AUS DEN VERTRAGS- / ERSTRECKUNGSSTAATEN
DE Deutschland
Urteil des Bundesgerichtshofs, X. Zivilsenat, vom 4. Februar 1992
(X ZR 43/91)*
Stichwort: Tauchcomputer
Artikel: 138 EPÜ
§ 265 (2) Zivilprozeßordnung; § 81 (1) Satz 2 PatG 1981;
Artikel II § 6 IntPatÜG1
Schlagwort: "Technizität der Erfindung - auszugehen ist von der Gesamtheit der Merkmale einer Lehre - auch bereits bekannte Merkmale können einen technischen Charakter vermitteln"
Leitsätze
1. Die Nichtigkeitsklage kann entsprechend § 265 Abs. 2 ZPO auch dann weiter gegen den in der Patentrolle eingetragenen Inhabergerichtet bleiben, wenn das streitbefangene Patent nach Eintritt der Rechtshängigkeit auf einen anderen übertragen und der Erwerber inzwischen in die Patentrolle eingetragen ist(Fortführung von BGHZ 72, 236 - Aufwärmvorrichtung -; abweichend von RGZ 72, 242 und RG GRUR 1938, 581).
2. Wer Tiefenmesser, Zeitmesser, Datenspeicher, Auswerte- und Verknüpfungsstufe, Wandlereinrichtung sowie Anzeigemittel nacheiner bestimmten Rechenregel (Programm oder Denkschema), d. h. in Abhängigkeit der anzuzeigenden Gesamtauftauchzeit vondurchtauchten Tiefen und Zeiten, betreibt und es ermöglicht, mit Hilfe von Meßgeräten ermittelte Meßgrößen in der Anzeigeeinrichtung automatisch ohne Einschaltung der menschlichen Verstandestätigkeit anzuzeigen, gibt eine Lehre zum technischen Handeln.
3. Enthält eine Erfindung technische und nicht technische Merkmale, so ist bei deren Prüfung auf erfinderische Tätigkeit der gesamte Erfindungsgegenstand unter Ein schluß einer etwaigen Rechenregel zu berücksichtigen.
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 73 499 (Streitpatents) (...)
Das in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlichte Streitpatent (...) betrifft eine Anzeigeeinrichtung für die Parameter eines Tauchganges. Es hat 16 Ansprüche. Patentanspruch 1 lautet:
Anzeigeeinrichtung für die Parameter eines Tauchvorganges, wie z. B. aktuelle Tiefe, maximal getauchte Tiefe, bisherige Tauchzeit oder dergleichen, die über
a) wenigstens einen Speicher für die Dekompressionsparameter bei einer Reihe von Tauchtiefen und -zeiten, und
b) eine Auswerte- und Verknüpfungsstufe für die gemessenen Werte des Tiefen- und des Zeitmessers mit den im Speicher gespeicherten Werten angesteuert ist,
dadurch gekennzeichnet, daß in jedem Zeitpunkt des Tauchganges die in Abhängigkeit von den durchtauchten Tiefen und Zeiten erforderliche Gesamtauftauchzeit inklusive der vorgeschriebenen Dekompressionshalte anzeigbar ist und/oder eine Wandlereinrichtung (5) für die Umwandlung der jeweils aktuellen Grundzeit (Verweilzeit in der jeweiligen Tauchtiefenstufe) beim Eintritt in eine neue Tauchtiefenstufe in die dieser neuen Tauchtiefenstufe äquivalente Grundzeit vorgesehen ist, die jener Zeit entspricht, während welcher der Taucher sich in der maximalen Tiefe seines Tauchprofiles befunden hätte.
Wegen der Patentansprüche 2 bis 16 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.
II. (...)
In der Sache macht die Kägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Der Lehre des Patentanspruchs 1 fehle der technische Charakter und sie sei weder neu noch erfinderisch.
III. (...)
Das Bundespatentgericht (...) hat das Streitpatent für nichtig erklärt, weil sein Gegenstand nicht als technische Lehre anzusehen sei.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr Begehren, die Klage abzuweisen, weiter.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Entscheidungsgründe
I. (...)
II. Rechtsgrundlage für die gegen das Streitpatent gerichtete Nichtigkeitsklage ist Art. II § 6 IntPatÜG in Verbindung mit Art. 138 EPÜ. Hiernach kann ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt werden, wenn dessen Gegenstand nicht patentfähig ist (Art. II § 6 (1) Nr. 1 IntPatÜG, Art. 52-67 und 138 (1) a) EPÜ).
Entgegen der vom Bundespatentgericht im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung liegt dem Gegenstand des Patentanspruches 1 des Streitpatents eine Lehre zum technischen Handeln zugrunde.
1. Das Streitpatent betrifft eine Anzeigeeinrichtung für die Parameter eines Tauchgangs. Hierzu rechnet die Streitpatentschrift (S. 2 Z. 4 ff.) die aktuelle Tiefe, maximal getauchte Tiefe, bisherige Tauchzeit oder dergleichen. Sie schildert hierzu (S. 2 Z. 9 ff.), daß beim Tauchen mit komprimierter Luft durch das Tauchgerät (Lungenautomat) ein Druckgleichgewicht erzeugt werde. Das heiße, daß die Luft, die der Taucher einatme, unter dem gleichen Druck stehe, wie das ihn umgebende Wasser. Mit zunehmender Wassertiefe atme der Taucher Luft unter höherem Druck ein. Das bewirke, daß sich im Körper des Tauchers mehr Luft löse. Die verschiedenen Gase, aus denen sich die Luft zusammensetze, reicherten die verschiedenen Gewebe des menschlichen Körpers nach bestimmten Sättigungsfaktoren verschieden stark an. Beim Auftauchen geschehe das Entgegengesetzte, die Gewebe entsättigten sich (S. 2 Z. 16). Nehme nun der Umgebungsdruck infolge zu schnellen Auftauchens zu rapide ab, so könne die im Blut und den Geweben gelöste Luft nicht genügend schnell abgeatmet werden (S. 2 Z. 17 u. 18).
2. Die Streitpatentschrift strebt an, den Tauchgang exakt zu erfassen und die dementsprechenden Dekompressionsbedingungen darzustellen, damit die optimale Dekompression für jeglichen Tauchgang erhalten werde (S. 2 Z. 64 u. 65).
Die Streitpatentschrift bezeichnet das zu lösende technische Problem dahin, daß der Taucher umfassend und genau über die Dekompressionsbedingungen informiert werden solle (S. 4 Z. 48 u. 49).
3. Zu dessen Lösung schlägt das Streitpatent vor (S. 4 Z. 49-55), daß in jedem Zeitpunkt des Tauchgangs die in Abhängigkeit von den durchtauchten Tiefen und Zeiten erforderliche Gesamtauftauchzeit inklusive der vorgeschriebenen Dekompressionshalte angezeigt werden kann und/oder eine Wandlereinrichtung für die Umwandlung der jeweils aktuellen Grundzeit/Verweilzeit in der jeweiligen Tauchtiefenstufe beim Eintritt in eine neue Tauchtiefenstufe, in die dieser neuen Tauchtiefenstufe äquivalente Grundzeit vorgesehen ist, die jener Zeit entspricht, während der der Taucher sich in der maximalen Tiefe seines Tauchprofils befunden hätte.
4. Es ergeben sich sonach folgende Merkmale der Anzeigeeinrichtung für die Parameter eines Tauchganges nach Patentanspruch 1 des Streitpatents:
a) Sie ist über wenigstens einen Speicher für die Dekompressionsparameter bei einer Reihe von Tauchtiefen und Tauchzeiten und
b) über eine Auswerte- und Verknüpfungsstufe für die gemessenen Werte des Tiefen- und des Zeitmessers mit den im Speicher gespeicherten Werten
angesteuert;
c) in jedem Zeitpunkt des Tauchgangs kann die in Abhängigkeit von den durchtauchten Tiefen und Zeiten erforderliche Gesamtauftauchzeit inklusive der vorgeschriebenen Dekompressionshalte angezeigt werden und/oder
d) die Anzeigeeinrichtung ist mit einer Wandlereinrichtung versehen, die die jeweils aktuelle Grundzeit (= Verweilzeit in der jeweiligen Tauchtiefenstufe) beim Eintritt in eine neue Tauchtiefenstufe, in die dieser neuen Tauchtiefenstufe äquivalente Grundzeit, die jener Zeit entspricht, während der sich der Taucher in der maximalen Tiefe seines Tauchprofils befunden hätte, umwandelt.
Die Patentansprüche 2 bis 16 sind auf Merkmale gerichtet, durch die die Anzeigeeinrichtung nach Patentanspruch 1 in zweckmäßiger Weise näher ausgestaltet werden soll.
5. Der Ansicht des Bundespatentgerichts, der Gegenstand des Patentanspruches 1 des Streitpatents habe keine technische Lehre zum Inhalt, kann weder für die Gesamtkombination aus den Merkmalen a) bis d) noch für die Teilkombinationen aus den Merkmalen a) bis c) und aus den Merkmalen a), b) und d) beigetreten werden.
a) Das Bundespatentgericht meint, das Neue und Erfinderische der Lehre des Anspruches 1 sei lediglich als besondere Interpretation und Auswertung bekannter Tauchtabellen anzusehen. Der wesentliche Schritt sei dabei, bei einem Tiefenstufenwechsel in eine größere Tiefe den vorangegangenen Tauchvorgang als abgeschlossenen Tauchgang zu betrachten, dem unmittelbar ein nächster Tauchgang Repetitivtauchgang) folgt, der durch einen Zeitzuschlag auf die in der neuen Tiefenstufe verbrauchte Tauchzeit berücksichtigt werde. Auf diese Weise ergebe sich bei Tauchgängen mit wechselnden Tiefenstufen zu jedem Zeitpunkt des Tauchganges ein Eingang in die Tabelle mit den Dekompressionsparametern, der von den durchtauchten Tiefen und Zeiten abhängig sei und nicht nur von der größten erreichten Tiefe und der Gesamttauchzeit. Es handele sich lediglich um eine bisher nicht vorgenommene Interpretation des Tauchganges. Das Auffinden und Nutzen eines bisher nicht erkannten Informationsgehalts der Tauchtabellen sei im Kern ein untechnisches Denkschema. Das Gebiet der Technik werde erst nach der Lösung des eigentlichen Problems betreten, die im Auffinden der Auswertemethode für Tauchtabellen bestehe.
Auch das Merkmal d) des Patentanspruches 1, wie die Abhängigkeit der anzuzeigenden Gesamtauftauchzeit von den durchtauchten Tiefen und Zeiten erreicht werden solle, sei im Kern nur ein besonderes Vorgehen beim Auswerten der Tauchtabellen. Auch wenn das mittels der bei Tauchcomputern bereits vorhandenen Wandlereinrichtung erfolgen solle, liege der Kerngedanke auch hier in der besonderen Interpretation und Auswertung der aus den Tauchtabellen stammenden Daten, was nicht zum Gebiet der Technik gehöre.
Die genannten technischen Mittel vom Tiefenmesser bis zur Anzeige dienten nur als Grundlage für die den Kern der Erfindung bildende besondere Art und Weise der Interpretation und Auswertung bekannter Tauchtabellen. Auch die automatische Ermittlung und Anzeige der Gesamtauftauchzeit begründe keinen technischen Charakter des Patentgegenstandes, sondern sei nur die andersartige Interpretation und Auswertung der Tauchtabellen, bei der der Einsatz beherrschbarer Naturkräfte keine Rolle spiele.
Auch die Unteransprüche enthielten nichts, was zusammen mit dem nichttechnischen Gegenstand des Hauptanspruches eine im Kern technische Lehre ergebe.
b) Diese Betrachtung des Erfindungsgegenstandes ist zu einseitig auf die neuartige Berechnung der Gesamtauftauchwerte anhand der Dekompressionsparameter fixiert. Sie zieht nicht gebührend die gesamten technischen Mittel vom Tiefenmesser über die Speicher und Wandler bis zur Anzeige in Betracht, die die Dekompressionsbedingungen automatisch anzeigen. Die Erwägungen des Bundespatentgerichts lassen außer Betracht, daß die Merkmale der unter Schutz gestellten Lehre des Patentanspruches 1 des Streitpatents sich nicht in vom Patentschutz ausgeschlossenen Gegenständen und Tätigkeiten gemäß Artikel 52 (2) EPÜ erschöpfen, sondern eine enge Beziehung der Rechenregel (Programm, Denkschema) mit den dort genannten Mitteln, wie Anzeige, Speicher, Auswerte- und Verknüpfungsstufe, Wandler, Tiefen- und Zeitmesser umschreiben. Auch die Bewertung der Rechenregel als Programm und Denkschema (Interpretation und Datenauswertung der Tauchtabellen) einerseits und der genannten technischen Mittel andererseits ist zu einseitig zugunsten der neuartigen Rechenregel ausgerichtet. Der ständige Blick des Bundespatentgerichts auf das, was bekannt war, und auf das, was neu oder neuartig war, hat den Blick auf eine unbefangene Wertung verstellt, was bei der in Anspruch 1 beschriebenen Erfindung im Vordergrund steht und was nicht.
c) Der erkennende Senat wertet die gesamte in Patentanspruch 1 umschriebene Lehre als technisch. Er sieht eine Lehre zum technischen Handeln darin, daß mit einem Betrieb von Tiefen- und Zeitmesser, Datenspeicher, Auswerte- und Verknüpfungsstufe, Wandlereinrichtung sowie Anzeigemittel nach einer bestimmten Rechenregel (Programm oder Denkschema) ermöglicht wird, mit Hilfe von Meßgeräten ermittelte Meßgrößen in der Anzeigeeinrichtung automatisch ohne Einschaltung menschlicher Verstandestätigkeit anzuzeigen.
d) Die Teilkombinationen der Merkmale a) bis c) und a), b) und d) des Patentanspruches 1 sind nicht anders zu werten, was die Frage angeht, ob mit ihnen eine technische Lehre bezeichnet ist. Insoweit kann auf das Vorstehende verwiesen werden.
6. Wegen der allgemein gehaltenen Umschreibung der Bausteine in der ersten Alternative des Anspruches 1 (Teilkombination der Merkmale a) bis c)) des beanspruchten Gegenstandes wird das Bundespatentgericht zunächst zu prüfen haben, ob darin eine vollständige Lehre offenbart ist.
Der Gegenstand dieser Alternative ist im Kennzeichen nur mit den Worten "in jedem Zeitpunkt des Tauchganges (kann) die in Abhängigkeit von den durchtauchten Tiefen und Zeiten erforderliche Gesamtauftauchzeit inklusive der vorgeschriebenen Dekompressionshalte angezeigt werden" umschrieben. Diese Anspruchsfassung nennt ausdrücklich keine Mittel, mit denen das bewerkstelligt wird. Würde sie sich in der Umschreibung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems erschöpfen, dann müßte sie aus dem Anspruch gestrichen werden (BGHZ 92, 129, 132 f. Acrylfasern). Das Bundespatentgericht wird demnach zu prüfen haben, ob die Gesamtheit der Angaben in der Patentschrift ausreicht, um den Fachmann zu belehren, wie er das Problem lösen kann.
7. Kommt das Bundespatentgericht in diesem Punkt zu einem positiven Ergebnis, wird es diese Alternative, die weitere Alternative mit den Merkmalen a), b) und d) und die Gesamtheit aller Merkmale des Patentanspruches 1 auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit zu prüfen haben.
8. Was die zuletzt genannte Prüfung angeht, so erscheint dem erkennenden Senat folgender Hinweis angezeigt:
Bei der Prüfung von Erfindungen, die Merkmale technischer Natur mit Merkmalen nichttechnischer Art verknüpfen, auf erfinderische Tätigkeit muß der genannte Erfindungsgegenstand unter Einschluß der etwaigen Rechenregel berücksichtigt werden. Es darf der Erfindungsgegenstand nicht zerlegt und dann nur der Teil der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit, d. h. Naheliegen, geprüft werden, der aus den technischen Merkmalen besteht. Das bedeutet im vorliegenden Falle, daß auch die neuartige Rechenregel, die das Bundespatentgericht als neue Interpretation an sich bekannter Tauchtabellen (Denkschema) bezeichnet hat, zusammen mit den technischen Merkmalen in die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit einzubeziehen ist. (...)
DE 4/93