BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Juristischen Berschwerdekammer
Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer 3.1.1 vom 4. Juli 1997 - J 22/95 - 3.1.1*
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | J.-C. Saisset |
Mitglieder: | G. Davies |
S. C. Perryman |
Anmelder: Aumac Limited
Stichwort: Benennung von Vertragsstaaten in einer Teilanmeldung/AUMAC
Artikel: 64, 65, 67 (4), 76 (1), (2), (3), 78 (2), 79 (2), 80, 91 (4), 112, 122 (5) EPÜ
Regel: 15 (2), 25 (3), 85a (1), 104c (2) EPÜ
Schlagwort: "Benennung eines in der Stammanmeldung nicht wirksam benannten Vertragsstaats in einer Teilanmeldung (verneint)"
Leitsatz
Die Benennung eines Vertragsstaats gilt als zurückgenommen, wenn die Benennungsgebühr für diesen Staat nicht rechtzeitig entrichtet worden ist. Die Nichtentrichtung der Benennungsgebühr bedeutet somit, daß die ursprüngliche Benennung dieses Vertragsstaats in einer Anmeldung von Anfang an nichtig ist und als nicht erfolgt gilt. Mithin darf ein Vertragsstaat, der in der Stammanmeldung im Zeitpunkt der Einreichung ursprünglich benannt war, nur dann in einer Teilanmeldung benannt werden, wenn die ursprüngliche Benennung später durch Entrichtung der entsprechenden Gebühr validiert wurde.
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 94 120 537.9 wurde am 23. Dezember 1994 im Namen der Beschwerdeführerin eingereicht. Die Anmeldung war aus der europäischen Patentanmeldung Nr. 91 310 023.6 ausgeschieden worden und ist deshalb eine Teilanmeldung. In der Teilanmeldung benannte die Beschwerdeführerin die folgenden dreizehn Vertragsstaaten: Österreich, Belgien, Schweiz/Liechtenstein, Deutschland, Dänemark, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Italien, Luxemburg und Niederlande. Gleichzeitig entrichtete sie die Anmeldegebühr, die Recherchengebühr und die Benennungsgebühren für die genannten dreizehn Staaten sowie die Jahresgebühren für das dritte und das vierte Jahr. Die Anmeldung genügte allen Formerfordernissen und wurde als Teilanmeldung eingestuft.
II. In der am 30. Oktober 1991 eingereichten Stammanmeldung waren ursprünglich alle dreizehn in Nummer I genannten Vertragsstaaten benannt. Benennungsgebühren wurden jedoch nur für Deutschland, Italien und Spanien entrichtet. Mit Wirkung vom 1. Dezember 1991 galt deshalb die Benennung Österreichs, Belgiens, der Schweiz/Liechtensteins, Dänemarks, Frankreichs, Großbritanniens, Griechenlands, Luxemburgs, der Niederlande und Schwedens wegen Nichtentrichtung der Benennungsgebühren als zurückgenommen, und die Stammanmeldung wurde anschließend nur in bezug auf die folgenden wirksam benannten Vertragsstaaten bearbeitet: Deutschland, Italien und Spanien. Folglich waren bei der Einreichung der Teilanmeldung am 23. Dezember 1994 nur die Vertragsstaaten Deutschland, Italien und Spanien in der Stammanmeldung wirksam benannt.
III. Mit am 3. April 1995 zur Post gegebener Entscheidung beschloß die Eingangsstelle, daß die Teilanmeldung nur für die benannten Vertragsstaaten Deutschland, Italien und Spanien weiterbearbeitet wird und daß die Benennung der übrigen Vertragsstaaten als zurückgenommen gilt, da nach Artikel 76 (2) EPÜ "in der europäischen Teilanmeldung nur Vertragsstaaten benannt werden [dürfen], die in der früheren Anmeldung benannt worden sind". Der Entscheidung zufolge müßten die benannten Vertragsstaaten im Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung in der Stammanmeldung (früheren Anmeldung) noch wirksam benannt sein (vgl. "Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt" Teil A Kapitel IV Nummer 1.3.4). Dies sei hier nicht der Fall, weil die Benennung eines Vertragsstaats voraussetze, daß die Benennungsgebühr wirksam entrichtet ist (Art. 79 (2) EPÜ).
IV. Gegen die Entscheidung der Eingangsstelle wurde am 13. Juni 1995 Beschwerde eingelegt; gleichzeitig wurde die Beschwerdegebühr entrichtet. Eine Beschwerdebegründung wurde fristgerecht am 14. August 1995 nachgereicht.
V. Am 6. Februar 1997 übersandte die Kammer der Beschwerdeführerin eine Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, in der sie die vorläufige Auffassung vertrat, die Beschwerde werde voraussichtlich zurückgewiesen und die Entscheidung der ersten Instanz aufrechterhalten.
VI. Am 4. Juli 1997 fand eine mündliche Verhandlung statt.
VII. In der Beschwerdebegründung und in der mündlichen Verhandlung machte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes geltend:
Artikel 76 (2) EPÜ gebe dem Einreicher einer Teilanmeldung eindeutig das Recht, jedes Land zu benennen, das einmal in der Stammanmeldung benannt worden sei. "Benennung" bedeute Benennung schlechthin. Die Benennung und die Entrichtung der Benennungsgebühr seien unterschiedliche, gesonderte Handlungen. Erstere entfalte eine Rechtswirkung unabhängig von der letzteren, auch wenn der Eintritt der Rechtswirkung letztlich daran geknüpft sei, daß innerhab einer bestimmten Frist die Benennungsgebühr entrichtet werde. Der Verzicht auf eine Benennung in einer Stammanmeldung vor ihrer Teilung schmälere nicht das Recht, diese Benennung in eine Teilanmeldung aufzunehmen. Die Beschwerdeführerin beanstandete auch die Erläuterung zu Artikel 76 (2) EPÜ in den Richtlinien für die Prüfung im EPA (A-IV, 1.3.4), die mit der Begründung für die angefochtene Entscheidung übereinstimmt, und behauptete, die Richtlinien seien in diesem Punkt ultra vires, da es keine entsprechende Grundlage in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern oder im EPÜ gebe.
Zur Untermauerung dieser Argumente berief sich die Beschwerdeführerin auf die Auslegungsregeln des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge. Einer grundsätzlichen Auslegungsregel der Vertragsstaaten zufolge seien Wörter in ihrer gewöhnlichen Bedeutung zu verstehen, und aus der gewöhnlichen Bedeutung des Artikels 76 (2) EPÜ ergebe sich eindeutig, daß eine Staatenbenennung in einer Stammanmeldung per se dazu berechtige, denselben Staat in einer Artikel 76 (1) EPÜ entsprechenden Teilanmeldung zu benennen. Darüber hinaus sei Artikel 76 (2) EPÜ als Ausnahme konzipiert, und Ausnahmen seien eng auszulegen.
Die Beschwerdeführerin machte auch geltend, daß in der Rechtsauskunft Nr. 7 des EPA (ABl. EPA 1980, 395) zwischen der "Benennung" eines Vertragsstaats und der "Zahlung" der Benennungsgebühren als zwei gesonderten Handlungen unterschieden werde. Folglich sei die Benennung als eine Handlung zu verstehen, die sich von der durch die Gebührenzahlung validierten Benennung unterscheide, so daß die Benennung für sich allein als Handlung zu betrachten sei, die per se eine Rechtswirkung entfalte. Ihre Rechtswirkung bestehe darin, daß ein Staat benannt sei, unabhängig davon, ob die Benennungsgebühr bezahlt worden ist. Ob Staaten nach Artikel 76 (2) EPÜ benannt "worden sind", sei daher ein historischer Tatbestand, der auf der Rechtswirkung der reinen Benennung beruhe. Die Nichtentrichtung der Benennungsgebühr bewirke nicht, daß der historische Tatbestand, daß Staaten benannt "worden sind", als von Anfang an nicht gegeben gelte.
Diese Schlußfolgerung ergebe sich auch daraus, daß einer Teilanmeldung nach Artikel 76 (1) EPÜ der Anmeldetag der früheren Stammanmeldung zuerkannt werde. Dies könne nur so ausgelegt werden, daß dies die Rechtswirkung für alle Zwecke sei, d. h., daß für die Teilanmeldung alles zu gelten habe, was für die Stammanmeldung am selben Tag gegolten habe, einschließlich der Möglichkeit, einen oder mehrere der Staaten zu benennen, die in der Stammanmeldung an ihrem Anmeldetag benannt worden seien.
Die Beschwerdeführerin bestritt ferner die Relevanz des Artikels 91 (4) EPÜ, wonach die Benennung eines Vertragsstaats als zurückgenommen gilt, wenn die Benennungsgebühr für diesen Staat nicht rechtzeitig entrichtet wird; Artikel 91 (4) EPÜ sei ohne Belang, weil Artikel 76 die Einreichung von Teilanmeldungen regle und nach Absatz 2 Staaten in einer Teilanmeldung auch dann benannt werden dürfen, wenn auf ihre Benennung in der Stammanmeldung verzichtet worden sei. Darüber hinaus bewirke Artikel 91 (4) EPÜ keinesfalls, daß die Benennung eines Vertragsstaats in einer Anmeldung von Anfang an nichtig sei; er sehe nur vor, daß die Benennung als zurückgenommen gelte.
Die Beschwerdeführerin bestritt das von der Kammer in ihrer Mitteilung vom 6. Februar 1997 vorgebrachte Argument, daß nach Artikel 67 (4) EPÜ, wenn die Benennung eines Vertragsstaats zurückgenommen werde oder als zurückgenommen gelte, der einstweilige Schutz der Rechte aus der europäischen Patentanmeldung, den Artikel 64 EPÜ nach der Veröffentlichung in dem betreffenden Vertragsstaat verleihe, als von Anfang an unwirksam gelte und daß eine solche Benennung als von Anfang an nichtig zu betrachten sei. In diesem Zusammenhang machte die Beschwerdeführerin geltend, das EPÜ kenne viele Fälle, in denen eine Anmeldung oder eine andere Verfahrenshandlung zurückgenommen werden oder als zurückgenommen gelten könne, und in diesen Fällen habe die Zurücknahme keine Ex-tunc-Wirkung. Die Rechtswirkung der Zurücknahme müsse in allen nach dem EPÜ möglichen Fällen identisch sein. Artikel 67 (4) EPÜ regele speziell die rechtlichen Außenwirkungen der europäischen Patentanmeldung. Hätte der EPÜ-Gesetzgeber beabsichtigt, daß Artikel 91 (4) EPÜ so auszulegen sei, daß die Benennung von Anfang an nichtig sei, so hätte er dies konkret wie in Artikel 65 EPÜ gesagt, wo geregelt sei, wann die Wirkungen eines europäischen Patents als von Anfang an nicht eingetreten gälten.
Der Wortlaut des Artikels 78 (2) EPÜ (Für die europäische Patentanmeldung sind die Anmeldegebühr ... zu entrichten.) und der des Artikels 79 (2) EPÜ (Für die Benennung eines Vertragsstaats ist die Benennungsgebühr zu entrichten ...) seien als gleichbedeutend zu verstehen. Da die Nichtentrichtung beispielsweise einer Anmeldegebühr nicht dazu führe, daß ein nach Artikel 80 EPÜ festgesetzter Anmeldetag von Anfang an verlorengehe, könne auch die Nichtentrichtung einer Benennungsgebühr nicht dazu führen, daß eine Benennung von Anfang an verlorengehe.
Die Kammer wurde auch darauf aufmerksam gemacht, daß ein der Teilanmeldung entsprechendes britisches Patent auch noch nach der Einreichung der Teilanmeldung beim Europäischen Patentamt in Kraft gestanden habe und erst am 13. Januar 1995 widerrufen worden sei. Deshalb habe, was das Vereinigte Königreich angehe, stets ein Patent oder eine Patentanmeldung existiert, so daß Dritte stets gewußt hätten, daß sie aufgrund der entsprechenden Rechte von der Verwertung der Erfindung im Vereinigten Königreich ausgeschlossen sein könnten; das Interesse der Öffentlichkeit werde deshalb nicht verletzt, wenn die Benennung Großbritanniens wiederaufgenommen werde. Liege es im Ermessen der Kammer, die Benennung des Vereinigten Königreichs in der europäischen Teilanmeldung zuzulassen, so solle sie dieses Ermessen zugunsten der Beschwerdeführerin ausüben, da kein Dritter behaupten könne, er habe geglaubt, die Erfindung benutzen zu dürfen, da ja Großbritannien in der europäischen Stammanmeldung nicht wirksam benannt sei.
Die Beschwerdeführerin machte auch geltend, daß keine Benennung in der Stammanmeldung aktiv oder ausdrücklich zurückgenommen worden sei.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung stellte die Beschwerdeführerin folgende Anträge:
1. Hauptantrag
Aufhebung der Entscheidung der Eingangsstelle und Weiterbearbeitung der Teilanmeldung für alle ursprünglich in der Stammanmeldung bei der Einreichung benannten Vertragsstaaten
2. Erster Hilfsantrag
Aufhebung der Entscheidung der Eingangsstelle und Weiterbearbeitung der Teilanmeldung für die folgenden benannten Staaten: Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien
3. Zweiter Hilfsantrag
Befassung der Großen Beschwerdekammer mit den folgenden Fragen:
"i) Hat das Wort "zurückgenommen" in Artikel 90 (3) EPÜ, Artikel 91 (4) EPÜ und Regel 104c (2) EPÜ dieselbe Bedeutung?
ii) Deckt sich "zurückgenommen" in Artikel 91 (4) EPÜ mit "von Anfang an zurückgenommen (bzw. gilt als von Anfang an zurückgenommen)"?
iii) Bedeuten die Wörter "worden sind" in Artikel 76 (2) EPÜ, daß es für die Frage, ob Staaten in der Stammanmeldung benannt "worden sind", auf den gemeinsamen Anmeldetag der Stamm- und der Teilanmeldung ankommt? Oder kommt es auf den Tag an, an dem die Teilanmeldungsunterlagen tatsächlich eingereicht werden?
iv) Verstößt die Einreichung einer Teilanmeldung mit Benennung des Vereinigten Königreichs gegen Artikel 76 (2) EPÜ, wenn i) das Vereinigte Königreich in der Stammanmeldung ursprünglich benannt war, ii) eine Gebühr für die Benennung des Vereinigten Königreichs in der Stammanmeldung nicht rechtzeitig entrichtet wurde, iii) die Teilanmeldung nach Ablauf der Frist für die Entrichtung dieser Benennungsgebühr eingereicht wurde (im Sinne der Einreichung von Unterlagen beim EPA) und iv) eine britische Patentanmeldung schon vor der Einreichung der Stammanmeldung und auch nach dem Tag der Einreichung der Teilanmeldung (im vorstehenden Sinne) existierte?"
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Zur Rechtsgültigkeit der 13 Benennungen
2.1 Die Beschwerdeführerin bringt im wesentlichen vor, bei richtiger Auslegung berechtige Artikel 76 (2) EPÜ dazu, in einer Teilanmeldung jedes Land zu benennen, das in der Stammanmeldung im Zeitpunkt der Einreichung ursprünglich benannt war, und zwar unabhängig davon, ob die ursprüngliche Benennung später durch Entrichtung der entsprechenden Gebühr validiert worden sei. Deshalb muß zunächst auf die Bedeutung des Artikels 76 (2) EPÜ im Gesamtzusammenhang des EPÜ eingegangen werden.
Artikel 79 (2) EPÜ lautet wie folgt:
"In der europäischen Teilanmeldung dürfen nur Staaten benannt werden, die in der früheren Anmeldung benannt worden sind."
Nach Artikel 76 (3) EPÜ ist die Frist zur Zahlung der Benennungsgebühren in der Ausführungsordnung vorgeschrieben (die einschlägigen Regeln sind: Regel 15 (2) EPÜ (Fristen für die Zahlung von Benennungsgebühren), Regel 25 (3) EPÜ (Fristen für die Zahlung von Benennungsgebühren für Teilanmeldungen), Regel 85a EPÜ (Nachfrist für die Zahlung von Benennungsgebühren mit Zuschlagsgebühr) und Regel 104c EPÜ (Folgen bei Nichtzahlung von Benennungsgebühren)).
Artikel 97 (2) EPÜ lautet wie folgt:
"Für die Benennung eines Vertragsstaats ist die Benennungsgebühr zu entrichten. Die Benennungsgebühren sind innerhalb von zwölf Monaten nach Einreichung der europäischen Patentanmeldung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen worden ist, nach dem Prioritätstag zu entrichten; im letztgenannten Fall kann die Zahlung noch bis zum Ablauf der in Artikel 78 Absatz 2 genannten Frist erfolgen, wenn diese Frist später abläuft."
Diese letztgenannte Frist endet einen Monat nach Einreichung der Anmeldung.
Nach Artikel 122 (5) EPÜ ist die Wiedereinsetzung in diese Fristen ausgeschlossen (G 3/91, ABl. EPA 1993, 8).
2.2 Artikel 91 (4) EPÜ ist ebenfalls maßgebend; er besagt: "Wird ... die Benennungsgebühr für einen Vertragsstaat nicht rechtzeitig entrichtet, so gilt die Benennung dieses Staats als zurückgenommen." Ferner besagt Regel 104c (2) EPÜ, daß die Benennung eines Vertragsstaats, für den die Benennungsgebühr nicht rechtzeitig entrichtet worden ist, als zurückgenommen gilt.
2.3 Nach Auffassung der Kammer bedeuten die vorstehend genannten Bestimmungen des Übereinkommens in Verbindung miteinander eindeutig, daß eine Benennung nur dann wirksam ist, wenn die entsprechende Benennungsgebühr entrichtet worden ist. Artikel 79 (2) Satz 1 EPÜ macht dies mit der Formulierung "Für die Benennung eines Vertragsstaats ist die Benennungsgebühr zu entrichten" völlig klar. Somit hängt die Benennung von der Entrichtung der Gebühr ab.
Die Nichtentrichtung der Gebühr bedeutet deshalb, daß die ursprüngliche Benennung eines Vertragsstaats in einer Anmeldung rechtlich unwirksam ist und als nicht erfolgt gilt. Diese Auslegung der vorstehend genannten Bestimmungen wird von Artikel 67 EPÜ bestätigt, in dem es um die Rechte aus der europäischen Patentanmeldung nach der Veröffentlichung geht. Artikel 67 (4) EPÜ lautet wie folgt:
"Die in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Wirkungen der europäischen Patentanmeldung gelten als von Anfang an nicht eingetreten, wenn die europäische Patentanmeldung zurückgenommen worden ist, als zurückgenommen gilt oder rechtskräftig zurückgewiesen worden ist. Das gleiche gilt für die Wirkungen der europäischen Patentanmeldung in einem Vertragsstaat, dessen Benennung zurückgenommen worden ist oder als zurückgenommen gilt."
Ist eine Benennung wegen Nichtentrichtung der Benennungsgebühr zurückgenommen, so besteht die Wirkung des Artikels 67 (4) EPÜ darin, daß die Anmeldung in dem betreffenden Vertragsstaat von Anfang an keinen Schutz genossen hat. Mit der Benennung von Vertragsstaaten wird ausschließlich bezweckt, den in den Artikeln 64 und 67 EPÜ vorgesehenen Schutz in diesen Staaten zu erlangen. Wird eine Benennung zurückgenommen, so gelten die in diesen beiden Artikeln des EPÜ vorgesehenen Wirkungen als von Anfang an nicht eingetreten. Die Benennung gilt daher als nicht erfolgt.
2.4 Das Argument der Beschwerdeführerin, der Begriff "zurückgenommen" habe in anderen Zusammenhängen nicht dieselbe Wirkung, ist nicht überzeugend. Mit den Begriffen "zurückgenommen" und "gilt als zurückgenommen" wird im Zusammenhang mit der Benennung von Vertragsstaaten in Artikel 67 (4) EPÜ eine ganz präzise Aussage getroffen, die alle anderen Auslegungen ausschließt. So bestimmt Artikel 67 (4) EPÜ, daß die in den Artikeln 64 und 67 EPÜ vorgesehenen Wirkungen einer europäischen Patentanmeldung in den in der Anmeldung benannten Vertragsstaaten als von Anfang an nicht eingetreten gelten, wenn die Anmeldung zurückgenommen worden ist, als zurückgenommen gilt oder rechtskräftig zurückgewiesen worden ist. Soweit es um einen benannten Vertragsstaat geht, sind mithin die Wirkungen der Nichtentrichtung einer Anmeldegebühr gemäß Artikel 78 (2) EPÜ und der Nichtentrichtung einer Benennungsgebühr gemäß Artikel 79 (2) EPÜ identisch. Aus der in Frage stehenden europäischen Patentanmeldung lassen sich in beiden Fällen in dem betreffenden Vertragsstaat von Anfang an keinerlei Rechte, auch nicht in bezug auf den Anmeldetag, herleiten.
2.5 Die Beschwerdeführerin erläuterte, in der Rechtsauskunft Nr. 7 des EPA (s. o.) seien die Benennung und die Zahlung der Benennungsgebühren als zwei getrennte Handlungen bezeichnet, weshalb die Benennung allein als Handlung betrachtet werden solle, die eine Rechtswirkung als solche habe. In dieser Rechtsauskunft ging es um die vorsorgliche Benennung aller Vertragsstaaten im Antrag auf Erteilung eines europäischen Patents; sie enthält nichts, was die Auffassung der Beschwerdeführerin stützen könnte. Aus ihr ist ohne weiteres ersichtlich, daß der Anmelder im Fall der vorsorglichen Benennung eines Vertragsstaats nur bis zum Ablauf der Frist für die Zahlung der Benennungsgebühren nach Artikel 79 (2) EPÜ und Regel 85a (1) EPÜ berechtigt ist, die gewünschte territoriale Wirkung der Anmeldung auszudehnen. Ferner heißt es dort, daß die Benennung der Vertragsstaaten als zurückgenommen gilt, für die der Anmelder die Benennungsgebühr nicht entrichtet hat (vgl. Nrn. 3 und 5 der Rechtsauskunft Nr. 7 (s. o.)).
2.6 Die Auslegung des Artikels 76 (2) EPÜ durch die Kammer wird bestätigt von Singer in Europäisches Patentübereinkommen, Artikel 76, Rdnr. 5 (S. 239) (siehe auch "Singer: the European Patent Convention", herausgegeben von Lunzer, Rdnr. 76.05 (S. 295)) und von den Richtlinien für die Prüfung im EPA (A-IV, 1.3.4). So heißt es bei Singer und Lunzer: "In der Teilanmeldung dürfen gegenüber der Stammanmeldung keine zusätzlichen Staaten benannt werden ... Unter Benennung dürfte eine wirksame Benennung zu verstehen sein; d. h., es müssen die in Artikel 79 (2) vorgeschriebenen Benennungsgebühren im Rahmen der Stammanmeldung entrichtet sein. Da eine Teilanmeldung logischerweise nur für eine noch existierende Stammanmeldung eingereicht werden kann, ist zu verlangen, daß auch die jeweiligen Benennungen in der Stammanmeldung bei Einreichung der Teilanmeldung noch rechtsgültig (z. B. nicht zurückgenommen) sind."
In diesem Punkt stimmt die Kammer auch der Aussage in den vorstehend erwähnten Richtlinien für die Prüfung im EPA zu, wo es heißt:
"In der Teilanmeldung dürfen nur Vertragsstaaten benannt werden, die auch in der Stammanmeldung benannt waren. Die benannten Vertragsstaaten müssen im Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung in der Stammanmeldung noch wirksam benannt sein."
3. Hinsichtlich der weiteren Behauptung der Beschwerdeführerin, die Benennungen in der Stammanmeldung seien nicht aktiv zurückgenommen worden, stellt die Kammer fest, daß dies nicht den Tatsachen entspricht. Die Beschwerdeführerin erklärte in ihrem Schreiben vom 14. Januar 1992 ausdrücklich, daß sie nur Deutschland, Italien und Spanien benennen wolle. In diesem Schreiben teilte sie auch mit, ihr sei bekannt, daß etwaige zusätzliche Gebühren bis zu einem bestimmten Stichtag zu entrichten seien. Sie war sich deshalb der Tatsache voll bewußt, daß die Benennungen im Fall der Nichtenrichtung dieser Gebühren als zurückgenommen gelten würden. Die Kammer ist der Auffassung, daß dies einer aktiven Zurücknahme und nicht, wie behauptet, einem passiven Verzicht gleichkommt (vgl. Entscheidung J 15/86, wo die Sachlage eindeutig anders gelagert ist als in diesem Fall).
4. Zur Frage des Interesses der Öffentlichkeit ist festzustellen, daß die Beschwerdeführerin die Benennung aller Vertragsstaaten in der Stammanmeldung mit Ausnahme Deutschlands, Italiens und Spaniens mit Schreiben vom 10. März 1992 zurückgenommen hat. Ein Mitglied der Öffentlichkeit hätte danach bei der Einsicht in die Akte oder das europäische Patentregister erfahren, daß in der Stammanmeldung nur diese drei Staaten benannt waren, und aufgrund des Artikels 76 (2) EPÜ davon ausgehen dürfen, daß dasselbe auch für die vorliegende Teilanmeldung zutrifft. Könnten sich Dritte auf solche Informationen als Grundlage für unternehmerische Entscheidungen nicht verlassen, so entstünde große Unsicherheit im europäischen Patentsystem, und dem Interesse der Öffentlichkeit würde geschadet. Deshalb stünde es nach Auffassung der Kammer sowohl dem Buchstaben und dem Geist des EPÜ als auch dem Interesse der Öffentlichkeit entgegen, wenn Artikel 76 (2) EPÜ in dem Sinne verstanden würde, daß der Anmelder während der Bearbeitung einer Teilanmeldung zusätzliche Vertragsstaaten benennen kann, die in der Stammanmeldung nicht wirksam benannt waren.
5. Wie von der Großen Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 1/83 (ABl. EPA 1985, 60, Nrn. 4 und 5) erläutert, ist das Wiener Übereinkommen auf das Europäische Patentübereinkommen nicht unmittelbar anwendbar, aber seine Grundsätze können herangezogen werden, da sie die anerkannte internationale Praxis verkörpern. Was die Auslegung des EPÜ betrifft, so kann der Inhalt der einschlägigen Bestimmungen insbesondere durch die beiden folgenden Regeln zusammengefaßt werden:
1. Das Übereinkommen ist nach Treu und Glauben auszulegen.
2. Wenn nicht feststeht, daß die Vertragsstaaten einem Ausdruck eine besondere Bedeutung beilegen wollten, ist den Bestimmungen des Übereinkommens die in ihrem Zusammenhang und im Lichte seines Zieles und Zweckes zukommende Bedeutung beizumessen.
Die Kammer ist nicht der Auffassung, daß die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Bedeutung des Artikels 76 (2) EPÜ mit einer dieser Regeln in Einklang steht. Daß durch die bloße Einreichung einer Teilanmeldung Rechte in Vertragsstaaten wiederaufleben sollen, in denen alle Rechte aus der Stammanmeldung längst untergegangen sind, erscheint der Kammer als eine erstaunliche These, die mit dem Grundsatz der Auslegung nach Treu und Glauben und im Lichte des Zusammenhangs der Bestimmung völlig unvereinbar sein dürfte. Bevor eine Ausnahme eng ausgelegt werden kann, muß es eine weite wie auch eine enge Auslegung geben, die beide mit dem Zweck der Ausnahme in ihrem Zusammenhang gleichermaßen vereinbar sind. Hier ist die enge Auslegung, für die die Beschwerdeführerin plädiert, mit dem Zusammenhang nicht vereinbar.
6. Zur Frage des Ermessens
6.1 Was den Vorschlag angeht, die Kammer solle ihr Ermessen zugunsten der Beschwerdeführerin ausüben und die Benennung Großbritanniens zulassen, so besteht nach Auffassung der Kammer hier kein diesbezügliches Ermessen, so daß sich die Frage, ob sie es zugunsten der Beschwerdeführerin ausüben soll, nicht stellt. Die Kammer ist darüber hinaus in Anbetracht der von ihr unter den Nummern 2 bis 5 angeführten Argumente der Meinung, daß es auch bei Bestehen eines solchen Ermessens keinen wie auch immer gearteten Grund gäbe, eine Ausnahme bezüglich Großbritanniens zu machen und es anders als die übrigen Staaten zu behandeln, für die die Benennungsgebühren nicht entrichtet worden sind.
7. Zur Frage der Befassung der Großen Beschwerdekammer mit bestimmten Fragen
7.1 Nach Artikel 112 EPÜ befaßt eine Beschwerdekammer zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.
7.2 Es gibt keine für diesen Fall relevanten divergierenden Entscheidungen, die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung einer Entscheidung der Großen Beschwerdekammer bedürfen. Nach Auffassung der Kammer sind darüber hinaus die rechtlichen Bestimmungen bezüglich der aufgeworfenen Fragen eindeutig (siehe Nrn. 2 bis 6 der Entscheidungsgründe), so daß keine Notwendigkeit besteht, sie der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer mit den vier in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 1997 vorgelegten Fragen wird abgelehnt.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
* Siehe dazu die Vorlage an die Große Beschwerdekammer G 4/98, ABl. EPA 1998, S. 567 in diesem Heft.