VERWALTUNGSRAT
Beschlüsse des Verwaltungsrats
Beschluß der Verwaltungsrats vom 10. Dezember 1982 zur Genehmigung der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer1
DER VERWALTUNGSRAT DER EUROPÄISCHEN PATENTORGANISATION
gestützt auf das Europäische Patentübereinkommen, insbesondere auf Artikel 23 Absatz 4,
im Hinblick auf die Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer, die am 10. Dezember 1982 von der Großen Beschwerdekammer nach Regel 11 der Ausführungsordnung zum Übereinkommen erlassen worden ist,
BESCHLIESST :
Artikel 1
Die Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer in der im Anhang enthaltenen Fassung wird hiermit genehmigt.
Artikel 2
Dieser Beschluß tritt am 10. Dezember 1982 in Kraft.
Geschehen zu München am 10. Dezember 1982
Für den Verwaltungsrat
Der Präsident
I. J. G. DAVIS
VERFAHRENSORDNUNG DER GROSSEN BESCHWERDEKAMMER
Die Große Beschwerdekammer erläßt hiermit nach Regel 11 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen folgende Verfahrensordnung:
Artikel 1
Geschäftsverteilungsplan
(1) Vor Beginn eines jeden Geschäftsjahres stellt das in Regel 10 Absatz 2 erwähnte Präsidium einen Geschäftsverteilungsplan für alle Rechtsfragen auf, die im Laufe des Jahres vorgelegt werden. Der Plan kann im Laufe des Jahres geändert werden.
(2) In dem Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer dürfen mindestens vier Mitglieder nicht an dem Verfahren vor der die Rechtsfrage vorlegenden Kammer mitgewirkt haben.
Artikel 2
Vertretung der Mitglieder
(1) Vertretungsgründe sind insbesondere Krankheit, Arbeitsüberlastung und unvermeidbare Verpflichtungen.
(2) Will ein Mitglied vertreten werden, so unterrichtet es den Vorsitzenden der Kammer unverzüglich von seiner Verhinderung.
Artikel 3
Ausschließung und Ablehnung
(1) Das Verfahren nach Artikel 24 Absatz 4 des Übereinkommens ist auch anzuwenden, wenn die Kammer von einem möglichen Ausschließungsgrund auf andere Weise als von dem Mitglied oder einem Beteiligten Kenntnis erhält.
(2) Das betroffene Mitglied wird aufgefordert, sich zu dem Ausschließungsgrund zu äußern.
(3) Vor der Entscheidung über die Ausschließung des Mitglieds wird das Verfahren in der Sache nicht weitergeführt.
Artikel 4
Berichterstatter
(1) Der Vorsitzende der Kammer bestimmt für jede Rechtsfrage eines der Mitglieder der Kammer oder sich selbst als Berichterstatter. Der Vorsitzende kann einen Mitberichterstatter bestimmen.
(2) Ist ein Mitberichterstatter bestimmt worden, so werden die in den Absätzen 3 bis 5 vorgesehenen Maßnahmen vorbehaltlich einer Anordnung des Vorsitzenden gemeinsam vom Berichterstatter und dem Mitberichterstatter getroffen.
(3) Der Berichterstatter führt eine vorläufige Untersuchung der Rechtsfrage durch und kann vorbehaltlich einer Anordnung des Vorsitzenden der Kammer Bescheide an die Beteiligten abfassen. Die Bescheide werden vom Berichterstatter im Auftrag der Kammer unterzeichnet.
(4) Der Berichterstatter bereitet die Sitzungen und mündlichen Verhandlungen der Kammer vor.
(5) Der Berichterstatter entwirft die Entscheidungen.
(6) Ist der Berichterstatter oder der Mitberichterstatter der Ansicht, daß seine Kenntnisse der Verfahrenssprache für die Abfassung von Bescheiden und Entscheidungen nicht ausreichen, so kann er diese in einer anderen Amtssprache entwerfen. Die Entwürfe werden vom Europäischen Patentamt in die Verfahrenssprache übersetzt; die Übersetzungen werden von dem Berichterstatter oder von einem anderen Mitglied der Kammer überprüft.
Artikel 5
Geschäftsstelle
(1) Bei der Großen Beschwerdekammer wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, deren Aufgaben vom Leiter der Geschäftsstellen der Beschwerdekammern wahrgenommen werden.
(2) Das in Regel 10 Absatz 2 erwähnte Präsidium kann dem Leiter der Geschäftsstellen Aufgaben übertragen, die technisch und rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten, wie insbesondere Aufgeben betreffend Akteneinsicht, Ladung, Zustellung oder Gewährung von Weiterbehandlung.
(3) Niederschriften über mündliche Verhandlungen und Beweisaufnahmen werden vom Leiter der Geschäftsstellen oder von einem anderen Bediensteten des Amtes, den der Vorsitzende dazu bestimmt, angefertigt.
Artikel 6
Beteiligung von Dolmetschern
Soweit erforderlich, sorgt der Vorsitzende der Kammer bei mündlichen Verhandlungen, Beweisaufnahmen und Beratungen der Kammer für Übersetzung.
Artikel 7
Änderung in der Zusammensetzung der Kammer
(1) Ändert sich die Zusammensetzung der Kammer nach einer mündlichen Verhandlung, so werden die Beteiligten unterrichtet, daß auf Antrag eine erneute mündliche Verhandlung vor der Kammer in ihrer neuen Zusammensetzung stattfindet. Eine erneute mündliche Verhandlung findet auch dann statt, wenn das neue Mitglied dies beantragt und die übrigen Mitglieder der Kammer damit einverstanden sind.
(2) Das neue Mitglied ist an bereits getroffene Zwischenentscheidungen wie die übrigen Mitglieder gebunden.
(3) Ist ein Mitglied der Kammer nach einer Endentscheidung verhindert, so wird es nicht ersetzt. Ist der Vorsitzende verhindert, so unterzeichnet in seinem Auftrag das im Rahmen der Kammer dienstälteste rechtskundige Mitglied der Kammer und bei gleichem Dienstalter das älteste Mitglied.
Artikel 8
Verbindung von Rechtsfragen
Liegen der Kammer mehrere Rechtsfragen gleicher oder ähnlicher Art vor, so kann die Kammer sie in einem gemeinsamen Verfahren behandeln.
Artikel 9
Mündliche Verhandlungen
(1) Ist eine mündliche Verhandlung vorgesehen, so bemüht sich die Kammer darum, daß die Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung die erforderlichen Informationen und Unterlagen einreichen.
(2) Die Kammer kann der Ladung zur mündlichen Verhandlung eine Mitteilung beifügen, in der auf Punkte, die von besonderer Bedeutung zu sein scheinen, oder auf die Tatsache, daß bestimmte Fragen nicht mehr strittig zc sein scheinen, hingewiesen wird; die Mitteilung kann auch andere Bemerkungen enthalten, die es erleichtern, daß die mündliche Verhandlung auf das Wesentliche konzentriert wird.
(3) Findet eine mündliche Verhandlung statt, so bemüht sich die Kammer darum, daß die Sache am Ende der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif ist, sofern nicht besondere Umstände vorliegen.
Artikel 10
Unterrichtung der Beteiligten
Hält die Kammer es für zweckmäßig, den Beteiligten ihre Ansicht über die Beurteilung sachlicher oder rechtlicher Fragen mitzuteilen, so hat das so zu geschehen, daß die Mitteilung nicht als bindend für die Kammer verstanden werden kann.
Artikel 11
Beratung vor der Entscheidung
An einer Beratung nehmen nur die Mitglieder der Kammer teil; der Vorsitzende kann jedoch die Anwesenheit anderer Bediensteter zulassen. Die Beratungen sind geheim.
Artikel 12
Reihenfolge bei der Abstimmung
(1) Bei den Beratungen der Kammer äußert zuerst der Berichterstatter, dann ggf. der Mitberichterstatter und, wenn der Berichterstatter nicht der Vorsitzende ist, zuletzt der Vorsitzende seine Meinung.
(2) Die gleiche Reihenfolge gilt für Abstimmungen; auch wenn der Vorsitzende Berichterstatter ist, stimmt er zuletzt ab. Stimmenthaltungen sind nicht zulässig.
Artikel 13
Stellungnahme zu Rechtsfragen
Für Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die der Präsident des EPA der Kammer gemäß Artikel 112 Absatz 1 Buchstabe b des Übereinkommens vorgelegt hat, finden die vorhergehenden Vorschriften ggf. entsprechende Anwendung.
Artikel 14
Verbindlichkeit der Verfahrensordnung
Diese Verfahrensordnung ist für die Große Beschwerdekammer verbindlich, soweit sie nicht zu einem mit dem Geist und Ziel des Übereinkommens unvereinbaren Ergebnis führt.
Artikel 15
Inkrafttreten
Diese Verfahrensordnung tritt am Tage ihrer Genehmigung durch den Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation in Kraft.
Geschehen zu München am 10. Dezember 1982
Für die Große Beschwerdekammer
Der Vorsitzende
R. Singer
1 Beschluß CA/D6/82