BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Juristischen Berschwerdekammer
Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 1. September 2010 - J 18/09
(Übersetzung)
ZUSAMMENSETZUNG DER KAMMER:
Vorsitzende:
B. Günzel
Mitglieder:
S. Hoffmann, K. Garnett
Anmelder:
N. N.
Stichwort:
–
EPÜ
Artikel 2 (1), 76, 150 (2), 153 (2)
PCT
Artikel 11 (3), 22, 23 (1) und (2), 48 (2), 64 (4)
Relevante Rechtsnormen (EPÜ 1973)
Revisionsakte vom 29. November 2000
Artikel 7 (1), 8
Beschluss des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001
Artikel 1 (5)
Beschluss des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006
Artikel 2 (1)
Schlagwort:
"anhängige frühere europäische Patentanmeldung (verneint)" - "rechtswirksamer Eintritt einer internationalen Patentanmeldung in die europäische Phase als Voraussetzung für die Anhängigkeit einer früheren europäischen Patentanmeldung (bejaht)"
Leitsatz
Eine internationale Anmeldung, die den Erfordernissen des Artikels 22 PCT für den Eintritt in die europäische Phase nicht genügt, ist nicht vor dem Europäischen Patentamt anhängig und kann daher nicht als eine frühere europäische Patentanmeldung im Sinne der Regel 36 (1) EPÜ betrachtet werden.
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 17. Februar 2009 zur Post gegebene Entscheidung der Eingangsstelle, dass die vorliegende Anmeldung nicht als Teilanmeldung der früheren Euro-PCT-Anmeldung Nr. XXXXXXXX.X zu bearbeiten sei.
II. Die vorliegende europäische Patentanmeldung Nr. YYYYYYYY.Y (nachstehend "Teilanmeldung" genannt) war am 22. Juli 2008 als Teilanmeldung zu der internationalen Patentanmeldung PCT/OOOOOO/OOOOOO (nachstehend "internationale Anmeldung" genannt) eingereicht worden, in der unter anderem EP bestimmt war und für die das Europäische Patentamt die europäische Anmeldenummer XXXXXXXX.X vergeben sowie am 20. Juni 2007 als Internationale Recherchenbehörde einen schriftlichen Bescheid erstellt hatte.
III. Die 31-Monatsfrist nach Regel 159 (1) EPÜ für den Eintritt der internationalen Anmeldung in die europäische Phase lief am 23. Juli 2008 ab, d. h. einen Tag nach Einreichung der Teilanmeldung. Da die nach Artikel 22 PCT in Verbindung mit Regel 159 (1) EPÜ vorgeschriebenen Handlungen nicht vorgenommen worden waren, erließ das Europäische Patentamt eine Mitteilung nach Regel 160 (1) EPÜ, dass die Anmeldung als zurückgenommen gelte. Diese Feststellung wurde vom Anmelder nicht angefochten.
IV. Zur Teilanmeldung erließ die Eingangsstelle am 15. Oktober 2008 eine Mitteilung über einen Rechtsverlust nach Regel 112 (1) EPÜ, in der sie den Beschwerdeführer darüber unterrichtete, dass die Anmeldung nicht als Teilanmeldung behandelt werde, weil die internationale Anmeldung nicht wirksam in die europäische Phase eingetreten sei und somit nicht als anhängige europäische Patentanmeldung gelten könne.
V. Nachdem der Beschwerdeführer in einem Schreiben vom 29. Oktober 2008 den Erlass einer beschwerdefähigen Entscheidung beantragt hatte, teilte ihm die Eingangsstelle in einer Mitteilung nach Artikel 113 (1) EPÜ mit, dass in Bezug auf die internationale Anmeldung die in Artikel 22 (1) PCT verankerten Mindestanforderungen für den Eintritt in die europäische Phase nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erfüllt worden seien und die internationale Anmeldung daher nicht als anhängige europäische Patentanmeldung im Sinne des Artikels 76 EPÜ gelte. Der Beschwerdeführer trat dieser Auffassung entgegen und hielt seinen Antrag auf eine beschwerdefähige Entscheidung aufrecht.
VI. Am 17. Februar 2009 erließ die Eingangsstelle die angefochtene Entscheidung, dass die Anmeldung nicht als europäische Teilanmeldung behandelt werde und die für die Anmeldung entrichteten Gebühren zurückzuzahlen seien, sobald die Entscheidung rechtskräftig geworden sei.
Die Eingangsstelle begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:
Nach Artikel 76 EPÜ in Verbindung mit Regel 36 (1) EPÜ könne der Anmelder eine Teilanmeldung zu jeder anhängigen früheren europäischen Patentanmeldung einreichen. Daraus folge, dass die frühere Anmeldung eine vor dem Europäischen Patentamt anhängige "europäische Patentanmeldung" sein müsse. Bezüglich der Bearbeitung einer internationalen Anmeldung und ihrer Wirkung vor dem Europäischen Patentamt nach Artikel 11 (3) PCT heiße es in Artikel 153 (5) EPÜ, dass eine internationale Anmeldung als europäische Patentanmeldung behandelt werde, wenn - unter anderem - die in Regel 159 EPÜ genannten Erfordernisse erfüllt seien. In Regel 159 (1) EPÜ seien die Handlungen festgelegt, die für den Eintritt einer internationalen Anmeldung in die europäische Phase nach Artikel 153 EPÜ innerhalb einer Frist von 31 Monaten ab dem Anmeldetag, oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen worden sei, nach dem Prioritätstag vorgenommen werden müssten. Im vorliegenden Fall hätten die für den Eintritt in die europäische Phase erforderlichen Handlungen jederzeit vor Ablauf der 31-Monatsfrist am 23. Juli 2008 vorgenommen werden können. Da der Anmelder in Bezug auf die internationale Anmeldung keine der in Artikel 22 (1) PCT und Regel 159 (1) EPÜ für den Eintritt in die europäische Phase vorgeschriebenen Handlungen vorgenommen habe, bevor er die Teilanmeldung eingereicht habe, könne die internationale Anmeldung nicht - wie in Regel 36 (1) EPÜ gefordert - als anhängige europäische Patentanmeldung gelten, was aber Voraussetzung für die wirksame Einreichung einer Teilanmeldung sei.
VII. Der Beschwerdeführer legte am 31. März 2009 gegen diese Entscheidung der Eingangsstelle Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr.
Die mit Schreiben vom 26. Juni 2009 eingereichte Beschwerdebegründung des Anmelders lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die internationale Anmeldung sei als anhängige frühere europäische Patentanmeldung nach Regel 36 EPÜ zu betrachten. Sie sei zumindest zwischen dem internationalen Anmeldedatum und dem letzten Tag der in Regel 159 (1) EPÜ festgelegten Frist anhängig gewesen, weil eine internationale Patentanmeldung nach Artikel 11 (3) PCT mit dem internationalen Anmeldedatum in jedem Bestimmungsstaat die Wirkung einer vorschriftsmäßigen nationalen Anmeldung habe. Da die Frist nach Regel 159 (1) EPÜ im vorliegenden Fall am 23. Juli 2008 abgelaufen sei, sei die Teilanmeldung am 22. Juli 2008 wirksam eingereicht worden.
Das Argument der Eingangsstelle, dass die frühere Anmeldung vor dem Europäischen Patentamt anhängig sein müsse, habe keine Rechtsgrundlage in Regel 36 EPÜ und könne nicht zur Begründung der Entscheidung herangezogen werden. In der angefochtenen Entscheidung werde Artikel 153 (5) EPÜ anscheinend so ausgelegt, dass die frühere Anmeldung nur dann als anhängige europäische Anmeldung behandelt werden könne, wenn die Erfordernisse der Regel 159 (1) EPÜ innerhalb der festgelegten Frist erfüllt würden. Diese Auffassung stehe im Widerspruch zu Artikel 11 (3) PCT, und nach Artikel 150 (2) EPÜ gingen bei mangelnder Übereinstimmung zwischen den Vorschriften des PCT und des EPÜ die des PCT vor.
Artikel 11 (3) PCT habe eine umfassende Wirkung. Er sehe nur eine Ausnahme vor, nämlich die in Artikel 64 (4) PCT verankerte in Bezug auf die Wirkung des Stands der Technik. Dies sei ein klares Indiz dafür, dass eine PCT-Anmeldung für alle anderen Zwecke einer europäischen Anmeldung gleichgestellt sei und als solche auch die Grundlage für eine europäische Teilanmeldung bilden könne. Nach Artikel 24 (1) iii) PCT ende die in Artikel 11 (3) PCT vorgesehene Wirkung einer internationalen Anmeldung mit den gleichen Folgen wie die Zurücknahme einer nationalen Anmeldung, wenn der Anmelder die in Artikel 22 PCT genannten Handlungen nicht innerhalb der maßgeblichen Frist vornehme. Im vorliegenden Fall sei diese Frist nach dem Tag abgelaufen, an dem die Teilanmeldung eingereicht worden sei.
Die Nichterfüllung der Erfordernisse des Artikels 22 PCT und der Regel 159 EPÜ habe keine Rückwirkung. Vielmehr gelte eine internationale Anmeldung erst nach dem Tag als zurückgenommen, an dem die Handlungen spätestens noch hätten vorgenommen werden können. Nach der ständigen Rechtsprechung sei das Schicksal einer Teilanmeldung unabhängig von dem der Stammanmeldung. So sei die Tatsache, dass die internationale Anmeldung nach dem Tag der Einreichung der Teilanmeldung als zurückgenommen gelte, unerheblich für die Wirksamkeit der Einreichung der Teilanmeldung (s. G 4/98, ABl. EPA 2001, 131).
VIII. In seiner Erwiderung auf die Mitteilung der Kammer vom 2. Juni 2010 sowie in der mündlichen Verhandlung am 1. September 2010 brachte der Beschwerdeführer zur Stützung seiner Argumente außerdem Folgendes vor:
Die Teilanmeldung erfülle die Erfordernisse des Artikels 11 (3) PCT, weswegen ihr ein internationales Anmeldedatum zuerkannt worden sei. Sie sei daher wie eine vorschriftsmäßige nationale Anmeldung zu behandeln, was sich auch aus Artikel 153 (2) EPÜ ergebe. Eine PCT-Anmeldung mit der Bestimmung EP, der ein internationales Anmeldedatum zuerkannt worden sei, sei mit einer vorschriftsmäßigen europäischen Anmeldung gleichzusetzen. Der Rechtsstatus einer internationalen Anmeldung ändere sich mit dem Eintritt in die europäische Phase nicht. Gemäß der Entscheidung J 17/99 (Nrn. 3 und 5 der Entscheidungsgründe) ende die Wirkung des Artikels 11 (3) PCT erst, wenn die internationale Anmeldung als zurückgenommen gelte. Bis zu diesem Tag sei das EPA zuständig, und die internationale Anmeldung sei vor dem Europäischen Patentamt anhängig, ohne dass sie dafür in die europäische Phase eintreten müsste.
In Artikel 23 PCT ("Aussetzung des nationalen Verfahrens") sei nicht geregelt, welchen Behandlungsstatus eine PCT-Anmeldung bei der Einreichung oder in dem Fall habe, in dem keine regionale Bearbeitung beantragt werde. Er hindere lediglich die nationalen Ämter daran, die Anmeldung vor Ablauf einer bestimmten Frist zu bearbeiten oder zu prüfen. Mit anderen Worten dürfe die betreffende internationale Anmeldung, obwohl sie vor dem nationalen/regionalen Amt anhängig sei, von diesem nicht geprüft werden. Hätte man keine anderslautende Regelung getroffen, so hätte die Gleichsetzung einer Euro-PCT-Anmeldung mit einer vorschriftsmäßigen europäischen Anmeldung unter anderem zur Folge, dass die Euro-PCT-Anmeldung als Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ gelten würde. Die Tatsache, dass den Vertragsstaaten in Artikel 64 (4) PCT ausdrücklich gestattet werde, dieser Wirkung als Stand der Technik eine Ausnahme entgegenzusetzen, belege, dass die Euro-PCT-Anmeldung ohne diesen Vorbehalt als älteres Recht gelten würde und somit in allen übrigen Belangen ab dem internationalen Anmeldedatum denselben Verfahrensstatus genieße wie eine vorschriftsmäßige europäische Anmeldung.
Gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/05 (ABl. EPA 2008, 271, Nrn. 12.2, 13.1 und 13.3 der Entscheidungsgründe) dürften die Beschwerdekammern oder die erstinstanzlichen Organe des Europäischen Patentamts keine über Regel 25 oder Artikel 76 (1) EPÜ 1973 hinausgehenden strengeren Erfordernisse bestimmen, die das Recht der Anmelder auf Einreichung von Teilanmeldungen einschränken würden. Insbesondere könne es nicht zur Bedingung gemacht werden, dass der Anmelder die für den Eintritt in die europäische Phase erforderlichen Handlungen nach Artikel 22 PCT und Regel 159 (1) EPÜ vornehmen müsse, bevor er die Teilanmeldung innerhalb der 31-Monatsfrist einreiche.
Selbst wenn die Kammer den Begriff "anhängige frühere europäische Anmeldung" in Regel 36 EPÜ so auslegen sollte, dass als Mindestvoraussetzung ein Antrag auf Eintritt in die europäische Phase nach Artikel 23 (2) PCT vorliegen müsse, könne die Teilanmeldung implizit als ein solcher Antrag verstanden werden.
Im Einklang mit dem Zweck des PCT müsse die Teilanmeldung auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sowie in Anbetracht der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten als wirksam eingereicht behandelt werden. Im britischen System könne eine Anmeldung auf der Grundlage von nicht recherchierten Gegenständen aus der PCT-Anmeldung in die nationale Phase eintreten, sofern eine weitere Recherchengebühr entrichtet werde. Im amerikanischen System könne der Anmelder dies erreichen, indem er auf der Grundlage der PCT-Anmeldung eine "Continuation-in-part"-Anmeldung einreiche (ohne für die Stammanmeldung die nationale Phase einzuleiten). Vor dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 sei die verfahrensrechtliche Situation beim Eintritt in die europäische Phase nach dem EPÜ der vorstehend beschriebenen im Vereinigten Königreich vergleichbar gewesen. Angesichts des wirtschaftlichen Zwecks des PCT wäre es unsinnig, wenn die neuen Vorschriften in der Ausführungsordnung zum EPÜ den Anmelder zwängen, die regionale Phase nur deshalb einzuleiten, damit er eine Teilanmeldung für eine nicht recherchierte Erfindung einreichen könne.
Es verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, dass manche Anmelder beim Eintritt in die regionale Phase nicht recherchierte Gegenstände aus der internationalen Anmeldung weiterverfolgen könnten und andere nicht, je nachdem, ob das Europäische Patentamt den internationalen Recherchenbericht erstellt habe.
Falls die Kammer zu dem Schluss kommen sollte, dass die Teilanmeldung nicht wirksam eingereicht worden sei, sollte die Frage der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden, weil es sich aus folgenden Gründen um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handle:
Die europäischen Anmelder hätten ein allgemeines Interesse an einer kostengünstigen Möglichkeit zur Weiterverfolgung von Erfindungen, die in der internationalen Phase nicht recherchiert worden seien. Dies gelte umso mehr, als internationale Anmelder (sowie Anmelder bestimmter Staaten in Europa) für in der internationalen Phase nicht recherchierte Erfindungen Schutz erlangen könnten, ohne dafür eine Stamm- und eine Teilanmeldung einreichen zu müssen.
Die Bedeutung der Formulierung "anhängige frühere europäische Patentanmeldung" in Regel 36 EPÜ sei Gegenstand der Vorlage G 1/09 an die Große Beschwerdekammer gewesen. Obwohl die Vorlageentscheidung J 2/08 eine etwas anders gelagerte Rechtsfrage betreffe, gehe es in der Entscheidung um dieselben Fragen wie im vorliegenden Fall, nämlich darum, ob sich der Begriff "anhängig" in Regel 36 EPÜ auf anhängige materielle Rechte beziehe (Nr. 13 der Entscheidungsgründe) oder ob es ausreiche, dass die Anmeldung als solche rechtlich existiere (Nr. 30 der Entscheidungsgründe) oder ob damit eine materiellrechtliche Bedingung definiert werde (Nr. 18 der Entscheidungsgründe) oder ob der Begriff "anhängige frühere … Anmeldung" automatisch mit dem Begriff "anhängiges Verfahren" gleichgesetzt werden könne (Nr. 40 der Entscheidungsgründe). Diese Fragen hingen eng mit den im vorliegenden Fall zu beantwortenden Rechtsfragen zusammen.
IX. Der Beschwerdeführer beantragte als Hauptantrag,
1) die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Eingangsstelle anzuweisen, die Teilanmeldung als wirksam eingereichte Teilanmeldung zu behandeln,
sowie hilfsweise,
2) der Großen Beschwerdekammer nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfrage vorzulegen:
Kann eine europäische Anmeldung, die aus einer PCT-Anmeldung hervorgegangen ist und für die die Fristen nach Regel 159 EPÜ noch nicht abgelaufen sind, eine "frühere europäische Patentanmeldung" im Sinne von Artikel 76 (1) EPÜ und Regel 36 EPÜ sein?
Entscheidungsgründe
Anzuwendende Rechtsvorschriften
1. Die Kammer stimmt mit dem Beschwerdeführer und der Eingangsstelle darin überein, dass auf die Teilanmeldung und die internationale Anmeldung die Rechtsvorschriften des EPÜ 2000 und seine Ausführungsordnung anzuwenden sind. Sie verweist diesbezüglich auf Artikel 7 (1) Satz 1 und Artikel 8 der Revisionsakte vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 4 zum ABl. EPA 2001, 50), auf Artikel 1 (5) Satz 1 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 sowie auf Artikel 2 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006 zur Änderung der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen 2000 (Sonderausgabe Nr. 1 zum ABl. EPA 2007, 89).
Die internationale Anmeldung unterliegt außerdem den Bestimmungen des PCT und seiner Ausführungsordnung.
Standpunkte in Bezug auf Regel 36 EPÜ
2. Regel 36 (1) EPÜ in der bei Einreichung der Teilanmeldung geltenden Fassung lautete wie folgt:
"Der Anmelder kann eine Teilanmeldung zu jeder anhängigen früheren europäischen Patentanmeldung einreichen."
Im vorliegenden Fall ist hauptsächlich zu klären, wie der Begriff "jede anhängige frühere europäische Patentanmeldung" zu verstehen ist. In der angefochtenen Entscheidung wurde ein anderer Standpunkt vertreten als vom Beschwerdeführer.
3. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass die internationale Anmeldung zumindest zwischen dem internationalen Anmeldedatum und dem letzten Tag der in Regel 159 (1) EPÜ festgelegten Frist anhängig gewesen sei, weil eine internationale Patentanmeldung nach Artikel 11 (3) PCT mit dem internationalen Anmeldedatum in jedem Bestimmungsstaat die Wirkung einer vorschriftsmäßigen nationalen Anmeldung habe. Da die Frist nach Regel 159 (1) EPÜ im vorliegenden Fall am 23. Juli 2008 abgelaufen sei, sei die Teilanmeldung am 22. Juli 2008 wirksam eingereicht worden.
4. Die angefochtene Entscheidung wurde im Wesentlichen wie folgt begründet:
a) Der Begriff "anhängige frühere europäische Patentanmeldung" in Regel 36 (1) EPÜ impliziere, dass die Stammanmeldung vor dem Europäischen Patentamt anhängig sein müsse.
b) Eine internationale Anmeldung, die den in Regel 159 (1) EPÜ verankerten Erfordernissen für den Eintritt in die regionale Phase nicht genüge, sei nicht vor dem Europäischen Patentamt anhängig und könne daher nicht als eine anhängige frühere europäische Patentanmeldung im Sinne der Regel 36 (1) EPÜ gelten.
Bedeutung des Begriffs "anhängige frühere europäische Anmeldung" in Regel 36 (1) EPÜ
5. Die Kammer stellt fest, dass der Begriff "anhängig" in Regel 36 (1) EPÜ weder im höherrangigen Artikel 76 EPÜ (über die Einreichung von Teilanmeldungen) noch in irgendeiner anderen Bestimmung des Europäischen Patentübereinkommens definiert ist. Auch in der ständigen Rechtsprechung ist der Begriff "anhängige frühere europäische Patentanmeldung" nicht als allgemeines dogmatisches Konzept definiert, sondern nur durch Verweis auf Entscheidungen zu der Frage, ob eine konkrete Anmeldung in einer bestimmten Verfahrenssituation anhängig gewesen ist. In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass der Wortlaut von Regel 36 (1) EPÜ mit dem Wortlaut der früheren Regel 25 (1) EPÜ 1973 identisch ist und die einschlägige Rechtsprechung daher berücksichtigt werden kann.
6. Die Kammer schließt sich der Auffassung der Juristischen Beschwerdekammer in J 18/04 an, wonach durch den Begriff "anhängige frühere europäische Patentanmeldung" in Regel 25 EPÜ 1973 keine Frist mit einem Anfangs- und einem Endpunkt, zu dem die Anhängigkeit einer Anmeldung beginnt bzw. endet, festgelegt, sondern vielmehr ein materiellrechtliches Erfordernis aufgestellt wird (J 18/04, ABl. EPA 2006, 560, Nrn. 7 und 8 der Entscheidungsgründe). Doch auch wenn der Begriff keine Frist, sondern ein materiellrechtliches Erfordernis begründet, so ist dieses Erfordernis damit noch nicht erschöpfend definiert, seine Bedeutung muss vielmehr im Zusammenhang mit anderen relevanten Verfahrensvorschriften und im Einklang mit den allgemein anerkannten Auslegungsregeln sowie gegebenenfalls im Lichte der höherrangigen Vorschriften des Vertrags über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (PCT) ausgelegt werden. Bei mangelnder Übereinstimmung zwischen EPÜ und PCT gehen nämlich die Vorschriften des PCT oder seiner Ausführungsordnung vor (Art. 150 (2) Satz 3 EPÜ).
Eine wörtliche Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung" legt ein Verfahren nahe, das vor der zuständigen Behörde eingeleitet wurde und noch nicht abgeschlossen ist. Mindestvoraussetzung ist dann, dass ein Verfahren vor der zuständigen Behörde eingeleitet wurde. Dass kein solches Verfahren eingeleitet wird, wenn die Anmeldung bei einer anderen als der dafür zuständigen Behörde eingereicht wird, scheint offenkundig und bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Die Kammer stimmt mit der Eingangsstelle darin überein, dass der Begriff "anhängige frühere europäische Patentanmeldung" in Regel 36 (1) EPÜ impliziert, dass die Anmeldung vor dem Europäischen Patentamt als Patenterteilungsbehörde nach dem EPÜ anhängig sein muss. Das ergibt sich aus dem Wort "europäisch" und dem Rahmen des EPÜ, in den Regel 36 EPÜ eingebunden ist.
Mit einer europäischen Patentanmeldung wird die Erteilung eines europäischen Patents auf der Grundlage der durch das EPÜ geschaffenen Verfahren angestrebt (vgl. Art. 2 (1) EPÜ). Eine europäische Patentanmeldung kann daher grundsätzlich nur eine Anmeldung sein, die vor dem Europäischen Patentamt anhängig ist.
Die Tatsache, dass eine europäische Patentanmeldung nach Artikel 75 (1) b) EPÜ nicht nur beim Europäischen Patentamt, sondern auch bei anderen zuständigen Behörden eingereicht werden kann, ändert nichts an dem rechtlichen Umstand, dass eine bei einer dieser Behörden eingereichte Anmeldung den durch das EPÜ geschaffenen Verfahren vor dem Europäischen Patentamt unterliegt.
7. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass eine nach den Bestimmungen des PCT eingereichte internationale Anmeldung bei den zuständigen PCT-Behörden (Anmeldeamt, Internationale Recherchenbehörde, mit der internationalen vorläufigen Prüfung beauftragte Behörde) anhängig ist und das Europäische Patentamt eine dieser Behörden sein kann. In der internationalen Phase ist das Europäische Patentamt aber nicht als europäische Patenterteilungsbehörde tätig; internationale Anmeldungen mit der Bestimmung EP sind in diesem Stadium keine vorschriftsmäßigen europäischen Patentanmeldungen im Sinne von Regel 36 (1) EPÜ (in der auf "frühere europäische Patentanmeldung[en]" Bezug genommen wird) und daher auch nicht vor dem Europäischen Patentamt, sondern vielmehr vor einer internationalen Behörde nach dem PCT anhängig.
Dies lässt sich auch aus Artikel 11 (3) PCT ableiten, der lautet:
"Jede internationale Anmeldung, die die Erfordernisse der Ziffern i bis iii des Absatzes 1 erfüllt und der ein internationales Anmeldedatum zuerkannt worden ist, hat vorbehaltlich des Artikels 64 Absatz 4 in jedem Bestimmungsstaat die Wirkung einer vorschriftsmäßigen nationalen Anmeldung mit dem internationalen Anmeldedatum; das internationale Anmeldedatum gilt als das tatsächliche Anmeldedatum in jedem Bestimmungsstaat."
Wäre eine internationale Anmeldung (mit der Bestimmung EP) ipso facto eine vorschriftsmäßige europäische Patentanmeldung, so wäre die in Artikel 11 (3) PCT enthaltene Rechtsfiktion überflüssig. Eine internationale Anmeldung mit der Bestimmung EP ist also nach Artikel 11 (3) PCT nicht an sich eine europäische Patentanmeldung, sondern hat lediglich die Wirkung einer solchen aufgrund der Rechtsfiktion in Artikel 11 (3) PCT.
Umfang der Rechtsfiktion in Artikel 11 (3) PCT in Verbindung mit anderen Bestimmungen des PCT
8. Es gilt also zu entscheiden, welche Rechtsfolgen sich aus der in Artikel 11 (3) PCT enthaltenen Rechtsfiktion ergeben, wonach eine internationale Anmeldung ab dem internationalen Anmeldedatum die Wirkung einer vorschriftsmäßigen nationalen Anmeldung hat.
Es ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 11 (3) PCT nicht auf die Anhängigkeit einer nationalen Anmeldung abhebt, sondern lediglich auf ihre Rechtswirkung, d. h. den materiellrechtlichen Anspruch auf eine bestimmte Priorität, einen bestimmten Anmeldetag oder eine spezielle Bestimmung. Aus diesem Grund muss er auch den Verweis auf Artikel 64 (4) PCT enthalten, durch den die Gleichsetzung der Unionspriorität mit dem tatsächlichen Anmeldedatum der Anmeldung - für die Zwecke der Bestimmung des Stands der Technik - beschränkt wird.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers folgt aus der Rechtsfiktion in Artikel 11 (3) PCT, dass eine internationale Anmeldung als ab dem internationalen Anmeldedatum vor dem Europäischen Patentamt anhängig zu betrachten ist, weil Artikel 11 (3) PCT außer der Bezugnahme auf Artikel 64 (4) PCT keine verfahrensrechtliche Beschränkung enthält.
Die Kammer ist der Ansicht, dass diese Auslegung falsch ist und im Widerspruch zu anderen Bestimmungen des PCT stünde, insbesondere zu Artikel 23 (1) PCT, der eine Aussetzung des nationalen Verfahrens vorsieht; zudem entspricht sie nicht dem allgemeinen Verständnis des Verfahrens nach dem PCT, wie im Folgenden ausgeführt wird.
9. Die Kammer bestreitet nicht, dass eine Euro-PCT-Anmeldung während der internationalen und der europäischen Phase dieselbe bleibt. Sie durchläuft jedoch unterschiedliche Verfahren nach dem PCT und nach dem EPÜ. Das Wesen des durch den PCT geschaffenen einheitlichen Einreichungssystems besteht ja gerade darin, dass die internationale Anmeldung in der internationalen Phase den Verfahrensregeln des PCT unterliegt und nicht den (möglicherweise vom PCT abweichenden) nationalen Rechtsvorschriften, die gegebenenfalls anwendbar werden, nachdem die internationale Anmeldung in die nationale oder regionale Phase vor dem zuständigen nationalen oder regionalen Amt eingetreten ist.
Dies ergibt sich auch aus Artikel 150 (2) EPÜ, wo es heißt:
"Internationale Anmeldungen nach dem PCT können Gegenstand von Verfahren vor dem Europäischen Patentamt sein".
Das Erteilungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt kann für eine Euro-PCT-Anmeldung nur eingeleitet werden, indem der PCT-Weg durch einen Antrag nach Artikel 23 (2) PCT verlassen wird oder die in Artikel 22 PCT vorgesehenen Verfahrenshandlungen vorgenommen werden. Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer weder einen solchen Antrag gestellt noch die erforderliche nationale Gebühr (Anmeldegebühr) nach Artikel 22 (1) PCT in Verbindung mit Regel 159 (1) c) EPÜ entrichtet. In der vom Beschwerdeführer angeführten Sache J 17/99 (Nrn. 3 und 5 der Entscheidungsgründe) dagegen hatte der Anmelder einen Antrag auf vorgezogenen Eintritt in die regionale Phase vor dem Europäischen Patentamt gestellt und die entsprechenden Gebühren gezahlt (vgl. oben Sachverhalt und Anträge, Nr. VI und Nr. X, letzter Satz). In jenem Fall war daher durch diesen Antrag das Verfahren vor dem Europäischen Patentamt als europäischer Patenterteilungsbehörde wirksam eingeleitet worden; die Rechtslage war somit eine andere als in der vorliegenden Sache und kann nicht für die jetzige Entscheidung herangezogen werden.
10. Die Kammer hat die vorbereitenden Arbeiten zum EPÜ ("Travaux préparatoires") und die seit Inkrafttreten des EPÜ vorgenommenen Änderungen in den einzelnen Fassungen der Regeln 25 (1) EPÜ 1973 und 36 (1) EPÜ genau studiert. Dabei hat sie jedoch keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass das Europäische Patentamt oder der Gesetzgeber eine internationale Anmeldung, die nicht in die europäische Phase eingetreten war, jemals als frühere Anmeldung im Sinne der Regel 36 (1) EPÜ bzw. Regel 25 (1) EPÜ 1973 angesehen hätte.
Dementsprechend hieß es in den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (A-IV, 1.1.1.1, in der vor April 2010 geltenden Fassung) lediglich:
"Eine europäische Patentanmeldung kann geteilt werden, wenn sie anhängig ist. Zur Teilung einer europäischen Patentanmeldung reicht der Anmelder eine oder mehrere europäische Teilanmeldungen ein. Es ist unwesentlich, welcher Art die zu teilende europäische Anmeldung, d. h. die Stammanmeldung, ist. Diese kann daher selbst eine frühere Teilanmeldung sein. Eine Teilanmeldung zu einer Euro-PCT-Anmeldung kann erst eingereicht werden, wenn diese beim EPA als Bestimmungsamt oder ausgewähltem Amt anhängig ist, d. h. in die europäische Phase eingetreten ist" (Unterstreichung durch die Kammer).
Daraus geht hervor, dass das Europäische Patentamt eine noch nicht in die europäische Phase eingetretene internationale Patentanmeldung nie als anhängige europäische Patentanmeldung im Sinne der Regel 36 (1) EPÜ angesehen hat.
11. Außerdem haben die Vertragsstaaten des PCT viele Jahre lang die Aufnahme von Bestimmungen in den PCT erörtert, die es den Anmeldern ermöglichen würden, während der internationalen Phase einer internationalen Patentanmeldung Teilanmeldungen einzureichen (siehe z. B. WIPO, Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (PCT), 5. Sitzung der Arbeitsgruppe für die Reform des PCT vom 17. bis 21. November 2003 in Genf, Sitzungscode PCT/R/WG/5/6, unter: www.wipo.int/meetings/en/doc_details.jsp?doc_id=18422).
Dabei ging es um die Teilung einer internationalen Anmeldung in zwei getrennte internationale Anmeldungen nach dem PCT während der internationalen Phase. Zu unterscheiden ist diese Verfahrenssituation wohlgemerkt von der Frage, ob eine Teilanmeldung nach nationalem Patentrecht eingereicht werden kann, solange sich die Stammanmeldung noch in der internationalen Phase befindet.
Beachtenswert ist allerdings die Begründung der Arbeitsgruppe für die vorgeschlagene Änderung des PCT unter Nummer 11 des Dokuments:
"Die Einführung eines Verfahrens, das es dem Anmelder ermöglichen würde, eine internationale Anmeldung als Teilanmeldung einer ursprünglichen internationalen Anmeldung ("Teilanmeldung") einzureichen, würde natürlich die Bearbeitung der internationalen Anmeldung aus Sicht des Anmelders in den Fällen stark vereinfachen, in denen die Internationale Recherchenbehörde oder die mit der internationalen vorläufigen Prüfung beauftragte Behörde mangelnde Einheitlichkeit feststellt, denn dadurch entfiele die Notwendigkeit, nach dem Eintritt in die nationale Phase bei jedem betreffenden Bestimmungsamt oder ausgewähltem Amt einzeln eine (nationale) Teilanmeldung einzureichen" (Unterstreichung durch die Kammer).
Die Möglichkeit, in der internationalen Phase einer internationalen Anmeldung eine nationale (regionale) Teilanmeldung einzureichen, wurde offenbar nie in Betracht gezogen. Die obige Argumentation wird unter Nummer 33 des Dokuments wieder aufgegriffen:
"Zwar könnte dieses Ziel erreicht werden, indem die intern geteilte ursprüngliche internationale Anmeldung in die nationale Phase eintritt und anschließend im Verfahren vor jedem nationalen Amt gesondert geteilt wird, doch wäre es einfacher, wenn die ursprüngliche internationale Anmeldung von Anfang an in Form getrennter Teilanmeldungen in die nationale Phase eintreten könnte" (Unterstreichung durch die Kammer).
Die beiden zitierten Textstellen lassen erkennen, dass die Arbeitsgruppe der Auffassung war, dass eine nationale (regionale) Teilanmeldung zu einer ursprünglichen internationalen Anmeldung von Rechts wegen nur dann eingereicht werden könne, wenn die internationale Anmeldung Gegenstand eines Verfahrens vor dem nationalen (regionalen) Amt ist. Dies impliziert, dass eine internationale Anmeldung vor dem Eintritt in die nationale (regionale) Phase nicht vor dem nationalen (regionalen) Amt anhängig ist, die Anhängigkeit vor dem nationalen Amt aber eine wichtige Voraussetzung für die Einreichung einer nationalen Teilanmeldung ist.
12. Die Auffassung des Europäischen Patentamts, wonach eine internationale Anmeldung, die nicht in die europäische Phase eingetreten ist, von Rechts wegen nicht vor dem Europäischen Patentamt anhängig ist, wurde durch die ursprüngliche Fassung von Artikel 150 (3) EPÜ 1973 gestützt, die lautete:
"Eine internationale Anmeldung, für die das Europäische Patentamt als Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt tätig wird, gilt als europäische Patentanmeldung."
Es versteht sich von selbst, dass das Europäische Patentamt erst als Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt tätig werden konnte, nachdem die internationale Anmeldung in die europäische Phase eingetreten war. Artikel 150 (3) EPÜ 1973 wurde jedoch bei der EPÜ-Revision im Jahr 2000 durch den neuen Artikel 153 (2) EPÜ ersetzt, der folgende Fassung hat:
"Eine internationale Anmeldung, für die das Europäische Patentamt Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt ist und der ein internationaler Anmeldetag zuerkannt worden ist, hat die Wirkung einer vorschriftsmäßigen europäischen Anmeldung (Euro-PCT-Anmeldung)."
Diese Fassung scheint dem Wortlaut von Artikel 11 (3) PCT besser zu entsprechen, nimmt aber ebenso wenig wie dieser Bezug auf die Anhängigkeit einer Euro-PCT-Anmeldung als europäische Patentanmeldung. Der neue Wortlaut spiegelt lediglich das Ziel des PCT wider, internationale Patentanmeldungen nationalen oder regionalen Anmeldungen gleichzustellen, sofern nicht besondere Vorschriften des PCT eine andere Behandlung vorsehen oder zulassen. Die im PCT verankerte gesetzgeberische Absicht der Gleichbehandlung lässt sich z. B. auch aus Artikel 48 (2) a) PCT ableiten, wo es heißt:
"Jeder Vertragsstaat sieht, soweit er betroffen ist, eine Fristüberschreitung als entschuldigt an, wenn Gründe vorliegen, die nach seinem nationalen Recht zugelassen sind."
Ebendiesem Artikel lässt sich allerdings auch entnehmen, dass eine internationale Anmeldung in der internationalen Phase verfahrenstechnisch potenziell anders behandelt werden kann als eine nationale Anmeldung, denn die internationale Anmeldung kommt nicht in der internationalen Phase, sondern erst nach ihrem Eintritt in die nationale (regionale) Phase in den Genuss einer etwaigen nationalen Bestimmung, die Fristüberschreitungen entschuldigt.
Artikel 48 (2) PCT enthält somit eine Verfahrensbeschränkung, die in Artikel 11 (3) PCT nicht erwähnt ist. Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Rechtsfiktion in Artikel 11 (3) PCT schließe die Anwendung von Verfahrensbeschränkungen gemäß anderen Bestimmungen des PCT aus, ist daher nicht richtig.
13. Die Formulierung "… hat … in jedem Bestimmungsstaat die Wirkung einer vorschriftsmäßigen nationalen Anmeldung mit dem internationalen Anmeldedatum …" in Artikel 11 (3) PCT ist eine Rechtsfiktion, die nicht zur Folge hat, dass die Verfahren nach dem PCT zu nationalen Verfahren werden. Die Verfahren in der internationalen Phase nach dem PCT sind im Gegenteil spezielle Verfahren und unterliegen den Bestimmungen des PCT. Verfahren nach nationalem Recht sind während der internationalen Phase einer internationalen Anmeldung sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus Artikel 23 (1) PCT ("Aussetzung des nationalen Verfahrens"), der lautet:
"Ein Bestimmungsamt darf die internationale Anmeldung vor dem Ablauf der nach Artikel 22 maßgeblichen Frist nicht prüfen oder bearbeiten."
Artikel 23 (1) PCT beschränkt offenbar die verfahrensrechtliche Wirkung einer internationalen Anmeldung in der internationalen Phase hinsichtlich der Anwendbarkeit des nationalen Rechts und würde somit auch die Rechtswirkung einer internationalen Anmeldung nach Artikel 11 (3) PCT einschränken, wenn dieser im Sinne des Beschwerdeführers ausgelegt würde.
In Bezug auf Artikel 23 (2) PCT, der es jedem Bestimmungsamt gestattet, die Bearbeitung oder Prüfung der internationalen Anmeldung jederzeit aufzunehmen, ist darauf hinzuweisen, dass der dafür erforderliche ausdrückliche Antrag des Anmelders bewirkt, dass die internationale Phase und damit das Verfahren nach dem PCT beendet wird. Ein solcher ausdrücklicher Antrag nach Artikel 23 (2) PCT wurde aber, wie bereits oben unter Nummer 9 ausgeführt, im vorliegenden Fall nicht gestellt und kann auch nicht - wie vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung behauptet - allein durch die Einreichung einer Teilanmeldung als gestellt gelten. Eine solche Auslegung entspricht nicht dem Erfordernis eines ausdrücklichen Antrags nach Artikel 23 (2) PCT, und für das Europäische Patentamt wäre nicht erkennbar gewesen, dass der Anmelder für die Anmeldung die regionale Phase einleiten wollte. Somit kann im vorliegenden Fall die Einreichung der Teilanmeldung nicht als Antrag auf Bearbeitung oder Prüfung der internationalen Anmeldung nach Artikel 23 (2) PCT gelten. Da das Erfordernis eines ausdrücklichen Antrags also nicht erfüllt ist, muss auch nicht entschieden werden, welche weiteren Handlungen nach Regel 159 EPÜ vorgenommen werden müssten, um einen vorzeitigen Eintritt in die regionale Phase zu bewirken (zu möglicherweise abweichenden Ansichten vgl. Singer/Stauder (Hesper), EPÜ, 5. Auflage, Art. 153, Rdnrn. 78 bis 80).
Dass es sich beim internationalen und beim regionalen Verfahren um zwei getrennte Verfahren handelt, geht auch aus Artikel 150 (2) EPÜ hervor:
"Internationale Anmeldungen nach dem PCT können Gegenstand von Verfahren vor dem Europäischen Patentamt sein."
Nach Ansicht der Kammer ist daher die Unterscheidung zwischen der Anhängigkeit einer internationalen Anmeldung im Verfahren der internationalen Phase und der im Verfahren der regionalen Phase sowohl nach dem EPÜ als auch nach dem PCT gerechtfertigt. Für eine internationale Patentanmeldung mit der Bestimmung EP wird das Verfahren vor den PCT-Behörden mit dem Anmeldedatum und das Verfahren vor dem Europäischen Patentamt erst mit dem Tag eingeleitet, an dem die in Artikel 22 (1) PCT festgelegten Erfordernisse für den Eintritt in die regionale Phase erfüllt sind.
14. Daher ist die Begründung der Eingangsstelle vollkommen richtig, dass sich der Begriff "anhängige frühere europäische Patentanmeldung" auf Verfahren bezieht, die vor dem Europäischen Patentamt als derjenigen Behörde anhängig sind, die für die Entscheidung über die frühere Anmeldung nach dem EPÜ zuständig ist. Der verfahrensrechtliche Begriff "Anhängigkeit" im Sinne von Regel 36 EPÜ impliziert, dass das Europäische Patentamt für die Entscheidung über den Erteilungsantrag zuständig geworden ist.
15. Eine weitere Beschränkung für die Einreichung einer Teilanmeldung zu einer internationalen Anmeldung nach Regel 36 EPÜ ergibt sich aus Artikel 23 (1) PCT. Wie bereits oben unter Nummer 13 erläutert, ist das Europäische Patentamt nach Artikel 23 (1) PCT in der internationalen Phase nicht befugt, die internationale Anmeldung im Hinblick auf die Patentierbarkeit des darin beanspruchten Gegenstands oder auf verfahrensrechtliche Erfordernisse nach dem EPÜ zu bearbeiten und zu prüfen. Das Europäische Patentamt wird als europäische Patenterteilungsbehörde erst zuständig, wenn die Voraussetzungen für den Eintritt in die europäische Phase nach Artikel 22 (1) PCT erfüllt sind oder die internationale Phase der internationalen Anmeldung durch einen ausdrücklichen Antrag auf Eintritt in die europäische Phase nach Artikel 22 (2) PCT beendet wurde. Zu beachten ist, dass die Frist von 30 Monaten nach Artikel 22 (1) PCT durch Regel 159 (1) EPÜ auf 31 Monate verlängert wird. Das Verbot, die Euro-PCT-Anmeldung in der internationalen Phase zu bearbeiten und zu prüfen, hat eine direkte verfahrensrechtliche Auswirkung auf die erforderliche Prüfung der beim Europäischen Patentamt eingereichten Teilanmeldung, wie im Folgenden erläutert wird.
16. Wird eine Teilanmeldung nach Regel 36 (1) EPÜ eingereicht, so hat die Eingangsstelle des Europäischen Patentamts unmittelbar nach deren Eingang zu prüfen, ob ihr ein Anmeldetag zuerkannt werden kann. Diese Prüfung impliziert eine Entscheidung über den Verfahrensstand der früheren europäischen Anmeldung. Ist die frühere Anmeldung eine internationale Anmeldung, die sich noch in der internationalen Phase befindet, so kann die Eingangsstelle diese (implizite) Entscheidung über die internationale Anmeldung nicht treffen, weil das Bestimmungsamt nach Artikel 23 (1) PCT nicht befugt ist, die internationale Anmeldung in dieser Phase zu prüfen. Aus dem PCT folgt also, dass Regel 36 (1) EPÜ dahingehend auszulegen ist, dass der Begriff "anhängige frühere europäische Patentanmeldung" eine Anmeldung bezeichnet, die vor dem Europäischen Patentamt als zuständiger Behörde nach dem EPÜ anhängig ist. Diese Auslegung ergibt sich aus dem Wort "europäisch" und steht im Einklang mit der durch Artikel 23 (1) PCT beschränkten Rechtsfiktion in Artikel 11 (3) PCT.
In Zusammenfassung der vorstehenden Argumente und Schlussfolgerungen bestätigt die Kammer die Feststellung der Eingangsstelle, dass ausgehend von den Bestimmungen des PCT und des EPÜ eine Euro-PCT-Anmeldung, die nicht in die europäische Phase eingetreten ist, keine anhängige frühere europäische Anmeldung im Sinne von Regel 36 (1) EPÜ ist.
Erörterung der weiteren Argumente des Beschwerdeführers in Bezug auf den Begriff "anhängige frühere europäische Anmeldung" und sein Recht auf Einreichung einer Teilanmeldung
17. Die Schlussfolgerung des Beschwerdeführers, dass die Mitteilung des Europäischen Patentamts, in der es seiner internationalen Anmeldung mit der Bestimmung EP eine europäische Anmeldenummer zugewiesen habe, belege, dass die frühere Anmeldung eine anhängige europäische Anmeldung sei, ist falsch, denn die Zuweisung einer Anmeldenummer ist lediglich ein Verwaltungsakt, der dem Europäischen Patentamt die Bearbeitung der eingehenden Dokumente erleichtert. Eine solche, rein verwaltungstechnische Handlung kann nicht zur Auslegung des Begriffs "anhängige frühere europäische Patentanmeldung" in Regel 36 (1) EPÜ herangezogen werden.
18. Es trifft ferner zu, dass das Europäische Patentamt eine Mitteilung in Bezug auf die frühere Anmeldung erlassen hat, in der es heißt:
"Die oben genannte europäische Patentanmeldung gilt als zurückgenommen."
Doch obwohl die Verwendung des Begriffs "europäische Patentanmeldung" in dieser Mitteilung dem Wortlaut von Regel 160 (1) EPÜ entspricht, ist die Erklärung, dass die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gilt, keine rechtsbegründende, sondern nur eine feststellende Verfahrenshandlung, die besagt, dass kein Verfahren vor dem Europäischen Patentamt anhängig ist. Mit dieser Erklärung wurde für die internationale Anmeldung nicht das in Regel 36 (1) EPÜ geforderte Erteilungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt eingeleitet, sondern vielmehr klargestellt, dass die internationale Anmeldung nicht nach dem EPÜ bearbeitet wird, und dem Anmelder lediglich mitgeteilt, dass die internationale Anmeldung nicht vor dem Europäischen Patentamt anhängig geworden ist und somit auch nicht als europäische Patentanmeldung weiterbearbeitet wird.
19. Die Kammer weist ferner darauf hin, dass im PCT kein Anspruch auf Einreichung einer Teilanmeldung oder Weiterverfolgung nicht recherchierter Gegenstände in der regionalen Phase vorgesehen ist.
Der Verweis des Beschwerdeführers auf das amerikanische und das britische Patentrecht und -verfahren bietet keine geeignete Grundlage für die Auslegung der Regel 36 (1) EPÜ.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Wirtschaftlichkeit und zur Gleichbehandlung bezieht sich auf die internationale Anmeldung als solche und kann bestenfalls dazu dienen, die Beschränkung der internationalen Anmeldung auf im internationalen Recherchenbericht behandelte Gegenstände infrage zu stellen.
Wenn die Erfordernisse der Regel 36 EPÜ nicht erfüllt sind, kann der Anspruch auf Einreichung einer Teilanmeldung nicht mit Argumenten der Wirtschaftlichkeit und der Gleichbehandlung begründet oder durch Verweis auf die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten in anderen nationalen Rechtssystemen gerechtfertigt werden.
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
20. Was den Antrag des Beschwerdeführers auf Vorlage einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung an die Große Beschwerdekammer betrifft, so hat die Kammer vorstehend dargelegt, dass sich die Antwort auf diese Frage direkt und eindeutig aus den Vorschriften des EPÜ und des PCT ableiten lässt. Die Tatsache, dass Regel 36 (1) EPÜ im Lichte der Bestimmungen des PCT ausgelegt werden muss, schränkt nicht die Entscheidungskompetenz der Kammer in dieser Frage ein und bedeutet nicht, dass die Frage eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer erfordert. Insofern entspricht der vorliegende Fall nicht der Rechtslage, die zur Befassung der Großen Beschwerdekammer in G 1/09 geführt hat. Der Kammer sind zudem keine gegenteiligen Entscheidungen zu dieser Rechtsfrage bekannt, die im Hinblick auf die Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung (im Sinne von Art. 112 (1) EPÜ) eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer rechtfertigen würden.
21. Die Kammer gelangt daher zu dem Schluss, dass weder dem Antrag auf Behandlung der Teilanmeldung als wirksam eingereichte Teilanmeldung noch dem Antrag auf Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer stattgegeben werden kann.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer wird abgelehnt.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.