MITTEILUNGEN DES EPA
Nr. 19/99 - Artikel 88 (1) EPÜ, Regel 38 (4) EPÜ - Einreichung einer Übersetzung der früheren Anmeldung oder einer Erklärung nach Regel 38 (4) EPÜ
Wird für eine europäische Patentanmeldung die Priorität einer früheren Anmeldung in Anspruch genommen, deren Sprache nicht eine Amtssprache des Europäischen Patentamts1 ist, so muß der Anmelder entweder eine Übersetzung der früheren Anmeldung in einer der Amtssprachen oder eine Erklärung2 einreichen, daß die europäische Patentanmeldung eine vollständige Übersetzung der früheren Anmeldung ("prioritätsbegründenden Anmeldung")3 ist. Eine solche "Erklärung" kann nur anerkannt werden, wenn der Text der europäischen Patentanmeldung eine vollständige Übersetzung der früheren Anmeldung ist. Die Übersetzung oder die Erklärung muß innerhalb einer vom Europäischen Patentamt zu bestimmenden Frist, spätestens jedoch innerhalb der Frist nach Regel 51 (6) EPÜ eingereicht werden.
I. Vollständige Übersetzung
1. Die in Regel 38 (4) EPÜ verwendete Formulierung "eine vollständige Übersetzung der früheren Anmeldung" ist dahingehend zu verstehen, daß der Text der Beschreibung und der Patentansprüche sowie gegebenenfalls die Beschriftung von Zeichnungen der europäischen Patentanmeldung zum Zeitpunkt der Einreichung eine vollständige Übersetzung des entsprechenden Textes/der entsprechenden Beschriftung der prioritätsbegründenden Anmeldung war. Bei einer internationalen Patentanmeldung, für die das Europäische Patentamt als Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt tätig wird, ist der Text der Anmeldung in der eingereichten Fassung maßgebend4 (siehe Art. 150 (3) EPÜ).
2. Der Text der europäischen Patentanmeldung gilt nur dann als "Übersetzung" im Sinne der Regel 38 (4) EPÜ, wenn gegenüber dem Text der prioritätsbegründenden Anmeldung nichts hinzugefügt oder weggelassen wird, also beispielsweise keine Ansprüche, Beispiele oder besondere Ausführungsarten neu hinzugekommen sind. Sind die verschiedenen Teile der prioritätsbegründenden Anmeldung in der europäischen Patentanmeldung nur anders angeordnet, an sich aber identisch (stehen also z. B. die Ansprüche am Ende, in der prioritätsbegründenden Anmeldung dagegen am Anfang), oder werden Bezugszeichen eines anderen Typs (z. B. arabische statt römischer Ziffern) verwendet, so kann die Erklärung immer noch rechtswirksam eingereicht werden. Sind hingegen innerhalb der Anmeldungsteile Änderungen vorgenommen worden (also z. B. die Ansprüche in einer anderen Reihenfolge aufgeführt oder weitere Bezugszeichen aufgenommen worden5) oder Passagen der Anmeldung (z. B. die Auflistung von Bestandteilen, Zwischenüberschriften und die Beschriftung von Zeichnungen) nicht identisch mit denen der prioritätsbegründenden Anmeldung, so kann eine Erklärung nicht anerkannt werden.
3. Wenn eine europäische Patentanmeldung mehrere Prioritäten beansprucht, wird sie nur in Ausnahmefällen eine Übersetzung des vollständigen Textes einer der prioritätsbegründenden Anmeldungen sein6. In diesen Fällen kann im Hinblick auf die identische prioritätsbegründende Anmeldung eine Erklärung abgegeben werden. Für die andere(n) prioritätsbegründende(n) Anmeldung(en) ist eine vollständige Übersetzung erforderlich.
4. Wird eine Erklärung eingereicht und ist die europäische Patentanmeldung keine vollständige Übersetzung der prioritätsbegründenden Anmeldung, so kann dieser Mangel zum Verlust von Prioritätsansprüchen führen.
II. Form und Inhalt
1. Die Erklärung kann auch im Namen des Anmelders von seinem zugelassenen Vertreter abgegeben werden. Ein bestimmter Wortlaut ist nicht vorgeschrieben. Sie muß aber klar und eindeutig die Aussage enthalten, daß die europäische Patentanmeldung eine vollständige Übersetzung der prioritätsbegründenden Anmeldung ist. Die Erklärung muß nicht beglaubigt werden.
III. Frist für die Einreichung der Übersetzung oder der Erklärung
1. Die erforderliche Übersetzung der prioritätsbegründenden Anmeldung oder die Erklärung ist innerhalb einer vom EPA zu bestimmenden Frist, spätestens jedoch innerhalb der Frist nach Regel 51 (6) EPÜ einzureichen.
2. Die Abgabe der Erklärung kann bei Einreichung der Anmeldung durch Ankreuzen des entsprechenden Kästchens bewirkt werden, das ab Juli 1999 im Formblatt für den Erteilungsantrag7 enthalten ist.
3. Eine Aufforderung zur Einreichung der erforderlichen Übersetzung oder Erklärung ergeht immer, wenn die Übersetzung der prioritätsbegründenden Anmeldung benötigt wird, um zu prüfen, ob die in Anspruch genommene Priorität wirksam ist (Richtlinien, C-V, 3.2). Sonst ergeht sie zusammen mit der Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ.
4. Wird die erforderliche Übersetzung oder Erklärung nicht form- und fristgerecht eingereicht, so ergeht gemäß Regel 41 EPÜ eine Aufforderung, diesen Mangel zu beseitigen. Wird der Mangel nicht beseitigt, so erlischt nach Artikel 91 (3) EPÜ der Prioritätsanspruch für die europäische Patentanmeldung, weil dann die Erfordernisse des Artikels 88 (1) EPÜ nicht erfüllt sind. Da in diesem Fall nur der Prioritätsanspruch erlischt, steht der Rechtsbehelf der Weiterbehandlung (Art. 121 (1) EPÜ) nicht zur Verfügung. Der einzige Rechtsbehelf ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Artikel 122 EPÜ.
IV. Teilanmeldungen
1. Bei Teilanmeldungen brauchen die Prioritätsunterlagen und die erforderlichen Übersetzungen (bzw. Erklärungen) nur für diejenigen in der Stammanmeldung beanspruchten Prioritäten eingereicht zu werden, auf die sich der Gegenstand der Teilanmeldung bezieht (Richtlinien, A-IV, 1.2.3). Ist die Teilanmeldung eine vollständige Übersetzung einer der prioritätsbegründenden Anmeldungen, deren Priorität in der Stammanmeldung in Anspruch genommen wird8, so genügt es, die betreffende Prioritätsunterlage und eine Erklärung einzureichen.
Die Übersetzung der prioritätsbegründenden Anmeldung oder die Erklärung braucht für die Teilanmeldung nicht gesondert eingereicht zu werden, wenn die betreffende Unterlage spätestens bei Einreichung der Teilanmeldung in der Akte der Stammanmeldung enthalten war. Wird die Teilanmeldung eingereicht, bevor die maßgebliche Unterlage zur Stammanmeldung eingereicht wird, so kann der Anmelder das Europäische Patentamt innerhalb der Frist für die Einreichung der maßgeblichen Unterlagen in dem die Teilanmeldung betreffenden Verfahren noch davon unterrichten, daß er diese Unterlagen inzwischen zur Stammanmeldung vorgelegt hat (Richtlinien, A-IV, 1.2.3).
1 Deutsch, Englisch oder Französisch.
2 Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, C-V, 3.2.
3 Die Übersetzung oder Erklärung ist auch erforderlich, wenn eine Abschrift der früheren Anmeldung vom EPA in die Akte aufgenommen wird (Beschluß des Präsidenten des Europäischen Patentamts vom 22. Dezember 1998 über die Einreichung von Prioritätsunterlagen, ABl. EPA 1999, 80).
4 und nicht der (möglicherweise geänderte) Text beim Eintritt in die regionale Phase vor dem Europäischen Patentamt
5 Zulässig ist jedoch die Aufnahme von Bezugszeichen in die Ansprüche (R. 29 (7) EPÜ), sofern diese Zeichen in der Beschreibung der prioritätsbegründenden Anmeldung enthalten waren.
6 Bezieht sich beispielsweise die erste prioritätsbegründende Anmeldung auf den Gegenstand A und die zweite auf die Gegenstände A und B, so könnte der Text der europäischen Nachanmeldung mit dem der zweiten prioritätsbegründenden Anmeldung übereinstimmen.
7 Feld 25a des EPA/EPO/OEB Form 1001 07.99.
8 Beispiel: Die Stammanmeldung beansprucht die Priorität der Anmeldungen A und B. Die Teilanmeldung ist mit der Anmeldung B identisch.