EUROPÄISCHE PATENTORGANISATION
Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation über die Reform des europäischen Patentsystems, Paris, 24. und 25. Juni 1999
Auf Einladung der französischen Regierung hat am 24. und 25. Juni 1999 in Paris eine Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation stattgefunden. Den Vorsitz führte Christian PIERRET, französischer Staatssekretär für Industrie.
Der französische Premierminister, Lionel JOSPIN, hielt vor den Delegationen der 19 Mitgliedstaaten eine Rede und unterstrich die Bedeutung des gewerblichen Eigentums für Innovation, Wachstum und Beschäftigung.
Das auf der Regierungskonferenz verabschiedete Mandat (siehe nachstehenden Text) sieht die Bildung zweier Arbeitsgruppen vor, die den Auftrag erhalten, den Regierungen der Vertragsstaaten Berichte über die Senkung der Kosten des europäischen Patents bzw. über die Harmonisierung der Streitregelung vorzulegen.
Im Namen des Vereinigten Königreichs schlug der Staatssekretär im Ministerium für Handel und Industrie, Kim HOWELLS, vor, nächstes Jahr eine weitere Regierungskonferenz einzuberufen, wenn die Arbeitsgruppen fruchtbare Ergebnisse vorzuweisen haben.
Darüber hinaus wurde die EPO beauftragt, Vorschläge zur Modernisierung ihrer Entscheidungsverfahren auszuarbeiten und die Problematik der Vorveröffentlichungen sowie diesbezügliche Lösungsmöglichkeiten zu untersuchen. Der Präsident des portugiesischen Patentamts, José MOTA MAIA, hat sich bereit erklärt, die Arbeiten in bezug auf das letztere Thema zu koordinieren.
Schließlich wurde die EPO aufgefordert, eine Konferenz zur Revision des EPÜ vorzubereiten, die im Laufe des Jahres 2000 einberufen und auf der eine revidierte Fassung verabschiedet werden soll, die den im Mandat genannten Punkten Rechnung trägt.
Zur Abschlußsitzung empfing Christian PIERRET die Vertreter der acht Staaten, die eingeladen worden sind, der Organisation ab 1. Juli 2002 beizutreten (Bulgarien, Estland, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn), von zwei Staaten mit Beobachterstatus bei der EPO (Island, Norwegen) sowie den Vertreter der WIPO.
MANDAT
1 - Verbesserter Zugang zum europäischen Patent
A - Senkung der Kosten des europäischen Patents
Die Regierungskonferenz,
in der Erwägung, daß die Kosten für die Erlangung von Patentschutz in Europa gesenkt werden müssen, um den Unternehmen den Zugang zum europäischen Patentsystem zu erleichtern,
in der Erwägung, daß die vollständige Übersetzung der europäischen Patentschrift, die in den meisten Mitgliedstaaten gesetzlich vorgeschrieben ist, einen beträchtlichen Teil der Kosten für die Erlangung des Schutzrechts ausmacht,
in der Erwägung, daß es nach Artikel 65 EPÜ jedem Vertragsstaat freisteht,
· nach Maßgabe seiner jeweiligen Rechtsordnung zu verlangen, daß bei seiner Zentralbehörde für den gewerblichen Rechtsschutz eine vollständige oder teilweise Übersetzung der europäischen Patentschrift eingereicht wird,
· zu verlangen, daß der Anmelder oder Patentinhaber die Kosten für eine Veröffentlichung der Übersetzung ganz oder teilweise zu entrichten hat,
· vorzuschreiben, daß im Fall der Nichtbeachtung der oben genannten Erfordernisse die Wirkungen des europäischen Patents als von Anfang an nicht eingetreten gelten,
beauftragt eine Arbeitsgruppe unter dem gemeinsamen Vorsitz Frankreichs, Portugals und Schwedens damit, den Regierungen der Vertragsstaaten und der unter Nummer 5 erwähnten Konferenz zur Revision des EPÜ bis zum 31. Dezember 1999 einen Bericht mit Vorschlägen für eine Senkung der übersetzungsbedingten Kosten um etwa 50 % zu unterbreiten.
Zu untersuchen wären insbesondere Lösungen, wonach :
· eine Option es den Staaten, die sich dafür entscheiden, erlauben würde, die Übersetzung auf die Buchstaben a, b und c der Regel 27 der Ausführungsordnung zum EPÜ zu beschränken. Die Arbeitsgruppe könnte eine Änderung der Regel 27 vorschlagen,
· eine Option es den Staaten, die sich dafür entscheiden, erlauben würde, die Einreichung der Übersetzung beim EPA zu akzeptieren und sie als bei der Behörde für den gewerblichen Rechtsschutz des betreffenden Vertragsstaats eingereicht anzusehen,
· die dem Patentinhaber für die Einreichung der Übersetzung eingeräumte Frist auf 2 oder 3 Jahre verlängert wird, wobei die Übersetzung der Ansprüche auch weiterhin innerhalb von 3 Monaten eingereicht werden müßte,
· bzw. andere Vorschläge, insbesondere solche, die vom Ausschuß "Patentrecht" des EPA geprüft oder von einer Delegation gemacht wurden. Es versteht sich, daß denjenigen Vorschlägen Vorrang gebührt, die die besten Chancen haben, eine erhebliche Zahl von Staaten auf sich zu vereinen.
Die Arbeitsgruppe wird ferner beauftragt, den Regierungen der Vertragsstaaten und der unter Nummer 5 erwähnten Konferenz zur Revision des EPÜ den Entwurf eines fakultativen Protokolls zum EPÜ vorzulegen, mit dem sich die Unterzeichnerstaaten verpflichten, keine Übersetzung der Beschreibung des europäischen Patents zu verlangen, sofern diese in Englisch vorliegt.
Falls die Arbeitsgruppe es für sinnvoll erachtet, kann sie auch eine Alternative vorschlagen, derzufolge sich die Unterzeichnerstaaten verpflichten, keine Übersetzung der Beschreibung zu verlangen, sofern diese in einer von dem jeweiligen Unterzeichnerstaat bestimmten Amtssprache des EPA vorliegt.
B - Verkürzung des Erteilungsverfahrens
Die Regierungskonferenz,
in der Erwägung, daß der internationale Wettbewerb eine Patenterteilung innerhalb von Fristen verlangt, die den Interessen der Benutzer entsprechen,
fordert die Organisation auf, nach Kräften auf eine Verkürzung des Verfahrens hinzuwirken, so daß die durchschnittliche Dauer bis zur Erteilung eines europäischen Patents bei gleichbleibendem Qualitätsniveau auf 3 Jahre gesenkt werden kann.
2 - Harmonisierung der Streitregelung für europäische Patente
Die Regierungskonferenz,
eingedenk der Notwendigkeit, die Wirksamkeit und Rechtssicherheit des Schutzes, den ein europäisches Patent verleiht, durch ein Gerichtssystem zu stärken, das eine einheitliche Auslegung des europäischen Patents verbürgt,
in Anbetracht der Tatsache, daß die europäischen Unternehmen und Erfinder von einem solchen Gerichtssystem erwarten, daß in jedem Vertragsstaat rasch eine erstinstanzliche Entscheidung von hoher Qualität zustande kommt,
1) empfiehlt den Vertragsstaaten, von sich aus die notwendigen Erwägungen anzustellen, um eine Beschränkung der Zahl der mit Patentstreitigkeiten befaßten Gerichte auf ein Minimum zu erreichen, das in einigen Staaten drei oder weniger Gerichte betragen könnte; die Fortbildung der dort tätigen Richter kann unter Mitwirkung des EPA erfolgen;
2) beauftragt eine Arbeitsgruppe unter dem gemeinsamen Vorsitz Deutschlands, Luxemburgs und der Schweiz mit der Ausarbeitung von Vorschlägen. Diese Arbeitsgruppe soll insbesondere :
· untersuchen, unter welchen Bedingungen sich die Vertragsstaaten grundsätzlich zur schiedsgerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten bekennen können, die die Gültigkeit oder die Verletzung eines Patents betreffen ;
· die Modalitäten für die Schaffung und Finanzierung einer gemeinsamen Einrichtung festlegen, auf die die nationalen Gerichte im Rechtsstreit als Gutachter zurückgreifen könnten, soweit es um Rechtsgültigkeit oder Verletzung eines Patents geht.
Die Arbeitsgruppe soll auch den Entwurf eines fakultativen Protokolls zum EPÜ vorlegen, mit dem sich die Unterzeichnerstaaten in bezug auf Streitigkeiten über europäische Patente auf ein integriertes Gerichtswesen mit einheitlichen Verfahrensregeln und einem gemeinsamen Berufungsgericht einigen würden.
Der Bericht dieser Arbeitsgruppe wird den Regierungen der Vertragsstaaten und der unter Nummer 5 erwähnten Konferenz zur Revision des EPÜ bis zum 1. Juli 2000 vorgelegt.
3 - Modernisierung der Entscheidungsverfahren der EPO
Die Regierungskonferenz,
eingedenk der Notwendigkeit, die Entscheidungsverfahren der EPO in ihrer Wirksamkeit zu verbessern,
in Kenntnis des Beschlusses des Verwaltungsrats der EPO über die Aufnahme mehrerer neuer Mitgliedstaaten ab dem 1. Juli 2002 -
fordert die Organisation auf :
· jede Art von Vorschlägen zu ermutigen, die darauf abzielen, den Entscheidungsprozeß zu verbessern, die Transparenz zu fördern und die Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten aufrechtzuerhalten, damit diese Vorschläge binnen zwei Jahren umgesetzt werden können;
· die Möglichkeit einer Herabsetzung der qualifizierten Mehrheit nach Artikel 35 (2) EPÜ auf 2/3 der Stimmen zu prüfen.
4 - Wirkungen von Vorveröffentlichungen
Die Regierungskonferenz,
in der Erwägung, daß Forschungsinstitute, Hochschulen und bestimmte Unternehmen gerne von der Möglichkeit Gebrauch machen würden, Patente anzumelden, aber nicht umhin können, ihre Arbeiten in der einen oder anderen Form zu offenbaren,
in der Erwägung, daß moderne Kommunikationsmittel wie das Internet die Gefahr der unbeabsichtigten Offenbarung von Forschungsergebnissen erhöhen,
in der Erwägung, daß solche eigenen Vorveröffentlichungen in Europa und anderen Teilen der Welt der Erlangung von Patentschutz entgegenstehen,
beauftragt die Organisation zu prüfen, unter welchen Bedingungen die Wirkungen einer vor der Anmeldung erfolgten Erfindungsoffenbarung im europäischen Patentrecht berücksichtigt werden könnten.
5 - Konferenz zur Revision des EPÜ
Die Regierungskonferenz,
eingedenk der Notwendigkeit, zu einer revidierten Fassung des EPÜ zu gelangen, die den unter Nummer 3 genannten Zielen Rechnung trägt,
in der Erwägung, daß das BEST-Verfahren die Produktivität des Amts erhöhen kann und auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt werden muß,
in der Erwägung, daß jede Unklarheit bezüglich der Patentfähigkeit von Erfindungen, die Computerprogramme umfassen, ausgeräumt werden sollte und daß die Europäische Kommission ihre Absicht bekundet hat, so bald wie möglich einen Richtlinienentwurf vorzulegen mit dem Ziel, die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten im Bereich der Patentierbarkeit von Computerprogrammen zu harmonisieren,
in der Erwägung, daß das EPÜ rasch mit den einschlägigen internationalen Verträgen und Gemeinschaftstexten in Einklang gebracht werden muß,
in der Erwägung, daß die Einführung des Gemeinschaftspatents eine enge Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Organisation voraussetzt,
ersucht die Organisation, gemäß Artikel 172 EPÜ unverzüglich eine Revisionskonferenz vorzubereiten, die im Laufe des Jahres 2000 einberufen werden sollte, damit vor dem 1. Januar 2001 eine revidierte Fassung angenommen werden kann, die sich insbesondere auf folgende Vorschriften erstreckt :
· Artikel 35 EPÜ betreffend die Entscheidungsverfahren;
· Artikel 6, 16 und 17 EPÜ sowie Abschnitt I des Zentralisierungsprotokolls zur Verankerung des BEST-Verfahrens;
· Artikel 52 (2) EPÜ, wonach Programme für Datenverarbeitungsanlagen keine patentfähigen Erfindungen sind;
· den Neunten Teil des EPÜ (Besondere Übereinkommen).
Die Regierungskonferenz hegt den Wunsch, daß die revidierte Fassung vor dem 1. Juli 2002 in Kraft tritt.