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Was, wenn etwas Unerwartetes passiert?

Umgang mit höherer Gewalt im asiatischen Patentrecht und die entsprechenden Auswirkungen auf das Patentsystem

Wenn etwas Unerwartetes passiert, kann sich die Welt um uns herum  verändern mit Folgen, die nicht vorherzusehen sind. Das Wort „passieren" löst häufig ein Gefühl des Unbehagens und der  Machtlosigkeit aus - und man wüsste gern, was als nächstes „passiert".

Die meisten Patentämter haben sofort erkannt, dass die Covid-19-Pandemie ein solches unvorhergesehenes Ereignis war, das sich unserer Kontrolle entzog. Sie haben Fristen verlängert, auf Gebühren verzichtet und die Wiederherstellung erloschene Rechte angeboten, wenn ein Anmelder oder Patenteigentümer pandemiebedingt eine Frist verpasst hatte. Einiges davon wird automatisch umgesetzt. Die meisten Patentämter verlangen von den Anmeldern allerdings, dass diese sich offiziell auf höhere Gewalt berufen und dies begründen und einschlägige Unterlagen vorlegen.

Solche Maßnahmen erleichtern Anmeldern oder Patentinhabern auf jeden Fall das Leben, wenn etwas passiert. Aus Sicht der Patentrechercheure, die den Rechtsstand einer Patentanmeldung prüfen wollen, können sie jedoch zu zusätzlicher Unsicherheit führen. Dies möchten wir anhand von Beispielen aus wichtigen asiatischen Patentämtern erläutern.

Beispiele aus japanischen und chinesischen Anmeldungen 

Im ersten Beispiel geht es um die Frist, innerhalb derer Prüfanträge eingereicht werden müssen. In China, Japan und Südkorea müssen die Anmelder innerhalb von drei Jahren ab dem Anmelde- oder Prioritätsdatum einen offiziellen Antrag auf eine Sachprüfung stellen. Geschieht dies nicht innerhalb dieser Frist, gilt die Anmeldung als zurückgenommen.

Für Patentrechercheure verlängert sich nun die Phase der Unsicherheit: Ein Wettbewerber, der eine Anmeldung verfolgt, kann nicht sicher sein, ob der Anmelder das Verfahren durch einen Antrag auf Sachprüfung weiter vorantreibt oder nicht. Wie oben erwähnt, kann diese Phase durch die in Krisenzeiten gewährten Fristverlängerungen zusätzlich ausgedehnt werden.

Der Screenshot gibt einen Überblick über Rechtsstandsereignisse für eine japanische Patentanmeldung in der J-Plat Pat-Datenbank des JPO. Die Anmeldung wurde am 28. März 2018 eingereicht. Seit der Einreichung sind über drei Jahre verstrichen, aber bisher sind keine weiteren Informationen verfügbar - weder wurde ein Antrag auf eine Sachprüfung gestellt noch wurde endgültig festgehalten, dass KEIN Antrag auf eine Sachprüfung gestellt wurde und die Anmeldung daher als zurückgenommen gilt.

  • JPlat Pat
  • Im nächsten Beispiel geht es um Antwortfristen, die ein Patentamt setzt. Die nachfolgende chinesische Anmeldung wurde 2014 eingereicht. Das einzige Rechtsstandsereignis - auch in den ursprünglichen Dokumenten des CNIPA - ist der Antrag auf Sachprüfung aus dem Jahr 2016.

Ein Blick in die elektronischeAkte über die CPQuery-Datenbank des Chinesischen Patentamts zeigt, dass das CNIPA mehrere vorläufige Zurückweisungen an die Anmelderin versendet hat; die jüngste datiert vom 24. Februar 2020. Gerade zu jenem Zeitpunkt brach die Covid-19-Pandemie aus, was die Kommunikation zwischen der europäischen Anmelderin und ihrem Vertreter in China erschwert haben dürfte. Dies kann als stichhaltiger Grund gelten, wenn sich die Anmelderin wegen der Fristüberschreitung auf höhere Gewalt berufen möchte.

Die Anmelderin hat bisher nicht auf die vorläufige Zurückweisung reagiert. Das CNIPA teilte am 18. Juni 2020 mit, dass die Anmeldung als zurückgezogen gelte.

Aber damit ist die Angelegenheit nicht unbedingt beendet: Die Anmelderin kann sich noch auf höhere Gewalt berufen, um eine Wiedereinsetzung in ihre Rechte zu beantragen. Nach chinesischem Recht hat dies innerhalb von zwei Monaten nach dem Ende der höheren Gewalt und spätestens zwei Jahre nach dem Ablauf der ursprünglichen Frist zu geschehen.

Diese Beispiele zeigen, dass solche zusätzlichen Unsicherheitsphasen bei der Verfolgung des Rechtsstands eines Patents oder einer Patentanmeldung unbedingt berücksichtigt werden, wenn im entsprechenden Zeitraum „etwas passiert".

Weitere Informationen zu den Patentsystemen in Asien, einschließlich eines umfassenden Leitfadens zur Recherche in asiatischen Datenquellen, finden sich auf den Seiten des EPA mit Patentinformation aus Asien.