T 0256/86 27-08-1987
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Verfahren zur Herstellung einer wässrigen Copolymerisat-Dispersion und Verwendung dieser Dispersion
Erfinderische Tätigkeit
inventive step
I. Die am 13. Juli 1982 eingegangene und am 9. Februar 1983 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 82 106 242.9 mit der Veröffentlichungsnummer 0 071 071, für welche die Priorität der Voranmeldung in der Bundesrepublik Deutschland vom 16. Juli 1981 in Anspruch genommen wird, wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 4. März 1986 zurückgewiesen. Der Entscheidung liegen die ursprünglichen 2 Ansprüche zugrunde, von denen Anspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"Verfahren zur Herstellung einer wäßrigen Dispersion von Copolymerisaten, die mit Aminoplasten in der Wärme vernetzbar sind, durch Copolymerisation von Styrol und/oder Methylmethacrylat als "hartmachende" Komponente, 2-Ehylhexylacrylat und/oder Butylacrylat und/oder Ethylacrylat als "weichmachende" Komponente, Hydroxyethyl(meth)acrylat und/oder Hydroxylpropyl(meth)acrylat, Acrylsäure und/oder Methacrylsäure sowie einem Amid und/oder einem N-Methylolamid und/oder einem veretherten N-Methylolamid einer , -ungesättigten Carbonsäure in wäßriger Phase in Gegenwart eines Emulgators und eines radikalbildenden Initiators, dadurch gekannzeichnet, daß ein Gemisch aus
I. 40-60 Gew.-% Methylmethacrylat oder Styrol oder eines Gemischs dieser Monomeren,
II. 30-50 Gew.-% Ethylacrylat, Butylacrylat oder 2-Ethylhexylacrylat oder eines Gemischs dieser Monomeren,
III. 5-15 Gew.-% Hydroxyethylacrylat, Hydroxyethylmethacrylat, Hydroxypropylacrylat oder Hydroxypropylmethacrylat oder eines Gemischs dieser Monomeren,
IV. 1-5 Gew.-% Acrylsäure oder Methycrylsäure oder eines Gemischs dieser Monomeren und
V. 0,5-5 Gew.-% eines Amids oder N-Methylolamids oder eines veretherten N-Methylolamids einer , - ungesättigten Carbonsäure oder eines Gemischs solcher Monomeren copolymerisiert wird."
II. Die Zurückweisung wird mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit begründet.
In der FR-A- 2 334 729 (1) sei bereits ein Verfahren zur Herstellung von wäßrigen Dispersionen durch Copolymerisation von Styrol und/oder Methylmethacrylat mit Ethyl-, Butyl- oder 2-Ethylhexylacrylat, Hydroxyethyl- oder Hydroxypropylmethacrylaten, Acryl- oder Methacrylsäure und Amiden alpha,ß -ungesättigter Carbonsäuren beschrieben. Auch die dort genannten Mengenverhältnisse für die Komponenten I, II, IV und V lägen in dem erfindungsgemäß genannten Rahmen. Lediglich die Verwendung einer Menge von 5-15 Gew.-% der Komponente III werde in diesem Stand der Technik nicht beschrieben.
Für den Fachmann, der sich die Aufgabe gestellt habe, die wäßrigen Dispersionen nach (1) so abzuwandeln, daß sie mit einem Aminoplastharz in der Wärme vernetzbar sind, läge diese Maßnahme nahe. Denn der Fachmann wisse aus FR-A- 1 514 096 (3), daß Verbindungen wie Hydroxylethyl- oder Hydroxypropylacrylat bzw. -methacrylat die Eignung der Copolymeren zur Vernetzung mit Formaldehyd-Melamin Kondensationsprodukten, d.h. Aminoplasten, verbessern.
III. Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 3. Mai 1986 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr erhobene Beschwerde, die am 12. Juli 1986 im wesentlichen wie folgt begründet wurde:
Nach dem Stand der Technik (1) handele es sich um feinteilige Dispersionen, die zum Grundieren und Verfestigen von porösen Substraten dienen sollen. Das Ziel sei dabei, daß das feinteilige Polymerisat tief in den Untergrund eindringe, was vorher nur mit organisch gelösten Tiefgrundierungen möglich gewesen sei. Anders als bei einem Lack, in dem die Dispersion gemäß der vorliegenden Anmeldung als Bindemittel dienen soll, spiele bei solchen Tiefgrundierungen die Oberfläche keine Rolle.
Die Entgegenhaltung(3) befasse sich mit wäßrigen Polymer-Lösungen, die in Lacken für Oberflächenbeschichtung eingesetzt werden. Dieses Dokument leite den Fachmann davon weg, Dispersionen statt Lösungen als Bindemittel für Lacke in Betracht zu ziehen.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der ursprünglich eingereichten Unterlagen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Obwohl nach ständiger Praxis der Kammer das Dokument als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten ist, das sowohl im Bezug auf Zusammensetzung als auch Anwendung dem Gegenstand der Erfindung am nächsten kommt, betrachtet die Kammer hier - weil die Vorinstanz in Ihrer Entscheidung von (1) ausgegangen ist - das Dokument (1) als nächstkommender Stand der Technik. Dort wird eine wäßrige Dispersion von Copolymerisaten von Styrol und/oder Methylmethacrylat mit Ethyl-, Butyl- oder 2-Ethylhexylacrylat und gegebenenfalls Hydroxethyl-oder Hydroxylpropylmethacrylaten, Acryl-oder Methacrylsäure und Amiden alpha, ß-ungesättigten Carbonsäuren beschrieben (vgl. Anspruch 1 in Verbindung mit Seite 3, Zeilen 18-26 und Seite 4, Zeilen 1-6). Auch die Mengenverhältnisse liegen mit Ausnahme die der Hydroxyethyl-oder Hydropropylmethacrylate in dem in Anspruch 1 der Patentanmeldung genannten Rahmen (vgl. (1) Anspruch 1), wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat.
Die Dispersionen nach (1) sind zur Grundierung poröser Substrate wie z.B. Holz, Gipsplatten, Tonplatten, Zementplatten etc. bestimmt (vgl. Seite 9, Zeilen 23-30) und haben die Eigenschaft, tief in die Materialien einzudringen und sie zu verfestigen, wodurch die Haftung eines später aufzubringenden Überzugs verbessert wird (vgl. Seite 10, Zeilen 20-22).
Demgegenüber ist es Aufgabe der Erfindung, dieses Verfahren zur Herstellung einer wäßrigen Dispersion von Copolymerisaten so zu modifizieren, daß die Dispersion mit Aminoplasten in der Wärme vernetzbar ist und sich als Überzug für Metalle eignet und dabei frei von Fehlern in der Oberfläche ist.
3. Zur Lösung dieser Aufgabe wird ein Verfahren zur Herstellung eine wäßrige Dispersion von Copolymerisaten durch Copolymerisation eines Gemisches aus:
I. 40-60 Gew.-% Methylmethacrylat oder Styrol oder eines Gemisches dieser Monomeren,
II. 30-50 Gew.-% Ethylacrylat, Butylacrylat oder 2-Ethylhexylacrylat oder eines Gemisches dieser Monomeren,
III. 5-15 Gew.-% Hydroxyethylacrylat, Hydroxyethylmethacrylat, Hydroxypropylacrylat oder Hydroxypropylmethacrylat oder eines Gemisches dieser Monomeren, IV. 1-5 Gew.-% Acrylsäure oder Methacrylsäure oder eines Gemisches dieser Monomeren und V. 0,5-5 Gew.-% eines Amids oder N-Methylolamids oder eines veretherten N-Methylolamids einer alpha, ß-ungesättigten Carbonsäure oder eines Gemisches solcher Monomeren bereitgestellt.
Diese Aufgabe ist nach Überzeugung der Kammer glaubhaft gelöst, wie aus den Anwendungsbeispielen in der Beschreibung hervorgeht.
4. Ein derartiges Verfahren ist - wie die Prüfung der vorliegenden Druckschriften durch die Kammer in Übereinstimmung mit der Vorinstanz ergeben hat - nicht vorbeschrieben, also neu. Das am nächsten kommende Dokument (1) beschreibt zwar eine Dispersion von Copolymerisaten, die die Komponente III nur gegebenenfalls in geringfügiger Menge - ohne spezifische Mengenangaben - enthalten (vgl. Seite 2, Zeilen 30-31, Seite 19, Zeilen 13-14). Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, daß hierunter, sowie bei der weiteren Spezifikation, wonach Art und Menge dieser Komponente nicht die Stabilität des gebildeten Polymerisats vermindern und dessen Verseifung begünstigen darf (vgl. Seite 4, Zeilen 27-30), aus fachmännischer Sicht genau der anmeldungsgemäß angegebene Mengenbereich zu verstehen ist.
5. Es ist daher zu prüfen, ob die Herstellung der Copolymerisat-Dispersion gemäß Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
5.1. Für diese Frage kommt es darauf an, ob es für den Fachmann nahelag, die Lösung der bestehenden Aufgabe, nämlich die Bereitstellung einer wäßrige Dispersion von Copolymerisaten, die mit Aminoplasten in der Wärme vernetzbar sind und sich als in der Oberfläche fehlerfreie Überzüge für Metalle eignen, in der Erhöhung auf 5-15 Gew.- % der in der Dispersion nach (1) nur gegebenenfalls in geringfügiger Menge vorhandenen Komponente III zu suchen.
5.2. Die Einspruchsabteilung geht in Ihrer Entscheidung davon aus, daß die erfindungsgemäß hergestellte Copolymerisat-Dispersion für den Fachmann in naheliegender Weise aus einer Kombination der Dokumente (1) und (3) hervorgeht.
5.3. Diese Entscheidung kann schon deshalb kein Bestand haben, weil die Einspruchsabteilung zwei Dokumente kombiniert hat, die in Bezug auf Zielsetzung weder miteinander noch mit der erfindungsgemäß anvisierten Aufgabe vereinbar sind.
5.4. Dokument (1) (vgl. Seite 1, Zeilen 5-14; Seite 2, Zeile 17 - Seite 3, Zeile 4; Seite 10, Zeilen 13 und 24) betrifft besonders feinteilige Dispersionen, die zum Grundieren und Verfestigen von porösen Substraten dienen sollen. Das Ziel ist dabei, daß das feinteilige Polymerisat tief in den Untergrund eindringt, was vorher nur mit organisch gelösten Tiefgrundierungen möglich war. Anders als bei einem Lack, in dem die Dispersion gemäß der vorliegenden Anmeldung als Bindemittel dienen soll, spielt bei solchen Tiefgrundierungen die Oberfläche keine Rolle. Die Fehlerfreiheit der Oberfläche der Überzüge ist jedoch ein wichtiger Bestandteil der erfindungsgemäß gelösten Aufgabe.
5.5. Es wird zwar in Dokument (1) (vgl. Seite 3, Zeilen 22-26) darauf hingewiesen, daß man die Komponente III verwenden kann, um die Eigenschaften des Copolymeren zu modifizieren, jedoch fehlen Angaben über die Zielsetzung der Modifikation. Ferner (vgl. Anspruch 1) wird die Komponente III nur gegebenenfalls und in kleinen Mengen eingesetzt. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß unter kleinen Mengen der Komponente III genau der erfindungsgemäß angegebenen Menge von 5-15 Gew.-% zu verstehen ist und daß eine solche Menge die bestehende technische Aufgabe löst.
5.6. Die Entgegenhaltung (3) befaßt sich ebenfalls mit einem anderen Problem, nämlich der Bereitstellung wäßriger Copolymerlösungen. Diese Lösungen können für die Oberflächenbeschichtung eingesetzt werden und sollen daher ebenfalls zu möglichst fehlerfreien Oberflächen führen. Die Copolymerisate nach der Entgegenhaltung (3) werden durch Copolymerisation in wasserfreien Lösungen hergestellt und haben im Vergleich zu den durch Emulsionspolymerisation hergestellten Copolymeren niedrige Molgewichte und Viskosität (vgl. Seite 1, rechte Spalte, letzer Absatz). Dokument (3) erwähnt zwar beiläufig (vgl. Seite 2, rechte Spalte, letzte Zeilen bis Seite 3, erster Absatz), daß die Copolymerisation von 3 bis 30 % eines Monomers, mit freien Hydroxylgruppen unter anderem die Eignung der Copolymeren zur Vernetzung mit Formaldehyd-Melamin Kondensationsprodukten, d.h. Aminoplasten verbessert. Als Beispiele solcher Monomere werden unter anderem Hydroxyethyl-oder Hydroxypropylacrylat bzw. -methacrylat genannt. Hiervon geht jedoch keine Anregung aus, daß die aufgabengemäß anvisierte Bereitstellung wäßriger Dispersionen von Copolymerisaten, die mit Aminoplasten in der Wärme vernetzbar sind, gerade durch die Maßnahmen nach Anspruch 1 des Streitpatents realisiert werden könnte. Vielmehr lehrt (3), daß Emulsionspolymerisation zu Produkten führt, die Verunreinigungen (Elektrolyte, organische Salze etc) aufweisen und daher als Beschichtungslacke ungeeignet sind (vgl. Seite 1, rechte Spalte, Zeilen 3-12 i.V.m. Zeilen 28-34). Daher wird bei den Copolymerlösungen nach (3) vorzugsweise mehr als 5% der Komponente IV eingesetzt, weil bei niedrigerem Gehalt keine Lösungen sondern Dispersionen entstehen (vgl. Seite 2, rechte Spalte unten).
6. Das Verfahren nach Anspruch 1 beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit. Dies gilt auch für die von der Patentfähigkeit des Verfahrensanspruchs getragenen Verwendungsanspruchs 2.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts wird aufgehoben.
2. Die Sache wird dan die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, ein europäisches Patent auf Grund der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu erteilen.