BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Juristischen Berschwerdekammer
Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 1. Oktober 1997 - J 18/96 - 3.1.1
(Verfahrenssprache)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | J.-C. Saisset |
Mitglieder: | B. Schachenmann |
G. Davies |
Anmelder: N.N.
Stichwort: Anmeldetag/N.N.
Artikel: 14, 66, 80, 87 (3), 90 EPÜ
Schlagwort: "Zuerkennung eines Anmeldetags" - "Sprachen des EPA" - "Ausstellung eines Prioritätsbelegs" - "Vertrauensschutz"
Leitsätze
I. Die Voraussetzungen von Artikel 80 EPÜ für die Zuerkennung eines Anmeldetags sind nicht erfüllt, wenn die Beschreibung und die Patentansprüche in zwei verschiedenen Amtssprachen eingereicht werden.
II. Wenn die Eingangsstelle den Antragsteller trotz dieses Mangels während längerer Zeit in dem begründeten Glauben läßt, die Anmeldung sei rechtswirksam eingereicht worden, kann sich dieser hinsichtlich der Zuerkennung eines Anmeldetags auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen.
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin reichte am 2. Februar 1995 beim Europäischen Patentamt einen Antrag auf Erteilung eines europäischen Patents ein, zusammen mit Unterlagen, die als Beschreibung, Patentanspruch, Zeichungen (zwei Figuren) und Zusammenfassung identifiziert waren. Die Beschreibung bestand aus einem englischsprachigen Text in der Form eines wissenschaftlichen Artikels. Der einzige Patentanspruch und die Zusammenfassung waren in deutscher Sprache abgefaßt. Die Zeichnungen enthielten Erläuterungen in deutscher und englischer Sprache.
II. Die Eingangsstelle bestätigte am gleichen Tag den Empfang dieser Unterlagen und teilte der Beschwerdeführerin die Anmeldungsnummer ... mit. Am 8. Juni 1995 erließ sie eine Mitteilung nach Regel 85a (1) EPÜ, wonach die Anmelde- und die Recherchengebühr nicht fristgerecht entrichtet worden seien, jedoch noch innerhalb der Nachfrist von einem Monat mit Zuschlag entrichtet werden könnten. Nachdem die Gebühren auch innerhalb der Nachfrist nicht entrichtet worden waren, wurde der Beschwerdeführerin am 6. September 1995 gemäß Regel 69 (1) EPÜ mitgeteilt, daß die europäische Patentanmeldung Nr. ... als zurückgenommen gelte. Eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ wurde nicht beantragt.
III. Mit Brief vom 17. November 1995 ersuchte die Beschwerdeführerin das EPA um die Ausstellung eines Prioritätsbelegs für die genannte Patentanmeldung und entrichtete die entsprechende Verwaltungsgebühr nach Regel 94 (4) EPÜ. Nachdem die Eingangsstelle darauf nicht reagierte, beantragte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. Februar 1996 die Ausfertigung von zwei beglaubigten Kopien der Akte und eine beschwerdefähige Entscheidung für den Fall, daß das Europäische Patentamt der Anmeldung keinen Anmeldetag zuerkenne.
IV. Dieses Schreiben kreuzte sich mit einer Mitteilung der Eingangsstelle, daß der Anmeldung kein Anmeldetag zuerkannt werden könne, da sie die Voraussetzungen von Artikel 80 d) EPÜ wegen der uneinheitlichen Sprache von Beschreibung und Patentanspruch nicht erfülle. Am 3. April 1996 folgte eine entsprechende Entscheidung der Eingangsstelle, mit der sowohl der Antrag auf Ausfertigung eines Prioritätsbelegs als auch der Antrag auf Zuerkennung eines Anmeldetags zurückgewiesen wurde. Beglaubigte Kopien der Anmeldung wurden der Beschwerdeführerin antragsgemäß zugestellt.
V. In ihrer Entscheidung wies die Eingangsstelle auf den Grundsatz der Einsprachigkeit im europäischen Patenterteilungsverfahren hin. Das Erfordernis der Einsprachigkeit ergebe sich aus Artikel 14 (1), (3) und (6) EPÜ und sei eine Voraussetzung für die Zuerkennung eines Anmeldetags nach Artikel 80 EPÜ. Da die eingereichten Unterlagen diesem Erfordernis nicht entsprachen, könne ihnen kein Anmeldetag zuerkannt werden, womit ihnen auch die Wirkung einer vorschriftsgemäßen Hinterlegung nach Artikel 66 EPÜ nicht zukomme. Damit fehlten die Voraussetzungen für die Beanspruchung einer Priorität aus dieser Hinterlegung, weshalb dafür kein Prioritätsbeleg ausgestellt werden könne.
Dabei räumte die Eingangsstelle ein, der Formalprüfer habe das Problem der unterschiedlichen Sprachen im Verlauf der Eingangsprüfung nach Artikel 90 EPÜ zunächst wohl nicht erkannt und sei davon ausgegangen, daß die Anmeldung den Anforderungen von Artikel 80 EPÜ genüge. Andernfalls wäre eine Mitteilung gemäß Regel 39 EPÜ zur Beseitigung der festgestellten Mängel ergangen. Zum Zeitpunkt des Antrags auf Ausfertigung eines Prioritätsbelegs sei aber die Anmeldung mangels Zahlung der Anmelde- und Recherchengebühr nicht mehr anhängig gewesen. Es sei damit nicht mehr möglich gewesen, nachträglich das Mängelbeseitigungsverfahren nach Regel 39 EPÜ durchzuführen.
VI. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt. Sie beantragte deren Aufhebung sowie die Zuerkennung eines Anmeldetags und die Ausfertigung eines Prioritätsbelegs für die Anmeldung Nr. ... Hilfsweise stellte sie den Antrag auf mündliche Verhandlung.
VII. Ihre Anträge begründete sie im wesentlichen wie folgt:
i) Die Bestimmung von Artikel 80 d) EPÜ sehe vor, daß die Anmeldungsunterlagen eine Beschreibung und mindestens einen Patentanspruch in einer der in Artikel 14, Absätze 1 und 2 vorgesehenen Sprachen enthalten müßten. Im Ausdruck "in einer der ... vorgesehenen Sprachen" sei "einer" nicht als Zahlwort aufzufassen. Wo dies im Übereinkommen beabsichtigt sei, werde immer der Ausdruck "ein einziger" verwendet, wie sich an vielen Beispielen zeige (Artikel 82, Regel 29 (2), 32 (2) h), 86 (4) EPÜ etc.). Artikel 80 d) EPÜ verlange deshalb nicht eine Beschreibung und Ansprüche in einer einzigen Sprache, sondern schließe bloß die Einreichung von Unterlagen in anderen als den in Artikel 14 EPÜ vorgesehenen Sprachen aus.
ii) Daran ändere auch der Einwand nichts, daß im Falle unterschiedlicher Sprachen für Patentansprüche und Beschreibung die Veröffentlichung der Anmeldung in einer Sprachkombination zu erfolgen hätte. Analog zur Regelung für die Sondersprachen nach Artikel 14 (2) und Regel 6 (1) EPÜ könne der Anmelder in einem solchen Fall vor der Veröffentlichung aufgefordert werden, eine Übersetzung in die von ihm als Verfahrenssprache gewählte Amtssprache nachzureichen.
iii) Selbst wenn aus dem Text des Übereinkommens herleitbar wäre, daß Artikel 80 d) EPÜ die Einsprachigkeit vorschriebe, müsse den eingereichten Unterlagen im vorliegenden Fall aus Gründen des Vertrauensschutzes ein Anmeldetag zuerkannt werden.
Die Beschwerdeführerin habe darauf vertrauen können, im Rahmen der Eingangsprüfung gemäß Artikel 90 und Regel 39 EPÜ auf Mängel der Anmeldungsunterlagen hingewiesen zu werden, die der Zuerkennung eines Anmeldetags entgegenstanden. Statt dessen sei sie durch die Mitteilung nach Regel 85a (1) EPÜ, die eine gültig eingereichte Anmeldung voraussetze, im Glauben gelassen worden, der Anmeldung sei ein Anmeldetag zuerkannt worden. Dasselbe habe sie auch aus der späteren Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ schließen können.
iv) Es sei der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall gerade um die Begründung einer Priorität gegangen, wofür nur die Voraussetzungen zur Erlangung eines Anmeldetags erfüllt sein müßten und das spätere Schicksal der Anmeldung ohne Bedeutung sei. Aus dem Umstand, daß die Anmelde- und Recherchengebühr nicht entrichtet und auf die entsprechenden Mitteilungen nicht reagiert worden sei, habe die Eingangsstelle nicht schließen dürfen, daß kein Interesse an der Erlangung eines Anmeldetags bestehe. Sie hätte die Beschwerdeführerin nicht ein Jahr lang im Glauben lassen dürfen, ein solcher sei begründet worden, um schließlich die Ausstellung eines Prioritätsbelegs zu verweigern. Statt dessen hätte die mangelnde Zuerkennung eines Anmeldetags der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 90 und Regel 39 EPÜ mitgeteilt werden müssen, um ihr rechtzeitig die Möglichkeit zur Behebung des Mangels zu geben. Die Vorgehensweise des Formalprüfers habe damit nicht den Vorschriften des Übereinkommens entsprochen, was nicht von der Beschwerdeführerin zu vertreten sei.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar hat die Beschwerdeführerin die Feststellung des Europäischen Patentamts nicht angefochten, wonach die in Frage stehende Anmeldung als zurückgenommen gilt, so daß diese Feststellung in Rechtskraft erwachsen ist. Dennoch ist die Beschwerdeführerin durch die angefochtene Entscheidung beschwert, da ihr die Zuerkennung eines Anmeldetags und die Ausfertigung eines Prioritätsbelegs verweigert wurde. Die Entscheidung beeinträchtigt sie in der Ausübung ihres Prioritätsrechts, das auf Grund von Artikel 66 EPÜ nur aus einer europäischen Patentanmeldung abgeleitet werden kann, "deren Anmeldetag feststeht". Da bei Nachanmeldungen in den Verbandsländern der PVÜ eine Bescheinigung des Erstanmeldeamts über den Zeitpunkt der Hinterlegung der Anmeldung als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Priorität verlangt werden kann (Artikel 4D (3) PVÜ), ist die Beanspruchung der Priorität ohne Prioritätsbeleg nicht sichergestellt.
2. Es erhebt sich zunächst die Frage, ob die Einreichung von Anmeldungsunterlagen mit einer englischsprachigen Beschreibung und einem deutschsprachigen Patentanspruch den Anforderungen von Artikel 80 EPÜ für die Begründung eines Anmeldetags genügt. Die Eingangsstelle hat dies wegen der sprachlichen Uneinheitlichkeit von Beschreibung und Patentanspruch verneint.
2.1 Die Beschwerdeführerin vertritt dagegen den Standpunkt, die Bestimmung von Artikel 80 d) EPÜ schreibe nicht vor, daß für eine vorschriftsgemäße Hinterlegung die Beschreibung und die Patentansprüche in einer einzigen der vorgesehenen Sprachen eingereicht werden müßten. Sie übersieht dabei den Zusammenhang von Artikel 80 d) EPÜ mit den übrigen Vorschriften, die die Sprachen des Europäischen Patentamts regeln, also insbesondere den Bestimmungen von Artikel 14 EPÜ.
2.2 Artikel 14 EPÜ legt fest, in welchen Sprachen europäische Patentanmeldungen einzureichen sind, nämlich "in einer" der Amtssprachen des Europäischen Patentamts (Artikel 14 (1) EPÜ) oder "in einer" der zugelassenen Sondersprachen nach Artikel 14 (2) EPÜ. Im erstgenannten Fall, der hier allein von Interesse ist, bildet die Amtssprache (Einzahl!) des Europäischen Patentamts, in der die europäische Patentanmeldung eingereicht worden ist, die Verfahrenssprache in allen späteren Verfahren vor dem Europäischen Patentamt (Artikel 14 (3) EPÜ). Daraus ergibt sich klar der Grundsatz der Einsprachigkeit europäischer Patentanmeldungen.
2.3 Allerdings ist der Beschwerdeführerin zuzugestehen, daß dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt auf die ursprünglich eingereichten Unterlagen anwendbar ist. Artikel 80 EPÜ enthält gemäß seinem Absatz d) nur für die Beschreibung und die Patentansprüche eine Vorschrift über die zu benutzende Sprache, nicht aber für die restlichen Unterlagen der Patentanmeldung (vgl. T 382/94 vom 17. April 1997, Ziff. 5 und 6 der Gründe). Die Beschreibung und der mindestens eine Patentanspruch nach Artikel 80 d) EPÜ sind deshalb als die maßgebenden Teile der Anmeldung zur Bestimmung der Verfahrenssprache nach Artikel 14 (3) EPÜ anzusehen (vgl. J 7/80, Ziff. 4 der Gründe, ABl. EPA 1981, 137). Die Zulassung unterschiedlicher Amtssprachen für diese Teile der Anmeldung würde es verunmöglichen, aufgrund der eingereichten Unterlagen eine Verfahrenssprache festzulegen, was in direktem Widerspruch zu Artikel 14 (3) EPÜ stünde. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte, auf rein grammatikalischen Überlegungen beruhende und sprachlich keineswegs zwingende Auslegung von Artikel 80 d) EPÜ trägt diesem Zusammenhang keine Rechnung.
2.4 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zum Schluß, daß das Erfordernis von Artikel 80 d) EPÜ mit der Einreichung einer Beschreibung und eines Patentanspruchs in zwei verschiedenen Amtssprachen nicht erfüllt ist. Somit entsprachen die im vorliegenden Fall eingereichten Unterlagen den Vorschriften von Artikel 80 EPÜ nicht.
3. Die Beschwerdeführerin beruft sich ferner auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes sowie darauf, daß die Eingangsprüfung von der Eingangsstelle nicht gemäß den Vorschriften des Übereinkommens durchgeführt worden sei.
3.1 Die Durchführung der Eingangsprüfung ist in Artikel 90 und Regel 39 EPÜ festgelegt. Danach hat die Eingangsstelle zuerst zu prüfen, ob die europäische Patentanmeldung den Erfordernissen für die Zuerkennung eines Anmeldetags genügt (Artikel 90 (1) a) EPÜ). Ist dies der Fall, so wird geprüft, ob die Anmelde- und Recherchengebühr entrichtet und gegebenenfalls die Übersetzung der Anmeldung in die Verfahrenssprache eingereicht wurde (Artikel 90 (1) b) und c) EPÜ).
Diese Reihenfolge bei der Eingangsprüfung ergibt sich zwingend aus den Rechtsfolgen, die bei der Feststellung entsprechender Mängel vorgesehen sind. Kann ein Anmeldetag nicht zuerkannt werden und werden die entsprechenden Mängel nicht rechtzeitig beseitigt, so wird die Anmeldung nicht als europäische Patentanmeldung behandelt (Artikel 90 (2) EPÜ). In diesem Fall liegt überhaupt keine rechtswirksame europäische Patentanmeldung vor. Betrifft der Mangel andererseits die Entrichtung der Gebühren oder die Einreichung der Übersetzung, so gilt die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen (Artikel 90 (3) EPÜ), was die Existenz einer rechtswirksamen europäischen Patentanmeldung voraussetzt. Die Prüfung nach Artikel 90 (1) b) und c) EPÜ kann folglich erst vorgenommen werden, nachdem sich die Eingangsstelle davon überzeugt hat, daß ein Anmeldetag zuerkannt werden kann (vgl. Richtlinien für die Prüfung im EPA, A-II, 4.8).
Die genannte Reihenfolge ergibt sich aber auch aus der sachlichen Notwendigkeit, den Anmelder möglichst rasch über Mängel zu informieren, die der Zuerkennung eines Anmeldetags entgegenstehen, um ihm Gelegenheit zu deren Behebung und zur Gewinnung eines Anmeldetags nach Artikel 80 EPÜ zu geben. Zu diesem Zweck sieht das Übereinkommen in Regel 39 EPÜ ein besonderes Beanstandungsverfahren vor für den Fall, daß die Anmeldung den Erfordernissen von Artikel 80 EPÜ nicht genügt.
3.2 Es ist unbestritten, daß die Eingangsstelle im vorliegenden Fall kein Beanstandungsverfahren nach Regel 39 EPÜ durchgeführt hat, obwohl ein Erfordernis von Artikel 80 EPÜ für die Zuerkennung eines Anmeldetags nicht erfüllt war. Statt dessen wies sie die Beschwerdeführerin gemäß Regel 85a (1) EPÜ auf die Versäumung der Frist zur Entrichtung der Anmelde- und Recherchengebühr hin. Dies, wie auch die spätere Feststellung eines Rechtsverlusts nach Regel 69 (1) EPÜ, setzte jedoch die rechtswirksame Einreichung der Anmeldung voraus (vgl. oben Ziff. 3.1). Aber selbst nachdem die Eingangsstelle am 12. Februar 1996 festgestellt hatte, daß eines der Erfordernisse für die Zuerkennung eines Anmeldetags nach Artikel 80 EPÜ nicht erfüllt war, gab sie der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit, den entsprechenden Mangel gemäß Regel 39 EPÜ zu beheben. Vielmehr teilte sie ihr mit, es bestehe keine Möglichkeit mehr, den festgestellten Mangel zu beheben, weil das Erteilungsverfahren inzwischen infolge Nichtentrichtung der fälligen Gebühren rechtskräftig abgeschlossen sei.
3.3 Damit mißachtete die Eingangsstelle die Vorschriften über die Eingangsprüfung und setzte sich in Widerspruch zu sich selbst. Dies führte dazu, daß der Beschwerdeführerin die Gelegenheit vorenthalten wurde, die Mängel, die der Zuerkennung eines Anmeldetags entgegenstanden, gemäß Artikel 90 (2) und Regel 39 EPÜ zu beseitigen.
Die Tatsache, daß die Beschwerdeführerin die Anmelde- und Recherchengebühr nicht entrichtete, ändert daran nichts, da bei europäischen Anmeldungen die Begründung eines Anmeldetags nicht von der Entrichtung von Gebühren abhängt (Artikel 80 EPÜ) und das spätere Schicksal einer Anmeldung für den Anmeldetag ohne Bedeutung ist (Artikel 66 in Verbindung mit Artikel 87 (3) EPÜ). Auch der Umstand, daß die genannten Mängel erst relativ spät festgestellt wurden, hätte die Eingangsstelle nicht davon abhalten dürfen, der Beschwerdeführerin die Gelegenheit zu deren Behebung zu geben.
Das Vorgehen der Eingangsstelle leidet deshalb an einem Verfahrensmangel, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen muß.
4. Damit ist jedoch die Frage noch offen, ob und gegebenenfalls wann im vorliegenden Fall ein Anmeldetag nach Artikel 80 EPÜ begründet wurde.
4.1 Die Eingangsstelle bestätigte den 2. Februar 1995 als Tag des Eingangs der Anmeldungsunterlagen und teilte der Beschwerdeführerin vorbehaltlos eine Anmeldenummer mit. Während der Eingangsprüfung blieb das Problem der unterschiedlichen Sprachen von Beschreibung und Patentanspruch unerkannt. Daraus allein läßt sich die rechtskräftige Zuerkennung eines Anmeldetags jedoch nicht ableiten. Der Anmeldetag kann grundsätzlich in allen Stadien des europäischen Prüfungsverfahrens überprüft werden, wenn es zur Beantwortung einer Rechtsfrage darauf ankommt (vgl. Bossung in: Münchner Gemeinschaftskommentar, 8. Lieferung, Art. 80 EPÜ, Rdn. 115 ff).
4.2 Im vorliegenden Fall kommt jedoch dazu, daß das Europäische Patentamt die Beschwerdeführerin durch die Zustellung der Mitteilungen nach Regel 85a und 69 EPÜ über ein Jahr lang in dem begründeten Glauben ließ, die Anmeldung sei rechtswirksam eingereicht worden. Eine Mängelbeseitigung nach Artikel 90 (2) und Regel 39 EPÜ wurde danach ausdrücklich ausgeschlossen. Auf diese Weise wurde die Beschwerdeführerin daran gehindert, den Mangel in den Anmeldungsunterlagen zu beseitigen, wozu es ausgereicht hätte, den deutschsprachigen Patentanspruch durch einen englischsprachigen Anspruch zu ersetzen. Dies wäre bei korrektem Vorgehen der Eingangsstelle zweifellos innert kürzester Zeit nach Hinterlegung der Anmeldung möglich gewesen.
Ferner ist zu berücksichtigen, daß der Mangel in den eingereichten Unterlagen weder die Identität des Anmelders noch die Offenbarung der Erfindung oder den Rechtsanspruch auf Schutzerteilung betraf, sondern ausschließlich die Formfrage der einheitlichen Amtssprache für Beschreibung und Patentanspruch. Die eingereichten Unterlagen erfüllten damit jedenfalls diejenigen Grunderfordernisse, die für die Begründung eines patentrechtlichen Zeitrangs von der Sache her unentbehrlich sind (vgl. Bossung, a. a. O., Rdn. 68 ff.).
Schließlich ist zu beachten, daß die Öffentlichkeit mangels Veröffentlichung der vorliegenden Anmeldung von den Verfahren vor dem Europäischen Patentamt keine Kenntnis nehmen konnte (Artikel 128 (1) EPÜ) und deshalb von dessen Ausgang nicht direkt betroffen ist.
4.3 Auf Grund dieser Überlegungen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Vertrauen darauf zu schützen ist, daß ihrer am 2. Februar 1995 eingegangenen Anmeldung ein entsprechender Anmeldetag zuerkannt wurde. Aus dem mißverständlichen und zum Teil vorschriftswidrigen Verhalten des Europäischen Patentamts darf ihr kein Nachteil erwachsen. Damit schließt sich die Kammer an ihre bisherige, ständige Rechtsprechung zum Vertrauensschutz an (vgl. z. B. J 3/87, ABl. EPA 1989, 3; J 14/94, ABl. EPA 1995, 824).
Der vorliegenden, nicht mehr anhängigen Patentanmeldung ist deshalb ein Anmeldetag vom 2. Februar 1995 zuzuerkennen. Dies ist im beantragten Prioritätsbeleg zu bescheinigen.
5. Obwohl der Beschwerde unter anderem wegen eines Verfahrensmangels stattgegeben wird, entspricht die Rückerstattung der Beschwerdegebühr im vorliegenden Fall nicht der Billigkeit. Die Beschwerdeführerin hat mit den eingereichten Unterlagen selbst den Anlaß für das mißglückte Verfahren vor der Eingangsstelle gegeben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der nicht mehr anhängigen europäischen Patentanmeldung Nr. ... wird als Anmeldetag der 2. Februar 1995 zuerkannt.
3. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anweisung, der Beschwerdeführerin gemäß ihrem Antrag vom 17. November 1995 einen Prioritätsbeleg auszustellen.