Eröffnung des Symposiums und Begrüßungsansprachen
Ants KULL
Vorsitzender der Zivilkammer, Vertreter des Obersten Gerichtshofs von Estland
Sehr verehrte Richter, sehr geehrte Vertreter des Europäischen Patentamts, meine Damen und Herren,
im Namen des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs von Estland möchte ich alle Teilnehmer dieses Symposiums ganz herzlich begrüßen. Leider kann der Präsident aufgrund anderweitiger Verpflichtungen heute nicht selbst anwesend sein.
Es freut uns sehr, dass das 17. Symposium europäischer Patentrichter in Tallinn stattfindet. Das Symposium hat eine große Zahl namhafter europäischer Patentrechtsspezialisten zusammengeführt, und ich wage zu behaupten, dass noch nie zuvor so viele auf das Patentwesen spezialisierte Richter gleichzeitig hier in Tallinn waren.
Estland ist ein kleines Land mit etwa 1,3 Mio. Einwohnern. Wir besitzen kein Gold und kein Silber, weder Öl noch Gas. Auch deshalb haben wir Wissen und Weisheit stets sehr hoch geschätzt. In "Kalevipoeg" ("Kalevs Sohn"), unserem estnischen Nationalepos, findet sich folgender Leitspruch: "Großartiger als Schätze von Silber, wertvoller als Berge von Gold muss für uns die Weisheit sein".
Je begrenzter die materiellen Ressourcen sind, desto mehr sind wirtschaftlicher Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit von der Innovation abhängig.
Das Konzept eines auf Wissen und Innovation beruhenden Estlands tauchte bereits in der Diskussion über das Streben nach dem sogenannten "estnischen Nokia" auf, die von Lennart Meri, dem ersten Präsidenten nach Estlands wiedererlangter Unabhängigkeit, angestoßen worden war. Inzwischen wurde eine komplexe Innovationspolitik für Estland entwickelt, die sich in zahlreichen Strategiepapieren, Aktionsplänen, Programmen und Projekten niedergeschlagen hat und fester Bestandteil der Innovationspolitik der Europäischen Union ist.
Ich kann mit Freude berichten, dass Estland in der kurzen Zeit nach der Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit beachtliche wirtschaftliche Erfolge erzielen konnte. Im Ranking der Innovationsunion für 2013 belegt Estland in Sachen Innovation den 14. Rang in der EU. Was die wirtschaftlichen Auswirkungen der Innovation angeht, stehen wir allerdings auf Rang 21. Und es besteht kein Grund, uns damit zufrieden zu geben. Die Ergebnisse des zweiten Quartals des laufenden Finanzjahres sind ebenfalls beunruhigend. Das Wirtschaftswachstum ist nahezu nicht existent - mit diesem Problem ist Estland aber nicht allein. Ein geringes Wirtschaftswachstum ist auch für viele andere EU-Mitgliedstaaten und die Europäische Union insgesamt ein Thema. Die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union beginnt jedoch zuhause − mit der Integration der Wirtschaftssysteme der Mitgliedstaaten. Deshalb müssen die Kontakte zwischen den Mitgliedstaaten auf allen Ebenen und in allen Bereichen intensiviert werden, damit die Europäische Union vereint und auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig bleibt. Es ist allgemein bekannt, dass Innovation durch Zusammenarbeit gefördert wird.
Meine Damen und Herren,
eine Erfindung wird dann zur Innovation, wenn sie einen Marktwert bekommt und wirtschaftlichen Gewinn erzeugt. Dabei geht es um eine einfache Frage: Wie kann aus einer Erfindung größerer wirtschaftlicher Nutzen gezogen werden? Ebenso wichtig ist, wie gut das Rechtsschutzsystem im Hinblick auf neue Erfindungen organisiert und etabliert ist.
Ein Instrument der Innovationspolitik ist das Rechtssystem - das alleine schafft aber noch keine Innovation. Es ist Aufgabe des Staates, für ein rechtliches Umfeld zu sorgen, das die Innovation unterstützt und fördert, damit Erfindungen auf soliden Rechtsschutz bauen können, der auch für kleine und mittlere Unternehmen erschwinglich ist. Bisher waren die Patentierungskosten eines der größten Hindernisse für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.
Die Entwicklung der geistigen Eigentumsrechte in Estland ist eng verknüpft mit den Entwicklungen in der Europäischen Union. Vor dem EU-Beitritt wurde das IP-System Estlands an die Erfordernisse der Europäischen Union angepasst. Die Regelungen für den Schutz des geistigen Eigentums werden in Estland ständig auf der Grundlage der Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates aktualisiert.
Bemerkenswert ist, dass dieses Symposium europäischer Patentrichter zeitgleich mit der Reform des europäischen Patentsystems stattfindet, deren Ziel ein einheitliches europäisches Patent und ein Einheitliches Patentgericht ist. Dieses vereinfachte europäische Patentsystem wird definitiv zur Innovationsförderung beitragen und für Unternehmen, die Patentschutz suchen, besser zugänglich sein; gleichzeitig wird es höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung ermöglichen.
Es ist großartig, dass in der Fallstudie für das Symposium bereits das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht angewandt wird, das von Estland und vielen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union noch ratifiziert werden muss. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass Estland gemeinsam mit Schweden, Lettland und Litauen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine regionale Zweigstelle des Gerichts mit Hauptsitz in Schweden einzurichten, die Streitfälle aus allen Staaten dieser Region bearbeiten kann.
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte ist von Natur aus international. Außerdem bedarf es bei dem Versuch, die Schwächen des gewerblichen Rechtsschutzes zu beheben, einer internationalen Lösung. Deshalb ist es von so großer Bedeutung, dass Patentrichter aus verschiedenen Ländern hier zusammenkommen können. Dies eröffnet ihnen die Möglichkeit, Erfahrungen zum Patentschutz auszutauschen, die geltende Praxis anderer Länder kennenzulernen, Positionen zu unterschiedlichen Aspekten des Patentschutzes abzugleichen und miteinander in Einklang zu bringen und sich gegenseitig zu inspirieren.
Ein effizienter und hochwertiger Patentschutz hängt von der Erfahrung und Expertise der Richter ab, die die Patentstreitigkeiten beilegen. So wird auch dieses einzigartige internationale Symposium von Patentrichtern gewiss zur Fortbildung der Teilnehmer beitragen, ihnen Wissen vermitteln und sie so zu noch besseren Patentrichtern machen.
Sehr geehrte Symposiumsteilnehmer,
lassen Sie mich abschließend meiner festen Überzeugung Ausdruck geben, dass Estland und die gesamte Europäische Union im Zeitalter der Innovation angekommen sind.
Die Zukunft der Innovation zeigt sich auch im Themenpark für Kinder, der dieses Jahr nahe der Stadt Pärnu in Estland eröffnet wurde - dem Schauplatz von "Lotte im Dorf der Erfinder". Lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, um etwas Werbung zu machen und Ihnen allen zu empfehlen, diesen Park zu besuchen. Gezeigt werden dort zahlreiche lustige Erfindungen, die Lotte, ein aufgewecktes Hundemädchen, zusammen mit ihren Freunden geschaffen hat. Dieser Themenpark wird die nächste Generation sicher dazu anregen, kreativ zu denken, Erfindungen zu machen und zu Innovatoren der Zukunft zu werden. Aber auch für Erwachsene ist das Dorf der Erfinder ein inspirierender Ort.
Liebe Kollegen,
ich wünsche Ihnen allen ein kreatives, erfolgreiches und fruchtbares Symposium.