BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.2 vom 1. Juli 1992 - T 888/90 - 3.2.21
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | G. Szabo |
Mitglieder: | M. Noël |
| J. Van Moer |
Anmelder: BAXTER INTERNATIONAL INC.
Stichwort: Unterkombination/BAXTER
Artikel: 52, 84, 123(2) EPÜ
Schlagwort: "Klarheit (nach Änderung bejaht)" - "Auslassung eines Merkmals" - "Unterkombination - Patentierbarkeit"
Leitsatz
Auch eine Unterkombination, die nur die Funktion eines Zwischenbausteins für eine erfinderische Gesamtkombination hat, kann grundsätzlich patentierbar sein, wenn sie ausdrücklich für diesen Zweck als solche dargestellt wird.
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 86 304 441.8 (Veröffentlichungsnr. 0 206638) wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung mit der Begründung zurückgewiesen, der Gegenstand des Anspruchs 1 enthalte nicht alle zur Erzielung des gewünschten Ergebnisses notwendigen Merkmale und erfülle daher die Erfordernisse der Klarheit nach Artikel 84 EPÜ nicht.
II. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung am 27. Oktober 1990 unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde ein und reichte die Beschwerdebegründung fristgerecht nach.
III. Mit Bescheid vom 19. November 1991 teilte die Kammer der Beschwerdeführerin mit, sie sei vorläufig der Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 weiterhin unklar sei. Es wurde vorgeschlagen, den strittigen Anspruch 1 durch Aufnahme zusätzlicher Strukturmerkmale zu ändern, die dazu beitragen sollten, die Flüssigkeit vorzugsweise durch das Filterelement zu leiten.
IV. Mit ihrer am 31. März 1992 eingegangenen Erwiderung reichte die Beschwerdeführerin zwei neue, geänderte Anspruchssätze als Hauptantrag bzw. ersten Hilfsantrag ein.
Anspruch 1 nach dem Hauptantrag lautet wie folgt:
"1. Abscheider für Gasblasen aus Flüssigkeiten, der folgendes umfaßt:
einen Behälter (11) mit einem Einlaß (41), einem Auslaß (43) und einem Durchflußkanal (47), der zwischen dem Einlaß (41) und dem Auslaß (43) verläuft;
ein Filterelement (21) im Behälter (11) zwischen dem Einlaß (41) und dem Auslaß (43), das den Durchfluß der Flüssigkeit gestattet, das Eindringen von Gasblasen jedoch verhindert; eine Lüftungseinrichtung (49), die aus dem Inneren des Behälters (11) zu dessen Außenseite führt, um Gasblasen aus dem Behälter (11) abzuführen; und einen Umleitungskanal (71), durch den die Flüssigkeit um das Filterelement (21) herum geleitet werden kann, wenn dieses blockiert ist,
dadurch gekennzeichnet, daß das Filterelement (21) nur teilweise über den Durchflußkanal (47) verläuft und der Umleitungskanal (71) von einem Teil des Durchflußkanals (47) um das Filterelement (21) herum gebildet wird, wobei der Einlaß so angeordnet ist, daß die eintretende Flüssigkeit zum Filterelement (21) geleitet wird"
V. Die Beschwerdeführerin beantragt, daß
- die angefochtene Entscheidung aufgehoben,
- die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage eines der beiden Sätze aus den Ansprüchen 1 bis 10 in der am 31. März 1992 eingereichten Fassung (Hauptantrag oder erster Hilfsantrag) an die erste Instanz zurückverwiesen und
- die Beschwerdegebühr zurückgezahlt wird.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen (Hauptantrag)
...
Die Kammer ist daher zu der Überzeugung gelangt, daß die Ansprüche nach dem Hauptantrag hinsichtlich weiterer Einschränkungen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllen. Die von der Prüfungsabteilung beanstandete Auslassung eines wesentlichen Merkmals wird nachstehend unter dem Gesichtspunkt der Klarheit des Anspruchs 1 behandelt.
3. Klarheit und Stützung
3.1 In der Entscheidung über die Zurückweisung der Patentanmeldung machte die Prüfungsabteilung geltend, daß Anspruch 1 in der zurückgewiesenen Fassung wegen des Fehlens eines wesentlichen Merkmals unklar sei.
Nach Ansicht der Prüfungsabteilung enthalte Anspruch 1 keine Mittel zur Erzeugung einer Rotationsströmung, damit bei nicht blockiertem Filter der Vorwärtsfluß durch den Umleitungskanal verhindert werde.
Durch Weglassendes letzten in Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung angegebenen Merkmals, nämlich des "Mittels, das bei sauberem Filterelement auf den Durchfluß durch den Behälter reagiert, um einen Teil der durch dieses Filterelement fließenden Flüssigkeit durch den Umleitungskanal zu der stromaufwärtigen Seite des Filterelements zurückzuleiten und den Umleitungskanal für den Vorwärtsfluß weitgehend zusperren", habe die Beschwerdeführerin, so die Prüfungsabteilung, in Anspruch 1 ein Merkmal unterschlagen, das ihres Erachtens zur Lösung der aus der Anmeldung erkennbaren technischen Aufgabe gegenüber dem Stand der Technik erforderlich sei.
Dieser Einwand gründet sich offensichtlich auf Artikel 84 EPÜ in Verbindung mit Regel 29 (1) und (3) EPÜ, wonach der Hauptanspruch von der Beschreibung gestützt sein und die wesentlichen Merkmale der Erfindung angeben muß, damit er nicht so weit gefaßt ist, daß er über die Erfindung hinausgeht, aber auch nicht so eng gefaßt ist, daß der Anmelder keinen angemessenen Nutzen aus der Offenbarung seiner Erfindung zieht (Prüfungsrichtlinien, C-III, 6.2).
3.2 Die Auslassung eines Merkmals in einer Kombination kann dazu führen, daß sich ein Anspruch nur auf eine Unterkombination einer Erfindung bezieht. Die Kammer ist der Auffassung, daß auch eine solche Unterkombination, die nur die Funktion eines Zwischenbausteins für eine erfinderische Gesamtkombination hat, grundsätzlich patentierbar sein kann, wenn sie in der eingereichten Anmeldung ausdrücklich für diesen Zweck als solche dargestellt wird und im übrigen alle Voraussetzung der Patentierbarkeit erfüllt. Solche Unterkombinationen sind mit Zwischenverbindungen bei einer chemischen Synthese vergleichbar, die ebenfalls keine andere Funktion haben und gleichfalls grundsätzlich patentierbar sind.
Der Grundsatz, daß die Ansprüche alle wesentlichen Merkmale enthalten müssen, behält daher auch in diesen Fällen seine Gültigkeit, solange die Funktion, die die weniger komplexe Struktur beim Aufbau der komplexeren Struktur erfüllt, als echte technische Wirkung anerkannt wird.
Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß Anordnungen von vornherein ihre eigenen Unterkombinationen unmittelbar und zweifelsfrei implizieren, da eine Vielzahl solcher Einheiten mit unterschiedlichem Definitionsgehalt denkbar ist. Daher wären solche Ansprüche ohne entsprechende ausdrückliche Offenbarung, die auch die jeweilige Verwendung einschließt unzureichend gestützt (Art. 84 EPÜ). Auch sollten solche Gegenstände bei Fehlen einer ausdrücklichen Offenbarung nicht willkürlich durch nachträgliche Änderung eingeführt werden, was gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen würde.
Im vorliegenden Fall war die fragliche Unterkombination in keinem Stadium als Zwischenbaustein dargestellt worden; der Anspruch würde daher über den diesbezüglichen Offenbarungsgehalt hinausgehen.
3.3 Als weitere Möglichkeit käme selbstverständlich auch in Betracht, das ausgelassene Merkmal als für die in der Anmeldung offenbarte Funktion nicht wesentlich anzuerkennen. Die Kammer schließt sich der diesbezüglichen gegenteiligen Auffassung der Prüfungsabteilung aus folgenden Gründen nicht an:
Aus dem im einleitenden Teil der Beschreibung (vgl. S. 1 und 2) angegebenen Stand der Technik geht hervor, daß die der vorliegenden Anmeldung zugrunde liegende technische Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Abscheiders von Gasblasen aus Flüssigkeiten mit einem Filterelement und einem Umleitungskanal besteht, mittels dessen der Flüssigkeitsstrom das Filterelement automatisch, d.h. ohne manuelles Eingreifen und ohne Einsatz eines mechanischen Sicherheitsventils, umgehen kann, wenn der Filter blockiert ist.
Wie die Beschwerdeführerin in ihrer am 31. März 1992 eingegangenen Erwiderung zu Recht darlegt, besteht der Grundgedanke der Lösung darin, den Filter 21, den Einlaß 41 und den Umleitungskanal 71 zueinander so anzuordnen, daß die Flüssigkeit aus dem Einlaß zuerst zum Filter und nicht zum Umleitungskanal gelenkt wird, so daß bei nicht blockiertem Filter die Flüssigkeit durch den Filter zum Auslaß 43 fließt; die Flüssigkeit fließt also normalerweise nicht durch den Umleitungskanal zum Auslaß, es sei denn, der Filter ist blockiert.
Um dies zu erreichen, ist das Filterelement im Behälter an einer besonderen Stelle anzubringen und der Flüssigkeitsstrom bei normalen Betriebsbedingungen vorzugsweise zum Filter zu lenken.
3.4 Die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag erfüllen diese Erfordernisse, da sie angeben, daß
a) das Filterelement 21 nur teilweise über den Durchflußkanal 47 verläuft,
b) der Umleitungskanal 71 von einem Teil des Durchflußkanals um das Filterelement herum gebildet wird und
c) der Einlaß 41 so angeordnet ist, daß der einfließende Strom zum Filterelement geleitet wird.
Da dieses Filterelement außerdem, wie im Oberbegriff von Anspruch 1 erwähnt, zwischen Einlaß und Auslaß des Behälters liegt und den Durchfluß der Flüssigkeit gestattet, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Flüssigkeit vorzugsweise durch den Filter fließt, der, solange er nicht blockiert ist, einen geringeren Strömungswiderstand als der Umleitungskanal bietet.
Nach Überzeugung der Kammer ist die beanspruchte Lösung daher klar und vollständig und erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 84 und der Regel 29 (1) und (3) EPÜ.
3.5 Das Vorbringen der Prüfungsabteilung (vgl. 3.1 oben) vermag nicht zu überzeugen, da zwar der Durchfluß durch den Umleitungskanal mittels einer Vorrichtung zur Rückführung eines Teils der gefilterten Flüssigkeit durch den Umleitungskanal gesteuert werden kann, dies jedoch offenkundig auf verschiedene Weise geschehen kann, z.B. durch Erzeugen einer Rotations- oder Wirbelströmung im Filterelement oder eines leichten Unterdrucks im Umleitungskanal (s. Beschreibung, S. 4, Zeile 14 bis S. 5, Zeile 7).
Wie die Beschwerdeführerin des weiteren in ihrer am 31. März 1992 eingegangenen Erwiderung und dem dazugehörigen Anhang 1 überzeugend ausführt, sind außer der Anordnung in dem beschriebenen Ausführungsbeispiel unschwer auch noch andere vorstellbar, die verhindern, daß die Flüssigkeit bei nicht blockiertem Filter durch den Umleitungskanal fließt. Eine Rückführung der gefilterten Flüssigkeit durch Erzeugen eines niedrigeren Drucks am stromaufwärtigen Ende des Umleitungskanals ist weder notwendig noch wesentlich, um die Flüssigkeit zu veranlassen, zuerst durch das Filterelement zu fließen. Dasselbe Ergebnis läßt sich durch die Schwerkraft erzielen, wenn der Einlaß 41 - wie in Anlage 1, Abbildungen C, D oder G dargestellt - oberhalb des Filterelements an der Oberseite des Behälters angebracht wird. Es genügt jedenfalls, wenn der Tatsache Rechnung getragen wird, daß nach Merkmal c des Anspruchs 1 "der Einlaß 41 so angeordnet ist, daß die eintretende Flüssigkeit zum Filterelement geleitet wird".
Deshalb besteht nach Ansicht der Kammer keine Notwendigkeit, den Umfang des Hauptanspruchs unnötigerweise auf ein bestimmtes Ausführungsbeispiel zu beschränken, solange die allgemeine Lösung nach Anspruch 1 in der weiteren Sachprüfung nicht anhand der Lehren der angeführten Entgegenhaltungen widerlegt oder angefochten wird.
...
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 10 nach dem Hauptantrag (s. Nr. V) an die erste Instanz zurückverwiesen.
3. ...
1 Die Entscheidung ist hier nur auszugsweiseabgedruckt. Eine Kopie der ungekürzten Entscheidung in der Verfahrenssprache ist bei der Informationsstelle des EPA in München gegen Zahlung einer Fotokopiergebühr von 1,30 DEM pro Seite erhältlich.