bild, standardmäßig codieren, und funktionellen Daten zu unterscheiden, die so definiert sind, daß sie inhärent die technischen Merkmale des Systems (Lesevorrichtung samt Aufzeichnungsträger) aufweisen, in dem der Aufzeichnungsträger verwendet wird. Wie wichtig diese Unterscheidung zwischen funktionellen Daten und kognitivem Informationsgehalt für die technische Wirkung und den technischen Charakter sind, läßt sich daran erkennen, daß im vorliegenden Kontext ein vollständiger Verlust des kognitiven Inhalts mit der Folge, daß das Bild auf dem Fernsehschirm wie "Schnee" erscheint und für den Menschen keinerlei Sinn ergibt, keine Auswirkung auf die technische Funktion des Systems hat, während ein Verlust der funktionellen Daten die technische Funktion beeinträchtigt und die Abläufe im System schlimmstenfalls völlig zum Stehen bringt. Insbesondere sieht die Kammer keinen Grund dafür, einem in Form digitaler Daten, z. B. in Form einer vorgegebenen binären Zeichensequenz, aufgezeichneten Synchronisationssignal weniger technischen Charakter zuzubilligen als einem analogen Synchronisationssignal, das als speziell geformter Impuls übertragen und aufgezeichnet wird. Sowohl für die binäre Zeichensequenz als auch für den analogen Synchronisationsimpuls sind in einem anderen, in Relation zur Technik oder zum Menschen stehenden Zusammenhang unendlich viele verschiedene Auslegungsmöglichen denkbar, die jedoch ihrer technischen Synchronisationsfunktion in dem betreffenden Zusammenhang keinen Abbruch tun, insbesondere dann, wenn der Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 im Zusammenhang mit dem Wiederauffindungssystem nach Anspruch 1 betrachtet wird. Dies gilt entsprechend auch für die übrigen funktionellen Datenmerkmale, die auf dem Aufzeichnungsträger aufgezeichnet sind.
3.4 Bei analoger Anwendung und Weiterführung der in der Entscheidung T 163/85 enthaltenen rechtlichen Beurteilung ist der Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 nicht nach Artikel 52 (2) d) und (3) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen, da auf ihm funktionelle Daten, insbesondere eine Datenstruktur für die Synchronisation von Bildzeilen, Zeilennummern und Adressen, aufgezeichnet sind.
3.5 Diese Auffassung von der Patentierbarkeit eines Aufzeichnungsträgers, auf dem eine funktionelle Datenstruktur aufgezeichnet ist, steht auch in Einklang mit der unveröffentlichten Entscheidung T 378/88 vom 22. März 1990. Zwar ging es in jener Entscheidung nur um die Frage der Neuheit, doch war auch dort der betreffende Anspruch auf einen Aufzeichnungsträger gerichtet, dessen technische Merkmale sich auf das Format bezogen, in dem ein Fernsehprogramm aufgezeichnet war, was wiederum technische Konsequenzen für die Art und Weise hatte, wie das Programm wiederzugeben war (vgl. Nr. 2.3 und 2.4 der Entscheidungsgründe).
3.6 Obwohl es in der Entscheidung T 1173/97, Computerprogrammprodukt/IBM (ABl. EPA 1999, 609), um den Ausschluß von Computerprogrammen als solchen nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ ging, verleiht die Bemerkung unter Nr. 9.4 der Entscheidungsgründe, wonach der vorgegebene potentielle technische Effekt eines auf einem Träger aufgezeichneten Programms diesem Produkt technischen Charakter verleihen könne, so daß es nicht unter die Ausschlußbestimmung des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ falle, nach Ansicht der jetzigen Kammer der in der vorliegenden Entscheidung vertretenen Auffasung bezüglich eines Datenstrukturprodukts zusätzliches Gewicht.
3.7 Vor Abschluß dieses Punkts möchte die Kammer schließlich noch bemerken, daß die unter Nr. 3.2 zitierte Passage aus den Richtlinien für die Prüfung im EPA den in Artikel 52 (2) d) und (3) EPÜ enthaltenen Patentierungsausschluß insoweit über Gebühr erweitert, als sie nicht unterscheidet zwischen der Wiedergabe von Informationen, die durch einen kognitiven Inhalt gekennzeichnet sind, und Aufzeichnungen von Informationen, die funktionelle Daten im Sinn der Nummern 3.3 bis 3.6 enthalten.
3.7.1 In diesem Zusammenhang bezieht sich die Kammer auf den Eintrag unter Information, Bedeutung 3d, im Oxford English Dictionary, 2. Auflage auf CD, der folgenden Auszug aus der wegweisenden Veröffentlichung The Mathematical Theory of Communication (1949) von Claude E. Shannon und Warren Weaver enthält: "The word information, in this theory, is used in a special sense that must not be confused with its ordinary usage. In particular, information must not be confused with meaning. In fact, two messages, one of which is heavily loaded with meaning and the other of which is pure nonsense, can be exactly equivalent, from the present (information technology) viewpoint, as regards information. Information in communication theory relates not so much to what you do say, as to what you could say. That is, information is a measure of one's freedom of choice when one selects a message." ("Das Wort Information wird bei diesem Ansatz in einem speziellen Sinn verwendet, der nicht mit dem gängigen Sprachgebrauch verwechselt werden darf. Insbesondere darf Information nicht mit Bedeutung gleichgesetzt werden. Es können nämlich zwei Mitteilungen, von denen die eine sehr aussagekräftig, die andere aber gänzlich unsinnig ist, unter dem vorliegenden (informationstechnischen) Gesichtspunkt hinsichtlich der Information völlig gleichwertig sein. Die Information in der Kommunikationstheorie bezieht sich weniger auf das, was tatsächlich gesagt wird, sondern vielmehr auf das, was gesagt werden könnte. Die Information ist also ein Maßstab für die Wahlfreiheit bei der Auswahl einer Mitteilung.")
3.7.2 In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts hat sich die Informationstechnologie derart entwickelt, daß diese spezielle Bedeutung die gängige nahezu verdrängt hat, die zur Zeit der Abfassung des EPÜ galt und letztlich für die Auslegung des Artikels 52 (2) d) und (3) EPÜ noch immer relevant ist; vgl. Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge. Insbesondere muß darauf hingewiesen werden, daß diese spezielle Bedeutung des Begriffs Information mehr als nur "Druckmaterial" umfaßt, das auch Informationen im gängigen Sinn (also kognitiven Inhalts) vermittelt. Sie schließt auch die physischen Wechselwirkungen in und zwischen Maschinen ein, die keine dem Menschen ersichtlichen Bedeutungsgehalte vermitteln und deshalb außerhalb der ursprünglichen gängigen Bedeutung dieses Begriffs liegen. Sie dürfen deshalb vernünftigerweise nicht dahingehend ausgelegt werden, daß sie unter den Ausschluß nach Artikel 52 (2) d) und (3) EPÜ fallen.
3.7.3 Die Rechtsgeschichte bestätigt, daß die gängige Bedeutung eines Begriffs auch die relevante ist. Die Formulierung "Wiedergabe von Informationen" in Artikel 52 (2) d) EPÜ wurde aus Regel 39.1 v) PCT übernommen, wobei das Wort "bloße" wahrscheinlich deswegen weggelassen wurde, weil alle Ausnahmetatbestände nach Artikel 52 (2) EPÜ in Artikel 52 (3) EPÜ mit der Qualifizierung "als solche" versehen wurden. Aus den Berichten über die Washingtoner PCT-Konferenz von 1970, S. 572, geht hervor, daß dieser Qualifizierung die Absicht zugrunde lag, von dem, was eine Internationale Recherchenbehörde bei der Recherche sichten muß, Tabellen, Formulare, Schriftanordnungen und dergleichen auszuschließen; vgl. Schulte, Patentgesetz, 5. Auflage, S. 29, Abschnitt 3.6. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich hier um Gegenstände, die dem Menschen lediglich kognitive oder ästhetische Inhalte direkt vermitteln.
3.7.4 Die einzige Entscheidung der Beschwerdekammern des EPA, die nach Kenntnis dieser Kammer die Auslegung des Begriffs "Wiedergabe von Informationen" so erweitert, daß sie auch den Aspekt der speziellen Bedeutung in der Informationstechnologie einschließt, der außerhalb des üblichen Sprachgebrauchs liegt, ist die Entscheidung T 26/86, Röntgeneinrichtung/KOCH & STERZEL (ABl. EPA 1988, 19). Dort heißt es, die elektrischen Signale in einem Computer entsprächen einer "Wiedergabe von Informationen" (deutsche Fassung, Deutsch war dort Verfahrenssprache) und dürften deshalb an sich nicht als technischer Effekt betrachtet werden. Diese Bemerkung steht jedoch in Zusammenhang mit der Diskussion über den Ausschluß von Computerprogrammen als solchen nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ und hat deshalb im Zusammenhang mit Artikel 52 (2) d) EPÜ reine Randbedeutung.
4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
4.1 Von der Beschwerdeführerin wird nicht bestritten, daß D1 als nächstliegender Stand der Technik einen Aufzeichnungsträger offenbart, der die im Oberbegriff des Anspruchs 4 genannten Merkmale aufweist.
4.2 Bei ihrer Feststellung, daß die Erfindung gegenüber D1 nicht neu sei, hatte die Prüfungsabteilung die oben als funktionelle Daten bezeichneten Merkmale außer acht gelassen. Aus der Akte geht nirgendwo hervor, daß diese Merkmale, die nach Auffassung der Kammer aus den oben genannten Gründen nicht außer acht bleiben dürfen, in Verbindung mit dem Aufzeichnungsträger nach D1 bekannt sind. Der Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 ist somit neu.
4.3 Die Prüfungsabteilung hat auch den Standpunkt vertreten, Datenmerkmale könnten zufällig vorweggenommen werden, da ein bestimmtes Datenmuster in so vielen verschiedenen Zusammenhängen vorkommen könne; vgl. Nummer 2.3. Abgesehen davon, daß eine rein spekulative Möglichkeit noch keine Offenbarung einer Vorwegnahme ist und deshalb nicht zur Stützung eines Einwands wegen mangelnder Neuheit dienen kann, ist die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Vorwegnahme einer ganzen Datenstruktur der hier vorliegenden Art so verschwindend gering, daß der vorliegende Anspruch eine damit nicht zusammenhängende rechtmäßige Tätigkeit Dritter praktisch nicht einschränken würde.
5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Die Kammer stimmt der Prüfungsabteilung darin zu, daß sowohl das System (Lesevorrichtung samt Aufzeichnungsträger) nach Anspruch 1 als auch die Lesevorrichtung nach Anspruch 7 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Sie ist ferner der Ansicht, daß diese erfinderische Idee auch im Aufzeichnungsträger nach Anspruch 4 zum Tragen kommt, weil es nämlich für einen Fachmann auf diesem Gebiet nicht naheliegend wäre, den Aufzeichnungsträger nach D1 mit der im kennzeichnenden Teil von Anspruch 4 beschriebenen neuen Datenstruktur zu versehen, so daß er im Zusammenwirken mit der Lesevorrichtung nach Anspruch 1 und Anspruch 7 eine Lösung für die in Anspruch 1 gelöste technische Aufgabe bereitstellen würde. Die Kammer ist deshalb zu dem Schluß gelangt, daß der jeweilige Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1, 4 und 7 gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik in D1 eine erfinderische Tätigkeit im Sinn des Artikels 56 EPÜ aufweist.
6. Nach Auffassung der Kammer erfüllt die Anmeldung nach dem Hauptantrag die Erfordernisse des EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, auf der Grundlage der folgenden Unterlagen ein Patent zu erteilen:
Patentansprüche: 1 bis 8 (Hauptantrag), eingereicht mit Fax vom 29. Februar 2000.
Beschreibung: Seite 1 mit Einlegeblatt 1a, eingereicht mit Schreiben vom 23. Oktober 1995, das am 25. Oktober 1995 eingegangen ist,
Seiten 2 bis 34 und 36 in der ursprünglich eingereichten Fassung,
Seite 35 in der ursprünglich eingereichten Fassung, jedoch nach Streichung der Zeilen 14 bis 19 (s. Fax vom 29. Februar 2000),
Zeichnungen: Blätter 1 bis 16 in der ursprünglich eingereichten Fassung.