BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Zwischenentscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.2 vom 25. Mai 1993 - T 830/91 - 3.3.2*
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | A. Nuss |
Mitglieder: | C. Holtz |
| U. Kinkeldey |
Anmelder: Whitby Research, Inc.
Stichwort: Verspätet beantragte Änderungen/WHITBY
Artikel: 96(2), 112(1) a), 113(2), 164(2), 167(2) EPÜ
Schlagwort: "Zulässigkeit von Änderungen nach Erlaß einer Mitteilung gemäß Regel 51(6)" - "Vorbehalte nach Artikel 167(2) EPÜ" - "Vorlage an die Große Beschwerdekammer"
Leitsätze
Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen vorgelegt:
I. Ist Regel 51(6) EPÜ im Sinne von Artikel 113(2) EPÜ dahingehend auszulegen, daß eine nach Regel 51(4) EPÜ abgegebene Einverständniserklärung bindend wird, sobald eine Mitteilung nach Regel 51(6) EPÜ erlassen wurde?
II. Ist das Europäische Patentamt verpflichtet, Vorbehalte nach Artikel 167(2) EPÜ als Erfordernisse des EPÜ anzusehen, die gemäß Artikel 96(2) EPÜ erfüllt werden müssen?
Sachverhalt und Anträge
I. Der Beschwerdeführer hat am 13. November 1987 die europäische Patentanmeldung Nr. 87 116 757.3 eingereicht. Zu den benannten Staaten gehörten Griechenland, Österreich und Spanien, für die keine gesonderten Anspruchssätze eingereicht wurden.
II. Am 14. Dezember 1989 erging eine Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ, in der die Prüfungsabteilung des EPA ihre Absicht erklärte, das Patent in der mitgeteilten Fassung zu erteilen.
Auf diese Mitteilung erklärte der Beschwerdeführer in einem am 9. April 1990 beim EPA eingegangenen Schreiben sein Einverständnis mit den in der Anmeldung vorgenommenen Änderungen und brachte zum Ausdruck, daß er nun die Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ erwarte.
III. Am 19. April 1990 erging eine Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ, mit der der ordnungsgemäße Eingang der Einverständniserklärung des Beschwerdeführers bezüglich der Fassung, in der das Patent erteilt werden sollte, bestätigt wurde. Ferner wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, innerhalb einer nicht verlängerbaren Frist von drei Monaten nach Zustellung der Mitteilung die Erteilungs- und die Druckkostengebühr zu entrichten.
IV. In einem am 9. Juli 1990 beim EPA eingegangenen Schreiben nahm der Beschwerdeführer sein Einverständnis mit der für die Patenterteilung vorgeschlagenen Fassung zurück. Des weiteren erklärte er sein Einverständnis mit der Beschreibung und den Ansprüchen unter der Voraussetzung, daß ein Schreibfehler in Anspruch 1 berichtigt werde, daß drei neue Anspruchssätze für die unter Nummer I genannten Staaten aufgenommen und die bereits aktenkundigen Ansprüche den übrigen benannten Staaten zugeordnet würden. Die letztgenannten Anträge wurden damit begründet, daß in den betreffenden drei Staaten Erzeugnisansprüche nicht zulässig seien. Dies sei u. a. deshalb übersehen worden, weil der Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ keine Mitteilung nach Regel 51 (2) vorausgegangen sei. Der Beschwerdeführer begründete des weiteren die Zulässigkeit dieser Änderungen. Am 20. August 1990 brachte der Beschwerdeführer weitere Argumente vor, weshalb seinen Änderungsanträgen stattzugeben sei.
V. Am 10. Oktober 1990 erging eine Mitteilung der Prüfungsabteilung nach Artikel 96 (2) und Regel 51 (2) EPÜ, mit der dem Beschwerdeführer, da er durch sein Einverständnis gebunden sei, Gelegenheit gegeben wurde, die Ansprüche in der Form wieder aufzunehmen, die der Mitteilung nach Regel 51 (6) zugrunde gelegen hatte, wobei das Versehen in Anspruch 1 berichtigt werden könne. Dem Beschwerdeführer wurde ferner mitgeteilt, daß die Nichtbeachtung dieser Mitteilung die Zurückweisung der Anmeldung zur Folge habe, weil unter diesen Umständen keine Fassung vorliege, auf deren Grundlage das Patent erteilt werden könne (Art. 97 (1) EPÜ).
Am 7. März 1991 erließ der Formalsachbearbeiter der Prüfungsabteilung eine Mitteilung (Formblatt EPA 2093), die diejenige vom 10. Oktober 1990 ersetzte. In der neuen Mitteilung wurde der Beschwerdeführer erneut darauf hingewiesen, daß er an sein Einverständnis mit der Fassung gebunden sei und die beantragten Änderungen daher nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, dem EPA innerhalb von zwei Monaten mitzuteilen, ob er die Erteilung auf der Grundlage der bereits als gewährbar befundenen Fassung der Unterlagen beantrage oder nicht; ferner wurde er darüber unterrichtet, daß die Patentanmeldung nach Artikel 97 (1) EPÜ zurückgewiesen würde, falls er den Änderungsantrag aufrechterhalte.
VI. Am 16. Mai 1991 reichte der Beschwerdeführer seine Stellungnahme zu der Mitteilung vom 7. März ein und beantragte erneut die Gewährung der gesonderten Anspruchssätze.
VII. Am 5. Juni 1991 entschied die Prüfungsabteilung, die Patentanmeldung nach Artikel 97 (1) in Verbindung mit Artikel 97 (2) EPÜ zurückzuweisen, weil keine vom Anmelder gebilligte Fassung vorlag.
VIII. Mit der Beschwerde verfolgt der Beschwerdeführer die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erteilung des Patents auf der Grundlage von vier gesonderten Anspruchssätzen (ein Satz für BE, CH+LI, DE, FR, GB, IT, LU, NL und SE, sowie jeweils ein Satz für Griechenland, Österreich und Spanien) als Hauptantrag oder auf der Grundlage von vier entsprechenden Anspruchssätzen bei fünf in absteigender Rangfolge zu berücksichtigenden Hilfsanträgen. Darüber hinaus beantragt der Beschwerdeführer eine Berichtigung in Anspruch 1 und schließlich eine mündliche Verhandlung.
IX. Zur Stützung seiner Beschwerde brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor:
In den Entscheidungen T 166/86 und T 182/88 werde die Zulässigkeit der Änderungen bejaht. Diese Änderungen würden nicht zu einer nennenswerten Verzögerung des Erteilungsverfahrens führen, da es hauptsächlich um eine schlichte Änderung der Anspruchskategorie gehe. Die Übersetzungen seien unverzüglich eingereicht und die Erteilungsgebühren unverzüglich entrichtet worden. Anders als im Falle eines etwaigen Antrags auf Weiterbehandlung gemäß Artikel 121 EPÜ im Falle der Nichterfüllung der Formerfordernisse innerhalb der Dreimonatsfrist nach Regel 51 (6) EPÜ hätte es keinerlei Verzögerung gegeben, wenn den Anträgen bezüglich der gesonderten Ansprüche stattgegeben worden wäre. Das Interesse der Öffentlichkeit sei durch die bereits erfolgte Veröffentlichung gewahrt, nach der keine über deren Inhalt hinausgehenden Änderungen mehr zulässig seien.
Entscheidungsgründe
1. Hintergrund
Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist die Berichtigung von Fehlern, die ansonsten aufgrund der von drei benannten Staaten erklärten Vorbehalte gemäß Artikel 167 (2) EPÜ zur Erteilung eines in diesen Staaten rechtsungültigen Patents führen könnten.
Die vorliegende Zwischenentscheidung betrifft die richtige Auslegung der Regel 51 EPÜ, und speziell der Absätze 4 und 6, in der Fassung vom 1. September 1987. Sie beschränkt sich auf die Frage, ob Änderungen, die nach Erlaß der Mitteilung nach Regel 51 (6) beantragt werden, überhaupt berücksichtigt werden dürfen.
2. Die Rechtsprechung des EPA zu Regel 51 EPÜ
In den vom Beschwerdeführer angeführten Entscheidungen (T 166/86, ABl. EPA 1987, 372, T 182/88, ABl. EPA 1990, 287) kam Regel 51 EPÜ in der vor dem 1. September 1987 gültigen Fassung zur Anwendung, die kein ausdrückliches Einverständnis verlangte. Die Schlußfolgerungen, zu denen die beiden Entscheidungen gelangt waren, sind somit nicht ohne weiteres auf den gegenwärtigen Fall übertragbar, auf den die neue Regel 51 EPÜ anzuwenden ist.
In der Entscheidung T 1/92 vom 27. April 1992 (ABl. EPA 1993, 685) stellte diese Kammer fest, daß weder im Übereinkommen noch in der Ausführungsordnung ausdrücklich eine Bindungswirkung des Einverständnisses nach Regel 51(4) EPÜ in der neuen Fassung vorgeschrieben ist. Diese Feststellung der Entscheidung T 1/92 wurde unlängst in den Entscheidungen J 11/91 und J 16/91 vom 5. August 1992 (ABl. EPA 1994, 28) unter Nummer 2.3.3 und 2.3.5 bestätigt.
In T 1/92 wurde ausgeführt, daß eine Einverständniserklärung gemäß der neuen Regel 51 nicht bindend wäre, wenn der Anmelder die Änderungen innerhalb der Frist für die Erwiderung auf eine Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ beantragt hätte, da es dem EPA in diesem Fall nicht möglich wäre, das Vorliegen eines Einverständnisses gemäß Regel 51 (6) EPÜ zweifelsfrei festzustellen. Erst wenn das Einverständnis vorliege, könne das Amt vor Ablauf der Frist nach Regel 51 (4) EPÜ Vorbereitungen für die Patenterteilung treffen. Da in jenem Fall die beabsichtigten Änderungen innerhalb der in Regel 51 (4) EPÜ vorgesehenen Frist beantragt worden waren, läßt die Entscheidung die hier zu beantwortende Frage offen, ob in einem späteren Verfahrensstadium eingeführte Änderungen zu berücksichtigen sind oder nicht.
Einer unlängst ergangenen Entscheidung zufolge (T 675/90 vom 24. Juni 1992, ABl. EPA 1994, 58) sind Änderungen, die nach Erlaß der Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ (neue Fassung vom 1.9.1987) beantragt werden, hauptsächlich aus zwei Gründen zurückzuweisen: a) Es sei sorgfältig abzuwägen zwischen der Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß keine nicht rechtsbeständigen Patente erteilt werden, und dem Interesse an einer zügigen Patenterteilung, und b) Zweck der Regel 51 (6) EPÜ sei es, das auf Änderungen gerichtete Verfahren zu einem eindeutigen und endgültigen Abschluß zu bringen. Die Kammer gelangte daher zu der Überzeugung, daß der in Regel 86 (3) EPÜ eingeräumte Ermessensspielraum sich nicht auf das Verfahrensstadium gemäß Regel 51 (6) erstreckt.
Die zur neuen Regel 51 EPÜ vorliegende Rechtsprechung scheint nahezulegen, daß Änderungen innerhalb der Frist nach Regel 51 (4) und möglicherweise bis zum Erlaß der Mitteilung nach Regel 51 (6) zulässig sind.
In der Entscheidung T 675/90 wurde von der Annahme ausgegangen, daß Regel 51 (6) EPÜ darauf gerichtet ist, das Verfahren zu einem endgültigen Abschluß zu bringen, und daher zwangsläufig zu einer zeitlichen Begrenzung des Rechts des Anmelders zur Beantragung von Änderungen führt, so daß Regel 86 (3) EPÜ in diesem Verfahrensstadium nicht mehr anwendbar ist. Die Entscheidung ließ jedoch eine Reihe von Fragen offen, die sich aus dieser Annahme ergeben. Es bleibt daher offen, ob das EPÜ solche Anträge noch in einem späteren Verfahrensstadium nach Regel 51 zuläßt.
Die jeweiligen Sachverhalte des vorliegenden Falles und der Entscheidung T 675/90 sind gleich gelagert.
3. Die Änderungen der Regel 51 EPÜ im Jahre 1987
Den vorbereitenden Arbeiten zur Änderung von 1987 zufolge war es notwendig, die entscheidende Frage, welche Fassung der Patenterteilung zugrunde zu legen sei, zu trennen von der Frage, welche Formerfordernisse, beispielsweise Einreichung der Übersetzungen und Entrichtung der Gebühren, für die weitere Bearbeitung der Anmeldung bis zur Patenterteilung noch zu erfüllen sind. In der Vergangenheit hatte sich zum Schutz der Anmelder gegen einen Rechtsverlust und bedingt durch den recht komplizierten Verfahrensmechanismus eine Praxis herausgebildet, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ zur Anwendung brachte, eine Praxis, der jedoch mit der Entscheidung J 22/86 (ABl. EPA 1987, 280) der Boden entzogen wurde. Mit der vorgeschlagenen Entflechtung der Verfahrensabläufe sollten die Interessen der Anmelder gewahrt werden. Diese Unterlagen enthalten keinen Hinweis darauf, daß die in der Entscheidung T 675/90 angenommene Wirkung der Regel 51 (6) EPÜ beabsichtigt war.
Eine solche Auslegung oder Rechtswirkung ergibt sich auch nicht aus der Veröffentlichung der geänderten Regel 51 EPÜ in ABl. EPA 1987, 272, derzufolge die Änderung der Regel 51 EPÜ den Zweck verfolgt, einen Rechtsverlust, statt durch die zeitaufwendige und umständliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ, im Wege der Weiterbehandlung abzuwenden.
Nach den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (C-VI, 4.10) ist der Anmelder aufgrund der Änderungen von 1987 an sein Einverständnis gebunden, das er mit der ihm nach Regel 51 (4) EPÜ mitgeteilten Fassung erklärt hat. Nach den Richtlinien kommen sachliche Änderungen in diesem Verfahrensstadium nur dann in Betracht, wenn der Prüfungsabteilung ein neuer Sachverhalt bekannt wird, der ihr Veranlassung gibt, das Verfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen, d. h. wenn sie feststellt, daß ein nicht patentierbarer Gegenstand beansprucht wird. Diese Kenntnis kann die Prüfungsabteilung auch durch den Anmelder erlangen. Da die Richtlinien (C-VI, 15.1.2) keine Aussage hinsichtlich des Verfahrensstadiums nach Erlaß der Mitteilung nach Regel 51 (6) enthalten, ist offenbar davon auszugehen, daß Änderungsanträge des Anmelders innerhalb der in Regel 51 (4) EPÜ angegebenen Frist einzureichen sind. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Richtlinien für die Beschwerdekammern nicht verbindlich sind.
Dieser Artikel sieht vor, daß das Amt keine Patente erteilen darf, die der Anmelder oder Patentinhaber nicht gebilligt hat. Diese Bestimmung gründet auf dem im Zivilprozeß geltenden Recht der Parteien, den Umfang des Streitgegenstands selbst zu bestimmen, und auf dem Verfahrensgrundsatz, wonach die Parteien während der Anhängigkeit des Verfahrens zu jeder Zeit eine beabsichtigte Änderung dieses Umfangs beantragen können.
Wenn auch die Kammer mit der Entscheidung T 675/90 darin übereinstimmt, daß es Zweck der Regel 51 (6) EPÜ ist, das Verfahren zu einem zügigen Abschluß zu bringen, so bedeutet dies jedoch nicht unbedingt, daß das in Artikel 113 EPÜ garantierte Recht des Anmelders, den Inhalt seiner Patentanmeldung in jedem Verfahrensstadium selbst festzulegen, auf das Verfahrensstadium vor Regel 51 (6) zu beschränken ist. Gemäß Artikel 164 (2) EPÜ geht Artikel 113 (2) EPÜ den Vorschriften der Ausführungsordnung vor (vgl. auch die Praxis des EPA bei verspätet eingereichten Änderungen, z. B. T 375/90 vom 21. Mai 1992, nicht veröffentlicht).
5. Regel 51 EPÜ
5.1 Zweck der Regel 51 EPÜ ist es, die Prüfungsphase zum Abschluß zu bringen und die Anmeldung zur Erteilung zu führen. Mit der Mitteilung nach Regel 51(4) wird der Anmelder aufgefordert, sein ausdrückliches Einverständnis mit der für die Patenterteilung vorgesehenen Fassung zu erklären. Hierfür ist eine auf 6 Monate verlängerbare Frist von 4 Monaten vorgesehen. Der Eingang der Einverständniserklärung wird mit einer Mitteilung nach Regel 51 (6) bestätigt. Beantragt der Anmelder innerhalb der Frist nach Regel 51 (4) Änderungen, so kann die Prüfungsabteilung diese gemäß Regel 86 (3) EPÜ zulassen; andernfalls fordert die Abteilung den Anmelder unter Angabe der Gründe zur Einreichung einer Stellungnahme auf (Regel 51 (5) EPÜ). Werden die Änderungen zugelassen, so ergeht gemeinhin keine weitere Mitteilung nach Regel 51 (4), sondern unmittelbar und unverzüglich die Mitteilung nach Regel 51 (6). Hat der Anmelder sein Einverständnis nach Regel 51 (4) EPÜ nicht schriftlich erklärt, so wird die Anmeldung mit einer beschwerdefähigen Entscheidung zurückgewiesen.
5.2 Nach Regel 51 (6) ist das Amt verpflichtet festzustellen, ob ein rechtswirksam erklärtes Einverständnis vorliegt. Mit der einschlägigen Mitteilung wird der Anmelder lediglich aufgefordert, bestimmte Gebühren zu entrichten und die erforderlichen Übersetzungen einzureichen. Sie ist sozusagen als letztmalige Kontrolle vor der Erteilung zu verstehen, um festzustellen, daß das Einverständnis rechtswirksam erklärt worden ist, nicht jedoch als eine weitere Gelegenheit zur Änderung der Anmeldung.
Aus diesem engen Blickwinkel betrachtet, erscheint es nicht gerechtfertigt, nach Erlaß der Mitteilung gemäß Regel 51 (6) eingereichte Änderungen zu berücksichtigen. Die Tatsache, daß Regel 51 (6) EPÜ sich in erster Linie an das Amt richtet, scheint andererseits nahezulegen, daß ihr keine über ihren ausdrücklichen Wortlaut hinausgehende normative Bedeutung dahingehend beizumessen ist, daß dem Amt eine bestimmte Verpflichtung auferlegt werden soll.
In der Tat stellt sich die Frage, ob Regel 51 (6) EPÜ auf den hier behandelten Fall überhaupt anwendbar ist. Zum einen ist ein Änderungsantrag des Anmelders nach Abschluß des Verfahrensstadiums nach Regel 51 (6) vom Wortlaut dieser Regel nicht gedeckt. Und zum anderen ist eine Auslegung unannehmbar, mit der die Rechte aus einem übergeordneten Artikel des Übereinkommens eingeschränkt würden, da es für eine solche Einschränkung einer Diplomatischen Konferenz zur Änderung dieses Artikels bedürfte.
Die Auslegung von Bestimmungen eines internationalen Vertragswerks wie des EPÜ hat sich an allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen zu orientieren. Wie in Artikel 31 und 32 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge ausgeführt wird, sind die Bestimmungen nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, ihnen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte des Zieles und Zweckes des Vertrags auszulegen. Im vorliegenden Fall wären nicht nur die Bestimmungen der Regel 51 EPÜ betreffend das Verfahren bis zur Patenterteilung, sondern auch deren Beziehung zu anderen Bestimmungen in diesen Zusammenhang einzubeziehen.
Vor diesem Hintergrund und im Lichte der Artikel 113 (2) und 164 (2) EPÜ scheint Regel 51 (6) EPÜ doch wohl enger auszulegen zu sein, als dies in der Entscheidung T 675/90 geschehen ist, und zwar in der Weise, daß sie nur den darin ausdrücklich genannten Sachverhalt erfaßt.
5.3 Als weitere Auswirkung ist die Verfahrenslage zu berücksichtigen, die sich aus einer großzügigeren Auslegung von Regel 51(6) EPÜ ergibt. Sowohl in der Entscheidung T 675/90 als auch im vorliegenden Fall haben die Prüfungsabteilungen zwar einerseits die Bindungswirkung des Einverständnisses nach Regel 51 (4) EPÜ unterstrichen, mußten aber gemäß Artikel 113 (2) EPÜ zu dem genau entgegengesetzten Ergebnis gelangen, nämlich zu dem Schluß, daß mangels einer gebilligten Fassung das Patent zu versagen war. Im Ergebnis führt eine solche Auslegung der Regel 51 (6) EPÜ zu einem nicht hinnehmbaren Widerspruch, während die Entscheidung laut T 675/90, nämlich den Fall zur Patenterteilung zurückzuverweisen, Artikel 113 (2) EPÜ außer Betracht läßt.
6. Artikel 96 (2) und 167 (2) EPÜ
Grundsätzlich besteht die Aufgabe des EPA in der Erteilung rechtsbeständiger Patente. Diese Verpflichtung leitet sich aus den materiellrechtlichen Bestimmungen des Europäischen Patentübereinkommens ab, also aus den maßgeblichen Bestimmungen über die Voraussetzungen der Patentierbarkeit (Art. 52 - 57 EPÜ). In weiteren Bestimmungen des Übereinkommens und der Ausführungsordnung sind Einzelheiten und Umfang dieser Aufgabe näher definiert. Es steht außer Zweifel, daß das EPA sich bei der Prüfung von Anmeldungen an diese Vorschriften halten muß und daß Fehler in jedem Verfahrensstadium berichtigt werden sollten.
Die Entscheidung T 20/83 (ABl. EPA 1983, 419) verweist auf Artikel 96 (2) EPÜ, demzufolge die Prüfungsabteilung dem Anmelder sämtliche Patentierungshindernisse mitzuteilen hat (Nr. 8 der Entscheidungsgründe). Diese Feststellung bezog sich auf die im Übereinkommen selbst festgelegten Voraussetzungen der Patentierbarkeit. Die Rechtsbeständigkeit eines Patents in verschiedenen Vertragsstaaten gehört hingegen nicht zu den im Übereinkommen aufgeführten unmittelbaren Voraussetzungen.
Die in den Richtlinien angesprochene Möglichkeit, Änderungen noch zu berücksichtigen, da ansonsten ein nicht patentierbarer Gegenstand beansprucht würde (C-VI, 4.10), trifft uneingeschränkt auf den hier zu prüfenden Sachverhalt zu. Daher erscheint die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß Änderungen, die sich aus gegenüber dem EPÜ erklärten Vorbehalten ergeben, in dieser Hinsicht grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist.
Die zu klärende Frage lautet wie folgt: Sollte ein Prüfer auch Vorbehalte nach Artikel 167 (2) EPÜ als Erfordernisse ansehen, die gemäß Artikel 96 (2) EPÜ erfüllt sein müssen? Wenn ja, so bestünde nach Artikel 96 (2) EPÜ die Verpflichtung, auf diesbezügliche Mängel hinzuweisen und den Anmelder zur Stellungnahme aufzufordern. Unter Berücksichtigung der Ausführungen unter Nummer 6 über die angemessene Auslegung internationaler Verträge wäre dies ein Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens, und zwar auch dann, wenn der Anmelder selber in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium auf die Mängel hingewiesen hat.
7. Interessenabwägung
7.1 In der Entscheidung T 182/88 (Nr. 7) wurde das Interesse der Öffentlichkeit an einer zügigen Patenterteilung bejaht. Diese Feststellung ist unter dem Gesichtspunkt zutreffend, daß sich auf diese Weise der Umfang der Rechte des Anmelders gegenüber denen der Öffentlichkeit ohne ungebührliche Verzögerung abgrenzen läßt.
Angesichts der im EPÜ gegebenen Möglichkeit des Einspruchs nach der Patenterteilung kann sich die Öffentlichkeit jedoch nicht auf das erteilte Patent verlassen, bevor die Einspruchsfrist abgelaufen oder, bei Einlegung eines Einspruchs, bevor eine abschließende Entscheidung ergangen ist. Denn schließlich können Einsprüche zu einer Einschränkung des Patents führen. Hätte sich die Konkurrenz bereits vorher auf ein weiter gefaßtes Patent eingestellt, so befände sie sich nun in einer schlechteren Position, als wenn sie die abschließende Entscheidung abgewartet hätte.
Andererseits könnte eine "Wiederaufnahme" des Prüfungsverfahrens unmittelbar vor der Patenterteilung zwecks Berücksichtigung von Änderungen zur Folge haben, daß das Patent gegenüber der bereits nach Regel 51 (4) EPÜ gebilligten Fassung erweitert wird. Die Prüfung des Umfangs der Ansprüche ist in Artikel 123 (2) EPÜ festgelegt. Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausgeführt hat, ist der Schutz der Öffentlichkeit durch die Bekanntmachung der Patentanmeldung gewährleistet, da Ansprüche, die über den Wortlaut der Anmeldung hinausgehen, nicht zulässig sind.
Schließlich läuft es dem Interesse der Öffentlichkeit zuwider, wenn nicht rechtsbeständige Patente erteilt werden, die in kostspieligen und zeitaufwendigen Verfahren, sei es durch Einspruch oder vor den nationalen Gerichten, angefochten werden müssen.
7.2 Was nun das Interesse der Anmelder betrifft, so wäre es inkonsequent, wenn eine Bestimmung, die gerade im Hinblick auf eben dieses Interesse aufgenommen wurde, unmittelbar dazu führte, daß Verfahrensrechte eingeschränkt würden.
Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, die Möglichkeit zur Berücksichtigung von Änderungen zu beschneiden, es sei denn, daß diese nicht in gutem Glauben beantragt werden, beispielsweise mit der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder daß keine Anstrengung zur Klärung eines tatsächlich bestehenden Patentierungsproblems unternommen wird, oder wenn ein eindeutiger Verfahrensmißbrauch gegeben ist.
Bei der Abgrenzung des Rechts des Anmelders auf Berücksichtigung von Änderungen, die in einem späten Verfahrensstadium beantragt werden, ist auch das Recht des Patentinhabers, die Änderung oder den Widerruf eines Patents auf Grund eines von ihm selbst ausgehenden Einspruchs zu betreiben, nicht außer acht zu lassen (vgl. G 1/84, ABl. EPA 1985, 299). Ein Widerspruch scheint dann vorzuliegen, wenn Änderungen zugelassen werden, die in einem zentralisierten Verfahren nach der Patenterteilung beantragt werden, nicht aber solche, die vor der Patenterteilung beantragt werden.
Diese Diskrepanz wäre nicht nur aus rechtlicher Sicht problematisch und stünde in Widerspruch zu den in der Entscheidung G 1/84 dargelegten Zielen - ein Verbot von Änderungen vor der Patenterteilung würde vielmehr auch zu wesentlich höheren Kosten und zu weiteren Verzögerungen führen, bevor der Umfang der Schutzrechte des Patentinhabers abschließend definiert ist. Diese Sachlage ist unbefriedigend.
7.3 Das Interesse des EPA an einem angemessenen Verwaltungsaufwand hat, wenn es bei den Vorschlägen zur Änderung der Regel 51 EPÜ im Jahre 1987 überhaupt eine Rolle gespielt haben sollte, gegenüber dem Interesse des Anmelders bzw. der Öffentlichkeit zurückzutreten.
7.4 Bei Abwägung aller Umstände ergibt sich, daß dem Interesse an einem zügigen Abschluß des Verfahrens nicht von vornherein Vorrang gegenüber dem bei den Anmeldern und in der Öffentlichkeit gleichermaßen bestehenden Interesse an der Erteilung rechtsbeständiger Patente einzuräumen ist.
8. Schlußfolgerungen
Der oben dargelegte Sachverhalt wirft eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung hinsichtlich der korrekten Auslegung einer Regel der Ausführungsordnung (hier: Regel 51 (6) EPÜ) und eines Artikels des Übereinkommens (hier: Art. 113 (2) EPÜ) auf, welche die Befassung der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) EPÜ rechtfertigen würde.
Eine weitere Rechtsfrage stellt sich hinsichtlich der Berücksichtigung von Vorbehalten nach Artikel 167 (2) EPÜ bei der Prüfung europäischer Patentanmeldungen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer werden die folgenden Rechtsfragen vorgelegt:
1. Ist Regel 51 (6) EPÜ im Sinne von Artikel 113 (2) EPÜ dahingehend auszulegen, daß eine nach Regel 51 (4) EPÜ abgegebene Einverständniserklärung bindend wird, sobald eine Mitteilung nach Regel 51 (6) erlassen wurde?
2. Ist das Europäische Patentamt verpflichtet, Vorbehalte nach Artikel 167 (2) EPÜ als Erfordernisse des EPÜ anzusehen, die gemäß Artikel 96(2) EPÜ erfüllt werden müssen?
* Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 7/93 ist am 13. Mai 1994 ergangen und wird demnächst veröffentlicht. Der Leitsatz ist im ABl. EPA 8/1994 abgedruckt.