AUS DEN VERTRAGS- / ERSTRECKUNGSSTAATEN
DE Deutschland
Beschluß des Bundespatentgerichts vom 25. August 1997
(20W (PAT) 31/96)*
Stichwort: Steuerbare Filterschaltung
§§ 59, 21 (1) Nr. 4, 22 (1), 38 PatG
Artikel 99, 100 c), 123 (2) u. (3), 138 d) EPÜ
Schlagwort: "Schutzbereich des Patents - keine unzulässige Erweiterung durch Streichung ursprünglich nicht offenbarter Anspruchsmerkmale im Einspruchsverfahren - Beschränkung der Ansprüche auf ursprüngliche Offenbarung geht Verbot der nachträglichen Schutzbereichserweiterung vor"
Leitsatz
Ein Merkmal in einem Patentanspruch, das in den ursprünglichen Unterlagen der Patentanmeldung nicht als zur beanspruchten Erfindung gehörend offenbart war, kann auch nach PatG 1981 im Einspruchsverfahren wieder gestrichen werden. Die damit einhergehende Änderung ist keine Erweiterung des Schutzbereichs nach § 22 (1) 2. Alternative PatG, die auch schon im Einspruchsverfahren unzulässig wäre (im Anschluß an BGH GRUR 1977, 714 - Fadenvlies; 1975, 310 - Regelventil; 1990, 432 - Spleißkammer. Entgegen BPatG GRUR 1990, 114 - Flanschverbindung, BIPMZ 1991, 77 - Elektrischer Kontaktstift; 1990, 431 - Gestellmagazin).1
Aus den Gründen
I. Das Deutsche Patentamt (...) hat das Patent 29 38 994 auf einen Einspruch, der allein auf die Behauptung gestützt war, der Gegenstand des Patents gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinaus, (...) widerrufen, nachdem die Patentinhaberin die Fassung ihres Patents unverändert gelassen hatte.
Im Beschwerdeverfahren strebt die Patentinhaberin nach wie vor die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung an. Hilfsweise legt sie in der mündlichen Verhandlung zwei neue Fassungen des Patentanspruchs 1 vor.
Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent im erteilten Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweise, daß der Anspruch 1 ersetzt wird durch Anspruch 1 nach Hilfsantrag I, (...) weiter hilfsweise, daß der Patentanspruch 1 ersetzt wird durch Anspruch 1 nach Hilfsantrag II, (...).
Die Patentinhaberin führt im wesentlichen aus, das strittige Merkmal (...) sei für den Fachmann aus den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmbar. Jedenfalls sei eine Aufrechterhaltung des Patents mit einer "Schutzrechtsbeschränkungserklärung" gemäß der Bundespatentgerichtsentscheidung "Flanschverbindung" (GRUR 1990, 114) möglich (Hilfsantrag I) oder - gemäß Hilfsantrag II - das Ersetzen des beanstandeten Merkmals durch die unstreitig offenbarte Maßnahme wie nach früherem Recht (z. B. GRUR 1975, 310 - Regelventil). (...)
Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie tritt den Ausführungen der Patentinhaberin in den wesentlichen Punkten entgegen. Die Anspruchsfassung nach Hilfsantrag I sei unklar und widersprüchlich und enthalte nach wie vor das unzulässige Merkmal. Die Fassung nach Hilfsantrag II sei an sich zwar zutreffend, aber wegen der damit verbundenen Schutzbereichserweiterung unzulässig.
II. (...)
Die Patentansprüche 1 nach Hauptantrag (erteilte Fassung) und Hilfsantrag I (mit "Beschränkungserklärung") haben keinen Bestand, weil ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinausgeht (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG). Hinsichtlich des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag II dagegen liegt weder ein Widerrufsgrund vor (§ 21 Abs. 1 PatG) noch ist der Schutzbereich des Patents im Sinne § 22 Abs. 1 Alternative 2 PatG erweitert. (...)
1. Hauptantrag (...)
2. Hilfsantrag I. Auch der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I enthält das unzulässig ändernde Merkmal, allerdings in Verbindung mit der ihm beigefügten Erklärung (Disclaimer), daß dieses Merkmal eine unzulässige Erweiterung darstelle, welches die Patentinhaberin gegen sich gelten lassen müsse. Diese Erklärung führt jedoch nicht zu einem gewährbaren Anspruch.
Zwar haben mehrere Senate des BPatG sowie verschiedene Stimmen der Literatur (BPatG GRUR 1990, 114 - Flanschverbindung; BPatG BIPMZ 1991, 77 - Elektrischer Kontaktstift; für das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren BPatG BIPMZ 1990, 431 - Gestellmagazin; Benkard/Rogge, 9. Aufl., § 22 Rdn. 13; Benkard/Schäfers, 9. Aufl., § 38 Rdn. 43; Schulte PatG 5. Aufl., § 21 Rdn. 36; Bernhardt/Kraßer, Lehrbuch des Patentrechts 4. Aufl., S. 438; kritisch dazu Schwanhäusser GRUR 1991, 165, 168) unter Hinweis auf § 22 Abs. 1 2. Alternative PatG die Ansicht vertreten, ein ursprünglich nicht offenbartes Merkmal im Patentanspruch könne nach der Patenterteilung nicht wieder entfallen, sofern dadurch der Schutzbereich des Patents erweitert werde. Um das Patent gleichwohl (beschränkt) aufrechterhalten zu können, sei es in einem derartigen Fall mit einer Erklärung in der Beschreibung zu versehen, daß das nicht offenbarte Merkmal eine unzulässige Erweiterung darstelle, aus der Rechte nicht hergeleitet werden könnten, die der Patentinhaber aber gegen sich gelten lassen müsse. Eine derartige Erklärung (in der Literatur bisweilen als Disclaimer- oder Fußnotenlösung bezeichnet) lege ohne Anspruchsänderung fest, daß dieses Merkmal einerseits nicht zum Gegenstand der geschützten Lehre gehöre und demnach bei der Beurteilung der Patentfähigkeit außer Betracht bleibe, andererseits aber den Patentschutz auf solche Fälle beschränke, in denen das nämliche Merkmal vorliege (BIPMZ 1991, 77, 78 li. Sp. Abs. 2), so daß der Schutzbereich des Patents nicht erweitert werde.
Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Allerdings teilt er nicht die Gründe der Großen Beschwerdekammer des EPA, die zum einen die Aufnahme eines Disclaimers als unvereinbar mit Art. 69 Abs. 1 EPÜ angesehen hat und zum anderen den Konflikt zwischen den Nichtigkeitsgründen der unzulässigen Änderung des Patents (Art. 123 Abs. 2, 138 Abs. 1 c EPÜ) und der Erweiterung seines Schutzbereichs (Art. 123 Abs. 3, 138, Abs. 1 d EPÜ) im Interesse der Allgemeinheit allein durch den Widerruf des Patents für lösbar gehalten hat (G 1/93 GRUR Int. 1994, 842, 8442 - Beschränkendes Merkmal), sofern das ursprünglich nicht offenbarte Merkmal einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leistet. Vielmehr sind für den Senat folgende Gründe maßgebend:
a) Nach § 21 Abs. 2 Satz 2 PatG ist es grundsätzlich möglich, die Beschränkung eines Patents durch eine Änderung der Beschreibung oder der Zeichnungen vorzunehmen. Jedoch erscheint es zweifelhaft, ob ein eindeutiger Anspruchswortlaut einer Auslegung durch die Beschreibung nach § 14 PatG in der angestrebten Weise überhaupt zugänglich ist (verneint in der Entscheidung G 1/93 der Großen Beschwerdekammer des EPA, GRUR Int. 1994, 842, 844 Nr. 141). Die Frage bedarf hier letztlich keiner abschließenden Erörterung. Denn im zu entscheidenden Fall hat die Patentinhaberin die beabsichtigte Beschränkung ("dieses Merkmal stellt eine unzulässige Erweiterung dar, das die Patentinhaberin gegen sich gelten lassen muß") nicht in der Beschreibung erklärt, sondern in den Patentanspruch selbst aufgenommen (...).
b) (...)
c) Der Senat teilt (...) die Auffassung der Einsprechenden, daß die in den Patentanspruch 1 eingefügte Erklärung, (...) die unzulässige Änderung nicht beseitigt. Denn diese Erklärung genügt weder der in § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG vorgeschriebenen Rechtsfolge, nach der das Patent ganz oder teilweise zu widerrufen ist, noch vermag sie zu verhindern, daß die Patentinhaberin aus dem nicht offenbarten Merkmal Rechte herleitet.
aa) Selbst wenn die unzulässige Änderung im Anspruch, wie durch den Disclaimer beabsichtigt, bei der sachlichen Prüfung des Patents unberücksichtigt bliebe und sich das Patent insoweit im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung hielte, käme dem erweiternden Merkmal im Verletzungsfalle gleichwohl noch jene rechtliche Bedeutung zu, deren Beseitigung mit der Beschränkung gerade bezweckt ist. Die Patentinhaberin könnte, da sie das unzulässige Merkmal gegen sich gelten lassen muß, Rechte nur nach Maßgabe auch dieses Merkmals geltend machen (siehe etwa Benkard/Rogge, 9. Aufl., § 22 Rdn. 13; BPatG BIPMZ 1991, 77, 78 - Elektrischer Kontaktstift), so daß dieses eben nicht beseitigt, sondern unter Verstoß gegen § 21 Abs. 1 Nr. 4 und § 38 le. Satz PatG im Patentanspruch verbleibt.
Die Patentinhaberin selbst hat (...) erklärt, sie wolle die eingefügte Erklärung in Hilfsantrag I in diesem Sinne verstanden wissen. Sie befindet sich mit dieser Auslegung des Disclaimers in Übereinstimmung mit der bereits zitierten Rechtsprechung verschiedener Senate des BPatG (BPatG GRUR 1990, 114 - Flanschverbindung; BPatG BIPMZ 1990, 43 - Gestellmagazin; BIPMZ 1991, 77, 78 li. Sp. - Elektrischer Kontaktstift), die jedoch dem Dilemma, das Patent entweder nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 oder nach § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG widerrufen zu müssen, nicht entkommt (vgl. dazu auch Rübel, VPP-Rundbrief 4/1995, 108, 110 li. Sp.). Denn nach dem reinen Wortlaut des Disclaimers verbliebe nichts, was geschützt wäre, wenn im Verletzungsstreit (...) einerseits keine Herleitung von Rechten aus dem unzulässigen Merkmal zugelassen, andererseits aber der Patentinhaberin dieses Merkmal entgegengehalten würde ("das die Patentinhaberin gegen sich gelten lassen muß"). Folglich bestimmt das im Patentanspruch verbliebene ursprünglich nicht offenbarte Merkmal trotz des Disclaimers den Anspruchsgegenstand nach wie vor mit, so daß dieser über den Inhalt der Patentanmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinausgeht und damit weiterhin die gesetzlichen Voraussetzungen des Widerrufsgrundes nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG gegeben sind.
bb) Trotz des bei der Entfernung des unzulässigen Merkmals entstehenden Konflikts mit § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG, der die Erweiterung des Schutzbereichs eines Patents bereits im Einspruchsverfahren verbietet (BGH GRUR 1990, 432, 433 - Spleißkammer), ist eine den Gegenstand des Patents mitbestimmende Änderung in Fortführung der Rechtsprechung des BGH zum früheren Recht (BGH GRUR 1975, 310 - Regelventil; 1977, 714 - Fadenvlies) zu beseitigen, wenn sich ergibt, daß sie über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinausgeht. Wird das Merkmal nicht gestrichen, ist das Patent zu widerrufen.
Dies folgt nicht nur aus der Entstehungsgeschichte des Widerrufs- und Nichtigkeitsgrundes des § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG, sondern auch auseiner im Hinblick auf seinen Sinn und Zweck gebotenen einschränkenden Auslegung des § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG. Schon das PatG 1968 wollte mit der Bestimmung des § 26 Abs. 5 Satz 2 (jetzt § 38 Satz 2), wonach aus Ergänzungen und Berichtigungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern, keine Rechte hergeleitet werden können, auf jeden Fall ausschließen, daß das Patent mit einem unzulässig geänderten Inhalt erteilt wird (BGH GRUR 1975, 310, 312 li. Sp. Abs. 1 - Regelventil). Diese Bestimmung fand nach altem Recht auch dann Anwendung, wenn das Patent mit einer Erweiterung erteilt worden war (Amtl. Begr. PatG 1978, BIPMZ 1976, 264, 334 re. Sp. zu Nr. 9). An dieser Rechtslage sollte sich durch die Neufassung der Nichtigkeitsgründe mit PatG 1978 nichts ändern, weil die Einführung eines entsprechenden Nichtigkeitsgrundes und damit die Einräumung der Möglichkeit, den durch die Patenterteilung gesetzten Rechtsschein ein für alle Mal zu beseitigen, dem Gesetzgeber unter anderem aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit angebracht erschien (Amtl. Begr. PatG 1978, a.a.O.).
Im Anschluß an die Neufassung der Nichtigkeitsgründe erachtete er es freilich auch für geboten, die Einspruchsgründe entsprechend zu ändern (Amtl. Begr. PatG 1978 BIPMZ a.a.O., 335 li. Sp. zu Nr. 13) und mit der Einführung des der Patenterteilung nachgeschalteten Einspruchsverfahrens durch das PatG 1981 auch den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 PatG 1978 zum Widerrufsgrund zu erheben. Dieser ist durch den gleichzeitig eingeführten Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs nach § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG in seiner Bedeutung allerdings nicht abgeschwächt, sondern lediglich ergänzt worden, um auch solche Erweiterungen erfassen zu können, die wegen des geänderten Einspruchsverfahrens nicht unter den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung nach § 22 Abs. 1, 1. Alternative i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG fallen (Amtl. Begr. PatG 1981, BIPMZ 1979, 266, 281 re. Sp. zu Nr. 12 i.V.m. Amtl. Begr. PatG 1978 a.a.O. 335 li. Sp. Abs. 2). Betroffen von dieser Neuregelung sind namentlich solche Fallgestaltungen, bei denen die erteilten Patentansprüche erweitert worden sind, ohne daß sie inhaltlich über die ursprüngliche Anmeldung hinausgehen. Überschreitet hingegen eine - gegebenenfalls nachträgliche - Erweiterung den Rahmen der ursprünglichen Offenbarung, hat es auch weiterhin bei der bisherigen Rechtslage zu bleiben, nach der das unzulässige Merkmal als Folge des § 38 PatG und im Interesse der Rechtssicherheit zu beseitigen ist (BGH GRUR 1975, 310 - Regelventil). Da das unzulässige Merkmal aber im zu entscheidenden Fall im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I verblieben ist, konnte dem Antrag nicht stattgegeben werden.
3. Hilfsantrag II. Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II enthält das unzulässige Merkmal nicht. Es ist gestrichen und ersetzt worden durch das Merkmal der Steuerbarkeit der Grenzfrequenz mittels der Konstantstromquelle, welches unstreitig sowohl den ursprünglichen Anmelde- wie auch den späteren Patentunterlagen als zur beanspruchten Erfindung gehörend entnommen werden kann (vgl. oben II 1.a). Diese von der Patentinhaberin vorgenommenen Änderungen erachtet der Senat für zulässig und den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II für bestandsfähig.
a) Der Senat verkennt dabei nicht, daß mit der Streichung eines Anspruchsmerkmals in der Regel eine Erweiterung des Schutzbereichs eines Patents einhergeht, so wie andererseits jedes zusätzliche Merkmal den Umfang dessen, was unter Schutz gesellt ist, einengt. Schutzbereichserweiterungen stellen zwar nach § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG einen bereits im Einspruchsverfahren zu berücksichtigenden Nichtigkeitsgrund dar (BGH GRUR 1990, 432 - Spleißkammer), in teleologischer Reduktion dieser Vorschrift und im Hinblick auf ihre Entstehungsgeschichte gilt dies (...) jedoch nur für solche Fallgestaltungen, bei denen im nachgeschalteten Einspruchsverfahren eine Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Patents erfolgt, die sich noch im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung hält. Nach altem Recht wäre derartigen, nunmehr unzulässigen Schutzbereichserweiterungen nach der Patenterteilung (im Einspruchsverfahren) nicht beizukommen gewesen, da der seinerzeitige § 13 Abs. 1 Nr. 4 PatG 1978 (heute § 21 Abs. 1 Nr. 4) nur die Überschreitung des Rahmens der ursprünglichen Offenbarung als Nichtigkeitsgrund kannte (vgl. Amtl. Begr. PatG 1981, BIPMZ 1979, 281 re. Sp. zu Nr. 12). Dies stehe aber, wie die Amtl. Begr. ausführt (a.a.O.), in Widerspruch zu dem im Europäischen Patentübereinkommen und im geltenden Recht verankerten Grundsatz, daß sich die Allgemeinheit darauf verlassen können müsse, daß ein erteiltes Patent nicht nachträglich einen erweiterten Schutzbereich erhalte.
Ging es demnach mit der Einführung des Nichtigkeitsgrundes des § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG allein darum, die dargelegte, mit der Einführung des der Patenterteilung nachgeschalteten Einspruchsverfahrens entstandene Lücke zu schließen, besteht keine Veranlassung, diese Vorschrift als unabhängig und losgelöst von der des § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG auszulegen und auch dann anzuwenden, wenn der Gegenstand eines Patents auf das zurückgeführt werden soll, was in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbart worden ist. Insoweit soll es nach der Absicht des Gesetzgebers und zur Vermeidung des paradoxen, unangemessenen und deshalb nicht gewollten Ergebnisses des Widerrufs des Patents (so zum EPÜ Techn. Beschwerdekammer des EPA T 231/89ABl. EPA 1993, 13, 16 - Flache Torsionsfeder) unverändert bei der früheren Rechtslage bleiben, so daß in diesen Fällen der Einhaltung des Rahmens der ursprünglichen Offenbarung Vorrang gebührt vor dem Nichtigkeitsgrund des § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG, indem die Streichung eines in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbarten Merkmals nicht als - schon im Einspruchsverfahren unzulässige - Erweiterung des Schutzbereichs nach § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG angesehen wird (im Anschluß an BGH GRUR 1975, 310 - Regelventil; 1977; 714 - Fadenvlies).
b) Dem steht nicht entgegen, daß die Streichung des unzulässigen Merkmals nicht mehr im Erteilungsverfahren, sondern seit der Einführung des nachgeschalteten Einspruchsverfahrens bei einem erteilten Schutzrecht vorgenommen wird. Denn auch das nachgeschaltete Einspruchsverfahren dient - wenngleich lediglich im Rahmen der gesetzlichen Widerrufsgründe - der endgültigen Gestaltung des Schutzrechts, mit der häufig Änderungen der Patentansprüche verbunden sind (vgl. BGH GRUR 1989, 103 - Verschlußvorrichtung für Gießpfannen). Deshalb sind Änderungen, einschließlich Streichungen, die das Patent auf den ursprünglichen Offenbarungsgehalt der Anmeldung zurückführen, in entsprechender Anwendung des § 61 Abs. 2 und 3 PatG der Öffentlichkeit im Patentblatt und durch die Veröffentlichung einer geänderten Patentschrift mitzuteilen.
c) Die Streichung der unzulässigen Änderung entspricht schließlich - im Gegensatz zur Einfügung eines Disclaimers in den erweiterten Patentanspruch - nicht nur den gesetzgeberischen Vorstellungen bei der Einführung des Nichtigkeitsgrundes des § 22 Abs. 1, 2. Alternative PatG, sondern vermag überdies das Spannungsverhältnis zwischen dieser Vorschrift und § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG sowie den damit verbundenen Konflikt zwischen Individualinteresse des Erfinders an der Streichung lediglich des unzulässig erweiternden Merkmals bei Aufrechterhaltung des Patents im übrigen und dem Interesse Dritter sowie der Allgemeinheit an einer vollständigen Beseitigung des durch die Patenterteilung gesetzten Rechtsscheins in beiderseits befriedigender Weise zu lösen. Dem Erfinder bleibt für seine Leistung die ihm gebührende Belohnung, während gleichzeitig dem Interesse der Allgemeinheit an einer Beseitigung der unzulässigen Änderung "(...)" Rechnung getragen ist.
d) Wie die Interessen desjenigen zu wahren sind, dessen Handlung nunmehr den infolge der Streichung geänderten Schutzbereich des Patents berührt, haben die Verletzungsgerichte zu entscheiden (vgl. BGH GRUR 1970, 296 - Allzweck-Landmaschine; 1975, 310, 312 li. Sp. - Regelventil). In der Gesetzgebung finden sich verschiedene Beispiele eines befriedigenden Ausgleichs der Belange desjenigen, der im Vertrauen auf den den Patentansprüchen entnehmbaren Schutzbereich Benutzungshandlungen begonnen hat, und den Interessen des Patentinhabers, in dessen Schutzrecht nach der Streichung des unzulässigen Merkmals eingegriffen wird. So schützt etwa das Gemeinschaftspatentübereinkommen denjenigen, der auf die Richtigkeit einer Patentübersetzung vertraut, durch die Gewährung eines Weiterbenutzungsrechts, wenn seine Benutzungshandlung infolge der Korrektur des Übersetzungsfehlers in das sprachlich geänderte Schutzrecht eingreift (Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜG; dazu auch Schwanhäusser, GRUR 1991, 165, 169), und auch § 123 Abs. 5 PatG schützt den gutgläubigen Benutzer des Gegenstandes eines erloschenen Patents, das infolge einer späteren Wiedereinsetzung wieder in Kraft getreten ist, durch die Gewährung eines Weiterbenutzungsrechts. Das Erstreckungsgesetz kennt ebenfall Weiterbenutzungsrechte desjenigen, der vor der territorialen Erstreckung eines Schutzrechts die geschützte Erfindung in Benutzung genommen hat (§ 28). Weitere Beispiele enthält das Urheberrechtsgesetz (...). In § 137 f. Abs. 3 und 4 UrhG ist dort geregelt, wie vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begonnene Nutzungshandlungen zu beurteilen sind, die wiederauflebende Rechte berühren. Danach dürfen vor dem Stichtag begonnene Nutzungen fortgesetzt werden, jedoch nur gegen Zahlung einer angemessenen Vergütung, während Nutzungen vor dem Stichtag vergütungsfrei bleiben. Welche Lösung sich für die vorliegende Fallgestaltung letztlich anbietet, bedarf hier keiner Entscheidung.
DE 4/98
* Amtlicher, für die Veröffentlichung gekürzter Text der Entscheidung, deren Gründe vollständig veröffentlicht sind in Mitt. 1998, 221 und BPatGE 39, 34.
1 In diesem Sinne auch BPatG"Zerkleinerungsanlage" vom 9. Januar 1998 - Mitt. 1998, 220.
2 Ebenfalls veröffentlicht in ABl. EPA 1994, 541.