MITTEILUNGEN DES EPA
Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 3. April 2000 über die Änderung der Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt
Mit Verfügung des Präsidenten des EPA vom 3. April 2000 sind die Richtlinien für die Prüfung gemäß Artikel 10 (2) EPÜ geändert worden.1 Die Änderungen werden in Form von Austauschblättern2 veröffentlicht.
Diese Änderungen sind nach Konsultation des Ständigen Beratenden Ausschusses beim EPA (SACEPO) vorgenommen worden. Sie beziehen sich im wesentlichen auf Schwierigkeiten, die in den Bereichen von Recherche und Sachprüfung bei der Bearbeitung sogenannter komplexer Anmeldungen aufgetreten sind. Beispiele für komplexe Anmeldungen sind Anmeldungen mit einer Vielzahl von Ansprüchen, Anmeldungen, bei denen in einem einzigen Anspruch eine Vielzahl von Möglichkeiten definiert wird, sowie Anmeldungen mit Ansprüchen, in denen die Erfindung durch das zu erreichende Ergebnis oder durch schwer verständliche Parameter definiert wird. Diese Anmeldungen sind aber nicht nur schwer zu bearbeiten: Sehr oft verstoßen sie gegen grundlegende Erfordernisse des EPÜ und des PCT wie Klarheit, Knappheit, Stützung oder Offenbarung.
Diese Mängel wurden nun durch eine strengere Anwendung der in den Rechtsvorschriften verankerten Anforderungen an Klarheit, Knappheit, Stützung und Offenbarung im Rahmen der Sachprüfung ausgeräumt. Gegebenenfalls soll auch schon im Recherchenstadium angesetzt werden, indem ein Teilrecherchenbericht gemäß Regel 45 EPÜ bzw. Artikel 17 (2) PCT erstellt wird, der weitmöglichst auf dem tatsächlichen Beitrag des Anmelders zum Stand der Technik basiert. In extremen Fällen wird keinerlei Recherche durchgeführt.
Zu diesem Zweck wurden die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinien klargestellt und, soweit erforderlich, berichtigt. Außerdem hat das EPA diese Gelegenheit genutzt, um einige redaktionelle und sprachliche Widersprüche zu beseitigen. Die Änderungen in Teil B klären die möglichen Gründe für die Anwendung von Regel 45 EPÜ bzw. Artikel 17 (2) PCT und werden der Rechtsgrundlage für solche Einschränkungen und der Recherchenpraxis eher gerecht. Die Änderungen in Teil C dienen in bezug auf Stützung und Offenbarung einer Angleichung der Richtlinien an die Rechtsprechung.
Die wichtigsten Änderungen werden im folgenden zusammengefaßt; dabei ist jeweils angegeben, in welchem Teil der Richtlinien sie vorkommen.
B-III, 3.6:
Ein Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit ist schon in B-III, 2.1 enthalten, wo er auch zweckdienlicher erscheint. Es besteht ein Unterschied zwischen den unvermeidlichen, aufgrund der Wirtschaftlichkeit gebotenen Einschränkungen in bezug auf Intensität, Umfang und "Vollständigkeit" bei allen Recherchen und denjenigen Fällen, in denen die Recherche nicht vollständig ist und auch nicht vollständig sein kann, weil die Anmeldung bestimmte Erfordernisse von EPÜ bzw. PCT so wenig erfüllt, daß eine sinnvolle Recherche nicht möglich ist. Oft ist dies eine direkte Folge der vom Anmelder selbst gewählten Art der Formulierung.
B-III, 3.7:
Diese Änderung hängt damit zusammen, daß die Ursache für mangelnde Offenbarung wie auch für mangelnde Stützung in zu breiten Ansprüchen liegen könnte. Es wird die Rechtsgrundlage für etwaige Einschränkungen angegeben. Der letzte Satz behandelt den Fall, daß eine Teilrecherche oder eine Erklärung zweckmäßig sein könnte, weil eine sinnvolle Recherche des gesamten Anspruchs wegen mangelhafter Offenbarung unmöglich ist.
B-III, 3.12, B-III, 4.2, B-IV, 2.1:
Die Begriffe "unklar" und "Unklarheiten" wurden durch Formulierungen ersetzt, die Regel 45 EPÜ und Artikel 17 (2) PCT besser entsprechen.
B-IV, 1.3:
Die Änderung macht deutlich, daß es sich wirklich um einen Ausnahmefall handelt.
B-VIII, 1 und 2:
Der Hinweis, daß der Recherchenprüfer die Recherche auf der Grundlage wahrscheinlicher Änderungen durchführt, entspricht fast wörtlich der PCT-Recherchenrichtlinie, VIII, 1.1, letzter Satz. Die bisherige Fassung des Kapitels B-VIII der Richtlinien war insofern in gewisser Weise widersprüchlich, als nach B-VIII, 1 (immer) eine Erklärung erforderlich war, wenn die Anmeldung einen nicht patentfähigen oder nicht gewerblich anwendbaren Gegenstand betraf, während in B-VIII, 4 für bestimmte Arten solcher Gegenstände eine andere Vorgehensweise vorgeschlagen wurde. Die Änderungen lösen dieses Problem dadurch, daß B-VIII, 1 an die PCT-Recherchenrichtlinie angepaßt und ein Verweis auf B-VIII, 4 aufgenommen wurde.
Der Hinweis auf "einen Teil eines Anspruchs" unter Nummer 2 ist an die PCT-Recherchenrichtlinie VIII, 1.2 angelehnt. Einige Lesarten von Artikel 17 (2) b) PCT legen nahe, daß die kleinste Einheit ein einzelner Anspruch ist. Dagegen ist es nach der PCT-Recherchenrichtlinie durchaus möglich, daß für einen Teil eines einzelnen Anspruchs eine sinnvolle Recherche durchgeführt werden kann und für einen anderen Teil nicht.
B-VIII, 4 bis 6:
Siehe Anmerkung zu B-III, 3.12.
In der früheren Fassung der Nummer 6 war es dem Prüfer untersagt, einfachere Fragen mit dem Anmelder zu klären. Dies steht im Widerspruch zur PCT-Recherchenrichtlinie VIII, 2.1, aus der der geänderte Wortlaut übernommen wurde. Angesichts der möglichen rechtlichen Auswirkungen solcher Klarstellungen ist eine Konsultation aber nur in ganz begrenzten Fällen zweckmäßig.
Außerdem liefert der neue Wortlaut eine Erläuterung dazu, was unter dem Begriff "sinnvoll" zu verstehen sein könnte. Es wurde angeregt, Regel 45 EPÜ und Artikel 17 (2) PCT ausschließlich dann anzuwenden, wenn eine Recherche absolut unmöglich ist, weil die Anmeldung völlig unverständlich ist. Diese Auslegung von Artikel 17 (2) PCT und Regel 45 EPÜ ist aber zu eng und nachteilig für Dritte. Sie bedeutet nämlich, daß in vielen Fällen ein angeblich vollständiger Recherchenbericht erstellt wird, obwohl ganz offensichtlich keine vollständige Recherche für den gesamten Anspruch durchgeführt wurde. Die korrekte Bezeichnung solcher Recherchen als Teil- oder unvollständige Recherchen wird ein deutlicher Hinweis für Anmelder, Dritte und den Sachprüfer auf den wahren Sachverhalt sein. Wie bereits angeführt, ist der Grund dafür, daß keine vollständige Recherche durchgeführt werden kann, in vielen Fällen die vom Anmelder gewählte Art der Formulierung. Wird die Anmeldung im Sinne von EPÜ oder PCT dadurch so mangelhaft, daß keine vollständige sinnvolle Recherche durchgeführt werden kann, sollte darauf hingewiesen werden. Nach dem neuen Wortlaut könnten diese Bestimmungen beispielsweise auch angewandt werden, wenn eine (vollständige) Recherche eines zu breiten Anspruchs zwar theoretisch möglich sein könnte, es aber nicht sinnvoll oder angemessen wäre, den Anspruch in seinem gesamten Umfang zu recherchieren, insbesondere weil dies im Hinblick auf die Änderung der Ansprüche und den Gegenstand, auf den sie dann nach vernünftigem Ermessen gerichtet sein könnten, nicht sachdienlich wäre.
C-II, 4.1, C-II, 4.9:
Die frühere Fassung von 4.1 i) wurde bisweilen dahingehend mißverstanden, daß eine ausreichende Offenbarung vorliege, wenn die Anmeldung ausreichende technische Hinweise dafür enthalte, daß etwas hergestellt werden könne, das unter die Ansprüche falle. Nach der neueren Rechtsprechung ist nun aber klar, daß dieser Ansatz nur in denjenigen Ausnahmefällen Anwendung findet, in denen der Anmelder einen ganz neuen Grundsatz aufgestellt hat, der sich allgemein anwenden und verallgemeinern läßt.
In C-II, 4.1 i) und ii) wurde klargestellt, daß es bei der Offenbarung nur darum geht, eine Entsprechung oder ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Beitrag zum Stand der Technik einerseits und dem Inhalt des Patentanspruchs andererseits zu gewährleisten.
Legt der Prüfer laut der geänderten Fassung von 4.9 triftige Argumente für die mangelnde Offenbarung vor, so ist es Sache des Anmelders, das Gegenteil zu beweisen.
Zur Offenbarung im allgemeinen enthält die Entscheidung T 435/91 (ABl. EPA 1995, 188) eine nützliche Zusammenfassung der einschlägigen Rechtsprechung (vgl. Nrn. 2.2.2 und 2.2.3 der Entscheidungsgründe).
C-III, 4.3:
Durch die Änderungen wird die korrekte Rechtsgrundlage für die hier behandelten Beanstandungen genauer dargelegt. So könnte ein Anspruch durchaus deutlich sein, ohne unbedingt alle wesentlichen Merkmale der Erfindung zu enthalten. Eine Argumentation, die sich auf diese Rechtsgrundlage stützt, könnte sich bei der Recherche dann als zweckdienlich erweisen, wenn eine sinnvolle Recherche über die gesamte Breite des Anspruchs aufgrund des Fehlens der wesentlichen Merkmale in einem zu breiten Anspruch unmöglich ist.
C-III, 4.7a:
Aus der bisherigen Richtlinie zu Parametern ging nicht klar hervor, auf welche Rechtsgrundlage ein Einwand gestützt werden sollte. Die Änderung macht deutlich, daß hier in erster Linie mangelnde Klarheit im Sinne des Artikels 84 EPÜ zum Tragen kommt, wobei eine solche mangelnde Klarheit vorliegt, wenn der gewählte Parameter keinen sinnvollen Vergleich mit dem Stand der Technik ermöglicht. Die unnötige Einschränkung auf Fälle, in denen eine Verbindung ausschließlich durch ihre Parameter beschrieben wird, ist entfallen.
C-III, 5:
Mit dieser Änderung wird der in der Rechtsprechung entwickelte ergebnisorientierte Ansatz für die knappe Fassung und die "vernünftige" Anzahl von Ansprüchen in die Richtlinien aufgenommen.
C-III, 6.1 und 6.3:
Im Patentrecht soll "Stützung" dem Prinzip Rechnung tragen, daß der Wortlaut eines Anspruchs dem Beitrag zum Stand der Technik entsprechen soll, wie es in T 409/91 unter der Nummer 3.3 ausgeführt wird. Die frühere Fassung wurde oft fälschlicherweise dahingehend ausgelegt, daß lediglich eine Art formale Entsprechung oder Übereinstimmung zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung erforderlich sei.
In der Änderung des ersten Satzes von 6.3 entfällt der unbegründete Begriff "ausnahmsweise", zeigt doch die Zunahme der Problemanmeldungen und der extrem breiten ungestützten Markush-Ansprüche, daß solche Ansprüche keine Ausnahme mehr sind.
Die bisherige Richtlinie C-III, 6.3 wurde - zu Unrecht - oft so aufgefaßt, als lege sie dem Prüfer eine recht hohe Last auf. Dies lag an der Formulierung "in zweifelhaften Fällen (ist) kein Einwand zu erheben", die oft so ausgelegt wurde, als habe der Prüfer Beweise zu erbringen, die "über jeden vernünftigen Zweifel erhaben" seien.
Dies war eindeutig nicht richtig. Wenn die prüfende Stelle begründen kann, warum die Anmeldung bestimmte Erfordernisse des EPÜ oder des PCT nicht erfüllt, so muß sie entsprechende Einwände erheben. Dann wiederum ist es Sache des Anmelders, durch eine Begründung, eine Einschränkung oder weitere technische Angaben nachzuweisen, daß der Einwand unbegründet war oder aber ausgeräumt wurde. Dies gilt für die Stützung und die Offenbarung gleichermaßen wie für die Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit. Die Änderung macht die jeweiligen Zuständigkeiten des Anmelders und des Prüfers deutlich.
Der Hinweis bezüglich des Erfordernisses der Stützung durch die Anführung eines Dokuments wurde etwas abgeschwächt. In T 409/91 wurde befunden, daß für den Einwand mangelnder Stützung kein Dokument erforderlich ist. Auch in den in C-III, 6.4 angeführten Beispielen ist von einem Dokument nicht die Rede.
C-III, 6.4:
Das neue Beispiel iii) basiert auf T 409/91 und betrifft Ansprüche, in denen die Erfindung durch das zu erreichende Ergebnis definiert wird. Bislang war der einzige Hinweis in den Richtlinien auf solche Ansprüche im Abschnitt C-III, 4.7 enthalten, der nahezulegen schien, daß gegen Ansprüche, in denen auf "zu erreichende Ergebnisse" abgehoben wird, der Einwand mangelnder Klarheit erhoben werden könnte, obwohl die Richtlinie keine ausdrücklichen Angaben zur genauen Begründung eines solchen Einwands enthielt. Laut Rechtsprechung können Einwände gegen solche Ansprüche auch mit mangelnder Stützung, mangelnder Offenbarung und fehlenden wesentlichen Merkmalen begründet werden.
C-VI, 8.5:
Die Änderung unter 8.5 verdeutlicht das Verfahren und deckt die Möglichkeit ab, daß die Recherchenabteilung gar keinen Recherchenbericht erstellt hat. Diese Möglichkeit ist in Artikel 17 (2) PCT und Regel 45 EPÜ vorgesehen.
Seite 234 dieses Amtsblatts zu entnehmen.
1 Letzte Aktualisierung siehe ABl. EPA 7/1999, 510.
2 Einzelheiten zur Anforderung der Austauschblätter sind der gesonderten Mitteilung auf