BERICHTE NATIONALER RICHTER
AT Österreich
AT Österreich - Irmgard GRISS - Präsidentin des Obersten Gerichtshofs - Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes (OGH), verfügbar über http://www.ris.bka.gv.at/Jus/
1. 17 Ob 35/09k vom 9. Februar 2010
In dieser Entscheidung geht es um den behaupteten Eingriff eines als Nahrungsergänzungsmittel vermarkteten Produkts ("Vita Lady Vitalkapseln") in ein europäisches Patent, das die Verwendung eines Isoflavon-Phytoöstrogen-Extrakts von Soja oder Klee für die Herstellung eines Medikaments zur Verabreichung in Dosierungseinheitsform für die Behandlung des prämenstruellen Syndroms, von Symptomen, die mit der Menopause verbunden sind, oder von Prostatakrebs schützt.
Die Beklagte hat die Patentverletzung mit der Begründung bestritten, dass ihr Produkt ein Nahrungsergänzungsmittel ohne therapeutische Heilwirkung sei. Feststellungen dazu haben die Vorinstanzen nicht getroffen; sie bejahten eine Patentverletzung schon deshalb, weil das Produkt der Beklagten einen Isoflavon-Phytoöstrogen-Extrakt aus Rotklee enthielt.
Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs genügt das nicht; maßgebend ist, ob der Wirkstoff im Eingriffsprodukt in einem praktisch erheblichen Umfang zum gleichen Zweck verwendet wird.
Die Beweislast dafür trifft grundsätzlich den Kläger. Wenn jedoch die Beklagte für ihr Produkt damit wirbt, dass es für die Behandlung derselben Krankheiten oder Befindlichkeitsstörungen geeignet ist wie das durch das Patent geschützte Arzneimittel, ist damit der Anscheinsbeweis erbracht, dass das Eingriffsprodukt die Wirkung des Patents in einem praktisch erheblichen Umfang erzielt. Die Beklagte kann den Anscheinsbeweis entkräften, indem sie die ernstliche Möglichkeit nachweist, dass ihr Produkt wirkungslos ist. In diesem Fall hätte die Klägerin den vollen Beweis für den behaupteten Patentrechtseingriff zu erbringen.
2. 17 Ob 13/09z, 17 Ob 24/09t, beide vom 19. November 2009
Gegenstand dieser Entscheidungen ist ein europäisches Patent, das Arzneimittel mit dem Wirkstoff Nebivolol zur Senkung des Blutdrucks schützt. Die Beklagte hat beabsichtigt, ein Generikum in Verkehr zu bringen, das denselben Wirkstoff enthält. Sie hat die Aufnahme des Produkts in den vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger geführten Erstattungskodex beantragt.
Die Klägerin hat den Unterlassungsanspruch auf eine eingeschränkte Fassung des Patentanspruchs gestützt, indem sie (den in Patentanspruch 4 enthaltenen Ausdruck) "umfassend" durch "bestehend aus" ersetzt und damit eine Verletzung nur insoweit geltend gemacht hat, als Verbindungen ausschließlich aus bestimmten Isomeren bestehen.
(Anspruch 4: pharmazeutische Zusammensetzung, umfassend einen pharmazeutischen Träger, eine Verbindung im Sinn der Ansprüche 1-3 (1-Nebivolol) und ein blutdrucksenkendes Mittel mit andrenerger und/oder vasodilatorischer Aktivität, das von der Verbindung der Formel (I) verschieden ist.)
Zu klären war, ob eine solche Einschränkung zulässig ist. Der Oberste Gerichtshof hat dies bejaht. Maßgebend sei, dass der Schutzbereich durch die Einschränkung verkleinert und die ursprüngliche Offenbarung nicht überschritten wird (ebenso 17 Ob 26/08k – Pantoprazol).
Die Beklagte hat sich in ihren Einwendungen auf Entscheidungen des deutschen Bundespatentgerichts und des englischen High Court berufen. In beiden Entscheidungen wird das Patent (teilweise) für nichtig erklärt, jedoch aus anderen Gründen. Das Bundespatentgericht hat einen erfinderischen Schritt verneint, der High Court den erfinderischen Schritt bejaht, aber eine verfrühte Offenbarung der Lehre angenommen.
Der Oberste Gerichtshof hat eine formale Bindung an die Entscheidungen verneint, aber die Möglichkeit bejaht, dass die Gründe der Entscheidungen geeignet sind, in einem Sicherungsverfahren den durch die Erteilung des Patents begründeten Anscheinsbeweis der Rechtsbeständigkeit zu widerlegen. Die Entscheidungen könnten ein entsprechendes Vorbringen bescheinigen, wodurch die Gefahr widersprechender Entscheidungen in den einzelnen Staaten gemindert sein könnte.