T 0306/94 (Kunststoffabfallverwertung/RWE) 21-03-1997
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Verfahren zur hydrierenden Aufarbeitung von Kohlenstoff enthaltenden Abfällen synthetischen bzw. überwiegend synthetischen Ursprungs
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent 0 182 309 widerrufen wurde, Beschwerde eingereicht.
II. Der einzige unabhängige Anspruch des erteilten Patents lautete:
"Verfahren zur hydrierenden Aufarbeitung von Kohlenstoff enthaltenden Abfällen, wobei ein Verfahren zum hydrierenden Kracken von Abfallreifengummi in Gegenwart eines mit Schwefel synergistisch wirkenden Katalysators ausgenommen ist, der aus einer Eisenverbindung und einem Zusatz von Metallen aus der Gruppe Cr, Mo, W, Se und Te besteht, durch Umsetzung mit Wasserstoff und/oder Wasserstoff enthaltenden Gasen und/oder Wasserstoff übertragenden Verbindungen (Wasserstoff-Donor-Lösungsmittel), dadurch gekennzeichnet, daß Gemische Kohlenstoff enthaltender Abfälle synthetischen bzw. überwiegend synthetischen Ursprungs mit Wasserstoff und/oder Wasserstoff enthaltenden Gasen bei einer Temperatur von 200 - 600° C, bevorzugt bei einer Temperatur von 200 - 540° C, bei einem Druck von 30 - 500 bar, bevorzugt von 50 - 450 bar und einer Verweilzeit von 1 Minute bis 8. Stunden, bevorzugt von 15 Minuten bis 6 Stunden umgesetzt werden und bei Einsatz eines Wasserstoff-Donor-Lösungsmittels bei einer Temperatur von 75 - 500° C, bevorzugt von 80 - 480° C und einem Druck von 1 - 300 bar hydrierend umgesetzt werden."
III. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Patent wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden.
Zur Begründung wurde u. a. auf die folgenden Dokumente verwiesen:
(1) DD-A-214 749,
(5) US-A-3 704 108, und
(9) DE-A-2 162 436.
IV. Der Entscheidung lagen die am 15. Dezember 1993 eingereichten Anspruchsätze gemäß Haupt- und Hilfsantrag zugrunde.
Anspruch 1 des Hauptantrags entsprach im wesentlichen dem oben wiedergegebenen Anspruch des erteilten Patents, war aber durch die Verwendung von zugeführtem molekularem Wasserstoff und durch den Ausschluß der hydrierenden Spaltung im "ebullated bed" und im Rührautoklav, sowie durch den Ausschluß der Durchführung des Verfahrens in Gegenwart von ZnCl2 im Mengenverhältnis von ZnCl2 zu Kunststoffgemisch von 1 : 2, eingeschränkt worden.
Anspruch 1 des Hilfsantrags entsprach dem Anspruch 1 des vorstehenden Hauptantrags, war aber durch die Durchführung des Verfahrens in der Sumpfphase in einem oder mehreren hintereinander oder parallel geschalteten Reaktoren (5) und durch die Verwendung von wenigstens einem nachgeschalteten Heißabscheider (6) weiter eingeschränkt worden.
V. In der Entscheidung wird ausgeführt, daß der Gegenstand des Patents auf der Grundlage der beiden Anspruchsätze gemäß Haupt- und Hilfsantrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Insbesondere wird dargelegt, die der beanspruchten Erfindung zugrundeliegende technische Aufgabe bestehe darin, ein Verfahren zur hydrierenden Spaltung von beliebig zusammengesetzten Kunststoffgemischen zu finden, bei dem keine Sortierung bzw. Auftrennung in die einzelnen Kunststoffkomponenten erforderlich sei. Die Lösung dieser Aufgabe dadurch, daß man die hydrierende Spaltung nach den beanspruchten Verfahren gemäß Haupt- und Hilfsantrag durchführe, sei jedoch aufgrund der Entgegenhaltungen für den Fachmann naheliegend gewesen. In diesem Zusammenhang hat die Einspruchsabteilung darauf hingewiesen, daß die betreffenden Ansprüche sich ganz allgemein auf Kunststoffgemische bezögen, also die Aufarbeitung von Altreifen mitumfaßten. Außerdem enthielten die Ansprüche keine spezifischen Merkmale, die sich von denen der bekannten nicht-großtechnischen Hydrierverfahren in erfinderischer Weise unterschieden.
VI. Am 21. März 1997 hat eine mündliche Verhandlung vor der Kammer stattgefunden.
Im Ladungszusatz vom 12. Dezember 1996 zu dieser mündlichen Verhandlung hat die Kammer darauf hingewiesen, daß zunächst zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit die tatsächlich gelöste technische Aufgabe gegenüber dem nächsten Stand der Technik, d. h. unter Berücksichtigung des demgegenüber glaubhaft erreichten technischen Erfolgs, ermittelt werden solle. Dann sei zu untersuchen, ob der gegebene Stand der Technik dem vor der so ermittelten Aufgabe stehenden Fachmann Anregungen geboten habe, diese durch das beanspruchte Verfahren zu lösen.
VII. Die Beschwerdeführerin hat während dieser mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die von der Kammer letztlich akzeptierte Interpretation des Begriffs "Abfallkunststoffgemisch" (siehe Gründe Nr. 3), sowie die damit im Zusammenhang stehenden Einwände bezüglich der Erweiterung des Schutzbereich im Sinne des Artikels 123 (3) EPÜ und der Neuheit des beanspruchten Verfahrens, neue Ansprüche 1 bis 12 eingereicht. Der vorliegende Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zur hydrierenden Aufarbeitung von Kohlenstoff-enthaltenden Abfällen, wenigstens überwiegend synthetischen Ursprungs durch deren Umsetzung mit Wasserstoff oder Wasserstoff-enthaltenden Gasen, wobei das hydrierende Kracken von Gummi und Reifen nicht beansprucht ist,
dadurch gekennzeichnet, daß zur Rückgewinnung wertvoller und gleichzeitig schadstofffreier Produkte in hohen Ausbeuten aus Abfallkunststoffgemischen (Einsatzmaterial) die auch N, S, O und/oder Halogen in Form ihrer Verbindungen enthalten können, das Einsatzmaterial der Kombination folgender Arbeitsstufen unterworfen wird:
- hydrierende Spaltung des kohlenstoffhaltigen Einsatzmaterials bei erhöhten Temperaturen und Drucken in einem Hydrierreaktor unter Zuführung von molekularem Wasserstoff oder einem solchen Wasserstoff enthaltenden Gas in den Hydrierreaktor, ausgenommen das Arbeiten im ebullated bed,
- Überführung des Hydrierproduktes in seiner Gesamtheit in einen Heißabscheider, wie er aus dem Sumpfphaseverfahren bekannt ist und
- hier Trennung des Hydrierproduktes bei der Heißabscheider-Temperatur in gasförmige Bestandteile, die abgetrennt werden, und den Heißabscheidersumpf,
wobei die hydrierende Spaltung im Hydrierreaktor bei Temperaturen von 200 - 600° C, bevorzugt 200 - 540° C, Drucken von 30 - 500 bar, bevorzugt von 50 - 450 bar und Verweilzeiten von 1 Minute bis 8 Stunden, bevorzugt von 15. Minuten bis 6 Stunden - gewünschtenfalls unter Zusatz von Katalysatoren - durchgeführt wird,
im Einsatzmaterial gegebenenfalls vorliegende Heteroatome in Form ihrer Wasserstoffverbindungen über die Gasphase abgetrennt werden und
als Spaltprodukte Kohlenwasserstoffe der Bereiche C1-4, Benzin, Mittelöle und Schweröle gewonnen werden."
VIII. Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, Aufgabe der beanspruchten Erfindung sei die Bereitstellung eines Verfahrens zur Rückgewinnung wertvoller und gleichzeitig schadstofffreier Produkte in hohen Ausbeuten aus Abfallkunststoffgemischen als Einsatzmaterial, die auch N, S, O und/oder Halogen in Form ihrer Verbindungen enthalten können, gewesen. Die Lösung dieser Aufgabe nach dem vorliegenden Anspruch 1 sei insbesondere gekennzeichnet durch die Auswahl des Einsatzmaterials und die Durchführung der hydrierenden Spaltung in einem Sumpfphasenreaktor.
Sie hat vorgebracht, das nach der beanspruchten Erfindung verwendete Ausgangsmaterial bestehe aus verschmutzten und vermischten Haushalt- kunststoffabfällen, wie sie vom sogenannten "Dualen System" angeliefert würden. Dieses schwer verwertbare Einsatzmaterial, in aller Regel nicht bekannter Zusammensetzung, sei nicht identisch mit sogenannten sortenreinen synthetischen Abfallstoffen wie Gummi, Reifen, Textilabfällen, Lack- und Farbresten und weiteren in den genannten Dokumenten angegebenen Kohlenstoff enthaltenden Abfallstoffen. In diesem Zusammenhang hat sie in der mündlichen Verhandlung auf die Dokumente:
(a) Fakten zur Chemie-Diskussion, "Verwertung von Altkunststoffen", herausgegeben im Juli 1994 vom Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. und dem Verband der Chemischen Industrie,
(b) Chem.-Ing.-Tech., 64 (1992), Nr. 9, Seite 797, "Hydrierende Verwertung industrieller Reststoffe in der Kohleöl-Anlage Bottrop",
und auf die von ihr am 17. Juni 1994 eingereichte Anlage 3 zum Schreiben vom 4. Juni 1994, nämlich
(c) Müll und Abfall, 10 (1986), 377 - 382,
hingewiesen.
Die genannten Dokumente (a) und (b) zeigten auch, daß die erstmalige Verwertung von gemischten Altkunststoffen in der bereits bestehenden Hydrieranlage für Rohölrückstände der VEBA in Bottrop im Jahre 1992 als technischen Durchbruch betrachtet worden sei.
Die Dokumente (a) bis (c), sowie auch die von ihr am 17. Juni 1994 eingereichten Anlagen 2 und 4 bis 6 zum Schreiben vom 4. Juni 1994, nämlich
(d) Müll und Abfall, 5 (1982), 129 - 133,
(e) FAZ, 8. Juli 1987, Nr. 154, "Experiment mit der Sammlung von Plastikmüll gescheitert",
(f) Lübecker Nachrichten, 28./29. Mai 1987, "Plastikmüll soll gesammelt werden", und
(g) Broschüre Umweltbundesamt (1984), "Beitrag der Hausmüllpyrolyse zur Flächendeckenden Abfallentsorgung",
aus denen ersichtlich sei, daß die Beseitigung und Verwertung von Kunststoffabfällen - sowohl vor als nach dem Prioritätsdatum des vorliegenden Patents - als problematisch bzw. unmöglich galten, ließen erkennen, daß das beanspruchte Verfahren nach dem Haupt- bzw Hilfsantrag für den Müllentsorgungsfachmann nicht naheliegend gewesen sei.
Bezüglich der genannten Entgegenhaltungen hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, daß diese keinerlei Hinweise auf die Verwirklichung der im vorliegenden Patent beanspruchten Erfindung gäben. Vielmehr lehrten die Dokumente (1) und (8), daß die Verwendung molekularen Wasserstoffs für die hydrierende Spaltung nicht geeignet sei bzw. daß nicht gesagt werden könne, daß die Hydrozersetzungsmethode zur Beseitigung und zur Rückgewinnung der wertvollen Substanzen von Kunststoffabfällen aller Art brauchbar sei.
IX. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat geltend gemacht, das Verfahren gemäß den vorliegenden Patentansprüchen beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Dokumente (1) und (4) bis (10), sowie die zusätzlich genannten Dokumente
(11) JP-A-48-88 163 (englische Übersetzung), und
(12) DE-C-597 086.
Sie hat die Auffassung vertreten, daß das beanspruchte Verfahren sich in einer üblichen Hydrierung erschöpfe, bei der das zu hydrierende Material undefinierte Kunststoffgemische enthalte. Wenn man berücksichtige, daß die Sumpfphasehydrierung von allen möglichen Kohlenstoff oder Kohlenwasserstoff enthaltenden Materialien aus den Druckschriften
(14) Dr. Walter Krönig, "Die katalytische Druckhydrierung von Kohlen, Teeren und Mineralölen" (1950), Seiten 1 und 2, Seiten 31 bis 34, und Seiten 243 bis 245, und
(17) Ullmanns Enzyklopädie der technischen Chemie, 10. Band (1958), Seiten 508 bis 511,
sowie aus Dokument (1) bekannt sei und - wie aus Dokument (14), Seiten 1 und 2 hervorgehe - mit zunehmendem Wasserstoffgehalt der zu hydrierenden Materialien einfacher werde, sei von vornherein nicht zu erkennen, worin eine erfinderische Tätigkeit liegen solle. Wenn man zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit z. B. von Dokument (1) als nächstem Stand der Technik ausgehe, dann sei der Ersatz des atomaren Wasserstoffs durch molekularen Wasserstoff aufgrund der Lehre dieses Dokumentes selbst und in jedem Fall im Hinblick auf die übrigen genannten Dokumente für den Fachmann naheliegend gewesen.
X. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 12.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
XI. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der vorliegende Anspruch 1 stützt sich auf Anspruch 1, die Unteransprüche 5 bis 10 (Verwendung eines Katalysators), sowie die Beschreibung Seite 3, Zeilen 17 bis 23 und 26 bis 29 (Einsatzmaterial), Seite 4, Zeilen 8 bis 13 (Hydriergas), Seite 4, Zeilen 31 bis 51 (Einsatz des Heißabscheiders und Aufarbeitung des Hydrierproduktes), Seite 5, Zeilen 9 bis 19 (Überführung des Hydrierproduktes in seiner Gesamtheit in den Heißabscheider) und Seite 3, Zeilen 13 bis 17, sowie die Tabellen 1 bis 7 (Spaltprodukte) des erteilten Patents, bzw. die Patentansprüche 1 bis 3, die weiteren Ansprüche 8 bis 13 (Einsatz eines Katalysators), sowie die Beschreibung, Seite 4, Zeilen 8 bis 19 und 24 bis 30 (Einsatzmaterial), Seite 7, zweiter Absatz, Zeilen 1 bis 13. (Hydriergas), Seite 8, Absätze 2 und 3 (Einsatz des Heißabscheiders und Aufarbeitung des Hydrierproduktes), Seite 10, insbesondere der letzte Absatz (Überführung des Hydrierproduktes in seiner Gesamtheit in den Heißabscheider) und Seite 4, Zeilen 1 bis 8, sowie die Tabellen 1 bis 7 (Spaltprodukte) der ursprünglichen Anmeldung. Die beiden "disclaimer" bezüglich der Verwendung von Gummi und Reifen als Einsatzmaterial und das Arbeiten im "ebullated bed" sind im Hinblick auf die Neuheitsschädlichkeit der Dokumente (1), (5) und (10) eingeführt worden und somit formal zulässig.
Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 12 entsprechen den Ansprüchen 3 bis 12 und 14 des Patents und den Ansprüchen 14, 7, 9 bis 13, 8, 17, 16 bzw. 15 der ursprünglich eingereichten Anmeldung.
Außerdem ist der vorliegende Anspruch 1 gegenüber dem des Streitpatents durch die Verwendung des Heißabscheiders und die beiden "disclaimer" eingeschränkt worden.
Gegen die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüche bestehen daher keine Bedenken im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.
3. Die Beschwerdeführerin hat zunächst unter Hinweis auf die Beschreibung des vorliegenden Patents, in der Kunstoffgemische neben sortenreinen Kunststoffabfällen erwähnt werden (siehe z. B. Seite 3, Zeilen 12 bis 21) und auf die Dokumente (a) (siehe unter "Grenzen für Werkstoff-Recycling" und unter "Technischer Durchbruch"), (b) (siehe linke Spalte, vorletzter Absatz) und (c) (siehe Seite 381, linke Spalte, vorletzter Absatz) geltend gemacht, der Begriff "Abfallkunststoffgemische" habe im Bereich der Beseitigung und Verwertung von Abfallkunststoffen eine spezifische Bedeutung und stehe somit für verschmutzte und vermischte Haushalt-Kunststoffabfälle wie sie in den Haushalten anfielen und dort im Rahmen des "Dualen Systems" von dem übrigen Hausmüll getrennt gesammelt würden. Solche Abfallkunststoffgemische seien im Gegensatz zu sortenreinen Kunststoffabfällen für Werkstoff-Recycling bisher praktisch unbrauchbar.
Eine derart enge Bedeutung des Begriffs "Abfallkunststoffgemische" kann jedoch nicht aus der Beschreibung des vorliegenden Patents entnommen werden. Zudem gibt es keinerlei Nachweis, daß für die Fachwelt dieser Begriff am Anmeldetag des vorliegenden Patents eindeutig die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Bedeutung hatte, da die genannten Druckschriften (a), (b) und (c) erst nach dem Anmeldetag veröffentlicht wurden. Für die Kammer ist der Begriff "Abfallkunststoffgemische" im vorliegenden Anspruch 1 bei der Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit daher in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Lichte der technischen Lehre des Streitpatents zu interpretieren, nach der als geeignetes Einsatzmaterial zweifelsohne beliebige Kohlenstoff enthaltende Abfälle synthetischen bzw. überwiegend synthetischen Ursprungs, also Gemische von Abfallkunststoffen aller Art, in Betracht kommen (siehe z. B. Seite 2, erster Absatz, Seite 3, Zeilen 13 bis 40, und die Tabelle 1). Dieser Begriff umfaßt daher vermischte Haushalt-Kunststoffabfälle, ist aber nicht darauf eingeschränkt.
In diesem Zusammenhang, weist die Kammer darauf hin, daß der "disclaimer" im vorliegenden Anspruch 1 bezüglich des hydrierenden Krackens von Gummi und Reifen - wie die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt hat - nicht den Einsatz von Gummi oder Reifen enthaltenden Abfallkunststoffgemischen ausschließt, sondern nur den Einsatz von sortenreinen Gummi- oder Reifenabfällen. Außerdem wäre - wie aus den weiter unten stehenden Ausführungen hervorgeht - eine Auslegung des Begriffs "Abfallkunststoffgemische" im Sinne der Beschwerdeführerin für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit unerheblich, da der damit gemeinte Begriff "vermischte Haushalt-Kunststoffabfälle" ebenfalls Abfallkunststoffe aller Art umfaßt und eine hydrierende Aufarbeitung solcher Abfälle an sich schon zum Stand der Technik gehörte.
4. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 gegenüber den entgegengehaltenen Druckschriften neu ist. Da die Neuheit dieses Gegenstandes in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
5. Es verbleibt daher zu prüfen, ob der nun vorliegende Patentgegenstand auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
5.1. Im Hinblick auf das von der Beschwerdeführerin betonte Ziel der beanspruchten Erfindung, nämlich die Bereitstellung eines Verfahrens zur Rückgewinnung wertvoller und gleichzeitig schadstofffreier Produkte aus Haushalt-Abfallkunststoffgemischen als Einsatzmaterial, die auch N, S, O und/oder Halogen in Form ihrer Verbindungen enthalten können, betrachtet die Kammer Dokument (9) als den nächstkommenden Stand der Technik.
Dieses Dokument beschreibt die Abtrennung fester organischer Abfälle, die für städtischen Abfall typisch sind und üblicherweise u. a. Gummi und Altkunststoffe, wie Polyäthylen, Polypropylen, Polystyrol und Polyvinylchlorid enthalten, und deren Umwandlung in wertvolle gasförmige und flüssige Kohlenwasserstoffprodukte durch Pyrolyse oder Hydrierung, wobei im Falle der Hydrierung unter Druck in Gegenwart entweder von Wasserstoff oder von Kohlenmonoxyd und Wasser erhitzt wird (siehe Seite 3, letzter Absatz, bis Seite 4, erster Absatz; Seite 5, erster Absatz und die Tabelle; Seite 6, vorletzter Zeile, bis Seite 7, vorletzter Absatz; Seite 10, zweiter Absatz; und die Ansprüche 1, 4, 5, 9, 10 und 11).
5.2. Die Beschwerdeführerin hat gegenüber diesem Stand der Technik geltend gemacht, daß das Verfahren nach der beanspruchten Erfindung die Gewinnung von wiederverwertbaren Kohlenwasserstoffverbindungen in hohen Ausbeuten ohne gleichzeitige Bildung von Schadstoffen ermögliche. Zudem habe das beanspruchte Verfahren gegenüber dem Pyrolyseverfahren den Vorteil, daß statt großen Mengen an Gasen wertvolle flüssige Produkte erzeugt würden.
5.3. Die Kammer sieht daher die nach dem Streitpatent bestehende Aufgabe gegenüber diesem nächstkommenden Stand der Technik darin, ein Verfahren zur Verwertung von Abfallkunststoffgemischen, die auch N, S, O und/oder Halogen enthalten können, wobei in hohen Ausbeuten schadstofffreie Kohlenwasserstoffe der Bereiche C1-4, Benzin, Mittelöle und Schweröle, insbesondere die flüssigen Produkte, umweltschonend erhalten werden (siehe auch Seite 2, Zeilen 4 bis 15 und 45 bis 56; Seite 3, Zeilen 41 bis 47; und Seite 11, Zeilen 3 bis 10, des Streitpatents).
5.4. Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 vorgeschlagen, die hydrierende Spaltung des kohlenstoffhaltigen Einsatzmaterials bei Temperaturen von 200 - 600 C, bevorzugt 200 - 540 C, Drucken von 30 - 500 bar, bevorzugt von 50 - 450 bar und Verweilzeiten von 1 Minute bis 8 Stunden, bevorzugt von 15 Minuten bis 6. Stunden - gewünschtenfalls unter Zusatz von Katalysatoren - in einem Hydrierreaktor (ausgenommen das Arbeiten im "ebullated bed") unter Zuführung von molekularem Wasserstoff oder einem solchen Wasserstoff enthaltenden Gas durchzuführen, das Hydrierprodukt in seiner Gesamtheit in einen Heißabscheider, wie er aus dem Sumpfphaseverfahren bekannt ist, zu überführen, darin das Hydrierprodukt bei der Heißabscheidertemperatur in gasförmige Bestandteile, die abgetrennt werden, und den Heißabscheidersumpf zu trennen und aus den gasförmigen Bestandteilen die erwünschten Kohlenwasserstoffe zu gewinnen, wobei die gegebenenfalls im Einsatzmaterial vorliegenden Heteroatome in Form ihrer Wasserstoffprodukte abgetrennt werden.
5.5. Ausweislich der Angaben in den Beispielen des vorliegenden Patents, nach denen die Versuche allerdings nicht in großtechnischen Anlagen sondern in Autoklaven durchgeführt wurden, sowie der Angabe in Dokument (a), daß die erfindungsgemäße Hydrieranlage in Bottrop einen vom TÜV bestätigten Wirkungsgrad von 90 % aufweist (siehe Dokument (a), dritte Seite, unter "Hohe Ausbeute", und Dokument (b), linke Spalte, vorletzter Absatz, aus dem hervorgeht, daß in der Bottrop-Anlage eine Sumpfphasenhydrierung durchgeführt wird), wird die oben definierte Aufgabe nach Auffassung der Kammer durch das beanspruchte Verfahren glaubhaft gelöst. Die Beschwerdegegnerin hat auch nicht bestritten, daß die betreffende Aufgabe als gelöst zu betrachten ist.
5.6. Es ist nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die bestehende Aufgabe durch das Verfahren gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 des Streitpatents zu lösen.
5.7. Wie oben ausgeführt, beschreibt Dokument (9) zwar die Umwandlung von Abfallkunststoffgemischen, die für städtischen Abfall typisch sind und selbstverständlich Kunststoffe beliebiger Art, wie Gummisorten synthetischen Ursprungs, Polyäthylen, Polypropylen, Polystyrol und Polyvinylchlorid, enthalten, in wertvolle gasförmige und flüssige Kohlenwasserstoffprodukte, durch Pyrolyse oder Hydrierung, wobei im Falle der Hydrierung unter Druck in Gegenwart entweder von Wasserstoff oder von Kohlenmonoxyd und Wasser erhitzt wird, aber es enthält keinerlei Hinweise auf die im Anspruch 1 angegeben Hydrierbedingungen (Temperatur, Druck und Verweilzeiten) und den Einsatz eines Heißabscheiders, wie er aus dem Sumpfphaseverfahren bekannt ist. Die in Dokument (9) enthaltene Lehre allein bietet dem Fachmann daher keine Anregung zur Lösung der oben definierten Aufgabe.
5.8. Indes beschreibt Dokument (1) - als eine Weiterentwicklung eines in Dokument (5) beschriebenen Verfahrens - ein Verfahren zur hydrierenden Spaltung von Gummiabfällen oder von Gummiabfällen im Gemisch mit anderen festen Kohlenwasserstoffen oder Kohlenwasserstoffträgern, wie Kohle oder Kunststoffen, bei erhöhtem Druck und erhöhter Temperatur zum Zwecke der Ölgewinnung, wobei unter Verwendung von Kohlenmonoxid und Wasserdampf, anstatt molekularem Wasserstoff wie im Dokument (5), als Hydriermittel die flüssigen Kohlenwasserstoffprodukte in Ausbeuten von bis zu 80 % erhalten werden (vgl. Seite 1 erster Absatz; Seite 1, zweiter Absatz, bis Seite 2, Zeile 3; Seite 2, letzter Absatz; Seite 3, letzter Absatz, Zeilen 1 bis 4; und die Tabelle auf Seite 6). Durch den angegebenen Einsatz von Gemischen von Gummiabfällen mit anderen zu spaltenden festen Kohlenwasserstoffen sei es möglich, eine gegebene Anlage auch bei zeitweilig oder ständig geringem Altgummianfall optimal und ökonomisch zu betreiben (vgl. Seite 3, letzter Absatz, Zeilen 4 bis 7). Das Mengenverhältnis Altgummi zu den anderen zu spaltenden festen Kohlenwasserstoffen kann dabei beliebig gewählt werden (vgl. Seite 3, die letzten drei Zeilen).
5.8.1. Aus den Angaben bezüglich des Einsatzmaterials in Dokument (1) wird der Fachmann nach Auffassung der Kammer eindeutig entnehmen, daß im Verfahren gemäß Dokument (1), wie in den Verfahren der Dokumente (9) und (5), Gemische von Altkunststoffen beliebiger Art als Einsatzmaterial zu einer spaltenden Hydrierung zum Zweck der Ölgewinnung verwendbar sind. In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, daß gemäß Dokument (5), auf dem die im Dokument (1) offenbarte Lehre fortbaut, der Begriff "Gummi" für beliebige synthetische Gummiarten, wie Neoprengummi, Nitrilgummi, Styrolgummi, Butylgummi, Polybutadiengummi, Acrylatgummi und Polyurethangummi steht (vgl. Dokument (5), Spalte 2, Zeilen 38 bis 44),
5.8.2. Nach den Angaben im Dokument (1) läuft die Hydrospaltung unter Verwendung von Kohlenmonoxid und Wasserdampf als Hydriermittel bei erhöhtem Druck im Bereich bis 400 bar, bevorzugt 50 bis 200 bar, und bei einer Temperatur von 300 bis 500° C, bevorzugt 375 bis 400° C (vgl. Seite 2, vorletzte Zeile, bis Seite 3, Zeile 4). Die Reaktionszeiten sind abhängig von z. B. Reaktorart, Strömungsführung, Druck und Temperatur (vgl. Seite 3, zweiter Absatz, Zeilen 2 bis 5). Nach den Beispielen werden Aufheizzeiten von 66 bis 125 Min. verwendet (vgl. die Tabelle auf Seite 6).
5.8.3. Außerdem werden im Dokument (5) entsprechende Spaltungsbedingungen angegeben, wobei beliebige synthetische Gummisarten mit molekularem Wasserstoff als Hydriermittel in hohen Ausbeuten bis zu 84 % zu flüssigen Ölprodukten umgesetzt werden können (vgl. Spalte 2, Zeilen 31 bis 44; Spalte 3, Zeilen 1 bis 31; Spalte 4, letzter Absatz; und die Beispiele).
5.8.4. Dokument (1), offenbart ebenfalls, daß das Spaltungsverfahren in bestehenden Hydrospalt- oder Hydrieranlagen, soweit sie für eine Sumpfphasefahrweise ausgerüstet sind und somit einen Heißabscheider enthalten, durchgeführt werden kann (vgl. Seite 4, Zeilen 6 bis 9 der zweiten Absatz).
5.8.5. Zwar hat die Beschwerdeführerin bezüglich der Dokumente (1) und (5) vorgebracht, daß Dokument (1) durch die Wahl eines CO/H2O-Gemisches als Hydriermittel von der nun beanspruchten Erfindung wegführe, aber die Kammer kann dieser Auffassung nicht folgen, da - wie oben ausgeführt - aus dem nächstkommenden Stand der Technik, sowie aus den in den Dokumenten (1) und (5) angegebenen Ausbeuten von bis zu 80 % bzw. 84 %, eindeutig hervorgeht, daß die beiden Hydriermittel für das beanspruchte Verfahren des Streitpatents gleichwertig sind. Zudem hätte der Fachmann, nach Auffassung der Kammer, aus der im Dokument (1) offenbarten Lehre unmittelbar verstanden, daß die Trennung des Hydrierproduktes unter Einsatz eines Heißabscheiders keinerlei Einfluß auf das eigentliche Spaltungsverfahren hat.
5.9. Nach Auffassung der Kammer bot Dokument (1), insbesondere in Kombination mit Dokument (5), daher dem Fachmann die Anregung, die oben definierte Aufgabe durch den Einsatz der im vorliegenden Anspruch angegebenen Spaltungsbedingungen und die Trennung des Hydrierproduktes in einem Heißabscheider, wie er aus dem Sumpfphaseverfahren bekannt ist, zu lösen.
5.10. Die Beschwerdeführerin hat die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens unter Hinweis auf die von ihr eingereichten Druckschriften (a) bis (g) auch damit verteidigt, daß für die Fachwelt die Probleme bezüglich der Beseitigung und Verwertung von Kunststoffabfällen am Prioritätsdatum als nicht gelöst gegolten hätten, und daß erst die erstmalige Verwertung von gemischten Altkunststoffen in der Hydrieranlage in Bottrop im Jahre 1992, d. h. etwa 8 Jahre nach der Prioritätsdatum, als technischer Durchbruch betrachtet worden sei. Die Kammer kann der Beschwerdeführerin darin beipflichten, daß aus diesen genannten Druckschriften tatsächlich hervorgeht, daß die Fachwelt am Prioritätsdatum des vorliegenden Patents der Meinung war, daß eine wirtschaftliche Lösung der bestehenden Probleme bezüglich der Beseitigung und Verwertung von Kunststoffabfällen noch nicht gefunden sei. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, daß die späte erstmalige großtechnische Verwertung der Kunststoffe in der Bottrop-Anlage im wesentlichen auf das schon im Dokument (9) (siehe Seite 3, zweiter Absatz) angesprochene Problem zurückzuführen ist. Danach fehlt es an einer allgemein gültigen Verpflichtung der Gemeinden und Haushalten die Kunststoffabfälle schon in den Haushalten zu sortieren und einzusammeln; ebensowenig gab es Anlagen mit entsprechender Kapazität zur Verwertung der eingesammelten Kunststoffabfälle. Daher war die Verzögerung in der technischen Entwicklung auf die bestehenden Rahmenbedingungen und nicht auf mangelndes technisches Wissen zurückzuführen.
Diese Auffassung wird insbesondere von folgendem Dokument bestätigt: Aus Dokument (a) geht hervor, daß erst seit 1991 eine Verpackungsverordnung gilt, in der die Verwertung der Verpackungsabfälle vorgeschrieben ist. Zu diesem Zweck haben Industrie, Handel und private Entsorgung das private Entsorgungssystem "Duales System Deutschland GmbH" aufgebaut (siehe Seite 1, unter "Vorgaben der Verpackungsverordnung"). In den Dokumenten (c), (d), (e) und (f) wird angegeben, daß die Wiederverwertung der eingesammelten Kunststoffabfälle wegen des Fehlens von entsprechenden Anlagen problematisch ist und eine Zwischenlagerung eine vorläufige Lösung des Problems sein kann (siehe Dokument (c), Seite 381, rechte Spalte, vorletzter Absatz; Dokument (d), letzte Seite unter "Fazit"; Dokument (e), rechte Spalte, vorletzter Absatz; und Dokument (f)).
In jedem Fall werden die obenstehenden Ausführungen und Schlußfolgerungen der Kammer bezüglich der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens von keinem dieser Dokumente (a) bis (g) in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, daß sich lediglich die nachveröffentlichten Dokumenten (a) und (b) auf das vorliegende Hydrierverfahren beziehen, und zwar auf die Durchführung des Verfahrens in der Bottrop-Anlage. Zudem wird in Dokument (b) darauf hingewiesen, daß schon ab 1981 die betreffende Anlage zur Verwertung von organisch-chemischen Problemabfällen, wie PCB, gebrauchten chlorierten Lösungsmitteln und Lackschlämmen verwendet wurde, und daß dabei höhermolekulare Verbindungen umweltfreundlich in hohen Ausbeuten von über 80 % zu wertvollen flüssigen Ölprodukten umgewandelt werden, so daß dieses Dokument die Ausführungen und Schlußfolgerungen der Kammer bezüglich der erfinderischen Tätigkeit voll bestätigt.
6. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Mit dem unabhängigen Anspruch fallen auch die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.