T 0873/20 (Gleitlager/Saint-Gobain Pampus) 18-07-2023
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WARTUNGSFREIES GLEITLAGER
I. Die Beschwerden der Einsprechenden und der Patentinhaberin richteten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das angefochtene Patent in geänderter Form auf Basis des fünften Hilfsantrags
aufrecht zu erhalten.
II. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Patentinhaberin 17 Hilfsanträge ein.
III. Mit ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Einsprechende den vollständigen Widerruf des Streitpatents. Sie brachte unter anderem vor, Anspruch 1 wie aufrechterhalten sei unzulässig erweitert (Artikel 123(2) EPÜ).
Mit ihrer Beschwerdeerwiderung brachte sie dann vor, die Erfindung gemäß des erteilten Anspruchs 1 sei nicht ausführbar (Artikel 100 b) EPÜ).
IV. Nach dem Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer reichte die Patentinhaberin mit Schreiben vom 17. Februar 2023 einen neuen Hauptantrag und drei Hilfsanträge ein, wobei Hilfsantrag 1 dem bisherigen Hilfsantrag 15 entspricht.
V. Am 18. Juli 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die Einsprechende brachte zum ersten Hilfsantrag vor, dieser sei nicht erfinderisch ausgehend von E1 (EP 0 394 518 A1) und unter Berücksichtigung von E5 (US 6 726 994 B1). Die Einwände unter Artikel 123(2) und 83 EPÜ wurden aufrecht erhalten. Die Patentinhaberin zog den Hauptantrag und ihre Beschwerde zurück.
VI. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Patentinhaberin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche des ersten Hilfsantrags, eingereicht mit Schreiben vom 17. Februar 2023.
Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
1. Hilfsantrag 1
Dieser Antrag ist der höchstrangige im Verfahren, nachdem die Patentinhaberin den Hauptantrag zurückgezogen hat. Der Wortlaut des Anspruchs 1 ist wie folgt:
"1. Wartungsfreies Gleitlager, umfassend einen Metallträger (1), eine unmittelbar darauf aufgebrachte Zwischenschicht (2) und eine auf die Zwischenschicht (2) aufgebrachte Gleitschicht (3), dadurch gekennzeichnet, dass die Zwischenschicht (2) wenigstens ein funktionalisiertes thermoplastisches Fluorpolymer mit funktionellen Gruppen der Formel -COOH und/oder
-COOR enthält, wobei R zyklische oder lineare organische Reste mit 1 bis 20 Kohlenstoffatomen beschreibt, wobei das funktionalisierte thermoplastische Fluorpolymer Ethylen-Tetrafluorethylen-Copolymer (ETFE) ist."
2. Artikel 123(2) EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs ist gestützt durch die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 2.
Die Einsprechende hat vorgebracht, der ursprünglich eingereichte Anspruch 2 sei so formuliert, dass ausgeschlossen sei, dass die Zwischenschicht neben funktionalisierten thermoplastischen Fluorpolymeren noch weitere funktionalisierte thermoplastische Polymere enthalten könne, die keine Fluorpolymere bzw. ETFE seien. Im Gegensatz dazu schließe der vorliegende Anspruch 1 das Vorhandensein solcher Polymere nicht aus und gehe somit über die ursprüngliche Offenbarung hinaus.
Was die Auslegung des ursprünglich eingereichten Anspruch 2 angeht, stimmt die Kammer der Einsprechenden jedoch nicht zu. Der Anspruch ist auf den ursprünglich eingereichten Anspruch 1 rückbezogen, welcher festlegt, dass die Zwischenschicht wenigstens ein funktionalisiertes Polymer enthält. Es ist unstrittig, dass diese offene Formulierung für die Zwischenschicht das Vorhandensein weiterer Polymere gleich welcher Art nicht ausschließt. Anspruch 2 ist auf Anspruch 1 rückbezogen und schränkt diesen insofern weiter ein, dass das (in Anspruch 1 genannte) wenigstens eine funktionalisierte thermoplastische Polymer (welches in der Zwischenschicht lediglich enthalten ist, d.h. neben dem noch weitere Polymere vorhanden sein können) ein Fluorpolymer bzw. ETFE "ist". Weitere Polymere in der Zwischenschicht werden durch Anspruch 2 somit weder ausgeschlossen noch beschränkt, so dass das Erfordernis von Artikel 123(2) EPÜ erfüllt ist.
3. Artikel 83 EPÜ
Die von der Einsprechenden erhobenen Einwände scheinen lediglich Ausführungsformen zu betreffen, die der vorliegenden Anspruch 1 nicht mehr umfasst. Jedenfalls wurde nicht vorgebracht, geschweige denn nachgewiesen, dass ein Gleitlager gemäß Anspruch 1 nicht herstellbar ist. Das Erfordernis von Artikel 83 EPÜ ist somit erfüllt.
4. Artikel 54 EPÜ
Die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes wurde nicht bestritten.
5. Artikel 56 EPÜ
5.1 Die Erfindung betrifft wartungsfreie Gleitlager.
5.2 El betrifft ebenfalls wartungsfreie Gleitlager und es ist zwischen den Parteien unstrittig, dass El einen geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
5.3 Das in E1 verwendete Polymer der Zwischenschicht enthält weder ETFE noch umfasst es -COOH oder -COOR Gruppen.
5.4 Das Streitpatent stellt sich die Aufgaben, eine verbesserte Haftung der Gleitschicht auf dem Metallträger zu gewährleisten und ferner auf ökologisch bedenkliche Oberflächenbehandlungen des Metallträgers wie Chromatierungen verzichten zu können.
5.5 Als Lösung dieser Aufgaben schlägt das Streitpatent vor, in der Zwischenschicht ein mit -COOH oder -COOR modifiziertes ETFE einzusetzen; es ist unter anderem durch den von der Patentinhaberin vorgelegten Versuchbericht E18 nachgewiesen, dass dadurch eine bessere Haftung erreicht wird als mit der Zwischenschicht nach E1. Dies wurde von der Einsprechenden nicht bestritten.
5.6 Die Patentinhaberin sieht auch die zweite Aufgabe als gelöst an bzw. sie bestreitet, dass die beiden Aufgaben getrennt betrachtet werden können und hat dementsprechend eine ambitioniertere Aufgabenstellung vorgeschlagen. Da jedoch, wie im Folgenden gezeigt wird, der Gegenstand von Anspruch 1 auch im Hinblick auf die weniger ambitionierte Aufgabe nicht naheliegend ist, muss auf diese Frage nicht weiter eingegangen werden.
5.7 Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, dass der Fachmann, vor die Aufgabe gestellt, die Haftung der Gleitschicht an dem Metallträger des Gleitlagers nach E1 zu verbessern, das Dokument E5 berücksichtigen würde, in dem unter anderem offenbart sei, dass entsprechend modifizierte ETFE-Polymere eine verbesserte Haftung auf Metall aufwiesen, unter anderem in Gleitlageranwendungen. Somit gelange der Fachmann zum Gegenstand von Anspruch 1, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.
5.8 Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, denn der Fachmann hätte aus folgenden Gründen keinen Anlass gehabt, von einer derartigen Schicht eine Verbesserung der Haftung gegenüber E1 zu erwarten.
5.8.1 Das Ausgangsdokument E1 löst das Problem der unzureichenden Haftung durch eine Zwischenschicht aus einem Copolymerisat aus Tetrafluorethylen und Perfluoralkylvinylether (TFM). Im Vergleich mit einer Zwischenschicht aus unmodifiziertem ETFE weist eine solche Schicht eine verbesserte Haftung auf (siehe Beispiel 6 und 8 der E1).
5.8.2 E5 offenbart unter anderem in Spalte 6, Zeile 24-25, dass die Haftung verschiedener Fluorpolymertypen durch das Einführen funktioneller Gruppen verbessert werden kann, wobei die in Frage kommenden Polymertypen in den Spalten 3 und 4 aufgeführt sind. Typ (II) entspricht dabei dem erfindungsgemäßen Polymer TFM aus E1. Somit entnimmt der von E1 ausgehende Fachmann der E5 unmittelbar, dass durch Funktionalisierung von TFM ein Polymer mit einer (noch) besseren Haftung erhalten werden kann, d.h. in anderen Worten, dass eine derartige Funktionalisierung von TFM die o.g. Aufgabe löst. Die Anwendung dieser Lehre auf E1 ist somit naheliegend, aber sie führt gerade nicht zum Gegenstand von Anspruch 1.
5.8.3 Zwar kann gemäß E5 auch ETFE funktionalisiert werden (Spalte 4; Polymer des Typs III), aber der Fachmann kann weder E5 noch E1 entnehmen, dass ein funktionalisiertes ETFE gegenüber der TFM-Schicht aus E1 eine verbesserte Haftung zeigen würde. Somit ist der Einsatz eines funktionalisierten ETFE zur Lösung der o.g. Aufgabe nicht naheliegend, zumal der Fachmann hierzu den Kern der Erfindung der E1 austauschen müsste, nämlich die TFM-Schicht, die laut E1 im Gegensatz zu ETFE zu einer guten Haftung führt.
5.8.4 Das Argument der Einsprechenden, aus E1 lasse sich ableiten, dass die Erfinder durchaus ein hohes Interesse an der Verwendung von ETFE gehabt hätten, ist reine Spekulation. Vielmehr lässt sich der E1 lediglich entnehmen, dass ETFE schlechte Haftungswerte hat. Die Einsprechende hat weiter vorgebracht, es entspreche auch dem allgemeinen Fachwissen, dass eine Säuregruppe die Haftung stärker verbessere als die (in E1 verwendete) Ethergruppe. Selbst wenn dies so wäre, ändert das jedoch nichts an der Tatsache, dass der Fachmann aus den oben genannten Gründen als Basispolymer zur Funktionalisierung TFM eingesetzt hätte und nicht ETFE. In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin noch vorgetragen, ETFE lasse sich aufgrund der H-Atome leichter funktionalisieren, was seine Verwendung nahelege. Auch dieses Argument überzeugt nicht, denn für die Funktionalisierung durch Einpolymerisierung funktionalisierter Monomere, wie sie E5 lehrt, ist das Vorhandensein von H-Atomen im Basispolymer irrelevant.
5.8.5 Somit ist der Gegenstand von Anspruch 1, ausgehend von E1 und unter Berücksichtigung von E5, nicht naheliegend. Weitere Angriffe wurden nicht vorgebracht.
5.8.6 Diese Argumentation gilt für Verfahrensanspruch 20 gleichermaßen.
6. Unter diesen Umständen muss über den Antrag der Patentinhaberin, verschiedenen Dokumente nicht zum Verfahren zuzulassen, nicht entschieden werden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung
zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent in geänderter
Fassung auf der Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags
1, eingereicht mit Schreiben vom 17. Februar 2023, und
einer noch anzupassenden Beschreibung, aufrechtzuerhalten.