BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.5 vom 22. September 1997 - T 522/94 - 3.2.5
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | G. Gall |
Mitglieder: | H. P. Ostertag |
A. Burkhart |
Patentinhaber/Beschwerdeführer: TECHMO Car S.p.A.
Einsprechender/Beschwerdegegner: GLAMA Maschinenbau GmbH
Stichwort: angetriebenes Pfannentransportfahrzeug/TECHMO
Artikel: 99 EPÜ
Regel: 55 c), 56 (1) EPÜ
Schlagwort: "Zulässigkeit des Einspruchs" - "Substantiierung" - "durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht" - "Fälle von Zugänglichmachung in sonstiger Weise"
Leitsätze
I. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist in jeder Phase des Einspruchs- und des anschließenden Einspruchsbeschwerdeverfahrens von Amts wegen zu prüfen. Die Frage der Zulässigkeit kann und muß gegebenenfalls von der Kammer im Beschwerdeverfahren gestellt werden, selbst wenn sie dort erstmals aufgeworfen wird (T 289/91, ABl. EPA 1994, 649; T 28/93, Nr. 2 der Entscheidungsgründe, nicht im ABl. EPA veröffentlicht).
II. Die Zulässigkeit des Einspruchs muß anhand des Inhalts der Einspruchsschrift in der eingereichten Fassung unter Berücksichtigung etwaiger weiterer innerhalb der Einspruchsfrist eingereichter Unterlagen beurteilt werden, soweit sie die Zulässigkeit in Frage stellende Mängel beheben. Solche Mängel können nicht nach Ablauf der Einspruchsfrist beseitigt werden (R. 56 (1) EPÜ, am Ende).
III. Anhand der Angaben in der Einspruchsschrift muß sich feststellen lassen, ob der "Fall" oder "ein Stand der Technik" der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (Art. 54 (2) EPÜ) und worin er besteht.
IV. Damit ein Einspruch gemäß Regel 55 c) EPÜ begründet ist, muß aus der Einspruchsschrift hervorgehen, "was" "wann" unter welchen Umständen - insbesondere "wem" - zugänglich gemacht worden ist.
V. Hauptzweck des Zulässigkeitserfordernisses ist es, dem Patentinhaber und der Einspruchsabteilung die Möglichkeit zu geben, den behaupteten Widerrufsgrund ohne eigene Ermittlungen zu prüfen.
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein, mit der die Einspruchsabteilung das europäische Patent Nr. 211 846 widerrufen hatte, nachdem aufgrund des Artikels 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52 (1), 54 (mangelnde Neuheit) und 56 (mangelnde erfinderische Tätigkeit) gegen das Patent in vollem Umfang Einspruch eingelegt worden war.
II. Die Einsprechende begründete ihren Einspruch mit mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Art. 52 (1) in Verbindung mit den Art. 54 und 56 EPÜ) und verwies "ferner auf Unterlagen, die bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden sind", nämlich zwei Broschüren, in denen jeweils der Name Techmo erscheint:
a) "TRUCKS FOR ALUMINIUM INDUSTRY TECHMO - TAPPING TRUCK mod. 7.167" (in der angefochtenen Entscheidung Entgegenhaltung E1 genannt) und
b) "TAPPING TRUCK FOR ALUMINIUM (and molten bath)" vom Juli 1984, die auf Seite 1 folgenden Hinweis enthält:
"TAPPING TRUCK TECHMO
Techmo has designed a set of tapping trucks with maximum loads for 3.5 to 6.5 t/Al, suitable for side by side and end by end pots.
With TECHMO's tapping truck (see leaflet enclosed) following advantages can be obtained: ..." (in der angefochtenen Entscheidung Entgegenhaltung E2 genannt).
Nach Ansicht der Einsprechenden stellt der letzte Satz ("With TECHMO's tapping truck see leaflet enclosed" - E2, Zeile 24) eine eindeutige Verbindung zwischen E1 und E2 her. Beide Entgegenhaltungen würden keinen Hinweis auf eine Geheimhaltungspflicht enthalten.
III. Die Einsprechende stellte in der Einspruchsschrift außerdem folgendes fest:
Die gattungsgemäßen Merkmale des Anspruchs 1 seien aus der Druckschrift US-A-356 720 bekannt. Den Abbildungen 1 und 2 der Druckschrift US-A-399 481 sei zu entnehmen, daß die Pfanne 6 mit Pratzen versehen sei, die auf Vorsprüngen des Rahmens 30 aufruhten.
Das in E1 und E2 beschriebene Fahrzeug diene zur Handhabung einer mit einem abnehmbaren Deckel versehenen Pfanne bei der Entnahme von flüssigem Aluminium.
Die Einsprechende analysierte dann die in E1 enthaltenen Merkmale und gelangte zu folgendem Schluß: "Alle Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents sind bekannt."
Zu den Unteransprüchen heißt es in der Einspruchsschrift:
Nach Anspruch 3 des Streitpatents und der Beschreibung des Fahrzeugs in E1, Absatz 6 ist der Deckel der Pfanne integraler Bestandteil des Fahrzeugs. Nach Anspruch 4 ist bei dem bekannten Fahrzeug das Abstichrohr am Deckel befestigt und mit diesem drehbar (s. E1, Absatz 7).
IV. Abgesehen von Kopien der Entgegenhaltungen E1 und E2 wurden keinerlei Beweismittel angeführt oder eingereicht. Die Einsprechende hat dem innerhalb der Einspruchsfrist nichts hinzugefügt.
V. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung entsprach der Einspruch den Artikeln 99 und 100 EPÜ und Regel 55 EPÜ und war damit zulässig.
VI. Die Einspruchsabteilung gelangte aufgrund der Sachlage zu dem Ergebnis, daß der Anspruch 1 gegenüber der nicht datierten Broschüre E1 nicht neu sei. Aufgrund einer eidesstattlichen Versicherung Herrn Vohmanns, die im Nachgang zur Einspruchsschrift eingereicht wurde, heißt es in der angefochtenen Entscheidung, daß "ihm (= Herrn Vohmann) die Druckschrift E1 bei LGM zur Kenntnisnahme übergeben wurde, ohne daß ihm eine Geheimhaltung zur Auflage gemacht worden wäre." Der Tag und die Umstände von Herrn Vohmanns Besuch gehen daraus nicht hervor. Es bleibt dem Leser der eidesstattlichen Versicherung überlassen zu folgern, daß es sich wohl um den 6. Februar 1985 gehandelt hat.
VII. Außerdem besteht ein Widerspruch zwischen Herrn Vohmanns Schreiben vom 26. April 1989 an Herrn Lachnit von GLAMA, in dem es heißt: "Bei unserem Projektgespräch im Hause LMG konnten wir TECHMO-Unterlagen (Druckschrift und technische Beschreibung) einsehen", und der eidesstattlichen Versicherung vom 10. Juni 1991, wonach die Unterlagen "zur Kenntnisnahme übergeben" wurden. Dieser Widerspruch hätte durch eine Vernehmung Herrn Vohmanns als Zeugen (wie von der Einsprechenden vorgeschlagen) oder durch Anforderung des Berichts "42" über Herrn Vohmanns Besuch bei LMG, Essen, ausgeräumt werden können, was jedoch unterblieb.
VIII. Die Patentinhaberin wandte ein, die Zugänglichmachung der Druckschrift E1 stelle einen Mißbrauch dar, da die Sache von der Aluminium Rheinfelden Company vertraulich gehandhabt worden sei. Dies lasse sich daraus entnehmen, daß sowohl Aluminium Rheinfelden als auch LGM zur ALUSUISSE-LONZA-Gruppe gehörten. Die Weitergabe der Information an Herrn Vohmann ohne Geheimhaltungsverpflichtung stelle deshalb einen offensichtlichen Mißbrauch dar; mithin sei die Entgegenhaltung eine unschädliche Offenbarung im Sinne des Artikels 55 (1) a) EPÜ.
IX. Dieser Einwand wurde von der Einspruchsabteilung nicht akzeptiert. Ihres Erachtens gehörte die Druckschrift E1 zum Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ und war damit für den Anspruch 1 des Streitpatents neuheitsschädlich. Sie widerrief das Patent.
X. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte in ihrer Beschwerde die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung und die Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form. Sie focht die Würdigung des Beweismittels (eidesstattliche Versicherung Herrn Vohmanns) mit der Begründung an, daß a) Herr Vohmann Berater der Einsprechenden sei, b) die eidesstattliche Versicherung auf Aufforderung der Einspruchsabteilung hin abgegeben habe und c) seine Erklärung ungenau sei und in direktem Widerspruch zu den Behauptungen der Patentinhaberin stehe. Die Beschwerdeführerin reichte weitere Beweismittel zur Bekräftigung ihrer Behauptung ein, daß eine Geheimhaltungspflicht bestanden habe, deren Verletzung einen offensichtlichen Mißbrauch im Sinne des Artikels 55 (1) a) EPÜ bedeute.
XI. Die Beschwerdegegnerin bestritt die Behauptungen der Beschwerdeführerin.
XII. In einem ersten Bescheid äußerte die Kammer Zweifel an der Beweiswürdigung der Einspruchsabteilung und ihrer Wertung der Tatsache, daß keine schriftliche Geheimhaltungsverpflichtung existierte, und bezweifelte damit auch, daß eine solche Verpflichtung nicht bestanden habe. Wer zu einer Vorführung des Fahrzeugs eingeladen sei, sei sich auch dessen bewußt, daß diese einer Geheimhaltungsverpflichtung unterliege. Diese Verpflichtung erstrecke sich logischerweise auch auf das bei der Vorführung verteilte schriftliche Material.
XIII. Die Beschwerdegegnerin erklärte daraufhin, daß nach der Erinnerung des Zeugen Vohmann an der Vorführung bei Aluminium Rheinfelden am 15. November 1984 auch Herr Fletcher als künftiger leitender Direktor eines zur Alusuisse-Gruppe gehörenden Unternehmens teilgenommen hatte, in das er kurze Zeit nach der Vorführung eingetreten sei. Herr Fletcher sei offensichtlich nicht als Vertreter von LGM aufgetreten. Sie beantragte die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
XIV. In einem zweiten Bescheid konfrontierte die Kammer die Beteiligten mit der Frage nach der Zulässigkeit des Einspruchs und legte im einzelnen dar, daß die Grunderfordernisse der Regel 55 c) EPÜ nicht erfüllt zu sein schienen.
XV. Zur Frage der Zulässigkeit fand eine mündliche Verhandlung statt.
XVI. Die Beschwerdegegnerin behauptete, die Kammer habe die Einspruchsabteilung dafür gerügt, daß sie Herrn Vohmann nicht als Zeugen vernommen habe, und damit eingeräumt, daß es einen Zeugenbeweis gegeben hätte. Herr Vohmann hätte Angaben machen und alle Fragen im Zusammenhang mit den von der Einsprechenden vorgelegten Broschüren beantworten können.
Bisher sei der einzige strittige Punkt das Veröffentlichungsdatum einer der beiden Broschüren. Die Einsprechende habe klar darauf hingewiesen, daß die beiden Broschüren offenbar zusammengehörten, wie dies "auf Seite 1 der Druckschrift E1 deutlich angegeben (wenn auch nicht ganz richtig geschrieben)" sei. Aufmachung und Layout der Broschüren seien typisch für Werbematerial. Durch eine Vernehmung Herrn Vohmanns hätte zweifelsfrei bestätigt werden können, daß ihm die Broschüren E1 und E2 bei derselben Gelegenheit überreicht worden seien, nämlich anläßlich eines Angebots für die Lieferung eines Abstichwagens der in der Broschüre E1 gezeigten Art. Daß der Zeuge nicht gehört worden sei, könne nicht der Einsprechenden angelastet werden.
XVII. Der Vorsitzende stellte fest, daß in der Einspruchsschrift weder Herr Vohmann noch die Umstände der Verteilung der Druckschriften E1 und E2 erwähnt worden seien.
XVIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs.
XIX. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Befassung der Großen Beschwerdekammer mit folgender Frage:
"Genügt es zur Feststellung des Veröffentlichungstags einer Druckschrift E1, wenn in einer zweiten Druckschrift E2 mit dem Hinweis "(see leaflet enclosed)" (siehe beiliegenden Prospekt), d. h. die Druckschrift E1, auf denselben Gegenstand Bezug genommen wird?"
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Als erstes ist die Frage zu klären, ob der Einspruch zulässig war.
3. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist in jedem Stadium des Einspruchs- und des anschließenden Einspruchsbeschwerdeverfahrens von Amts wegen zu prüfen. Die Frage der Zulässigkeit kann und muß gegebenenfalls von der Kammer im Beschwerdeverfahren gestellt werden, selbst wenn sie dort erstmals aufgeworfen wird (T 289/91, ABl. EPA 1994, 649; T 28/93, Nr. 2 der Entscheidungsgründe, nicht im ABl. EPA veröffentlicht). Die Zulässigkeit muß anhand des Inhalts der Einspruchsschrift in der eingereichten Fassung unter Berücksichtigung etwaiger weiterer innerhalb der Einspruchsfrist eingereichter Unterlagen beurteilt werden, soweit sie die Zulässigkeit in Frage stellende Mängel beheben. Solche Mängel können nicht nach Ablauf der Einspruchsfrist beseitigt werden (Ende der R. 56 (1) EPÜ am Ende).
Die Bedeutung der Zulässigkeit
4. Die Kammer nimmt hiermit als obiter dictum zum nachfolgenden Verfahren Stellung, weil dies zum Verständnis des Konzepts der Zulässigkeit und seiner Auswirkung auf das Verfahren beitragen kann.
5. Der vorliegende Fall ist ein klassisches Beispiel dafür, daß man in eine Sackgasse geraten kann, wenn man bei den Verfahrenserfordernissen ein Auge zudrückt. Die Einsprechende hatte der Einspruchsabteilung gegenüber nicht genügend Tatsachen glaubhaft gemacht, als daß diese die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit hätte beurteilen können. Die Einspruchsabteilung tat ihr möglichstes, um den Sachverhalt zu ermitteln; sie erließ eine Reihe von Bescheiden und forderte schließlich bei der Einsprechenden eine eidesstattliche Versicherung an. Die daraufhin eingereichte eidesstattliche Versicherung enthielt gerade nur so viele Angaben, als nötig waren, um der Aufforderung der Einspruchsabteilung Genüge zu tun; diese hatte deshalb keine Möglichkeit, die Tatsachen in ihrem Zusammenhang zu sehen und das Beweismaterial entsprechend zu würdigen. Beide Beteiligten konzentrierten sich dann auf den Einwand der unschädlichen Offenbarung nach Artikel 55 (1) a) EPÜ, bevor noch eindeutig feststand, ob überhaupt ein neuheitsschädlicher Stand der Technik vorlag. Gegenbeweise für die Unschädlichkeit wurden von der Patentinhhaberin erst im Beschwerdeverfahren eingereicht. Es gibt noch nicht einmal eine klare Tatsachenbehauptung oder eine schlüssige Beweiswürdigung. Die "Salamitaktik" der Beteiligten ist die Hauptursache für die Verfahrensverschleppung; sie begann damit, daß der Einspruch nicht substantiiert wurde und damit im unklaren blieb, was eigentlich geklärt werden sollte, und setzte sich damit fort, daß die Beteiligten auf die Bescheide der Einspruchsabteilung nur unzureichend reagierten.
6. Außerdem wird der Zusammenhang zwischen dem Erfordernis der Substantiierung des Einspruchs und dem Inhalt der Entscheidung der Einspruchsabteilung weithin nicht erkannt. Die Substantiierung ist kein Selbstzweck, sondern soll der Einspruchsabteilung ermöglichen, ihre Entscheidung genau auf die Streitfragen abzustellen. Außerdem finden die (Mindest-)Anforderungen an die Substantiierung des Einspruchs ihr Gegenstück in den (Mindest-)Erfordernissen, die für die Begründung der Entscheidung der Einspruchsabteilung gelten. Eine Entscheidung ist nicht ausreichend begründet, wenn sie auf das "Wann, Wo und Was" nicht im einzelnen eingeht und so den Leser im unklaren darüber läßt, welcher Sachverhalt ihr zugrunde lag, auf welche Beweismittel sie sich stützte und wie diese gewürdigt wurden. Letzteres spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn von der Einspruchsabteilung eine eidesstattliche Versicherung zu Tatsachen angefordert wurde, die schon einige Jahre zurückliegen, weil es nicht richtig wäre, die Entscheidung nur auf ein Schriftstück zu stützen, ohne der Gegenpartei die Möglichkeit zu geben, das Beweismittel anzufechten.
7. Es kann nicht der legitime Zweck eines Einspruchs sein, "die Sache offenzulassen" und sich nicht in die Karten sehen zu lassen. Eine solche Vorgehensweise ist aus gutem Grund zu mißbilligen. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist ein wichtiger Aspekt bei der Prüfung auf Formerfordernisse. Eine sachliche Prüfung des Falles trotz mangelnder Zulässigkeit läßt sich nicht mit der theoretischen Überlegung rechtfertigen, "daß ein Patent nicht aufrechterhalten werden kann, wenn es offensichtlich keinen rechtlichen Bestand hat". Die Sachlage ist jedoch nicht "offensichtlich", wenn die vorliegenden Tatsachen und Beweismittel unzureichend sind. Das Erfordernis der Zulässigkeit darf nicht dadurch umgangen werden, daß der Ermittlungsgrundsatz überbeansprucht und die Beweislast vom Einsprechenden auf die Einspruchsabteilung verlagert wird. Soviel zur Verfahrensführung.
Anforderungen an die Zulässigkeit
8. Zulässig ist ein Einspruch nur, wenn er unter anderem die Erfordernisse des Artikels 99 (1) EPÜ in Verbindung mit den Regeln 56 (1) und 55 c) EPÜ, Bedingung 3 (Angabe der zur Begründung des Einspruchs vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel) erfüllt.
9. Der vorliegende Fall wirft die Frage auf, wie grundsätzlich zu verfahren ist, wenn näher untersucht werden muß, wie die Begriffe auszulegen sind, die in Artikel 54 (2) EPÜ zur Umschreibung dessen, was als Stand der Technik anzusehen ist, verwendet werden. Im allgemeinen gehören Druckschriften, die von einer Behörde wie z. B. einem Patentamt veröffentlicht werden (veröffentlichte Patentanmeldungen, Patentschriften), oder allgemein anerkannte Fachbücher, die zum Nachweis des Stands der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ angezogen werden, eindeutig zum Stand der Technik. In diesen eindeutigen Fällen gibt es keinen Zweifel darüber, was wann und wo der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.
10. Es gibt eine umfangreiche Rechtsprechung darüber, welche Bedingungen für die Zulässigkeit ein Einspruch erfüllen muß, wenn sich der Einsprechende auf eine Vorbenutzung beruft. In der Entscheidung T 328/87, ABl. EPA 1992, 701, Nr. 3.3 ff. der Entscheidungsgründe wird die in den Richtlinien für die Prüfung im EPA (in der damals gültigen Fassung Teil D, Kapitel IV, 1.2.2.1 f), jetzt Buchstabe e)) aufgestellte Regel der "drei Bedingungen" grundsätzlich bestätigt. Die Erfüllung derselben Bedingungen wird auch in den Entscheidungen T 541/92 und T 538/89, beide nicht im ABl. EPA veröffentlicht, zur Voraussetzung gemacht. Keine Entscheidung war zu den Grenzfällen zu finden, die unter den Begriff der Zugänglichmachung "in sonstiger Weise" fallen.
11. Die einschlägigen Stellen in den Richtlinien in der derzeitigen Fassung (Seiten mit dem Vermerk "Dezember 1994") lauten wie folgt:
Teil D, Kapitel IV
"1.2.2 Mängel, bei deren Nichtbehebung [Anmerkung: die nicht innerhalb der Einspruchsfrist beseitigt werden] der Einspruch als unzulässig zu verwerfen ist
...
1.2.2.1 Mängel nach Regel 56 (1)
Hierunter fallen folgende Mängel:
...
e) In der Einspruchsschrift fehlt die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Argumente.
Ein Einspruch ist nur dann ausreichend begründet, wenn wenigstens zu einem der genannten Einspruchsgründe Tatsachen, Beweismittel und Argumente angeführt sind, die einen Tatbestand ergeben, der nach den Bestimmungen des EPÜ ein Patenthindernis sein kann. Die technischen Zusammenhänge und die daraus von dem Einsprechenden gezogenen Folgerungen sind darzulegen. Die Begründung ist so abzufassen, daß der Patentinhaber und die Einspruchsabteilung den behaupteten Widerrufsgrund ohne eigene Ermittlungen abschließend prüfen können. Behauptungen ohne nähere Begründung genügen diesem Erfordernis nicht. Auch die bloße Nennung von Druckschriften reicht hierzu in aller Regel nicht aus. Sofern ein Dokument nicht sehr kurz ist, hat der Einsprechende die Stellen anzugeben, auf die er sich stützt. Im Falle der Geltendmachung einer Benutzung oder einer mündlichen Beschreibung als Stand der Technik sind Angaben zu den Tatsachen, Beweismitteln und Argumenten zu machen, die der Einspruchsabteilung die Feststellungen gemäß V, 3.1.2 bzw. 3.2.3 erlauben.
...
Mit der Angabe der Gründe sowie der Tatsachen, Beweismittel und Argumente, die sie stützen, sind die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Einspruchs erfüllt. Die Beweismittel selbst können auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgelegt werden. ..."
[Einige Textstellen sind durch Kursivschrift hervorgehoben.]
Die Richtlinien D-V, 3.1.2 und 3.2.3 beziehen sich auf die sachliche Prüfung des Einspruchs. Diese Punkte werden in Kapitel D-IV ((Einspruchs-)Verfahren bis zur materiellrechtlichen Prüfung) unter Nr. 1.2.2.1 e), S. 13 oben, im Zusammenhang mit dem Ziel und Zweck des Erfordernisses genannt, wonach als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einspruchs die Tatsachen, Beweismittel und Argumente anzugeben sind, damit die (Prüfungs- oder) Einspruchsabteilung den behaupteten Widerrufsgrund "ohne eigene Ermittlungen" prüfen kann. Die Nummern 3.1.2 "Feststellungen der Einspruchsabteilung über die Benutzung" und 3.2.3 "Feststellungen der Einspruchsabteilung bei mündlicher Beschreibung" beziehen sich nicht auf die Bedingungen der Zulässigkeit des Einspruchs als solche; vielmehr stellt die Möglichkeit, diese Tatfragen ohne eigene Ermittlungen festzustellen, eine unverzichtbare Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einspruchs dar. Damit die einschlägigen Vorschriften der Richtlinien im Gesamtzusammenhang richtig verstanden werden können, sind sie nachstehend im vollen Wortlaut wiedergegeben:
Richtlinien D-V, 3:
"3. Mangelnde Patentfähigkeit nach den Artikeln 52 bis 57
Im Einspruchsverfahren gelten bezüglich der Patentfähigkeit nach den Artikeln 52 bis 57 die gleichen materiellen Erfordernisse wie im Prüfungsverfahren. ... Im Einspruchsverfahren wird jedoch der Prüfung auf Patentfähigkeit häufiger als im Prüfungsverfahren ein Stand der Technik zugrunde liegen, der der Öffentlichkeit nicht durch schriftliche Beschreibung, sondern "durch mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise" (vgl. Art. 54 (2)) zugänglich ist. ...
3.1 Stand der Technik, der der Öffentlichkeit "durch Benutzung oder in sonstiger Weise" zugänglich gemacht worden ist
3.1.1 Benutzungshandlungen und Fälle von Zugänglichmachung in sonstiger Weise
Benutzungshandlungen können darin bestehen, daß ein Erzeugnis hergestellt, angeboten, in Verkehr gebracht oder gebraucht wird oder daß ein Verfahren oder seine Verwendung angeboten oder in Verkehr gebracht oder das Verfahren angewendet wird. Das Inverkehrbringen kann z. B. durch Verkauf oder Tausch erfolgen.
Der Stand der Technik kann der Öffentlichkeit auch in sonstiger Weise zugänglich gemacht werden, z. B. durch Vorführung eines Gegenstandes oder Verfahrens im Fachunterricht oder im Fernsehen.
Unter das Zugänglichmachen in sonstiger Weise fallen alle sonst im Zuge der technischen Weiterentwicklung zukünftig zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Zugänglichmachung eines Standes der Technik.
3.1.2 Feststellungen der Einspruchsabteilung über die Benutzung
Bei Geltendmachung einer Benutzung als Stand der Technik ist seitens der Einspruchsabteilung im einzelnen festzustellen:
a) wann die geltend gemachte Benutzung stattfand, d. h. ob überhaupt eine Benutzung vor dem maßgeblichen Zeitpunkt (Vorbenutzung) vorliegt,
b) was benutzt worden ist, um die Wesensgleichheit des benutzten Gegenstandes mit dem Gegenstand des Patents prüfen zu können, und
c) alle die Benutzung betreffenden Umstände, durch welche die Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich wurde, z. B. der Ort und die Art der Benutzungshandlung; diese sind dabei insofern von Bedeutung, als daraus, z. B. aus der Besichtigung eines Fertigungsprozesses in einer Fabrik oder der Lieferung und dem Verkauf eines Erzeugnisses, Aufschluß über die Möglichkeit der Zugänglichkeit seitens der Öffentlichkeit gewonnen werden kann. ...
3.2.1 Fälle der mündlichen Beschreibung
Ein Stand der Technik wird der Öffentlichkeit durch mündliche Beschreibung zugänglich, wenn Mitgliedern der Öffentlichkeit Sachverhalte durch das direkte Gespräch, einen Vortrag, durch Rundfunk- oder Fernsehsendungen oder mit Hilfe von Tonträgern (Tonbändern und Schallplatten) bedingungslos zur Kenntnis gebracht werden.
3.2.2 Unschädliche mündliche Beschreibung
...
3.2.3 Feststellungen der Einspruchsabteilung bei mündlicher Beschreibung
Auch hier wird im einzelnen festzustellen sein,
a) wann die mündliche Beschreibung stattfand,
b) was mündlich beschrieben wurde,
c) ob die mündliche Beschreibung der Öffentlichkeit zugänglich wurde; letzteres wird auch von der Art und Weise der mündlichen Beschreibung (Gespräch, Vortrag) und auch vom Ort der mündlichen Beschreibung (öffentliche Tagung, Fabrikhalle; vgl. auch V, 3.1.2 c)) abhängen."
12. In der Entscheidung T 328/87 werden im Grunde die Richtlinien D-IV, 1.2.2.1 e) Absatz 1 mit D-V, 3.1.2 kombiniert, und es wird durch Auslegung der Regel 55 c) EPÜ, Bedingung 3 (Angabe der Tatsachen und Beweismittel) im Fall der Vorbenutzung ein Test eingeführt, bei dem es um drei Erfordernisse für die Zulässigkeit des Einspruchs geht. Wird gemäß Artikel 54 (2) EPÜ eine Vorbenutzung geltend gemacht, so muß die Angabe der Tatsachen und Beweismittel folgende Bedingungen erfüllen (T 328/87, Entscheidungsgründe Nr. 3.3, im Wortlaut leicht verändert):
Der Einspruchsabteilung (und dem Inhaber des Streitpatents) müssen die Tatsachen und Beweismittel vorgelegt werden, anhand deren sie folgendes ermitteln kann:
a) das Datum der Benutzung, was auf die Frage hinausläuft, ob vor dem maßgeblichen Zeitpunkt eine Benutzung erfolgt ist (Vorbenutzung),
b) den Gegenstand der Benutzung, damit die Wesensgleichheit des benutzten Gegenstands mit dem Gegenstand des europäischen Patents geprüft werden kann,
c) alle Umstände der Benutzung, durch die diese der Öffentlichkeit zugänglich wurde, z. B. Ort und Art der Benutzung. Diese sind dabei insofern von Bedeutung, als daraus, z. B. aus der Besichtigung eines Fertigungsprozesses in einer Fabrik oder der Lieferung und dem Verkauf eines Erzeugnisses, Aufschluß über die Möglichkeit der Zugänglichkeit seitens der Öffentlichkeit gewonnen werden kann.
13. Die Richtlinien dienen der Erfassung von normalen Fällen und sollten deshalb nur als allgemeine Anleitung für die Erfordernisse und das Verfahren gelten, die bei den verschiedenen Aspekten der Prüfung europäischer Anmeldungen und Patente nach dem Europäischen Patentübereinkommen (und dessen Ausführungsordnung) anzuwenden ist. Sie sind für das Personal des EPA bestimmt, insbesondere für die Prüfer, die als Mitglieder einer Prüfungsabteilung (Artikel 18 EPÜ) oder einer Einspruchsabteilung (Artikel 19 EPÜ) tätig sind (vgl. Allgemeine Einleitung zu den Richtlinien, Nr. 1.2).
14. Für die Mitglieder der Beschwerdekammern sind sie nicht verbindlich (Artikel 23 (3) EPÜ). Die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern wird gemäß Artikel 23 (4) EPÜ erlassen. Wenn die Kammer in einer Entscheidung das Übereinkommen anders auslegt, als es in den Richtlinien vorgesehen ist, so begründet sie dies gemäß Artikel 15 (2) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, wenn ihrer Meinung nach diese Begründung zum Verständnis der Entscheidung beitragen kann. Diese Bestimmung beruht auf dem allgemeinen Grundsatz, daß die Beschwerdekammern als zweite Instanz die Richtlinien heranziehen können, weil diese als allgemeine Anleitung die Auslegung des EPÜ durch die erste Instanz maßgeblich beeinflussen. Eine solche Begründung kann eine Änderung der Richtlinien durch die nach Artikel 10 (2) und (3) EPÜ zuständige Stelle auslösen. Die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt sind, wie in der Allgemeinen Einleitung zu Recht betont wird, keine Rechtsvorschriften; maßgebend für die Arbeit im EPA ist letztlich in erster Linie das EPÜ sowie an zweiter Stelle die Auslegung des Übereinkommens durch die Beschwerdekammern und die Große Beschwerdekammer. Dies tut jedoch der Bedeutung der Richtlinien als allgemeine Anleitung für die erste Instanz keinen Abbruch; ihr Zweck besteht darin, die erstinstanzliche Praxis auf der Grundlage des EPÜ und seiner Auslegung durch die Kammern und die Große Kammer zu harmonisieren und - im Wege der Veröffentlichung der Richtlinien - der Öffentlichkeit bekanntzumachen.
15. Im vorliegenden Fall sind keinerlei Einwände gegen die allgemeine Auffassung erhoben worden, die in den Richtlinien bezüglich der Bedingungen für die Zulässigkeit von Einsprüchen vertreten wird, wenn eine Vorbenutzung oder eine Zugänglichmachung "in sonstiger Weise" (R. 55 c) EPÜ, Bedingung 3) geltend gemacht wird. Sie ist auch in den Kommentaren zum EPÜ und in der einschlägigen juristischen Fachliteratur auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes nicht angefochten, sondern vielmehr durch die Rechtsprechung der Kammern bestätigt worden (s. Bericht über die Rechtsprechung bis 1996, S. 325 und 326, insbesondere die bereits angeführte Entscheidung T 328/87).
16. Es ist sorgfältig zu unterscheiden zwischen den verschiedenen Formen des Stands der Technik. Handelt es sich um ein amtliches Dokument, z. B. eine von einem Patentamt herausgegebene Schrift, so gibt es hinsichtlich des "Wer", "Wann" und "Was" keine Zweifel. In bestimmten Fällen kann jedoch eine eingehendere Untersuchung vonnöten sein. Gemäß Artikel 54 (2) EPÜ bildet den Stand der Technik "alles", was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. In dem Bestreben, den Stand der Technik möglichst weit zu fassen, hat der "Gesetzgeber" jeden konkreten Begriff vermieden, der als unerwünschte Beschränkung aufgefaßt werden könnte. So entstand - wenigstens aus sprachlicher Sicht - ein Vakuum. Es wäre bisweilen nützlich, wenn man das Indefinitpronomen "alles" mit einem Substantiv umschreiben könnte, um eine Aussage über den Stand der Technik verständlicher zu machen. In den Richtlinien werden zur Bezeichnung dessen, was unter den Begriff "alles" fällt, die Ausdrücke "Fall" und "ein Stand der Technik" (D-V, 3.1.1, Überschrift und letzter Absatz) verwendet.
17. "Alles" bezieht sich auf den Stand der Technik und bedeutet deshalb, daß ein bestimmter Sachverhalt für den Stand der Technik im eigentlichen Sinn relevant sein muß, um als Stand der Technik zu gelten. Es ist eine Information, die sich an den Fachmann richtet und von diesem entsprechend den jeweiligen Umständen ausgelegt wird. Sie muß sich auf das allgemeine Fachwissen und die Einspruchsgründe beziehen und ist anhand des Vorbringens des Einsprechenden zu beurteilen. Die Information braucht nicht im Zusammenhang mit einem Anspruchsmerkmal zu stehen, sondern kann sich auf Umstände beziehen, die als solche für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevant sein könnten. So wie eine in einem Patentdokument enthaltene Information über die Wirkung einer technischen Maßnahme oder eine darin geäußerte Meinung neuheitsschädlich sein kann, können auch diese "in anderer Weise" zugänglich gemachten Aspekte als Stand der Technik gelten.
18. Die offene Aufzählung dessen, was nach Artikel 54 (2) EPÜ den Stand der Technik bildet, ist keine Hilfe bei der Suche nach einem Oberbegriff für das "durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise" zugänglich Gemachte. In den Richtlinien wird in der Überschrift zur Nummer D-V, 3.1.1 in Ermangelung eines Substantivs, durch das sich "in sonstiger Weise" ersetzen ließe, das Wort "Fälle" verwendet, das sich bequem auf jedweden Stand der Technik anwenden läßt.
19. Es empfiehlt sich, auf eine Liste von Punkten (Kriterien) zurückzugreifen, um festzustellen, ob "ein Stand der Technik", d. h. ein konkreter Sachverhalt, vom Einsprechenden geltend gemacht worden ist. Eine solche Liste ist natürlich nicht immer und überall anwendbar, sollte aber auch etwas kompliziertere Fälle abdecken.
20. Punkt a
Wie aus dem Vorstehenden folgt, muß der Einsprechende unter dem Kriterium "Was" zunächst angeben, welcher Informationsträger benutzt wurde (Schriftstück, benutzter Gegenstand, Gespräch, Vortrag, Angebot im Internet usw.), damit festgestellt werden kann, um welchen "Fall" von Zugänglichmachung es sich handelt.
21. Punkt b
Des weiteren muß er angeben, welche Informationen - seiner Meinung nach - dem behaupteten Stand der Technik entnommen werden konnten. Hier muß der Einsprechende den Informationsgehalt, also den erkennbaren Tatbestand in seinem Zusammenhang, objektiv beschreiben. Im Fall einer Vorbenutzung eines Gegenstands wäre dies die Angabe der erkennbaren Merkmale und Eigenschaften, bei einem Schriftstück hingegen dessen Text.
22. Punkt c
Ein weiteres Kriterium im Zusammenhang mit dem "Was" ist die Aufzählung der Merkmale in derart abstrahierter Form, daß eine etwaige Wesensgleichheit oder -ähnlichkeit des behaupteten Stands der Technik (z. B. benutzter Gegenstand, Inhalt eines Gesprächs, Vortrags usw.) mit dem Gegenstand des Streitpatents festgestellt werden kann. Im Falle eines Schriftstücks entspräche dies der Wiedergabe der einschlägigen Passagen und Merkmale, dem Zitieren konkreter Textstellen aus dem Dokument (s. T 279/88, Entscheidungsgründe Nr. 2, nicht im ABl. EPA veröffentlicht). Diese bilden den grundlegenden Tatbestand.
23. Punkt d
Der grundlegende Tatbestand muß dann mit den Merkmalen des Streitpatents verglichen werden, wobei noch andere Aspekte berücksichtigt werden, die für eine umfassende Darlegung des Sachverhalts erforderlich sind, der - nach Ansicht des Einsprechenden - die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit des Streitpatents in Frage stellt.
24. Punkt e
Das "Wo" umfaßt alles, was sich darauf bezieht, wo der behauptete Stand der Technik zutage getreten ist, sowie die Umstände, anhand deren festgestellt werden kann, ob die oben erwähnten Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, einschließlich der Feststellung, wer in dem jeweiligen Fall die Öffentlichkeit darstellte und daß keine ausdrückliche oder stillschweigende Geheimhaltungsverpflichtung bestand.
25. Punkt f
Das "Wann" ist eng verknüpft mit dem "Wo" und sollte es ermöglichen, daß dem konkreten Stand der Technik ein Erscheinungsdatum oder -zeitraum zugeordnet werden kann.
26. Alle diese Punkte müssen aus der Einspruchsschrift hervorgehen. Ihre Angabe ist kein Selbstzweck. Die Erfordernisse der Regel 55 c) sollen vielmehr für Rechtssicherheit sorgen und den Patentinhaber in die Lage versetzen, seine Sache angemessen zu verteidigen.
Mangelnde Substantiierung im vorliegenden Fall
27. Im vorliegenden Fall zog die Einsprechende zwei Broschüren (Prospekte, in denen der Firmenname Techmo erscheint) an, ohne irgendwelche Tatsachen oder Beweismittel dafür vorzubringen, ob sie überhaupt veröffentlicht worden sind und wem sie wann und wo gezeigt oder übergeben wurden. Auch wurde nicht dargelegt, weshalb mit dem Hinweis in E2 auf einen Abstichwagen ("see leafted enclosed" - was wohl "leaflet" heißen sollte) das in E1 beschriebene Modell 7.167 gemeint sein sollte. Alle diese Angaben fehlten; ebensowenig wurden Beweismittel vorgelegt oder angeboten. Die Broschüren wurden ganz so behandelt, als stünden die Hauptkriterien des "Was", "Wo" und "Wann" unbestreitbar und unbestritten fest und als seien sie ersichtlich an einem bestimmten Tag und Ort von einer amtlichen Stelle wie z. B. einem Patentamt veröffentlicht worden. Es wurde noch nicht einmal erwähnt, ob und - wenn ja - unter welchen Umständen die Broschüren an die Öffentlichkeit verteilt oder ihr sonstwie zugänglich gemacht worden waren. Sie wurden einfach als Schriftstücke bezeichnet, die keine Geheimhaltungsklausel enthielten und "so aufgemacht [waren], daß sie für die Verteilung an einen nicht begrenzten Kundenkreis geeignet" waren. Damit wurde der Begriff der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit, der nur in einem bestimmten Zusammenhang gebraucht wird, nämlich dann, wenn ein Dokument in einer öffentlichen Bibliothek ausgelegt und damit der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Einsichtnahme gegeben wird, mit einer ganz anderen Situation in Verbindung gebracht, nämlich dem hypothetischen Fall, daß die Schriftstücke "möglicherweise" an die Öffentlichkeit verteilt und ihr damit zugänglich gemacht worden sind. Da Tatsachen oder Beweismittel fehlen, die belegen könnten, daß die Broschüren tatsächlich bestimmten Mitgliedern der Öffentlichkeit an einem bestimmten Tag und Ort zugänglich gemacht wurden, kann noch nicht einmal von einer Behauptung bezüglich eines Stands der Technik die Rede sein. Die beiden Broschüren wurden schlichtweg so präsentiert, als handle es sich um von einer Behörde, etwa einem Patentamt, herausgegebene Patentdokumente.
28. Anhand der Angaben in der Einspruchsschrift ist es nicht einmal möglich, die Broschüren gemäß Artikel 54 (2) EPÜ als Druckschriften, die einem oder mehreren Mitgliedern der Öffentlichkeit vorgelegt wurden und damit in deren Besitz gelangt sind, oder als ein Stand der Technik einzuordnen, der der Öffentlichkeit "in sonstiger Weise" zugänglich gemacht worden ist, z. B. dadurch, daß ein Mitglied der Öffentlichkeit die Broschüren durchlesen konnte und dann an den Aushändiger zurückgab. Im letzteren Fall wäre nicht das Schriftstück, sondern die Kenntnis, die der Leser unter den hier gegebenen Umständen davon erlangt hat, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Das kann - je nach Inhalt des betreffenden Stands der Technik - unter Umständen einen großen Unterschied bedeuten. Ein Schriftstück, das sich im Besitz der Öffentlichkeit befindet, kann gründlich geprüft werden, da die Möglichkeit besteht, es immer wieder zu lesen. Im anderen Fall hingegen bestimmt sich der Inhalt des Stands der Technik danach, was der Leser nach einmaliger Durchsicht im Gedächtnis behalten hat, was wiederum von den gegebenen Umständen abhängt (Zeitdruck, äußere Ablenkungen usw.).
29. Die Druckschrift E1, die die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit in Frage stellen soll, trägt kein Datum. Sie bezieht sich auf einen Abstichwagen "mod. 7.167". Die zweite Broschüre, die vom Juli 1984 datiert ist, spricht lediglich von einem "tapping truck Techmo" und läßt offen, ob es sich dabei um dasselbe Modell wie in E1 handelt. Weitere Behauptungen wurden nicht vorgebracht, und es wurden auch keine Beweise angeboten. Nähere Angaben über die Art der Verteilung der Schriftstücke und der Name eines Zeugen wurden erst später nachgeliefert.
30. Der Einspruch entspricht daher nicht den Erfordernissen des Artikels 99 (1) EPÜ in Verbindung mit den Regeln 56 (1) und 55 c) EPÜ, da er hinsichtlich der Tatsachen und Beweismittel nicht ausreichend substantiiert ist. Anhand des Inhalts der Einspruchsschrift war es weder dem Patentinhaber noch der Einspruchsabteilung möglich, den behaupteten Widerrufsgrund ohne eigene Ermittlungen zu prüfen. Der Einspruch ist daher unzulässig.
31. Bei der Frage, die auf Antrag der Beschwerdegegnerin der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden sollte (s. Nr. XIX), handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage im Sinne des Artikels 112 (1) a) EPÜ, sondern um eine reine Tatfrage. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.
32. In Ausübung des ihr nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ eingeräumten Ermessens entscheidet die Kammer selbst über die Zulässigkeit des Einspruchs. Eine Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz zur Klärung der Zulässigkeit erscheint hier nicht angebracht, weil die Entscheidung auf der Grundlage der Einspruchsschrift in der eingereichten Fassung unter Berücksichtigung aller innerhalb der Einspruchsfrist eingereichten Berichtigungen und Ergänzungen (R. 56 (1) letzter Satzteil EPÜ, hier gab es allerdings keine Änderungen) getroffen werden muß. Wenn die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen würde, so könnte diese nur der Auslegung der Kammer folgen; eine Zurückverweisung wäre daher nicht sinnvoll.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.