AUS DEN VERTRAGS- / ERSTRECKUNGSSTAATEN
SE Schweden
Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts (Regeringsrättens Dom) vom 13. Juni 1990*
Stichwort: Sprachsignal
§ 1 (1) PatG
Schlagwort: "Technische Erfindung - Anwendung einer mathematischen Methode in einem technischen Verfahren – Keine Gewichtung der technischen und nichttechnischen Elemente"
Leitsätze
1. Erfindungen, die technische Merkmale enthalten, sind vom Patentschutz nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sie eine wissenschaftliche Theorie, eine mathematische Methode oder ein Computerprogramm enthalten.
2. Handelt es sich bei der Erfindung nicht ausschließlich um ein abstraktes mathematisches Verfahren, sondern um die Anwendung eines solchen Verfahrens in einem technischen Prozeß, so hat sie technischen Charakter (Ganzheitsbetrachtung). Dabei spielt es keine Rolle, daß zur Lösung der technischen Aufgabe nur bereits bekannte technische Hilfsmittel eingesetzt werden.
3. Die Ratifikation des EPÜ durch Schweden rechtfertigt, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen, eine Orientierung der schwedischen Rechtsprechung an der Rechtssprechung der Beschwerdekammern und der Praxis des Europäischen Patentamts (EPA) bei der Anwendung von Bestimmungen, die dem EPÜ entsprechen.
Entscheidungsgründe
Gemäß Kapitel 1 § 1 Absatz 1 des Patentgesetzes wird als Voraussetzung für die Erteilung eines Patents für eine Erfindung verlangt, daß diese gewerblich anwendbar ist. Absatz 2 der Vorschrift nennt Beispiele dafür, wann ein Patent nicht erteilt werden kann. Dies ist unter anderem der Fall, wenn es sich ausschließlich um eine mathematische Methode oder um ein Computerprogramm handelt. Diese Bestimmungen werden allgemein auf den Grundgedanken zurückgeführt, daß eine Erfindung im Sinne des Patentgesetzes nur vorliegt, wenn die Erfindung technischen Charakter besitzt (...).
Das schwedische Patentgesetz ist (...) so ausgestaltet worden, daß die Beschränkungen hinsichtlich der patentfähigen Erfindungen denjenigen des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) entsprechen. Dem im schwedischen Patentgesetz verwendeten Ausdruck "utgör enbart" (= sich ausschließlich handelt um; nämlich z. B. um eine mathematische Methode oder ein Computerprogramm) entspricht im EPÜ die Formulierung "die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche". Die Formulierung des Patentgesetzes scheint nicht in der Absicht gewählt worden zu sein, einen inhaltlichen Unterschied gegenüber dem EPÜ zum Ausdruck zu bringen.
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Patent in Schweden erteilt werden kann, ist unmittelbar allein die schwedische Patentgesetzgebung einschlägig. Im Hinblick auf die nahezu übereinstimmenden Formulierungen von § 1 Absatz 2 des schwedischen Patentgesetzes und der entsprechenden Bestimmung des EPÜ besteht jedoch Anlaß, der Entwicklung der Praxis des EPA große Bedeutung beizumessen. Dies ist auch in den Vorarbeiten zum Patentgesetz ausgeführt worden. Dafür spricht auch, daß die vom EPA erteilten Patente in Schweden dieselbe Wirkung wie die vom schwedischen Patentamt erteilten Patente besitzen.
Die Praxis des EPA auf diesem Gebiet war lange Zeit unklar. Erst 1985 scheint die Praxis einen eindeutigeren Standpunkt gefunden zu haben. Dieser Standpunkt wird in einer 1985 revidierten Ausgabe der Richtlinien für die Prüfung im EPA folgendermaßen umrissen: Die Beurteilung soll die Erfindung als Ganzes sowie dasjenige betreffen, was den tatsächlichen Beitrag zum Stand der Technik ausmacht. Wenn das angemeldete Patent einen technischen Beitrag zur bekannten Technik leistet, soll die Patentfähigkeit nicht aus dem Grund verneint werden, daß ein Computerprogramm in die Ausführung der Erfindung einbezogen ist. Dies bedeutet beispielsweise, daß programmgesteuerte Maschinen oder Steuerungsprozesse normalerweise als patentfähig anzusehen sind (Richtl. C-IV, S. 29-37)1.
In einigen Entscheidungen der technischen Beschwerdekammern des EPA wurde eine solche Gesamtbewertung bereits vorgenommen.
In der Sache T 208/84, Beschluß vom 15. Juli 1986 (ABl. EPA 1987, 14), betraf die Erfindung die Filterung von Bildmaterial, wobei die Bildinformation, dargestellt in Form einer Datenmatrix, einer mathematischen Bearbeitung mit dem Ziel einer Verbesserung der Information unterzogen wurde. Die Erfindung wurde als patentfähig angesehen. In den Entscheidungsgründen führte die Beschwerdekammer unter anderem aus, daß von einer mathematischen Methode als solcher kein unmittelbares technisches Ergebnis erzielt wird. Wird hingegen eine mathematische Methode in einem technischen Verfahren verwendet, so wird dieses Verfahren auf eine physikalische Erscheinung (die ein materielles Objekt, aber auch ein als elektrisches Signal gespeichertes Bild sein kann) durch ein technisches Mittel angewandt, das nach dieser Methode funktioniert und als Ergebnis eine irgendwie geartete Veränderung der physikalischen Erscheinung bewirkt. Zu den technischen Mitteln können Rechner mit zugehöriger, geeigneter Hardware oder entsprechend programmierte Universalrechner gehören. Die Beschwerdeabteilung war daher der Auffassung, daß auch dann, wenn der einer Erfindung zugrundeliegende Gedanke auf einer mathematischen Methode beruht, mit einem Patentanspruch, der sich auf ein technisches Verfahren bezieht, bei dem die mathematische Methode verwendet wird, kein Schutz der mathematischen Methode als solcher begehrt wird (siehe Entscheidungsgründe, Nrn. 5 und 6).
In der Sache T 26/86, Beschluß vom 21. Mai 1987 (ABl. EPA 1988, 19) betraf die Erfindung eine Röntgeneinrichtung, die eine Datenverarbeitungseinheit umfaßte, die nach einem Programm funktionierte, das einen technischen Effekt in der Röntgeneinrichtung hervorbrachte (siehe Entscheidungsgründe Nr. 3.1). Die Beschwerdekammer führte unter anderem aus, daß eine Erfindung als Einheit bewertet werden muß. Umfaßt eine Erfindung sowohl technische als auch nichttechnische Elemente, so kann die Verwendung nichttechnischer Elemente der Summe der neuen Lehre nicht den technischen Charakter nehmen. Das EPÜ verlangt nicht, daß die Erfindung ausschließlich oder überwiegend technischer Natur sein muß. Sie verbietet nicht die Patentierung von Erfindungen, die aus einer Mischung technischer und nichttechnischer Bestandteile bestehen. Es ist unnötig, eine Gewichtung der technischen und nichttechnischen Merkmale eines Patentanspruchs vorzunehmen, um zu beurteilen, ob sich der Anspruch auf ein Computerprogramm als solches richtet. Wenn sich eine Erfindung nach dem Patentanspruch technischer Mittel bedient, ist ihre Patentfähigkeit nicht aufgrund des Art. 52 EPÜ ausgeschlossen (siehe Entscheidungsgründe Nr. 3.4). Die Beschwerdeabteilung erklärte, daß die Erfindung patentfähig sei, ohne daß es darauf ankäme, ob die Röntgeneinrichtung ohne das Computerprogramm zum bekannten Stand der Technik gehöre oder nicht.
Die schwedische Praxis besagt, daß dann, wenn eine Erfindung im wesentlichen aus mathematischen Schritten besteht, die durch Programmierung ausgeführt werden können, die Erfindung aus dem Bereich der Patentfähigkeit herausfällt (Sammlung der Urteile des Obersten Verwaltungsgerichtshofs 1974, Ref. 11; 1983 2 : 25; 1984 Ab 283). Ferner gilt, daß bei der Beurteilung der Patentfähigkeit einer Erfindung eine davon umfaßte nichttechnische Methode unberücksichtigt zu bleiben hat (RA 1982 2 : 25).
Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, weicht die schwedische Praxis von der in den beiden Entscheidungen der technischen Beschwerdekammern des EPA vertretenen Auffassung ab. Im Hinblick darauf stellt das Oberste Verwaltungsgericht fest: Eine Anwendung der Prinzipien der Patentfähigkeit, in der Weise, wie sie in den Entscheidungen zum Ausdruck kommt, ist an und für sich mit § 1 Absatz 2 des schwedischen Patentgesetzes vereinbar. Durch den Beitritt Schwedens zum EPÜ besteht begründeter Anlaß, bei der internen Rechtsanwendung die bei der Anwendung der entsprechenden Bestimmungen des EPÜ befolgte Praxis des EPA zu beachten, soweit dies mit unserer Gesetzgebung vereinbar ist. Diese Erwägungen führen dazu, daß die Erteilung eines Patentes für eine Erfindung, die technische Merkmale umfaßt, nicht allein deswegen aufgrund von § 1 Absatz 2 des Patentgesetzes versagt werden darf, weil die Erfindung eine wissenschaftliche Theorie, eine mathematische Methode oder ein Computerprogramm beinhaltet.
Die Erfindung, um die es bei der Beurteilung durch das Oberste Verwaltungsgericht geht, betrifft eine Vorrichtung zur Bestimmung der Tonhöhe eines Sprachsignals. Die Tonhöhe oder der Grundton ist ein charakteristischer Parameter der menschlichen Stimme, und zum Grundton gehören auch eine Anzahl von Obertönen, die in bestimmten Relationen zum Grundton stehen.
Die erfindungsgegenständliche Vorrichtung beinhaltet, daß in regelmäßigen Intervallen bestimmte Zeitabschnitte des Sprachsignals auf eine an und für sich bekannte Weise in digitale Form gebracht werden, woraufhin eine Serie signifikanter Frequenzkomponenten, die während der jeweiligen Zeitabschnitte auftreten, festgestellt wird.
Die Erfindung ist dadurch gekennzeichnet, daß diese Serie mit vorausbestimmten Serien von Frequenzkomponenten verglichen wird, die aus einem angenommenen Wert des Grundtons sowie zugehöriger Obertöne besteht. Die vorausbestimmte Serie, die mit der während der Zeitabschnitte festgestellten Serie am besten übereinstimmt, ergibt eine erste Zuordnung des Wertes der Tonhöhe. Danach wird auf der Grundlage verbleibender Abweichungen im Verhältnis zur besten Serie eine verfeinerte Zuordnung vorgenommen.
Aus der Beschreibung geht hervor, daß bestimmte Schritte der Vorrichtung durch Software in einem konventionellen Rechner realisiert werden können.
Durch die Vorrichtung können sowohl die Empfindlichkeit gegenüber gleichzeitig mit dem Sprachsignal auftretendem Rauschen und Störsignalen wie auch die Anzahl der Berechnungen im Vergleich zu bekannten Verfahren reduziert werden. (...)
Die zentrale Erfindungsidee besteht in einer Methode für die harmonische Analyse eines periodischen Verlaufs, der auf die Feststellung einer bestimmten Frequenzkomponente während dieses Verlaufs abzielt. Diese Methode besitzt bei einer außerhalb ihres Zusammenhangs erfolgenden Betrachtung keinen technischen Charakter und gehört zu den Methoden, die von der Patentfähigkeit ausgenommen sind.
Nach dem Patentanspruch besitzt die Erfindung ferner folgende Besonderheiten:
1. Die Analyse betrifft ein Sprachsignal.
2. Die Frequenzkomponente, die bestimmt werden soll, ist die Tonhöhe des Sprachsignals.
3. Die Analyse erfolgt durch oder in einer Anordnung für Sprachanalyse.
4. Die Analyse wird während regelmäßig ausgewählter Zeitintervalle des Sprachsignals durchgeführt.
Diese Besonderheiten und was darüber hinaus in diesem Verfahren ausgeführt worden ist, führen zu der Beurteilung, daß es hier nicht allein um eine abstrakte mathematische Methode, sondern um die Anwendung einer solchen Methode in einem technischen Verfahren zur Messung und Bestimmung der Tonhöhe eines Sprachsignals geht, wobei es für dieses Verfahren besonderer technischer Ausrüstung bedarf. Zur Erfindungsidee ist dabei nicht nur die Anwendung der Methode als solche, sondern auch die Lehre ihrer technischen Anwendbarkeit zu rechnen. Bei dieser Gesamtbeurteilung kommt das Oberste Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, daß der vorliegende selbständige Patentanspruch den erforderlichen technischen Charakter besitzt, ungeachtet dessen, daß die technische Lösung, soweit dies aus den Unterlagen hervorgeht, nur die Verwendung bereits bekannter technischer Hilfsmittel beinhaltet.
Im Hinblick auf die obigen Ausführungen darf die Bestimmung von § 1 Absatz 2 des Patentgesetzes - im Gegensatz zur bisherigen schwedischen Praxis - nicht als Hindernis für die Patentfähigkeit der hier zu beurteilenden Erfindung angesehen werden.
Unter Aufhebung des Beschlusses des Patentbeschwerdegerichts verweist das Oberste Verwaltungsgericht die Sache an das Patent-und Registeramt zur weiteren Behandlung zurück.
SE 1/93