INTERNATIONALE VERTRÄGE
Europäische Union
Grünbuch über das Gemeinschaftspatent
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses*
Die Kommission beschloß am 25. Juni 1997, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 198 EGV mit folgender Vorlage zu befassen:
"Förderung der Innovation durch Patente - Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa" (KOM (97) 314 endg.)
Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen nahm ihre Stellungnahme am 6. Februar 1998 an. Berichterstatter war Herr Bernabei.
Der Wirtschafts- und Sozialausschuß verabschiedete auf seiner 352. Plenartagung (Sitzung vom 25. Februar 1998) mit 128 gegen 1 Stimme bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:
1. In Erwägung nachstehender Gründe:
1.1 Patente sind ein wichtiges Instrument, um Investitionsanreize in Forschung und Technologie zu geben, daher stellt ein kohärentes und effizientes europäisches Patentrecht ein wesentliches Element für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der Europäischen Union dar;
1.2 ein voll integrierter europäischer Innovationsmarkt erfordert ein europaweit einheitliches System zum Schutz des gewerblichen Eigentums durch ein Gemeinschaftspatent, das insbesondere innovativen KMU mit hohem Technologieanteil sowie "Pionieren" zugänglich ist, wie in der Stellungnahme des WSA zum Thema "Auswirkungen der fortlaufenden, generellen Kürzung der FTE-Ausgaben in der EU (Gemeinschaft und Mitgliedstaaten) auf die KMU" (CES 986/97 vom 1. Oktober 1997) hervorgehoben wird;
1.3 das gemeinschaftliche Patentsystem nach dem Luxemburger Übereinkommen aus dem Jahre 1975 und der 1989 unterzeichneten Vereinbarung über Gemeinschaftspatente, die niemals in Kraft getreten sind, scheint heute nicht mehr geeignet, um diesen einheitlichen Schutz zu gewährleisten;
1.4 das Problem des Gemeinschaftspatents muß dringend in Angriff genommen werden und höchste Priorität genießen, da es in einem globalen Markt bedeutende Auswirkungen auf die Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit sowie die technologische und industrielle Entwicklung hat;
1.5 daher muß das Patentsystem dringend neu geordnet und noch vor der nächsten EU-Erweiterung auf eine neue Grundlage gestellt werden, damit es wirklich funktionsfähig ist;
gibt der Wirtschafts- und Sozialausschuß dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parlament folgende Empfehlungen:
1.6 Das Gemeinschaftspatent muß auf der Grundlage einer EG-Verordnung eingeführt werden, die gemäß Artikel 235 EGV erlassen wird.
1.7 Das Gemeinschaftspatent muß einheitlich sein und in der gesamten Gemeinschaft gelten; inakzeptabel wäre ein Gemeinschaftspatent "nach Maß" oder "mit variabler Geometrie", da dies im Widerspruch zu den Erfordernissen des Binnenmarktes steht.
1.8 Das Gemeinschaftspatent muß neben den einzelstaatlichen Patenten und dem europäischen Patent bestehen. Wer ein Gemeinschaftspatent anmeldet, muß vor der Patenterteilung die Möglichkeit haben, seinen Antrag auf ein Gemeinschaftspatent in einen Antrag auf ein europäisches Patent umzuwandeln.
1.9 Das Gemeinschaftspatent muß zu einem Preis erworben werden können, der mit dem für ein europäisches Patent vergleichbar ist, das für eine beschränkte Zahl von Ländern angemeldet wird, wobei insbesondere die anfänglich anfallenden Kosten verringert werden müssen.
1.10 Zur Begrenzung der Kosten muß das Übersetzungsproblem gelöst werden, und zwar auf der Grundlage der vom Europäischen Patentamt entwickelten "globalen Lösung", die folgende Aspekte umfaßt:
1.10.1 Eine Patentanmeldung kann in einer beliebigen Amtssprache der EU eingereicht werden, muß jedoch in eine der Verfahrenssprachen (Englisch, Französisch, Deutsch) übersetzt werden;
1.10.2 Das Europäische Patentamt erstellt und veröffentlicht in der jeweiligen Verfahrenssprache gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Patentanmeldung eine ausführliche technische Zusammenfassung derselben. Das Europäische Patentamt sollte auch eine Übersetzung in die beiden anderen Verfahrenssprachen erstellen und den Text in diesen drei Sprachen im Internet veröffentlichen. Darüber hinaus sollte das Europäische Patentamt diese Texte unverzüglich den Kommissionsdienststellen zusenden, die für die Bewertung und Verbreitung der Forschungsergebnisse zuständig sind (GD XIII), damit diese Stellen die Texte in alle übrigen Amtssprachen der Gemeinschaft übersetzen und sie in der Datenbank CORDIS veröffentlichen. Die Übersetzungskosten gingen zu Lasten der EU und würden als Kosten der Bewertung und Verbreitung der Forschungsergebnisse betrachtet. Allerdings wird die Kommission mit Blick auf ein künftiges erweitertes Europa die Kosten der geltenden Sprachenregelung generell überprüfen müssen.
1.10.3 Bei der Patenterteilung müßte der Patentanmelder lediglich die Übersetzungskosten für die Patentansprüche tragen.
1.10.4 Vor jedem etwaigen Rechtsstreit müßte der Patentinhaber darüber hinaus die Kosten für die Übersetzung der gesamten Patentschrift tragen.
1.11 Das Patentrechtsprechungssystem sollte auf einigen wenigen einzelstaatlichen Gerichten erster Instanz beruhen, die für Verletzungsverfahren und Widerklagen auf Nichtigerklärung eines Gemeinschaftspatents zuständig wären, deren Befugnis sich jedoch darauf beschränken würde zu erklären, daß das Patent dem (vorgeblichen) Patentverletzer hinsichtlich jener bestimmten Art von (vorgeblicher) Patentverletzung nicht entgegengehalten werden kann (nur "inter partes" wirksam). Alternativ dazu könnte vorgesehen werden, daß auch die für die Beurteilung von Patentverletzungen zuständigen einzelstaatlichen Gerichte ein Gemeinschaftspatent für nichtig erklären können (sofern gegen ein solches Widerklage erhoben wird), wobei diese Nichtigerklärung jedoch erst wirksam würde, nachdem sie von einem Berufungsgericht bestätigt wurde.
1.11.1 Die Befugnis, ein Patent allgemeingültig ("erga omnes") für nichtig zu erklären, sollte auch in erster Instanz der Nichtigkeitsabteilung des Europäischen Patentamtes oder noch besser einem neu zu schaffenden Gerichtshof vorbehalten sein (es sei denn, man entscheide sich für die unter Ziffer 1.11 genannte Alternative).
1.11.2 Als Gerichtshof zweiter Instanz sollte eine spezialisierte Kammer des Gerichts erster Instanz des Europäischen Gerichtshofs fungieren.
1.12 Hinsichtlich der Gebühren sollten die KMU, Universitäten und gemeinnützigen Forschungseinrichtungen begünstigt werden. Überhaupt sollte eine aktive Politik zur Förderung der KMU geführt werden, indem bei den repräsentativen Organisationen Patentberatungsstellen eingerichtet werden.
1.13 Es sollte untersucht werden, ob die Regelungen für das Vorbenutzungsrecht vereinheitlicht werden können.
1.14 Artikel 52 Absatz 2 Buchstabe c) des EPÜ muß geändert werden, damit auch Computerprogramme patentfähig werden.
* Zusammenfassung. Der vollständige Text der Stellungnahme ist im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 27.4.1998-C129, 8 ff. veröffentlicht.