MITTEILUNGEN DES EPA
Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 21. Februar 2013 über den Antrag auf vorzeitige Bearbeitung
I. Einführung
1. In den letzten Jahren hat die Zahl der beim EPA als Bestimmungsamt/ausgewähltem Amt gestellten Anträge auf vorzeitige Bearbeitung zugenommen. Infolgedessen und aufgrund der Entscheidung J 18/09 sind beim EPA einige Anfragen zur Praxis des Amts bei der Bearbeitung solcher Anträge eingegangen.1
2. Teil II dieser Mitteilung gibt Auskunft über die Erfordernisse für die Wirksamkeit eines Antrags auf vorzeitige Bearbeitung einer Euro-PCT-Anmeldung. In Teil III werden die Folgen eines derartigen Antrags für das Verfahren in der europäischen Phase dargelegt. Teil IV behandelt einige damit verbundene Fragen. Teil V enthält verschiedene Beispiele zur Veranschaulichung des Verfahrens. Diese Mitteilung ergänzt die im Euro-PCT-Leitfaden enthaltenen Informationen zur vorzeitigen Bearbeitung.2
II. Antrag auf vorzeitige Bearbeitung
3. Eine internationale Anmeldung darf vom Bestimmungsamt/ausgewählten Amt nicht bearbeitet werden, solange die Frist nach Artikel 22 und 39 PCT für die Vornahme der für den Eintritt in die nationale Phase erforderlichen Handlungen nicht abgelaufen ist. Dieses "Bearbeitungsverbot" gilt für Bestimmungsämter und ausgewählte Ämter gemäß Artikel 23 (1) bzw. 40 (1) PCT.
4. Die Frist für die Vornahme der für den Eintritt in die europäische Phase vor dem EPA als Bestimmungsamt/ausgewähltem Amt erforderlichen Handlungen beträgt 31 Monate nach dem Anmeldedatum bzw., wenn eine Priorität in Anspruch genommen wurde, nach dem Prioritätsdatum (R. 159 (1) EPÜ, Art. 22 (3) und 39 (1) b) PCT). Deshalb beginnt das EPA als Bestimmungsamt/ausgewähltes Amt mit der Bearbeitung einer internationalen Anmeldung erst nach Ablauf der 31-Monatsfrist. Davon wird eine Ausnahme gemacht, wenn der Anmelder das Bearbeitungsverbot früher aufhebt. Dazu muss beim EPA als Bestimmungsamt/ausgewähltem Amt ein Antrag auf vorzeitige Bearbeitung gemäß Artikel 23 (2) oder 40 (2) PCT gestellt werden (s. Nr. 5), und die Erfordernisse für die Wirksamkeit des Antrags müssen erfüllt sein (s. Nrn. 6 und 7).
5. Ein Antrag auf vorzeitige Bearbeitung kann beim EPA jederzeit vor Ablauf der 31-Monatsfrist gestellt werden. Für den Antrag ist keine konkrete Formulierung vorgeschrieben, der Anmelder muss jedoch deutlich zum Ausdruck bringen, dass er die vorzeitige Bearbeitung seiner Anmeldung vor dem EPA als Bestimmungsamt/ausgewähltem Amt wünscht. Der Klarheit halber wird empfohlen, im Antrag ausdrücklich auf Artikel 23 (2) PCT bzw. gegebenenfalls Artikel 40 (2) PCT zu verweisen.
6. Damit der Antrag wirksam ist, muss der Anmelder die Erfordernisse der Regel 159 (1) EPÜ erfüllen, als liefe die 31-Monatsfrist an dem Tag ab, an dem er die vorzeitige Bearbeitung beantragt. Es sind also die folgenden Erfordernisse zu erfüllen: Entrichtung der Anmeldegebühr (einschließlich einer etwaigen Zusatzgebühr nach Art. 2 (1) Nr. 1a Gebührenordnung, wenn die Anmeldung mehr als 35 Seiten umfasst), Einreichung der Übersetzung (sofern eine Übersetzung nach Art. 153 (4) EPÜ erforderlich ist), Angabe der Anmeldungsunterlagen und Entrichtung der Recherchengebühr (wenn nach Art. 153 (7) EPÜ ein ergänzender europäischer Recherchenbericht erstellt werden muss).
7. Welche weiteren in Regel 159 (1) EPÜ genannten Erfordernisse zu erfüllen sind, hängt davon ab, an welchem Tag die vorzeitige Bearbeitung beantragt wird, denn die (Grund-)Fristen für die Entrichtung der Benennungsgebühr (R. 39 (1) EPÜ) und der Jahresgebühr (R. 51 (1) EPÜ) sowie für die Stellung des Prüfungsantrags und die Entrichtung der Prüfungsgebühr (R. 70 (1) EPÜ) sind am Tag der Antragstellung möglicherweise noch nicht abgelaufen. Läuft eine dieser Fristen an diesem Tag noch, so ist der Antrag wirksam, ohne dass die entsprechenden Erfordernisse erfüllt sind (Art. 153 (2) EPÜ, Art. 11 (3) PCT).
8. Daraus folgt, dass die Erfordernisse der Regel 159 (1) EPÜ, die für eine bestimmte internationale Anmeldung erfüllt sein müssen, variieren, denn sie hängen ab von der jeweiligen internationalen Anmeldung (s. Nr. 6) und dem Tag der Stellung des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung (s. Nr. 7). Diese Erfordernisse werden deshalb im Folgenden als "notwendige Erfordernisse" bezeichnet.
III. Folgen eines wirksamen Antrags auf vorzeitige Bearbeitung
9. Sind am Tag der Stellung des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung die notwendigen Erfordernisse für den Eintritt in die europäische Phase erfüllt, ist der Antrag wirksam, und die Euro-PCT-Anmeldung wird ab diesem Tag so bearbeitet wie eine Euro-PCT-Anmeldung, die in die europäische Phase eingetreten ist, indem sie die notwendigen Erfordernisse der Regel 159 EPÜ innerhalb der 31-Monatsfrist erfüllt hat und ohne dass ein Antrag auf vorzeitige Bearbeitung gestellt wurde. An diesem Tag endet also die internationale Phase in Bezug auf das EPA als Bestimmungsamt/ausgewähltes Amt. Da mit der Stellung eines wirksamen Antrags auf vorzeitige Bearbeitung das Bearbeitungsverbot aufgehoben ist, ist zudem eine Inanspruchnahme der 31-Monatsfrist nach Regel 159 (1) EPÜ von diesem Tag an ausgeschlossen.
10. Hervorzuheben sind insbesondere die nachstehenden Folgen eines wirksamen Antrags auf vorzeitige Bearbeitung:
- Läuft die Frist für die Einreichung des Prüfungsantrags und die Entrichtung der Prüfungsgebühr gemäß Regel 70 (1) EPÜ und für die Entrichtung der Benennungsgebühr gemäß Regel 39 (1) EPÜ nach dem Tag ab, an dem der Antrag auf vorzeitige Bearbeitung wirksam wurde und werden diese Handlungen nicht innerhalb dieser Frist vorgenommen, erlässt das EPA eine Mitteilung über die Feststellung eines Rechtsverlusts nach Regel 112 (1) EPÜ (s. Beispiele unter den Nrn. 18 - 20).
- Ab dem Tag, an dem der Antrag auf vorzeitige Bearbeitung wirksam wird, errechnet sich der Fälligkeitstag der Jahresgebühr auf der Grundlage von Regel 51 (1) EPÜ. Wird die Jahresgebühr weder innerhalb dieser Frist noch innerhalb der Nachfrist von 6 Monaten gemäß Regel 51 (2) EPÜ (unter Zahlung der Zuschlagsgebühr) entrichtet, erlässt das EPA eine Mitteilung über die Feststellung eines Rechtsverlusts nach Regel 112 (1) EPÜ (s. Beispiele unter den Nrn. 21 - 22).
- Das EPA erlässt die Mitteilung nach Regel 161/162 EPÜ unmittelbar nachdem es festgestellt hat, dass der Antrag auf vorzeitige Bearbeitung wirksam ist.
- Der Anmelder kann ab dem Tag, an dem der Antrag auf vorzeitige Bearbeitung wirksam wird, eine Teilanmeldung einreichen.
- Ab dem Tag, an dem der Antrag des Anmelders auf vorzeitige Bearbeitung wirksam wird, hat eine spätere Zurücknahme gemäß Regel 90bis PCT keine Wirkung im Hinblick auf das Verfahren in der europäischen Phase (R. 90bis.6 PCT).
11. Ist am Tag der Stellung des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung ein notwendiges Erfordernis nicht erfüllt, so wird der Antrag auf vorzeitige Bearbeitung (erst) an dem Tag wirksam, an dem alle an diesem Tag notwendigen Erfordernisse erfüllt sind. Erst an diesem Tag tritt die Anmeldung in die europäische Phase ein und wird von da an so bearbeitet wie jede Euro-PCT-Anmeldung, die in die europäische Phase eingetreten ist.
IV. Weitere Hinweise
12. Gebühren, die zu entrichten sind, damit der Antrag auf vorzeitige Bearbeitung wirksam ist, dürfen nicht über einen automatischen Abbuchungsauftrag bezahlt werden, denn in diesem Fall werden die Gebühren erst am letzten Tag der 31-Monatsfrist abgebucht und damit entrichtet.
13. Ist nach Regel 159 (1) h) EPÜ eine Ausstellungsbescheinigung einzureichen, so macht die Nichterfüllung dieses Erfordernisses den Antrag auf vorzeitige Bearbeitung zwar nicht unwirksam, hat aber Auswirkungen auf den Stand der Technik, den das EPA im Verfahren in der europäischen Phase berücksichtigt.
14. Anspruchsgebühren für den 16. und jeden weiteren Anspruch müssen erst mit Ablauf der Frist nach Regel 162 (2) EPÜ entrichtet werden. Ihre Entrichtung ist daher kein Erfordernis für die Wirksamkeit des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung.
15. Will der Anmelder mit dem Antrag auf vorzeitige Bearbeitung erreichen, dass nicht nur die Bearbeitung der Anmeldung vor dem EPA als Bestimmungsamt/ausgewähltem Amt, sondern auch die Prüfung der Anmeldung aufgenommen wird, so muss er einen wirksamen Prüfungsantrag gemäß Artikel 94 EPÜ gestellt haben (einschließlich Entrichtung der Prüfungsgebühr), auch wenn die Frist gemäß Regel 70 (1) EPÜ am Tag des wirksamen Eintritts in die europäische Phase noch nicht abgelaufen ist, denn mit der Prüfung wird erst begonnen, wenn ein Prüfungsantrag wirksam gestellt wurde.
16. Wird der Prüfungsantrag gestellt, bevor das EPA dem Anmelder gegebenenfalls den ergänzenden europäischen Recherchenbericht übermittelt hat, beginnt die Prüfung erst bei Eingang einer Absichtserklärung des Anmelders über die Aufrechterhaltung der Anmeldung und, falls erforderlich, einer Erwiderung auf den erweiterten europäischen Recherchenbericht. Der Anmelder kann auf die Aufforderung, zu erklären, ob die Anmeldung aufrechterhalten wird, verzichten. Dies kann er in Feld 4.2 des Formblatts 1200 angeben.
17. Ist das EPA als Bestimmungsamt tätig und hat das IB dem EPA noch keine Kopie der internationalen Anmeldung, des ISR und des WO-ISA übermittelt, so kann der Anmelder beim IB einen entsprechenden Antrag stellen, ist aber nicht dazu verpflichtet. Falls nötig, kümmert sich das EPA selbst darum (R. 44bis.2 b) PCT, R. 47.4 PCT). Gleiches gilt, wenn das EPA als ausgewähltes Amt tätig ist und das IB ihm noch keine Kopie der internationalen Anmeldung, des ISR, des WO-ISA und des IPER und der dazugehörigen Anlagen übermittelt hat (R. 73.2 b) PCT).
V. Beispiele
18. Beispiel 1: Entrichtung der Benennungsgebühr und Prüfungsantrag (einschließlich Entrichtung der Prüfungsgebühr)
Antrag auf vorzeitige Bearbeitung: 1.8.2012
Veröffentlichung des internationalen Recherchenberichts: 10.10.2012
Am Tag der Stellung des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung haben die Fristen nach Regel 39 (1) und 70 (1) EPÜ noch nicht zu laufen begonnen. Deshalb sind die Entrichtung der Benennungsgebühr und die Stellung des Prüfungsantrags (einschließlich Entrichtung der Prüfungsgebühr) keine notwendigen Erfordernisse für die Wirksamkeit des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung. Die Entrichtung der Benennungsgebühr und die Stellung des Prüfungsantrags sind innerhalb der Fristen nach Regel 39 (1) bzw. 70 (1) EPÜ möglich. Werden diese Handlungen nicht innerhalb dieser Fristen vorgenommen, gilt die Anmeldung als zurückgenommen, und der Anmelder wird entsprechend unterrichtet.
19. Beispiel 2: Entrichtung der Benennungsgebühr und Prüfungsantrag (einschließlich Entrichtung der Prüfungsgebühr)
Veröffentlichung des internationalen Recherchenberichts: 1.6.2012
Antrag auf vorzeitige Bearbeitung: 1.8.2012
Am Tag der Stellung des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung haben die Fristen nach Regel 39 (1) und 70 (1) EPÜ zu laufen begonnen, sind aber noch nicht abgelaufen. Deshalb sind die Entrichtung der Benennungsgebühr und die Stellung des Prüfungsantrags (einschließlich Entrichtung der Prüfungsgebühr) keine notwendigen Erfordernisse für die Wirksamkeit des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung. Die Entrichtung der Benennungsgebühr und die Stellung des Prüfungsantrags sind innerhalb der Fristen nach Regel 39 (1) bzw. 70 (1) EPÜ möglich. Werden diese Handlungen nicht innerhalb dieser Fristen vorgenommen, gilt die Anmeldung als zurückgenommen, und der Anmelder wird entsprechend unterrichtet.
20. Beispiel 3: Entrichtung der Benennungsgebühr und Prüfungsantrag (einschließlich Entrichtung der Prüfungsgebühr)
Veröffentlichung des internationalen Recherchenberichts: 1.6.2012
Antrag auf vorzeitige Bearbeitung: 1.3.2013
Die Fristen nach den Regeln 39 (1) und 70 (1) EPÜ sind abgelaufen. Deshalb sind die Entrichtung der Benennungsgebühr und die Stellung des Prüfungsantrags (einschließlich Entrichtung der Prüfungsgebühr) notwendige Erfordernisse für die Wirksamkeit des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung. Ist am Tag der Stellung des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung die Benennungsgebühr nicht entrichtet und/oder der Prüfungsantrag nicht gestellt, so wird der Antrag auf vorzeitige Bearbeitung (erst) an dem Tag wirksam, an dem die Benennungsgebühr entrichtet und/oder der Prüfungsantrag gestellt ist (einschließlich Entrichtung der Prüfungsgebühr) und alle weiteren an diesem Tag notwendigen Erfordernisse erfüllt sind (s. Nr. 11).
21. Beispiel 4: Jahresgebühr
Anmeldetag: 3.1.2011
Antrag auf vorzeitige Bearbeitung: 3.12.2012
Nach Regel 51 (1) EPÜ ist die Jahresgebühr am 31.1.2013 fällig. Deshalb ist die Entrichtung der Jahresgebühr kein notwendiges Erfordernis für die Wirksamkeit des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung. Die Jahresgebühr kann aber bereits entrichtet werden, denn Jahresgebühren können drei Monate vor ihrer Fälligkeit entrichtet werden (R. 51 (1) EPÜ). Wird sie weder innerhalb dieser Frist noch innerhalb der Nachfrist von 6 Monaten gemäß Regel 51 (2) EPÜ (unter Zahlung der Zuschlagsgebühr) entrichtet, gilt die Anmeldung als zurückgenommen, und der Anmelder wird entsprechend unterrichtet.
22. Beispiel 5: Jahresgebühr
Anmeldetag: 3.1.2011
Antrag auf vorzeitige Bearbeitung: 1.3.2013
Nach Regel 51 (1) EPÜ ist die Jahresgebühr am 31.1.2013 fällig. Die Entrichtung der Jahresgebühr (ohne Zuschlagsgebühr) ist deshalb ein notwendiges Erfordernis für die Wirksamkeit des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung vom 1.3.2013. Ist am Tag der Stellung des Antrags auf vorzeitige Bearbeitung die Jahresgebühr nicht entrichtet, so wird der Antrag auf vorzeitige Bearbeitung (erst) an dem Tag wirksam, an dem die Jahresgebühr entrichtet ist und alle weiteren an diesem Tag notwendigen Erfordernisse erfüllt sind.
1 J 18/09, ABl. EPA 2011, 480.
2 Leitfaden für Anmelder - 2. Teil (Euro-PCT-Leitfaden), Nr. 427 ff., http://www.epo.org/applying/international/guide-for-applicants_de.html