BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.1 vom 8. August 1996 - T 556/95 - 3.5.1
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | P. K. J. van den Berg |
Mitglieder: | G. Davies |
R. Randes |
Anmelder: SECURITY TECHNOLOGY CORPORATION
Stichwort: Systeme mit unbestreitbarer Unterschrift/CHAUM
Artikel: 97 (1), (2), 113 (1), (2), 116 (1), (2), 123 (1) EPÜ
Regel: 51 (4), (6), 67, 86 (3) EPÜ
Schlagwort: "Antrag auf mündliche Verhandlung nach Einreichung von Änderungen im Anschluß an eine Mitteilung gemäß Regel 51 (6) abgelehnt - Verfahrensmangel" - "Entscheidung auf neue Begründung gestützt - Verfahrensmangel" - "Rückzahlung der Beschwerdegebühr"
Leitsatz
Die in Artikel 123 (1) EPÜ in Verbindung mit Regel 86 (3) EPÜ festgelegten Voraussetzungen für eine Änderung einer Anmeldung gelten so lange, wie die Prüfungsabteilung für die Anmeldung zuständig ist - also auch nach Erlaß einer Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ -, d. h. bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beschluß über die Zurückweisung der Anmeldung bzw. die Erteilung des Patents getroffen worden ist (vgl. G 7/93).
Das Recht auf Anhörung in einer mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ besteht so lange, wie das Verfahren vor dem EPA anhängig ist, und einem Antrag auf mündliche Verhandlung muß stattgegeben werden (d. h. es muß eine mündliche Verhandlung anberaumt werden), bevor der Antrag eines Verfahrensbeteiligten (zu Verfahrens- oder materiellrechtlichen Fragen) abgelehnt wird und dieser damit einen Rechtsverlust erleidet. Dies gilt auch bei einem Antrag auf mündliche Verhandlung, in der über Änderungen beraten werden soll, die nach Erlaß einer Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ eingereicht worden sind. Unter solchen Umständen ist das Ermessen der Prüfungsabteilung nach Regel 86 (3) EPÜ im Hinblick auf Artikel 116 (1) EPÜ auszuüben. Die Große Beschwerdekammer ist nicht berechtigt, die Anwendung des Artikels 116 (1) EPÜ durch Empfehlungen dazu einzuschränken, wie eine Prüfungsabteilung ihr Ermessen nach Regel 86 (3) EPÜ ausüben sollte.
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 88 202 620.6 (Veröffentlichungsnr. 0 318 097) wurde am 22. November 1988 eingereicht, wobei als Prioritätstag der 23. November 1987 beansprucht wurde.
II. Nachdem der Anmelder am 19. März 1993 auf Einwände der Prüfungsabteilung hin Änderungen und Argumente eingereicht hatte, erging am 16. Juli 1993 eine Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ. Der Anmelder erklärte sich - bis auf einige geringfügige Berichtigungen der Beschreibung, die auf seinen Antrag hin von der Prüfungsabteilung zugelassen wurden - mit der vorgeschlagenen Fassung einverstanden. Daraufhin wurde am 14. Februar 1994 eine Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ abgesandt.
III. In einem am 24. Mai 1994 im EPA eingegangenen Telefax beantragte der Anmelder Änderungen der Patentansprüche, da er zu dem Schluß gekommen sei, daß die unabhängigen Patentansprüche einige "unnötige Beschränkungen" enthielten. Dieses Vorbringen (Hauptantrag) enthielt vorsorglich auch Anträge dahingehend, daß die Prüfungsabteilung (1) einen Beschluß über die Zulässigkeit der Änderungen bis zur Bekanntgabe der Entscheidung G 7/93 (fälschlicherweise als G 6/93 bezeichnet) zurückstellen und (2) eine mündliche Verhandlung anberaumen möge. In einem Hilfsantrag wurde die Erteilung auf der Grundlage der bereits gebilligten Fassung beantragt. Für alle Fälle wurde eine beschwerdefähige Entscheidung über den Hauptantrag beantragt.
Mit Mitteilung vom 18. Juli 1994 wurden die vorgeschlagenen Änderungen unter Verwendung des Formblatts 2093 zurückgewiesen; als Grund für die Zurückweisung gab die Prüfungsabteilung an, daß der Anmelder "an sein Einverständnis gebunden sei". Es wurde eine Frist gesetzt, innerhalb derer der Anmelder die Erteilung auf der Grundlage der bereits gebilligten Unterlagen beantragen könne.
In einem weiteren Telefax, das am 28. November 1994 einging, hielt der Anmelder seinen Änderungsantrag aufrecht und verwies auf die kurz zuvor veröffentlichte Entscheidung G 7/93 (vom 13. Mai 1994, ABl. EPA 1994, 775); er brachte vor, daß die beantragten Änderungen geringfügig seien und keine Wiederaufnahme der Sachprüfung erforderten. Erneut wurde eine mündliche Verhandlung für den Fall beantragt, daß die Prüfungsabteilung die beantragten Änderungen zurückzuweisen beabsichtige. Der Antrag auf eine beschwerdefähige Entscheidung über den Hauptantrag wurde erneuert, und der Hilfsantrag wurde ebenfalls aufrechterhalten.
IV. Am 10. Februar 1995 wurde die Entscheidung erlassen, die Anmeldung sei mit der Begründung zurückzuweisen, daß keine Fassung vorliege, in der ein Patent erteilt werden könne (Art. 113 (2) EPÜ), da die Prüfungsabteilung die beantragten Änderungen nach Regel 86 (3) EPÜ zurückgewiesen habe. Die Zurückweisung der Änderungen wurde damit begründet, daß "es nicht möglich sei, innerhalb eines angemessenen Zeitraums festzustellen, ob die geänderten Patentansprüche den Erfordernissen des EPÜ genügen, insbesondere weil die Änderungen zu einer erheblichen Erweiterung des Umfangs der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 führen würden, die zum Zeitpunkt der Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ gültig waren". In der Entscheidung wurde weder der Antrag auf mündliche Verhandlung noch der Hilfsantrag erwähnt.
V. Am 20. April 1995 wurde Beschwerde eingereicht und die entsprechende Gebühr entrichtet; am 20. Juni 1995 wurde die Beschwerdebegründung eingereicht. Der Hauptantrag des Beschwerdeführers lautete, daß die Beschwerdekammer die Entscheidung aufheben und die Anmeldung an die Prüfungsabteilung zurückverweisen solle, damit der Anmelder die Möglichkeit erhalte, in einer mündlichen Verhandlung gehört zu werden. Des weiteren wurde nach Regel 67 EPÜ die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Außerdem wurde eine Reihe von Hilfsanträgen eingereicht, falls dem Hauptantrag nicht entsprochen werden sollte; diese sind in Anbetracht der nachstehenden Entscheidung der Beschwerdekammer allerdings nicht sachdienlich.
VI. Der Beschwerdeführer brachte vor, daß die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die vorgeschlagenen Änderungen ohne vorherige Durchführung der unter bestimmten Bedingungen beantragten mündlichen Verhandlung zurückzuweisen, mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet sei. Damit sei ihm die Möglichkeit vorenthalten worden, in einer mündlichen Verhandlung zu erklären, warum die vorgeschlagenen Änderungen nur geringfügiger Art seien und entgegen der in der Entscheidung geäußerten Meinung nicht zu einer erheblichen Erweiterung des Umfangs der Patentansprüche führen würden.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2.1 In der vorstehend genannten Entscheidung G 7/93 wurde der Grundsatz aufgestellt, daß die in Artikel 123 (1) EPÜ in Verbindung mit Regel 86 (3) EPÜ festgelegten Voraussetzungen für die Änderung einer Anmeldung so lange gelten, wie die Prüfungsabteilung für die Anmeldung zuständig ist, also bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Zurückweisung der Anmeldung nach Artikel 97 (1) EPÜ bzw. die Erteilung des europäischen Patents nach Artikel 97 (2) EPÜ beschließt. Gemäß dieser Entscheidung gelten die Voraussetzungen für eine Änderung auch nach Erlaß einer Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ. "Somit kann die Prüfungsabteilung kraft ihrer rechtlichen Befugnisse auch nach Erhalt der Einverständniserklärung des Anmelders mit der nach Regel 51 (4) EPÜ mitgeteilten Fassung und auch noch nach Erlaß der Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ nach eigenem Ermessen über die Zulassung einer Änderung der Anmeldung befinden, solange noch kein Erteilungsbeschluß ergangen ist." (Siehe G 7/93, Nr. 2.1 der Entscheidungsgründe.)
2.2 Die Prüfungsabteilung kann eine solche Änderung auf Antrag des Anmelders oder von sich aus vornehmen.
3. Somit ist klar, daß im vorliegenden Fall das Verfahren immer noch vor der Prüfungsabteilung anhängig war und der Anmelder das Recht hatte, eine Änderung zu beantragen. Da der Antrag mit einem Antrag auf mündliche Verhandlung verbunden war, muß die Kammer nun darüber entscheiden, ob die Prüfungsabteilung berechtigt war, die Zurückweisung der Änderungen gemäß Regel 86 (3) zu beschließen, ohne zuvor eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
4.1 Das Recht auf mündliche Verhandlung ist in den Allgemeinen Vorschriften für das Verfahren vor dem EPA verankert (Siebenter Teil, Kapitel I, Artikel 116 (1) EPÜ). In Artikel 116 (1) EPÜ wird der Grundsatz aufgestellt, daß eine mündliche Verhandlung entweder auf Antrag eines Beteiligten oder, sofern das Europäische Patentamt dies für sachdienlich erachtet, von Amts wegen stattfindet. Die einzigen in Artikel 116 (1) und (2) EPÜ genannten Bedingungen, unter denen es in das Ermessen des Europäischen Patentamts gestellt ist, einen Antrag auf mündliche Verhandlung abzulehnen, beziehen sich auf Umstände, die im vorliegenden Fall eindeutig nicht zutreffen.
4.2 Das Recht auf mündliche Verhandlung im Prüfungs-, Einspruchs- und Beschwerdeverfahren stellt somit ein überaus wichtiges Verfahrensrecht dar, dessen Gewährung das EPA mit allen angemessenen Maßnahmen sicherstellen muß (T 19/87, ABl. EPA 1988, 268, T 663/90 vom 13. August 1991 und T 808/94 vom 26. Januar 1995 (beide unveröffentlicht)). Wenn ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wurde, dann müssen solche Verfahren grundsätzlich anberaumt werden. Diese Vorschrift ist zwingend und läßt keinen Ermessensspielraum (T 283/88 vom 7. September 1988 (unveröffentlicht)). Das betreffende Organ darf dann keine Entscheidung, die gegen die antragstellende Partei gerichtet ist, ohne vorherige Anberaumung einer mündlichen Verhandlung erlassen (vgl. "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 1996, 219 ff.).
4.3 Auf die vorrangige Bedeutung des Rechts auf mündliche Verhandlung wird in dem folgenden Absatz aus "Singer: The European Patent Convention - Revised English Edition by Raph Lunzer" (1995, 116.02, S. 613) eindeutig hingewiesen:
"Aus der Fassung in allen drei Amtssprachen ergibt sich klar, daß das EPA, falls ein Beteiligter eine mündliche Verhandlung beantragt, nicht zu prüfen hat, ob die Verhandlung sachdienlich ist. Ein Beteiligter hat ein uneingeschränktes Recht auf Anhörung und muß einen Antrag auf mündliche Verhandlung nicht begründen. Gemäß der Entscheidung T 598/88 vom 7. August 1989 (unveröffentlicht) ... 'handelt es sich bei Artikel 116 (1) Satz 1 um eine zwingende Vorschrift des EPÜ, dergegenüber Erwägungen hinsichtlich zügiger Verfahrensführung, Verfahrensökonomie oder selbst Billigkeit nicht durchgreifen können. Zu fragen ist allein, ob vor dem Datum der Entscheidung ein gültiger Antrag auf mündliche Verhandlung vorlag.' Wenn die erste Instanz trotz Vorliegens eines solchen Antrags eine Entscheidung erlassen hat, so ist diese aufzuheben und die Angelegenheit zurückzuverweisen. Selbst wenn der Antrag offensichtlich den Versuch einer Verfahrensverzögerung darstellt, kann das Recht auf mündliche Verhandlung nicht verweigert werden."
4.4 Dieses Recht auf Anhörung in einer mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ besteht so lange, wie das Verfahren vor dem EPA anhängig ist, und einem Antrag auf mündliche Verhandlung muß stattgegeben werden (d. h. es muß eine mündliche Verhandlung anberaumt werden), bevor der Antrag eines Verfahrensbeteiligten (zu Verfahrens- oder materiellrechtlichen Fragen) abgelehnt wird und dieser damit einen Rechtsverlust erleidet.
5.1 Des weiteren stellt sich die Frage, ob durch die in der Entscheidung G 7/93 der Großen Beschwerdekammer ausgesprochene Empfehlung an die Prüfungsabteilung, wie diese ihr Ermessen nach Regel 86 (3) EPÜ ausüben und Änderungen nach Erlaß einer Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ zulassen solle, das Recht auf mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ unter allen Umständen aufgehoben oder eingeschränkt werden kann.
5.2 In ihren Entscheidungsgründen sprach die Große Beschwerdekammer einige Empfehlungen aus, wie die Prüfungsabteilung ihr Ermessen ausüben solle. So müsse sich dies nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls und danach richten, in welchem Stadium des Erteilungsverfahrens sich die Anmeldung befinde (Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe). Ein nach Erlaß einer Mitteilung nach Regel 51 (6) EPÜ eingegangener Änderungsantrag sollte anders beurteilt werden als ein ähnlicher Antrag, der in einem wesentlich früheren Stadium des gesamten Prüfungsverfahrens ... eingehe (Nr. 2.3 der Entscheidungsgründe). Die Prüfungsabteilung müsse allen im jeweiligen Fall rechtserheblichen Faktoren Rechnung tragen und das Interesse des Anmelders an einem Patent und das seitens des EPA bestehende Interesse, das Prüfungsverfahren zum Abschluß zu bringen, gegeneinander abwägen. Die Große Beschwerdekammer nannte auch einige Beispiele, wann Änderungen zulässig sein können, und stellte fest: Andere kleinere Änderungen, die keine Wiederaufnahme der Sachprüfung erfordern und den Erlaß eines Erteilungsbeschlusses nicht nennenswert verzögern, können nach einer Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ noch zugelassen werden (Nr. 2.5 der Entscheidungsgründe).
5.3 Hinsichtlich der unter Nr. 5.1 gestellten Frage weist die Kammer auf die Tatsache hin, daß die Entscheidung G 7/93 der Großen Beschwerdekammer, wonach die Prüfungsabteilung auch noch nach Erlaß einer Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ nach eigenem Ermessen über die Zulassung einer Änderung der Anmeldung befinden kann, solange noch kein Erteilungsbeschluß ergangen ist, auf einer richtigen Auslegung des Artikels 123 (1) EPÜ in Verbindung mit der Regel 86 (3) EPÜ beruhte. Den Beschwerdekammern steht es frei, die Vorschriften des EPÜ auszulegen, wenn diese sich zu einer gegebenen Frage nicht äußern und daher Spielraum für Auslegungen lassen. Dies ist bei Artikel 116 (1) EPÜ allerdings nicht der Fall. Wie in der Rechtsprechung immer wieder betont wird, erlegt er dem EPA die unbedingte Verpflichtung auf, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn diese von einem Beteiligten am Verfahren vor dem EPA beantragt wird.
Außerdem haben die Vorschriften des Übereinkommens Vorrang vor der Ausführungsordnung (vgl. Art. 164 (2) EPÜ); somit hat der Artikel 116 (1) EPÜ Vorrang vor der Regel 86 (3) EPÜ. Daraus folgt, daß das Ermessen der Prüfungsabteilung im Hinblick auf Artikel 116 (1) EPÜ auszuüben ist. Die Große Beschwerdekammer ist nicht berechtigt, die Anwendung des Artikels 116 (1) EPÜ durch irgendwelche Empfehlungen dazu einzuschränken, wie eine Prüfungsabteilung ihr Ermessen nach Regel 86 (3) EPÜ ausüben sollte.
5.4 Daher ist die Prüfungsabteilung im vorliegenden Fall zwar verpflichtet, die Empfehlungen der Großen Beschwerdekammer in bezug auf die Ausübung ihres Ermessens nach Regel 86 (3) EPÜ bei der Zurückweisung oder Zulassung des Änderungsantrags zu berücksichtigen; jedoch bieten diese Empfehlungen keine Grundlage dafür, eine mündliche Verhandlung vor dem Erlaß dieser Entscheidung abzulehnen. Der Anmelder hatte das Recht, mündlich zu den Fragen gehört zu werden, die die Prüfungsabteilung bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigen sollte, und vor allem dazu, ob die beantragten Änderungen eine Wiederaufnahme der Sachprüfung erforderten.
5.5 Wie bereits in Nr. 4.3 erklärt, kann das Recht eines Anmelders auf mündliche Verhandlung nicht durch Erwägungen in bezug auf die Verfahrensökonomie beeinträchtigt werden.
6. Die Kammer ist daher der Auffassung, daß dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall das Recht auf Anhörung in einer mündlichen Verhandlung so lange zustand, wie das Verfahren vor der Prüfungsabteilung anhängig war. Der Entscheidung G 7/93 (Nr. 2.1 der Entscheidungsgründe) zufolge liegt es im Ermessen der Prüfungsabteilung, nach Regel 86 (3) EPÜ Änderungen zuzulassen oder zurückzuweisen, solange sie für die Anmeldung zuständig ist, also bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung nach Artikel 97 (2) EPÜ bzw. die Erteilung des europäischen Patents nach Artikel 97 (1) EPÜ beschließt. Somit ist ein Verfahren eindeutig noch anhängig, bis eine Entscheidung getroffen worden ist, was drei Tage vor dem auf der Entscheidung aufgestempelten Datum der Fall ist (G 12/91, ABl. EPA 1994, 285, Nr. 9.1 der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall wurde die Entscheidung, die Anmeldung zurückzuweisen, mit dem aufgestempelten Datum 10. Februar 1995 abgesandt. Damit war das Verfahren am 28. November 1994 eindeutig noch anhängig, als der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Änderungen erneuerte und einen (zweiten) unmißverständlichen Antrag auf mündliche Verhandlung für den Fall stellte, daß die Änderungen zurückgewiesen werden sollten. Daraus schließt die Kammer, daß es keine Grundlage für eine Ablehnung des Antrags des Beschwerdeführers auf mündliche Verhandlung gab.
7. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern gilt es als wesentlicher Verfahrensmangel, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ rechtfertigt, wenn versäumt wird, eine von einem berechtigten Beteiligten beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen. Außerdem ist die Entscheidung als null und nichtig aufzuheben (siehe z. B. T 560/88 vom 19. Februar 1990 (unveröffentlicht)).
8. Zu diesem Schluß gelangte die Kammer unabhängig von den in der angefochtenen Entscheidung genannten Gründen. Zu bemerken ist jedoch, daß die Rechtsgrundlage für die Zurückweisung der Änderungen, nämlich die Regel 86 (3), und insbesondere die Begründung, warum die Prüfungsabteilung in Ausübung ihres Ermessens die Änderungen zurückgewiesen hat, in der Entscheidung zum ersten Mal genannt wurden. In der Mitteilung vom 18. Juli 1994 war die Zurückweisung lediglich damit begründet worden, daß der Beschwerdeführer "an sein Einverständnis" mit der im Bescheid gemäß Regel 51 (4) EPÜ übermittelten Fassung "gebunden" sei; dieser Grund war aber mit der Entscheidung G 7/93 eindeutig für nichtig erklärt worden. Der Beschwerdeführer hatte somit keine Gelegenheit, seine Argumente zur Widerlegung der in der Entscheidung der Prüfungsabteilung genannten Annahme vorzubringen, daß "die Änderungen zu einer erheblichen Erweiterung des Umfangs der unabhängigen Patentansprüche 1 und 11 führen würden, die zum Zeitpunkt der Mitteilung gemäß Regel 51 (6) EPÜ gültig waren". Damit verstieß die Entscheidung gegen den Artikel 113 (1) EPÜ, was als zweiter wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.