ERÖFFNUNG DES SYMPOSIUMS UND BEGRÜßUNGSANSPRACHEN
Benoît BATTISTELLI - Präsident, Europäisches Patentamt - Das einheitliche Patent und die Rolle des EPA
I. Einführung
Honourable Chief Justice Susan Denham,
Herr Minister Richard Bruton,
Honourable Justice Roderick Murphy,
Herr Controller,
meine Damen und Herren,
ich freue mich sehr, heute in Dublin zu sein und vor diesem besonderen Publikum zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich unseren irischen Gastgebern herzlich dafür danken, dass sie die Organisation dieser Veranstaltung an diesem wunderbaren Ort unterstützt haben.
Ich freue mich besonders, weil wir mit Ihnen das 20-jährige Jubiläum von Irlands Beitritt zum Europäischen Patentübereinkommen feiern können, der am 1. August 1992 wirksam wurde. Die Beziehungen zwischen dem Europäischen Patentamt und dem irischen Patentamt waren stets eng und fruchtbar.
Irlands Engagement für ein modernes, auf Qualität gestütztes Patentsystem zeigt sich sowohl in der steigenden Zahl von Patentanmeldungen irischer Unternehmen als auch im Zuwachs der validierten europäischen Patente, die in Irland rechtswirksam werden.
Unsere beiden Ämter sind in unterschiedlichen Formen der zweiseitigen Zusammenarbeit aktiv, vor allem beim Austausch von Know-how und optimaler Praxis in Bereichen wie Aus- und Fortbildung, Patentinformation, Patentsensibilisierung und Nutzung moderner IT-Tools.
Ganz besonders freut mich auch, dass sich unsere irischen Partner sehr für die Nutzung von Patentinformation als Quelle von technischem Wissen einsetzen. Letztes Jahr durfte ich die Gastfreundschaft und Freundlichkeit Ihres Landes anlässlich der EPA-Patentinformationskonferenz genießen, die gemeinsam mit dem irischen Patentamt in Kilkenny veranstaltet wurde.
Genau 30 Jahre nach der ersten Veranstaltung kommen wir hier zum 16. Richtersymposium zusammen. Das Symposium, das heute als wichtigstes Treffen für europäische Patentrichter gilt und auch Richter aus anderen Kontinenten anzieht, ist ein beeindruckender Erfolg.
Ich danke Ihnen allen für Ihren zeitlichen Einsatz und Ihre aktive Teilnahme, die für diesen Erfolg entscheidend sind. Der Zeitpunkt unseres Symposiums scheint mir besonders günstig gewählt zu sein. Nach langjährigen Gesprächen hat Europa nun offenbar genügend Dynamik, um hoffentlich in zwei für uns alle wichtigen Punkten zu einer abschließenden Entscheidung zu gelangen: dem einheitlichen Patent und dem Einheitlichen Patentgericht.
Lassen Sie mich kurz über die Folgen sprechen, die sich daraus für das EPA und das europäische Patentsystem ergeben.
II. Das europäische Patentsystem heute
Wie sieht zunächst einmal das europäische Patentsystem heute aus?
Die Gründung des Europäischen Patentamts war ein Eckpfeiler der europäischen Integration. Es ersetzte das frühere Flickwerk aus nationalen Patentsystemen durch ein umfassendes regionales System, das den Nutzern ermöglicht, mit einer einzigen Anmeldung Patentschutz in bis zu 40 europäischen Staaten zu erlangen. Es begründete ein einheitliches, zentralisiertes Verfahren für die Recherche und Prüfung von Patentanmeldungen bei gleichbleibendem Qualitätsstandard. Daneben führte es zu einer Harmonisierung des Patentrechts in den beteiligten Ländern.
Es ist unbestritten, dass das Europäische Patentamt eine europäische Erfolgsgeschichte ist. Seine Gründung löste eine Welle der Patentierungstätigkeit aus und machte geografisch breiten Patentschutz für Patentanmelder nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt einfacher, billiger und attraktiver.
Sieht man sich die Zahlen an, so ist die Erfolgsgeschichte des EPA überwältigend. Anfangs rechneten die Gründungsväter mit etwa 30 000 Patentanmeldungen pro Jahr. Diese Zahl wurde bereits nach sechs Jahren überschritten und wächst seither kontinuierlich. Trotz der anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise war 2011 ein Rekordjahr: Wir haben rund 245 000 Anmeldungen erhalten, das sind etwa 4 % mehr als 2010. Davon kommen 62 % aus dem außereuropäischen Raum, insbesondere aus den USA (24 %), Japan (19 %) und China (7 %). Aber hohe Anmeldezahlen sind nicht alles.
Wesentlich ist auch die Qualität unserer Arbeit. Patente von hoher Qualität, die ein Maximum an Rechtssicherheit bieten und damit die Interessen der Erfinder und der Öffentlichkeit gleichermaßen schützen, sind die Grundlage eines funktionierenden Patentsystems. Das EPA ist ein Qualitätsfilter und hat sich beständig darum bemüht, das Vertrauen seiner Nutzer zu gewinnen und zu wahren. Als eigenfinanzierte Organisation sind wir angewiesen auf das Vertrauen, das unsere Nutzer in die Qualität unserer Dienstleistungen haben.
III. Vervollständigung des europäischen Patentsystems
So effizient und erfolgreich das europäische Patentsystem heute auch ist, meine Damen und Herren, so spiegelt es doch nur teilweise den ursprünglichen Gedanken eines einzigen, einheitlichen Patents für den Gemeinsamen Markt wider - dieser Gedanke wurde bisher nicht verwirklicht, und insofern ist das europäische Patentsystem noch unvollständig.
Interessierte Kreise haben wiederholt auf die Fragmentierung des europäischen Patentsystems hingewiesen. Insbesondere das Fehlen eines einheitlichen Schutzrechts sowie eines vereinheitlichten Streitregelungssystems macht das Patentsystem komplex und teuer und behindert die wirksame Durchsetzung des Patentschutzes.
Die Vervollständigung des europäischen Patentsystems durch ein einheitliches EU-Patent und ein einheitliches Patentgericht ist der einzige Weg, wie in Europa tätige Unternehmen auf Augenhöhe mit ihren Wettbewerbern aus Märkten wie China, Japan und den USA gebracht werden können.
Das einheitliche EU-Patent wird den europaweiten Schutz von Erfindungen erleichtern, indem die formalen Erfordernisse reduziert und die Kosten gesenkt werden. Es wird unterschiedslos allen Wirtschaftsakteuren zugutekommen, und zwar kleinen wie großen Unternehmen, dem öffentlichen Sektor wie dem Privatsektor. Nie zuvor in der Geschichte des europäischen Patentsystems sind wir der Schaffung eines wahrhaft übernationalen Patentschutzsystems so nahe gekommen. Eine Reihe von EU-Ratspräsidentschaften hat dieses Projekt mit ihrem diplomatischen Gewicht unterstützt.
Die meisten von Ihnen werden sich erinnern, dass der Europäische Rat am 29. Juni, noch vor der Sommerpause, eine bahnbrechende Einigung über ein einheitliches Patentgericht und insbesondere über den Sitz der Zentralkammer des Gerichts erzielt hat - diese Frage hatte das gesamte Paket zum einheitlichen Patent seit Ende 2011 blockiert. Ich bin den Politikern aufrichtig dankbar, die diese Entscheidung als Teil eines Maßnahmenbündels getroffen haben, um Wachstum und Innovation in Europa zu fördern, denn genau darum geht es beim einheitlichen Patent.
Wie Sie auch wissen, hat das Europäische Parlament beschlossen, seine Plenarabstimmung über die beiden Verordnungen zur Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit auf September zu verschieben. Ich hoffe, dass diese "Bedenkzeit" im Sommer den europäischen Gesetzgebern geholfen hat, um zu einer Einigung zu gelangen.
Damit würde auch der Weg geebnet für die Ratifizierung des internationalen Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht durch die beteiligten Staaten.
IV. Das einheitliche Patent als Realität, nämlich als ein vom EPA erteiltes europäisches Patent
Die Kommission hat am 13. April 2011 zwei Verordnungen vorgelegt, in denen in groben Zügen die Architektur des einheitlichen Patents beschrieben wird, einschließlich der Bedingungen für die Erlangung von einheitlichem Schutz, der rechtlichen Wirkung und der geltenden Übersetzungsregelungen. Zu diesen Vorschlägen sind Durchführungsvorschriften zu erstellen, die der sogenannte engere Ausschuss des Verwaltungsrats der EPO, ein im EPÜ vorgesehenes spezielles Gremium, genehmigen muss.
Die vorgeschlagene Lösung besteht aus zwei Kernpunkten: Zum einen sollen vom EPA erteilte europäische Patente eine einheitliche Wirkung für die Gruppe von Vertragsstaaten erhalten, die sich für die verstärkte Zusammenarbeit entschieden haben, und zum anderen soll dem EPA die Verwaltung der daraus resultierenden einheitlichen Patente übertragen werden.
Diese Struktur entspricht genau dem im Europäischen Patentübereinkommen vorgesehenen Modell, wonach eine Gruppe von EPÜ-Vertragsstaaten ausdrücklich ermächtigt wird, einem europäischen Patent für die Gesamtheit ihrer Hoheitsgebiete einheitliche Wirkung zu verleihen. Durch Nutzung dieses besonderen Rahmens nach dem EPÜ lässt sich das Risiko vermeiden, dass sich die Einführung des einheitlichen Patents möglicherweise verzögert. Außerdem ist dies eine direkte Anerkennung der Arbeit des EPA.
In der Praxis werden die Anmelder wie heute eine Anmeldung für ein europäisches Patent beim EPA einreichen. Nachdem das europäische Patent erteilt wurde, kann der Patentinhaber dann beim EPA einheitlichen Patentschutz beantragen.
Das ist der einfachste, schnellste und kostengünstigste Weg zur Umsetzung des einheitlichen Patents, ohne dass dafür ein eigenes Patentamt gegründet werden muss.
Wichtig ist außerdem, dass das einheitliche Patent optional ist und neben nationalen Patenten und traditionellen europäischen Bündelpatenten bestehen wird. Ich bin zuversichtlich, dass diese Flexibilität bei der Wahl des Patentschutzes das europäische Patentsystem für die Nutzer noch attraktiver machen wird.
V. Die Verwaltung des einheitlichen Patents: das EPA als universale Anlaufstelle für Patentinhaber
Das einheitliche Patent baut auf den bekannten Stärken des bestehenden Systems auf. Der Hauptunterschied liegt im Verfahren nach der Erteilung, für das nach dem bestehenden europäischen System die nationalen Patentämter unserer Vertragsstaaten zuständig sind.
Die Verwaltung des einheitlichen Patents wird als zusätzliche Aufgabe vom EPA übernommen, das nach dem neuen System als universale Anlaufstelle für Patentinhaber fungieren wird. Von der Stellung des Antrags auf einheitliche Wirkung bis hin zur Zahlung von Jahresgebühren und dem Führen eines Registers für einheitliche Patente - all das wird zentral verwaltet. Für die Nutzer des Systems bedeutet dies geringere Kosten und deutlich weniger administrative Hürden.
Das EPA besitzt das erforderliche technische und rechtliche Fachwissen für diese administrativen Aufgaben, und es laufen bereits Vorbereitungen, damit das Amt seine neue Rolle ausüben kann, sobald der erste Antrag auf einheitliche Wirkung eingeht.
Ich bin auch sicher, dass die Durchführungsvorschriften, die von den 25 teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten zu verabschieden sind, rechtzeitig vorliegen werden.
VI. Übersetzungsregelung
Die Übersetzungsregelungen für das einheitliche Patent beruhen auf den drei Amtssprachen des EPA - weitere Übersetzungen müssen in der Phase nach der Erteilung nicht eingereicht werden. Dies ist eine ausgewogene, bewährte Lösung, die auf breite Zustimmung bei den Nutzern stößt.
Der Vorschlag der Kommission zur Übersetzungsregelung sieht Übergangsmaßnahmen für den Zeitraum vor, bis ein voll einsatzfähiges maschinelles Übersetzungssystem zur Verfügung steht. Das EPA hat Schritte unternommen, um dies möglichst bald zu gewährleisten.
Unser webgestützter Dienst "Patent Translate", der die Technologie von Google benutzt, ist bereits in Betrieb und bietet kostenlose, qualitativ hochwertige maschinelle Übersetzungen zur Information der Öffentlichkeit. Die Sprachenpalette wird ständig erweitert: Bis 2014 wird das System alle Amtssprachen unserer Mitgliedstaaten abdecken und soll auch auf die nicht europäischen Sprachen ausgeweitet werden, die für die Patentwelt am wichtigsten sind.
Patent Translate erfreut sich bei den Anmeldern bereits großer Beliebtheit. Seit dem offiziellen Start im Februar 2012 hat die Nutzung des neuen Dienstes exponentiell zugenommen: So ist die Zahl der Übersetzungsanträge pro Tag von anfänglich 2 500 auf 35 000 angewachsen.
VII. Das Einheitliche Patentgericht
Was schließlich noch fehlt, ist ein einheitliches, zentralisiertes System der Patentstreitregelung in Ergänzung zum zentralisierten Erteilungsverfahren. Die derzeitige Fragmentierung der Gerichtsbarkeit bei einem zentralisierten Patenterteilungssystem ist ein weiterer ernsthafter Schwachpunkt in unserem System.
Das Paket zum einheitlichen Patent steht und fällt damit, dass der Übereinkommensentwurf über ein Einheitliches Patentgericht in Kraft tritt. Nachdem im Juni 2012 eine bahnbrechende Einigung über den Sitz der zentralen Kammer erzielt wurde, hoffe ich nun, dass dieses Übereinkommen so bald wie möglich von einer ausreichenden Zahl von Ländern unterzeichnet und ratifiziert wird.
Nach langen Gesprächen mit allen Beteiligten scheint mir, dass der vorgeschlagene Entwurf ein guter Kompromiss aus verschiedenen europäischen Gerichtstraditionen ist und gleichzeitig den spezifischen Bedürfnissen der Nutzer in Bezug auf diese Gerichtsverfahren Rechnung trägt.
Ich will dies aber nicht weiter vertiefen, denn am Nachmittag wird meine Kollegin Margot Fröhlinger das Thema "Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht" ausführlich behandeln.
VIII. Schlusswort
Wie eingangs erwähnt, war die Gründung des Europäischen Patentamts ein Eckpfeiler der europäischen Integration. Ich bin persönlich davon überzeugt, dass wir das europäische Patentsystem nun mit einem einheitlichen Patent und einem zentralisierten, spezialisierten Patentgericht vervollständigen müssen. Dieser zusätzliche Schritt wird das System für die Anmelder noch attraktiver machen und sich positiv auf Innovation, Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auswirken.
Ich sehe es als unsere Pflicht, auf dem bisher Geleisteten aufzubauen. Bei diesem Vorhaben wurde mehr Flexibilität gezeigt als jemals zuvor, und die nötigen Bausteine für ein kostengünstiges übernationales Patent liegen nun bereit.
Nun gilt es, diese Dynamik zu bewahren. Ich bin optimistisch und glaube, dass wir kreativ und innovativ genug sein werden, um den Prozess erfolgreich abschließen zu können.
Ich hoffe, dass die Genehmigung des Pakets zum einheitlichen Patent unter der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft Zyperns abgeschlossen werden kann. Falls dies nicht möglich ist, bin ich sicher, dass es unter der nachfolgenden irischen Präsidentschaft gelingen wird. Seit seinem EU-Beitritt hat Irland sechsmal die EU-Ratspräsidentschaft innegehabt.
In jeder dieser Präsidentschaften hat Irland mit Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft bedeutende Entwicklungen ermöglicht, die sich positiv in ganz Europa ausgewirkt haben. Ich bin zuversichtlich, dass die nächste irische Ratspräsidentschaft diese Talente nutzen wird, um das Paket zum einheitlichen Patent endgültig genehmigen zu lassen oder, falls dies bereits geschehen ist, den Ratifizierungsprozess und die vorbereitenden Arbeiten für das Einheitliche Patentgericht voranzubringen, das seine Arbeit ab 2014 aufnehmen soll.
Das EPA ist jedenfalls für die Zukunft gerüstet und bereit, seine Rolle in einem komplettierten, umgestalteten europäischen Patentsystem im Dienste der Innovation in Europa wahrzunehmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.