T 0261/93 (Geburtseinleitung und Schwangerschaftsabbruch/SCHERING) 02-07-1996
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Prostaglandine und Antigestagene zur Geburtseinleitung oder für den Schwangerschaftsabbruch
Erfinderische Tätigkeit - Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung
Inventive step - remittal to first instance
Remittal to first instance
I. Auf die europäische Patentanmeldung 84 730 108.2 wurde das europäische Patent Nr. 0 139 608 auf der Grundlage von elf Ansprüchen für die Vertragsstaaten BE, CH, DE, FR, GB, IT, LI, LU, NL und SE sowie auf der Grundlage von neun Ansprüchen für den Vertragsstaat AT erteilt.
II. Gegen die Patenterteilung wurde von der Einsprechenden (Beschwerdegegnerin) Einspruch unter Bezug auf Artikel 100 a) EPÜ eingelegt. Von den während des Einspruchsverfahrens herangezogenen Entgegenhaltungen sind lediglich folgende für das weitere Verfahren von Bedeutung geblieben:
(1) I.F. Lau et al. in "Prostaglandins and Medicine" 4: 121 - 132, 1980,
(4) EP-A-57 115,
(5) "Gutachterliche Stellungnahme" von Prof. Dr. med. Dr. rer. nat Henning Beier, eingereicht mit Schreiben vom 17. Oktober 1991, eingegangen am 18. Oktober 1991.
III. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 3. Dezember 1992, zur Post gegangen am 14. Januar 1993, mit der das Patent gemäß Artikel 102 (1) EPÜ widerrufen wurde.
Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Anspruch 1 für die benannten Vertragsstaaten außer AT lautete:
"1. Kombinationserzeugnis zur gemeinsamen Verwendung zur Geburtseinleitung oder für den Schwangerschaftsabbruch, enthaltend ein Prostaglandin (PG) und einen kompetitiven Progesteronantagonisten."
Die Einspruchsabteilung begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Änderung "Antigestagen" in "kompetitiver Progesteronantagonist" im geltenden Anspruch 1 nicht gegen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ verstoße. Die beanspruchte Merkmalskombination "Prostaglandin und kompetitiver Progesteronantagonist" sei auch neu. Entgegen der Behauptung der Einsprechenden könne das in der Entgegenhaltung (1) beschriebene Steroid RMI 12936 nicht als kompetitiver Progesteronantagonist angesehen werden. Derartige Wirkstoffe seien erst durch Entgegenhaltung (4) bekannt geworden.
Der beanspruchte Gegenstand beruhe jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das unterscheidende Merkmal kompetitiver Progesteronantagonist bewirke, daß das Kombinationserzeugnis nicht nur für den Schwangerschaftsabbruch geeignet sei, sondern auch für die Geburtseinleitung, da keine fetotoxische Wirkung vorliege. Es liege aber keine Einschränkung auf die Geburtseinleitung vor, sondern der Schwangerschaftsabbruch sei mitumfaßt, so daß gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik nach Entgegenhaltung (1), der bereits zu entnehmen sei, das Antigestagen RMI 12936 mit einem Prostaglandin bei fetotoxischer Wirkung zu kombinieren, lediglich die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden könne, weitere Stoffe mit gleicher Wirkung bereitzustellen. Da, wie in der Entgegenhaltung (5), der gutachtlichen Stellungnahme von Prof. Beier ausgeführt, Antigestagene, die als kompetitive Progesteronantagonisten wirkten, als solche bereits bekannt waren, sei es dann jedenfalls naheliegend gewesen, Versuche durchzuführen, ob auch diese Substanzen in Kombinationspräparaten zum Schwangerschaftsabbruch geeignet seien. Der von der Patentinhaberin geltendgemachte synergistische Effekt des beanspruchten Kombinationspräparates sowie der aufgezeigte unerwartete Vorteil bzw. überraschende Effekt, daß bei gemeinsamer Anwendung mit einem Prostaglandin die bekannten Nachteile des kompetitiven Progesteronantagonisten RU-38.486 bzw. abgekürzt RU-486 überwunden werden könnten, beseitige nicht den Umstand des Naheliegens der vorgeschlagenen Lösung.
IV. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben und mit Schreiben vom 11. April 1994 neue Anspruchssätze und Vergleichsversuche vorgelegt.
Anspruch 1 des neuen Anspruchssatzes für die Vertragsstaaten außer AT unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß der Entscheidung der Einspruchsabteilung durch die Einschränkung auf ein "Kombinationserzeugnis ... enthaltend ein Prostaglandin der E-Reihe...".
Am 2. Juli 1996 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Der Vortrag der Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren und während der mündlichen Verhandlung kann wie folgt zusammengefaßt werden:
Dem Streitpatent liege die Aufgabe zugrunde, ein Mittel zu finden, welches sowohl für die Geburtseinleitung, als auch für einen Schwangerschaftsabbruch, also für beide Zwecke geeignet sei, so daß nicht nachvollziehbar sei, wieso die Einspruchsabteilung anerkennen könne, daß das Mittel für die Geburtseinleitung erfinderisch sei, aber die weitere Verwendung ein Naheliegen bewirke.
Wie der bereits im Einspruchsverfahren herangezogenen gutachterlichen Stellungnahme entsprechend Entgegenhaltung (5) zu entnehmen, offenbare Entgegenhaltung (1) mit dem Erzeugnis RMI 12936 im anerkannt wissenschaftlichen Sinne keinen kompetitiven Progesteronantagonisten. Gegenteilige Aussagen in wissenschaftlichen Veröffentlichungen vor Bekanntsein von Entgegenhaltung (4), welche mit RU-486 erstmalig einen sogenannten echten kompetitiven Progesteronantagonisten beschreibe, seien lediglich als Wunschdenken der Fachwelt zu interpretieren. Darüber hinaus werde gemäß der Entgegenhaltung (1) ausschließlich PGF2 verwendet, das auf den Gelbkörper über eine Hemmung der Lutealfunktion wirke, wohingegen im Streitpatent bevorzugt die Prostaglandine der E-Reihe eingesetzt würden, deren Effekt auf die Muskulatur bei direkter und momentaner Wehenauslösung ausgerichtet sei. Die Einschränkung auf die Prostaglandine der E-Reihe im geltenden Anspruch 1, sei aber nur vorgenommen worden, um eine weitere Neuheitsdiskussion zweifelsfrei auszuschließen, da bereits die Kombination eines kompetitiven Progesteronantagonisten mit Prostaglandinen neu sei und auch nicht nahegelegt. Die gesamte Lehre des Standes der Technik, die den speziellen kompetitiven Progesteronantagonisten RU-486 betreffe, wie zum Beispiel in Entgegenhaltung
(8) E. Baulieu, W. Herrman, Med. et Hyg., 2087 - 2093, 1982
aufgezeigt, sei auf dessen alleinigen Einsatz gerichtet. Auch würden in dieser Entgegenhaltung Vorteile der Anwendung von RU-486 gegenüber dem bekannten Einsatz von Prostaglandinen aufgezeigt. Im Lichte der durch die Verfügbarkeit der Substanz RU-486 in der Fachwelt entstandenen Situation könne zweifelsohne auch von der Entgegenhaltung (8) als nächstkommenden Stand der Technik ausgegangen werden, wobei sich demgegenüber aber gleichfalls die Aufgabe stelle, ein Kombinationserzeugnis bereitzustellen, welches sowohl für den Schwangerschaftsabbruch als auch für die Geburtseinleitung geeignet sei.
V. Auf Befragung durch die Kammer bestätigte der für die Beschwerdeführerin anwesende Experte und Verfasser der Entgegenhaltung (5), Prof. Beier, daß vor der Verfügbarkeit des ersten echten kompetitiven Progesteronantagonisten, der unter der Kurzbezeichnung RU-486 in der Fachwelt Eingang gefunden habe, die ein halbes Jahrhundert lang gehegte Erwartung darin bestanden habe, daß die menschliche Gravidität essentiell nur progesteronabhängig sei und daß unter dieser Vorstellung die weitere Erwartung entstanden sei, daß ein echter kompetitiver Progesteronantagonist in der Lage sein müsse, die menschliche Schwangerschaft jederzeit zu beenden. Ferner wurde bestätigt, daß RU-486 als nicht fetotoxische Substanz bekanntgeworden sei.
Der Experte verwies in diesem Zusammenhang jedoch nochmals ausdrücklich auf den Sachverhalt, daß vor dem Prioritätstag des Streitpatentes weder ein Kombinationspräparat von RU-486 mit einem Prostaglandin bekannt gewesen sei, noch der Fachmann an etwas anderes als eine alleinige Anwendung dieser Substanz gedacht habe. Prostaglandine seien von ihrer Wirkung her lediglich allgemein als Austreibungsmittel bekannt gewesen und in der Praxis in hohen Dosen unter ziemlich drastischen Bedingungen allein zur Anwendung gelangt.
VI. Erst gegen Ende der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin besonders hervorgehoben, daß die Anwendung von Prostaglandinen der E-Reihe als wesentlicher Unterschied zum Stand der Technik berücksichtigt werden müsse und in jedem Fall nicht nahegelegte Vorteile gegenüber PGF2 die erfinderische Tätigkeit stützten. Der anwesende Experte hat hierzu ergänzend geäußert, daß die gemäß Streitpatent eingesetzten Prostaglandine der E-Reihe klinisch eine wesentliche Verbesserung gegenüber den im Stand der Technik genannten Prostaglandinen PGF2 darstellten und u. a. eine besondere Wirkung auf das Zervixgewebe hätten.
VII. Die Beschwerdegegnerin hat im wesentlichen erwidert, daß entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sehr wohl davon ausgegangen werden müsse, daß RMI 12936 einen kompetitiven Progesteronantagonisten auf Rezeptorebene darstelle. Eigene Vergleichsversuche, deren Signifikanz ausdrücklich nachgewiesen sei, zeigten, daß RMI 12936 mit 4. % Affinität zumindest ein schwach kompetitiver Antagonist sei. In diesem Sinne seien gegenüber dem Streitpatent nur graduelle Unterschiede zu verzeichnen.
Entgegenhaltung (1) offenbare folglich einen kompetitiven Progesteronantagonisten, und zwar in Kombination mit einem Prostaglandin.
Unabhängig vom tatsächlichen Mechanismus könne der aus Entgegenhaltung (1) hervorgehende synergistische Effekt von RMI 12936 und einem Prostaglandin nicht wegdiskutiert werden.
Ausschlaggebend für Anregungen zu weiteren Arbeiten sei immer, ob etwas in-vivo funktioniere oder nicht. In diesem Sinne werde RMI 12936 gemäß Entgegenhaltung (1) vom Fachmann phänomenologisch als funktionierender kompetitiver Progesteronantagonist angesehen, und zwar unabhängig von den gemessenen relativen Affinitäten in bezug auf RU-486. Mit Bezug auf den Vortrag, was die Fachwelt von RU-486 erwartet hatte, bestünden keine Bedenken, Entgegenhaltung (8) als nächstkommenden Stand der Technik anzusehen.
Gemäß der Beschreibung zum Streitpatent seien alle für den Schwangerschaftsabbruch geeigneten Prostaglandine erfindungsgemäß einsetzbar und selbst in der bevorzugten Ausführungsform seien die Prostaglandine der E- und F- Reihe gleichwertig nebeneinander genannt. Es sei überraschend, daß nunmehr die Erfindung in der Anwendung eines bestimmten Prostaglandins liegen solle. Der Umstand, daß gemäß allen Ausführungsbeispielen Sulproston, also ein Prostaglandin der E-Reihe, verwendet worden sei, habe jedenfalls keinerlei zusätzliche Aussagekraft. Aus diesen Gründen sei auch eine Umdefinition des dem Streitpatent zugrundeliegenden technischen Problems nicht möglich.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der mit Schreiben vom 11. April 1994 eingereichten Ansprüche, datiert 10. April 1994.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Änderungen in den geltenden Ansprüchen, betreffend Einschränkungen auf ein Prostaglandin der E-Reihe und einen kompetitiven Progesteronantagonisten, stützen sich auf Seite 3, letzter Absatz übergreifend Seite 4, erster Absatz sowie Seite 5, vierter Absatz einschließlich bis Seitenende, der ursprünglich eingereichten Unterlagen, entsprechend Spalte 1, Zeile 62 bis Spalte 2, Zeile 28 sowie Spalte 2, Zeile 64 bis Spalte 3, Zeile 20 der Patentschrift. Die Ansprüche 1 bis 11 für die Vertragsstaaten außer AT entsprechen im übrigen den erteilten sowie den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 11. Die Ansprüche 1 bis 9 für den Vertragsstaat AT leiten sich ebenfalls aus den voranstehend genannten Offenbarungsstellen her. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Anspruchsfassungen im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.
3. Da die Neuheit des Anspruchsbegehrens in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer zuletzt nicht mehr in Frage gestellt wurde und die Kammer auch keinen Grund sieht, diese anzuzweifeln, erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.
3.1. Bei zweifelsfrei vorliegender Neuheit des Kombinationserzeugnisses als solchem, stellt sich aber auch nicht mehr die Frage, ob ein zweckorientierter unabhängiger Stoffanspruch im Rahmen der Artikel 52 (4) und 54 (5) EPÜ zulässig ist.
4. Obwohl die von der Einspruchsabteilung als nächstkommender Stand der Technik angesehene Entgegenhaltung (1) auf ein Kombinationserzeugnis enthaltend ein Prostaglandin und ein als "Antiprogestational" bezeichnetes Steroid, also ein Steroid, welches als Progesteronantagonist in der Wirkung aufgefaßt werden kann, gerichtet ist, sieht die Kammer die in der Patentschrift und auch in den ursprünglich eingereichten Unterlagen bereits gewürdigte Entgegenhaltung (8) als einen geeigneteren Startpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit an. Und zwar beschreibt dieser Stand der Technik Eigenschaften und Anwendungen des Steroids RU-486, welches gemäß den Ausführungsbeispielen des Streitpatents als bevorzugter kompetitiver Progesteronantagonist eingesetzt wird. Auch die Beschwerdegegnerin hat dementsprechend geäußert, daß mit Bezug auf den Vortrag, was die Fachwelt von RU-486 erwartet hatte, keine Bedenken bestehen, Entgegenhaltung (8) als nächstkommenden Stand der Technik anzusehen.
4.1. Die Wahl von Entgegenhaltung (8) als nächstkommenden Stand der Technik ist auch im Einklang mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin, deren Argumentation dahingeht, daß das in der Entgegenhaltung (1) beschriebene Steroid RMI 12936 kein kompetitiver Progesteronantagonist sei. Die Beschwerdeführerin hat auch hierzu bereits im Verlaufe des Einspruchsverfahrens die "Gutachterliche Stellungnahme" (5) vorgelegt und geltendgemacht, daß RU-486 der erste bekanntgewordene kompetitive Progesteronantagonist im Sinne des Streitpatentes gewesen sei und die Fachwelt auf ein Erzeugnis wie RU-486 lange gewartet habe (vgl. Punkt V. voranstehend).
4.2. Entgegenhaltung (8) charakterisiert RU-486 unter Bezugnahme auf einen Vortrag vor der Akademie der Wissenschaften in Paris als ein sogenanntes "19-nor" Steroid" mit großer Affinität zum Progesteronrezeptor, ohne progestomimetische Aktivität, aber stark antagonistisch zu Progesteron ausgelösten Wirkungen wie einer Unterbrechung der Lutealphase. Gemäß Tierstudien im Laboratorium läßt sich ein Schwangerschaftsabbruch zu jedem Zeitpunkt der Trächtigkeit von Ratten erzielen. Mit Ausnahme von antiglucocorticosteroidischen Effekten bei sehr hohen Dosen von 100 mg/kg/Tag und mehr zeigen sich keine toxischen Effekte nach 30tägiger Verabreichung an Ratten der Spezies "Sprague-Dawley" und an Affen der Gattung "Macaque Fascicularis". Vorabstudien bei Frauen sollen ebenfalls eine bemerkenswerte Affinität von RU-486 am Progesteronrezeptor des Uterus belegen (vgl. Seite 2087, linke Spalte, einleitender Absatz "Il s'agit.." sowie Absatz tituliert "Le RU-486").
Entgegenhaltung (8) enthält weiterhin Studien zu hormonellen Reaktionen gegenüber RU-486 auf den menstruellen Zyklus sowie Ergebnisse von Hormonantworten nach einem durch RU-486 hervorgerufenen Schwangerschaftsabbruch, die im Ergebnis dahin bewertet werden, daß RU-486 eine größere Affinität zum Progesteronrezeptor zeigt als Progesteron selbst und als Beleg dafür gelten sollen, daß Progesteron eine singuläre, wenn nicht sogar obligatorische Rolle für die Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft bei der Frau spielt (vgl. insbes. die Figuren 1 bis 3 auf den Seiten 2087/2088 und Erläuterungen auf Seite 2088, rechte Spalte, unter Absatz "Discussion"). Auf Seite 2089 wird am Ende des Kapitels zur Verwendung von RU-486 im Zusammenhang mit anderen kontrazeptiven Methoden hervorgehoben, daß nach bereits eingetretener Schwangerschaft die Anwendung eines solchen Antiprogesterons nicht nur wirksamer sondern physiologisch gesehen begründeter ist als die massive Verabreichung von Dosen an Östrogenen oder Prostaglandinen und wesentlich weniger traumatisch als mechanische Methoden. Zusammenfassend wird dann auf eine favorisierte Anwendung von RU-486 verwiesen, die sich auf die besondere Funktion eines Progesteronantagonisten stützt, der nur auf eine sehr begrenzte Anzahl von Organen einwirkt (vgl. Seite 2089, rechte Spalte, die beiden letzten Absätze des Kapitels "Utilisation du RU- 486").
Entgegenhaltung (8) nimmt gleichzeitig Bezug auf eine Pressekonferenz, die als Vervollständigung des Vortrages vor der Akademie der Wissenschaften gelten soll (vgl. Seite 2089, Titel "Au cours d'une conférence de presse..."), und verweist auf Seite 2092, rechte Spalte unter dem Abschnitt zu weiteren möglichen Verwendungen von RU-486 (vgl. "3. Autres utilisations possibles du RU- 486"), daß an Studien im Zusammenhang mit der Rolle des Progesterons bei der Geburtseinleitung gedacht werden könnte ("on peut penser:... 6 à l'étude du rôle de la progestérone dans le déclenchement de l'accouchement;...").
4.3. Gegenüber diesem Stand der Technik kann die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, ein Erzeugnis bereitzustellen, das nicht nur für den Schwangerschaftsabbruch sondern auch für die Geburtseinleitung geeignet ist.
Diese Aufgabe soll gemäß Anspruch 1 für alle Vertragsstaaten außer AT durch ein Kombinationserzeugnis, enthaltend ein Prostaglandin der E-Reihe und einen kompetitiven Progesteronantagonisten, gelöst werden.
Im Hinblick auf die Ausführungsbeispiele zum Streitpatent, die eine vergleichende Betrachtung der abortiven Wirkung von Sulproston als Prostaglandin der E- Reihe, RU-486 als kompetitiver Progesteronantagonist und der Kombination beider Substanzen enthalten, ist die Kammer überzeugt, daß die bestehende Aufgabe auch tatsächlich gelöst wurde.
Hierbei ist davon auszugehen, daß der Fachmann die aufgeführten Ergebnisse der Versuche zur Abortinduktion in der Wirkung auch als repräsentativ für die Geburtseinleitung ansieht. Die Beschwerdegegnerin hat dies weder bestritten, noch Untersuchungen vorgelegt, die die vergleichenden Betrachtungen gemäß Streitpatent hätten in Frage stellen können.
5. Es verbleibt somit zu untersuchen, ob die beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
5.1. Entgegenhaltung (4), insbesondere die Seiten 1 und 2 sowie Seite 7, Zeile 12 bis Seite 8, Zeile 19, veröffentlicht am 4. August 1982, beschreibt konkret Strukturformeln von sogenannten "19-nor" Steroiden, die gemäß Entgegenhaltung (8) als repräsentativ für RU-486 erwähnt sind, so daß ein kompetitiver Progesteronantagonist unmittelbar nach der Veröffentlichung, der Entgegenhaltung (8), wie dort auch angekündigt, und somit mehr als ein Jahr vor dem Prioritätstag des Streitpatentes dem Fachmann bekannt war. Im übrigen wurde von keiner der beteiligten Parteien in Frage gestellt, daß RU-486 am Prioritätstag des Streitpatentes bekannt und auch als Substanz verfügbar war.
5.2. Wie aus den voranstehenden Ausführungen unter 4.2 ersichtlich, erhält der Fachmann aus der Entgegenhaltung (8) die Anregung, wenn nicht sogar unmittelbar die Aufforderung, RU-486 in Zusammenhang mit in-vivo Studien, die Progesteronrezeptor beeinflußte Stoffwechselvorgänge betreffen, einzusetzen. Dieser Stand der Technik läßt keinen Zweifel aufkommen, daß in den zu erzielenden Wirkungen, insbesondere der Schwangerschaftsabbruch und möglicherweise die Geburtseinleitung betroffen sind, wobei für Studien die Geburtseinleitung expressis verbis mit Progesteron und demzufolge auch mit allen Vorgängen am Progesteronrezeptor bzw. hieran angreifenden Antagonisten, in Verbindung gebracht wird. Diese Lehre der Entgegenhaltung (8) ist vollkommen im Einklang mit der Aussage des von der Beschwerdeführerin bestellten Gutachters in der Stellungnahme (5), wo zum Ausdruck gebracht wird, daß vor dem Prioritätstag des Streitpatents bereits die weitere Erwartung bestanden habe, daß ein echter kompetitiver Progesteronantagonist in der Lage sein müsse, die menschliche Schwangerschaft jederzeit zu beenden. Wenn der Fachmann bei seinen Studien, ausgehend von der Entgegenhaltung (8), die, wie aufgezeigt, den Vorgang des Schwangerschaftsabbruchs und der Geburtseinleitung ursächlich auf den Progesteronrezeptor zurückführt und somit beide Vorgänge dem Fachmann als gemeinsam zu erzielende Wirkung angedeiht, dann zwangsläufig feststellt, daß RU-486 als kompetitiver Progesteronantagonist nicht den Erwartungen bezüglich der Effektivität beim Schwangerschaftsabbruch und/oder der Geburtseinleitung entspricht, so wird er aufgrund der langgehegten Erwartungen die neue Klasse von Antagonisten sicherlich nicht zur Seite schieben, sondern Umschau halten, ob der Stand der Technik bei vergleichbar zu erzielenden Wirkungen eine Lösung vorschlägt.
5.3. Hierzu bietet sich die Lehre der Entgegenhaltung (1) an, die die abortive Wirkung des Steroids RMI 12936 alleine und in Kombination mit einem Prostaglandin, und zwar dem Prostaglandin PGF2 , zum Gegenstand hat. Dieser Stand der Technik beschreibt, wie in der Überschrift der entsprechenden wissenschaftlichen Veröffentlichung durch die Wortwahl "Antiprogestational Steroid" zum Ausdruck gebracht, RMI 12936 als eine Substanz, von der eine progesteronantagonistische Wirkung erwartet wird. Detailanalysen des relevanten Hormonspiegels im Serum von Ratten nach Verabreichung besagten Steroids und des speziellen Prostaglandins - gemessen jeweils nach alleiniger und kombinatorischer Gabe der Wirksubstanzen - lassen die Autoren zu dem Schluß gelangen, daß RMI 12936 u. a. aufgrund seiner Androgenität oder der eines Metaboliten fetotoxisch ist und daß PGF2 u. a. den bekannten luteolytischen Effekt zeigt. Zum exakten Mechanismus der RMI 12936 Wirkung wird jedoch ausgeführt, daß dieser noch bestimmt werden müsse. Unabhängig hiervon bringen die Autoren der Entgegenhaltung (1) zum Ausdruck, daß signifikant eine Steigerung des abortiven Effektes durch eine Kombination des Steroids mit dem Prostaglandin zu verzeichnen ist (vgl. insbes. die Seiten 121/122, "Abstract" und "Introduction", die Seiten 129/131 "Discussion" sowie die Figuren 1 und 2 auf den Seiten 128 und 130).
Nach Auffassung der Kammer paßt die Entgegenhaltung (1) voll in das Bild der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Aussage, daß vor dem Bekanntwerden von RU-486, die Fachwelt im Zusammenhang mit in-vivo Studien zu Wirkungen von Steroiden jeweils den Wunsch gehegt hat, neue Erkenntnisse zu Progesteronrezeptormechanismen zu erzielen.
Die in der Entgegenhaltung (1) kombinatorisch eingesetzten Prostaglandine sind dem Fachmann als solche für die ins Auge gefaßte Anwendung, wie bereits in der Entgegenhaltung (8) voranstehend aufgezeigt und auch im Streitpatent in Spalte 1, Zeilen 17 bis 23, einleitend gewürdigt, bei alleiniger Verabreichung nicht fremd. Gleichfalls ist die kombinatorische Anwendung eines Steroids und eines Prostaglandins nicht einzig aus der Entgegenhaltung (1) bekannt, sondern auch im Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 34 bis 37, wird bereits anhand der im europäischen Recherchenbericht genannten Druckschrift DE-A-2 528 419 hervorgehoben, daß zur Geburtseinleitung Kombinationen von Prostaglandinen mit Östrogenen, also Steroiden, zum Stand der Technik zählen.
Die Kammer ist der Auffassung, daß unabhängig davon, ob die bekannten Anwendungen sich klinisch durchsetzen konnten und ungeachtet des Umstandes, ob der Stoffwechselmechanismus als vollständig aufgeklärt gelten konnte, der Fachmann unter rein phänomenologischer Betrachtungsweise, einzig in der Hoffnung die Einsatzmöglichkeiten des als erfolgsversprechend geltenden nicht fetotoxischen kompetitiven Progesteronantagonisten RU-486 zu optimieren, auch dessen kombinatorische Wirkung mit einem Prostaglandin bei bekanntem Erfolg dieser Substanz mit einem fetotoxischen Steroid, tatsächlich austesten würde. Im Lichte des genannten Standes der Technik ist jedenfalls nicht erkennbar, welcher gravierende Nachteil den Fachmann von vorn herein davon abhalten könnte, ein Prostaglandin mit einem bekanntermaßen nicht fetotoxischen kompetitiven Progesteronantagonisten zu kombinieren, wenn, wie aufgezeigt, hierfür ein berechtigter technischer Anlaß besteht.
Die Kammer vermag aus allen diesen Gründen in der Kombination eines Prostaglandins in allgemeinster Form mit einem bekannten kompetitiven Progesteronantagonisten zur Lösung der Aufgabe, ein Erzeugnis bereitzustellen, welches sowohl für den Schwangerschaftsabbruch als auch die Geburtseinleitung geeignet ist, keine erfinderische Tätigkeit zu erkennen.
5.4. Im Zusammenhang mit der Diskussion des Gegenstandes des Streitpatentes im Lichte der Vorbeschreibung von RU-486 als kompetitiven Progesteronantagonisten gemäß der Entgegenhaltung (8), die von allen Beteiligten nunmehr als nächstkommender Stand der Technik angesehen wurde, hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erstmalig betont, daß bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als wesentlicher Punkt zu berücksichtigen sei, daß das beanspruchte Kombinationserzeugnis ein Prostaglandin der E-Reihe enthalte, welches andere Einzel- und somit auch andere kombinatorische Wirkungen als die beim Stand der Technik angewandten Prostaglandine PGF2 hervorrufe. Das Naheliegen des Einsatzes dieser speziellen Prostaglandine, die zudem unerwartete Vorteile zeigten, sei in jedem Fall ausgeschlossen.
Hierzu hat die Beschwerdegegnerin nach Auffassung der Kammer zu Recht vorgetragen, daß weder aus dem Streitpatent noch den eingereichten zusätzlichen Unterlagen sowie den ergänzenden Vergleichsversuchen ein Vorteil des Einsatzes der Prostaglandine der E-Reihe gegenüber anderen Prostaglandinen, insbes. PGF2 , herleitbar ist, noch hierdurch experimentell belegt werde.
Vielmehr hat die Beschwerdeführerin im Schreiben vom 11. April 1994, Seite 1, letzter Absatz, übergreifend Seite 2, erster Absatz, expressis verbis vorgetragen, um "keinerlei Zweifel an der Neuheit des Anmeldungsgegenstandes aufkommen zu lassen, werden die geltenden Patentansprüche dahingehend beschränkt, daß die Prostaglandin-Komponente auf eine solche der E-Reihe beschränkt wird".
Die Vergleichsversuche der Beschwerdeführerin vom 14. April 1992 sowie die Ausführungen zu unterschiedlichen Wirkweisen der PGF2 Prostaglandine gegenüber denen der E-Reihe im Schriftsatz vom 11. April 1994 auf Seite 6, unter Punkt 7), wurden eindeutig erkennbar getätigt, um Unterschiede im Wirkmechanismus gegenüber der Entgegenhaltung (1) aufzuzeigen. Dies bestätigt eindringlich die Beschwerdeführerin, die in besagtem Schriftsatz unter Punkt 7) expressis verbis schlußfolgert, "Es ist also offensichtlich, daß D1 einen ganz anderen Mechanismus beinhaltet, als er der vorliegenden Erfindung zugrunde liegt".
Die Kammer ist demgegenüber zu dem Schluß gelangt, daß die in der mündlichen Verhandlung zuletzt vorgetragene Argumentation der Beschwerdeführerin zum Einsatz der Prostaglandine der E-Reihe vom Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung (1) losgelöst wurde, um die dem Streitpatent zugrundeliegende mögliche Erfindung, insbesondere im Hinblick auf die Entgegenhaltung (8), in Richtung auf die Auswahl einer Prostaglandinkomponente zu verschieben, also die erfinderische Tätigkeit auf die Prostaglandine der E-Reihe zu stützen. Eine entsprechende Verlagerung der Argumentation nach eingehender Diskussion eines Standes der Technik ist prinzipiell nicht unzulässig. Da im vorliegenden Fall eine solche Argumentation aber zu keinem Zeitpunkt vor der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren erkennbar war und praktisch erst gegen Ende der mündlichen Verhandlung geltendgemacht wurde und insbesondere die Entscheidung der Einspruchsabteilung bei ihrer Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eine mögliche nicht naheliegende Auswahl der Prostaglandine der E-Reihe nicht berücksichtigen konnte, sieht es die Kammer als nicht sachdienlich an, zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Verfahrens, eine vollständige Prüfung hierauf auszuführen, wobei den Parteien zu diesem Sachverhalt der Weg einer zweiten Instanz versperrt wäre.
5.5. Aus diesen Gründen macht die Kammer von ihrer Befugnis unter Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch und verweist die Sache zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.