BERICHTE NATIONALER RICHTER
SE Schweden
Kristina BOUTZ - Berufungsrichterin, Referatsleiterin, Svea hovrätt - Neue Entwicklungen im schwedischen nationalen Patentrecht und in der schwedischen Rechtsprechung
1. Rechtsmittel
Zunächst möchte ich kurz auf eine Reform bei den Gerichtsverfahren in Schweden eingehen, die vor fast vier Jahren durchgeführt wurde und mit "Modernere Gerichtsverfahren" überschrieben war. Eine Neuerung war die Einführung von Videoaufzeichnungen aller Befragungen von Zeugen, Parteien und Sachverständigen in erstinstanzlichen Verfahren vor den Amtsgerichten. Solche Aufzeichnungen können dann in Verfahren vor dem Berufungsgericht und dem Obersten Gerichtshof abgespielt werden, sodass die betreffende Person kein zweites Mal erscheinen und angehört werden muss. Falls es die Situation jedoch erfordert, erfolgt eine neuerliche Befragung vor dem Berufungsgericht. Dieses neue Verfahren wird auch bei Zeugen und Sachverständigen in Patentverfahren angewandt, und die Erfahrungen damit sind sehr gut.
Seit dem 1. November 2008 benötigen alle Parteien, die in einem Zivilverfahren Rechtsmittel beim Berufungsgericht einlegen wollen, eine Zulassungserklärung. In Schweden werden sämtliche Patentverfahren vom Amtsgericht (Tingsrätt) Stockholm und vom Berufungsgericht Svea hovrätt verhandelt. Das Berufungsgericht hatte in den letzten zweieinhalb Jahren 33 Patentverfahren zu regeln. In sieben dieser Fälle wurde die Berufung nicht zugelassen (wovon zwei Urteile und fünf Entscheidungen über einstweilige Verfügungen u. dgl. betrafen). Folglich wurden 83 % aller Berufungen gegen Urteile in Patentverfahren zugelassen. In Zivilverfahren allgemein waren es 40 %. Die Quote ist in den letzten Jahren gestiegen, zu Beginn betrug sie lediglich 25 % bis 30 %. Die unterschiedlichen Quoten in Patent- und anderen Zivilverfahren liegen darin begründet, dass es in Patentverfahren sehr häufig unmöglich ist, ohne ein Berufungsverfahren zu ermitteln, ob Gründe für eine Abänderung des amtsrichterlichen Urteils sprechen. Dieser Klarheitsmangel ist einer der vier Gründe für die Zulassung einer Berufung. Die anderen Gründe sind:
- Es besteht Grund zur Abänderung des amtsrichterlichen Urteils.
- Ein Gericht höherer Instanz sollte die Berufung prüfen, um eine Orientierungshilfe zur Anwendung des Gesetzes zu geben.
- Andere außergewöhnliche Gründe sprechen für die Prüfung der Berufung.
2. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs
Am 24. Mai 2011 erging eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die Verjährungsfrist für Schadenersatzklagen bei Patentverletzungen. Laut Gesetz kann Schadenersatz für eine Patentverletzung nur dann gewährt werden, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor der Klageerhebung bei Gericht eingetreten ist. Somit stellte sich die Frage, wie diese Entscheidung anzuwenden sei, wenn im Lauf der Zeit mehrere Verletzungsfälle aufgetreten waren.
Die Parteien im fraglichen Fall waren DeLaval International, ein schwedisches Unternehmen, und das niederländische Unternehmen Lely Industries, die auf dem Weltmarkt für Melkapparate miteinander konkurrieren. In einem früheren Verfahren war festgestellt worden, dass das Patent von DeLaval auf einen Melkroboter gültig war und dass Lely durch den Verkauf einer Art von Melkroboter dieses Patent verletzt hatte. Es war unstrittig, dass Lely sieben Melkroboter an Landwirte in Schweden verkauft hatte. Die Patentverletzung kam durch verschiedene Handlungen zustande:
a) Unterzeichnung des Vertrags über den Verkauf
b) Auslieferung des Roboters
c) Installation des Roboters
d) Inbetriebnahme des Roboters
e) Anpassungen am Roboter
f) Leistung der Abschlusszahlung
DeLaval forderte Schadenersatz für die Verwertung der Erfindung in Bezug auf alle sieben Melkroboter und weiteren Schadenersatz (in diesem Fall für den entgangenen Gewinn) in Bezug auf vier Melkroboter.
Die Parteien stritten über den Beginn der Verjährungsfrist. Lely war der Auffassung, die Frist habe mit dem Datum des Kaufvertrags begonnen, während DeLaval geltend machte, die Frist sei erst mit der letzten Verletzungshandlung ausgelöst worden.
Abweichend vom Urteil des Amtsgerichts Stockholm und des Berufungsgerichts Svea hovrätt stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass eine Patentverletzung aus mehreren Handlungen bestehen kann. Bereits durch die erste dieser Handlungen kann Schaden entstehen. Erneute Verletzungshandlungen können den ersten Schaden vergrößern oder neuen Schaden verursachen. Folglich beginnt eine neue Verjährungsfrist, wenn durch eine erneute Verletzungshandlung weiterer Schaden entsteht, wohingegen eine Verletzung, die keinen Schaden verursacht, keine neue Verjährungsfrist auslöst.
Der Oberste Gerichtshof befand, dass der Schadenersatz für die Verwertung der Erfindung einer angemessenen Lizenzgebühr entsprechen sollte. Die Verpflichtung zur Schadenersatzleistung entstand zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrags mit den Landwirten.
Hinsichtlich des weiteren Schadenersatzes stellte der Oberste Gerichtshof fest, dass DeLaval keine Chance mehr gehabt habe, seinen eigenen Melkroboter zu verkaufen, sobald potenzielle Kunden sich für den Lely-Roboter entschieden hatten. Daher sei natürlich davon auszugehen, dass DeLaval ab dem Datum der Vertragsunterzeichnung durch einen Landwirt Schaden erlitten habe. Weiteren Schaden durch entgangenen Gewinn infolge der anderen Verletzungshandlungen habe DeLaval jedoch nicht geltend gemacht. Folglich sei durch die anderen Verletzungshandlungen keine neue Verjährungsfrist ausgelöst worden. Die maßgebliche Verletzungshandlung sei die Unterzeichnung des Vertrags zum Verkauf der Roboter gewesen.
Daher wurde DeLaval nur für zwei der sieben Roboter Schadenersatz zugesprochen.