T 0602/24 (Bedeutung von wesentlichen Merkmalen im Sinne der Regel 43(3) EPÜ (Punkte 2.1 bis 2.6.3 der Entscheidungsgründe)) 14-04-2025
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2K-POLYURETHANSYSTEME MIT PHASENTRENNUNG
Fehlende wesentliche Merkmale (nein)
Ausführbarkeit (ja)
Neuheit (ja)
Zurückverweisung (ja)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Anmeldung Nr. 13 705 802.0 zurückgewiesen wurde.
II. In der Entscheidung wurden unter anderen folgende Dokumente herangezogen:
D4: WO 2011/067246 A1
D6: WO 2009/150010 A1
D9: US 5,973,099
D10: US 2009/0098302 A1
D15: EP 0 256 355 A2
D16: Anthony E Mayr et al., "Cure and properties of unfoamed polyurethanes based on uretonimine modified methylene-diphenyl diisocyanate", Polym Int 49:293-301 (2000)
D18: WO 2009/080740 Al
D21: Bor-Sen Chiou and Paul E. Schoen, "Effects of Crosslinking on Thermal and Mechanical Properties of Polyurethanes", Journal of Applied Polymer Science,
Vol. 83, 212-223 (2002)
D22: Römpp-Chemie-Lexikon, 9. Auflage, 1997, Georg Thieme Verlag, Seite 1549, Glasübergangstemperatur.
III. Die Entscheidung war darauf gestützt, dass die jeweiligen Ansprüche 1 des Hauptantrags, des Hilfsantrags 4 und des Hilfsantrags 5 nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllten, da die jeweiligen Ansprüche 1 nicht "alle essentiellen" technischen Merkmale enthielten. Die Prüfungsabteilung führte außerdem aus, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 gegenüber jeder der Entgegenhaltungen D6, D9 und D10 nicht neu sei. Die Prüfungsabteilung stellte ferner fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 nicht neu gegenüber der D6 oder der D9 sei, und dass die D10 die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 vorwegnehme.
IV. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) legte gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung Beschwerde ein und reichte eine Beschwerdebegründung ein.
V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Grundlage der Ansprüche gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schreiben vom 25. Januar 2022, hilfsweise auf Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 5, allesamt eingereicht mit Schreiben vom 13. September 2023, ggf. nach entsprechender Anpassung der Beschreibung. Diese Anträge entsprechen in dieser Reihenfolge dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1, 4, 5, 3 und 2, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen.
Eine mündliche Verhandlung wurde beantragt, falls die Beschwerdekammer beabsichtigen sollte, dem Hauptantrag nicht stattzugeben.
Für die Prüfung der Einhaltung von Bestimmungen, die nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren, beantragt ferner die Beschwerdeführerin, sofern dies für erforderlich erachtet wird, eine Zurückverweisung des vorliegenden Falles an die Prüfungsabteilung.
VI. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt, wobei die Referenzzeichen (1) bis (9) nicht im vorgelegten Text enthalten sind, sondern von der Kammer gemäß Merkmalanalyse der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung (Seiten 2 und 3) zugesetzt wurden:
"1. (1) Verfahren (2) zum Herstellen von Faserverbundwerkstoffen, (3) wobei eine äußere Form mit Fasermaterialien bereitgestellt wird und (4) in diese Form eine flüssige Zwei-Komponenten-Polyurethan-Zusammensetzung (4-1) durch Einspritzen unter Druck oder (4-2) mittels Infusionsverfahren eingebracht wird, (4-3) wobei diese Zusammensetzung im Zustand einer Dispersion eingebracht wird, (4-4) wobei die Zwei-Komponenten-Polyurethan-Zusammensetzung
- 10 bis 80 Gew.-% Polyetherpolyol (4-4-1) mit einer Funktionalität von über 2,5 und (4-4-2) einem Molekulargewicht von 200 g/mol bis 1500 g/mol,
- (4-5) 5 bis 70 Gew.-% mindestens eines aromatischen Polyisocyanats
- (4-6) 0 bis 15 Gew.-% Additive
enthält, (4-7) wobei die Zusammensetzung ein NCO:OH-Verhältnis von 2:1 bis 1:2 aufweist, (4-8) die Zusammensetzung eine Viskosität von 100 bis 1000 mPas (EN ISO 2555, Brookfield Viskosimeter, 25°C) aufweist und (4-9) nach dem Mischen in Form einer Dispersion
vorliegt und (5) wobei der Anteil an Fasermaterialien über 60 % (Volumen%) beträgt und (6) wobei
die gefüllte Form auf eine Temperatur von bis zu 120 °C erwärmt wird, (7) die Zusammensetzung unmittelbar nach dem Mischen entgast wird,
dadurch gekennzeichnet, dass (8) die vernetzte Zusammensetzung eine Glasübergangstemperatur Tg über 60 °C, gemessen mit DSC, DIN 11357, aufweist und (9) bei Temperaturen zwischen -10°C und +70°C der E-Modul der vernetzen Zusammensetzung größer 1000 MPa beträgt, gemessen nach DIN ISO 527."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 entspricht dem Anspruch 1 des Hauptantrags ohne die Wortfolge "die vernetzte Zusammensetzung eine Glasübergangstemperatur Tg über 60 °C, gemessen mit DSC, DIN 11357, aufweist und",
Der Wortlaut der anderen Hilfsanträge ist für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.
VII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin sind den Entscheidungsgründen zu entnehmen. Die strittigen Fragen betreffen hauptsächlich die Frage, ob der beanspruchte Gegenstand alle wesentliche Merkmale enthält und neu gegenüber jeder der Entgegenhaltungen D6, D9 und D10 ist.
1. Da die Kammer zum Schluss kommt, dass die Gründe für die Zurückweisung des Hauptantrags nicht stichhaltig sind, und die Sache an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen ist, entfaltet der nachrangige Hilfsantrag der Anmelderin auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung. Die vorliegende Entscheidung ergeht demzufolge im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK.
Hauptantrag
2. Der Hauptantrag wurde auf der Grundlage von Artikel 84 EPÜ zurückgewiesen, weil Anspruch 1 nicht alle "essentiellen" Merkmale in Bezug auf das Erreichen einer Glasübergangstemperatur (Tg) von mehr als 60°C für die vernetzte Zusammensetzung enthält (Entscheidungsgründe, Punkt 2.2).
Die Prüfungsabteilung stellte im Wesentlichen fest, dass die in Tabelle 3 von D16 beschriebene Zusammensetzung 700T alle Strukturmerkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags erfüllt, aber nicht zu einer vernetzten Zusammensetzung mit einer Tg über 60 °C führt (Entscheidung, Seite 8, zweiter Absatz).
Unter Bezugnahme auf die Beschreibung der Anmeldung bringt die Prüfungsabteilung vor, dass es die Aufgabe der vorliegenden Anmeldung ist Zwei-Komponenten-Polyurethansysteme bereitzustellen, die zu einer vernetzten Matrix mit einem hohen Tg-Wert und guten mechanischen Eigenschaften führen. Aus der Lehre der Anmeldung ergebe sich jedoch, dass dieses Ergebnis über die Auswahl der Polyole oder der Isocyanatkomponente oder über die Vernetzungsdichte beeinflusst werden könne. Dies werde außerdem durch die Lehre der Dokumente D6, D15, D18 und D21 bestätigt. Auf dieser Grundlage befand die Prüfungsabteilung, dass "essentielle" Merkmale im Anspruch 1 des Hauptantrags fehlten. Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ist außerdem zu entnehmen, dass dieser Einwand als ein Einwand der mangelnden Klarheit angesehen wurde (Punkt 4.1, erster und vorletzter Absatz).
Dies war der einzige Grund für die Zurückweisung des Hauptantrags.
Fehlende wesentliche Merkmale
2.1 Der von der Prüfungsabteilung unter Bezugnahme auf Artikel 84 EPÜ erhobene Einwand fehlender "essentieller Merkmale" kann nur dahin verstanden werden, dass dem Anspruch 1 des Hauptantrags "wesentliche Merkmale" im Sinne der Rechtsprechung fehlen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 10. Auflage, 2022, im Folgenden RBK, II.A.3.2, II.A.5.1 und II.A.5.2 und Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, F.IV.4.5).
2.2 Eine Analyse der in diesen Teilen der RBK zitierten Entscheidungen zeigt, dass dem Begriff "wesentliche Merkmale" in der Rechtsprechung keine einheitliche Bedeutung beigemessen wird. Dies liegt nicht nur an der Anwendung unterschiedlicher Rechtsgrundlagen für ein solches Erfordernis (Deutlichkeit des Anspruchs oder Stützung durch die Beschreibung), sondern auch an den Kriterien, anhand derer das Fehlen "wesentlicher Merkmale" zu prüfen ist (RBK, II.A.3.2 und II.A.5.1, zweiter und dritter Absatz).
Diese uneinheitliche Handhabung in der Rechtsprechung hinsichtlich der Anforderung, alle wesentlichen Merkmale anzugeben, wird veranschaulicht durch die Analyse der Rechtsprechung in der Entscheidung T 56/21 im Zusammenhang mit der Frage, ob Artikel 84 und Regel 43 EPÜ eine Rechtsgrundlage für eine obligatorische Anpassung der Beschreibung an Ansprüche, deren Gegenstand enger definiert wird, liefern (Punkte 61, 63 und 68 der Entscheidungsgründe).
2.3 Während in der Rechtsprechung Einigkeit darüber besteht, dass die Prüfung der "wesentlichen Merkmale" angesichts des Erfordernisses, dass die Ansprüche durch die Beschreibung gestützt sein müssen, einen formalen Aspekt beinhaltet, d.h. sie sieht vor zu prüfen, ob das, was in den Ansprüchen definiert ist, auch in der Beschreibung zu finden ist, werden in vielen der in Teil II.A.5.1 der BKR zitierten Entscheidungen darüber hinaus materiellrechtliche Aspekte bei der Prüfung dieses Erfordernisses des EPÜ berücksichtigt.
Die Prüfung dieser weiteren Aspekte geht teilweise auf die Entscheidung T 409/91 zurück.
In T 409/91 wird im zweiten Absatz von Punkt 2 der Entscheidungsgründe folgendes ausgeführt "Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach die Untergrenze im vorliegenden Fall kein wesentliches Merkmal der Erfindung sei und somit im Anspruch nicht genannt zu werden brauche, bezieht sich nicht auf das Erfordernis von Artikel 83, sondern vielmehr auf das von Artikel 84 EPÜ. Diesem Vorbringen kann die Kammer jedoch nicht beipflichten, weil unter den wesentlichen Merkmalen der Erfindung, die zur Angabe des Gegenstands des Schutzbegehrens herangezogen werden müssen, nach Artikel 84 EPÜ in Verbindung mit Regel 29 (1) und (3) EPÜ sämtliche technischen Merkmale zu verstehen sind, die zur Definition einer nach dem EPÜ patentierbaren Erfindung erforderlich sind, einschließlich aller Merkmale, die zur Bestimmung von Gegenständen erforderlich sind, die auch das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung nach Artikel 83 EPÜ erfüllen" (Hervorhebungen durch die vorliegende Kammer).
Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe in T 409/91 macht auch deutlich, dass bei der Frage der Stützung durch die Beschreibung materiellrechtliche Aspekte zu berücksichtigen sind: "Auch wenn die Erfordernisse der Artikel 83 und 84 EPÜ auf unterschiedliche Teile der Patentanmeldung gerichtet sind, da Artikel 83 die Offenbarung der Erfindung, Artikel 84 dagegen die Angabe der Erfindung durch die Ansprüche betrifft, liegt dem Erfordernis der Stützung durch die Beschreibung - was seinen materiellrechtlichen Aspekt anbelangt - und dem Erfordernis der ausreichenden Offenbarung dieselbe Absicht zugrunde, nämlich sicherzustellen, daß das durch ein Patent verliehene Ausschließungsrecht durch den tatsächlichen Beitrag zum Stand der Technik begründet sein sollte. Somit kann ein Anspruch zwar insoweit durch die Beschreibung gestützt sein, als er ihr entspricht, aber dennoch einen Gegenstand umfassen, der im Sinne des Artikels 83 EPÜ nicht ausreichend offenbart ist, da er nicht ohne unzumutbaren Aufwand ausgeführt werden kann und umgekehrt" (Hervorhebungen durch die vorliegende Kammer).
2.4 Dieser Ansicht wurde in der Entscheidung T 939/92 (Entscheidungsgründe, Punkt 2.2.2) gefolgt und wie folgt formuliert: "Den weiteren Ausführungen in der Entscheidung T 409/91, Nummern 3.3 und 3.4 der Entscheidungsgründe, ist zu entnehmen, daß ein Anspruch, dessen Gegenstand in der Beschreibung nicht gemäß Artikel 83 EPÜ offenbart ist, auch nicht durch die Beschreibung im Sinne des Artikels 84 EPÜ gestützt ist".
Die Berücksichtigung materiellrechtlicher Aspekte in der Rechtsprechung bei der Frage, welche Merkmale als wesentlich anzusehen sind, wird beispielsweise auch durch die Entscheidung T 1055/92 veranschaulicht. Die ersten beide Absätze von Punkt 5 der Entscheidungsgründe lauten wie folgt: "Die Kammer stimmt jedoch auch der vom Beschwerdeführer vertretenen Auslegung der Bedeutung des zweiten Teils des zweiten Satzes von Artikel 84 EPÜ (wonach die Ansprüche durch die Beschreibung gestützt sein müssen - vgl. Nr. IV) zu, wonach alle in der Beschreibung als zur Ausführung der Erfindung notwendig bezeichneten Merkmale (wesentliche Merkmale) in einem entsprechenden Anspruch vorkommen müssen (vgl. T 32/82, ABl. EPA 1984, 354).
Es müssen daher die zur Lösung der betreffenden technischen Aufgabe notwendigen Merkmale in dem Anspruch enthalten sein. Im Verfahren vor der Prüfungsabteilung kommt es häufig vor, daß sachdienliche Dokumente angeführt werden, was zur Folge hat, daß das Kernstück einer beanspruchten Erfindung abgeändert werden muß und damit auch die entsprechende Aufgabenstellung in geänderter Form erscheint. In diesen Fällen müssen dem Anspruch oft noch neue wesentliche Merkmale hinzugefügt werden, um die Lösung deutlich zu kennzeichnen und um die Erfindung vom Stand der Technik abzugrenzen." Punkt 3 des Leitsatzes für diese Entscheidung gibt dementsprechend an, dass "Ein Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung muß die wesentlichen Merkmale der Erfindung angeben (vgl. T 32/82, ABl. EPA 1984, 354); dazu gehören insbesondere jene Merkmale, welche die Erfindung vom nächstliegenden Stand der Technik unterscheiden" (Hervorhebungen durch die vorliegende Kammer).
Weitere Entscheidungen, nach denen eine rein formale Stütze in der Beschreibung, d.h. die wörtliche Wiedergabe eines Anspruchsmerkmals, den Anforderungen an die Stütze der Ansprüche durch die Beschreibung nicht genügt, sind im dritten Absatz des Teils II.A.5.1 der BKR aufgeführt.
2.5 Die Zurückweisung des Hauptanspruchs durch die Prüfungsabteilung wegen fehlender wesentlicher Merkmale unter Bezugnahme auf Artikel 84 EPÜ beruht nicht auf einer fehlenden formalen Stütze des Anspruchs 1 durch die Beschreibung, sondern offensichtlich auf einer unzureichenden Offenbarung seines Gegenstands im Sinne des Artikels 83 EPÜ. Dies ist im Lichte der Einwendungen von Dritten, eingereicht mit Schreiben vom 26. Juni 2019, auf denen der Einwand der Prüfungsabteilung beruht, insbesondere offensichtlich (Entscheidungsgründe, Punkt 2.2, erster Absatz; Einwendungen von Dritten, Punkt 5, Seiten 7 bis 9).
2.6 Ein solcher Einwand auf der Grundlage von Artikel 84 EPÜ ist für die Kammer im Lichte des Zwecks der Regel 43 EPÜ und neuerer Rechtsrechtsprechung nicht haltbar, wie im Folgenden gezeigt wird.
2.6.1 Artikel 84 EPÜ definiert die Funktion von Ansprüchen und legt Formerfordernisse für diese fest. Weitere Erfordernisse in Bezug auf Form und Inhalt sind in der Ausführungsordnung zum EPÜ in der Regel 43 EPÜ definiert.
Nach dem ersten Satz des Artikels 84 EPÜ geben die Ansprüche den Gegenstand an, für den Schutz begehrt wird, d.h. den vom Anmelder formulierten Gegenstand, auf dessen Grundlage ein europäisches Patent beantragt wird. Dies wird in der Regel 43(1) EPÜ wiederholt, wobei hinzugefügt wird, dass dieser Gegenstand durch Angabe der technischen Merkmale der Erfindung in den Patentansprüchen anzugeben ist.
Dieses formale Erfordernis wird durch das weitere Formerfordernis des zweiteiligen Aufbaus von Ansprüchen in der Regel 43(1) EPÜ ergänzt. In Regel 43(2) EPÜ sind ebenfalls mit den Ausnahmen von der allgemeinen Regel, dass die Anmeldung nicht mehr als einen unabhängigen Anspruch in derselben Kategorie enthalten darf, weitere Formerfordernisse definiert. Regel 43(4) EPÜ (Bezugnahme auf andere Ansprüche), Regel 43(5) EPÜ (Anzahl der Ansprüche und Nummerierung), Regel 43(6) EPÜ (Bezugnahme auf die Beschreibung oder die Zeichnungen) und Regel 43(7) EPÜ (dieselben Bezugszeichen in den Ansprüchen wie in den beigefügten Zeichnungen) legen weitere formale Anforderungen für die Ansprüche fest.
Hinsichtlich Regel 43(3) EPÜ lautet diese "Zu jedem Patentanspruch, der die wesentlichen Merkmale der Erfindung wiedergibt, können ein oder mehrere Patentansprüche aufgestellt werden, die sich auf besondere Ausführungsarten dieser Erfindung beziehen".
Der zweite Teil der Regel 43(3) EPÜ definiert die Möglichkeit ein oder mehrere abhängige Ansprüche zu den unabhängigen Ansprüchen aufzustellen, und damit ebenfalls die Form der Ansprüche.
Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung des Titels der Regel 43 EPÜ, wonach die Regel 43 EPÜ die Form und den Inhalt der Patentansprüche festlegt, ist der Kammer nicht ersichtlich, warum der Wortlaut des ersten Teils der Regel 43(3) EPÜ, wonach die unabhängigen Patentansprüche die wesentlichen Merkmale der Erfindung wiedergeben, im Gegensatz zu allen anderen Bestimmungen der Regel 43 EPÜ, Erfordernisse definieren sollte, die über die Form und den Inhalt der Ansprüche hinausgehen.
2.6.2 Da außerdem die Patentansprüche nach Artikel 84 EPÜ den Gegenstand des Schutzbegehrens definieren ("the matter for which protection is sought"; "l'objet de la demande pour lequel la protection est recherchée"), d.h. den vom Anmelder formulierten Gegenstand, für den ein europäisches Patent beantragt wird, müssen die wesentlichen Merkmale der Erfindung gemäß Regel 43(3) EPÜ diejenigen sein, die der Anmelder als wesentlich für den beantragten Patentschutz ansieht, und nicht diejenigen, die die Prüfungsabteilung als ausreichend erachtet, um materiellrechtliche Erfordernisse zu erfüllen.
2.6.3 Die Möglichkeit, Ansprüche, die einer materiellen Prüfung nicht stand halten können, weil sie unangemessen breit sind, aus den gleichen Erwägungen nach Artikel 84 EPÜ zurückzuweisen, steht auch nicht im Einklang mit den "Travaux préparatoires" zum EPÜ 1973 und zum EPÜ 2000, wie aus den Entscheidungen T 1020/03 und G 3/14 hervorgeht.
In Punkt 10 der Entscheidungsgründe der Entscheidung T 1020/03 stellt die Kammer fest (Hervorhebungen durch die vorliegende Kammer):
"Nach Artikel 84 EPÜ müssen die Ansprüche zudem von der Beschreibung gestützt sein. Bei der Durchsicht der vorbereitenden Unterlagen zu den zahlreichen Sitzungen und Konferenzen, die zum Abschluss des Europäischen Patentübereinkommens im Jahr 1973 führten, zeigt sich allerdings, dass das Erfordernis der Stützung der Ansprüche während der in den verschiedenen Entwürfen wiedergegebenen Beratungen eher als eine formale Frage betrachtet wurde, mit der ein einheitlicher Umfang von Beschreibung und Ansprüchen sichergestellt werden sollte. Waren Ansprüche ursprünglich breiter gefasst, so wurde es als zulässig angesehen, die Beschreibung zu ändern, um die Diskrepanz zu beseitigen. Dieser Mangel wurde nicht als sachlicher Grund für die Zurückweisung von Ansprüchen wegen mangelnder Nützlichkeit in dem Sinne angesehen, dass die Ansprüche zu breit seien, um irgendeinen sinnvollen Zweck zu erfüllen, der ihrem Gegenstand in der Beschreibung zugeschrieben wird. Diese formale Betrachtung des Erfordernisses der Stützung erklärt auch, warum es nicht als Einspruchsgrund aufgenommen wurde; auf der Diplomatischen Konferenz von 2000 zur Revision des EPÜ wurde diese Sichtweise bekräftigt."
In Punkt 70 der Entscheidungsgründe der Entscheidung G 3/14 führte die Große Beschwerdekammer aus (Hervorhebungen ebenfalls durch die vorliegende Kammer):
"Bei der Ausarbeitung des EPÜ 2000 wurde erörtert, ob die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ als Nichtigkeitsgrund in das EPÜ 2000 aufgenommen werden sollten, nachdem die britische Delegation einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet hatte (s. CA/PL 4/96). Diese Erörterungen beschränkten sich jedoch darauf, ob auch das Erfordernis des Artikels 84 EPÜ aufgenommen werden sollte, wonach die Patentansprüche von der Beschreibung gestützt werden müssen (s. CA/PL 27/99, Nr. 5). Vorher hatte das zu den interessierten Kreisen zählende epi angeregt, mangelnde Klarheit der Ansprüche zum Nichtigkeitsgrund zu erheben; diese Anregung wurde aber nicht weiterverfolgt. Der britische Vorschlag zielte darauf ab, dass ungebührlich breite Ansprüche auch nach der Erteilung noch angefochten werden könnten (s. CA/PL 27/99, Nr. 2), fand jedoch keine nennenswerte Unterstützung bei den anderen Delegationen und wurde nicht angenommen (s. CA/PL 27/99, Nr. 29):
"Die Forderung, Artikel 84 EPÜ zum Einspruchs- und Nichtigkeitsgrund zu erheben, könnte zum Teil auf einem Missverständnis beruhen, das sowohl den Bedeutungsgehalt des Erfordernisses der Stützung der Ansprüche durch die Beschreibung als auch die bestehenden Möglichkeiten betrifft, ungebührlich breite Ansprüche nach den Artikeln 83 und 56 EPÜ anzugreifen."
CA/PL 27/99 schließt mit folgendem Ergebnis:
"35. Infolgedessen wird vorgeschlagen, weder mangelnde Klarheit noch mangelnde Stützung nach Artikel 84 EPÜ in die erschöpfende Liste der in den Artikeln 100 und 138 EPÜ genannten Einspruchs- und Nichtigkeitsgründe aufzunehmen.""
2.7 In Anbetracht der Bedeutung, die dem Ausdruck "wesentliche Merkmale" in der Regel 43(3) EPÜ beizumessen ist, nämlich die Merkmale, die der Anmelder als wesentlich für seine Patentschutz ansieht, und des Hinweises in neuerer Rechtsprechung, die sich auf die "Travaux préparatoires" zum EPÜ 1973 und zum EPÜ 2000 bezieht, dass die Breite des Anspruchs keinen Grundlage für einen Einwand nach Artikel 84 EPÜ im Hinblick auf materiellrechtliche Erwägungen bietet, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Zurückweisung des Hauptantrags durch die Prüfungsabteilung mit der Begründung unter Bezugnahme auf Artikel 84 EPÜ, dass sein Anspruch 1 nicht alle wesentliche Merkmale in Bezug auf das Erreichen einer Glasübergangstemperatur (Tg) von mehr als 60°C für die vernetzte Zusammensetzung enthält, nicht überzeugend ist.
Artikel 111(1) EPÜ
3. Da die Begründung der Prüfungsabteilung für die Zurückweisung des Hauptantrags allein auf einer Argumentation beruht, die der Begründung für eine Zurückweisung wegen mangelnder Offenbarung im Sinne des Artikels 83 EPÜ ähnelt, und die Begründung für die Zurückweisung des Hilfsantrags 1 auf mangelnder Neuheit gegenüber jeder der Entgegenhaltungen D6, D9 und D10 beruht, wobei sich der Hauptantrag und der Hilfsantrag 1 nur durch die Streichung eines Merkmals unterscheiden, übt die Kammer unter der Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie ihr Ermessen unter Artikel 111(1) EPÜ dahingehend aus, indem sie die Fragen der Ausführbarkeit und der Neuheit für den Gegenstand des Hauptantrags in der Sache selbst entscheidet.
Ausführbarkeit
4. Nach Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung in der Anmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist diese Vorschrift so zu verstehen, dass der im Anspruch definierte Gegenstand anhand der Lehre der Patentanmeldung und unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand, wozu auch die Durchführung üblicher Versuche gehört, von der Fachperson vollständig, d.h. im gesamten beanspruchten Bereich, ausführbar sein muss (RBK, II.C.5.4). Eine Erfindung ist im Prinzip ausreichend offenbart, wenn der Fachperson mindestens ein Weg zu ihrer Ausführung eindeutig aufgezeigt wird (RBK, C.II.5.2). Gemäß Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es für die Offenbarung einer Erfindung ausreichend, wenn bestimmte Mittel zur Ausführung der Erfindung eindeutig gelehrt sind, die der Fachperson nach einem eventuellen Misslingen des angestrebten Ergebnis, mit einem vertretbaren Versuchsaufwand zum Erfolg führen (RBK, II.C.6.6.1).
4.1 Die Zurückweisung des Hauptantrags durch die Prüfungsabteilung beruht auf dem Fehlen von Merkmalen in Anspruch 1, die es ermöglichen, eine vernetzte Zusammensetzung mit einer Tg über 60 °C zu erhalten. Die Tatsache, dass nicht alle Merkmale, die zur Erfüllung dieser Bedingung in Anspruch 1 definiert sind, reicht nicht aus, um auf eine mangelnde Offenbarung des beanspruchten Gegenstands zu schließen. Vielmehr ist unter Berücksichtigung des in Punkt 4 oben genannten Grundsatzes zu prüfen, ob der Anmeldung eine technische Lehre zu entnehmen ist, die es der Fachperson ermöglicht, dieses funktionelle Merkmal ohne unzumutbaren Aufwand zu erfüllen.
4.2 Für die in Anspruch 1 definierten Polyetherpolyole mit einer Funktionalität von über 2,5 und einem Molekulargewicht von 200 g/mol bis 1500 g/mol werden in der Beschreibung Beispiele angegeben (Seite 6, letzter Absatz und Seite 7, erster und dritter Absatz).
Dies gilt auch für die nach Anspruch 1 zu verwendeten aromatischen Polyisocyanaten (Seite 7, dritter Absatz).
Wie die Anmelderin betont, entnimmt die Fachperson der Anmeldung ferner, dass die Glasübergangstemperatur Tg über die Auswahl der Polyol- oder Polyisocyanat-Komponenten oder die Vernetzungsdichte beeinflusst wird (Seite 3, zweiter Absatz, dritte bis siebte Zeile, Seite 11, letzter Absatz, fünfte bis siebte Zeile).
Darüber hinaus wird in der Anmeldung gelehrt, dass ein Einflussparameter für die mechanischen Eigenschaften die Tg ist (Seite 3, zweiter Absatz, dritte und vierte Zeile), wobei eine ausreichende Vernetzungsdichte für eine ausreichende mechanische Stabilität notwendig ist, die implizit über eine mittlere Funktionalität von über 2,5 für Polyetherpolyole zu erreichen ist (Seite 7, zweiter Absatz, dritte bis siebte Zeile), d.h. im Wesentlichen über die Auswahl einer Polyolkomponente deren mittlere Funktionalität einen Mindestwert haben soll.
Im Hinblick auf das allgemeine Fachwissen, illustriert durch das Dokument D22, das einen Auszug aus einer technischen Enzyklopädie darstellt, ist der Fachperson bekannt, dass die Tg von der chemischen Struktur der Polymere, ihrer Molmasse und der Flexibilität der Polymerketten abhängt (D22, linke Spalte, Zeilen-5-8).
Die Lehre der Anmeldung zur Einstellung der Vernetzungsdichte, um die gewünschte Tg und ausreichende mechanische Stabilität zu erzielen, gibt der Fachperson im Lichte des oben geschilderten allgemeinen Fachwissens, den eindeutigen Hinweis, vernetzte Produkte mit weniger flexiblen Polymerketten zu verwenden, sollte zuerst keine vernetzte Zusammensetzung mit einer Tg größer als 60°C erhalten werden. Dies bedeutet für die Fachperson lediglich kürzere Polymerketten zwischen den Vernetzungspunkten zu verwenden, was für die Fachperson offensichtlich mit Polyolen und/oder Polyisocyanaten höherer Funktionalität oder niedrigerer Molmasse zu bewerkstelligen ist.
Dies wird des Weiteren durch die in D16 durchgeführten Versuche belegt. Während die von der Prüfungsabteilung herangezogene vernetzte Zusammensetzung aus der Tabelle 3 "700T/0.01DBTDL/MDI" (Seite 299) eine Tg von 24°C aufweist, wird durch die bloße Reduzierung der Molmasse der Triolkomponente eine höhere Tg der vernetzten Zusammensetzung erreicht (alle anderen Bedingungen bleiben unverändert; Seite 294, Tabelle 1; Seite 299, erster Absatz des Abschnitts "Dynamic mechanical behaviour"; Tabelle 3, Zusammensetzungen "450T/0.01DBTDL/MDI" und "255T/0.01DBTDL/MDI" mit einer Tg von 71°C bzw. 97°C).
Unter diesen Umständen ist die Kammer davon überzeugt, dass die Fachperson mit wenigen Versuchen in der Lage ist, die Tg des vernetzten Polymers auf einen Wert über 60°C einzustellen.
4.3 Hinsichtlich des weiteren funktionellen Merkmals, dass der E-Modul der vernetzen Zusammensetzung gemessen nach DIN ISO 527 bei Temperaturen zwischen -10°C und +70°C größer als 1000 MPa ist, ist anzumerken, dass der E-Modul nach allgemeinem Fachwissen ein Maß für die Steifigkeit oder Festigkeit eines Werkstoffs ist. Vor diesem Hintergrund wird es im letzten Absatz auf Seite 11 der Anmeldung definiert, dass der bei Temperaturen zwischen -10°C und + 70°C gemessene E-Modul größer 1000 MPa die Strukturstabilität der vernetzten Zusammensetzung ausdrückt, d.h. eine mechanische Stabilität, die, wie oben im Zusammenhang mit dem anderen funktionellen Merkmal des Anspruchs 1 ausgeführt, auch mit einer ausreichenden Vernetzungsdichte erreicht werden kann. Folglich hat die Kammer im vorliegenden Fall keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Fachperson in der Lage ist, ein Verfahren gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 bereitzustellen, bei dem auch dieses zweite funktionelle Merkmal des Anspruchs 1 erfüllt ist.
4.4 In Ermangelung weiterer Argumente der Prüfungsabteilung, warum das Verfahren gemäß vorliegendem Hauptantrag nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass eine Fachperson es ausführen kann, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des vorliegenden Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfüllt.
Neuheit
5. In Punkt 2.2.2 der Entscheidungsgründe in G 1/03 und in Punkt 4.6 der Entscheidungsgründe in G 2/10 wurde betont, dass das europäische Patentsystem in sich geschlossen sein muss und für die Zwecke der Artikel 54, 87 und 123 EPÜ dasselbe Offenbarungskonzept zugrundezulegen ist. Demnach gilt als offenbart, was die Fachperson unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des herangezogenen Stands der Technik - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (siehe G 2/10, Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe).
Die Einspruchsabteilung befand, dass die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 gegenüber jeder der Entgegenhaltungen D6, D9 und D10 nicht gegeben ist.
Der vorliegende Hauptantrag unterscheidet sich von diesem Hilfsantrag 1 lediglich darin, dass der Anspruch 1 zusätzlich verlangt, dass die vernetzte Zusammensetzung eine Glasübergangstemperatur Tg über 60 °C, gemessen mit DSC, DIN 11357, aufweist.
Als Vorbemerkung zur Analyse der Neuheit ist festzustellen, dass mit den Merkmalen (4-1) (durch Einspritzen unter Druck) oder (4-2) (mittels Infusionsverfahren) zwei Alternativen des beanspruchten Verfahrens definiert werden.
Neuheit gegenüber D6
6. Die Prüfungsabteilung ist der Ansicht, dass die in den Beispielen der D6 beschriebenen Zwei-Komponenten-Zusammensetzungen (Seite 17) im Hinblick auf die Passage auf der Seite 1, Zeilen 1-4 der D6 als Zwei-Komponenten-PU-Systeme für Infusionssysteme zum Verkleben von Faserwerkstoffen zu verstehen sind.
Die Kammer kann dem zustimmen, soweit das Beispiel 3 betroffen ist, da andere Verwendungen dieser Zwei-Komponenten-Zusammensetzungen nicht beschrieben werden.
Da die übrigen Beispiele 1 und 2 Vergleichsbeispiele darstellen und damit keine Ausführungsform der Erfindung gemäß D6 darstellen, wird ihre Offenbarung von der Fachperson nicht mit der allgemeinen Lehre der D6 in Verbindung gebracht, insbesondere nicht mit der Passage auf Seite 1, Zeilen 1-4.
6.1 Beispiel 3 der D6 betrifft ein Infusionsverfahren (4-2) gemäß der allgemeinen Lehre der D6 (Seite 1, erster Absatz). In der D6 wird ferner beschrieben, dass die Aushärtung der Zusammensetzung vorzugsweise durch Erwärmung der gesamten Form auf Temperaturen von bis zu 80°C erfolgt (Seite 15, zweiter vollständiger Absatz), entsprechend Merkmal (6).
Für das Beispiel 3 der D6 (Seite 17) werden ein Polyethertriol mit einem Molekulargewicht von 260 und 2,2'-MDI in einem NCO:OH-Verhältnis von 1,1:1,0 (entsprechend den Merkmalen (4-4-1), (4-4-2) und (4-7)) in einem schnelllaufenden Rührer gemischt. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass auch die Merkmale (4-4) und (4-5) erfüllt sind. Diese Zusammensetzung enthält des Weiteren keine Additive, entsprechend Merkmal (4-6).
Die Dispergierung der Zwei-Komponenten-Zusammensetzung infolge des schnellen Rührens ist naturgemäß auf die Unverträglichkeit der zwei eingesetzten Komponenten zurückzuführen. Da die chemische Beschaffenheit der im Beispiel 3 der D6 verwendeten Komponenten derjenigen der im Beispiel der vorliegenden Anmeldung verwendeten Komponenten ähnelt, und beide Zwei-Komponenten-Zusammensetzungen unter schnellem Rühren hergestellt werden, gibt es nach Ansicht der Kammer keinen Anlass zum Schluss zu kommen, dass die Zwei-Komponenten-Zusammensetzung des Beispiels 3 der D6 nicht als Dispersion vorliegt.
Es ist in dieser Hinsicht anzumerken, dass einer unspezifischen Definition in einem Anspruch die weiteste technisch sinnvolle Bedeutung zuzuweisen ist (RBK, I.C.4.1). Der Begriff Dispersion drückt lediglich aus, dass die zwei Komponenten ineinander dispergiert sind, d.h. ohne Angabe der Größe der dispergierten Phase.
Für die Fachperson ist auch eindeutig, dass die zwei-Komponenten-PU-Zusammensetzung, wie sie im Beispiel der D6 hergestellt wird, nach dem Infusionsverfahren (4-2) gemäß der Lehre der D6 zu verwenden ist. Somit offenbart die D6 ebenfalls Merkmale (4-3) und (4-9).
Für das Beispiel 3 der D6 wird darüber hinaus offenbart, dass die Startviskosität bei 55°C 60-65 mPas beträgt. Die Feststellung der Prüfungsabteilung, dass eine Viskosität von 100 bis 1000 mPas gemessen bei einer Temperatur von 25°C kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Beispiel 3 von D6 darstellt, wurde nicht bestritten. Das Merkmal (4-8) ist daher ebenfalls als erfüllt anzusehen.
Folglich, offenbart das Beispiel 3 der Entgegenhaltung D6 unmittelbar und eindeutig ein Verfahren gemäß der Alternative (4-2) mit den Merkmalen (1) bis (4), (4-3), (4-4), (4-4-1), (4-4-2), (4-5), (4-6), (4-7), (4-8), (4-9) und (6).
6.2 Unter Bezugnahme auf die Passage auf Seite 12, Zeilen 14-16, der D4, argumentiert die Prüfungsabteilung (Punkt 2.3.2.1 der Entscheidungsgründe), dass eine Menge an Fasermaterialien von mindestens 60 Volumenprozent gemäß Merkmal (5) eine übliche Maßnahme sei, die mit keinem Effekt verbunden sei. Diese Erwägungen, die die Frage der erfinderischen Tätigkeit betreffen, sind für die Prüfung der Neuheit des beanspruchten Verfahrens gegenüber der D6 unerheblich. D6 selbst beschreibt keine Menge an Fasermaterial und die zitierte Passage aus D4 betrifft ein Beispiel einer Patentanmeldung, das als solche nicht belegen kann, welche Menge an Glasfasern die Fachperson nach allgemeinem Fachwissen zwangsläufig verwenden würde. Das Gleiche gilt für die Verwendung einer Entgasung unmittelbar nach dem Mischen gemäß Merkmal (7), die von der Prüfungsabteilung als trivial angesehen wurde (Punkt 2.3.2.2 der Entscheidungsgründe), aber in D6 nicht beschrieben wird und nicht notwendigerweise von der Fachperson verwendet wird.
6.3 Bereits aus den Gründen, dass die Merkmale (5) und (7) der D6 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen sind, ist die Neuheit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags anzuerkennen.
6.4 Diese Schlussfolgerung ist unabhängig davon, ob die Merkmale (8) und (9) durch die Zusammensetzung im Beispiel 3 der D6 erfüllt werden. Sollte es für die Frage der erfinderischen Tätigkeit relevant sein, wird der Vollständigkeit halber zu den Merkmalen (8) und (9) Folgendes angemerkt:
6.4.1 Die von der Prüfungsabteilung zitierte Rechtsprechung (T 1764/06, T 1920/09 und T 1995/15) betrifft Produkte, bei denen angesichts der im zitierten Stand der Technik beschriebenen Merkmale und Herstellungsverfahren, kein Unterscheidungsmerkmal des beanspruchten Produkts nachvollziehbar ist, und der einzig mögliche Unterschied in der Definition eines unüblichen Parameters liegt, so dass es dem Anmelder obliegt, nachzuweisen, dass das unübliche Parameter die Neuheit begründen kann (T 1764/06, Punkte 2.8 bis 2.10 der Entscheidungsgründen; T 1920/09, Punkte 3.4 und 3.6 der Entscheidungsgründen und T 1995/15, Punkte 1.1.4 und 1.1.5 der Entscheidungsgründen).
6.4.2 Ungeachtet der Frage, ob es sich bei der Tg und dem E-Modul um übliche Parameter zur Charakterisierung von Polymeren handelt, was die Kammer bejaht, ist die Frage zu beantworten, ob angesichts der Lehre der herangezogenen Entgegenhaltungen anzunehmen ist, dass diese Parameter die Neuheit begründen können, sodass die Beweislast bei der Anmelderin liegt.
6.4.3 Die in D16 erhaltene vernetzte Zusammensetzung "255T/0.01DBTDL/MDI" (Seite 299, Tabelle 3) betrifft ein Reaktionsprodukt einer modifizierten MDI-Komponente (Funktionalität von 2,15) mit einem Triol mit einem Molekulargewicht von 255 g (Seite 294, Tabelle 1) unter Verwendung einer stöchiometrischen Menge MDI. Die Tg dieser vernetzten Zusammensetzung beträgt 97°C. Eine weitere vernetzte Zusammensetzung "450T/0.01DBTDL/MDI" (Seite 299, Tabelle 3), die mit einem Triol mit einem höheren Molekulargewicht von 436 g (Seite 294, Tabelle 1) erhalten wird, weist eine niedrigere Tg von 71°C auf. Im Hinblick auf diese in D16 offenbarten Daten und die Lehre der Anmeldung, wonach die Tg über die Auswahl der Polyol- oder Polyisocyanat-Komponenten oder die Vernetzungsdichte beeinflusst werden kann (siehe Punkt 4.2 oben), hält es die Kammer für glaubhaft, dass die in Beispiel 3 der D6 beschriebene Zusammensetzung, die eine ähnliche Zusammensetzung mit einer 2,2'-MDI-Komponente und einem Triol mit einem Molekulargewicht von 260 betrifft, zwangsläufig zu einer Tg der vernetzten Zusammensetzung führt, die im beanspruchten Bereich von über 60°C liegt.
6.4.4 Da die Überlegungen der Kammer zur Erzielung eines E-Moduls der vernetzen Zusammensetzung größer als 1000 MPa gemessen nach DIN ISO 527 bei Temperaturen zwischen -10°C und +70°C, ebenso wie zur Erzielung der geforderten Tg auf das Vorhandensein einer ausreichenden Vernetzungsdichte abstellen (Punkt 4.2 oben), hat die Kammer auch keinen Grund zu der Annahme, dass die in Beispiel 3 beschriebene vernetzte Zusammensetzung einen E-Modul außerhalb des beanspruchten Bereichs aufweist.
6.4.5 Im Ermangelung von Gegenbeweisen, stellen die Merkmale (8) und (9) daher kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D6 dar. Sollte die Anmelderin stichhaltige Gründe oder Gegenbeweise dafür vorbringen, dass die Merkmale (8) und (9) Unterscheidungsmerkmale des beanspruchten Verfahrens gegenüber dem Beispiel 3 in D6 darstellen, so würde dies eine Änderung des Tatbestands darstellen, sodass die Prüfungsabteilung nicht mehr an die Beurteilung der Kammer in Bezug auf die Erfüllung der zwei Merkmale für die Analyse der erfinderischen Tätigkeit, aber auch in Bezug auf die Ausführbarkeit der vorliegenden Erfindung hinsichtlich des Erreichens der Merkmale (8) und (9) gebunden wäre.
Neuheit gegenüber D9
7. Unstreitig betrifft D9 kein Infusionsverfahren gemäß Merkmal (4-2), sondern ein RTM Verfahren (Spalte 1, Zeilen 40-54 und Anspruch 1), d.h. ein Verfahren mit Einspritzen unter Druck gemäß Variante (4-1) des vorliegenden Anspruchs 1 (Anmeldung, Seite 13, zweiter voller Absatz).
Der Neuheitseinwand der Prüfungsabteilung stützt sich auf (i) das Beispiel 4 dieser Entgegenhaltung, das ein Verfahren beschreibt, bei dem nur 20 Gew.-% Glasfasern verwendet werden, und (ii) die Angabe in der Spalte 3, Zeilen 29-32 dieser Entgegenhaltung, dass Fasermaterial in einer Menge von bis zu 70 Gew.-% verwendet werden kann. Diese Menge bezieht sich auf das gesamte Produkt, wie es dem Anspruch 1 der D9 zu entnehmen ist.
7.1 Dieser Einwand überzeugt nicht, da die D9 nicht beschreibt oder nicht einmal suggeriert, dass das Beispiel 4 der D9 mit einer anderen Menge an Glasfasern zu wiederholen ist, insbesondere weil dieses Beispiel auf Grund der Verwendung einer nicht erfindungsgemäßen Polyolkomponente als Vergleichsbeispiel gekennzeichnet ist (Tabelle 1 und Spalte 14, Zeilen 41-45), womit es für die Fachperson keinen Anlass gibt, die Offenbarung dieses Vergleichsbeispiels mit der Lehre des Streitpatents in Verbindung zu bringen.
Darüber hinaus betreffen die Beispiele 1 bis 8 der D9, einschließlich des Vergleichsbeispiels 4, Hand-gegossene Polyurethane (Spalte 14, Zeile 30), im Gegensatz zu den Beispielen 10 bis 15 dieser Entgegenhaltung, für die ein RTM Verfahren verwendet wird. Während die Fachperson in Anbetracht der allgemeinen Lehre der D9 verstehen würde, dass die erfindungsgemäßen Zwei Komponenten-Zusammensetzungen der D9 für ein RTM-Verfahren zu verwenden sind, gilt dies nicht für die Zusammensetzung des Beispiels 4 der D9, das ein Vergleichsbeispiel darstellt und daher, wie oben erwähnt, von der Fachperson nicht im Lichte der allgemeinen Lehre der D9 gelesen wird.
Nicht überzeugend ist auch der Hinweis der Prüfungsabteilung, dass eine Menge von bis zu 70 Gew.-%, wie sie in D9, Spalte 3, Zeilen 29-32, angegeben ist, bezogen auf Polyurethan, einem Anteil von mindestens 60 Volumenprozent für Glasfasern entsprechen dürfte. Diese Einschätzung der Prüfungsabteilung, die die jeweiligen Dichten von Mineralfasern wie Glasfasern und ungeschäumtem PU nicht berücksichtigt, ist unbegründet. Glasfasern besitzen bekannterweise eine etwa doppelt so hohe Dichte wie ungeschäumtes PU. Daher kann eine Menge von bis zu 70 Gew.-% Glasfasern nicht einer Menge von mindestens 60 Volumenprozent entsprechen.
Der Einwand der Prüfungsabteilung, der sich auf die Polyolkomponente des Vergleichsbeispiels 4 der D9 stützt, kann somit auch nicht zeigen, dass D9 eine Kombination der Merkmale (4-4), (4-4-1) und (4-4-2) mit dem Merkmal (5) oder mit einem der Merkmale (4-1) oder (4-2) offenbart.
7.2 Zudem wird weder im Beispiel 4 der D9 noch in den übrigen Passagen der D9 etwas zur Viskosität der Mischung oder zu deren Entgasung, geschweige denn unmittelbar nach dem Mischen, angegeben, sodass auch die Merkmale (4-8) und (7) in der D9 nicht offenbart sind.
7.3 Bezüglich der Tg der vernetzten Zusammensetzung gemäß Beispiel 4 ist aufgrund der Anteile und der Art der in diesem Beispiel verwendeten Diole (Funktionalität und Molekulargewicht) außerdem fraglich, ob die resultierende Vernetzungsdichte ausreichend ist, um zwangsläufig zu einer Tg der vernetzten Zusammensetzung von über 60 °C zu führen.
7.4 Aus den vorstehenden Gründen ist der Einwand der Prüfungsabteilung hinsichtlich einer mangelnden Neuheit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 gegenüber D9 nicht überzeugend.
Neuheit gegenüber D10
8. Ähnlich wie der Einwand der Prüfungsabteilung in Bezug auf eine fehlende Neuheit gegenüber D6 und D9 stützt sich die Feststellung der Prüfungsabteilung hinsichtlich der angeblich mangelnden Neuheit des beanspruchten Verfahrens gegenüber D10 auf eine Kombination einzelner Passagen dieser Entgegenhaltung, die die Fachperson in Kombination lesen soll, nämlich Beispiel 3 im Lichte der Angaben über (i) die Viskosität der Polyole in Absatz [0027] und (ii) die Menge an Fasermaterial in Absatz [0052].
Auch dieser Einwand kann die Kammer aus folgenden Gründen nicht überzeugen.
8.1 Die in D10 beschriebene Erfindung betrifft Verbundwerkstoffstrukturen, die durch Aufsprühen mehrerer Polyurethanschichten auf eine Form oder ein Substrat (vgl. Ansprüche 1 bis 22) oder durch ein RTM Verfahren (Ansprüche 23 bis 25), entsprechend einer Ausführungsform der Variante (4-1) des vorliegenden Anspruchs 1, hergestellt werden. D10 offenbart kein Verfahren gemäß der Variante (4-2) des vorliegenden Anspruchs 1.
8.2 Bei beiden in D10 beschriebenen Verfahren und den daraus resultierenden Verbundwerkstoffstrukturen wird ein Gesamtgehalt an teilchenförmigem Füllstoff im Polyurethansystem von mindestens 20 Gew.-% verwendet. Dies gilt für das Beispiel 3 der D10, das eine Zwei-Komponenten-Polyurethan-Zusammensetzung beschreibt, die 38,43 Gew.-% Füllstoff ohne Glas enthält, wobei der Füllstoff Aluminiumoxid-Trihydrat (ATH) ist (D10, Seite 10, Absatz [0086]) und somit kein Fasermaterial darstellt. Das Beispiel 3 der D10 kann daher, selbst wenn die Fachperson es zusammen mit den oben genannten Passagen der D10 lesen würde, was die Kammer verneint, die Neuheit des beanspruchten Verfahrens, das eine Menge an Additiven von maximal 15 Gew.-% zulässt (Merkmal 4-6), nicht vorwegnehmen.
8.3 Außerdem wird die Zusammensetzung des Beispiels 3 gesprüht, aber nicht gemäß der in der D10 beschriebenen Variante des RTM Verfahrens verwendet. Des Weiteren, werden der Zusammensetzung des Beispiels 3 der D10 vor dem Sprühen lediglich 21 Gew.-% gehackten Glasfasern zugesetzt (Absatz [0074]; Seite 11, Tabelle 1; Absatz [0090], Zeilen 8-10), sodass das Merkmal des vorliegenden Anspruchs 1, wonach ein Mindestanteil an Fasermaterialien von mehr als 60 Volumen% erforderlich ist (Merkmal (5)), für Beispiel 3 nicht erfüllt ist.
8.4 Es ist des Weiteren festzustellen, dass der von der Prüfungsabteilung herangezogene Absatz [0052] der D10, der die allgemeine Lehre der D10 hinsichtlich der Menge an Glasfasern oder anderen Fasermaterialien betrifft, und von der Fachperson in Zusammenhang mit dem Beispiel 3 der D10 betrachtet werden soll, ein Mindestanteil an Fasermaterialien von mehr als 60 Volumen% nicht offenbart. Merkmal (5) ist daher der allgemeiner Lehre der D10 nicht zu entnehmen.
8.5 Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass das einzige Beispiel der D10, das ein RTM Verfahren betrifft, das Beispiel 7 ist (Absatz [0091]), in dem die Zusammensetzung des Beispiels 6 mit einer Füllstoffmenge von 45,86 Gew.-% ohne Fasern, verwendet wird (Absätze [0089] und [0091]). Die Glasfaserverstärkung beträgt nur 20 Gew.-% des hergestellten Faserverbundwerkstoffs (Absatz [0091]). Das Beispiel 7 erfüllt somit ebenfalls nicht die Merkmale (4-6) und (5) des vorliegenden Anspruchs 1.
8.6 Das Argument der Prüfungsabteilung, dass die Viskosität der Polyole gemäß Absatz [0027] der D10 bevorzugt niedrig ist, ist nicht stichhaltig, da die im vorliegenden Anspruch 1 definierte Viskosität die der einzusetzenden Zusammensetzung ist. Gemäß Absatz [0027] der D10 kann diese für ein RTM Verfahren bis zu 40.000 cps (mPas), vorzugsweise bis zu 20.000 cps (mPas) und besonders bevorzugt bis zu 10.000 cps (mPas) betragen. Die Verwendung einer Viskosität von 100 bis 1000 mPas (EN ISO 2555, Brookfield Viskosimeter, 25°C) für die zu vernetzende Zusammensetzung (Merkmal 4-8) in Zusammenhang mit einem Verfahren gemäß Merkmal 4-1 ist in der D10 daher nicht offenbart. Eine Erwärmung der Form wird in D10 lediglich als optional dargestellt (Absatz [0037], letzter Satz). Somit ist das Merkmal (6) im Zusammenhang mit Beispiel 3 der D10 nicht zwingend offenbart. Eine Entgasung unmittelbar nach dem Mischen gemäß Merkmal (7) ist der D10 ebenfalls nicht zu entnehmen.
8.7 In Anbetracht der vorstehenden Analyse überzeugt der Einwand der Prüfungsabteilung hinsichtlich der fehlenden Neuheit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 gegenüber D10 nicht.
9. Aus den oben angeführten Gründe kommt die Kammer zu der Schlussfolgerung, dass der Gegenstand des Hauptantrags gegenüber jeder der Entgegenhaltungen D6, D9 und D10 neu ist. Da die Prüfungsabteilung keine weiteren Einwände bezüglich der mangelnden Neuheit des Gegenstands des Hilfsantrags 1 erhoben hat, und, weil der Gegenstand des Hauptantrags von dem des Hilfsantrags 1 umfasst ist, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ erfüllt.
Zurückverweisung (Artikel 111 (1) EPÜ und Artikel 11 VOBK)
10. Artikel 11 VOBK sieht vor, dass die Kammer einen Fall nur dann zur weiteren Verfolgung zurückverweist, wenn besondere Gründe dafür vorliegen. Diese Bestimmung ist jedoch in Verbindung mit dem Grundsatz zu sehen, dass der Hauptzweck des Beschwerdeverfahrens darin besteht, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12 (2) VOBK).
Die Frage der erfinderischen Tätigkeit wurde für keinen der vorliegenden Anträge von der Prüfungsabteilung entschieden oder in der mündlichen Verhandlung erörtert.
Daher hält es die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ in Verbindung mit Artikel 11 VOBK im vorliegenden Fall für angebracht, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.