BERICHTE NATIONALER RICHTER
CH Schweiz
CH Schweiz - Tobias BREMI - Bundespatentgericht - Die Entwicklungen der Patentgerichtsbarkeit in der Schweiz – die Schaffung des Schweizerischen Bundespatentgerichts
Sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist mir eine ganz besondere Ehre, hier gleich bei meiner aller ersten Teilnahme an einem derartigen Treffen und gewissermaßen als richterliches Greenhorn die Möglichkeit zu erhalten, einen aktiven Beitrag zu leisten.
Ich werde Ihnen heute kurz über die neuen und meines Erachtens bahnbrechenden Entwicklungen in der schweizerischen Patentgerichtsbarkeit berichten.
Wie die meisten von ihnen wissen dürften, ist die Schweiz politisch als Bundesstaat organisiert. Der Schweizer Bundesstaat umfasst 26 Kantone, die recht weitgehende politische Autonomie besitzen. Es handelt sich um ein sogenannt föderalistisches System, d. h. der Bund darf nur das regeln, was in der Verfassung ausdrücklich als seine Kompetenz erwähnt ist, alles andere Regeln die Kantone in eigener Kompetenz. Dies gilt auch sehr weitgehend für die Rechtsetzung. So sind für die Organisation der Gerichte die Kantone zuständig, und auch das Zivilprozessrecht ist im Moment noch kantonal geregelt.
Für Patentstreitigkeiten bedeutet dies, dass im Moment noch jeder der 26 Kantone jeweils ein Gericht für Patentangelegenheiten für zuständig bestimmt hat, und dass in jedem der 26 Kantone ein eigenes Zivilprozessrecht für Patentstreitigkeiten anwendbar ist.
Angesichts der im Durchschnitt ca. 30-40 Fälle im Zusammenhang mit Patenten bedeutet dies, dass es viele kantonale Gerichte gibt, die sehr selten mit Patentstreitigkeiten befasst sind, und entsprechend auch keine Kompetenz aufbauen können. 60 % aller Patentstreitigkeiten der Schweiz finden zudem nämlich vor den vier Handelsgerichten in Aarau, Bern, St. Gallen und Zürich statt.
Des Weiteren nehmen die Gerichte, insbesondere auch weil sie sowohl für die Beurteilung der Verletzung von Patenten als auch für die Beurteilung von deren Rechtsbeständigkeit zuständig sind, mangels technisch vorgebildeter Richter im Spruchkörper in der Regel die Hilfe von Gutachtern in Anspruch. Dies ist der schnellen Durchführung der Verfahren und der konsistenten Rechtsprechung nicht unbedingt zuträglich.
Angesichts der Tatsache, dass die Schweiz eines der patentaktivsten Länder ist, war dieser Missstand schon lange der Kritik ausgesetzt.
Die Problematik wurde eigentlich bereits im letzten Jahrhundert erkannt und schon in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Schaffung eines Bundespatentgerichtshofes und die Schaffung einer Kammer für Patentsachen mit technisch ausgebildeten Fachrichtern beim Bundesgericht – der national höchsten Instanz - gefordert. Damals scheiterte dieses Anliegen unter anderem an der mangelnden Verfassungsmäßigkeit, weil nämlich die damalige Bundesverfassung neben dem höchstinstanzlichen Bundesgericht keine weiteren richterlichen Behörden des Bundes zuließ, und auch keine Zivilprozessordnung auf Bundesebene.
Mit der Justizrevision, über welche im Jahr 2000 in einer Volksabstimmung abgestimmt wurde, wurde dann aber einerseits die Rechtsetzungskompetenz des Bundes erweitert auf das Zivilprozessrecht. Entsprechend wird, nach langen und schwierigen politischen Prozessen, endlich am 1.1.2011 ein bundesweites Zivilprozessrecht in Kraft treten (Art. 121 BV). Andererseits wurde der Bund ermächtigt, weitere richterliche Behörden des Bundes vorzusehen (Art. 191a BV). So gibt es neben dem Bundesgericht inzwischen bereits zwei weitere eidgenössische Gerichte, nämlich ein Bundesstrafgericht und ein Bundesverwaltungsgericht.
So wurde denn auch, da jetzt die verfassungsmäßigen Hürden ausgeräumt waren, im Jahre 2005 eine parlamentarische Initiative zur Einführung eines Bundespatentgerichts lanciert. Darauf hat der Bundesrat eine Gesetzesvorlage ausgearbeitet, über welche das Bundesparlament am 20. März 2009 abgestimmt hat. Am 1. März 2010 ist das Bundespatentgerichtsgesetz (PatGG) teilweise, d. h. in seinen institutionellen und organisatorischen Bestimmungen, in Kraft getreten. Gleichzeitig wurden die Richterstellen ausgeschrieben. Es wurden von der Bundesversammlung anschließend am 16. Juni 2010 zwei hauptamtliche Richter als Mitglieder der Gerichtsleitung gewählt: ein Präsident mit juristischem Hintergrund, gewählt wurde hier von der Bundesversammlung Dieter Brändle, den viele von Ihnen kennen dürften. Als zweiter hauptamtlicher Richter, diesmal mit einem technischen Hintergrund, wurde ich gewählt. Daneben wurden ca. 20 technisch vorgebildete und ca. 10 juristisch vorgebildete Fachrichter gewählt, welche jeweils von Fall zu Fall als nebenamtliche Richter hinzugezogen werden sollen.
Das jetzt für die Schweiz aufzubauende Bundespatentgericht wird exklusiv zuständig sein für die Beurteilung von Klagen um die Rechtsbeständigkeit und der Verletzung von Patenten, sowie auf Erteilung einer Lizenz. Ebenfalls für die Anordnung von vorsorglichen Maßnahmen und für die Vollstreckung derartiger Entscheide (Artikel 26 PatGG). Auch für andere Zivilklagen, die im Sachzusammenhang mit Patenten stehen, insbesondere beispielsweise Klagen im Zusammenhang mit Lizenzverträgen oder im Zusammenhang mit der Berechtigung an Patenten, wird das Bundespatentgericht zuständig sein.
Das Gericht tagt in Dreierbesetzung oder Fünferbesetzung. Je nach Fragestellung werden dabei Richter mit unterschiedlichem Hintergrund ausgewählt, bei Fünferbesetzung zum Beispiel sind bei vornehmlich juristischer Fragestellung nur zwei Richter mit technischem Hintergrund im Spruchkörper, bei vornehmlich technischer Fragestellung drei Richter mit technischem Hintergrund.
Es wird also für die Schweiz bald nur noch ein einziges nationales zuständiges erstinstanzliches Gericht, das Bundespatentgericht, für Patentstreitigkeiten geben. Anschließend an ein Urteil des Bundespatentgerichts wird es nur eine einzige Rechtsmittelinstanz geben, namentlich das Bundesgericht. Der Instanzenzug ist also kurz und entsprechend der Weg zu einem rechtskräftigen Urteil schnell möglich.
Dieter Brändle und ich sind mit anderen Worten im Moment mit organisatorischen Aufgaben beschäftigt, um dieses völlig neue Gericht aufzusetzen. Der gesamte Spruchkörper wird sich konstituieren müssen, das Gericht muss administrativ organisiert werden, es muss eine Infrastruktur aufgebaut werden, es muss festgelegt werden, wie und unter welchen Bedingungen die im Moment bei den unterschiedlichsten kantonalen Gerichten anhängigen Fälle an das Bundespatentgericht übergeben werden, es müssen Reglemente ausgearbeitet werden etc. Eine spannende und einmalige Aufgabe!
Das neue Gericht wird seinen Sitz in St. Gallen haben (am Ort des Bundesverwaltungsgerichts), und wann es seine Tätigkeit tatsächlich aufnehmen wird, liegt in den Händen des Bundesrates. Wir gehen davon aus, dass das Bundespatentgericht frühestens Mitte 2011, voraussichtlich aber erst am 1. Januar 2012, seine Tätigkeit aufnehmen wird.
Wir werden Ihnen also einen weiteren ersten Bericht über die eigentliche Tätigkeit des Schweizer Bundespatentgerichts im Jahr 2012 liefern können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.