VERWALTUNGSRAT
Berichte über Tagungen des Verwaltungsrats
Bericht über die 62. Tagung des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation (vom 12. bis 14. Juni 1996 in Berlin)
1. Der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation hielt seine 62. Tagung vom 12. bis 14. Juni 1996 unter dem Vorsitz von Herrn Julián Álvarez Álvarez (ES) in Berlin ab.
2. Der Rat ernannte Herrn Curt Edfjäll zum Vizepräsidenten GD 4, der sein neues Amt am 1. Juli 1996 übernehmen wird. Außerdem designierte er Herrn Peter Messerli (CH) zum Vizepräsidenten GD 3 sowie zum Vorsitzenden der Großen Beschwerdekammer. Der Präsident des Rats würdigte die Arbeit Herrn Paolo Goris, des bisherigen Vizepräsidenten GD 3, der Ende Juli in den Ruhestand tritt. Der Rat wählte Herrn Lars Björklund (SE), Stellvertreter der schwedischen Delegation, für eine weitere Amtszeit zum Vorsitzenden der Arbeitsgruppe "Technische Information" und Herrn Peter Mühlens (DE), Mitglied der deutschen Delegation, zum Vorsitzenden des Ausschusses "Patentrecht".
3. Der Präsident des Amts, Herr Ingo Kober, legte den Jahresbericht für 1995 vor; außerdem erstattete er dem Rat erstmalig Bericht über die Tätigkeit des Amts im ersten Halbjahr 1996.
Demnach ist die Arbeitslage des Amts nach wie vor gekennzeichnet von einem stetig zunehmenden Anmeldeaufkommen. Die Zahl der bis Ende April dieses Jahres eingereichten europäischen Anmeldungen liegt bei ca. 26 900, d. h. rund 6,8 % über der revidierten Planzahl bzw. mehr als 8 % über dem entsprechenden Vorjahresaufkommen. Der Aufwärtstrend gilt sowohl für die europäischen Direktanmeldungen (6,3 % über Plan) als auch für die Euro-PCT-Anmeldungen (7,4 % über Plan). Der Anteil der Euro-PCT-Anmeldungen am Gesamtaufkommen hat dagegen weniger stark zugenommen als erwartet und betrug nur 50,5 % gegenüber prognostizierten 51 %. Die in die europäische regionale Phase eintretenden Euro-PCT-Anmeldungen lagen um 7,2 % über Plan und übertrafen damit das entsprechende Vorjahresaufkommen um rund 21,5 %. Es ist davon auszugehen, daß die Planzahl von 79 000 Anmeldungen für 1996 bereits im Laufe des Jahres übertroffen wird.
Der Bereich der Recherche bekommt das steigende Anmeldeaufkommen als erster zu spüren. Der Gesamtbestand an Recherchenarbeit ist auf 46 300 Akten gestiegen (19 % mehr als im Vorjahr). De facto im Rückstand befinden sich derzeit 11 300 Akten und damit fast doppelt so viele wie vor einem Jahr. Rund 30 % der europäischen Anmeldungen werden inzwischen ohne Recherchenbericht veröffentlicht. Der Bearbeitungsrückstand ist zwar für nahezu alle Fachgebiete größer geworden, besonders kritisch ist die Lage aber in der Telekommunikation, der Biotechnologie und der Datenverarbeitung. Als Reaktion darauf wird nun versucht, die Zahl der Recherchenprüfer im aktiven Dienst zu erhöhen. Dies geschieht durch eine weitgehende Aussetzung des Programms der externen Praktika, durch restriktivere Gewährung von Urlaub aus persönlichen Gründen, durch die allmähliche Rückholung der für andere Tätigkeiten abgestellten Prüfer und vor allem durch Neueinstellungen. Im Rahmen einer Einstellungskampagne wurden in renommierten Zeitungen und Fachzeitschriften der Mitgliedstaaten Anzeigen geschaltet, woraufhin sich rund 1 500 Interessenten um Stellen in Den Haag und Berlin beworben haben. Das Auswahlverfahren ist im Gange; der Schwerpunkt wird auf Einstellungen in den drei genannten Fachgebieten liegen.
Die diesjährige Sitzung des EUROTAB fand am 13. und 14. Mai mit Teilnehmern aus dreizehn Ländern in Wien statt. Erörtert wurden u. a. die Patentierbarkeit chemischer Verbindungen aufgrund unerwarteter Wirkungen sowie die Patentierbarkeit von Verfahren zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers.
Die Zahl der in den ersten drei Monaten des Jahres 1996 eingereichten Beschwerden stimmt mit den Planwerten überein (286, verglichen mit einer Planzahl von 283). Dahinter verbirgt sich allerdings ein klarer Trend. Auf den Gebieten Mechanik und Elektrotechnik hat die Zahl der Beschwerden zugenommen (um 6,7 % bzw. 9,3 %), während sie in der Chemie und in der Physik zurückgegangen ist (um 10 % bzw. 3,9 %).
Es wurden zwei wichtige Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer angesprochen, die die Unterstützung zugelassener Vertreter in mündlichen Verhandlungen durch technische oder juristische Sachverständige betreffen, die nicht selbst zugelassene Vertreter sind. In der Entscheidung G 4/95 wurde dies unter der Bedingung gestattet, daß Ausführungen von Sachverständigen unter der fortgesetzten Verantwortung und Aufsicht eines zugelassenen Vertreters vorgebracht werden und daß das EPA solche Ausführungen zuläßt, wobei es den Grundsatz der Fairneß dem anderen Beteiligten gegenüber zu beachten hat [siehe ABl. EPA 1996, 412]. In der parallelen Entscheidung G 2/94 (siehe ABl. EPA 1996, 401) ging es um den besonderen Fall, daß ein früheres Mitglied der Beschwerdekammern einen Verfahrensbeteiligten unterstützen sollte. Damit auf keinen Fall der Eindruck entstehen kann, daß eine Beschwerdekammer befangen ist, hat die Große Beschwerdekammer entschieden, daß einem Mitglied einer Beschwerdekammer frühestens 3 Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt Ausführungen in einer mündlichen Verhandlung gestattet sind. Die Kammer hat aber auch empfohlen, den Rat im Interesse der Rechtssicherheit um einen Beschluß über die Dauer des Zeitraums nach Ausscheiden aus dem Amt zu ersuchen, während dessen ein ehemaliges Mitglied einer Beschwerdekammer nicht an Verhandlungen teilnehmen darf.
Anschließend kam der Präsident des Amts auf Rechtsfragen und internationale Angelegenheiten zu sprechen und berichtete über seine exploratorischen Gespräche mit der Europäischen Kommission. Der Stand der Beziehungen zwischen den beiden Organisationen wurde erörtert; dabei herrschte Einvernehmen darüber, wie wichtig eine Koordinierung bei gleichzeitiger Wahrung der Unabhängigkeit der EPO ist.
Angesprochen wurde auch das Gemeinschaftspatent. Die Kommission scheint die Erfolgsaussichten des Gemeinschaftspatents in seiner jetzigen Form recht skeptisch zu beurteilen. Sie will daher in einer Studie sondieren, wie das GPÜ insbesondere in der Sprachenfrage verbessert werden könnte. Einvernehmen bestand darüber, daß es eine Verunsicherung der Anmelderschaft zu vermeiden gilt. Eine solche Verunsicherung könnte aber gerade dann entstehen, wenn GPÜ und EPÜ neu zur Disposition gestellt würden. Angesichts des Erfolgs des EPÜ scheut die Kommission einen neuen Vorstoß.
Bei der europäischen Eignungsprüfung wurde in diesem Jahr ein neuer Rekord aufgestellt: Fast 900 Bewerber haben an der Prüfung teilgenommen, was einer Steigerung um 11 % gegenüber dem letzten Jahr entspricht. Auch diesmal hat sich der bisherige Erfolg des Kompendiums fortgesetzt - die Hälfte der diesjährigen Auflage war nach acht Wochen verkauft. EPI und EPA sollten aber weiterhin gemeinsam versuchen, den Zeitraum zwischen Prüfung und Bekanntgabe der Ergebnisse zu verkürzen, der derzeit rund sechseinhalb Monate beträgt.
Das Ausbildungsprogramm der internen Praktika wurde fortgeführt. 1996 werden 29 Praktikanten - darunter 10 aus dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum - erwartet. Das Programm der externen Praktika mußte weitgehend ausgesetzt werden, um Produktionseinbußen zu vermeiden. Dieses Programm hatte sowohl bei den gastgebenden Unternehmen wie auch bei den Prüfern, die seit seiner Einführung im Jahre 1991 daran teilnehmen konnten, großen Anklang gefunden.
Die Schweiz hat am 4. Juli 1995 als neunter Mitgliedstaat die Akte zur Revision von Artikel 63 EPÜ ratifiziert; der revidierte Artikel 63 tritt damit am 4. Juli 1997 in Kraft. Bis heute haben insgesamt 12 Mitgliedstaaten ihre Ratifikationsurkunde hinterlegt; Monaco und Spanien bereiten derzeit die Ratifikation vor, und Belgien und Luxemburg werden sicher folgen. Der Beitritt von Finnland und Irland, die an der Revisionskonferenz als Beobachter teilgenommen haben, steht noch aus. In diesem Zusammenhang ist auf die Bestimmung des Artikels 172 (4) EPÜ hinzuweisen, wonach Mitgliedstaaten, die die revidierte Fassung am 4. Juli 1997 weder ratifiziert haben noch ihr beigetreten sind, aus dem Übereinkommen ausscheiden.
Der PCT-Ausschuß für Verwaltungs- und Rechtsfragen (PCT/CAL) hat in seiner sechsten Sitzung Ende April den Vorschlag der WIPO zur Einführung einer zusätzlichen internationalen Recherche geprüft. Im Verlauf der Diskussionen wurde deutlich, daß das eigentliche Ziel dieser Maßnahme die Einführung eines weiteren Aufschubs für den Eintritt einer internationalen Anmeldung in die nationale bzw. regionale Phase darstellt. Eine solche Änderung könnte schwerwiegende Auswirkungen auf das EPA und seine Benutzer haben und muß daher eingehend geprüft und mit den interessierten Kreisen erörtert werden.
Ende Februar hat eine Delegation des Amts der Tschechischen Republik unter der Leitung seines Präsidenten dem EPA einen Besuch zwecks Aufnahme der Konsultationen über den Beitritt dieses Staats zum EPÜ abgestattet. Das formelle Beitrittsgesuch ist am 31. Mai 1996 im Amt eingegangen. Andere Staaten, die der EU gegenüber in gleicher Weise verpflichtet sind (Polen, Ungarn und Slowakei), haben ähnliche Absichten geäußert.
Mitte April hat ein Vertreter Andorras das Interesse seines Landes am Abschluß eines Erstreckungsabkommens mit dem EPA bekundet. Eine wesentliche Voraussetzung dafür wäre die Verabschiedung eines andorranischen Patentgesetzes; die entsprechenden Arbeiten werden vom EPA unterstützt.
Bezüglich der internationalen technischen Zusammenarbeit wies der Präsident des Amts darauf hin, daß Anfang des Jahres das jährliche Treffen mit der WIPO stattgefunden hat, in dem das gemeinsame Programm für die Tätigkeiten im Bereich der technischen Zusammenarbeit festgelegt wurde. Dabei wurde eine neue Task Force eingesetzt, deren Aufgabe die Überarbeitung des Ausbildungsangebots und die Straffung der Patenterteilungsverfahren in Entwicklungsländern ist. Außerdem fanden Treffen mit dem spanischen (OEPM) und dem französischen Amt (INPI) zur Koordinierung der Zusammenarbeit im Bereich der Entwicklungstätigkeit statt; mit dem Deutschen Patentamt sind ebenfalls Gespräche geplant. Mit der Europäischen Kommission und den Behörden für den gewerblichen Rechtsschutz der beteiligten mittel- und osteuropäischen Staaten wurde der Inhalt des neuen RIPP-Programms vereinbart. RIPP 3 soll den Zeitraum bis Ende 1998 abdecken. Die zweifellos wichtigste Entwicklung innerhalb der GUS-Staaten führte Anfang des Jahres zur Eröffnung des Eurasischen Patentamts in Moskau. Die weitere Entwicklung dieses Amts wird davon abhängen, welche Mittel im Rahmen des regionalen TACIS-Projekts zur Verfügung stehen, das derzeit noch nicht unterzeichnet ist. Im Februar haben die Leiter der nationalen Ämter der GUS-Staaten dem EPA sowohl in Den Haag wie in München einen Besuch abgestattet, um sich mit dem europäischen Patentsystem vertraut zu machen. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten auf dem Gebiet der Zusammenarbeit mit ASEAN-Staaten im Rahmen des ECAP-Programms (EC-ASEAN Patents and Trademarks Programme) lag in den Kernbereichen dieses Programms - Ausbildung, Verwaltung von Patenten und Warenzeichen sowie Entwicklung von Rechercheninstrumenten.
Im Bereich der Patentinformation fand das diesjährige PATLIB-Symposium vom 29. bis 31. Mai im STAKIS-Konferenzzentrum in Aberdeen, Schottland statt. Die Delegierten der Konferenz, Bedienstete aus den europäischen Patentinformationszentren und den Verbindungsbüros für Forschung und Technologie der EU, nutzten diese Veranstaltung als Forum für einen anregenden Gedanken- und Erfahrungsaustausch unter Informationsanbietern.
Ende 1995 begann der Versand der neuen CD-ROM-Software MIMOSA an die Kunden, und die Reaktionen waren durchweg positiv. MIMOSA wird zur weltweiten Standard-Software für Anwendungen auf dem Gebiet der Patentinformation werden.
Im Januar 1996 wurde ein optimiertes Verfahren für die Herstellung der ESPACE-CD-ROMs eingeführt, das möglichst viele Fehlerquellen ausschalten und die Kosten auf ein Minimum reduzieren soll. Die Probleme, die zu Verzögerungen bei der Auslieferung bestimmter Produkte und speziell bei ESPACE-WORLD und -FIRST sowie bei nationalen Produkten geführt haben, sind mittlerweile gelöst.
Das Online-Register, das das Patentblatt in Papierform und teilweise auch die Akteneinsichten ersetzen soll, findet vor allem bei den Anmeldern des EPA immer mehr Zustimmung. Verschiedene Verbesserungen des Registers werden von den Benutzern sehr geschätzt: Alle Anregungen, die Herr David Votier (UK) hierzu vor einigen Jahren im Namen der Benutzergemeinde unterbreitet hat, sind mittlerweile umgesetzt.
4. Im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Amts nahm der Verwaltungsrat die Ausgangshypothesen und -daten für Haushalts-, Finanz- und Geschäftsplan (1997 - 2001) zur Kenntnis. Außerdem genehmigte er einen Beschlußentwurf zur Gebührenermäßigung für "PCT-Anmelder" aus Entwicklungsländern (siehe ABl. EPA 1996, 396) sowie die Vorschläge für die Änderung der Regeln 28 und 28a EPÜ (ABl. EPA 1996, 390).
5. Hinsichtlich des BEST-Projekts bestätigte der Rat in einer Erklärung, daß die Bestimmungen des Europäischen Patentübereinkommens einer Umsetzung des BEST-Projekts nicht entgegenstehen; die amtsweite Einführung von BEST soll einer vertieften Prüfung unterzogen werden.
6. Ein weiterer Tagesordnungspunkt war die Gebührenreform. Nach eingehenden Beratungen gelangte der Rat zu dem Entschluß, in Anbetracht der Einnahmensituation und der anhaltenden Haushaltsüberschüsse die Patentierungskosten zu senken und damit ein Signal für die Benutzer des Systems zu setzen. Er beauftragte den Präsidenten des Amts mit der Ausarbeitung eines Vorschlags, der einen Aufschub der Fälligkeit der Benennungsgebühren bis zu dem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Prüfungsantrag gestellt wird. Der entsprechende Beschlußentwurf wird dem Haushalts- und Finanzausschuß vorgelegt; der Rat wird dann auf seiner Dezembertagung entscheiden. Darüber hinaus soll auf einer außerordentlichen Tagung im Herbst Gelegenheit zu allgemeineren Beratungen über eine mögliche Reform des gesamten Gebührensystems geboten werden.
7. Der Rat genehmigte ein Programm zur Zusammenarbeit zwischen dem EPA und dem hellenischen Patentamt bei der Patentinformationstätigkeit der Hellenischen Republik. Außerdem fanden Beratungen über die zukünftige Patentinformationspolitik statt, die auf einer späteren Tagung fortgesetzt werden sollen. Schließlich genehmigte der Rat die Vorschläge für die Ernennung/Wiederernennung von Mitgliedern der Beschwerdekammern sowie der Großen Beschwerdekammer.