TAGUNGSBERICHT
Stefan LUGINBÜHL
Jurist, Internationale Rechtsangelegenheiten, PCT, GD5
Tagungsbericht
Das 17. Patentrichtersymposium fand vom 9. bis 12. September 2014 in der estnischen Hauptstadt Tallinn statt. Das Justizministerium von Estland als Co-Organisator suchte sich für die Veranstaltung das Technologiezentrum "Mektory" aus. Dies ermöglichte den Teilnehmern aus 25 EPÜ-Staaten sowie Montenegro und Japan, der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts und des Gerichtshofs der Europäischen Union sich über die letzten Entwicklungen in zukunftsträchtigen Technologiebereichen aus erster Hand zu informieren. Dieses dem Patentrecht sehr zugängliche Umfeld färbte äußerst fruchtbar auf die Diskussionen über die mögliche Praxis des künftigen Einheitlichen Patentgerichts (EPG) in verschiedenen Bereichen des Patentrechts ab. Dabei war insbesondere auch das Verhältnis zwischen dem künftigen EPG und den Beschwerdekammern ein wichtiges Thema des ersten Tages des Symposiums, das es auf künftigen Symposien zu vertiefen gelten wird. Der zweite Tag war den letzten Entwicklungen zu ergänzenden Schutzzertifikaten, den erlaubten Änderungen einer Patentanmeldung oder eines Patents unter Artikel 123 (2) und (3) EPÜ und einer Fallstudie gewidmet. Abgeschlossen wurde das Symposium mit den traditionellen Berichten zu den aktuellsten nationalen Entwicklungen im Patent- und Patentstreitregelungsbereich. Die Abendessen fanden im modernen Technologiemuseum "Energy Discovery Centre" und – als spannender Kontrast – im mittelalterlichen Festsaal des "Mustpeade maja" bei estnischen Glockenklängen statt.
Kai Härmand, Stellvertretende Generalsekretärin, Justizministerium, Tallinn, eröffnete das Symposium mit einem Willkommensgruß an die Teilnehmer und einer Einführung in das estnische Gerichts- und Patentstreitregelungssystem. Dabei wies sie auf das moderne estnische e-filing-Gerichtssystem hin, das nicht zuletzt als Inspirationsquelle für das künftige EPG dienen könnte.
Andres Anvelt, Justizminister von Estland, Tallinn, machte in seiner Eröffnungsansprache deutlich, dass die Europäische Union großen Einfluss auf Estland und die Entwicklung des estnischen Gerichtssystems gehabt habe. Im Weiteren wies er auf die guten Fortschritte von Estland zur Ratifizierung des EPG-Übereinkommens hin, bei dem das Justizministerium und das estnische Patentamt einen wesentlichen Beitrag leisten würden. Der Schutz des geistigen Eigentums sei für Estland von größter Bedeutung.
Ants Kull, Vorsitzender, Zivilkammer, Oberster Gerichtshof der Republik Estland, Tallinn, machte deutlich, dass Estland als kleines Land mit 1,3 Mio. Einwohnern und ohne natürliche Ressourcen auf Wissen für seinen ökonomischen Erfolg zurückgreifen müsse. In Sachen Innovationsfähigkeit und Wirtschaftsstärke innerhalb der EU nehme Estland den 14. bzw. den 21. Platz ein. Es gebe daher keinen Grund, sich zurückzulehnen. Zurzeit sei das Wirtschaftswachstum in der EU abgesehen von wenigen Ausnahmen problematisch. Verbesserungsbedarf bestehe insbesondere bei der wirtschaftlichen Verwertung von Erfindungen. Gesetze seien zwar die Grundlage zur Schaffung eines innovativen Landes, sie alleine würden jedoch nicht ausreichen, um Innovationen zu schaffen. Dem Patentrichtersymposium komme die wichtige Aufgabe zu, umstrittene rechtliche Themen auf die Tagesordnung zu bringen und die Harmonisierung der Rechtsprechung in Europa weiter voranzutreiben.
Raimund Lutz, Vizepräsident DG 5, Recht/Internationale Angelegenheiten, EPA, München, hob in seiner Willkommensansprache die lange Tradition der Zusammenarbeit zwischen dem EPA und rechtsprechenden Behörden der EPÜ-Vertragsstaaten hervor. Ziel der Veranstaltung sei immer gewesen, die Zusammenarbeit unter den Richtern in Europa zu fördern. Dieser regelmäßige Austausch unter den Richtern der Gerichte der EPÜ-Vertragsstaaten und den Mitgliedern der Beschwerdekammern des EPA werde mit Blick auf das EPG noch mehr an Bedeutung gewinnen. Das EPA würde die Umsetzung des EPG-Übereinkommens in Form von technischer Hilfe bei der Ausbildung der Richterkandidaten unterstützen. Zudem hob Herr Lutz als weiteren Beitrag des EPA zur erfolgreichen Implementierung des EU-Patentpakets das bereits umgesetzte Maschinenübersetzungsprogramm "PatentTranslate" hervor. Das Programm werde jeden Tag durch Tausende externe Nutzer, aber auch durch Prüfer des EPA genutzt und sichere damit einen besseren Zugang zum Stand der Technik. Abschließend verwies er auf die guten rechtlichen und finanztechnischen Fortschritte der Implementierungsarbeiten des EU-Einheitspatents im Engeren Ausschuss. Diese würden ermöglichen, dass schon bald über konkrete Zahlen zur Höhe der Jahresgebühren des Einheitspatents gesprochen werden könnte.
Matti Pätts, Generaldirektor des estnischen Patentamts, Tallinn, rundete den bunten Reigen an Eröffnungsreden und Willkommensgrüßen mit dem Hinweis auf die tägliche Herausforderung eines Patentrichters ab, immer auf dem neusten Stand der technologischen Entwicklung zu bleiben.
Wim van der Eijk, Vizepräsident der Generaldirektion 3 und Vorsitzender der Großen Beschwerdekammer des EPA, München, gab einen Überblick über die letzten Entwicklungen in den Beschwerdekammern des EPA und verwies gleich zu Beginn seiner Rede mit Blick auf das EPG auf die Wichtigkeit eines harmonisierten Ansatzes der Auslegung des Patentrechts hin. Dabei müsse einerseits immer wieder das Bewusstsein der Richter und Beschwerdekammermitglieder gestärkt werden, dass sie relevante Patententscheidungen untereinander in Betracht ziehen müssten. Andererseits würde die Harmonisierung der Rechtsprechung auch mit Konferenzen und Symposia wie das Richtersymposium gestärkt, bei dem sich die Richter austauschen könnten. Wim van der Eijk präsentierte das Arbeitsvolumen der Beschwerdekammern und stellte fest, dass seit 2012 die Zahl der Beschwerden rückgängig sei, dagegen die Anzahl der erledigten Fälle in den ersten acht Monaten von 2014 um beinahe 8 % angestiegen sei. Nichtsdestotrotz würden die Zahl der anhängigen Fälle und die Bearbeitungszeiten weiter ansteigen. Er wies daher auf die Möglichkeit der beschleunigten Bearbeitung von Beschwerden auf Antrag von Parteien und Gerichten hin. Insgesamt rund 49 % aller Beschwerden in Ex-parte-Verfahren seien ganz oder teilweise erfolgreich gewesen. Danach gab Wim van der Eijk einen kurzen Überblick über die Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer der letzten beiden Jahre. Abschließend widmete er sich der Zusammenarbeit zwischen den Beschwerdekammern und nationalen Richtern und unterstrich die guten Erfahrungen, die mit der Beteiligung von nationalen Richtern in der Großen Beschwerdekammer gemacht worden seien.
I. Erste Arbeitssitzung
Unter dem Vorsitz von Margot Fröhlinger, Hauptdirektorin Patentrecht und multilaterale Angelegenheiten, EPA, München, informierten Johannes Karcher, Richter am Bundespatentgericht, Carl Josefsson, Leitender Berufungsrichter, Berufungsgericht Svea hovrätt und Sir David Kitchin, Lord Justice, Court of Appeal of England and Wales über den letzten Stand der Umsetzungsarbeiten des EPG-Übereinkommens.
Johannes Karcher erklärte, dass der Vorbereitende Ausschuss für das EPG aus fünf Arbeitsgruppen bestehen würde. Eine davon sei die Gruppe "Recht", der er vorstehen würde und die aus sieben Teams zusammengesetzt sei: Team "Verfahrensregeln", Team "Gerichtskanzlei", Team "Rechtshilfe", Team "Gerichtsgebühren und erstattungsfähige Kosten", Team "Verfahrensregeln der Komitees", Team "Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit" und Team "Patentstreitregelungszertifikat". Mit Bezug auf die Verfahrensregeln hätte das einschlägige Team bestehend aus 15 Delegationen der EU-Mitgliedstaaten bisher insgesamt drei Sitzungen zum 16. Entwurf der Verfahrensregeln abgehalten. Nach Abschluss der Diskussionen im Team würde die Europäische Kommission zur Kompatibilität des Entwurfs mit dem EU-acquis konsultiert und danach der 17. Entwurf der Verfahrensregeln ausgearbeitet. Im Anschluss sei eine öffentliche Anhörung zu den Verfahrensregeln geplant, und falls notwendig würden weitere Anpassungen in den Entwürfen diskutiert und umgesetzt. Abschließend würde der Verfahrensentwurf dem Vorbereitenden Ausschuss präsentiert. Im Weiteren informierte Herr Karcher über verschiedene vorgeschlagene Änderungen in den Verfahrensregeln, insbesondere zum geplanten "opt-out", zu den möglichen Verfahrenssprachen vor den Lokalkammern des EPG erster Instanz und zu Unterlassungsverfügungen.
Carl Josefsson informierte die Teilnehmer über die Vorauswahl und das Training der Richterkandidaten für das künftige EPG. Der Aufruf nach einer Interessenbekundung habe zu über 1 300 Anmeldungen geführt, davon 1/3 für rechtlich qualifizierte Richter und 2/3 für technisch qualifizierte Richter. 170 der Interessenten für die rechtlich qualifizierten Richterposten seien als "geeignete" Kandidaten eingestuft worden, d. h., sie würden das Auswahlerfordernis der Kenntnis von materiellem Patentrecht und nachgewiesener Erfahrung auf dem Gebiet der Patentstreitregelung bereits erfüllen. Viele davon seien sogar als "besonders geeignet" eingestuft worden. 180 der Interessenten seien als formell "geeignet" eingestuft worden, würden jedoch noch Schulung benötigen. Dies bedeute, dass sie Weiterbildung auf dem Gebiet des materiellen Patentrechts oder auf dem Gebiet der Patentstreitregelung oder in beiden Bereichen benötigen würden. Von den Interessenten für die technisch qualifizierten Richterposten seien 340 als "besonders geeignet" oder "geeignet" eingestuft worden. Das Training der Richter würde in Kürze und mit Unterstützung der Patentakademie der Europäischen Patentorganisation im Budapester Trainings-Zentrum des EPG begonnen. Für die Kandidaten der rechtlich qualifizierten Richterposten gibt es Schulung im materiellen Patentrecht, Patentverletzungs- und Patentstreitregelungsverfahren. Zudem seien Gerichtspraktika und Sprachtraining geplant. Für die technisch qualifizierten Richterkandidaten liege der Fokus der Schulung auf der eigentlichen Richtertätigkeit, wie Grundregeln der Fairness, Leitung des Verfahrens und anderen Aspekten des Zivilprozessverfahrens. Zudem würden für beide Gruppen Fallstudien unter dem künftigen Verfahrensrecht des EPG durchgeführt.
Sir David Kitchin sprach über richterliche Fähigkeiten ("judgecraft") und die Notwendigkeit der Schaffung einer gemeinsamen Richterkultur innerhalb des EPG. Um diese Ziele erreichen zu können, seien allgemeine richterliche Verhaltensmaßstäbe, die Fallbearbeitung und ein effektives Gerichtsmanagement sowie die Gerichtsentscheidungen von großer Bedeutung. Bei den richterlichen Verhaltensmaßstäben seien die richterliche Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Integrität, Rechtschaffenheit, Kompetenz und Sorgfalt, persönliche Beziehungen und Unvoreingenommenheit sowie die mögliche außergerichtliche Tätigkeit von besonderer Wichtigkeit. Zum Aspekt der Fallbearbeitung gehörten allgemeine Punkte wie die Verhältnismäßigkeit oder die Frage der Notwendigkeit der Anhörung der Gegenpartei, aber auch die Entscheidung eines Antrags nach einer Beschlagnahmung oder von vorsorglichen Maßnahmen und die Beweiswürdigung seien essenziell für die Rechtskultur eines Gerichts. Was die Gerichtsentscheidungen angeht, sollten diese kurz und klar abgefasst sein. Dabei gelte es, nie den Adressaten der Entscheidungen aus den Augen zu verlieren, d. h. insbesondere die unterlegene Partei und die allgemeine Öffentlichkeit.
In der darauffolgenden Diskussion unter den Teilnehmern wurde deutlich, dass die Schulung der Richterkandidaten im einheitlichen Abfassen von Entscheidungen aufgrund der unterschiedlichen nationalen Ansätze und Kulturen von größter Wichtigkeit sein wird. Zudem wurde der Schluss gezogen, dass die Sprachkenntnisse der Richter aufgrund der hohen Komplexität der Streitregelungsmaterie in rechtlicher und technischer Hinsicht von essenzieller Natur seien und daher gefördert werden müssten. Margot Fröhlinger machte daher deutlich, dass für das Sprachtraining der Richter und Richterkandidaten insbesondere die Vertragsstaaten gefordert seien. Für das patentspezifische Vokabular würden vom EPA technische Wörterbücher zur Verfügung gestellt.
Vergleich und Interaktion zwischen den EPA-Beschwerdekammern und nationalen Gerichten – Stand der Dinge und Lösungen für das Einheitliche Patentgericht (EPG)
Nach den Einführungsreferaten zum EPG saßen Sir Richard Arnold, Richter, Chancery Division, High Court, London, William Chandler, Mitglied einer Technischen Beschwerdekammer, Europäisches Patentamt, München, Marie Courboulay, Stellvertretende Vorsitzende, 3. Kammer des Tribunal de Grande Instance von Paris, Klaus Grabinski, Richter, Bundesgerichtshof, Karlsruhe, und Rian Kalden, Richterin, Berufungsgericht, Den Haag, in gemeinsamer Runde, um verschiedene Themen zu diskutieren, für die noch immer ein gemeinsamer europäischer Ansatz gesucht wird und für die nicht zuletzt das EPG gemeinsame Lösungen finden muss.
a) Widerruf eines Patents nach rechtskräftigem Verletzungsurteil: was dann? Nationale Praxis und künftige Praxis des EPG
Zur Frage der rechtlichen Folgen bei einem nachträglichen Widerruf eines Patents nach einem ergangenen rechtskräftigen Verletzungsurteil erläuterte Sir Richard Arnold in seinem Eingangsreferat die Situation im Vereinigten Königreich. Dabei ging er auf die kürzlich ergangene Entscheidung Virgin Atlantic Airways Ltd gegen Zodiac Seats UK Ltd ([2013] UKSC 46, [2014] AC 160) ein und erklärte, dass mit dieser Entscheidung diverse ältere Entscheidungen aufgehoben worden seien. Dennoch seien verschiedene Fragen offen geblieben. So habe das höchste Gericht nicht entschieden, was passiere, wenn der Beklagte zum Zeitpunkt, zu dem das Patent widerrufen oder geändert wird, bereits Schadensersatz an den Patentinhaber geleistet habe. Zudem sei unklar, inwieweit der unterlegene Beklagte nach erfolglosem Angriff auf den Rechtsbestand eines Patents im Patentverletzungsprozess eine separate Nichtigkeitsklage zum selben Patent anstrengen könne. Nicht zuletzt wäre in diesem Zusammenhang auch offen geblieben, ob der Beklagte, wenn eine Nichtigkeitsklage zum selben Patent nicht angestrengt werden könnte, einen Dritten rechtmäßig damit beauftragen könnte.
Rian Kalden machte deutlich, dass in den Niederlanden aufgrund der retroaktiven Wirkung der Nichtigkeitsentscheidung (Artikel 68 EPÜ) bereits bezahlter Schadensersatz aufgrund einer Verletzung dieses Patents zurückbezahlt werden müsse.
Im Gegensatz dazu erklärte Marie Courboulay, dass nach französischem Recht keine Möglichkeit bestünde, auf eine rechtskräftige Entscheidung betreffend die Verletzung des Patents zurückzukommen, d. h., dass weder die Vollstreckung der Entscheidung aufgehoben werden könne, noch bereits bezahlter Schadensersatz zurückgefordert werden könne. Sie machte jedoch deutlich, dass sie es begrüßen würde, wenn vor dem EPG die Vollstreckung der Entscheidungen über eine Patentverletzung ausgesetzt würde, bis das Gericht in einem möglicherweise parallel anhängigen Nichtigkeitsverfahren vor einem nationalen Gericht über die Nichtigkeit desselben Patents entschieden hätte.
Klaus Grabinski erklärte, dass in Deutschland je nach prozessualer Sachlage verschiedene Instrumente bestünden, eine Vollstreckung abzuwenden bzw. bereits ergangenen Schadensersatz zurückzufordern. Im EPG-Verfahren sei nach Regel 354 (4) im aktuellsten Entwurf zu den Verfahrensregeln vorgesehen, dass die Vollstreckung eines Verletzungsurteils aufgeschoben werden könne, insoweit noch eine Nichtigkeitsklage zum selben Patent anhängig sei. Ungeregelt sei jedoch, ob es auch zu einer Rückabwicklung im Falle bereits geleisteter Schadensersatzzahlungen kommen kann. Dies würde sich daher nach nationalem Recht richten. Im Anschluss gab es verschiedene Wortmeldungen aus dem Publikum, die forderten, dass das Einspruchsverfahren vor dem EPA beschleunigt wird. Aufgrund der langen Verfahrensdauer dieser Verfahren seien die nationalen Gerichte zurzeit gezwungen, eine Entscheidung in der Patentverletzungsfrage zu erlassen, ohne das Ergebnis eines parallelen Einspruchsverfahrens abwarten und ihr Verfahren getrost aussetzen zu können. Damit war ein fließender Übergang zum nächsten Themenbereich gefunden.
b) Subsidiarität von Nichtigkeitsklagen bei anhängigen Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vor dem EPA: nationale Praxis und künftige Praxis des EPG
Marie Courboulay führte in diesen Themenbereich ein und stellte die französische Praxis dar. Sie erklärte, dass keine gesetzliche Pflicht zur Aussetzung eines Verfahrens in Frankreich bestünde, wenn ein Einspruch oder eine Beschwerde vor dem EPA eingereicht worden sei. Einigten sich die Parteien nicht auf eine Aussetzung, so würde das Gericht darüber entscheiden. Bei dieser Entscheidung würde es insbesondere die Erfolgsaussichten des Einspruchs oder der Beschwerde, die Frage, ob die Parteien eine Beschleunigung des Verfahrens vor dem EPA beantragt hätten, die Interessenlage der Parteien bei einer Aussetzung und den Prozentsatz der vom EPA widerrufenen Patente berücksichtigen. In Frankreich würden nur 1/4 der Verfahren ausgesetzt. In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass auch die Verletzungsgerichte eine Beschleunigung des Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren beantragen könnten.
Rian Kalden erläuterte die niederländische Praxis und machte deutlich, dass diese dem französischen Ansatz sehr nah komme. Zudem erklärte sie, dass die Entscheidung einer Aussetzung im nationalen Verfahren auch vom Umstand abhänge, ob die Verletzung oder die Nichtigkeit vor den nationalen Gerichten zur Diskussion stünden.
Sir Richard Arnold machte deutlich, dass auch im Vereinigten Königreich keine Aussetzungspflicht bestünde und es dem Gericht überlassen sei, ob es sein Verfahren aussetze. Dazu seien auf nationaler Ebene neue Richtlinien erlassen worden. Gemäß diesen Richtlinien gälte es für den Richter bei der Beantwortung der Frage einer Aussetzung des Verfahrens hauptsächlich zu beurteilen, wie sich die Verfahren in zeitlicher Hinsicht entwickeln würden, d. h. insbesondere auch, ob eine zeitnahe Entscheidung des EPA zu erwarten sei. Im Weiteren müsse die wirtschaftliche Sicherheit ("commercial certainty") bei der richterlichen Abwägung einer Aussetzung mit in Betracht gezogen werden.
Klaus Grabinski erklärte, dass in Deutschland keine Nichtigkeitsklage erhoben werden könne, solange noch ein Einspruch vor dem EPA eingereicht werden könne oder ein Einspruchsverfahren anhängig sei. Dieser Ansatz sei durch das in Deutschland bestehende Trennungssystem begründet, bei dem die Verletzung und die Rechtsgültigkeit in unterschiedlichen Verfahren beurteilt würden. Ein Verletzungsverfahren würde in Deutschland ausgesetzt, falls eine hohe Wahrscheinlichkeit der Nichtigkeit des Patents bestünde. Daher wäre es wichtig, wenn in parallelen Verfahren die Einspruchsabteilungen oder die Beschwerdekammern des EPA eine vorläufige Bewertung der Rechtsgültigkeit vornehmen und den nationalen Verletzungsgerichten zukommen lassen könnten.
Rian Kalden ergänzte, dass in den Niederlanden im Falle eines anhängigen Einspruchs oftmals vorsorgliche Maßnahmen beantragt würden und danach das Verfahren in der Hauptsache ausgesetzt würde. Dies könnte auch ein Ansatz sein, den das EPG verfolgen könnte. Von den Teilnehmern wurde anschließend der Vorschlag von Klaus Grabinski unterstützt.
c) Bindungswirkung von Aufrechterhaltungsentscheidungen der Beschwerdekammern? Wechselseitige Überzeugungskraft von BK-Entscheidungen und nationalen Entscheidungen? Einfluss des EPG?
Rian Kalden erklärte, dass eine Entscheidung der Beschwerdekammern, ein europäisches Patent aufrechtzuerhalten, auf die niederländischen Gerichte keine bindende Wirkung hätte. Oftmals würden vor den nationalen Gerichten unterschiedliche Argumente vorgebracht. Im Weiteren würden die Verfahren vor den Beschwerdekammern weniger Beweiserhebungsmöglichkeiten vorsehen als die nationalen Verfahren. Dies bedeute jedoch nicht, dass sich die niederländischen Gerichte nicht mit den rechtlichen Argumenten der Beschwerdekammerentscheidungen auseinandersetzen würden. Zum Teil werde dabei festgestellt, dass die Beschwerdekammern unterschiedliche rechtliche Ansätze verfolgten. In einem solchen Fall seien die nationalen Gerichte gefordert, sich für den einen oder anderen Ansatz zu entscheiden. Das in Patentsachen zuständige unterinstanzliche Gericht in den Niederlanden folge grundsätzlich der Praxis der Beschwerdekammern. Falls es dies nicht tun möchte, wird es dies begründen. Ob umgekehrt nationale Entscheidungen für die Beschwerdekammern von Überzeugungskraft sind, könne sie jedoch nicht beurteilen. Es wäre allerdings zu begrüßen, wenn die Beschwerdekammern in ihren Entscheidungen angeben könnten, ob sie Entscheidungen nationaler Gerichte in Betracht gezogen hätten und falls sie einer bestimmten nationalen Entscheidung nicht folgen würden, warum sie dies nicht tun wollten.
William Chandler erklärte, dass die Mitglieder der Beschwerdekammern in der Regel nationale Entscheidungen und Rechtsprechung in Betracht ziehen würden und sich auch kritisch damit auseinandersetzen würden, ohne dies jedoch explizit in den Entscheidungen zu erwähnen.
Marie Courboulay führte aus, dass die französische der holländischen Praxis ähnlich sei. Das EPA, seine Beschwerdekammern und die Große Beschwerdekammer seien Teil einer Patenterteilungsbehörde und daher keine rechtsprechende Behörde. Zudem würden vor den französischen Gerichten oft neue Vorbringen und Gesichtspunkte geltend gemacht, die der Begründung des EPA Rechnung tragen würden.
Klaus Grabinski stellte fest, dass es nicht selten vorkomme, dass es parallele Streitigkeiten gebe und sich daher die Frage stelle, wie mit den Entscheidungen anderer Gerichte umgegangen werden solle. Oftmals gehe es in den einschlägigen Fällen um harmonisiertes materielles Patentrecht. Vor diesem Hintergrund seien die Richter daher gefordert, sich mit den parallel ergangenen Entscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auseinanderzusetzen.
Sir Richard Arnold erklärte, dass auch in England und Wales die Praxis ähnlich wie in den Niederlanden sei. Die Gerichte seien in keinster Weise an die Entscheidungen der Beschwerdekammern gebunden. Wenn es jedoch um die Rechtsprechung gehe, sollte dieser gefolgt werden. Bei parallelen Verfahren seien die britischen Gerichte nicht gebunden, da in ihren Verfahren oftmals andere Beweismittel vorgelegt würden und daher anders geurteilt werden müsse. Diese Erläuterungen des Panels provozierten interessante Reaktionen im Publikum. Zum einen wurde gefordert, dass es zweckmäßig wäre, wenn zwischen nationalen Gerichten und Beschwerdekammern eine einheitliche Praxis zur Handhabung von Hilfsanträgen geschaffen werden könne. Zum anderen wurde deutlich gemacht, dass oftmals der Eindruck bestehe, dass die Verfahren vor den Beschwerdekammern zu langsam seien. Dagegen wurde eingebracht, dass es oftmals die Parteien seien, die die Verfahren mit ihrem Verhalten absichtlich verzögern würden. Zudem bestehe die Möglichkeit für nationale Gerichte, eine Beschleunigung der Verfahren vor den Beschwerdekammern zu beantragen.
d) Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen (CII): Sachlage und Entwicklungen
William Chandler konzentrierte sich in seiner Einführung nach einem allgemeinen Überblick zur Sachlage und den letzten Entwicklungen auf den Ansatz der Beschwerdekammern zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen und die wichtigsten Unterschiede gegenüber der Praxis in den USA, dem Vereinigten Königreich und Deutschland. Marie Courboulay erklärte, dass in Frankreich inzwischen ein sehr ähnlicher Ansatz wie beim EPA bestehe. Rian Kalden erläuterte, dass in den Niederlanden im Wesentlichen der deutschen Praxis gefolgt werde, d. h., dass nur die technischen Elemente der Erfindung berücksichtigt würden und die Erfindung patentierbar sei, falls diese Elemente erfinderisch seien.
e) Erfinderische Tätigkeit: Aufgabe-Lösungs-Ansatz: Gibt es noch Spielraum für eine Harmonisierung?
Klaus Grabinski stellte den Aufgabe-Lösungs-Ansatz des EPA vor. Dabei müsse zuerst der "nächstliegende Stand der Technik" ermittelt werden. In einem zweiten Schritt folge danach die Bestimmung der zu "lösenden objektiven technischen Aufgabe" und in einem dritten Schritt die Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre. Im Gegensatz dazu würde in Deutschland der nächstliegende Stand der Technik nicht der alleinige Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit sein. Zudem würde die Beurteilung des Kriteriums des "Naheliegens" im Rahmen des dritten Schrittes nach deutscher Praxis anders festgelegt: Um einen Lösungsweg als für den Fachmann naheliegend anzusehen, bedürfe es in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit der technischen Aufgabe hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösungen der technischen Aufgabe auf dem Weg der Erfindung zu suchen. Diese sei ausnahmsweise nicht erforderlich, wenn es für den Fachmann auf der Hand liege, was zu tun sei.
Rian Kalden erläuterte, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz auch in den Niederlanden angewendet werde. Allerdings gäbe es Fälle, bei denen seine strikte Anwendung problematisch sei, d. h. unter Umständen könne bestimmter Stand der Technik nicht in Betracht gezogen werden, obwohl er in Betracht gezogen werden sollte, um die Erfindungshöhe zu bestimmen.
Marie Courboulay meinte, dass dem Ansatz in Frankreich grundsätzlich gefolgt werde, es jedoch unter gewissen Umständen angezeigt erscheine, nach Alternativen zu suchen.
Sir Richard Arnold erklärte, dass im Vereinigten Königreich ein anderer Ansatz zur Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit entwickelt worden sei. In einem ersten Schritt müssten der "Durchschnittsfachmann" und das einschlägige allgemeine Fachwissen dieses Fachmanns ermittelt werden. In einem zweiten Schritt folge die Ermittlung der dem betreffenden Anspruch zugrunde liegenden erfinderischen Idee und, wenn dies nicht ohne weiteres möglich sei, die Auslegung des Anspruchs. Ein dritter Schritt bestehe in der Ermittlung etwaiger Unterschiede zwischen dem als Stand der Technik angegebenen Gegenstand und der dem Anspruch bzw. dem ausgelegten Anspruch zugrunde liegenden erfinderischen Idee. Zuletzt müsse die Frage geklärt werden, ob es sich bei diesen Unterschieden, wenn man sie in Unenntnis der beanspruchten angeblichen Erfindung betrachte, um für den Fachmann naheliegende Schritte handle oder ob sie zumindest bis zu einem gewissen Grad erfinderisch seien.
William Chandler erklärte, dass der Aufgabe-Lösungs-Ansatz in den allermeisten Fällen zum richtigen Ergebnis führe.
II. Zweite Arbeitssitzung
Ergänzende Schutzzertifikate: Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Dauer der Patentverlängerung und zum Schutzumfang
Die zweite Arbeitssitzung fand unter dem erfahrenen Vorsitz von Martine Regout, Richterin, Kassationshof, Brüssel, statt.
İlhami Güneş, Richter, Zivilgericht für geistiges Eigentumsrecht in Izmir, führte ins Thema der ergänzenden Schutzzertifikate (ESZ) ein, erläuterte die gesetzlichen Grundlagen innerhalb der EU, den Zweck von ESZ und die Voraussetzungen für den Erwerb eines ESZ. Abschließend erklärte er, dass es in der Türkei keine ESZ gäbe.
Massimo Scuffi, Richter, Oberster Gerichtshof/Präsident des Bezirksgerichts in Aosta, erläuterte die Entwicklung der Rechtsprechung zu den ESZ, insbesondere durch den EuGH. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Entwicklung der Rechtsprechung mit Bezug auf die Verlängerung der Laufzeit von Arzneimittelpatenten und dem Zusammenhang zwischen dem Schutzumfang des Patents und dem ESZ. Er machte auch deutlich, dass der EuGH auch immer wieder wichtige Fragen unbeantwortet lasse.
Rian Kalden ging zum Abschluss auf die jüngste Rechtsprechung des EuGH zu ESZ ein. Dabei beleuchtete sie die Entscheidungen Eli Lilly gegen HGS (C-493/12), Georgetown University gegen Octrooicentrum Nederland (C-484/12) und Actavis gegen Sanofi (C-443/12) und wies auf die offenen Fragen der nationalen Gerichte hin, die die Entscheidungen nun umzusetzen hätten.
III. Dritte Arbeitssitzung
Welche Änderungen sind zulässig, damit die Erfordernisse von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ erfüllt sind?
Manfred Vogel, Hofrat, Oberster Gerichtshof, Wien, führte den Vorsitz der dritten Arbeitssitzung. Fritz Blumer, Mitglied, Juristische Beschwerdekammer, EPA, München und Klaus Bacher, Richter, Bundesgerichtshof, Karlsruhe waren die beiden Referenten und stellten die Praxis der zulässigen Änderungen im Zusammenhang mit Artikel 123 (2) und (3) EPÜ vor dem EPA und den einschlägigen deutschen Behörden dar.
Fritz Blumer wies zuerst auf das Ziel der Normen hin, ein Gleichgewicht zwischen der Freiheit des Anmelders bzw. Patentinhabers und dem Schutz von Dritten zu finden. Bei Artikel 123 (2) EPÜ gehe es um die Frage der erlaubten Begrenzung des technischen Inhalts einer Anmeldung. Dazu stellte er an konkreten Beispielen sehr anschaulich dar, wann eine Beschränkung des Gegenstands noch im erlaubten Bereich liegt, sodass er nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Daraus folgerte er, dass eine Änderung nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig sei, wenn die geänderte Patentanmeldung bzw. das geänderte Patent keinen Gegenstand enthält, der gegenüber der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung neu wäre. Artikel 123 (3) EPÜ ziele dagegen insbesondere auf den Rechtsschutz Dritter vor der Erweiterung des Schutzbereichs. Anhand weiterer Beispiele stellte er am Ende des Referats fest, dass eine Änderung nach Artikel 123 (3) EPÜ zulässig sei, wenn der Schutzbereich des geänderten Patents keine Ausführungsform abdecke, die vom Patent in der erteilten Fassung nicht abgedeckt war.
Klaus Bacher stellte einleitend die verschiedenen Verfahren zur Änderung eines erteilten Patents vor dem EPA und vor den deutschen Behörden dar. Mit Bezug auf Artikel 123 (3) EPÜ habe der BGH den sogenannten "Verletzungstest" entwickelt, wonach der Schutzbereich durch eine Änderung als erweitert gelte, wenn Handlungen, die das Patent in seiner erteilten Fassung nicht verletzen würden, nach der Änderung eine Patentverletzung darstellen würden. Dabei ging er auch speziell auf die Frage der erlaubten Erweiterung des Schutzbereichs im Bereich von Äquivalenten ein. Danach erläuterte er sehr klar die deutsche Rechtsprechung mit Bezug auf eine unzulässige Erweiterung nach Artikel 123 (2) EPÜ und stellte abschließend fest, dass es zwischen dem Ansatz des EPA und des Bundesgerichtshofs keine fundamentalen Unterschiede mit Bezug auf unzulässige Erweiterungen gebe.
IV. Vierte Arbeitssitzung
Fallstudie "Dunstabzugshaube"
Traditionsgemäß war der Nachmittag des zweiten Symposiumstages der Fallstudie unter dem Vorsitz von Dieter Stauder, ehemaliger Professor an der Robert-Schuman-Universität, Straßburg, und Mitautor der Fallstudie, gewidmet. Dieter Brändle, Präsident, schweizerisches Bundespatentgericht, St. Gallen, und Tobias Bremi, Zweiter hauptamtlicher Richter, schweizerisches Bundespatentgericht, St. Gallen, und Hauptverfasser der Fallstudie, leiteten den Fall ein. Nach intensiven Diskussionen innerhalb der drei Sprachgruppen Deutsch, Französisch und Englisch und der Präsentation der individuellen Ergebnisse wurden die Diskussionen wie folgt zusammengefasst:
Die Frage der Zuständigkeit des EPG betreffend die Verletzungs- und Nichtigkeitsklage zum schweizerischen Teil des europäischen Patents wurde mehrheitlich verneint. Mit Bezug auf die Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen zum Einheitspatent war die Mehrheit der Teilnehmer der Meinung, dass das EPG zuständig sei. Betreffend die Verletzungshandlungen des Patents wurde mehrheitlich davon ausgegangen, dass das EPG sachlich für alle Verletzungshandlungen zuständig sei, da, obwohl die Lieferung nur in die Schweiz erfolgt sei, in Estland die Gefahr von Vertriebshandlungen bestünde.
Mit Bezug auf die Frage der Verletzung und der Nichtigkeit des Patents war die Mehrheitsmeinung unter den Teilnehmern, dass das Patent verletzt worden sei, jedoch aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig erklärt werden müsse. Abschließend wurde anerkennend festgehalten, dass alle Teilnehmer erkannt hätten, dass in diesem Fall ein Zusammenspiel zwischen der Frage der Verletzung und der Nichtigkeit bestehen würde. Würden die Ansprüche eng ausgelegt, sei das Patent rechtsgültig, dafür aber nicht verletzt. Würden allerdings die Ansprüche weit ausgelegt, könne zwar eine Verletzung bejaht werden, jedoch müsste das Patent in diesem Fall für nichtig erklärt werden.
V. Fünfte Arbeitssitzung
Aktuelle Entwicklungen in Recht und Rechtsprechung auf europäischer und nationaler Ebene
Dieter Brändle berichtete über drei Entscheidungen des seit dem 1. Januar 2012 für Patentverletzungs- und Patentnichtigkeitssachen ausschließlich zuständigen Patentgerichts in der Schweiz. Die drei Fälle befassten sich mit den Voraussetzungen für das Vorliegen von Äquivalenz, der zeitlichen Wirkung des Patents und der Befangenheit nebenamtlicher Richter.
Beate Schmidt, Präsidentin, Bundespatentgericht, München, gab einleitend einen kurzen Überblick über die Eingänge und die Erledigungen des deutschen Bundespatentgerichts. Danach stellte sie kurz und prägnant die Hintergründe und die Beweggründe für das Vorabentscheidungsbegehren des Bundespatentgerichts in der EuGH-Entscheidung C-11/13 dar und erläuterte die Entscheidung des EuGH in dieser ESZ-Sache.
Yvonne Podbielski, Juristin, Rechtswissenschaftlicher Dienst der Beschwerdekammern, München, gab einen Überblick über die Entwicklungen der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA. Dabei konzentrierte sie sich auf die Vorlage an die Große Beschwerdekammer G 3/14, bei der es um die Klarheit von Ansprüchen im Einspruchsverfahren geht. Im Weiteren erläuterte sie die wichtigsten Fälle der letzten Jahre zu den Ausnahmen von der Patentierbarkeit auf dem Gebiet der Biotechnologie und stellte kurz einen wichtigen Fall zur Frage der Doppelpatentierung durch einen Anspruch in einer Stammanmeldung und einen schweizerischen Anspruch in der daraus abgeleiteten Teilanmeldung dar.
Sophie Darbois, Richterin, Kammer für Handelssachen am Kassationshof, Paris, erklärte einleitend, dass zwischen dem 30. Mai 2012 und dem 30. Mai 2014 das französische Kassationsgericht etwa 60 Urteile in Patentstreitigkeiten gefällt habe. Danach ging sie auf zwei wichtige Fälle betreffend Anträge auf Beschränkung von Patentansprüchen und auf Wiederherstellung der Rechte an einem Patent im Zusammenhang mit Beschwerden gegen Entscheidungen des Direktors des französischen Patentamts (INPI) ein. Im Weiteren erläuterte sie zwei Fälle mit Bezug auf ESZ. Der eine Fall befasste sich mit den Voraussetzungen eines ESZ und der andere setzte sich mit dem vorläufigen Schutz im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Generika kurz vor Ablauf eines ESZ auseinander.
Richard Hacon, Richter (Specialist circuit judge), Gericht für geistiges Eigentum (IPEC), London, gab einen Überblick über die jüngste Rechtsprechung in Patentsachen in England und Wales. Dabei fasste er die Entscheidung Schütz (UK) Ltd gegen Werit (UK) Ltd des UK Supreme Courts zusammen und ging kurz auf vier Entscheidungen des Court of Appeal ein. Im Fall Schütz ging es um die Bedeutung des "Herstellens" im Zusammenhang mit einer Patentverletzung. Die Fälle des Appeal Courts befassten sich mit der Frage der Wirkung der zentralen Änderung eines Patents (Samsung gegen Apple), der erfinderischen Tätigkeit und dem damit verbundenen technischen Beitrag zum Stand der Technik, der Nichtbenennung eines Vertragsstaats in einer europäischen Teilanmeldung und der irrtümlichen Erteilung des Patents für diesen Vertragsstaat sowie der Zuständigkeit der englischen Gerichte für die Feststellung der Nichtverletzung.
Gabriella Muscolo, Mitglied der italienischen Wettbewerbsbehörde und ehemalige Richterin, IP-Kammer Rom, ging auch kurz auf zwei Urteile in Sachen Samsung gegen Apple ein, die vor der Kammer für Geistiges Eigentum des Gerichts in Mailand (inzwischen Handelsgericht) verhandelt worden sind. Die Fälle seien besonders komplex gewesen, da es um 103 Patentfamilien mit Tausenden von Patenten sowie Probleme im Zusammenhang mit standardessenziellen Patenten und der Lizenzerteilung nach FRAND-Kriterien gegangen sei. Im Weiteren erläuterte sie einen Fall zur Frage der Zuständigkeit der italienischen Gerichte im Zusammenhang mit einer negativen Feststellungsklage in einer grenzüberschreitenden Patentstreitigkeit, bei dem auch der deutsche Teil eines europäischen Patents zur Debatte stand. Abschließend präsentierte sie einen Fall zur mittelbaren Patentverletzung und einen wettbewerbsrechtlichen Fall.
Edger Brinkman, Vorsitzender Richter, Berufungsgericht, Den Haag, gab einleitend kund, dass es von Juni 2012 bis Juni 2014 125 Patentfälle vor den drei niederländischen Instanzen zu beurteilen gab. Danach ging er auf verschiedene wichtige Urteile zur erfinderischen Tätigkeit und zur Neuheit, zur Zulässigkeit einer Erweiterung des Patents, zu den Ausnahmen der Patentierbarkeit und zu Artikel 69 EPÜ (Schutzumfang) ein.
Andreia Liana Constanda, Richterin, Oberster Kassations- und Gerichtshof, Zivilkammer, Bukarest, bot einen Überblick über die aktuellste Rechtsprechung in Rumänien im Patentrecht. Dabei ging es einerseits um eine Entscheidung zur Rechtsgültigkeit eines nach rumänischem Recht erteilten provisorischen Schutzzertifikats und andererseits in zwei Fällen um die Frage der Neuheit der Erfindung. Im Weiteren behandelte sie einen Fall, der die Folgen der Nichtbezahlung der Jahresgebühren betraf und die jüngste Rechtsprechung zu ESZ in Rumänien.
Peter Strömberg, Präsident, Patentberufungsgericht, Stockholm, stellte die vorgeschlagenen Änderungen der Gerichtsbarkeit in Schweden bei Klagen nicht zuletzt mit Bezug auf Patentsachen vor. Nach dem einschlägigen Gesetzesentwurf soll in Schweden neu für alle zivilgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Fälle mit Bezug auf Patente (und anderen Rechten des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrechten) das Amtsgericht Stockholm zuständig sein. Seine Entscheidungen können danach vor dem Berufungsgericht Svea hovrätt angefochten werden.
VI. Schluss
Zum Abschluss des Symposiums gab Kai Härmand symbolisch die Fackel des Europäischen Patentrichtersymposiums zurück an das EPA und bedankte sich bei den Teilnehmern für die herausragenden Präsentationen und Diskussionen.
Wim van der Eijk stellte fest, dass es sich einmal mehr um ein sehr erfolgreiches Patentrichtersymposium gehandelt habe. Die letzten drei Tage seien von spannenden und informativen Präsentationen und intensiven Debatten geprägt gewesen. Er dankte dem estnischen Justizministerium für die tadellose Organisation des Patentrichtersymposiums an einem äußerst interessanten Ort und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem EPA. Er freue sich schon darauf, die Richter beim nächsten Patentrichtersymposium 2016 wiederzusehen und erinnerte die Richter daran, nicht zu vergessen, dass ihr Fall möglicherweise auch in anderen Ländern verhandelt wird.