BERICHTE NATIONALER RICHTER
Aktuelle Entwicklungen des Patentrechts und der Rechtsprechung auf europäischer und nationaler Ebene
GB Vereinigtes Königreich
Richard HACON
Richter (Specialist circuit judge), Gericht für geistiges Eigentum (IPEC)
Aktuelle Entwicklungen in Recht und Rechtsprechung auf europäischer und nationaler Ebene
I. Neue Rechtsprechung aus England und Wales: Einführung
1. In den letzten beiden Jahren hat der Supreme Court nur zwei Urteile in Patentsachen gesprochen, zuletzt in Virgin Airways Ltd gegen Zodiac Seats UK Ltd [2013] UKSC 46; [2014] AC 1601. Dieses Urteil hat Sir Richard Arnold Mittwochnachmittag im Rahmen der Vortragsreihe über die Folgen des Widerrufs eines Patents durch die Technische Beschwerdekammer des EPA nach einem nationalen Verletzungsurteil erläutert. Ich möchte seine eingehende Analyse an dieser Stelle nicht wiederholen. Der andere Fall war Schütz (UK) Limited gegen Werit (UK) Limited [2013] UKSC 16; [2013] 2 All ER 177.
2. In der knappen mir zur Verfügung stehenden Zeit werde ich die Entscheidung Schütz zusammenfassen und auf drei Entscheidungen des Court of Appeal eingehen. Ich werde auch ein erstinstanzliches Urteil über die grenzüberschreitende Zuständigkeit von Gerichten ansprechen, das später vom Court of Appeal teilweise revidiert wurde.
II. Bedeutung des Worts "herstellt" im Zusammenhang mit einer Patentverletzung: Schütz gegen Werit
3. Eine Patentverletzung begeht, wer ein Erzeugnis "herstellt", das in den Schutzbereich der Ansprüche fällt. Meines Wissens gilt dies nach dem nationalen Patentrecht sämtlicher europäischer Staaten (so etwa im Vereinigten Königreich nach Section 60 (1) a) des Patents Act 1977) und wird auch nach dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht der Fall sein (Artikel 25 a). Die Frage, mit der sich der Supreme Court zu befassen hatte, war, ob das Einbauen eines Ersatzteils in ein Erzeugnis auf eine "Herstellung" dieses Erzeugnisses hinausläuft und das Patent somit verletzt wird (Schütz (UK) Limited gegen Werit (UK) Limited [2013] UKSC 16; [2013] 2 All ER 177).
4. Bei dem Erzeugnis handelte es sich um einen speziellen Container (Intermediate Bulk Container – "IBC") zum Transport von Flüssigkeiten. Dieser bestand aus einem Metallkäfig, in den ein großer Kunststoffbehälter oder "Kanister" eingepasst war. Der Kanister musste häufig ausgetauscht werden, etwa nach dem Befüllen mit giftigen Flüssigkeiten oder aufgrund von Beschädigungen. Das Patent betraf ausschließlich den Käfig – Gegenstand der Erfindung waren die flexiblen Schweißnähte des Käfigs, eine Vertiefung auf beiden Seiten der Naht und ein erhöhter Abschnitt in der Mitte. Im Patent wurde festgehalten, dass der Kanister auswechselbar sei.
5. Die durchschnittliche Lebensdauer des Käfigs lag um das Fünf- bis Sechsfache höher als diejenige des Kanisters, sodass es einen Markt für Ersatzkanister für IBC gab. Dies machte sich die Beklagte zunutze und belieferte ein Unternehmen, das IBC wieder aufbereitete, mit ihren Kanistern. Das Unternehmen baute die Kanister der Beklagten ein und verkaufte die wiederaufbereiteten IBC an die Endnutzer. Die Klägerin behauptete, die Aufbereitung komme einer "Herstellung" des Erzeugnisses gleich, und die Beklagte verletze somit ihr Patent.
6. In der ersten Instanz sah Justice Floyd eine Patentverletzung als nicht gegeben an, weil die im Patent beanspruchte erfinderische Idee ausschließlich im Käfig verwirklicht werde. Dieses Urteil wurde vom Court of Appeal aufgehoben, der eine Patentverletzung bejahte, weil es bei Entfernen des Kanisters keinen IBC mehr gebe; übrig bleibe nur noch eine Komponente des IBC.
7. Der Supreme Court schließlich urteilte, dass das Patent nicht verletzt sei. Das Wort "herstellt" habe keine präzise Bedeutung und sei kontext- und praxisbezogen unter Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts auszulegen. Die erfinderische Idee sei nur einer von mehreren relevanten Aspekten, weil der genaue Schutzbereich eines Anspruchs eher zufällig sein könne. Die Unterscheidung zwischen der Reparatur eines Erzeugnisses und seiner Herstellung könne hilfreich sein, doch sei dies nicht immer der Fall, weil sich beide überschneiden könnten. Auch die Fragestellung, inwiefern der Ersatzkanister für das patentierte Erzeugnis nur Zubehör sei, habe ihre Berechtigung. Hierzu verwies der Supreme Court auf mehrere Urteile des deutschen Bundesgerichtshofs.
8. Die Klärung der Frage, ob das Einbauen eines neuen Kanisters auf die Herstellung eines IBC hinauslaufe, sei letztendlich ein klassisches Beispiel für den Vorgang, bei dem nach Ermittlung und Abwägung der relevanten Fakten ein Ergebnis abgeleitet wird, das in diesem Fall laute, dass das Einbauen eines Kanisters rechtlich nicht als "Herstellung" eines IBC zu werten sei. Die Fakten seien:
a) Der Kanister
i) sei eine für sich funktionsfähige, austauschbare Komponente des patentierten Erzeugnisses,
ii) weise keinerlei Bezug zur beanspruchten erfinderischen Idee auf,
iii) habe eine viel kürzere durchschnittliche Lebensdauer als die andere, erfinderische Komponente,
iv) könne nicht als Hauptkomponente dieses Erzeugnisses bezeichnet werden; und
b) der Wiederaufbereiter nehme von Routinereparaturen abgesehen keine weiteren Arbeiten am IBC als den Austausch des Kanisters vor.
III. Wirkung der zentralen Änderung eines Patents: Samsung gegen Apple
9. Das Urteil des Court of Appeal von letztem März in der Sache Samsung Electronics Co Ltd gegen Apple Retail UK Ltd ([2014] EWCA Civ 250) war Teil des mit viel medialer Aufmerksamkeit bedachten und niemals ganz endenden Kampfes zwischen Samsung und Apple um die weltweite Vormachtstellung auf dem Markt für Tabletcomputer und Smartphones.
10. Samsung verklagte Apple wegen Verletzung von drei europäischen Patenten. Nur zwei davon sind für uns relevant. Im Prozess stützte sich Samsung auf die erteilte Fassung beider Patente, schlug aber auch Änderungen für den Fall vor, dass die Ansprüche in der erteilten Fassung für ungültig erklärt würden. Im März 2013 erklärte Justice Floyd beide Patente sowohl in der erteilten Fassung als auch mit den vorgeschlagenen Änderungen für nichtig (Samsung Electronics Co Ltd gegen Apple Retail UK Ltd [2013] EWHC 468 (Pat)). Gegen dieses Urteil legte Samsung Berufung ein.
11. Wie gesagt war dies Teil eines weltweit geführten Kampfes. Allein in Europa verklagte Samsung Apple wegen Verletzung eines der Patente in Deutschland und Italien. Das deutsche Bundespatentgericht erklärte das Patent im April 2013 für nichtig. Gegen dieses Urteil wurde Berufung eingelegt. In Italien und Frankreich verklagte Samsung Apple wegen Verletzung des anderen europäischen Patents. Meines Wissens ist in diesen Ländern zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes noch kein Urteil ergangen.
12. Im November 2013 beantragte Samsung nach Artikel 105a EPÜ die zentrale Änderung der Ansprüche beider Patente durch das EPA. Die vorgeschlagenen Änderungen entsprachen keiner der Fassungen, die Justice Floyd im Verfahren geprüft hatte, und die neuen Änderungen waren somit nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Daher bestand durchaus die Möglichkeit, dass die Ansprüche, über die der Court of Appeal verhandeln und urteilen würde, kurz darauf als von Anfang an nichtig gelten würden. Nach Artikel 64 und 68 EPÜ hat eine zentral vorgenommene Änderung zur Folge, dass die Wirkungen der geänderten Ansprüche als am Tag der Patenterteilung eingetreten gelten.
13. Samsung beantragte, das Berufungsverfahren so lange auszusetzen, bis das EPA über ihren Antrag auf eine zentrale Änderung der Patente entschieden hätte. Samsungs Argumentation war einfach: Es sei besser, wenn der Court of Appeal wisse, wie die Ansprüche gefasst würden, bevor er über die Berufung verhandle. Würden die vorgeschlagenen Änderungen vom Gericht gebilligt, so wäre es dem Court of Appeal ohne Weiteres möglich, anhand der bereits erfolgten Beweisaufnahme über die geänderten Patente zu entscheiden. Eine weitere Beweisaufnahme wäre nicht erforderlich.
14. Apples Position war, dass Samsung zumindest hinsichtlich der Benennung des Vereinigten Königreichs mit ihrem zentralen Änderungsantrag zu spät dran sei. Für den Fall, dass Samsung an der zentralen Änderung festhalte, beantragte Apple, festzustellen, dass die Berufung sich damit erledigt habe. Damit würden die UK-Patente im Ergebnis für nichtig erklärt werden. Samsung stünde es natürlich frei, das Änderungsverfahren vor dem EPA hinsichtlich der Benennung der übrigen Vertragsstaaten fortzusetzen.
15. Für seinen Standpunkt stützte sich Apple auf einen im englischen Recht fest verankerten Grundsatz, wonach die Parteien dem Gericht alle zu entscheidenden Fragen unterbreiten müssen. Eine Partei kann nicht einige Fragen aufwerfen und, sollte sie den Prozess verlieren, nochmal von vorn anfangen und es mit anderen versuchen, die früher hätten eingebracht werden können. In dem besonderen Fall, dass ein Patentinhaber Änderungen seiner Patentansprüche vorschlagen möchte, muss er sie alle im Verfahren zur Sprache bringen. Es stellt einen Verfahrensmissbrauch dar, vor Gericht eine Änderung zu beantragen, nachdem das Patent für nichtig erklärt worden ist. Wie Lord Justice Jacob in Nokia GmbH gegen IPCom & Co KG [2011] EWCA Civ 6; [2011] FSR 15 hervorgehoben hat, gilt dieser Grundsatz auch in anderen europäischen Ländern und selbst vor dem EPA. Hat die Beschwerdekammer entschieden, dass ein Patent ungültig ist, gestattet das EPÜ es dem Patentinhaber nicht, nun mit der Formulierung neuer, möglicherweise gültiger Ansprüche zu beginnen: Hierfür ist es zu spät.
16. Entgegen etablierten Rechtsgrundsätzen erklärte der Court of Appeal den Versuch von Samsung, die Patentansprüche neu zu fassen, nachdem die Patente durch ein abschließendes Urteil für nichtig erklärt worden waren, für zulässig. Mit der Einführung von Artikel 105a über die zentrale Änderung im EPÜ 2000 sei dies ausdrücklich gestattet worden. Dementsprechend sei es nicht missbräuchlich, dass Samsung zentrale Änderungen beantragt habe und diese weiterverfolge. Das Berufungsverfahren sei bis zur Entscheidung über Samsungs zentralen Änderungsantrag auszusetzen. Sei der Antrag erfolgreich, so würden im Berufungsverfahren die Ansprüche in der nunmehr geänderten Fassung geprüft.
17. In seiner Auffassung sah sich der Court of Appeal durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Niederlande in der Sache C07.085HR Boston Scientific Scimed Inc gegen Medinol Ltd. bestätigt. Scimed hatte beim EPA eine zentrale Änderung beantragt, nachdem ihr Patent vom niederländischen Berufungsgericht für nichtig erklärt worden war. Dem Änderungsantrag wurde stattgegeben. Daraufhin focht Scimed das Nichtigkeitsurteil vor dem Obersten Gerichtshof an. Dieser entschied, dass nur die geänderten Ansprüche relevant seien und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung über die nunmehr geänderten Ansprüche an das Berufungsgericht zurück.
18. Dies ist einer der Fälle, in denen einander widersprechende rechtspolitische Zielsetzungen kollidieren. Einerseits sollte ein Patentinhaber nicht das Recht haben, einen Beklagten zu schikanieren, indem er das Verfahren durch Einführung geänderter Ansprüche nach Prozessende in die Länge zieht. Das System der zentralen Änderungen eröffnet jedoch einen relativ schnellen und einfachen Weg zur Änderung eines Patents aus einer beschränkten Anzahl von Gründen, was für die Allgemeinheit von Vorteil ist.
19. Kurz gesagt ist die Frage durch das EPÜ 2000 generell zugunsten von Patentinhabern, die Änderungen vornehmen möchten, entschieden worden. Wie der Court of Appeal jedoch hervorgehoben hat, sind Situationen denkbar, in denen die Nutzung von Artikel 105a EPÜ als Verfahrensmissbrauch anzusehen wäre, so etwa, wenn es dem Court of Appeal nicht möglich wäre, ohne weitere Beweiserhebung über zentral geänderte Ansprüche zu entscheiden.
IV. Artikel 56 EPÜ und der technische Beitrag: Generics gegen Yeda
20. Hauptstreitpunkt war in dem Berufungsverfahren Generics (UK) Ltd t/a Mylan gegen Yeda Research and Development Co Ltd ([2013] EWCA Civ 925; [2014] RPC 4) die erfinderische Tätigkeit. Das Fehlen eines technischen Beitrags zum Stand der Technik ist nach dem EPÜ natürlich kein Nichtigkeitsgrund. Das Gericht muss jedoch nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz zur Beurteilung des Naheliegens nach Artikel 56 EPÜ die erfinderische Tätigkeit im Hinblick darauf prüfen, was die Erfindung dem Stand der Technik gebracht hat – welchen Beitrag hat der Erfinder durch einen technischen Effekt oder Fortschritt geleistet? In diesem Zusammenhang setzte sich der Court of Appeal mit folgenden Fragestellungen auseinander:
(1) Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem technischen Effekt und dem Schutzumfang der Ansprüche?
(2) Muss der technische Effekt in der Patentschrift glaubhaft gemacht werden?
(3) Muss nachgewiesen werden, dass es den technischen Effekt tatsächlich gibt?
(4) Müssen die Beweise für den technischen Effekt vor dem Prioritätstag veröffentlicht worden sein?
21. Das Patent betraf eine verbesserte Zusammensetzung eines als "Copolymer-1" bezeichneten Gemisches synthetischer Polypeptide zur Therapie von Multipler Sklerose. Im Laufe dieser Erkrankung führt eine entzündliche Reaktion zur Zerstörung der Myelinscheide der Nerven. Copolymer-1 dient zur Simulation des basischen Myelinproteins. Vor dem Prioritätstag des Patents war nachgewiesen worden, dass Copolymer-1 bei der Behandlung von schubförmig remittierender Multipler Sklerose hilfreich sein konnte. Gegenstand der Forschung war Copolymer-1 mit einem Molekulargewicht von 14 - 23 kDa (Kilodalton).
22. Das Patent beanspruchte eine verbesserte Zusammensetzung von Copolymer-1, die sich insbesondere durch einen Anteil von über 75 % im Molekulargewichtbereich von 2 - 20 kDa auszeichnete. Der angebliche technische Beitrag des Patents bestand in der geringeren Reizung der Injektionsstelle und/oder dem selteneren Auftreten von systemischen Nebenwirkungen bei Verwendung des beanspruchten Copolymers-1.
23. Der Court of Appeal prüfte zunächst den Zusammenhang zwischen technischem Beitrag und erfinderischer Tätigkeit sowie die Frage, welche Nachweise für den technischen Beitrag infrage kommen. Nach einer Analyse der Rechtsprechung des EPA sowie englischer Gerichte traf der Court of Appeal folgende Feststellungen:
i) Artikel 56 EPÜ liegt unter anderem der Gedanke zugrunde, dass der Umfang des Patentmonopols durch den Beitrag des Patentinhabers zum Stand der Technik gerechtfertigt sein muss.
ii) Ist der angebliche Beitrag ein technischer Effekt, der nicht praktisch allem, was unter den Anspruch fällt, gemeinsam ist, so kann er nicht zur Formulierung der Frage verwendet werden, mit der Naheliegen geprüft wird.
iii) In diesem Fall muss der Anspruch entweder auf den Gegenstand beschränkt werden, der dem technischen Beitrag entspricht, oder es muss eine andere gemeinsame technische Lösung für den gesamten Anspruch gefunden werden.
iv) Eine willkürliche Auswahl aus dem Stand der Technik, die sich nicht durch eine nützliche technische Eigenschaft rechtfertigen lässt, wird wahrscheinlich für naheliegend befunden werden, weil sie keinen wirklichen technischen Fortschritt bringt.
v) Ein technischer Effekt, der in der Patentschrift nicht glaubhaft gemacht wird, kann bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden.
vi) Ein technischer Effekt, der in der Patentschrift glaubhaft gemacht wird, kann durch spätere Beweise untermauert werden.
vii) Sofern der technische Effekt glaubhaft gemacht wird, muss seine Existenz in der Patentschrift nicht weiter nachgewiesen werden, damit Naheliegen anhand des behaupteten technischen Effekts geprüft werden kann.
24. Ein Patentinhaber muss also in der Patentschrift einen glaubhaften technischen Effekt darlegen, und dieser muss praktisch allem, was unter die Ansprüche fällt, gemeinsam sein. Andernfalls wird entweder die Nichtigkeit festgestellt werden, oder der Patentinhaber wird den Schutzbereich der Ansprüche einschränken müssen. Ist diese Hürde überwunden, wird die Prüfung fortgesetzt und die erfinderische Tätigkeit in Anbetracht des technischen Effekts, des Stands der Technik und weiterer Beweismittel beurteilt.
25. Was geschieht, wenn in der Patentschrift ein technischer Effekt glaubhaft gemacht wird, dies sich aber später als unzutreffend erweist? Vorliegend behauptete die Beklagte, der beanspruchte technische Effekt werde durch nach dem Prioritätstag veröffentlichte Beweismittel widerlegt.
26. Der Court of Appeal stellte fest, dass das Monopol des Patentinhabers nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz durch einen Beitrag zum Stand der Technik gerechtfertigt sein muss. Habe der Patentinhaber nichts weiter getan, als eine glaubhafte, aber unzutreffende Vorhersage zu treffen, dann sei dies das genaue Gegenteil eines Beitrags und begründe kein Anrecht auf ein Patent.
27. Zwar treffe es zu, dass die erfinderische Tätigkeit anhand des vor dem Prioritätstag zugänglichen Stands der Technik zu beurteilen sei. Hiervon zu unterscheiden sei jedoch die vorgeschaltete, rein faktische Frage: "Worin besteht die Erfindung?" Es sei grundlegend, bei der Beantwortung dieser Frage dem allgemein anerkannten Grundsatz Rechnung zu tragen, wonach der Umfang des Monopols dem technischen Beitrag zum Stand der Technik entsprechen muss. Bei dieser Frage – worin besteht die Erfindung? – gälten für Beweismittel keine zeitlichen Beschränkungen, und sie könnten auch nach dem Prioritätstag zugänglich gemachte Beweise umfassen. Somit stehe es einem Beklagten immer frei, einen in der Patentschrift glaubhaft gemachten technischen Effekt in Abrede zu stellen und sich hierfür auf Beweise ganz unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung zu stützen.
28. Schließlich merkte der Court of Appeal an, dass das Patent nicht unbedingt nichtig sein muss, wenn der beanspruchte technische Effekt durch spätere Beweise widerlegt wird. Der Patentinhaber kann einen weniger ehrgeizigen technischen Effekt geltend machen und den Schutzbereich der Ansprüche entsprechend einschränken.
29. Auf den Punkt gebracht: Bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ gegenüber dem zitierten Stand der Technik dürfen selbstverständlich nur Beweismittel berücksichtigt werden, die vor dem Prioritätstag verfügbar waren; ein Patent bleibt jedoch über seine gesamte Lebensdauer hinweg durch neue Beweise angreifbar, die zeigen, dass der technische Effekt, mit dem die Erfindung gerechtfertigt wurde, in Wirklichkeit gar kein Beitrag zum Stand der Technik war.
V. Nichtbenennung eines Vertragsstaats: Virgin Atlantic Airways gegen Jet Airways
30. Das Urteil Virgin Atlantic Airways Ltd gegen Jet Airways (India) Ltd ([2013] EWCA Civ 1713; [2014] RPC 18) markiert eine Etappe in einem weiteren langjährigen Rechtsstreit, diesmal um Flugzeugsitze, zu dem auch die Entscheidung des Supreme Court in Virgin Atlantic v. Zodiac gehört. Ich werde nur kurz auf diesen Fall eingehen, weil die Fakten so ungewöhnlich sind, dass das Urteil wohl kaum öfter zur Anwendung kommen wird.
31. Das betreffende Patent war von Virgin im Rahmen einer Teilanmeldung angemeldet worden. In einer Notiz am Ende des elektronischen Anmeldeformulars erklärte Virgin ausdrücklich: "GB wird in dieser Anmeldung NICHT benannt". Dessen ungeachtet veröffentlichte das EPA die Anmeldung mit Benennung sämtlicher Vertragsstaaten einschließlich des Vereinigten Königreichs. Virgin schrieb daraufhin das EPA an, um die Benennung UK in der Stammanmeldung zurückzunehmen, und kündigte an, die Benennung UK in der Teilanmeldung vor der Erteilung zurücknehmen zu wollen. Tatsächlich unternahm Virgin jedoch keinerlei Schritte in dieser Richtung. Das auf die Teilanmeldung zurückgehende Patent wurde unter Einbeziehung des Vereinigten Königreichs als einem der Benennungsstaaten erteilt. Wie üblich trug das britische Patentamt (UKIPO) das Patent in das UK-Register ein.
32. Premium als eine der Streitparteien beantragte beim EPA, den nach ihren Worten offensichtlichen Fehler zu berichtigen und die Benennung UK zu streichen. Die Prüfungsabteilung lehnte dies ab; ihre Entscheidung wurde von der Technischen Beschwerdekammer bestätigt.
33. Premium beantragte daraufhin beim UKIPO die Berichtigung des UK-Registers und die Streichung des UK-Patents. Das UKIPO lehnte dies mit der Begründung ab, damit werde in Wirklichkeit beantragt, eine Verfahrensentscheidung des EPA zu überprüfen, wozu das UKIPO nicht befugt sei. Die hiergegen von Premium vor dem Patents Court eingelegte Beschwerde wurde von Justice Floyd zurückgewiesen. Daraufhin legte Premium Berufung vor dem Court of Appeal ein und berief sich hierbei auf Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, d. h. auf das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht.
34. Der Court of Appeal stellte fest, dass sich die Befugnisse des EPA nach dem EPÜ aus einem teilweisen Verzicht der Vertragsstaaten auf ihre hoheitlichen Befugnisse ableiteten. Das EPA sei in seinem Handeln faktisch und rechtlich unabhängig von den Vertragsstaaten. Die Vertragsstaaten seien an Handlungen des EPA nicht beteiligt und machten sie sich auch nicht zu eigen.
35. In Artikel 6 der Menschenrechtskonvention finde Premium daher keine Stütze. Eine Verantwortung, wie sie Artikel 1 MRK vorsehe, könne den EPÜ-Vertragsstaaten für Handlungen des EPA nicht zugeschrieben werden. Artikel 6 MRK gebe den Beklagten somit nicht das Recht, im Vereinigten Königreich gegen die in einem europäischen Patent erfolgte Benennung vorzugehen.
VI. Örtliche Zuständigkeit: Actavis gegen Eli Lilly
36. Auch auf diesen letzten Fall werde ich nur kurz eingehen, weil der interessanteste Aspekt sich kurz abhandeln lässt. Die Klägerin Actavis beantragte, festzustellen, dass ein europäisches Patent, dessen Geltungsdauer durch ergänzende Schutzzertifikate verlängert worden war, nicht verletzt werde. Diese Feststellung wurde nicht nur hinsichtlich der Benennung des Vereinigten Königreichs, sondern auch hinsichtlich der Benennung Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens beantragt. Die Patentinhaberin Eli Lilly machte geltend, dass die englischen Gerichte außer in Fällen, in denen es um die Benennung von UK gehe, nicht für die Feststellung der Nichtverletzung zuständig seien, und selbst wenn, sollten sie diese Zuständigkeit nicht ausüben.
37. Eli Lilly behauptete nicht etwa, dass die Verordnung des Rates (EG) 44/2001 ("Brüssel I-Verordnung") einer solchen Zuständigkeit entgegenstehe, sondern berief sich für ihren Einwand ausschließlich auf nationales englisches Recht.
38. Im Rahmen einer vorläufigen Anhörung entschied Justice Arnold, dass ein solcher Einwand nicht vorgesehen sei (Actavis Group HF gegen Eli Lilly and Company [2012] EWHC 3316 (Pat)). Englische Gerichte könnten über einen Feststellungsantrag hinsichtlich jeder im Rahmen eines europäischen Patents erfolgten Benennung entscheiden.
39. Gegen dieses Urteil wurde vor dem Court of Appeal Berufung eingelegt (Actavis Group HF gegen Eli Lilly and Company [2013] EWCA Civ 517; [2013] RPC 37). Dieser bejahte die Zuständigkeit des englischen Gerichts für sämtliche Benennungen im Patent, und zwar hauptsächlich deshalb, weil Lilly sich mit der Entgegennahme von Zustellungen einverstanden erklärt habe; schon allein aus diesem Grund sei das englische Gericht zuständig. Anders als Justice Arnold prüfte der Court of Appeal nicht umfassend, ob die Zuständigkeit auch ohne die Einverständniserklärung gegeben gewesen wäre.
40. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge, bei dem es wohl bleiben wird, kann eine Partei vor einem englischen Gericht die Feststellung der Nichtverletzung eines europäischen Patents hinsichtlich der Benennung von anderen Vertragsstaaten als dem Vereinigten Königreich beantragen. Voraussetzung könnte sein, dass auch die Benennung des Vereinigten Königreichs Gegenstand des Gerichtsverfahrens ist.
41. Nachdem die Frage der Zuständigkeit im Rahmen der vorläufigen Anhörung geklärt worden war, wurde das Verfahren in der Sache eröffnet. Im Vorfeld nahm Actavis ihren Antrag in Bezug auf die Benennung Deutschlands zurück. In der Verhandlung ließ Justice Arnold auf beiden Seiten Sachverständige zum französischen, italienischen und spanischen Recht zu Wort kommen, die ihre Auffassung anhand der Gesetzgebung und Rechtsprechung sowie des Schrifttums ihres jeweiligen Rechtskreises darlegten. Anschließend entschied Justice Arnold, dass Actavis hinsichtlich der Benennung Frankreichs, Italiens, Spaniens und des Vereinigten Königreichs Anspruch auf die Feststellung habe, dass das Patent nicht verletzt werde.
1 Mitglieder des Supreme Court tagen auch im Judicial Committee of the Privy Council, dem obersten Berufungsgericht für einige Länder des Commonwealth. Dieses verhandelte unlängst in einem der seltenen Berufungsverfahren in einer Patentsache gegen ein Urteil des jamaikanischen Court of Appeal, nämlich Pfizer Limited gegen Medimpex Jamaica Limited [2014] UKPC 20. Hierbei stellten sich zwei Fragen zur Anwendung des nach wie vor geltenden jamaikanischen Patentgesetzes von 1857. So interessant diese auch waren, sind sie beide für das Patentrecht unter der Geltung des EPÜ in keiner Weise relevant.