BESCHWERDEKAMMERN
Mitteilungen der Großen Beschwerdekammer
Vorlage des Präsidenten des EPA an die Große Beschwerdekammer vom 29. Dezember 2003 wegen voneinander abweichender Entscheidungen der Beschwerdekammern
(Unter Bezugnahme auf T 385/86, ABl. EPA 1988, 308 ff. – BRUKER und andere,
T 964/99, ABl. EPA 2002, 4 ff. – CYGNUS, INC und andere.)
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung und wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung lege ich gemäß Art. 112 (1) b) EPÜ der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfragen zur Auslegung des Begriffs "Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ vor:
1. a) Sind "Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden," im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ (im folgenden: "Diagnostizierverfahren") nur solche Verfahren, die alle beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführenden Verfahrensschritte enthalten, d. h. die Untersuchungsphase mit der Sammlung der einschlägigen Daten, den Vergleich der gewonnenen Untersuchungsdaten mit den Normwerten, die Feststellung einer signifikanten Abweichung (eines Symptoms) bei diesem Vergleich und schließlich die Zuordnung der Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild (die deduktive medizinische Entscheidungsphase), oder
1. b) liegt ein "Diagnostizierverfahren" bereits dann vor, wenn das beanspruchte Verfahren nur einen Verfahrensschritt enthält, der Diagnosezwecken dient oder sich auf die Diagnose bezieht?
2. Falls die Frage 1. b) bejaht wird: Muß das beanspruchte Verfahren ausschließlich zu Diagnosezwecken einsetzbar sein oder sich ausschließlich auf die Diagnose beziehen? Nach welchen Kriterien ist dies zu beurteilen?
3. a) Liegt ein "Diagnostizierverfahren" bereits dann vor, wenn
i) das beanspruchte Verfahren zumindest einen für das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens als wesentlich erachteten Verfahrensschritt enthält, der die persönliche Anwesenheit eines Arztes erfordert (Alternative 1), oder
ii) das beanspruchte Verfahren zwar nicht die persönliche Anwesenheit eines Arztes erfordert, aber voraussetzt, daß ein Arzt die Verantwortung trägt (Alternative 2), oder
iii) alle Verfahrensschritte auch oder nur von medizinischem oder technischem Hilfspersonal, vom Patienten selbst oder von einem automatisierten System vorgenommen werden können (Alternative 3)?
3. b) Falls die Beteiligung eines Arztes (durch persönliche Anwesenheit oder Tragen der Verantwortung) entscheidend ist, muß der Arzt dann an dem Verfahrensschritt beteiligt sein, der am Körper vorgenommen wird, oder muß der Arzt nur an irgendeinem für ein Diagnostizierverfahren als wesentlich erachteten Verfahrensschritt beteiligt sein?
4. Bedeutet das Erfordernis "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen", daß Verfahrensschritte in direktem Kontakt mit dem Körper erfolgen, und können nur solche Schritte, die unmittelbar am Körper vorgenommen werden, einem Verfahren den Charakter eines Diagnostizierverfahrens verleihen oder genügt es, wenn wenigstens einer der Verfahrensschritte unmittelbar am Körper vorgenommen wird?
Begründung
I. Einführung
Die Vorlage betrifft die Auslegung des Begriffs der "Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden". Gemäß Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ gelten diese Verfahren, wie auch die "Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinne von Artikel 52 (1) und 57 EPÜ, selbst wenn die Voraussetzungen der letztgenannten Vorschrift an sich erfüllt wären. Gemäß Artikel 52 (4) Satz 2 EPÜ gilt diese Fiktion nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren.
Die Patentierbarkeit von Erfindungen, die sich auf medizinische Verfahren beziehen, wird in den einzelnen Patentsystemen teilweise sehr unterschiedlich geregelt. Diese Unterschiede sind darauf zurückzuführen, daß die Frage, wie der Gesetzgeber diese Thematik regelt, von grundsätzlichen Erwägungen abhängt, bei denen immer eine Vielzahl rechtlicher, sozialer, kultureller und insbesondere auch ethischer Aspekte eine Rolle spielen.
Der Fiktion im EPÜ liegt die grundsätzliche Überlegung zugrunde, daß Personen, die chirurgische, therapeutische oder diagnostische Verfahren als Teil der medizinischen Behandlung von Menschen oder Tieren anwenden, darin nicht durch Patente behindert werden sollen (T 116/85, ABl. EPA 1989, 13, Punkt 3.7 der Entscheidungsgründe; T 385/86, ABl. 1988, 308, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe; T 24/91, ABl. EPA 1995, 512, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe, T 655/92, ABl. EPA 1998, 17, Punkt 5.3 der Entscheidungsgründe, T 329/94, ABl. EPA 1998, 241, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, T 35/99, ABl. EPA 2000, 447, Punkt 6 der Entscheidungsgründe; T 964/99, ABl. EPA 2002, 4, Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe; T 807/98, unveröffentlicht, Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe; speziell im Hinblick auf therapeutische Behandlungen: T 82/93, ABl. EPA 1996, 274, Punkt 1.2 der Entscheidungsgründe). Es sollten aber nur nichtgewerbliche Tätigkeiten auf dem Gebiet der Human- und Veterinärmedizin von patentrechtlichen Beschränkungen freigehalten werden (G 1/83, ABl. EPA 1985, 60, Punkt 22 der Entscheidungsgründe). Die Ausschlußvorschrift des Artikels 52 (4) EPÜ beruht folglich auf sozialethischen Überlegungen und Erwägungen im Zusammenhang mit der öffentlichen Gesundheit (siehe auch T 24/91, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe). Die Krankheit des Menschen soll nicht kommerzialisiert werden, damit der Arzt jederzeit frei ist, die ihm geeignet erscheinenden Maßnahmen anzuwenden, um eine Krankheit zu beseitigen oder durch Untersuchungsmethoden zu erkennen (siehe Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 6. Auflage 2001, § 5, Rd. 16).
II. Die voneinander abweichenden Entscheidungen der Beschwerdekammern
1. Die Entscheidung T 385/86, ABl. EPA 1988, 308 ff. – Nicht-invasive Meßwertermittlung/BRUKER
In ihrer Entscheidung T 385/86 ermittelte die Technische Beschwerdekammer 3.4.1 anhand der Entstehungsgeschichte des Artikels 52 (4) EPÜ den Sinn und Zweck dieser Vorschrift und kam zu dem Schluß, daß durch die Vorschrift des Artikels 52 (4) EPÜ nur solche Verfahren von der Möglichkeit eines Patentschutzes ausgenommen werden sollten, die Heilzwecken dienten, damit niemand an der Ausübung der Heilkunst durch Patentrechte gehindert werden könne. Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ sei, wie jede Ausnahmeregelung, eng auszulegen, was darüber hinaus durch Satz 2 unterstrichen werde. Die Kammer gelangte in dieser Entscheidung zur Überzeugung, daß als Diagnostizierverfahren nur solche Verfahren vom Patentschutz auszunehmen seien, deren Ergebnis unmittelbar gestatte, über eine medizinische Behandlung zu entscheiden. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Verfahren ein Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ sei, müsse daher geprüft werden, ob das beanspruchte Verfahren alle Schritte enthalte, die beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführen seien. Verfahren, die lediglich Zwischenergebnisse lieferten, seien noch keine Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ, selbst wenn sie beim Stellen einer Diagnose verwertbar seien (Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe; Hervorhebungen hinzugefügt).
Die Kammer stellte daraufhin folgendes fest: "Die systematische Auflistung der einzelnen zu einer Diagnose führenden Verfahrensschritte in der einschlägigen Literatur umfaßt sowohl die Aufnahme der Krankheitsgeschichte, das Betrachten, Betasten und Abhorchen von Körperpartien sowie die Vielzahl der medizinisch-technischen Untersuchungen und Tests (Untersuchungsphase, Datensammlung), als auch den Vergleich der gewonnenen Untersuchungsdaten mit Normwerten, die Feststellung einer signifikanten Abweichung (Symptom) bei diesem Vergleich und schließlich die Zuordnung der Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild (deduktive medizinische Entscheidungsphase); … Fehlt wenigstens einer der drei letzten Verfahrensschritte, so liegt kein Diagnostizierverfahren vor, sondern allenfalls ein Verfahren, zum Beispiel der Datenermittlung oder -verarbeitung, das in einem Diagnostizierverfahren verwendbar ist." (Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe; Hervorhebungen hinzugefügt).
Im Hinblick auf das Erfordernis "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" vertrat die Kammer, ebenfalls unter Hinweis auf den als Ausnahmevorschrift eng auszulegenden Artikel 52 (4) EPÜ die Auffassung, daß sowohl die Untersuchungsphase (Istwert-Ermittlung) als auch die Feststellung des Symptoms anhand des Untersuchungsergebnisses, d. h. die Abweichung der ermittelten Istwerte von den Normwerten, am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden müßten (Punkt 4.1 der Entscheidungsgründe). Artikel 52 (4) EPÜ setze daher voraus, daß der ermittelte Meßwert wie auch die als Krankheitssymptom zu wertende Abweichung von einem Normalwert unmittelbar am Körper selbst wahrnehmbar seien (Punkte 4.2 und 4.3 der Entscheidungsgründe). Der ermittelte Zustand müsse hierbei ohne weiteres die pathologische Abweichung darstellen (Punkt 4.3.2 der Entscheidungsgründe).
Gegenstand der Anmeldung, die der Entscheidung T 385/86 zugrunde lag, war ein Verfahren zur nicht-invasiven Ermittlung chemischer und/oder physikalischer Zustände, nämlich der Temperatur oder des pH-Werts, innerhalb des gesamten, unversehrten, lebenden, tierischen oder menschlichen Körpers unter Verwendung magnetischer Resonanz (Verfahren der Lokalisierten Magnetischen Resonanz). Das beanspruchte Verfahren führte zu einem Meßwert, der im hochaufgelösten Resonanzspektrum, das auf einem Bildschirm oder Schreiberblatt in der Endstufe des Untersuchungsgerätes erschien, ablesbar war.
Die Kammer ging entsprechend den von ihr entwickelten Grundsätzen nicht von einem "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ aus, da das beanspruchte Verfahren nicht sämtliche beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführenden Schritte enthielt. Vielmehr handelte es sich nach Auffassung der Kammer um ein patentierfähiges Meßverfahren, da die mittels des beanspruchten Verfahrens gewonnenen Meßwerte die Diagnose nicht unmittelbar lieferten. Die Kammer räumte zwar ein, daß die Meßwerte implizit eine zum Stellen der Diagnose verwendbare Information enthielten; sie sah es jedoch als maßgeblich an, daß anhand der ermittelten Werte allein das Vorhandensein oder die Abwesenheit einer bestimmten Krankheit nicht explizit erkennbar war. Im zu entscheidenden Fall mußte erst noch eine signifikante Abweichung von einem als normal, d. h. nicht pathologisch geltenden Sollwert festgestellt und einem bestimmten Krankheitsbild zugeordnet werden. Erst bei Einbeziehung derartiger Differenzier- und Vergleichsschritte in den Anspruch wäre nach Ansicht der Kammer aus dem beanspruchten Meßverfahren für eine Zustandsgröße ein Diagnostizierverfahren geworden, und zwar unabhängig davon, ob diese Schritte von einem Arzt oder etwa in einer Datenverarbeitungsanlage vorgenommen würden (Punkte 3.4.1 und 3.4.2 der Entscheidungsgründe).
Des weiteren sah die Kammer das Erfordernis "am Körper vorgenommen" als nicht erfüllt an. Der Meßwert sei auf einem vom Körper losgelösten Datenträger erst nach weiteren technischen Schritten, die außerhalb des Körpers vorgenommen würden, wahrnehmbar. Jeder weitere Schritt setze nicht die Präsenz des Körpers voraus. Ferner sei auch die als Krankheitssymptom zu wertende Abweichung von einem Normwert nicht unmittelbar am Körper selbst wahrnehmbar. Es genüge nach Auffassung der Kammer nicht, daß lediglich irgendeine Untersuchung zur Ermittlung des Zustands eines menschlichen oder tierischen Körpers für medizinische Zwecke durchgeführt werde. Der ermittelte Zustand müsse vielmehr ohne weiteres die pathologische Abweichung darstellen. Ein gemessener Wert sei ein Absolutwert, der erst nach einem Vergleich mit einem Normwert eine Abweichung erkennbar mache. Erst der Vergleich sowie die explizite Angabe, wie groß die Abweichung sein müsse, um für eine bestimmte Krankheit oder Gruppe von Krankheiten charakteristisch zu sein, machten aus dem Meß- ein Diagnostizierverfahren (Punkte 4.2 und 4.3 der Entscheidungsgründe).
Die Ausführungen zum Begriff des Diagnostizierverfahrens in T 385/86 standen im Einklang mit den bis dahin ergangenen Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammer 3.2.1. In T 61/83, T 208/83, T 18/84 sowie T 45/84 (jeweils unveröffentlicht) hatte die Kammer bereits für das Vorliegen eines "Diagnostizierverfahrens" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ gefordert, daß es nicht nur das Untersuchungsverfahren, das die Grundlage für die Diagnose liefere, sondern auch einen Hinweis auf die das Ergebnis bildende Diagnose enthalten müsse. Insbesondere in T 45/84 hatte die Kammer ausgeführt, "daß ein Diagnostizierverfahren nur dann vorliegt, wenn es zu einem konkreten Diagnoseergebnis führt, und daß ferner ... weder das Diagnoseergebnis für sich noch das die Grundlage für das Diagnoseergebnis liefernde Untersuchungsverfahren dem Diagnostizierverfahren gleichzusetzen ist. Von einem Diagnostizierverfahren kann also nur dann gesprochen werden, wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind." (Punkt 2 der Entscheidungsgründe).
Das in T 385/86 dargelegte Verständnis des Begriffs des "Diagnostizierverfahrens" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ als ein alle Schritte für eine ärztliche Diagnosestellung umfassendes Verfahren wurde in einer Reihe von weiteren Entscheidungen bestätigt.
Die Entscheidung T 83/87 der Technischen Beschwerdekammer 3.4.1 (unveröffentlicht) betraf ein Verfahren zur Bestimmung von Zucker in Gegenwart störender Fremdsubstanzen mittels eines Sensors. Die Kammer kam zu dem Schluß, daß der mittels eines implantierten Blutzuckersensors gewonnene Meßwert zwar im Rahmen einer Diagnosestellung verwendet werden könne, jedoch nicht unmittelbar eine Diagnose im Sinne der Erkennung eines pathologischen Zustandes liefere. Das beanspruchte Verfahren stelle lediglich Zwischenergebnisse bereit und sei daher nicht als Diagnostizierverfahren anzusehen (Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe).
In der Entscheidung T 400/87 (unveröffentlicht) sah die Technische Beschwerdekammer 3.4.1, ebenfalls unter Verweis auf die Entscheidung T 385/86, ein Kernresonanzverfahren (NMR), das am menschlichen Körper angewandt werden konnte, nicht als unter den Ausschluß von der Patentierbarkeit im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ fallend an. Das Verfahren umfasse, so die Kammer, nämlich lediglich die Untersuchungs- und Datensammlungsphase einer Diagnose. Verfahren, die lediglich Zwischenergebnisse lieferten, seien keine Diagnostizierverfahren, selbst wenn sie zur Stellung einer Diagnose verwendet werden könnten. Ferner sei eine mögliche Abweichung von der Norm lediglich anhand der Diagramme, nicht aber am Körper selbst wahrnehmbar (Punkte 3.1 und 3.3 der Entscheidungsgründe).
In der Anmeldung, die der Entscheidung T 775/92 (unveröffentlicht) der Kammer 3.5.1 zugrunde lag, wurde ein mehrere Schritte umfassendes Verfahren zur Ermittlung der Knochendichten zur Auswertung einer Röntgenaufnahme eines Knochens beansprucht. Die Kammer vertrat die Auffassung, daß der Ausdruck "Auswertung einer Röntgenaufnahme" so vage und allgemein gehalten erscheine, daß auch eine diagnostische Anwendung darunter fallen könne. Der betreffende Ausdruck könne so ausgelegt werden, daß die mit den beanspruchten Verfahrensschritten ermittelten Knochendichteverteilungen beispielsweise von einem Arzt ausgewertet würden, der sie mit Musterverteilungen vergliche, um Aufschluß über den Zustand eines Patienten im Hinblick auf Alterungserscheinungen oder Knochenerkrankungen zu gewinnen. Eine solche Auswertung liefere nicht nur Zwischenergebnisse, sondern ermögliche die Zuordnung einer Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild und die anschließende Einleitung einer medizinischen Behandlung durch den Arzt. Die Kammer kam zu dem Schluß, daß es sich damit um ein Diagnostizierverfahren handle, das unter den Patentierungsausschluß gemäß Artikel 52 (4) EPÜ falle (Punkt 10 der Entscheidungsgründe).
Gegenstand der Anmeldung, die in der Entscheidung T 530/93 (unveröffentlicht) behandelt wurde, war ein Verfahren zur Herstellung von Bildern eines menschlichen Herzens mittels eines NMR-Bildsystems. In ihrer Entscheidung verwies die Technische Beschwerdekammer 3.4.2 ausdrücklich auf die ständige Rechtsprechung, wonach Verfahren, die nur die Datensammlungsphase einer Diagnose erfaßten und lediglich Zwischenergebnisse lieferten, die erst in einem weiteren Schritt einem bestimmten Krankheitsbild zugeordnet werden könnten, keine Diagnostizierverfahren im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ darstellten (Punkt 4 der Entscheidungsgründe).
Ferner verneinte die Technische Beschwerdekammer 3.2.6 in ihrer Entscheidung T 1165/97 (unveröffentlicht), in der ein Verfahren für die Verwendung einer vaginalen Ausflußsammelvorrichtung zur Beurteilung stand, das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ. Unter den Ausschluß von der Patentierbarkeit fielen nämlich nur Verfahren, deren Ergebnisse eine Entscheidung über eine medizinische Behandlung unmittelbar ermöglichen. Daher müsse das beanspruchte Verfahren alle für eine ärztliche Diagnosestellung erforderlichen Schritte enthalten. Letzteres sei in dem zu überprüfenden Verfahren allerdings nicht der Fall, da schon keine Meßwerte gesammelt würden (Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe).
Die Ansprüche, die Gegenstand der Entscheidung T 629/98 (unveröffentlicht) der Technischen Beschwerdekammer 3.3.4 bildeten, waren als "zweite medizinische Indikation" formuliert und betrafen ein einem Patienten zu verabreichendes Präparat. Die Kammer überprüfte daher, ob das Präparat in einem nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossenen Verfahren verwendet werden sollte. Sie bejahte dabei anhand der in T 385/86 entwickelten Kriterien das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens. Das Verfahren erlaube nämlich, das Vorhandensein oder die Abwesenheit von Lungentumoren in einem Patienten, dem die Substanz verabreicht worden sei, festzustellen. Es handle sich deshalb um ein am menschlichen Körper vorgenommenes Diagnostizierverfahren, das ein unmittelbares Krankheitsbild liefere (Punkt 3 der Entscheidungsgründe).
Den Grundsätzen der Entscheidung T 385/86 folgte die Technische Beschwerdekammer 3.3.4 auch in ihrer Entscheidung T 1038/00 (unveröffentlicht). Das streitgegenständliche Verfahren war an einer Probe durchzuführen, so daß die Kammer zu dem Schluß kam, das beanspruchte Verfahren werde nicht "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" (Punkt 6 der Entscheidungsgründe).
Die in T 385/86 entwickelten Kriterien wurden auch in der Entscheidung T 807/98 (unveröffentlicht) der Technischen Beschwerdekammer 3.2.2 zugrunde gelegt. In der streitgegenständlichen Anmeldung wurde "ein Verfahren zum Detektieren einer Folge von anormalen funktionsstörungsbedingten Ereignissen unter einer Vielzahl von normalen Ereignissen in einem elektrophysiologischen Signal … eines eine Funktionsstörung aufweisenden Organs" beansprucht. Das Verfahren war durch Meß- und Vergleichsschritte gekennzeichnet. Es sah u. a. vor, daß gemessene Werte mit einem definierten Schwell- und einem definierten Sollwert verglichen werden sollten. In der Begründung überprüfte die Kammer anhand der Entscheidung T 385/86, ob ein Diagnostizierverfahren vorlag. Sie führte aus, daß dort das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens verneint worden sei, da weder die gewonnenen Untersuchungsdaten mit den Normwerten verglichen noch eine signifikante Abweichung festgestellt worden sei. Im Gegensatz dazu würde in dem zu entscheidenden Fall ein derartiger Vergleich unternommen und würden pathologische Abweichungen durch ein entsprechendes Ausgangssignal festgestellt. In T 385/86 sei lediglich ein quantitativer Wert ermittelt worden, wohingegen in dem konkret zu beurteilenden Fall die quantitativen Werte zu einem entsprechenden Signal verarbeitet würden, das die qualitative Information darstelle, ob ein krankhafter Zustand, z. B. eine Arrhythmie, bestehe oder nicht. Sobald ein solcher krankhafter Zustand des Herzens vorliege, werde ein Ausgangssignal abgegeben, und umgekehrt, wenn kein krankhafter Zustand vorliege, werde das Signal nicht abgegeben. Aus der Abwesenheit des Signals könne mit Sicherheit das Vorhandensein eines krankhaften Zustands ausgeschlossen werden. Von der Kammer wurde die negative Feststellung, daß eine bestimmte Krankheit auszuschließen sei, ausdrücklich als Diagnose angesehen (Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe). Darüber hinaus kam die Kammer zu dem Schluß, daß die Annahme eines Diagnostizierverfahrens im Einklang mit T 964/99 stand, da das Verfahren am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werde, wobei es sich auf eine Diagnose beziehe. Außerdem seien für die Feststellung einer Arrhythmie die Festlegung eines Schwellenwerts und des Sollwerts wesentliche Schritte, die diagnostischen Charakter aufwiesen und als grundlegende diagnostische Tätigkeiten anzusehen seien, da für sie letztlich ein Arzt die Verantwortung trage (Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe).
Das in der Entscheidung T 385/86 entwickelte, enge Verständnis des Begriffs "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ fand neben einer kontinuierlichen Bestätigung in der Rechtsprechung auch in die Praxis des Amts Eingang. Die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt bestimmen dementsprechend in C-IV, 4.3 (Stand Oktober 2001): "Unter Diagnostizierverfahren fallen nicht alle Verfahren, die mit der Diagnose zu tun haben. Verfahren zur Ermittlung von Meßwerten (Daten, physikalische Größen) am lebenden menschlichen oder tierischen Körper sind nicht durch Artikel 52 (4) EPÜ ausgeschlossen, wenn sie lediglich Zwischenergebnisse liefern, die allein noch keine Entscheidung über eine notwendige medizinische Behandlung ermöglichen. Zu diesen Verfahren gehören in der Regel Röntgen- und NMR (Kernresonanz)-Untersuchungen sowie Blutdruckmessungen (siehe T 385/86, ABl. 8/1988, 308)."
2. Die Entscheidung T 964/99, ABl. EPA 2002, 4 ff. – CYGNUS, INC
Nicht im Einklang mit den Grundsätzen, die der Entscheidung T 385/86 und den daraufhin ergangenen Entscheidungen zugrunde liegen, steht die Entscheidung T 964/99 der Technischen Beschwerdekammer 3.4.1. In der Anmeldung, die den Gegenstand dieser Entscheidung bildete, wurde ein nicht-invasives Verfahren zur Entnahme einer Probe eines Stoffs aus einem menschlichen oder tierischen Körper und zur Analyse der Konzentration des Stoffs beansprucht. Dabei waren insbesondere folgende Verfahrensschritte umfaßt:
"a) Anbringung mindestens einer Probenkammer an einer Entnahmestelle an einem Oberflächengewebe des menschlichen oder tierischen Körpers,
b) Extraktion des Stoffs bzw. Stoffmetaboliten durch das Oberflächengewebe in die Probenkammer …" mittels iontophoretischen Stroms,
"c) Analyse der Probenkammer auf die Konzentration des Stoffs bzw. Stoffmetaboliten"
sowie ein Schritt, um die verursachten Reaktionen rückgängig zu machen.
In einem auf die Probenentnahme von Glucose oder eines Glucosemetaboliten gerichteten Hilfsantrag war der Verfahrensschritt der "Analyse der Probenkammer auf die Konzentration der Glucose bzw. des Glucosemetaboliten" nicht enthalten.
In der Begründung setzte sich die Kammer zunächst mit der Entscheidung T 385/86 auseinander. In diesem Zusammenhang stellte sie fest, daß es dem Grundgedanken des Artikels 52 (4) EPÜ widerspräche, wenn seine Bestimmungen in einer Weise ausgelegt würden, daß "manuelle Verfahren" der körperlichen Untersuchung, die für die Diagnosestellung wesentlich seien und von einem Arzt durchgeführt würden, nicht von der Patentfähigkeit ausgenommen wären (Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe). Außerdem gab sie zu bedenken, "daß durch die in T 385/86 gewählte restriktive Auslegung des Patentierungsverbots für Diagnostizierverfahren für letztere ein anderer Standard gesetzt wird als für chirurgische oder therapeutische Verfahren, die schon vom Patentschutz ausgeschlossen sind, wenn sie nur einen einzigen chirurgischen oder therapeutischen Schritt umfassen" (Punkt 3.6 der Entscheidungsgründe).
Ausgehend von einer sprachlichen Analyse der Bedeutung "Diagnose" und "Diagnostik" bzw. den Entsprechungen in den anderen beiden Amtssprachen kam die Kammer zu dem Ergebnis, daß Artikel 52 (4) EPÜ alle am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen Verfahren vom Patentschutz ausschließen solle, die sich auf die Diagnose beziehen oder für Diagnosezwecke von Nutzen seien (Punkt 4.4 der Entscheidungsgründe).
Die Kammer stellte fest, daß alle in der streitgegenständlichen Anmeldung enthaltenen Verfahrensansprüche als Verfahrensschritt die Probenentnahme eines Stoffs aus einem lebenden menschlichen oder tierischen Körper umfaßten. Die in der Beschreibung offenbarten konkreten Ausführungsarten betrafen Maßnahmen, die im Zuge einer medizinischen Behandlung von Patienten vorgenommen würden und insbesondere Diagnosezwecken dienten (Punkt 5.1 der Entscheidungsgründe; Hervorhebung hinzugefügt).
Nach Ansicht der Kammer sei die Entnahme einer Probe aus einem Körper für die Zwecke einer medizinischen Untersuchung ein Grundelement der Diagnostik, und zwar unabhängig davon, welches technische Mittel, gleich ob Spatel, Spritze oder iontophoretischer Strom, dabei verwendet werde. Daher beziehe sich der beanspruchte Verfahrensschritt der Probenentnahme eines Stoffs auf die Diagnostik und sei in diesem Zusammenhang eine wesentliche Diagnosemaßnahme, die am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werde. Der Gegenstand der Verfahrensansprüche sei somit als Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ anzusehen (Punkt 5.2 der Entscheidungsgründe; Hervorhebungen z. T. hinzugefügt).
Für diese Beurteilung erachtete die Kammer ausdrücklich die Tatsache, daß die beanspruchten Verfahren vom Patienten selbst durchgeführt werden könnten und ihre Anwendung weder signifikante Auswirkungen auf den Körper habe noch mit einem gravierenden Gesundheitsrisiko behaftet sei, als irrelevant. Entscheidend sei die Tatsache, daß alle vorliegenden Verfahrensansprüche als Verfahrensschritt die Entnahme einer Probe aus einem Körper zu Diagnosezwecken umfaßten und ein solcher Verfahrensschritt als wesentliche zur Diagnose gehörende und am lebenden Körper vorgenommene Tätigkeit zu betrachten sei (Punkt 6.1 der Entscheidungsgründe; Hervorhebung hinzugefügt).
Am Beispiel von NMR-Verfahren, die zwar am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, aber nur Verfahrensschritte definierten, die den technischen Ablauf der Erzeugung und Erfassung von Resonanzsignalen betrafen, hat die Kammer in ihrer Entscheidung das Vorliegen eines Verfahrensschritts, der grundlegenden, am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen medizinischen Tätigkeiten zuzurechnen wäre, verneint. Diese Verfahrensschritte beträfen nämlich nur den internen Betrieb einer technischen Vorrichtung. Sie fielen damit ausnahmslos in die Zuständigkeit und unter die ausschließliche Kontrolle eines Fachmanns für NMR-Technik, so daß das Verfahren als patentfähig angesehen werden könne, "selbst wenn es physikalische Signale an einem lebenden Körper erzeugt und erfaßt und sich seine Ergebnisse zu diagnostischen Zwecken auswerten lassen". Die Verfahrensansprüche könnten so verstanden werden, daß sie lediglich Schritte umfaßten, die die Kontrolle und den internen Betrieb einer technischen Vorrichtung in Gestalt eines NMR-Tomographen beträfen, so daß kein spezifischer Verfahrensschritt mit diagnostischen Charakter zu erkennen sei (Punkt 6.2 der Entscheidungsgründe).
In der streitgegenständlichen Anmeldung sei hingegen der entscheidende Schritt, der diagnostischen Charakter aufweise, die Entnahme eines Körperstoffs zu Diagnosezwecken, die als grundlegende diagnostische Tätigkeit anzusehen sei, für die letztlich ein Arzt die Verantwortung trage (Punkt 6.2 am Ende; Hervorhebung hinzugefügt).
Der Entscheidung T 964/99 waren eine Reihe von Entscheidungen vorausgegangen, die auf T 385/86 gestützt wurden, von denen einige bereits unter 1. erwähnt worden sind. Unter diesen früheren Entscheidungen befinden sich allerdings auch einige wenige, die den in T 385/86 entwickelten Grundsätzen zu folgen schienen, die aber, rückblickend betrachtet, vor dem Hintergrund der Entscheidung T 964/99 bereits erste Anzeichen für das nachfolgend in T 964/99 zugrunde gelegte, von T 385/86 abweichende Verständnis des Begriffs "Diagnostizierverfahren" darstellten.
In der Entscheidung T 655/92 (ABl. EPA 1998, 17) prüfte die Technische Beschwerdekammer 3.3.2, ob ein am lebenden Körper (in vivo) durchgeführtes NMR-Abbildungsverfahren, bei dem Kontrastmittel parenteral verabreicht wurden, unter den Ausschluß nach Artikel 52 (4) EPÜ fiel. Es handle sich, so die Kammer, um ein invasives Verfahren. Daneben sei das intravenöse Injizieren des eingesetzten Stoffs nicht frei von zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen. Bei der intravenösen Verabreichung müsse daher zunächst anhand der Injizierung von nur wenigen Tropfen festgestellt werden, ob eine unerwünschte Nebenreaktion eintrete. Diese Feststellung könne nur von medizinisch geschultem Personal getroffen werden, das in der Lage sein müsse, schon die ersten Symptome der unerwünschten Reaktion zu erkennen und ggf. entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das Diagnoseverfahren als Ganzes umfasse daher mindestens einen zur Erlangung des gewünschten Diagnoseergebnisses notwendigen Schritt, für den der Fachmann für NMR-Technik nicht allein zuständig sein könne. Während es bei Verfahren, deren Schritte insgesamt nicht medizinischer, sondern technischer Art seien, durchaus legitim sei, aus ihrem letztlich diagnostischen Zweck keinen diagnostischen Charakter herzuleiten, gelte dies nicht für Verfahren zu diagnostischen Zwecken, die in ihren wesentlichen Schritten von medizinisch geschultem Personal oder unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden müßten (siehe Punkt 5.3 der Entscheidungsgründe). Die Tatsache, daß es sich bei dem für die Verabreichung des Kontrastmittels und bei dem für die eigentliche Diagnosestellung zuständigen Spezialisten um verschiedene Personen handeln könne, zeige, daß ein diagnostischer Charakter im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ unabhängig von der eigentlichen Diagnosetätigkeit, die ja nicht Gegenstand des beanspruchten Verfahrens sei, allein schon aufgrund des medizinischen Charakters einiger Schritte dieses Verfahrens zugesprochen werden könne (ebd.).
In der Anmeldung, die Gegenstand der Entscheidung T 329/94 der Technischen Beschwerdekammer 3.2.2 war, wurde ein Hilfsverfahren zur Blutextraktion mittels eines Stimulierungsmittels beansprucht, das die kontinuierliche venöse Durchblutung in einer menschlichen Gliedmaße in Richtung eines venösen Blutextraktionspunkts erleichtert. Die Kammer stellte in diesem Zusammenhang fest, daß einem Verfahren zur Blutextraktion für sich genommen der Schutz verweigert werden müsse, da sonst ein großer Teil der Tätigkeiten auf dem Gebiet der Medizin behindert werden würde. "Die Entnahme von Blut würde de facto in dreifacher Hinsicht unter die Ausschlußbestimmung des Artikels 52 (4) EPÜ fallen, wenn man sie betrachtete
- als Schritt eines Verfahrens zur therapeutischen Behandlung, beispielsweise in Verbindung mit einem Dialyseverfahren oder einer Rückübertragung von Blut nach dessen Reinigung, oder
- als Schritt eines Verfahrens zur chirurgischen Behandlung, wenn man bedenkt, daß die Blutentnahme die Verwendung chirurgischer Instrumente erfordert und hierbei in das Gefüge des Organismus eingegriffen wird … oder
- als Schritt eines Diagnostizierverfahrens, beispielsweise im Hinblick auf eine Blutuntersuchung zur Ermittlung der Krankheitsursache" (siehe Punkt 4 der Entscheidungsgründe).
Die Kammer vertrat die Auffassung, daß für die Beurteilung, ob die beanspruchten Merkmale ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung oder ein Diagnostizierverfahren darstellten, der anmeldungsgemäße Zweck des beanspruchten Gegenstands, wie er aus der Beschreibung und den Zeichnungen erkennbar sei, definiert werden müsse. Dabei komme es kaum darauf an, ob die Maßnahme von einem Arzt oder einer anderen Person, die über medizinische Kenntnisse verfüge, oder unter der Aufsicht einer solchen Person durchgeführt werde. Anhand dieses Kriteriums allein lasse sich nicht entscheiden, ob der Verfahrensschritt unter Artikel 52 (4) EPÜ zu beanstanden sei, auch wenn die Kompetenz des Arztes auf den ersten Blick ein nützlicher Anhaltspunkt sein könne. Viel wichtiger seien der Zweck und die zwangsläufige Wirkung des betreffenden Merkmals (Punkt 5 der Entscheidungsgründe). Im zu entscheidenden Fall war nach Auffassung der Kammer der Zweck des beanspruchten Verfahrens lediglich technischer Natur, wobei allein die Effizienz der Blutentnahme bei einem Spender gesteigert werden sollte. Das Verfahren sei von einer therapeutischen oder diagnostischen Wirkung deutlich unterscheidbar (siehe Punkt 8 der Entscheidungsgründe). Der Patentierungsausschluß nach Artikel 52 (4) EPÜ wurde demzufolge verneint.
In der Entscheidung T 606/96 (unveröffentlicht) der Technischen Beschwerdekammer 3.3.4 ging es um ein Verfahren in mehreren Schritten zur Selektion wenigstens einer monoklonalen Antikörperzusammensetzung zur Verwendung für die Herstellung einer patientenspezifischen Substanz zur Verwendung bei der in-vivo-Entdeckung oder -Behandlung von Krebs. Ein mehrstufiges Verfahren, so die Kammer, stelle ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung oder ein Diagnostizierverfahren dar, wenn wenigstens ein Schritt enthalten sei, der sich darauf beziehe. Im zu entscheidenden Fall war nach Ansicht der Kammer keiner der Verfahrensschritte ein Schritt zur Therapie oder zur Diagnose am menschlichen Körper (siehe Punkt 3 der Entscheidungsgründe).
In der nach T 964/99 ergangenen Entscheidung T 310/99 (unveröffentlicht) zog auch die Technische Beschwerdekammer 3.3.8 die Grundsätze aus T 964/99 heran. Dort wurde ein Verfahren beansprucht, das Aufschluß über das Vorliegen des Down-Syndroms beim Fötus gab. Da das beanspruchte Verfahren nicht am Körper, sondern an einer Blutprobe durchzuführen war, und da die Ansprüche keinen Schritt der Probenentnahme umfaßten, verneinte die Kammer das Vorliegen eines "Diagnostizierverfahrens" (siehe Punkt 13 der Entscheidungsgründe). Im übrigen, so die Kammer, könne das Verfahren zweifellos durch einen Laborassistenten ausgeführt werden, ohne daß es eines tatsächlichen Eingreifens eines Arztes bedürfe (siehe Punkt 14 der Entscheidungsgründe). Die Kammer sah es dabei als unerheblich an, daß dem beanspruchten Verfahren Schritte vorausgehen oder folgen mögen, die von einem Arzt vorgenommen werden (siehe Punkt 15 der Entscheidungsgründe). Darüber hinaus erachtete die Kammer die Entscheidung T 385/86 als im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da dieser ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe. ("Decision T 385/86 … relates to a different factual framework, the claims examined relating to a medical diagnosis in which not a sample of a body fluid but a whole, intact, living animal or human body is examined (using magnetic resonance). Consequently, decision T 385/86 … is not applicable to the present case."; Punkt 16 der Entscheidungsgründe).
III. Die Divergenz zwischen den in den Entscheidungen T 385/86 und T 964/99 entwickelten Auslegungsgrundsätzen des Begriffs "Diagnostizierverfahren"
In beiden Entscheidungen ging die Technische Beschwerdekammer jeweils davon aus, daß dem Ausschluß der in Artikel 52 (4) EPÜ bezeichneten Verfahren vom Patentschutz die grundsätzliche Überlegung zugrunde liege, daß diejenigen, die diese Verfahren als Teil der medizinischen Behandlung von Menschen oder Tieren anwenden, darin nicht durch Patente behindert werden sollen (vgl. T 385/86, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe; T 964/99, Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe). Unter Verfolgung desselben Gesetzeszwecks erfuhr der Begriff der "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ allerdings eine unterschiedlich weite Auslegung.
1. Der Begriff "Diagnostizierverfahren"
In der Entscheidung T 385/86 legte die Technische Beschwerdekammer den Begriff "Diagnostizierverfahren" sehr eng aus. Als Diagnostizierverfahren seien nur diejenigen Verfahren vom Patentschutz ausgenommen, deren Ergebnis unmittelbar gestatte, über eine medizinische Behandlung zu entscheiden. Dies sei wiederum nur dann der Fall, wenn das beanspruchte Verfahren alle Schritte enthalte, die beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführen seien. Es seien dies die Schritte Untersuchung, Feststellung einer signifikanten Abweichung vom Normwert sowie Zuordnung der Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild. Dementsprechend stellten Verfahren, die lediglich Zwischenergebnisse lieferten, keine Diagnostizierverfahren dar, und zwar selbst dann nicht, wenn die Ergebnisse beim Stellen einer Diagnose verwertbar seien (siehe T 385/86, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe; vgl. auch T 83/87, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe; T 400/87, Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe; T 775/92, Punkt 10 der Entscheidungsgründe; T 530/93, Punkt 4 der Entscheidungsgründe; T 1165/97, Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe). Wenn das mittels der beanspruchten Maßnahmen gewonnene Ergebnis ein quantitativer Wert einer isolierten physikalischen Zustandsgröße sei, komme es demzufolge entscheidend darauf an, ob bereits der Meßwert selbst die Krankheit explizit erkennen lasse und damit unmittelbar die Diagnose liefere (siehe Punkt 3.4 der Entscheidungsgründe; vgl. auch T 629/98, Punkt 3 der Entscheidungsgründe). In T 807/98 wurde zusätzlich präzisiert, daß nicht nur eine spezifische positive Feststellung einer Krankheit, sondern auch die negative Feststellung, daß eine bestimmte Krankheit auszuschließen sei, eine Diagnose darstelle (Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe).
Dieses enge Begriffsverständnis hat zur Folge, daß Verfahren, die lediglich einen einzelnen, beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführenden Schritt umfassen, nicht von der Patentierbarkeit nach Artikel 52 (4) EPÜ ausgeschlossen sind. Dies gilt selbst dann, wenn dieser einzelne beanspruchte Schritt notwendiger Bestandteil einer Diagnose ist.
Ausdrücklich hat die Technische Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung T 964/99 festgestellt, daß bei Anwendung der in T 385/86 dargelegten Grundsätze Verfahren von der Patentfähigkeit ausgeschlossen wären, die als Ergebnis eines vollautomatischen Betriebs technischer Vorrichtungen eine mehr oder weniger vollständige Diagnose lieferten. Andererseits ergäbe sich aber der Schluß, daß typische am menschlichen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren wie Perkussion (Beklopfen), Auskultation (Abhorchen) oder Palpation (Betasten) grundsätzlich patentfähig sein könnten, weil sie keine vollständige Diagnose darstellten und auch nicht unter die beiden anderen in Artikel 52 (4) EPÜ angeführten medizinischen Kategorien der chirurgischen oder therapeutischen Behandlung fielen. Es widerspräche jedoch dem Grundgedanken des Artikels 52 (4) EPÜ, so die Kammer, wenn seine Bestimmungen in einer Weise ausgelegt würden, daß "manuelle Verfahren" der körperlichen Untersuchung, die für die Diagnosestellung wesentlich seien und von einem Arzt durchgeführt würden, nicht von der Patentfähigkeit ausgenommen wären (siehe T 964/99, Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe).
Auch in der Literatur wurde die Ansicht vertreten, der Ausschluß der Diagnostizierverfahren von der Patentierbarkeit laufe aufgrund der in T 385/86 vorgenommenen Auslegung praktisch völlig ins Leere (siehe Moufang, Medizinische Verfahren im Patentrecht, GRUR Int. 1992, 10 ff., 23; Methods of Medical Treatment Under Patent Law, IIC 1993, 18 ff.; 46 f.).
In Abweichung zu dem in T 385/86 erläuterten Begriffsverständnis vertrat die Kammer in der Entscheidung T 964/99 daher ausdrücklich die Auffassung, daß der Ausdruck "Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden", bzw. seine Entsprechungen in den anderen beiden Amtssprachen nicht im Sinne von Verfahren zu verstehen seien, die alle beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführenden Schritte enthielten (siehe Leitsatz 1 sowie Punkt 4.1 der Entscheidungsgründe; Hervorhebungen hinzugefügt). Insbesondere die französische Fassung des Artikels 52 (4) EPÜ spreche gegen eine Auslegung, die den Ausschluß von der Patentfähigkeit auf Verfahren beschränke, die sämtliche für eine ärztliche Diagnosestellung erforderlichen Schritte umfasse (Punkt 4.2 der Entscheidungsgründe).
Statt dessen war die Kammer der Ansicht, daß Artikel 52 (4) EPÜ alle am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen Verfahren vom Patentschutz ausschließen solle, die sich auf die Diagnose beziehen oder für Diagnosezwecke von Nutzen seien (Punkt 4.4 der Entscheidungsgründe). Demnach genüge es zur Bejahung des Ausschlusses nach Artikel 52 (4) EPÜ bereits, daß das beanspruchte Verfahren einen Verfahrensschritt umfasse, der Diagnosezwecken diene bzw. sich auf die Diagnose beziehe, und als wesentliche zur Diagnose gehörende und am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Tätigkeit anzusehen sei (siehe Punkt 5.1, 5.2 und 6.1 der Entscheidungsgründe; Hervorhebungen z. T. hinzugefügt).
Mit der in T 385/86 enthaltenen Forderung, daß für das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens alle beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführenden Schritte enthalten sein müssen, würde, was die Kammer in T 964/99 ausdrücklich feststellte, für Diagnostizierverfahren ein anderer Standard gesetzt als für chirurgische oder therapeutische Verfahren (siehe Punkt 3.6 der Entscheidungsgründe). Letztere sind nämlich bereits dann vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn sie nur einen einzigen chirurgischen oder therapeutischen Verfahrensschritt enthalten (für chirurgische Verfahren siehe T 775/97, Punkt 2.5 der Entscheidungsgründe; T 1005/98, unveröffentlicht, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe; T 35/99, Punkt 8 der Entscheidungsgründe; T 182/90, ABl. EPA 1994, 641, Punkt 2.5.1 der Entscheidungsgründe; für therapeutische Verfahren siehe T 606/96, Punkt 3 der Entscheidungsgründe; T 820/92, ABl. EPA 1995, 113, Punkt 5.5 der Entscheidungsgründe; T 82/93, Punkt 1.4 der Entscheidungsgründe). Dementsprechend verleiht ein einziger chirurgischer Verfahrensschritt eines mehrstufigen Verfahrens zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers diesem chirurgischen Charakter (siehe T 182/90, Punkt 2.5.1 der Entscheidungsgründe). Hinter dieser weiten Auslegung der chirurgischen oder therapeutischen Verfahren steht die Überlegung, daß ein Patient nicht die bestmögliche oder einzig verfügbare Behandlung erhalten könne, wenn auch nur ein einziger Behandlungsteil oder -schritt patentrechtlich geschützt wäre (siehe T 35/99, Punkt 7 der Entscheidungsgründe).
Eine Gleichsetzung diagnostischer mit chirurgischen und therapeutischen Verfahren erscheint insoweit gerechtfertigt. Ein Angehöriger eines Heilberufs könnte nämlich ein Diagnoseverfahren an seinem Patienten ebensowenig ungeachtet von bestehenden Patenten durchführen, wenn auch nur ein notwendiger Verfahrensschritt patentrechtlich geschützt wäre.
Insgesamt läßt sich festhalten, daß der Begriff "Diagnostizierverfahren" in der Entscheidung T 385/86 wesentlich enger ausgelegt wird als in der Entscheidung T 964/99. Je nachdem, welchem der in beiden Entscheidungen entwickelten Ansätze gefolgt wird, kann die Beurteilung der Patentfähigkeit eines beanspruchten Verfahrens folglich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Würden beispielsweise die in T 385/86 entwickelten Auslegungsgrundsätze auf das in T 964/99 beanspruchte Verfahren angewandt, läge wohl kein "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ vor, und es stünde zumindest diese Vorschrift einer Erteilung eines europäischen Patents nicht entgegen. In dem im Hauptantrag beanspruchten Verfahren, das die Entnahme einer Probe sowie die Analyse des Stoffs umfaßte, würde der Schritt der Zuordnung der gemessenen Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild fehlen. Dem im Hilfsantrag beanspruchten Verfahren, das sich lediglich auf die Probenentnahme eines Stoffs oder eines Stoffmetaboliten bezog, fehlte es darüber hinaus auch an der Untersuchungsphase. Aufgrund der gewonnenen Ergebnisse wäre es nicht möglich, "unmittelbar über eine medizinische Behandlung zu entscheiden" (T 385/86, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe). Darüber hinaus wäre das in T 964/99 beanspruchte Verfahren nach den Kriterien der Entscheidung T 385/86 wohl auch deswegen kein Diagnostizierverfahren, weil die Auswertung der extrahierten Körperflüssigkeit außerhalb des Körpers, d. h. nicht am menschlichen oder tierischen Körper, stattfindet (siehe auch nachfolgend Punkt III.2).
a) Der diagnostische Zweck bzw. der Bezug zur Diagnose
Der Entscheidung T 385/86 zufolge kommt es für die Qualifizierung als Diagnostizierverfahren maßgeblich darauf an, ob das Ergebnis des beanspruchten Verfahrens unmittelbar gestattet, über eine medizinische Behandlung zu entscheiden. Dies ist nur dann der Fall, wenn das beanspruchte Verfahren alle Schritte enthält, die beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführen sind. Liefert das beanspruchte Verfahren hingegen nur Zwischenergebnisse, und fehlt es demnach an der Einbeziehung von Differenzier- und Vergleichsschritten, um eine pathologische Abweichung feststellen zu können, liegt kein "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ vor. Dies gilt nach Ansicht der Kammer ausdrücklich auch dann, wenn die gewonnenen Zwischenergebnisse beim Stellen einer Diagnose verwertet werden können (so auch T 61/83, T 208/83, T 18/84, T 45/84, T 83/87, T 400/87, T 775/92, T 530/93, T 1165/97).
Die Kammer setzte in der Entscheidung T 385/86 den Begriff "Diagnostizierverfahren" folglich mit "Diagnose" gleich, indem die Erkennung, die Unterscheidung und die Bestimmung eines pathologischen Zustands sowie die Zuordnung der Abweichung zu einem Krankheitsbild notwendige Bestandteile eines solchen Verfahrens sein müssen.
Diese enge Auslegung hat zur Folge, daß ein wegen Artikel 52 (4) EPÜ dem Patentschutz nicht zugängliches Diagnostizierverfahren durch Weglassen vornehmlich des Vergleichsschritts im Anspruch zu einem u. U. patentierbaren Meßverfahren umgewandelt werden könnte. Die Frage, ob das Meßverfahren diagnostischen Zwecken dient, erscheint nach diesem Ansatz irrelevant.
Demgegenüber können nach T 964/99 bereits Verfahren unter Artikel 52 (4) EPÜ fallen, die einen Schritt enthalten, der Diagnosezwecken dient bzw. sich auf die Diagnose bezieht, und als wesentliche zur Diagnose gehörende und am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Tätigkeit zu betrachten ist (vgl. auch T 606/96, Punkt 3 der Entscheidungsgründe).
Die Entscheidung T 964/99 geht allerdings nicht ausdrücklich darauf ein, ob der Diagnosezweck bzw. der Bezug zur Diagnose des betreffenden Verfahrensschritts sich aus den Patentansprüchen selbst ergeben muß oder ob es ausreicht, wenn sich dieser Zweck bzw. Bezug explizit oder implizit aus den gesamten Anmeldungsunterlagen ergibt. Bejaht man die zweite Alternative, so stellt sich weiterhin die Frage, ob ein "Diagnostizierverfahren" auch dann vorliegen kann, wenn die Anmeldungsunterlagen neben dem diagnostischen Zweck explizit oder implizit auch einen nichtdiagnostischen Zweck offenbaren, wenn es das Verfahren also nicht ausschließlich zu Diagnosezwecken, sondern auch auf anderen, gewerblichen Gebieten einsetzbar ist. Es könnten nämlich beispielsweise folgende Konstellationen auftreten:
Der Patentanspruch selbst könnte auf die Definition der Verfahrensschritte beschränkt sein, ohne den Zweck der Untersuchung näher zu bezeichnen. In der Beschreibung könnten dabei sowohl diagnostische als auch nichtdiagnostische Anwendungen explizit aufgeführt sein. Denkbar wäre auch, daß entweder diagnostische oder nichtdiagnostische Anwendungen diskutiert werden und dabei die jeweils andere Anwendung dem Fachmann beim Lesen der Anmeldung unweigerlich in den Sinn kommt, so daß der Anspruch in seiner Breite durch die Beschreibung gestützt wäre.
Beispielsweise könnte ein Patentanspruch auf ein Verfahren der optischen Tomographie zur Untersuchung von Gewebestrukturen mit ungleichförmiger Oberflächengeometrie gerichtet sein, und in der Beschreibung könnten als Anwendungsbeispiele des Verfahrens ausdrücklich sowohl die Diagnose von Tumoren am Menschen als auch die Fernuntersuchung von Nahrungsmitteln genannt werden. Ein weiteres Beispiel wäre ein Verfahren zur Feststellung der Durchgängigkeit von Röhren, das laut Beschreibung zur Untersuchung von Transportbahnen (Leitbündeln) in Pflanzen angewandt werden kann, das sich nach den Kenntnissen eines Fachmanns aber auch zu diagnostischen Anwendungen, wie beispielsweise zur Untersuchung der Durchgängigkeit von Blutgefäßen im lebenden menschlichen Körper zum Zweck der Diagnose eines Herzinfarkts, eignet. Zu denken wäre auch, daß der für das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens maßgebliche Schritt im Patentanspruch nicht enthalten ist, aber notwendigerweise vorangeht. Sofern man als solchen Schritt die Verabreichung einer Substanz, die gesundheitliche Risiken birgt, wie z. B. ein Kontrastmittel, ansieht, könnte ein solcher Patentanspruch lauten: "Verfahren zur Aufnahme eines Bildes des Magens, dem ein Kontrastmittel verabreicht wurde …".
In der Anmeldung, die der Entscheidung T 964/99 zugrunde lag und in der ein Verfahren der Probenentnahme eines Stoffs aus einem Körper und der Konzentrationsbestimmung dieses Stoffs beansprucht wurde, ist in den Patentansprüchen auf einen diagnostischen Zweck nicht ausdrücklich Bezug genommen. Für die Annahme eines "Diagnostizierverfahrens" nach Artikel 52 (4) EPÜ scheint es demnach nicht erforderlich zu sein, daß sich der Bezug zur Diagnose unmittelbar aus den Patentansprüchen ergibt. Andererseits betrafen nach Ansicht der Kammer alle in der Beschreibung enthaltenen konkreten Ausführungsformen des beanspruchten Verfahrens Maßnahmen, die im Zuge einer medizinischen Behandlung von Patienten vorgenommen würden und insbesondere Diagnosezwecken dienten (siehe Punkt 5.1 der Entscheidungsgründe). Insofern ergab sich im zu entscheidenden Fall der Bezug zur Diagnose zumindest aus der Offenbarung der Anmeldung insgesamt.
Weiterhin bedarf es der Klärung, wie die Situation zu beurteilen ist, wenn die Gesamtheit der Anmeldeunterlagen einen ausdrücklichen Bezug zur Diagnose vermissen läßt, aber aus der Sicht eines Fachmanns das beanspruchte Verfahren auch auf dem Gebiet der Diagnostik einsetzbar ist. Die Entscheidung T 329/94 scheint die Erforderlichkeit eines expliziten Bezugs nahezulegen. Für die Beurteilung, ob das beanspruchte Verfahren ein Diagnostizierverfahren darstelle, müsse nämlich der anmeldungsgemäße Zweck des beanspruchten Gegenstands, wie er aus der Beschreibung und den Zeichnungen erkennbar sei, definiert werden (Punkt 5 der Entscheidungsgründe; Hervorhebung hinzugefügt). Dies hätte zur Folge, daß ein Verfahren, das auch diagnostischen Zwecken dient und dieser diagnostische Zweck nicht explizit in der Anmeldung offenbart ist, sondern sich nur implizit für den Fachmann erschließt, kein "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ wäre.
b) Die Erforderlichkeit der Beteiligung eines Arztes
In der Entscheidung T 385/86 kam die Technische Beschwerdekammer unter Anwendung der von ihr entwickelten Grundsätze zu dem Ergebnis, daß das beanspruchte Verfahren kein nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossenes Diagnostizierverfahren sei, da es nicht alle Schritte enthielt, die beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführen sind. Dennoch fragte die Kammer weiter danach, ob "ausgehend davon, daß die Vorschrift des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ verhindern soll, daß der Arzt bei der Ausübung seiner Heilkunst durch Patentrechte behindert werden kann", das beanspruchte Verfahren, das nicht alle bei einer ärztlichen Diagnosestellung auszuführenden Schritte enthielt, trotzdem deshalb nicht als gewerblich anwendbar gelten könne, weil es "ausschließlich von einem Arzt in Ausübung seiner Heilkunst ausführbar" sei (Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe).
Die Kammer kam anhand von vier Gesichtspunkten zu dem Ergebnis, daß in dem zu entscheidenden Fall ein Fachmann für magnetische Kernresonanzspektroskopie die beanspruchten Maßnahmen im gewerblichen Rahmen eines Laborbetriebes ohne medizinische Fachkenntnisse und Fähigkeiten auszuführen vermag: Die Einwirkung auf die lebende Substanz habe technischen Charakter, die Wechselwirkung der technischen Maßnahmen mit dem Körper stelle keinen Eingriff in die lebende Substanz dar, die Wechselwirkung führe zu keinen bleibenden Veränderungen der Körpermaterie und hinterlasse auch keine schädlichen Nebenwirkungen (siehe Punkt 3.5.1 der Entscheidungsgründe; Hervorhebungen hinzugefügt). Die beanspruchten Verfahrensschritte umfaßten keinerlei Maßnahmen, die den Charakter einer ärztlichen Behandlung hätten oder zu ihrer Durchführung einen Arzt erforderten. Der Techniker sei vielmehr in der Lage, mit Hilfe der beanspruchten Maßnahmen selbständig eine Arbeitsgrundlage für die nachfolgende Diagnosetätigkeit des Arztes zu schaffen. Da während der Untersuchungsphase die Anwesenheit eines Arztes nicht erforderlich sei und ihm ferner ein vom lebenden Körper losgelöstes Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werde, seien die beanspruchten Verfahren ebenso wie Laboruntersuchungen an dem Körper entnommenen Blut- oder Gewebeproben gewerblich anwendbar. Ein Verfahren, bei dem eine Wechselwirkung mit dem menschlichen oder tierischen Körper auftrete, sei gewerblich anwendbar, wenn es der technisch vorgebildete Fachmann ohne medizinische Fachkenntnisse und Fähigkeiten mit dem gewünschten Erfolg anzuwenden vermöge (siehe Punkt 3.5.2 der Entscheidungsgründe; Hervorhebungen hinzugefügt; vgl. auch T 400/87, Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe).
Aus T 385/86 läßt sich daher die Schlußfolgerung ziehen, daß als Diagnostizierverfahren auch ein Verfahren angesehen werden kann, das zumindest einen Verfahrensschritt enthält, der ausschließlich von einem Arzt durchgeführt werden kann. Hierfür wird beispielsweise als Kriterium herangezogen, ob durch das Verfahren in die lebende Substanz eingegriffen wird, ob bleibende Veränderungen der Körpermaterie hervorgerufen werden oder ob das Verfahren schädliche Nebenwirkungen besitzt. Verfahrensschritte, die zumindest heutzutage nur durch den Arzt selbst durchgeführt werden, sind beispielsweise die Untersuchung der Eignung eines Patienten für ein bestimmtes Diagnoseverfahren sowie die Auswahl des Diagnoseverfahrens. Ferner sind dies Untersuchungen, die noch nicht vollständig automatisiert sind, wie z. B. das Legen eines Katheters, Biopsien, Palpation (soweit noch nicht automatisiert), oder Untersuchungen, bei denen der Arzt aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung schon während der Untersuchung zu diagnostisch relevanten Ergebnissen kommt (z. B. Auskulation). Schließlich ist die eigentliche Diagnosestellung anhand der Untersuchungsergebnisse selbst ein Schritt, der ausschließlich von einem Arzt vorgenommen wird, sofern auch hier keine Automatisierung erfolgt ist (z. B. wenn die Abwesenheit eines bestimmten technischen Signals das Vorhandensein einer spezifischen Krankheit ausschließt, siehe z. B. T 807/98).
Entsprechend der Entscheidung T 385/86 scheint das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens in Fällen, in denen nicht alle Schritte, die zur Stellung einer Diagnose auszuführen sind, beansprucht sind, auch dann zu verneinen sein, wenn sämtliche Verfahrensschritte von einem technisch vorgebildeten Fachmann ohne medizinische Fachkenntnisse und Fähigkeiten oder vom Patienten selbst ausgeführt werden können. Schon die Möglichkeit der Anwendung des Verfahrens durch einen Techniker scheint dieser Entscheidung zufolge das Eingreifen des Ausschlusses nach Artikel 52 (4) EPÜ zu verhindern. Die Kammer würde damit der Tendenz einer engen Auslegung von Artikel 52 (4) EPÜ folgen, wie sie es an anderen Stellen in der Entscheidung wiederholt betont hat (siehe Punkt 3.2 und 4.1 der Entscheidungsgründe).
Der Entscheidung T 964/99 zufolge soll Artikel 52 (4) EPÜ greifen, wenn das beanspruchte Verfahren einen Schritt enthält, der zu Diagnosezwecken erfolgt und als wesentliche zur Diagnose gehörende und am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene Tätigkeit zu betrachten ist. Für diese Beurteilung war nach Auffassung der Kammer die Tatsache, daß die beanspruchten Verfahrensschritte vom Patienten selbst durchgeführt werden könnten und die Anwendung weder signifikante Auswirkungen auf den Körper hätte noch mit einem gravierenden Gesundheitsrisiko behaftet wäre, ausdrücklich ohne Belang (siehe Punkt 6.1 der Entscheidungsgründe). Dies bedeutet, daß nach der Entscheidung T 964/99 Verfahren selbst dann als "Diagnoseverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ anzusehen wären, wenn sie von einer nicht medizinisch vorgebildeten Person angewandt werden können. Die Erwägung, daß sämtliche Verfahrensschritte durch andere Personen als Ärzte durchgeführt werden konnten, verhinderte demgegenüber in T 385/86 die Qualifizierung der beanspruchten Maßnahmen als ein von der Patentierbarkeit ausgeschlossenes Diagnostizierverfahren (siehe 3.5.2 der Entscheidungsgründe).
Sind in einem Verfahren nicht schon alle zur Diagnosestellung auszuführenden Schritte beansprucht, und liegt daher insofern ein "Diagnostizierverfahren" vor, bleiben der Entscheidung T 385/86 zufolge nur solche Verfahren frei von Patentrechten, bei denen mindestens ein Schritt von einem Arzt ausgeführt werden muß. Nach T 385/86 scheint in diesen Fällen somit für die Beurteilung des Vorliegens eines "Diagnostizierverfahrens" von wesentlicher Bedeutung zu sein, daß bei der Anwendung des Verfahrens die persönliche Mitwirkung eines Arztes notwendig ist. Nach T 964/99 verhindert die Durchführbarkeit des Verfahrens durch den Patienten hingegen die Qualifikation als "Diagnostizierverfahren" nicht. Der von Patentrechten frei bleibende Bereich scheint sich dieser Entscheidung zufolge nicht auf Verfahren zu beschränken, bei deren Durchführung die Mitwirkung eines Arztes erforderlich ist, sondern scheint darüber hinaus zu gehen.
Der Ansatz, daß für die Beurteilung eines Verfahrens als Diagnostizierverfahren nicht entscheidend sein soll, welche Person das Verfahren durchführt, würde mit der Definition "therapeutischer Verfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ übereinstimmen. Auch dort kann der Ausschlußgrund bereits dann eingreifen, wenn das Verfahren nicht nur von einem Arzt, sondern auch von nicht medizinisch geschulten Personen durchgeführt werden kann (siehe T 116/85, ABl. EPA 1989, 13, Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe; siehe auch zu chirurgischen Verfahren T 182/90, Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe; T 24/91, ABl. EPA 1995, 512, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe).
Daher scheint es nach T 964/99 nicht in erster Linie darauf anzukommen, wer das beanspruchte Verfahren durchführt. Maßgeblich erscheint vielmehr, daß einer der Verfahrensschritte zu Diagnosezwecken durchgeführt wird und als wesentliche zur Diagnose gehörende Tätigkeit zu betrachten ist. Die Kammer fragt in diesem Zusammenhang nach dem Vorliegen eines spezifischen Verfahrensschritts mit diagnostischem Charakter (siehe Punkt 6.2 der Entscheidungsgründe; Hervorhebung hinzugefügt). Im konkreten Fall erachtete sie als den entscheidenden Schritt, der diagnostischen Charakter aufwies, die Entnahme eines Körperstoffs zu Diagnosezwecken, die als grundlegende diagnostische Tätigkeit anzusehen sei, für die letztlich ein Arzt die Verantwortung trage (ebd.; Hervorhebung hinzugefügt). Zuvor bezeichnete die Kammer dabei die Entnahme einer Probe aus einem Körper für Zwecke einer medizinischen Untersuchung als "Grundelement der Diagnostik", und zwar unabhängig davon, welches technische Mittel dabei eingesetzt werde (siehe Punkt 5.2 der Entscheidungsgründe). Bestätigt wurde dieser Ansatz in der Entscheidung T 807/98. Dort wurde es als ausschlaggebend erachtet, daß das beanspruchte Verfahren wesentliche Schritte enthalte, die diagnostischen Charakter aufweisen und als grundlegende diagnostische Tätigkeit anzusehen seien, denn für sie trage letztlich ein Arzt die Verantwortung (siehe Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe).
Während also bei T 385/86 in einer weiteren Prüfung darauf abgestellt wird, ob zumindest ein Verfahrensschritt enthalten ist, der vom Arzt selbst durchgeführt werden muß, weicht der Ansatz in T 964/99 hiervon ab, indem der Charakter der Tätigkeit entscheidend sein soll. Dabei scheint die persönliche Anwesenheit des Arztes bei der Durchführung des Verfahrens nicht notwendige Voraussetzung zu sein. Es scheint zumindest ausreichend zu sein, wenn für einen Verfahrensschritt ein Arzt die Verantwortung trägt. Die Loslösung von der Notwendigkeit der persönlichen Mitwirkung eines Arztes erfolgte bereits durch die Entscheidung T 655/92. Dort sah es die Kammer als maßgeblich an, daß das Verfahren jedenfalls einen Schritt enthielt, der nur von medizinisch geschultem Personal oder unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden konnte (siehe Punkt 5.3 der Entscheidungsgründe, Hervorhebung hinzugefügt).
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann von einer derartigen ärztlichen Verantwortung ausgegangen werden kann. Als Indiz könnten gesundheitliche Risiken für den Patienten, die mit der der Anwendung des Verfahrens verbunden sind, gelten (siehe T 655/92, Punkt 5.3 der Entscheidungsgründe; vgl. auch den ähnlichen Ansatz bei chirurgischen Verfahren, T 24/91, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe). Beim Einsatz von technischen Geräten am Menschen wäre auch an die Vorgabe der einzustellenden Werte, wie beispielsweise Intensität der Strahlungsdosen, die ggf. für jeden Patienten gesondert festgelegt werden muß, oder an die Auswahl der Körperpartie, an dem das Verfahren durchgeführt wird, zu denken. So wurde beispielsweise in T 807/98 die Festlegung des Schwellwerts und des Sollwerts, anhand derer eine Fehlfunktion des Herzens erkennbar war, als ein Verfahrensschritt angesehen, der nur nach ärztlicher Anweisung erfolgen könne (siehe Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe).
Die Entscheidung T 964/99 könnte möglicherweise so verstanden werden, daß ein "Diagnostizierverfahren" nach Artikel 52 (4) EPÜ auch dann vorliegen kann, wenn ein Arzt nicht notwendigerweise für einen der Verfahrensschritte die Verantwortung trägt. Die Kammer hatte nämlich auch festgestellt, daß die beanspruchten Verfahren vom Patienten selbst vorgenommen werden könnten und ihre Anwendung weder signifikante Auswirkungen auf den Körper hätte noch mit einem gravierenden Gesundheitsrisiko behaftet wäre (siehe Punkt 6.1 der Entscheidungsgründe). Als eine der Ausführungsarten des in T 964/99 beanspruchten Verfahrens wurde in der Beschreibung die Bestimmung des Glukosespiegels im Blut genannt, die dementsprechend von Diabetes-Patienten im Wege der Selbstkontrolle vorgenommen werden könnte.
In dieser weiten Auslegung scheint es dann maßgeblich auf das Kriterium anzukommen, ob ein spezifischer Verfahrensschritt mit diagnostischem Charakter enthalten ist. Ein solcher diagnostischer Charakter scheint regelmäßig dann gegeben zu sein, wenn ein Arzt diesen Verfahrensschritt persönlich vornehmen muß oder hierfür die Verantwortung trägt. Selbst wenn keine dieser beiden Alternativen gegeben ist, könnte dennoch ein Verfahrensschritt mit diagnostischem Charakter vorliegen.
Vor dem Hintergrund der Entscheidung T 310/99 kommt allerdings die Unsicherheit auf, ob eine derartige Interpretation zulässig ist. In dieser Entscheidung wurde nämlich nicht nur danach gefragt, wer an der Durchführung des Verfahrens beteiligt ist. Da die beanspruchten Tätigkeiten zweifellos von einem Laborassistenten ohne tatsächliche Beteiligung eines Arztes ("actual intervention of a physician") ausgeführt werden konnten, wurde das Vorliegen eines "Diagnostizierverfahrens" verneint (siehe Punkt 14 der Entscheidungsgründe). Eine Prüfung, ob dennoch ein Verfahrensschritt mit diagnostischem Charakter vorlag, wurde nicht unternommen.
Auch weiterhin scheint daher klärungsbedürftig, ob es für die Qualifikation einer Tätigkeit mit diagnostischem Charakter auf die beteiligten Personen ankommt, oder ob dem nur eine Indizwirkung dergestalt zukommt, daß, wenn das beanspruchte Verfahren von einem Arzt oder unter der Verantwortung eines Arztes durchzuführen ist, es in der Regel unter den Ausschluß des Artikels 52 (4) EPÜ fällt (siehe zu chirurgischen Verfahren T 24/91, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe).
2. Das Merkmal "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen"
In der Entscheidung T 385/86 wurde, der engen Auslegung des Artikels 52 (4) EPÜ folgend, das Merkmal, daß das Diagnostizierverfahren "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" werden muß, dahingehend verstanden, daß alle ein Diagnostizierverfahren kennzeichnenden Schritte am lebenden menschlichen oder tierischen Körper selbst vorzunehmen seien. Dies führte nach Ansicht der Kammer zu der Forderung, "daß bei einem unter den Wortlaut des Artikels 52 (4) EPÜ fallenden Tatbestand sowohl die Untersuchungsphase (Istwert-Ermittlung) als auch die Feststellung des Symptoms anhand des Untersuchungsergebnisses (d. h. die Abweichung der ermittelten Istwerte von Normwerten) am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden müssen" (Punkt 4.1 der Entscheidungsgründe). Dementsprechend müßten sowohl die ermittelten Istwerte als auch die als Krankheitssymptom zu wertende Abweichung von einem Normwert ohne weiteres direkt an Körperpartien ablesbar bzw. unmittelbar am Körper selbst wahrnehmbar sein (siehe Punkte 4.2 und 4.3 der Entscheidungsgründe; Hervorhebung hinzugefügt; vgl. auch T 400/87, Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe; T 1038/00, Punkt 6 der Entscheidungsgründe).
Als Beispiele für derartige direkt am Körper vorgenommene Verfahren nannte die Beschwerdekammer in der Entscheidung T 385/86 u. a. einen Allergietest, bei dem die anormale Abweichung anhand einer Hautveränderung feststellbar sei; ein Verfahren zur Feststellung der Durchgängigkeit einer Körperröhre, bei dem mit einem Katheter Flüssigkeit in die Gebärmutter injiziert und der Druckaufbau in der Gebärmutter beobachtet werde; ein Verfahren, bei dem Scharlachflecken direkt betrachtet oder photographiert würden; sowie eine Körperspiegelung zur Feststellung von Leberschäden (siehe Punkt 4.3.1 der Entscheidungsgründe).
Das streitgegenständliche Verfahren führte hingegen zu einem Meßwert, der erst außerhalb des Körpers im hochaufgelösten Resonanzspektrum wahrnehmbar war, das auf einem Bildschirm oder Schreiberblatt in der Endstufe des Untersuchungsgerätes erschien. Die gesammelten Meßdaten waren nicht unmittelbar an Körperpartien, sondern auf einem vom Körper losgelösten Datenträger erst nach weiteren, außerhalb des Körpers vorgenommenen technischen Schritten ablesbar. Die Präsenz des Körpers war dementsprechend bei diesen weiteren Schritten nicht erforderlich. Die Beschwerdekammer sah daher das Kriterium "am … Körper vorgenommen" als nicht erfüllt an (Punkt 4.2 der Entscheidungsgründe).
Im Übrigen mangelte es nach Ansicht der Kammer an der Erfüllung dieses Kriteriums auch deshalb, weil in dem zu entscheidenden Fall die pathologische Abweichung nicht unmittelbar am Körper selbst wahrnehmbar war. Es reiche, so die Kammer, nicht aus, daß lediglich irgendeine Untersuchung zur Ermittlung des Zustands eines menschlichen oder tierischen Körpers für medizinische Zwecke durchgeführt werde. Der ermittelte Zustand müsse ohne weiteres die pathologische Abweichung darstellen. Erst ein Vergleich sowie die explizite Angabe, wie groß die Abweichung sein müsse, um für eine bestimmte Krankheit charakteristisch zu sein, mache aus dem Meß- ein Diagnostizierverfahren. So mache beispielsweise eine Durchleuchtung mittels Röntgenstrahlen den inneren Zustand erst nach einer außerhalb des Körpers vorgenommenen Bildwandlung der Röntgenquanten in sichtbares Fluoreszenzlicht auf einem Bildschirm wahrnehmbar. Auch hier sei ein pathologischer Zustand erst durch den Vergleich der Schwärzungsstruktur mit Normwerten feststellbar (Punkt 4.3.2 der Entscheidungsgründe).
Dem in T 385/86 entwickelten Ansatz zufolge wäre wohl das Kriterium "am menschlichen oder tierischen Körper" auch bei einer bildlichen Darstellung von Körpergeweben mittels Ultraschall in einem entsprechenden Gerät, und ebenso bei der elektrischen Impedanztomographie, bei der Elektrokardiographie oder der Elektro- bzw. Magnetoenzephalographie zu verneinen. Das jeweilige Untersuchungsergebnis ist nämlich auch in diesen Fällen nicht unmittelbar am Körper selbst ablesbar.
Nach T 385/86 kommt es zur Erfüllung des Kriteriums "am … Körper vorgenommen" maßgeblich darauf an, daß sowohl die Meßwertermittlung als auch die Feststellung einer pathologischen Abweichung am lebenden menschlichen oder tierischen Körper selbst vorgenommen wird. Alle ein "Diagnostizierverfahren" definierenden Schritte müssen demzufolge unmittelbar am Körper selbst vorgenommen werden. Umgekehrt bedeutet dies, daß bereits dann, wenn ein Teil des Diagnostizierverfahrens außerhalb des untersuchten Körpers durchgeführt wird, das Kriterium "am … Körper vorgenommen" nicht erfüllt wäre. In einem solchen Fall würde der Ausschluß von der Patentierbarkeit nach Artikel 52 (4) EPÜ somit nicht greifen.
Das Ergebnis der Wechselwirkung des Körpers mit einem diagnostischen Untersuchungsmittel scheint der Entscheidung T 385/86 zufolge unmittelbar am Körper ablesbar sein zu müssen. Darauf, welche Intensität oder Qualität diese Wechselwirkung aufweist, scheint für die Beschwerdekammer in dieser Entscheidung im Hinblick auf das Merkmal "am … Körper vorgenommen" nicht maßgeblich.
Würden die in T 385/86 entwickelten Grundsätze zur Beurteilung des Verfahrens, das Gegenstand der Entscheidung T 964/99 war, herangezogen, wäre wohl das Merkmal "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" nicht erfüllt gewesen. Dort wurde nämlich ein Stoff mittels Iontophorese durch die Hautoberfläche eines menschlichen oder tierischen Körpers in eine Probenkammer extrahiert und die Probenkammer außerhalb des Körpers auf die Konzentration des Stoffs untersucht.
In T 964/99 stellte die Kammer jedoch fest, daß es in der Medizin ein breites Spektrum von diagnostischen Verfahren gebe, die vom Arzt angewandt würden und von der allgemeinen Beobachtung des Erscheinungsbildes eines Patienten und rein manuellen Maßnahmen bis hin zu Diagnosetechniken reichten, bei denen komplizierte physikalische Instrumente und chemische oder biochemische Hilfsmittel zum Einsatz kämen. Diagnostische Verfahren ließen sich dabei in zwei Kategorien einteilen. Die einen Verfahren würden am lebenden Körper angewandt und die anderen außerhalb des Körpers. Nur "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommene" Verfahren seien nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen, während beispielsweise extrakorporale Labortests patentfähig seien (Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe).
Zur Frage, wann des Merkmal "am ... Körper vorgenommen" erfüllt ist, läßt sich festhalten, daß in T 964/99 die Entnahme einer Probe aus einem lebenden menschlichen oder tierischen Körper erfolgte. Die Kammer bezeichnete in der Entscheidung ferner die Perkussion, Auskultation und Palpation als Beispiele "typischer am menschlichen Körper vorgenommener Diagnostizierverfahren" (siehe Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe). Dies könnte daher den Schluß zulassen, daß das Merkmal "am … Körper vorgenommen" jedenfalls dann erfüllt ist, wenn ein direkter Kontakt mit dem Körper gegeben ist.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob es für die Erfüllung des Merkmals "am ... Körper vorgenommen" auch ausreichen kann, wenn eine andere Art der Wechselwirkung mit dem lebenden Körper entsteht. Zu denken wäre beispielsweise an nicht-invasive Verfahren, die z. B. unter Einsatz von Strahlungen zu Meß- und Analysezwecken vorgenommen werden und die die Grundlage für eine Diagnose bilden können. Über die Qualität oder Intensität einer Wechselwirkung für die Erfüllung des Merkmals "am ... Körper vorgenommen" finden sich in T 964/99 keine näheren Ausführungen. Dem Wortlaut des Artikels 52 (4) EPÜ ("die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden") zufolge könnte möglicherweise bereits die reine Präsenz des menschlichen oder tierischen Körpers ausreichen, so daß auch eine Begutachtung des Erscheinungsbilds des menschlichen oder tierischen Körpers darunter subsumiert werden könnte. Diese Interpretation scheint die Beschwerdekammer 3.5.1 in ihrer Entscheidung T 775/92 angewandt zu haben, da sie auch eine Fernwechselwirkung mit dem Körper als diagnostisches Verfahren eingestuft hat (siehe Punkt 10 der Entscheidungsgründe).
Darüber hinaus umfaßte das Verfahren, das Gegenstand der Entscheidung T 964/99 war, Verfahrensschritte, die sowohl "am menschlichen oder tierischen Körper" (Anbringung der Probenkammer an der Körperoberfläche, Extraktion des Stoffs durch das Oberflächengewebe) als auch außerhalb des Körpers (Analyse der Probenkammer auf die Konzentration des Stoffs mit technischen Mitteln) vorzunehmen waren. Den Schritt der Entnahme einer Probe eines Stoffs aus einem lebenden menschlichen oder tierischen Körper zu Zwecken einer medizinischen Untersuchung stufte die Kammer dabei als "Grundelement der Diagnostik" ein und betrachtete diesen Schritt als "wesentliche zur Diagnose gehörende und am lebenden Körper vorgenommene Tätigkeit" (Punkt 5.2 und 6.1 der Entscheidungsgründe). Da das beanspruchte Verfahren diesen Verfahrensschritt enthielt, war es als "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ anzusehen.
Aus dieser Entscheidung ergibt sich daher, daß offenbar nicht sämtliche Verfahrensschritte am Körper vorgenommen werden müssen, um den Patentierungsausschluß der am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen Diagnostizierverfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ bejahen zu können. Es scheint vielmehr auszureichen, daß ein solcher Schritt am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen wird. Eine solche Interpretation scheint auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zu chirurgischen und therapeutischen Verfahren.
In T 964/99 war der Verfahrensschritt, der "diagnostischen Charakter" hatte, zugleich auch derjenige, der "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen" wurde. Dies wirft folglich die Frage auf, ob diese Verknüpfung stets bestehen muß, oder ob unter Umständen ein "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes Diagnostizierverfahren" auch dann vorliegen kann, wenn in einem mehrstufigen Verfahren nicht der Verfahrensschritt, der sich auf die Diagnose bezieht und eine wesentliche Diagnosemaßnahme ist, "am … Körper" vorgenommen wird, sondern ein anderer Schritt. Im Hinblick auf die Entscheidung T 807/98 scheint der Verfahrensschritt mit "diagnostischem Charakter" auch außerhalb des Körpers erfolgen zu können. In dieser Entscheidung wurden als "wesentliche Schritte, die diagnostischen Charakter aufweisen und als grundlegende diagnostische Tätigkeit anzusehen sind", die Festlegung des Schwell- und des Sollwerts erachtet, da für sie letztlich ein Arzt die Verantwortung trage (Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe). Bei der Festlegung der Werte handelt es sich um Maßnahmen, die nicht unmittelbar am lebenden menschlichen oder tierischen Körper, sondern vielmehr an dem eingesetzten Gerät vorgenommen werden.
IV. Divergierende Entscheidungen von zwei Beschwerdekammern im Sinne von Artikel 112 (1) b) EPÜ
Artikel 112 (1) b) EPÜ setzt seinem Wortlaut nach voraus, daß "zwei Beschwerdekammern über diese Frage voneinander abweichende Entscheidungen getroffen haben".
Vorliegend stammen die divergierenden Entscheidungen T 385/86 und T 964/99 von derselben Technischen Beschwerdekammer im Sinne des Geschäftsverteilungsplans, nämlich der Kammer 3.4.1. Gleichwohl sind sie aus folgenden Gründen als divergierende Entscheidungen im Sinne von Artikel 112 (1) b) EPÜ zu verstehen:
Der Entscheidung T 385/86 sind in den Entscheidungen T 775/92, T 530/93, T 1165/97, T 629/98 sowie T 807/98 auch andere Technische Beschwerdekammern gefolgt. All diese Entscheidungen nehmen inhaltlich auf die frühere Entscheidung T 385/86 Bezug und machen sich die dort verwendete Argumentation zu eigen. Dementsprechend divergiert die Entscheidung T 964/99, der auch eine andere Beschwerdekammer gefolgt ist (T 310/99), auch von Entscheidungen anderer Kammern im Sinne des Geschäftsverteilungsplans. Die bestehende Abweichung wurde vornehmlich anhand der Entscheidungen T 385/86 sowie T 964/99 dargestellt, da beide Entscheidungen unterschiedliche Ansätze zum Patentierungsausschluß entwickelt haben, die im konkreten Einzelfall, wie z. B. in dem der Entscheidung T 964/99 zugrundeliegenden, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Außerdem hat sich die Technische Beschwerdekammer 3.4.1 in ihrer Entscheidung T 964/99 ausdrücklich von dem in T 385/86 vertretenen Ansatz distanziert (siehe insb. Entscheidungsgründe 4.1).
Hinzu kommt, daß die Technische Beschwerdekammer 3.4.1 die Entscheidungen T 385/86 und T 964/99 jeweils in vollständig unterschiedlicher Besetzung getroffen hat. Im Falle divergierender Entscheidungen der Juristischen Beschwerdekammer hatte die Große Beschwerdekammer in ihrer Stellungnahme G 4/98 (ABl. EPA 2001, 131, Punkt 1.2 der Entscheidungsgründe) eine Vorlage des Präsidenten zugelassen. Dabei war die Erwägung ausschlaggebend, daß die Wirkung des Artikels 112 EPÜ ungebührlich eingeschränkt würde, wenn die Vorlagebefugnis des Präsidenten durch eine restriktive, auf der Organisationsstruktur basierende Auslegung des Begriffs "zwei Beschwerdekammern" definiert würde. Denn in einem solchen Fall wären Vorlagen betreffend die Juristische Beschwerdekammer, die eine einzige Organisationseinheit darstellt, unmöglich. In der damaligen Situation ließ die Große Beschwerdekammer die Vorlage zu, da die einander widersprechenden Entscheidungen von der Kammer in unterschiedlicher Besetzung erlassen wurden. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Artikels 112 EPÜ könnte auch in den Fällen, in denen eine Technische Beschwerdekammer in vollständig unterschiedlicher Besetzung divergierende Entscheidungen erlassen hat, ein durchaus vergleichbares Bedürfnis nach Klarstellung bestehen, welche Rechtsauffassung maßgeblich sein soll. Dementsprechend könnte der Begriff "Beschwerdekammer" in Artikel 112 (1) b) EPÜ nicht nur als Kammer mit ihrer Bezeichnung gemäß der Geschäftsverteilung verstanden werden (siehe auch Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 6. Auflage 2001, Anhang zu § 73, Art. 112 EPÜ, Rd. 42; Günzel in: Benkard, EPÜ, 2000, Artikel 112, Rd. 5).
Der Vorschrift des Artikels 112 (1) b) EPÜ liegt der Gedanke zugrunde, daß der Präsident des EPA die Große Beschwerdekammer dann mit einer Rechtsfrage befassen können soll, wenn voneinander abweichende Beschwerdekammerentscheidungen ergangen sind, die z. B. aufgrund ihrer voneinander abweichenden rechtlichen Beurteilung zu einer Rechtsunsicherheit führen, die der Klärung bedarf. Ob die Entscheidungen dabei von zwei unterschiedlichen Beschwerdekammern im Sinne des Geschäftsverteilungsplans oder von zwei Beschwerdekammern in unterschiedlicher Besetzung oder sogar von Beschwerdekammern in teilweise oder vollständig identischer Besetzung stammen, sollte in diesem Zusammenhang unerheblich sein (ebenso Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 6. Auflage 2001, Anhang zu § 73, Art. 112 EPÜ, Rd. 42; dafür, daß für eine Vorlageberechtigung entscheidend sein soll, daß zwei widersprüchliche Entscheidungen vorliegen und nicht, ob diese Entscheidungen von zwei Kammern mit unterschiedlicher organisatorischer Bezeichnung erlassen wurden, auch Joos, in: Singer/Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 2. Auflage 2000, Artikel 112, Rd. 30). Artikel 112 EPÜ dient ausweislich seines Wortlauts gerade dem Zweck, eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten (siehe auch Moser, Münchner Gemeinschaftskommentar, 20. Lieferung, Art. 112, Rd. 28; Paterson, The European Patent System, 2001, 4 - 175, 187). Wenn in Entscheidungen von Beschwerdekammern unterschiedliche Grundsätze entwickelt wurden, die bei ihrer Anwendung im konkreten Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, besteht ein erhebliches Bedürfnis des Amts und der Öffentlichkeit nach Klarstellung, welche Rechtsauffassung maßgeblich ist. In einem solchen Fall besteht das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unabhängig davon, in welcher Kammerbesetzung die voneinander abweichenden Entscheidungen ergangen sind.
Vorliegend scheint es sich nicht um eine Fortentwicklung der Rechtsprechung, sondern um eine Rechtsprechungsdivergenz zu handeln. In ihrer Entscheidung T 964/99 stellte die Beschwerdekammer ausdrücklich klar, daß sie nicht den in T 385/86 (und sie bestätigenden Entscheidungen) entwickelten Grundsatz, sondern einen anderen anwenden wollte. Sie distanzierte sich vollständig von der Auslegung des Begriffs "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ, wie sie in der Entscheidung T 385/86 entwickelt worden war, indem sie in Leitsatz 1 und Punkt 4.1 und 4.2 der Entscheidungsgründe von T 964/99 nahezu den identischen Wortlaut der in T 385/86 entwickelten Begriffsdefinition verwendete, um eine Negativdefinition abzugeben. Zudem stellte die Kammer anhand mehrerer Beispiele dar, daß bestimmte Verfahren im Falle der Anwendung der in T 385/86 entwickelten Grundsätze nicht nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen wären, was ihrer Auffassung nach dem Grundgedanken dieser Vorschrift widerspräche (siehe T 964/99, Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe). Die Beschwerdekammer brachte damit eindeutig zum Ausdruck, daß der Begriff "Diagnostizierverfahren" gerade nicht in der Weise zu verstehen sei, wie es die Kammer in T 385/86 ausgeführt hatte, und grenzte sich bewußt von den in T 385/86 aufgestellten Auslegungsgrundsätzen ab. Die Grenze der Weiterentwicklung einer bisher bestehenden Rechtsprechung ist somit überschritten. Darüber hinaus ergibt sich die Divergenz der Entscheidungen T 385/86 und T 964/99 aus der jüngeren Entscheidung T 807/98. In dieser Entscheidung wandte die betreffende Kammer 3.2.2 bei der Prüfung, ob ein nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossenes Diagnostizierverfahren vorliege, die Grundsätze beider Entscheidungen nebeneinander an (siehe Punkt 2.2 und Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe). Im Falle einer Weiterentwicklung der Rechtsprechung wäre ein derartiger Parallelansatz nicht notwendig gewesen.
Folglich weichen die Entscheidungen T 385/86 (und die Entscheidungen, die ihr in ihrer Argumentation folgen) und T 964/99 voneinander ab. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erscheint eine Vorlage des Präsidenten daher geboten, ungeachtet der Tatsache, daß die unterschiedlichen Ansätze von derselben Beschwerdekammer im Sinne des Geschäftsverteilungsplans entwickelt worden sind.
V. Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung und grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage
Nach Artikel 112 EPÜ ist eine Vorlage des Präsidenten des EPA nur zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, zulässig.
Die Anwendung der Auslegungsgrundsätze, wie sie in den Entscheidungen T 385/86 einerseits und T 964/99 andererseits entwickelt worden sind, kann in einem konkreten Einzelfall zu demselben Ergebnis führen. Ebenso ist es allerdings in einem konkreten Einzelfall möglich, daß man bei Zugrundelegung des einen oder des anderen Ansatzes jeweils zu einer unterschiedlichen Beurteilung hinsichtlich eines Vorliegens des Patentierungsausschlusses nach Artikel 52 (4) EPÜ gelangt. Beispielsweise hat die Technische Beschwerdekammer in T 964/99 das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ bejaht. Würden auf das Verfahren, wie es in T 964/99 beansprucht war, allerdings die in T 385/86 entwickelten Auslegungsgrundsätze angewandt, so würde kein "Diagnostizierverfahren" vorliegen (siehe auch oben III.1 und III.2). Das Ergebnis wäre damit ein anderes. Weitere Beispiele, in denen die Anwendung beider Ansätze zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen führen würde, sind in T 964/99 selbst aufgeführt (siehe Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe). Je nachdem, welcher Ansatz zugrunde gelegt wird, kann in einem konkreten Einzelfall somit ein "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ, und damit ein Patentierungsausschluß vorliegen oder auch nicht. Letztlich können daher die Aussichten einer Patenterteilung von der Wahl des Auslegungsansatzes abhängen.
Wie bereits oben unter II.1 erwähnt, folgen die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt der in der Entscheidung T 385/86 entwickelten Auslegung dieses Begriffs. Die Praxis des Amts entspricht daher grundsätzlich diesem Begriffsverständnis, auch wenn in Ausnahmefällen die Prüfer von den Richtlinien abweichen können (siehe Richtlinien, Allgemeine Einleitung, 1.2). Im Hinblick auf die in der Entscheidung T 964/99 vorgenommene und durch nachfolgende Rechtsprechung bestätigte Auslegung besteht daher aus Sicht des Amts ein dringendes Bedürfnis nach Klärung, welchem Ansatz für die Auslegung des Begriffs "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ zu folgen ist.
Auch für die Anmelder europäischer Patentanmeldungen ist die Frage, welchem Auslegungsansatz zu folgen ist, von äußerster Wichtigkeit, vor allem für die Formulierung der Anmeldung. Sie müssen wissen, an welchem Prüfungsmaßstab sie sich zu orientieren haben, da die Erfolgsaussichten einer Patenterteilung maßgeblich vom jeweils zugrunde gelegten Auslegungsansatz abhängen können.
Ein identisches Bedürfnis nach Klärung, welcher Auslegung zu folgen ist, besteht auch aus Sicht der Patentinhaber, die ggf. damit rechnen müssen, ihr Patent im Rahmen eines Einspruchs- oder Beschwerdeverfahrens zu verlieren; denn die Erfolgsaussichten eines Einspruchs oder der Beschwerde können davon abhängig sein, welchem Auslegungsansatz gefolgt wird.
Auch aus der Sicht der Einsprechenden besteht ein Bedürfnis nach Klarstellung des Begriffs der "Diagnostizierverfahren" im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ, um für einen Einspruch oder eine Beschwerde gegen die Zurückweisung des Einspruchs das Kostenrisiko einschätzen zu können.
Eine Klarstellung durch die Große Beschwerdekammer, wie der Begriff der "Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden", im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ zu verstehen ist, erscheint daher zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung erforderlich.
Die Frage, welcher Auslegung zu folgen ist, hat auch grundsätzliche Bedeutung. Sinn und Zweck des Patentierungsausschlusses nach Artikel 52 (4) EPÜ ist es, solche Verfahren von der Möglichkeit eines Patentschutzes auszunehmen, die Heilzwecken dienen. Niemand soll nämlich an der Ausübung der Heilkunst durch Patentrechte gehindert werden. Die Reichweite dieses Patentierungsausschlusses hängt daher entscheidend auch von der Auslegung des Begriffs der in Artikel 52 (4) EPÜ genannten "Diagnostizierverfahren" ab. Diese Auslegung erscheint nach den Grundsätzen, wie sie in T 385/86 einerseits und T 964/99 andererseits entwickelt worden sind, unterschiedlich weit. Dementsprechend hat auch die Kammer in T 964/99 festgestellt, daß bei Anwendung der in T 385/86 dargelegten Grundsätze sich der Schluß ergäbe, daß typische am menschlichen Körper vorgenommene Diagnostizierverfahren wie Perkussion, Auskultation oder Palpation grundsätzlich patentfähig sein könnten, weil sie keine vollständige Diagnose darstellten und mit Sicherheit nicht unter die weiteren in Artikel 52 (4) EPÜ angeführten medizinischen Kategorien der chirurgischen oder therapeutischen Behandlung fielen. Nach Auffassung der Kammer widerspräche es aber dem Grundgedanken des Artikels 52 (4) EPÜ, wenn seine Bestimmungen so ausgelegt würden, daß bestimmte "manuelle Verfahren" der körperlichen Untersuchung, die für die Diagnosestellung wesentlich seien und von einem Arzt durchgeführt würden, nicht von der Patentfähigkeit ausgenommen würden (siehe Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe). Die Auslegung des Begriffs der am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen Diagnostizierverfahren bestimmt daher die Reichweite des auf sozialethischen Überlegungen basierenden Freiraums von Patentrechten.
Sollte die Große Beschwerdekammer eine Ergänzung des Vortrags für angemessen erachten, wird um einen entsprechenden Hinweis gebeten.
Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen G 1/04 anhängig.
Ingo KOBER
Präsident