T 0615/23 13-03-2025
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VERBINDUNGSANORDNUNG ZUM VERBINDEN EINES BAUTEILS WIE EINER WELLE, NABE, BUCHSE ODER DERGLEICHEN MIT EINEM ZAHNRAD, WOBEI DAS ZAHNRAD EINE SCHRÄGVERZAHNUNG AUFWEIST
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
I. Die Einspruchsabteilung entschied, das Patent in geändertem Umfang, basierend auf dem damals geltenden Hilfsantrag 11 aufrechtzuerhalten.
II. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin 1) beantragte die angefochtenen Entscheidung aufzuheben und das Patent in erteilter Fassung aufrecht zu erhalten (Hauptantrag), oder hilfsweise ein Patent in geändertem Umfang auf Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge aufrecht zu erhalten:
- Hilfsantrag 1 (26. Oktober 2021),
- Hilfsantrag 8 (26. Oktober 2021),
- Hilfsantrag 8A (20. September 2022).
III. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin 2) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Sie beantragte auch Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung für den Fall, dass die erfinderische Tätigkeit des erteilten Anspruchs 1 diskutiert werden müsste, sowie für den Fall, dass die geltend gemachte Vorbenutzung zum Tragen kommen sollte.
IV. Am 13. März 2025 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz vor der Kammer statt.
V. In dieser Entscheidung wird folgendes Beweismittel genannt:
D9 US 2016/017976 A1
VI. Die unabhängigen Ansprüche haben folgenden Wortlaut:
a) Hauptantrag (Anspruch 1 wie erteilt, Merkmalsgliederung hinzugefügt)
M1
"Vorrichtung zum Übertragen einer Drehbewegung, umfassend
M2
- ein drehbares Bauteil (12) und
M3
- ein Zahnrad (14), wobei
M4
- das Zahnrad (14) und das Bauteil (12) mit einer Verbindungsanordnung (16) verbunden sind,
M5
- das Zahnrad (14) eine Schrägverzahnung (26) mit einem auf die Drehachse des Zahnrads (14) bezogenen Zahnschrägungswinkel (ß) und einen ersten Verbindungsabschnitt (18) aufweist und
M6
- das Bauteil (12) einen zweiten Verbindungsabschnitt (20) aufweist, mit welchem das Bauteil (12) mit dem ersten Verbindungsabschnitt (18) verbunden ist, wobei das Bauteil (12) zumindest im zweiten Verbindungsabschnitt (20) zumindest eine mit dem ersten Verbindungsabschnitt (18) in Wirkverbindung stehende Vertiefung (28) oder Erhöhung (28) aufweist, wenn das Bauteil (12) mit dem ersten Verbindungsabschnitt (18) verbunden ist, und
M7
- der erste Verbindungsabschnitt (18) mit der oder den Vertiefungen (28) korrespondierende Vorsprünge (30) oder mit der oder den Erhöhungen (28) korrespondierende Ausnehmungen (30) und die Vertiefung (28) oder die Erhöhung (28) einen auf die Drehachse des Zahnrads (14) bezogenen Verbindungsschrägungswinkel (alpha) aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass der
M8
Verbindungsschrägungswinkel (alpha) wie folgt definiert ist:
0° < alpha < ß."
b) Hilfsantrag 1
Das Merkmal des erteilten Anspruchs 2, wonach
M9
"der Verbindungsschrägungswinkel (alpha) und der Zahnschrägungswinkel (ß) denselben Drehsinn (T) aufweisen,"
wurde in Anspruch 1 aufgenommen.
VII. Die Beschwerdeführerin 1 (Patentinhaberin) argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Hauptantrag
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber dem Vergleichsbeispiel 4 der D9. Insbesondere bildeten die Komponenten 11 und 12 das Zahnrad der D9, so dass die Verbindungsabschnitte entgegen dem Anspruchswortlaut innerhalb des Zahnrades lägen.
Hilfsantrag 1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber Absatz [0029] der D9. Das dort genannte hypothetische Beispiel stelle keine Offenbarung der Anspruchsmerkmale dar. Zusätzlich sei Merkmal M8 nicht enthalten.
VIII. Die Beschwerdeführerin 2 (Einsprechende) argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Hauptantrag
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber dem Vergleichsbeispiel 4 der D9.
Hilfsantrag 1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber dem in Absatz [0029] der D9 genannten Beispiel. Dort sei insbesondere das hinzugefügte Merkmal M9 offenbart.
1. Hauptantrag
1.1 D9 offenbart eine
M1
Vorrichtung zum Übertragen einer Drehbewegung, umfassend
M2
ein drehbares Bauteil (first member 11).
Die Beschwerdeführerin 1 argumentierte zwar, ein drehbares Bauteil sei zum Beispiel eine Welle und das first member 11 falle nicht unter diesen Begriff. Dieses eingeschränkte Verständnis des Begriffs "drehbares Bauteil" auf eine Welle wird jedoch der Bedeutung des Wortes Bauteil, welches eine Welle sein kann, aber nicht darauf beschränkt ist, nicht gerecht. Damit fällt auch das "first member 11" unter den Begriff drehbares Bauteil.
D9 offenbart des Weiteren
M3
ein Zahnrad(second member 12, siehe unten), wobei
M4
das Zahnrad (second member 12) und das Bauteil (first member 11) mit einer Verbindungsanordnung (16, 17) verbunden sind,
M5
das Zahnrad (12) eine Schrägverzahnung (13) mit einem auf die Drehachse des Zahnrads bezogenen Zahnschrägungswinkel (ß) und einen ersten Verbindungsabschnitt (16, 17) aufweist und
M6
das Bauteil (11) einen zweiten Verbindungsabschnitt (16, 17) aufweist, mit welchem das Bauteil mit dem ersten Verbindungsabschnitt verbunden ist, wobei das Bauteil im zweiten Verbindungsabschnitt eine mit dem ersten Verbindungsabschnitt in Wirkverbindung stehende Vertiefung oder Erhöhung (16, 17) aufweist, wenn das Bauteil (11) mit dem ersten Verbindungsabschnitt verbunden ist (Absatz [0028]), und
M7
der erste Verbindungsabschnitt mit der oder den Vertiefungen (16) korrespondierende Vorsprünge oder mit der oder den Erhöhungen (17) korrespondierende Ausnehmungen und die Vertiefung oder die Erhöhung einen auf die Drehachse des Zahnrads (14) bezogenen Verbindungsschrägungswinkel (gamma) aufweist.
Hinsichtlich des Merkmals M8, wird in der D9 zwar empfohlen, den Verbindungsschrägungswinkel gamma größer als den Winkel ß auszugestalten (Absätze [0029], [0055], [0062], Anspruch 1). Es wurde jedoch eine Vorrichtung als Vergleichsbeispiel "comparative example 4" angefertigt, bei dem die Werte gamma = 10° und ß = 25° verwendet wurden (Absatz [0053], Tabelle 2). Dieses Vergleichsbeispiel zeigt also das Merkmal M8, wonach der Verbindungsschrägungswinkel (gamma) die Bedingung
0° < gamma < ß erfüllt.
1.2 Die Beschwerdeführerin 1 argumentierte, das "second member 12" der D9 stelle allein kein Zahnrad im Sinne des Anspruchs dar. Vielmehr werde gemäß Absatz [0027] der D9 das Zahnrad 10 durch die beiden Komponenten 11 und 12 gebildet. Die Komponente 11 sei das Innenteil des Zahnrades 10 und die Verbindungsanordnung 16/17 liege, entgegen dem Anspruchswortlaut, innerhalb des Zahnrades. Das Zahnrad sei zwar mehrteilig aufgebaut, aber ein "geschlossenes Bauteil", das sich klar von möglichen anderen Bauteilen abgrenzen lasse.
In Bezug auf die Abgrenzung des Zahnrades von anderen Bauteilen umfasst der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Streitpatent, Absatz [0022] auch Zahnräder, die an dem drehbaren Bauteil angespritzt sind, also untrennbar damit verbunden sind. Daher ist es für das anspruchsgemäße Zahnrad nicht erforderlich, ein "geschlossenes Bauteil" zu bilden, dass sich klar von anderen Bauteilen abgrenzen lässt.
Zusätzlich (siehe oben) ist der Begriff "drehbares Bauteil" in Merkmal M2 auch nicht weiter eingeschränkt. Daher ist er so zu verstehen, dass das "first member 11" der D9 unter den Begriff "drehbares Bauteil" fällt. Es ist insbesondere nicht notwendig, dass das drehbare Bauteil eine Welle umfasst.
Daher liefert der Anspruchswortlaut keine Merkmale, die einer Zuordnung des "first member 11" als drehbares Bauteil und des "second member 12" als Zahnrad widersprechen würden.
1.3 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand von Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht neu gegenüber D9.
2. Hilfsantrag 1
2.1 In Hilfsantrag 1 wurde das Merkmal M9 in Anspruch 1 aufgenommen, wonach
"der Verbindungsschrägungswinkel (alpha) und der Zahnschrägungswinkel (ß) denselben Drehsinn (T) aufweisen".
2.2 Die Beschwerdeführerin 2 verwies auf Absatz [0029] der D9, der eine Anordnung beschreibe, in der zwar der Verbindungsschrägungswinkel entgegen dem Zahnschrägungswinkel geneigt ist. Die letzten beiden Sätze von Absatz [0029] wiesen aber darauf hin, dass der Verbindungsschrägungswinkel gamma auch Werte von > 90° annehmen könne. Dies bedeute einen gleichen Drehsinn von Zahnschrägungswinkel ß und Verbindungsschrägungswinkel gamma.
Die entsprechende Passage in Absatz [0029] lautet: "If the angle gamma is 90° or more, the ridgeline a will be inclined in the same direction as that of the teeth 14 with respect to the axis. Thus, the shearing force in the tooth trace direction will likely to cause coming-off and large displacement."
Die Beschwerdeführerin 2 war der Meinung, dass diese Passage eine konkrete mögliche Ausgestaltung beschreibt. Sie habe zwar die im zweiten Satz beschriebenen Nachteile, sei aber gleichwohl offenbart.
In Absatz [0029] ist jedoch explizit erwähnt, dass die beiden Winkel in der beschriebenen Ausführungsform einen entgegengesetzten Drehsinn besitzen (Seite 3, Zeile 4). Ein Winkel gamma von mehr als 90° würde dem widersprechen. Daher beschreibt die oben zitierte Passage, die diesen Winkelbereich erwähnt, für den fachkundigen Leser nicht etwa eine weitere mögliche und eigenständige Ausführungsform, sondern stellt lediglich eine Erklärung dar, warum ein Winkel gamma von mehr als 90° nicht wünschenswert ist.
2.3 Selbst wenn man die oben zitierte Passage als Offenbarung einer eigenständigen Ausführungsmöglichkeit ansehen würde, würde diese dennoch den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht vorwegnehmen, und zwar aus folgenden Gründen:
Merkmal M8 verlangt, dass 0° < alpha < ß gilt. Somit muss der Verbindungsschrägungswinkel (alpha bzw. in D9 gamma) kleiner sein als der Zahnschrägungswinkel ß.
In dem in Bezug auf Figur 5 genannten Beispiel von Absatz [0029] der D9 ist jedoch, bei gegenläufigem Drehsinn der beiden Winkel, der Betrag des Winkels gamma größer als der Betrag des Zahnschrägungswinkels (gamma > ß) (Seite 3, Zeile 7). Bei einem angenommenen Überschreiten des Wertes gamma = 90° hätten zwar die beiden Winkel im Sinne von Merkmal M9 denselben Drehsinn. Aber der Betrag des Winkels gamma gegenüber der Achsenrichtung wäre immer noch größer als der Zahnschrägungswinkel ß. Um Merkmal M8 zu erfüllen, müsste der Winkel gamma zusätzlich eingeschränkt sein auf Werte von
90°+ß < gamma < 180°.
Dieses hypothetische Beispiel aus Absatz [0029] würde damit das Merkmal M8 nicht aufweisen, wonach der Verbindungsschrägungswinkel gerade auf Werte kleiner als der Zahnschrägungswinkel eingeschränkt ist
(0° < alpha < ß).
2.4 Bezüglich des Hauptantrags war das Vergleichsbeispiel 4 (comparative example 4) der D9 relevant. Dort weisen die Winkel ß und gamma jedoch einen entgegengesetzten Drehsinn auf und damit ist Merkmal M9 nicht offenbart.
Des Weiteren gibt es auch keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung, dass Merkmale des Vergleichsbeispiels 4 mit Merkmalen des hypothetischen Beispiels aus Absatz [0029] so zu kombinieren wären, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 ergäbe.
2.5 Daher ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 neu gegenüber D9.
3. Die Beschwerdeführerin 2 erhob keine weiteren Einwände gegen Hilfsantrag 1. Nach Ansicht der Kammer genügen die Ansprüche von Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchenund einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche:
Nr. 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag 1 vom 26. Oktober 2021