T 1545/23 07-11-2024
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HALTEVORRICHTUNG FÜR EIN KRAFTFAHRZEUG
Stoneridge Electronics AB
Motherson Innovations Company Limited
Zulässigkeit der Beschwerde - Ausreichende Begründung (JA)
Zulassung einer erst mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumentationslinie (JA)
Deutliche und vollständige Offenbarung der Erfindung (NEIN)
I. Die Beschwerden der beiden Einsprechenden und der Patentinhaberin richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 3 476 654 in geändertem Umfang.
II. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, dass die Erfindung so vollständig und deutlich offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
III. Am 7. November 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in Präsenz statt.
Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage des Hauptantrags, hilfsweise auf Grundlage eines der Hilfsanträge I, II, IV, V und VI jeweils vorgelegt mit ihrer Beschwerdeerwiderung vom 28. März 2024, weiter hilfsweise auf Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge I, II, IV, V und VI vorgelegt mit ihrer Beschwerdebegründung vom
3. November 2023.
Die Beschwerdeführerin-Einsprechende 1 und die Beschwerdeführerin-Einsprechende 2 beantragten beide die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt, die Merkmale, die in der Entscheidung eine wesentliche Rolle spielen, sind fettgedruckt, die Merkmalsgliederung erfolgt wo notwendig in eckigen Klammern:
Haltevorrichtung (50) für ein Fahrzeug (1), enthaltend
ein erstes Element (51), welches an dem Fahrzeug (1) anbringbar ist,
ein zweites Element (52), welches mit dem ersten Element (51) über einen Lagermechanismus beweglich verbunden ist,
eine Bilderfassungseinheit (10, 10A, 10B), die an dem zweiten Element (52) angebracht ist und angepasst ist, dass sie einen Erfassungsbereich um das Fahrzeug (1) herum erfasst, und
eine Signaleinheit (20, 20A, 20B), die angepasst ist, die Position des ersten Elements (51) relativ zu dem zweiten Element (52) zu ermitteln;
wobei die Signaleinheit (20, 20A, 20B) aufweist:
eine Signaleinrichtung (22), die angepasst ist, ein Signal auszugeben, und
einen Signalgeber (21), der angepasst ist, dass er die Signaleinrichtung (22) abhängig von einer Stellung des ersten Elements (51) zu dem zweiten Element (52) derart betätigt, dass sie das Signal (S) an den Fahrer ausgibt,
[M1.6] wobei die Stellung des ersten Elements (51) zu dem zweiten Element (52) eine Betriebsstellung umfasst,
in der die Bilderfassungseinheit (10, 10A, 10B) einen definierten Erfassungsbereich erfasst,
[M1.7] so dass der Fahrzeugführer anhand des Signals erkennen kann, ob er den definierten Erfassungsbereich sieht oder nicht,
[M1.8.1] wobei die Signaleinrichtung (22) ein Signal (S) ausgibt, wenn sich das erste Element (51) und das zweite Element (52) in der Betriebsstellung befinden, und/oder
[M1.8.2] wobei die Signaleinrichtung (22) ein Signal (S) ausgibt, wenn sich das erste Element (51) und das zweite Element (52) nicht in der Betriebsstellung befinden,
wobei die Signaleinrichtung (22) das Signal (S) bei einer fest definierten Stellung zwischen dem ersten Element (51) und dem zweiten Element (52) ausgibt,
die wenigstens einen definierten Bewegungsbereich zwischen einer Position des ersten Elements (51) zu einer Position des zweiten Elements (52) aufweist,
und wobei die Bilderfassungseinheit (10, 10A, 10B) eine Kameraeinrichtung und/oder eine Sensoreinrichtung ist.
V. Die Argumente der Einsprechenden 1 und 2, soweit wesentlich für die Entscheidung, sind die folgenden:
Die Beschwerde sei vollständig und ausreichend begründet. Hierbei werde im Einzelnen auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingegangen.
Die zu den Merkmalen M1.8.1 und 1.8.2 vorgebrachte Argumentationslinie in Bezug auf eine unzureichende Offenbarung sei schon im Verfahren vor der Einspruchsabteilung dargetan worden. Diese sei im Beschwerdeverfahren nur konkretisiert und weiterentwickelt worden, und stelle somit kein neues Vorbringen dar.
Die Ausführbarkeit der Erfindung sei nicht gegeben, insofern, als dass es erhebliche Offenbarungsmängel gebe, die der Fachmann auch nicht mit seinem Fachwissen auflösen könne. So sei für die Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 nicht offenbart, wie die Position des ersten Elements zu erfassen sei; dies sei aber erheblich, da sonst die gestellte Aufgabe, nämlich zu signalisieren, ob der gesetzlich vorgeschriebene Erfassungsbereich dargestellt werde - oder nicht - nicht gelöst werden könne. Die gesamte einleitende Beschreibung ziele auf ein Spiegelersatzsystem ab, ohne eine Festlegung darauf, dass ein erstes Element derart starr mit dem Fahrzeug zu verbinden sei, dass es bei der Betrachtung des Erfassungsbereichs unberücksichtigt bleiben könne. Der zitierte Stand der Technik erwähne explizit auch Systeme, in denen das erste Element nicht starr mit dem Fahrzeug verbunden sei.
Daher gehe der Fachmann davon aus, dass er das Gesamtsystem aus erstem und zweitem Element zu betrachten habe, wenn er den Anspruch lese.
Hierbei sei eben nicht offenbart, wie die Erfassung der Betriebsstellung für das erste Element zu geschehen habe. Dies sei aber eine Voraussetzung für die Ausführung der Erfindung, da gemäß der Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 die Betriebsstellungen der Elemente 1 und 2 miteinander verknüpft würden ("UND") und abhängig vom Ergebnis ein Signal ausgegeben werde.
Des weiteren sei nicht offenbart, wie Merkmal 1.8.2 alleine ("oder" zwischen 1.8.1 und 1.8.2) zur Lösung der Aufgabe betragen könne. Gemäß dieser Definition werde (erst) dann ein Signal ausgegeben, wenn sich beide Elemente nicht in der Betriebsstellung befänden. Der Fahrer aber sehe schon dann den Erfassungsbereich nicht, wenn nur eines der Elemente, Element 1 oder Element 2, nicht in Betriebsstellung sei. Es sei somit nicht nachvollziehbar, warum beide Elemente nicht in der Betriebsstellung sein müssen, damit ein Signal ausgegeben werde.
Auch sei der Interpretation der Patentinhaberin nicht zu folgen, nämlich dass die strittigen Merkmale im Kontext zu verstehen seien, wie sie in Merkmal 1.6 und 1.7 definiert seien, nämlich dass es auf eine Relativstellung der beiden Elemente zueinander ankäme.
Erstens stehe das explizit so nicht im Anspruch; zum anderen werfe dies insofern Probleme mit dem Schutzumfang des Anspruchs auf, als dass unklar sei, was genau eigentlich unter Schutz stehe.
VI. Die Patentinhaberin antwortet auf die Einwände wie folgt:
Die Beschwerde der Einsprechenden 2 sei unzulässig. Sie argumentiere immer wieder mit Verweis auf den druckschriftlichen Stand der Technik ohne Angaben von Textpassagen. Außerdem setze sich die Einsprechende 2 nicht angemessen mit der angefochtenen Entscheidung auseinander.
Das Vorbringen der Einsprechenden 2 zu den Merkmalen 1.8.1 und 1.8.2 sei verspätet, da es erst mit der Beschwerdebegründung vorgebracht worden sei und nicht - wie gefordert - bereits im Einspruchsverfahren vorgetragen wurde.
Außerdem sei diese neue Argumentationslinie nicht als solche kenntlich gemacht. Insofern sei dieses Vorbringen nicht in das Verfahren zuzulassen.
Der Anspruch definiere klar in den Merkmalen 1.6 und 1.7, dass die Betriebsstellung durch die Elemente 1 und 2 relativ zueinander definiert werde. Dies sei auch sinnvoll, da die Erfindung auf eine Haltevorrichtung abstelle, bei der das Fahrzeug nicht enthalten sei.
So würde der Fachmann mit dem Willen, den Anspruch zu verstehen, auch die strittigen Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 lesen.
Letztlich sei dies auch durch die Beschreibung gestützt. An keiner Stelle sei erwähnt, dass sich das erste Element bewegen könne und somit könne im Zusammenhang mit den strittigen Merkmalen immer nur eine Bewegung des Elements 2 gemeint sein, wobei die Betriebsstellung - wie definiert in M1.6 - die Relativposition zwischen beiden Elementen sein.
Sollte sich das erste Element, welches starr am Fahrzeug angebracht sei, etwa durch einen Unfall verstellen, würde dies der Fahrer sowieso sofort merken, so dass hier überhaupt keine Notwendigkeit bestehe, eine Stellung des ersten Elements zu überwachen.
1. Die Beschwerde ist zulässig, Regel 99 (2) EPÜ.
Die Patentinhaberin beanstandet, dass sich die Beschwerdebegründung der Einsprechenden 2 nicht mit der Entscheidung der Einspruchsabteilung auseinander gesetzt habe.
Dem folgt die Kammer nicht. So hat die Einsprechende in der Beschwerdebegründung die Entscheidung aufgegriffen, diskutiert und dargelegt, warum sie die Entscheidung für falsch hält.
Zur beanstandeten unzulässigen Erweiterung ist dies geschehen auf der Seite 5, 2. Absatz.
Damit ist mindestens ein Grund für die Beschwerde ausreichend dargetan.
Die Kammer merkt an, dass eine Beschwerdebegründung nicht per se inhaltlich überzeugend sein muss, um die Beschwerde als gültig eingelegt anzusehen. Um den Erfordernissen der Regel 99(2) EPÜ zu genügen, muss die in der Beschwerdebegründung vorgetragene Argumentation für die Kammer und die anderen Beteiligten im wesentlichen nachvollziehbar sein.
Ob sie die Kammer überzeugt, ist Teil der inhaltlichen Bewertung, nicht aber eine Frage der Zulässigkeit der Beschwerde.
2. Die Einwände der Einsprechenden 2 in Bezug auf einen weiteren Offenbarungsmangel im Zusammenhang mit den Merkmalen 1.8.1 und 1.8.2 werden in das Verfahren zugelassen, Artikel 12 (4) VOBK. Insofern kann dahinstehen, ob der mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 2 vorgebrachte Mangel tatsächlich eine Konkretisierung des bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung Vorgetragenen darstellt, wie es die Einsprechende 2 behauptet.
2.1 Die Einsprechende 2 hat mit der Beschwerdebegründung dargelegt, dass sich gemäß der Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 beide Elemente 1 und 2 in der Betriebsstellung befinden müssen, um ein Signal auszugeben (M 1.8.1), bzw. dass sich keines der beiden Elemente sich in der Betriebsstellung befinden dürfe, damit ein Signal (1.8.2) ausgegeben werde, und dass sich daraus ein Mangel an Ausführbarkeit aufgrund von Offenbarungslücken ergebe, insbesondere dadurch, dass nicht offenbart sei, wie die Betriebsstellung des Elements 1 überhaupt erfasst werde, da die Beschreibung nur eine Betriebsstellung erkläre, die sich aus der Stellung der Elemente 1 und 2 zueinander ergebe, also relativ sei (Kapitel C.1 beginnend auf Seite 12).
Diesem Einwand ist die Patentinhaberin in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 28. März 2024 inhaltlich begegnet (Kapitel 2.4.1 beginnend auf Seite 14).
In dem Bescheid nach Artikel 15 (1) VOBK hat die Kammer die Argumente der Parteien aufgegriffen und hierzu eine vorläufige Auffassung geäußert (Punkt 4).
Mit einer Reaktion auf diesen Bescheid hat die Patentinhaberin das Vorbringen der Einsprechenden 2 als verspätet vorgetragen moniert, und argumentiert, dass es erst mit der Beschwerdebegründung erstmals vorgebracht worden sei.
2.2 Dazu stellt die Kammer zunächst fest, dass der Einwand der Patentinhaberin hinsichtlich des verspäteten Vorbringens erstmals nach dem Bescheid der Kammer stattgefunden hat und damit nach Artikel 13 (2) VOBK grundsätzlich unberücksichtigt bleibt, da stichhaltige Gründe für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände von der Patentinhaberin nicht geltend gemacht werden.
Zum anderen hat sich die Patentinhaberin - bevor die Kammer den Bescheid erlassen hat - rügelos zur Sache eingelassen.
Die Kammer musste somit annehmen, dass die Diskussion zu diesem Punkt im Interesse aller beteiligten Parteien ist.
Da auch die Kammer diesen Punkt als hochrelevant für den Bestand bzw. Nichtbestand des Europäischen Patents angesehen hat, hat dieser Aspekt Niederschlag in der vorläufigen Meinung der Kammer im Bescheid nach Artikel 15 (1) VOBK gefunden.
2.3 Daher lässt sich aus der Tatsache, dass die Einsprechende 2 in ihrer Beschwerdebegründung dieses Vorbringen nicht als Änderung - wie in Artikel 12 (4) 2. Satz gefordert - gekennzeichnet hat, vorliegend kein Grund ableiten, diesen Punkt nicht in das Verfahren zuzulassen. Die Kammer sieht in der benannten Vorschrift eine Ordnungsfunktion, die die reibungslose Abarbeitung des jeweiligen Beschwerdevorbringens ermöglichen soll. Dies ist hier sowieso geschehen.
2.4 Damit macht die Kammer von ihrem in Artikel 12 (4) VOBK eingeräumten Ermessen Gebrauch und lässt den Einwand der Einsprechenden 2 in das Verfahren zu.
3. Die Erfindung ist im Europäischen Patent nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Artikel 83 EPÜ.
Hierbei sieht die Kammer erhebliche Offenbarungslücken in Zusammenhang mit den Merkmalen 1.8.1 und 1.8.2.
Diese Merkmale sind in allen im Verfahren befindlichen Anträgen vorhanden.
3.1 Die Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 beschreiben, dass dann ein Signal ausgegeben wird, wenn sich das erste Element und das zweite Element in der Betriebsstellung befinden (1.8.1) bzw. wenn beide Elemente sich nicht in der Betriebsstellung befinden (1.8.2). Strittig ist hierbei, ob durch diese Formulierung definiert wird, dass beide Elemente voneinander unabhängig sind und sich damit (beide) in ihrer jeweiligen Betriebsstellung befinden müssen (1.8.1), bzw. nicht in der Betriebsstellung befinden dürfen (1.8.2), damit ein Signal ausgegeben wird, oder ob - so die Patentinhaberin - sich die Definition in M1.8.1 und M1.8.2 nur auf das zweite Element beziehen kann, da in Merkmal 1.6 die relative Stellung der Elemente zueinander die Betriebsstellung definiert.
3.2 Die Kammer stellt fest, dass im Anspruchswortlaut ein Widerspruch zwischen den Merkmalen 1.6 (relative Stellung zwischen ersten und zweitem Element) und den Merkmalen 1.8.1 bzw. 1.8.2 (absolute Position der beiden Elemente) vorliegt, so dass der Anspruch ausgelegt werden muss.
Die Kammer folgt hierbei nicht der Argumentation der Patentinhaberin, wonach die Beschreibung nur ein Verständnis im Sinne des Merkmals 1.6 stütze, da hier aus dem Ausführungsbeispiel eindeutig hervorgehe, dass sich lediglich das Element 2 bewegen könne, da das erste Element fest am Fahrzeug verbaut sei und somit immer und in jedem Fall auch die Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 sich auf eine relative Position der beiden Elemente bezögen; eine unabhängige Bewegung des ersten Elements sei in der Beschreibung nicht vorgesehen.
Bei der Auslegung des Anspruchs stützt sich die Kammer auch auf den allgemeinen Teil der Beschreibung. Dort ist sowohl von Spiegelersatzsystem-Kameras die Rede, die lagefest mit dem Fahrzeug verbunden sind (vgl. Paragraph [0007]), aber auch von Systemen, die komplett geschwenkt oder eingefahren werden können, also Systemen, bei denen das erste Element nicht starr am Fahrzeug befestigt ist (vgl. Paragraph [0009]).
Auch aus der Beschreibung des Problems, das der Erfindung zugrunde liegt (Paragraph [0008]) sowie der Aufgabenstellung (Paragraph [0011]) ist nicht entnehmbar, dass sich die beanspruchte Erfindung nur auf die Betrachtung einer Relativposition zwischen zwei Elementen beziehen soll: in Paragraph [0011] wird beschrieben, dass es Aufgabe sei, dem Fahrzeugführer zu ermöglichen, eine Abweichung zwischen einem - gesetzlich vorgeschriebenen - anzuzeigenden Erfassungsbereich und einem tatsächlich anzeigten Erfassungsbereich zu erkennen.
Da aber für das erste Element keine Festlegung im Anspruch getroffen wird, ob es fest oder beweglich mit dem Fahrzeug zu verbinden ist, und weiter, da für die korrekte Darstellung des anzuzeigenden Erfassungsbereichs es durchaus erheblich ist, ob das erste Element korrekt eingestellt ist, wird der Fachmann die Elemente 1 und 2 beim Studium der Merkmale M 1.8.1 und 1.8.2 so verstehen, wie sie semantisch definiert sind, nämlich mit einer logischen "und"-Verknüpfung verbunden und damit getrennt voneinander: "... das erste Element (51) und das zweite Element (52)... ". Entsprechend muss der Anspruch so gelesen werden, dass sowohl das erste Element, als auch das zweite Element sich beide in einer Betriebsstellung (Merkmal 1.8.1) bzw. einer Nichtbetriebsstellung (Merkmal 1.8.2) befinden müssen, um eine Signalabgabe zu bewirken.
Dass sich das Ausführungsbeispiel auf eine Haltevorrichtung bezieht, deren erstes Element fest mit dem Fahrzeug verbunden ist und die Erfassung dessen Lage nicht beschrieben ist, kann daher die Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 entgegen ihrem Wortlaut nicht einschränken.
3.3 Aus den obigen Ausführungen folgt, dass der Anspruchswortlaut der Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 nur so zu verstehen sein kann, dass die Elemente 1 und 2 hinsichtlich der Frage, ob sie in Betriebsstellung sind, getrennt voneinander zu betrachten sind. Die Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 definieren zur Ausgabe eines Signal eine logische "und"-Verknüpfung beider Elemente 1 und 2.
Daraus ergeben sich die folgenden Offenbarungsmängel für die Erfindung:
- Wie ist die Situation, wenn sich das zweite Element in der Betriebsstellung befindet, das erste Element aber nicht?
- Wie wird die Betriebsstellung des ersten Elements überhaupt erfasst?
- Hat die Betriebsstellung des ersten Elements einen Einfluss auf die Betriebsstellung des zweiten Elements, und wenn ja, welchen ?
- Wie kann der Fahrzeugführer "anhand des Signals erkennen, ob er den definierten Erfassungsbereich" nicht sieht (vgl. Merkmal 1.7)?
Nach Merkmal 1.8.2 wird dieses Signal dann ausgegeben, wenn sich beide Elemente nicht in der Betriebsstellung befinden. Dabei reicht es doch aus, dass sich schon ein Element nicht in der Betriebsstellung befindet, um den definierten Erfassungsbereich nicht zu sehen.
Da diese Fragen mit Hilfe der Patentunterlagen nicht geklärt werden können, deren Beantwortung aber relevant für die Umsetzung der Erfindung ist, liegen im strittigen Patent wesentliche Offenbarungslücken vor, so dass der Fachmann die Erfindung nicht nacharbeiten kann.
3.4 Es ist aber auch festzustellen, dass sich selbst dann ein Mangel an Offenbarung ergäbe, wenn dem Argument der Patentinhaberin, nämlich die strittigen Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 definierten insofern eine Relativstellung, als dass das erste Element immer fest mit dem Fahrzeug verbunden sei und nur das zweite Element beweglich sei, gefolgt würde. Damit bedürfe es einer Betrachtung des ersten Elements nicht, so die Patentinhaberin, denn wenn das erste Element nicht mehr fest mit dem Fahrzeug verbunden wäre oder verstellt sei, etwa aufgrund eines Unfalls, dann würde dies der Fahrer sowieso sofort merken. Somit müsse nur das zweite Element betrachtet werden.
Das aber bedeutet nach Meinung der Kammer, dass sich die in Merkmal 1.6 definierte Relativstellung der Elemente untereinander nur durch die Stellung des zweiten Elements ergibt. Auf jeden Fall ist immer nur die Position des zweiten Elements maßgeblich dafür, ob sich die Haltevorrichtung in der Betriebsstellung befindet oder nicht, denn das erste Element ist ? so die Patentinhaberin - fest.
Diese Sichtweise kann bestenfalls für das Merkmal 1.8.1 eine sinnvolle Auslegung liefern: bei einer festen Verbindung des Elements 1 mit dem Fahrzeug ist dieses immer in der Betriebsstellung während Element 2 beweglich ist. Ein Signal wird folglich ausgegeben, wenn Element 2 gemäß Merkmal 1.8.1 ebenfalls in Betriebsstellung ist.
Indes bei Merkmal 1.8.2 führt dies dazu, dass nie ein Signal ausgegeben wird, da sich Element 1 - da fest mit dem Fahrzeug verbunden - immer in der Betriebsstellung befindet und damit nie der Fall eintritt, dass sich Element 1 und Element 2 (gleichzeitig, so wie es das Merkmal fordert) nicht in der Betriebsstellung befinden. Dieses Merkmal ist bei der von der Patentinhaberin vertretenen Interpretation technisch unmöglich.
Um dem Merkmal 1.8.2 überhaupt einen dem Verständnis der Patentinhaberin entsprechenden technisch sinnvollen Inhalt zu geben, müsste dieses im wesentlichen verstanden werden als "? wenn die Stellung des ersten Elements zum zweiten Element nicht die Betriebsstellung ist?". Dies aber steht nicht nur nicht im strittigen Merkmal, sondern es steht in einem semantischen und technischen Widerspruch zu der vorliegenden Formulierung des Merkmals.
Dieser Widerspruch ist so groß, dass der Fachmann auch mit dem Willen, die Erfindung zu verstehen, nicht weiss, worin genau die Erfindung besteht und wie er sie umsetzen soll, und ob er sich dann bei der gewählten Umsetzung noch im Schutzbereich des Anspruchs befindet oder nicht.
3.5 In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass die im EPÜ verankerte Pflicht, die Erfindung deutlich und vollständig zu offenbaren, es nicht nur dem Fachmann ermöglichen soll die Erfindung nachzuarbeiten. So soll eine vollständige und deutliche Offenbarung dem Fachmann es ihm auch ermöglichen zu erkennen, ob eine bestimmte - womöglich nicht als Ausführungsbeispiel offenbarte - Version unter den Schutz des Patents fällt oder nicht.
Wie oben unter 3.4 dargelegt, wäre das nicht mehr der Fall, wenn man der von der Patentinhaberin vertretenen Interpretation folgen würde, da unklar ist, ob eine Haltevorrichtung mit einem beweglichen ersten Element, bei der die Elemente 1 und 2 getrennt auf ihre Betriebsstellung hin untersucht werden, unter den Schutzbereich des Anspruchs fällt oder nicht.
3.6 Da alle im Verfahren befindlichen Anträge die strittigen Merkmale 1.8.1 und 1.8.2 enthalten, liegt der oben diskutierte Mangel an Offenbarung in allen im Verfahren befindlichen Anträgen vor.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Das Patent wird widerrufen.