AUS DEN VERTRAGS- / ERSTRECKUNGSSTAATEN
DE Deutschland
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. März 2010 - (Xa ZR 74/09)
Stichwort:
Nabenschaltung II
Artikel:
EPÜ Art. 65, 70; IntPatÜbkG (Fassung vom 20.12.1991) Art. II § 3
Schlagwort:
Übersetzung eines europäischen Patents - Wirkungen einer unvollständigen Übersetzung
Leitsatz:
Hat der Patentinhaber fristgerecht eine Übersetzung des nicht in deutscher Sprache veröffentlichten europäischen Patents eingereicht, findet Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜbkG keine Anwendung und bleibt es auch dann beim Eintritt der gesetzlichen Wirkungen des Patents für die Bundesrepublik Deutschland, wenn die Übersetzung Auslassungen aufweist. Solche Auslassungen sind grundsätzlich als Fehler der Übersetzung anzusehen, deren Rechtsfolgen sich nach Art. II § 3 Abs. 4 und 5 IntPatÜbkG bestimmen.
Sachverhalt und Anträge
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des europäischen Patents 531 608 (Klagepatents), dessen Inhaberin die Klägerin ist, auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch. Das Klagepatent ist am 19. Februar 1992 angemeldet und am 24. Mai 1995 veröffentlicht worden. Es betrifft eine Fahrradnabenschaltung und umfasst elf Patentansprüche. Die Verfahrenssprache ist Englisch.
Die Klägerin hat eine vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 692 02 657 veröffentlichte deutsche Übersetzung des Klagepatents eingereicht. Darin waren die erste Abschnittsüberschrift "Description" auf Seite 2 der Klagepatentschrift sowie die Zeilen 46 bis 58 auf Seite 11 und die erste Zeile auf Seite 12 der Patentschrift ausgelassen.
Die Textstelle beschreibt Schaltabläufe innerhalb des zweiten von zwei Ausführungsbeispielen der erfindungsgemäßen Mehrgangnabe.
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, der die Beklagten entgegentreten.
Die zulässige Revision wurde als begründet qualifiziert. Die Sache wurde zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen
...
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Das Klagepatent habe wegen der unvollständigen Übersetzung in die deutsche Sprache von Anfang an in der Bundesrepublik Deutschland keine Wirkung entfaltet. Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜbkG, der nach der Übergangsvorschrift des Art. XI § 4 IntPatÜbkG auf das vor dem 1. Mai 2008 veröffentlichte Klagepatent anzuwenden sei, schreibe vor, dass eine deutsche Übersetzung des europäischen Patents in der Fassung einzureichen sei, die der Patenterteilung zugrunde gelegen habe. Eine Übersetzung der Patentschrift liege schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nur dann vor, wenn sie vollständig sei, nämlich alle Teile der Beschreibung lückenlos aufweise. Auch Sinn und Zweck des Übersetzungserfordernisses verlangten eine vollständige Übersetzung. Die Übersetzung solle dazu dienen, im Interesse der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft die Nutzbarmachung und Verbreitung der Patentinformation in deutscher Sprache zu fördern. Dieser Zweck werde nur erreicht, wenn die Übersetzung vollständig sei. Nach Art. 69 EPÜ bestimme sich zudem der Schutzbereich eines europäischen Patents nach dem Inhalt der - stets auch in deutscher Sprache vorliegenden - Patentansprüche, zu deren Auslegung die gesamte Patentbeschreibung und etwaige Zeichnungen heranzuziehen seien. Auch die Entstehungsgeschichte der Regelung bestätige das Erfordernis der Einreichung einer vollständigen Übersetzung. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei der deutsche Gesetzgeber davon ausgegangen, dass ihm durch Art. 65 EPÜ die Befugnis eingeräumt werde, vom Anmelder oder Patentinhaber die Einreichung einer Übersetzung der gesamten Patentschrift verlangen zu können. Dies habe er mit der Regelung in Art. II § 3 Abs. 1 IntPatÜbkG umgesetzt. Das Gesetz unterscheide anknüpfend an Art. 68 und Art. 70 EPÜ konsequent zwischen dem Fall einer fehlenden und dem Fall einer fehlerhaften Übersetzung. Die Rechtsfolgen des Art. II § 3 Abs. 4 und 5 IntPatÜbkG beträfen lediglich inhaltliche Mängel einer vorhandenen Übersetzung. Fehle hingegen ein Teil der Übersetzung, werde insoweit keine Patentinformation in deutscher Sprache mitgeteilt. Deshalb handele es sich bei der teilweise fehlenden Übersetzung nicht um einen Unterfall einer fehlerhaften Übersetzung.
II. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Klagepatent zu Unrecht die gesetzlichen Wirkungen in der Bundesrepublik Deutschland abgesprochen.
1. Das in Art. II § 3 Abs. 1 IntPatÜbkG normierte Übersetzungserfordernis ist vom nationalen Gesetzgeber mit Wirkung zum 7. Juli 2008 ersatzlos gestrichen worden; es besteht für Patente, bei denen der Hinweis auf die Erteilung nach dem 1. Mai 2008 veröffentlicht worden ist, nicht mehr. Die Regelung ist indessen für das vor dem 1. Mai 2008 veröffentlichte Klagepatent weiter anzuwenden (Art. XI § 4 IntPatÜbkG).
2. Art. II § 3 Abs. 1 IntPatÜbkG bestimmt, dass der Patentinhaber innerhalb einer Frist von drei Monaten beim Deutschen Patent- und Markenamt eine deutsche Übersetzung der Patentschrift einzureichen hat. Absatz 2 regelt sodann, dass die Wirkungen des europäischen Patents für die Bundesrepublik Deutschland als von Anfang an nicht eingetreten gelten, wenn die Übersetzung nicht fristgerecht oder in einer eine ordnungsgemäße Veröffentlichung nicht gestattenden Form eingereicht oder die Gebühr nicht fristgerecht entrichtet wird. Die deutsche Übersetzung wird gemäß Absatz 3 vom Deutschen Patent- und Markenamt veröffentlicht. Gemäß Absatz 4 kann der Patentinhaber eine berichtigte Übersetzung einreichen, wenn die nach Absatz 3 veröffentlichte Übersetzung fehlerhaft ist. Auch diese berichtigte Übersetzung wird veröffentlicht. Ist die Übersetzung der europäischen Patentschrift fehlerhaft, so darf derjenige, der im Inland im guten Glauben die Erfindung in Benutzung genommen hat, die Erfindung benutzen, wenn die Benutzung keine Verletzung des Patents in der fehlerhaften Übersetzung der Patentschrift darstellen würde (Absatz 5).
Damit bestimmt Art. II § 3 IntPatÜbkG nicht ausdrücklich, welche Folgen eintreten, wenn die Übersetzung nicht vollständig ist. Über die Beantwortung dieser Frage besteht in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung Streit. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die unvollständige Übersetzung ziehe die Rechtsfolgen des Absatzes 2 nach sich, vertritt ebenso das Landgericht Düsseldorf (InstGE 7, 136 = GRUR Int. 2007, 429; InstGE 11, 1 = Mitt. 2009, 234 mit abl. Anm. Sendowski; mit Einschränkungen Mitt. 2009, 469; ebenso Voß, GRUR 2008, 654 f.; Schulte/Püschel, PatG, 8. Aufl., Anh. I IntPatÜbkG Rdn. 20). Anderer Auffassung ist das Landgericht Mannheim (Mitt. 2009, 402 m. zust. Anm. Ehlers; ebenso Kühnen, Mitt. 2009, 345).
3. Der Auffassung des Berufungsgerichts kann nicht beigetreten werden. Auslassungen in der Übersetzung der Patentschrift sind grundsätzlich als Fehler der Übersetzung anzusehen, deren Rechtsfolgen sich nach Art. II § 3 Abs. 4, 5 IntPatÜbkG a. F. bestimmen.
a) Ausgangspunkt ist Art. 65 EPÜ, der es den Vertragsstaaten gestattet, eine Übersetzung der Patentschrift in ihre Amtssprache zu verlangen. Gemäß Art. 70 EPÜ ist jedoch die Fassung eines europäischen Patents in der Verfahrenssprache in jedem Vertragsstaat die allein verbindliche Fassung. Von der in Absatz 3 eingeräumten Möglichkeit, eine nach dem Recht eines Vertragsstaates vorgeschriebene Übersetzung als maßgeblich zu bestimmen, wenn danach der Schutzbereich enger ist als der Schutzbereich in der Verfahrenssprache, hat der deutsche Gesetzgeber in Art. II § 3 IntPatÜbkG nur insoweit Gebrauch gemacht, als nach Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜbkG der gute Glaube an den sich aus einer fehlerhaften Übersetzung ergebenden scheinbaren Schutzbereich durch ein Weiterbenutzungsrecht geschützt wird. Inhaltliche Abweichungen zwischen Patentschrift und Übersetzung haben danach auf Bestand und Schutzbereich des europäischen Patents in der Bundesrepublik Deutschland keinen Einfluss.
Für den Fall, dass ein Vertragsstaat von der in Art. 70 Abs. 3 EPÜ eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, muss dem Patentinhaber gemäß Art. II § 3 Abs. 4 IntPatÜbkG gestattet werden, eine berichtigte Übersetzung des europäischen Patents einzureichen. Selbst wenn mithin die Übersetzung Einfluss auf den Schutzbereich hat, entfaltet die berichtigte Übersetzung rechtliche Wirkung, wobei das Europäische Patentübereinkommen nicht danach unterscheidet, worin die Fehlerhaftigkeit bestanden hat oder welches Ausmaß sie hatte. Diese Maßstäbe, die das Übereinkommen anlegt, würden verschoben, wenn die Vollständigkeit der Übersetzung zur weiteren Wirksamkeitsvoraussetzung des Patents erhoben würde. Die Rechtsfolge, dass die Wirkungen des europäischen Patents als von Anfang an nicht eingetreten gelten, sieht Art. II § 3 IntPatÜbkG dementsprechend in Übereinstimmung mit Art. 65 Abs. 3 EPÜ nur in Absatz 2 für die dort genannten Fälle vor, dass die Übersetzung nicht fristgerecht oder in einer nicht ordnungsgemäßen Form eingereicht wird oder dass die Gebühr nicht fristgerecht entrichtet wird.
b) Dies entspricht dem in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu Art. II § 3 IntPatÜbkG (BT-Drucks. 12/632 = BlPMZ 1982, 46 ff.) näher erläuterten Zweck des Gesetzes. Danach soll die Übersetzung der europäischen Patentschrift dazu dienen, im Interesse der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft die Nutzbarmachung und Verbreitung der Patentinformation in deutscher Sprache zu fördern und zugleich Wettbewerbsnachteile der deutschen Unternehmen gegenüber ihrer ausländischen Konkurrenz beseitigen. Soll die Übersetzung informatorischen Charakter haben, ist es folgerichtig, dass ihr anhaftende Mängel keine Auswirkungen auf den Schutzbereich des Klagepatents zeitigen. Die Begründung bemerkt, dass von der Möglichkeit des Art. 70 Abs. 3 EPÜ, im Falle einer den Schutzbereich einengenden Fassung der Übersetzung diese engere Fassung für verbindlich zu erklären, kein Gebrauch gemacht werden, es vielmehr uneingeschränkt bei der Gültigkeit der Fassung der Verfahrenssprache verbleiben soll. Eine Ausnahme davon soll lediglich Art. II § 3 Abs. 5 IntPatÜbkG machen, der denjenigen Fällen Rechnung trägt, in denen die Erfindung im Vertrauen auf eine engere Fassung der Übersetzung in Benutzung genommen worden ist. Für den Verletzungsrechtsstreit wird sodann nochmals ausdrücklich hervorgehoben, dass die Fassung des Klagepatents in der Verfahrenssprache die maßgebliche sein soll.
c) Diesem Sinn und Zweck des Art. II § 3 IntPatÜbkG entspricht es, dass eine unvollständige Übersetzung die Rechtsfolgen des Absatzes 2 nicht auslöst, jedenfalls soweit eine Übersetzung vorgelegt wird, die der Form nach eine ordnungsgemäße Veröffentlichung gestattet und, wenngleich mit Auslassungen, eine Übertragung der Patentschrift aus der Verfahrenssprache in die deutsche Sprache enthält.
Sowohl im Fall einer unvollständigen als auch im Fall einer fehlerhaften Übersetzung wird der Zweck der Norm, die interessierte Öffentlichkeit zu informieren, nicht in vollem Umfang erreicht. Sowohl im einen wie im anderen Fall kann der Patentschrift die Information über die technische Lehre des Streitpatents nicht vollständig und zweifelsfrei entnommen werden. Ob dieser Mangel auf Fehlern oder auf Auslassungen beruht, spielt dabei gemessen an Sinn und Zweck der Regelung keine entscheidende Rolle. Auslassungen beeinträchtigen grundsätzlich das Informationsinteresse auch nicht stärker als sinnentstellende Übersetzungen. Auch wenn eine Übersetzung in wesentlichen Teilen fehlerhaft ist, kann eine berichtigte Übersetzung nachgereicht werden. Dies trägt nach dem Willen des Gesetzgebers den Interessen der Beteiligten hinreichend Rechnung. Entscheidend ist dabei nicht, wie umfangreich die Fehler sind und ob sie inhaltlich für das Verständnis bedeutsam sind. Dies würde eine Prüfung im Einzelfall voraussetzen, die der Gesetzgeber nicht als maßgeblich angesehen hat. Können aber selbst inhaltlich schwerwiegende Mängel durch Einreichung einer Berichtigung geheilt werden, so kann nichts anderes für Auslassungen gelten, die ebenso wie die Fehlerhaftigkeit die Kenntnisnahme vom Inhalt der Patentschrift erschweren. Zudem lässt sich in Grenzfällen, wie bei dem Fehlen einzelner Wörter oder Halbsätze einerseits und einer grob sinnentstellenden Wiedergabe des englisch- oder französischsprachigen Textes andererseits eine klare Grenze zwischen Fehlern des Textes und Auslassungen im Text kaum ziehen.
Dem Erfordernis der Rechtssicherheit ist dadurch Rechnung getragen, dass maßgeblich die Patentansprüche in der Verfahrenssprache bleiben. Den im Einzelfall darüber hinaus bestehenden Belangen des Vertrauensschutzes für denjenigen, der auf eine fehlerhafte oder unvollständige Übersetzung vertraut und hierdurch eine fehlerhafte Vorstellung vom Gegenstand oder Schutzbereich des Patents gewonnen hat, hat der Gesetzgeber durch die Einräumung eines Weiterbenutzungsrechts Rechnung getragen. Dies stellt für den Fall einer fehlerhaften wie für den Fall einer nicht vollständigen Information über den Gegenstand des Patents gleichermaßen einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen dar.
...
DE 1/11