T 0075/86 04-04-1987
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Verfahren und Vorrichtung zum Auswechseln von Tragrollen in Rollenherd-Durchlaufglühöfen
Erfinderische Tätigkeit
Formulierung der technischen Aufgabe
Inventive step
definition of technical problem
I. Die am 13. Januar 1981 angemeldete, unter der Nummer 033 845 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 81 100 181.7, für die die Priorität einer früheren Anmeldung vom 9. Februar 1980 in Anspruch genommen wird, ist durch Entscheidung der Prüfungsabteilung 015 vom 19. April 1984 zurückgewiesen worden.
Der Entscheidung lagen die ursprünglichen Patentansprüche 1 bis 5 zugrunde.
II. Die Prüfungsabteilung ist der Auffassung, das Verfahren nach Anspruch 1 und die zu dessen Ausübung bestimmte Vorrichtung nach Anspruch 4 beruhten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zur Begründung führt sie unter Hinweis auf die US-A-2 872 174 u.a. aus, die in der Entgegenhaltung genannte Aufgabe, den Rollenwechsel in Rollenherd-Durchlaufglühöfen mit möglichst geringer Störung des Ofenbetriebs auszuführen, umschließe auch die Aufrechterhaltung der Produktion während des Rollenwechsels, wenngleich eine solche Möglichkeit in der Patentschrift nicht anhand eines Beispiels weiter erläutert werde. Die im Anspruch 1 angegebene Aufgabenlösung - das Glühgut während des Rollenwechsels weiter den Ofen durchlaufen zu lassen, -liege seit langem im Bestreben des Fachmanns. Sie sei daher nicht erfinderisch.
III. Gegen die Zurückweisungsentscheidung hat die Anmelderin unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr am 23. Juni 1984 Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu erteilen. Die Beschwerdebegründung ist am 24. August 1984 eingegangen. Die Anmelderin ist der Auffassung, der US-A-2 872 174 könne der Durchschnittsfachmann nur die Aufgabe entnehmen, die durch den Rollenwechsel bedingten Produktionsausfälle möglichst klein zu halten. Der Rollenwechsel erfolge bei dem Verfahren nach dieser Patentschrift und auch sonst, während die Produktion unterbrochen sei. Der Vorschlag nach der Anmeldung, durch den Produktionsausfälle vermieden würden, habe deshalb nicht nahegelegen.
IV. Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat die Anmelderin die ursprünglichen Patentansprüche durch die mit Schriftsatz vom 19. September 1986 eingereichten fünf Patentansprüche, eingegangen am 25. September 1986, ersetzt, die auf ein Verfahren und eine Vorrichtung gerichtet sind.
Der erste Verfahrens- und der erste Vorrichtungsanspruch lauten wie folgt:
"1. Verfahren zum Auswechseln von Tragrollen in Rollenherd- Durchlauföfen, bei dem die auszuwechselnde Tragrolle (2') vor dem Einsetzen der neuen Tragrollen aus dem Ofen (1) genommen wird, dadurch gekennzeichnet, daß bei andauernder Förderung des Glühgutes durch den Ofen das Glühgut (3) im Bereich der auszuwechselnden Tragrolle (2') durch Anheben des Glühgutes selbst oder durch Absenken der auszuwechselnden Tragrolle (2') außer Kontakt mit dieser Tragrolle gebracht und nach dem Einsetzen der neuen Tragrolle mit dieser wieder in Kontakt gebracht wird."
"4. Vorrichtung zur Ausübung des Verfahrens nach Anspruch 1, gekennzeichnet durch das Glühgut (3) von der auszuwechselnden Tragrolle (2') abhebende Druckgasdüsen (5)."
Mit Schreiben vom 6. Februar 1987, eingegangen am 7. Februar 1987, hat die Anmelderin neu gefaßte Seiten 1 und 2 der Beschreibung vorgelegt.
V. Wegen des Wortlauts der ursprünglichen Patentansprüche und Beschreibung wird auf die Veröffentlichung Nr. 0 033 845 verwiesen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Der geltende Patentanspruch 1 unterscheidet sich von dem ursprünglichen Patentanspruch 1 außer durch eine im Hinblick auf den Stand der Technik (vgl. Abschnitt 4) vorgenommene Klarstellung im Oberbegriff nur noch dadurch, daß ein Merkmal vom kennzeichnenden Teil in den Oberbegriff des Anspruchs umgestellt worden ist. Der unabhängige Patentanspruch 4 stimmt mit dem ursprünglichen Patentanspruch 4 überein.
Die Ansprüche 1 und 4 gehen daher nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ).
Durch die Umstellung im Anspruch 1 ist das dem Gegenstand des Anspruchs am nächsten kommende Verfahren nach der US-A-2 872 174 bekanntgewordene Verfahren ausreichend berücksichtigt. Der Anspruch 1 entspricht daher auch der Regel 29 (1) (a) EPÜ.
3. Die Anmeldung befaßt sich mit dem Auswechseln von Tragrollen in Rollenherd-Durchlaufglühöfen. In solchen Öfen müssen unter Umständen Tragrollen wegen einer Beschädigung vorzeitig ausgetauscht werden. Es ist üblich, die beschädigte Rolle entweder nach Entfernen des Glühguts aus dem Ofen oder - falls dies nicht möglich ist - bei im Ofen verbleibendem Glühgut auszuwechseln. Um die durch das Auswechseln verursachte Betriebsunterbrechung so kurz wie möglich zu halten, wird nach der US-A-2 872 174 die Ofenlängswand in Abschnitte unterteilt, die mit je einem Rollenlager versehen sind. Hierdurch soll das Auswechseln einzelner Rollen ohne Herunterkühlen des Ofens ermöglicht werden. Den Produktionsverlust, der infolge der Betriebsunterbrechung auch bei diesem Verfahren in Kauf genommen werden muß, hat die Anmelderin als noch zu groß empfunden.
4. Der Anmeldung liegt nach der geltenden Beschreibung deshalb die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Auswechseln von Tragrollen in Rollenherd-Durchlaufglühöfen zu schaffen, bei dem das Auswechseln mit möglichst geringem Produktionsverlust erfolgt.
Diese Aufgabe ist gegenüber der ursprünglichen genannten Aufgabe geändert. Diese sollte darin bestehen, einen Tragrollenwechsel während des laufenden Ofenbetriebs zu ermöglichen.
Die Änderung der Aufgabe ist nicht zu beanstanden. Durch sie wird der bei der Prüfung der Anmeldung ermittelten objektiven Sachlage Rechnung getragen.
Nach dem Ergebnis der Recherche hat sich die Fachwelt bisher nur damit beschäftigt, die Betriebsunterbrechung und damit den Produktionsausfall beim Auswechseln von Tragrollen zu verkürzen. Eine Vermeidung dieser Unterbrechung hat sie nicht angestrebt, und zwar auch nicht bei dem Verfahren nach der US-A-2 872 174. Die Auffassung der Prüfungsabteilung, die Aufgabe, einen Rollenwechsel ohne Betriebsunterbrechung zu ermöglichen, werde von der in dieser Patentschrift genannten Aufgabe mit umfaßt, trifft demnach nicht zu.
Der Rollenwechsel ohne Betriebsunterbrechung stellt vielmehr den Vorteil dar, der mit dem Gegenstand der Anmeldung gegenüber dem ihm am nächsten kommenden Stand der Technik erreicht wird. Die in der ursprünglichen Beschreibung genannte Aufgabe enthielt mithin schon Elemente der in der Anmeldung niedergelegten Lösungsidee. Diese Unstimmigkeit ist durch die Neuformulierung der Aufgabe beseitigt. Durch die Ermittlung der Aufgabe aufgrund der objektiven Sachlage wird im übrigen die Gefahr vermieden, daß bei der Entscheidung, ob der zu prüfende Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, Lösungselemente deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie unzutreffenderweise schon in der Aufgabe genannt waren.
5. Aus den Ausführungen im Kapitel 2 ergibt sich, daß das Verfahren nach Anspruch 1 sowohl gegenüber dem von der Anmelderin genannten Stand der Technik als auch gegenüber den bei der Recherche ermittelten Entgegenhaltungen neu ist.
6. Wie auch schon dargelegt, ist kein Stand der Technik ermittelt worden, aus dem hervorgeht, daß die Bemühungen der Fachwelt darauf gerichtet waren, den Rollenwechsel ohne Produktionsunterbrechung auszuführen. Es mag für den Fachmann aufgrund seines ständigen Bestrebens, im praktischen Betrieb auftretende Ausfallzeiten zu vermindern, wenn nicht überhaupt zu vermeiden, ohne weiteres nahegelegen haben, sich die Aufgabe zu stellen, einen Rollenwechsel ohne Betriebsunterbrechung zu ermöglichen. Um die zur praktischen Verwirklichung dieser Idee vorgeschlagenen Maßnahmen nach Anspruch 1 zu konzipieren, war es jedoch erforderlich, sich bei der Problemlösung nicht von der bisherigen Entwicklung beeinflussen zu lassen, sondern die bis dahin eingeschlagenen Wege zu verlassen. Das Verfahren nach Anspruch 1 stellt daher nicht das Ergebnis von Überlegungen dar, die ein Fachmann im Rahmen seiner üblichen Tätigkeit anstellt.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht mithin auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Es sind auch keine Gründe ersichtlich, daß sich das Verfahren nach Anspruch 1 praktisch nicht ausführen läßt, also gewerblich nicht anwendbar ist.
Seine Patentfähigkeit kann folglich anerkannt werden.
7. Der Patentanspruch 1 ist deshalb gewährbar.
8. Was hinsichtlich des Verfahrens zur Neuheit und zur Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgeführt ist, gilt sinngemäß auch für die zur Ausübung des Verfahrens bestimmte Vorrichtung nach Anspruch 4. Sie ist daher jedenfalls patentfähig, und der auf sie gerichtete Anspruch 4 ist somit gewährbar.
9. Die auf den Patentanspruch 1 bzw. den Patentanspruch 4 rückbezogenen Ansprüche sind auf besondere Ausführungsformen des Verfahrens bzw. der Vorrichtung gerichtet. Sie können deshalb als abhängige Ansprüche gewährt werden.
10. In der Beschreibung sind außer der schon erörterten Änderung der Aufgabe die zur Anpassung an den geltenden Wortlaut der Ansprüche erforderlichen Änderungen vorgenommen worden. Die übrigen Änderungen sind redaktioneller Natur.
Gegen die vorliegende Fassung bestehen demnach keine Bedenken.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, auf die Anmeldung ein europäisches Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 5, eingegangen am 25. September 1986, Beschreibung Seiten 1 und 2, eingegangen am 7. Februar 1987, ursprüngliche Beschreibung ab Seite 3 und ursprüngliche Zeichnung.