ARBEITSSITZUNG
Die jüngste Rechtsprechung zur Patentierung biotechnologischer Erfindungen
Manfred WIESER - Vorsitzender einer Beschwerdekammer des EPA (GD 3) - Im Wesentlichen biologische Verfahren und ihre Erzeugnisse
Gemäß Artikel 53 b) EPÜ werden europäische Patente "nicht erteilt für … Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren ...". Dieser Wortlaut ist fast identisch mit Artikel 2 b) des 1963 unterzeichneten Straßburger Übereinkommens. Tatsächlich haben sich die Arbeitsgruppen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Europarats, als sie die beiden Bestimmungen in den frühen 60er-Jahren jeweils konzipierten, auch stark gegenseitig beeinflusst. Die Entstehungsgeschichte des mehrmals geänderten Artikels 53 b) EPÜ zeigt, dass seine Verfasser "biologisch" als Gegensatz zu "technisch" ansahen und dass sie bewusst die Adverbiale "im Wesentlichen" anstelle des engeren Begriffs "rein" wählten.
Die Beschwerdekammern des EPA haben die Ausschlussbestimmung in Artikel 53 b) EPÜ mehrmals geprüft. In T 320/87 ("Lubrizol"), einer Grundsatzentscheidung betreffend die Züchtung von Hybridpflanzen, befand die Kammer, dass die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ausgehend vom Wesen der Erfindung beurteilt werden müsse, wobei der Gesamtanteil der menschlichen Mitwirkung und deren Auswirkung auf das erzielte Ergebnis zu berücksichtigen seien. Obwohl der Ausschluss nach Auffassung der Kammer eng auszulegen war, sah sie die Notwendigkeit menschlicher Mitwirkung allein als noch nicht ausreichend für die Feststellung an, dass das Verfahren kein "im Wesentlichen biologisches" ist. Menschliches Eingreifen könne auch nur bedeuten, dass das Verfahren nicht "rein biologisch" sei, ohne dass der Beitrag des Menschen dabei über ein unbedeutendes Maß hinausgehe.
Im damaligen Fall wurde zugunsten des beschwerdeführenden Anmelders entschieden, dass die beanspruchten Verfahren zur Erzeugung von Hybridpflanzen eine wesentliche Änderung der bekannten klassischen biologischen Zuchtverfahren mit sich brächten, wobei der mit dem Erzeugnis verbundene hohe Wirkungsgrad und der hohe Ertrag einen bedeutenden technologischen Charakter aufwiesen.
In der Sache T 19/90 ("Krebsmaus") entschied die mit fünf Mitgliedern besetzte Kammer, der entsprechende Ausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Tieren gelte nicht für Verfahrensansprüche zur Erzeugung transgener nicht menschlicher Säuger durch chromosomale Einbringung einer aktivierten Onkogen-Sequenz in das Genom des Säugers. Da das Onkogen durch technische Maßnahmen eingeschleust werde, nämlich durch Insertion in einen Vektor, der dann durch Mikroinjektion in einem frühen Embryonalstadium eingebracht werde, seien die beanspruchten Verfahren nicht auf "im Wesentlichen biologische Verfahren" gerichtet.
Die Entscheidung T 356/93 ("Pflanzenzellen"; PGS) betraf unter anderem einen Verfahrensanspruch zur Erzeugung einer Pflanze oder von Vermehrungsmaterial dieser Pflanze. In dem Verfahren wurden Pflanzenzellen oder Pflanzengewebe mit einer rekombinanten DNA, die eine bestimmte heterologe DNA enthielt, transformiert, aus den transformierten Pflanzenzellen und dem entsprechenden Pflanzengewebe dann die Pflanzen oder deren Vermehrungsmaterial regeneriert und diese gegebenenfalls biologisch vervielfältigt. Die Kammer sah in dem Schritt der gentechnischen Transformation der Pflanzenzellen oder des Pflanzengewebes mit einer rekombinanten DNA einen wesentlichen technischen Schritt, der entscheidenden Einfluss auf das gewünschte Endergebnis habe und nicht ohne menschliches Zutun erfolgen könne. Sie kam zu dem Schluss, dass das beanspruchte Verfahren zur Pflanzenzüchtung als Ganzes kein im Wesentlichen biologisches Verfahren sei.
In der Entscheidung T 1054/96 ("Antipathogene Zusammensetzungen"; Novartis) legte eine Technische Beschwerdekammer der Großen Beschwerdekammer mehrere Rechtsfragen zur Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ vor, u. a. auch die allgemeine Frage, wie der Begriff "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" auszulegen sei.
In diesem Zusammenhang sah die vorlegende Kammer drei verschiedene Wege, um zu dem erforderlichen "Werturteil" zu gelangen. Der erste Weg entspreche dem Konzept, das bei chirurgischen und therapeutischen Behandlungsverfahren im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ angewandt werde, und führe zu dem Ergebnis, dass ein beanspruchtes Verfahren bei Aufnahme eines einzigen im Wesentlichen biologischen Schritts nicht gewährbar sei. Der zweite Weg sei der in der Entscheidung T 320/87 aufgezeigte. Beim dritten Weg entginge ein Verfahren dem in Artikel 53 b) EPÜ verankerten Patentierungsverbot, wenn es neben beliebig vielen "im Wesentlichen biologischen Schritten" mindestens einen genau angegebenen "nicht biologischen" Verfahrensschritt aufwiese, der Ersteren zur Gewährbarkeit verhelfen würde. Dabei wurde festgestellt, dass dieses dritte Konzept, das in Artikel 2 (2) des (damaligen) Entwurfs der EU-Biotechnologierichtlinie aufgegriffen werde, das für die Anmelder günstigste Konzept sei, dass die Beschwerdekammern aber bisher von ihm keinen Gebrauch gemacht hätten.
In G 1/98 beantwortete die Große Beschwerdekammer die vorgelegten Rechtsfragen, ging aber nicht auf die materiellrechtlichen Aspekte der Auslegung des Verfahrensausschlusses nach Artikel 53 b) EPÜ ein, weil der beschwerdeführende Anmelder zwischenzeitlich neue Änderungen eingereicht hatte, die im Wesentlichen biologische Verfahren ausklammerten.
Der Verwaltungsrat der EPO hat die Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (Biotechnologierichtlinie) durch seinen am 1. September 1999 in Kraft getretenen Beschluss umgesetzt. Artikel 2 (2) der Biotechnologierichtlinie, der wortwörtlich in die Regel 26 (5) EPÜ (Regel 23b (5) EPÜ 1973) übernommen wurde, lautet: "Ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren ist im Wesentlichen biologisch, wenn es vollständig auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion beruht."
Nach Maßgabe der Regel 26 (5) EPÜ läge ein Verfahren, das zusätzlich zu "natürlichen Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion" ein Merkmal technischer Natur umfasst, also außerhalb der Ausschlussbestimmung. Dies war jedoch nicht der Ansatz, den die Beschwerdekammern vor Einführung der Regel 26 (5) EPÜ anwandten; bis dahin wurde die Anwendbarkeit des Patentierungsverbots nämlich ausgehend vom Wesen der Erfindung unter Berücksichtigung des Gesamtanteils der menschlichen Mitwirkung und deren Auswirkung auf das erzielte Ergebnis beurteilt.
Erst in den Entscheidungen T 83/05 ("Broccoli") und T 1242/06 ("Tomaten") waren die Beschwerdekammern mit Fällen befasst, deren Ausgang davon abhing, welcher der beiden Ansätze zur Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ maßgebend sein sollte. In diesen beiden Fällen war diese Frage allerdings entscheidend, denn die beiden Ansätze führten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Beide Patente enthielten Ansprüche betreffend ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen, das neben den Schritten Kreuzung und Selektion zusätzliche Merkmale umfasste. Im "Broccoli"-Verfahren waren die zusätzlichen Merkmale die Verwendung molekularer Marker beim Selektionsschritt, der den Schritten Kreuzung und Rückkreuzung folgt, die Verwendung eines nicht natürlichen Ausgangsmaterials, nämlich einer doppelt haploiden Linie, sowie die Angabe, dass die im beanspruchten Verfahren verwendeten Linien in entlegenen Gegenden wüchsen, sodass die Hybridisierung mit Broccoli-Zuchtlinien unwahrscheinlich sei, sofern sie nicht durch menschliches Eingreifen gezielt miteinander in Kontakt gebracht würden. Im "Tomaten"-Verfahren galten die Notwendigkeit einer interspezifischen Kreuzung, die Wahl eines ungewöhnlichen Selektionskriteriums und die Schritte Wiegen und Trocknen als Gründe dafür, dass das beanspruchte Verfahren über die klassische Pflanzenzuchttechnik hinausgeht.
Wäre die Kammer dem Ansatz gemäß Regel 26 (5) EPÜ gefolgt, hätte sie den Schluss ziehen müssen, dass das beanspruchte Verfahren dem Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ entgeht. Falls jedoch der von den Beschwerdekammern in ihren früheren Entscheidungen (s. T 320/87) angewandte Ansatz noch der richtige gewesen wäre, hätte das beanspruchte Verfahren gegen die Ausschlussbestimmung verstoßen, weil keines der zusätzlichen Merkmale als ein Beitrag angesehen werden konnte, der über etwas Unwesentliches hinausging.
Angesichts dessen beschloss die Kammer, die Große Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ zu befassen. Frage 1 in T 83/05 lautete (sie entspricht großteils Frage 2 in T 1242/06):
"Entgeht ein nicht mikrobiologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen, das die Schritte der Kreuzung und Selektion von Pflanzen umfasst, dem Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ allein schon deswegen, weil es als weiteren Schritt oder als Teil eines der Schritte der Kreuzung und Selektion ein zusätzliches Merkmal technischer Natur umfasst?"
Die Große Beschwerdekammer beantwortete diese Frage wie folgt (s. G 2/07 und G 1/08):
"1. Ein nicht mikrobiologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen, das die Schritte der geschlechtlichen Kreuzung ganzer Pflanzengenome und der anschließenden Selektion von Pflanzen umfasst oder aus diesen Schritten besteht, ist grundsätzlich von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, weil es im Sinne des Artikels 53 b) EPÜ 'im Wesentlichen biologisch' ist.
2. Ein solches Verfahren entgeht dem Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ nicht allein schon deshalb, weil es als weiteren Schritt oder als Teil eines der Schritte der Kreuzung und Selektion einen technischen Verfahrensschritt enthält, der dazu dient, die Ausführung der Schritte der geschlechtlichen Kreuzung ganzer Pflanzengenome oder der anschließenden Selektion von Pflanzen zu ermöglichen oder zu unterstützen."
Nach der Feststellung, dass der Wortlaut der Regel 26 (5) EPÜ, die Artikel 2 (2) der Biotechnologierichtlinie entspricht, nicht zur Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ beitrage, befasste sich die Große Beschwerdekammer damit, den Ausschluss von "im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" in Artikel 53 b) EPÜ für sich genommen auszulegen.
Die Große Beschwerdekammer schloss aus, dass der Begriff "Pflanze" entgegen seinem Wortlaut im Sinne von "Pflanzensorte" ausgelegt werden könne. Es gebe in der Entstehungsgeschichte keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff "Pflanze" lediglich "Pflanzensorte" bedeuten sollte. Der Ausschluss von "im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen" könne deshalb nicht so verstanden werden, dass er sich auf Verfahren zur Züchtung von Pflanzensorten beschränke. Da jeder Versuch, die wörtliche Bedeutung des Begriffs "im Wesentlichen biologisch" zuverlässig zu bestimmen, zwecklos schien, prüfte die Große Beschwerdekammer, ob der in der bisherigen Rechtsprechung verfolgte Ansatz der richtige sei. Sie befand, dass es bei der Prüfung der Frage, ob ein solches Verfahren als "im Wesentlichen biologisch" von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei, nicht maßgebend sei, ob ein technischer Schritt eine neue oder eine bekannte Maßnahme sei, ob er unwesentlich sei oder eine grundlegende Änderung eines bekannten Verfahrens darstelle oder ob darin das Wesen der Erfindung liege.
Der bisherigen Rechtsprechung sei zu entnehmen, dass ein weiteres Kriterium für die Abgrenzung nicht patentierbarer, im Wesentlichen biologischer Verfahren von patentierbaren Verfahren der Gesamtanteil der menschlichen Mitwirkung an dem Verfahren und deren Auswirkung auf das erzielte Ergebnis sei. Die Große Beschwerdekammer vertrat hier folgende Auffassung: "Da die im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen durch Artikel 53 b) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen sind, obwohl es sich bei ihnen um Erfindungen handelt und sie als solche durch menschliches Zutun gekennzeichnet sind, ging die Kammer in T 320/87 grundsätzlich zu Recht davon aus, dass eine Erfindung auf diesem Gebiet dem Patentierungsverbot nicht durch eine beliebige Art von menschlichem Zutun entgehen kann." Um genauer zu ermitteln, wie man unter den Verfahren, die menschliches Zutun erfordern, diejenigen, die vom Patentschutz ausgeschlossen sind, korrekt von denen abgrenzt, die patentierbar sind, befasste sich die Große Beschwerdekammer mit der Entstehungsgeschichte des Straßburger Patentübereinkommens und des EPÜ 1973. Sie folgerte, dass der Gesetzgeber diejenigen Pflanzenzüchtungsverfahren vom Patentschutz ausschließen wollte, die zur damaligen Zeit die herkömmlichen Verfahren zur Züchtung von Pflanzensorten waren. Zu diesen herkömmlichen Verfahren gehörten insbesondere die Verfahren auf der Basis der geschlechtlichen Kreuzung von für den verfolgten Zweck als geeignet erachteten Pflanzen (d. h. ihrer ganzen Genome) und der anschließenden Selektion der Pflanzen mit einem oder mehreren gewünschten Merkmalen.
Noch etwas lasse sich der Entstehungsgeschichte entnehmen: Die Ersetzung des Wortes "rein" durch "im Wesentlichen" sei bewusst erfolgt und spiegele den Willen des Gesetzgebers wider, dass die bloße Verwendung einer technischen Vorrichtung in einem Züchtungsverfahren nicht ausreichen sollte, um dem Verfahren als solchem technischen Charakter zu verleihen, und nicht bewirken sollte, dass dieses Verfahren dem Patentierungsverbot entgeht. Der Gesetzgeber habe keinen Patentschutz für Züchtungsverfahren gewollt, bei denen die eingesetzten technischen Maßnahmen in nichts anderem bestünden als in Mitteln, die der Durchführung von ansonsten auf biologischen Kräften basierenden Pflanzenzüchtungsverfahren dienten. Deshalb führe die - explizite oder implizite - Bereitstellung eines technischen Schritts in einem auf der geschlechtlichen Kreuzung von Pflanzen und der anschließenden Selektion basierenden Verfahren nicht dazu, dass die beanspruchte Erfindung dem Patentierungsverbot entgehe, wenn dieser technische Schritt lediglich der Durchführung der Verfahrensschritte des Zuchtverfahrens diene.
Wenn jedoch ein Verfahren der geschlechtlichen Kreuzung und Selektion einen zusätzlichen technischen Verfahrensschritt enthalte, der selbst ein Merkmal in das Genom der gezüchteten Pflanze einführe oder ein Merkmal in deren Genom modifiziere, sodass die Einführung oder Modifizierung dieses Merkmals nicht durch das Mischen der Gene der zur geschlechtlichen Kreuzung ausgewählten Pflanzen zustande komme, so gehe dieses Verfahren über den Bereich der Pflanzenzüchtung hinaus, den der Gesetzgeber von der Patentierbarkeit ausschließen wollte. Ein solches Verfahren sei daher nicht nach Artikel 53 b) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
Das Vorstehende gelte nur, wenn dieser zusätzliche technische Verfahrensschritt innerhalb der Schritte der geschlechtlichen Kreuzung und Selektion ausgeführt werde, unabhängig von der Zahl ihrer Wiederholungen. Sonst könnte der in Artikel 53 b) EPÜ verankerte Patentierbarkeitsausschluss von Verfahren der geschlechtlichen Kreuzung und Selektion einfach durch das Hinzufügen von Schritten umgangen werden, die nicht wirklich zum Kreuzungs- oder Selektionsverfahren gehören, sondern ihm entweder vorausgehen und der Präparation der zu kreuzenden Pflanze(n) dienen oder ihm nachfolgen und die weitere Behandlung der aus dem Kreuzungs- oder Selektionsverfahren hervorgegangenen Pflanze betreffen. Alle diese zusätzlichen technischen Schritte, die entweder vor oder nach dem Kreuzungs- und Selektionsverfahren ausgeführt werden, sollten daher bei der Entscheidung, ob ein Verfahren nach Artikel 53 b) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist oder nicht, außer Acht gelassen werden.
Die vorausgehenden und die nachfolgenden Schritte seien als solche dem Patentschutz zugänglich. Dies gelte z. B. für bei Pflanzen angewendete gentechnische Methoden, die sich maßgeblich von herkömmlichen Züchtungsverfahren unterscheiden, weil sie primär auf der gezielten Einführung eines oder mehrerer Gene in eine Pflanze und/oder der Modifizierung von deren Genen basieren (T 356/93). In solchen Fällen sollte das Verfahren der geschlechtlichen Kreuzung und Selektion aber weder explizit noch implizit Gegenstand der Ansprüche sein.
Das Ergebnis laute also, dass das Vorhandensein eines als biologisch charakterisierbaren Merkmals in einem Anspruch nicht zwangsläufig dazu führe, dass das beanspruchte Verfahren als Ganzes nach Artikel 53 b) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, dies gelte aber nicht, wenn das Verfahren geschlechtliche Kreuzung und Selektion einschließe.
In der Sache T 83/05 reichte der Beschwerdegegner (Patentinhaber) geänderte Ansprüche ein, aus denen alle Verfahrensansprüche gestrichen worden waren, sodass nur Erzeugnisansprüche aufrechterhalten wurden, die die Merkmale des zugehörigen Herstellungsverfahrens enthielten ("Product-by-Process-Ansprüche"). Beide Beschwerdeführer (Einsprechende) teilten der Kammer mit, dass sie keine weiteren Einwände hätten, da alle Fragen zur Patentierbarkeit bereits von der Kammer geklärt worden seien.
In der Sache T 1242/06 reichte der Patentinhaber (Beschwerdeführer I) ebenfalls neue Ansprüche ein, die keine Verfahrensansprüche mehr umfassten. Die auf Erzeugnisse gerichteten Ansprüche wurden durch funktionelle Merkmale oder durch Product-by-Process-Merkmale definiert. Die Kammer hatte in T 1242/06 jedoch noch nicht über die Patentierbarkeit der Erzeugnisansprüche entschieden, und der Einsprechende (Beschwerdeführer II) hatte sich noch nicht mit den geänderten Anspruchssätzen einverstanden erklärt.
In ihrer früheren Entscheidung G 1/98 befasste sich die Große Beschwerdekammer mit der Patentierbarkeit von Pflanzen und stellte Folgendes fest: "Während der Ausschluss bei Verfahren die Züchtung von Pflanzen betrifft, bezieht er sich bei Erzeugnissen auf Pflanzensorten. Es ist anzunehmen, dass die Verwendung des genaueren Begriffs 'Pflanzensorte' innerhalb desselben Halbsatzes der für Erzeugnisse geltenden Bestimmung einen Grund gehabt hat. Wenn [vom Gesetzgeber] beabsichtigt gewesen wäre, Pflanzen als Gruppe, die ganz allgemein auch Pflanzensorten umfasst, als Erzeugnisse auszuschließen, würde in dieser Bestimmung wie bei den Verfahren der allgemeinere Begriff 'Pflanzen' verwendet."
Sie gelangte in dieser Entscheidung zu dem Schluss, "dass Artikel 53 b) EPÜ die Grenze zwischen Patentschutz und Sortenschutz bestimmt. ... Sortenschutzrechte werden nur für konkrete Pflanzensorten erteilt, aber nicht für technische Lehren, die in einer unbestimmten Vielzahl von Pflanzensorten verwirklicht werden können." Eine "Pflanzensorte", die im UPOV-Übereinkommen und in Regel 26 (4) EPÜ identisch definiert ist als eine pflanzliche Gesamtheit innerhalb eines einzigen botanischen Taxons der untersten bekannten Rangstufe, die durch die sich aus einem bestimmten Genotyp ergebende Ausprägung der Merkmale definiert wird, zumindest durch die Ausprägung eines der erwähnten Merkmale von jeder anderen pflanzlichen Gesamtheit unterschieden wird und unverändert vermehrt werden kann, kann nach Auffassung der Kammer nicht durch ein einziges Merkmal oder eine begrenzte Zahl von dafür codierenden Genen definiert werden. Der der Entscheidung G 1/98 zugrunde liegende Sachverhalt betraf zwar eine transgene Pflanze, die Große Beschwerdekammer stellte aber ausdrücklich fest, dass das Verbot der Patentierung von Pflanzensorten nach Artikel 53 b) EPÜ unabhängig vom Ursprung der Pflanzensorte gelte, d. h. unabhängig vom Verfahren zu ihrer Züchtung.
Der Großen Beschwerdekammer war u. a. die folgende Frage 2 vorgelegt worden:
"Wird mit einem Anspruch, der auf Pflanzen gerichtet ist, ohne dass dabei bestimmte Pflanzensorten in ihrer Individualität beansprucht werden, ipso facto das Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ umgangen, obwohl er Pflanzensorten umfasst?"
Sie beantwortete diese Frage in G 1/98 folgendermaßen:
"Ein Anspruch, in dem bestimmte Pflanzensorten nicht individuell beansprucht werden, ist nicht nach Artikel 53 b) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen, auch wenn er möglicherweise Pflanzensorten umfasst."
Bei der Beurteilung des Falls in der Sache T 1242/06 ist zu beachten, dass ein Anspruch auf ein Erzeugnis breiten Schutz bietet, der dessen Herstellung und Verwendung einschließt, und dass sich der Schutz eines Verfahrensanspruchs nach Artikel 64 (2) EPÜ auf die unmittelbar hergestellten Erzeugnisse erstreckt. Die Große Beschwerdekammer hatte in G 1/98 entschieden, dass nicht Ansprüche auf Pflanzen an sich, sondern nur Ansprüche auf individuelle Pflanzensorten unabhängig von ihrem Ursprung vom Patentschutz ausgeschlossen sind; in G 1/08 wurde entschieden, dass alle Verfahren, die auf Kreuzung und Selektion beruhen, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind (einschließlich solcher Verfahren, die keine individuelle Pflanzensorte im Sinne von Regel 26 (4) EPÜ zum Ergebnis haben).
In einer neuerlichen mündlichen Verhandlung in der Sache T 1242/06 am 8. November 2011 beschloss die Kammer, die Erörterung zu Artikel 53 b) EPÜ zu beenden und das Verfahren schriftlich fortzusetzen.
Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) hatte argumentiert, es sei rechtspolitisch unsinnig, im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen von der Patentierbarkeit auszuschließen und auf der anderen Seite Patente auf Pflanzen zuzulassen, die laut der Offenbarung der Erfindung durch ein ausgeschlossenes Verfahren erzeugt würden. Die Gründe des Gesetzgebers für den Ausschluss dieser Verfahren müssten respektiert werden und implizierten zwangsläufig, dass auch Pflanzen oder Pflanzenteile von der Patentierbarkeit auszuschließen seien, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren erzeugt würden. Alles andere würde zu einem uneinheitlichen Rechtsrahmen führen. Das EPÜ dürfe nicht so widersprüchlich ausgelegt werden, auch wenn es keine ausdrückliche Ausschlussbestimmung für die Erzeugnisse aus im Wesentlichen biologischen Pflanzenzüchtungsverfahren gebe.
Für die Kammer stellte sich "angesichts dieser Überlegungen ... die Frage, ob eine Gewährung der Erzeugnisansprüche im vorliegenden Fall tatsächlich der in G 1/08 dargelegten Absicht des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde, der 'diejenigen Pflanzenzüchtungsverfahren vom Patentschutz ausschließen wollte, die […] die herkömmlichen Verfahren zur Züchtung von Pflanzensorten waren.' Den Verfahrensausschluss bei der Prüfung von Erzeugnisansprüchen vollkommen außer Acht zu lassen, würde generell dazu führen, dass Patentanmelder und -inhaber bei zahlreichen Erfindungen aus dem Bereich der Pflanzenzüchtung den Ausschluss von Verfahren nach Artikel 53 b) EPÜ leicht dadurch umgehen könnten, dass sie auf Erzeugnisansprüche zurückgreifen, die einen breiten Schutz bieten und auch den Schutz mit einschließen, den ein unter die Ausschlussbestimmung fallender Verfahrensanspruch bieten würde. Zumindest prima facie scheint das einer zweckgerichteten Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ zuwiderzulaufen."
In einer weiteren Zwischenentscheidung ("Tomaten II") legte sie der Großen Beschwerdekammer folgende Fragen vor:
"1. Kann sich der Ausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen in Artikel 53 b) EPÜ negativ auf die Gewährbarkeit eines Erzeugnisanspruchs auswirken, der auf Pflanzen oder Pflanzenmaterial wie eine Frucht gerichtet ist?
2. Ist insbesondere ein Anspruch, der auf Pflanzen oder Pflanzenmaterial gerichtet ist, bei denen es sich nicht um eine Pflanzensorte handelt, auch dann gewährbar, wenn das einzige am Anmeldetag verfügbare Verfahren zur Erzeugung des beanspruchten Gegenstands ein in der Patentanmeldung offenbartes im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen ist?
3. Ist es im Rahmen der Fragen 1 und 2 relevant, dass sich der durch den Erzeugnisanspruch verliehene Schutz auf die Erzeugung des beanspruchten Erzeugnisses durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren für die Züchtung von Pflanzen erstreckt, das nach Artikel 53 b) EPÜ als solches nicht patentierbar ist?"
Mit Schreiben vom 28. Juni 2012 hat die Einsprechende ihre Beschwerde zurückgezogen. Bisher hat der beschwerdeführende Patentinhaber nicht darauf reagiert. Bei der Großen Beschwerdekammer sind allerdings zahlreiche Amicus-curiae-Schriftsätze der interessierten Kreise eingegangen.
Mittlerweile hat die Abteilung Zivilrecht des Bezirksgerichts Den Haag in den Niederlanden am 31. Januar 2012 im summarischen Verfahren in der Sache 408315/KG ZA 11-414 ("Taste of Nature" gegen "Cresco") entschieden. Es ging darin um ein Patent für eine Raphanus-sativa-Pflanze, die in Anspruch 1 als Erzeugnis eines auf Kreuzung und Selektion beruhenden Verfahrens definiert ist.
Der Richter im summarischen Verfahren hielt es für einleuchtend, dass nach Artikel 53 Zeile 1 und Buchstabe b EPÜ nicht nur ein im Wesentlichen biologisches Verfahren wie im vorliegenden Fall das klassische Züchten vom Patentschutz ausgeschlossen ist, sondern auch ein durch dieses Verfahren unmittelbar hergestelltes Erzeugnis (s. Art. 64 (2) EPÜ). Würde entschieden, dass ein Product-by-Process-Anspruch für ein Erzeugnis zulässig ist, das durch ein nicht patentfähiges im Wesentlichen biologisches Verfahren unmittelbar hergestellt wird, so würde dies den Ausschluss in Artikel 53 Zeile 1 und Buchstabe b EPÜ, wie er von der Großen Beschwerdekammer in G 1/08 ausgelegt wurde, sinnlos machen, denn in diesem Fall läge dieselbe Situation vor, als wenn die GBK die Verfahrensansprüche für zulässig erachtet hätte, was nicht der Fall sei.
"Taste of Nature" hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, die beim Berufungsgericht Den Haag anhängig ist.
Schließlich hat das Europäische Parlament am 10. Mai 2012 eine Entschließung zur Patentierung von im Wesentlichen biologischen Verfahren angenommen. Darin wird die Auslegung des Begriffs "im Wesentlichen biologische Verfahren" durch die Große Beschwerdekammer in den Entscheidungen "Broccoli" und "Tomaten" begrüßt und das EPA aufgefordert, die Erzeugnisse aus konventionellen Verfahren zur Zucht von Pflanzen und Tieren, auch aus der Präzisionszucht (SMART Breeding), ebenfalls von der Patentierbarkeit auszuschließen.