T 0286/23 07-02-2025
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Verfahren und Vorrichtung zur lithographiebasierten generativen Fertigung von dreidimensionalen Bauteilen
Einspruchsgründe - mangelnde erfinderische Tätigkeit (ja)
Änderung des Vorbringens - in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten
Änderung des Vorbringens - Hilfsantrag 1 (ja)
Beschwerdeerwiderung - unzureichende Substantiierung des Antrags
Beschwerdeerwiderung - Hilfsantrag 1 (ja)
Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK 2020 erfüllt (nein)
Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen
Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Hilfsantrag 1 (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - im erstinstanzlichen Verfahren zugelassen (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - Ermessensfehler in erster Instanz (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen Zulassung (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 266 594 (das Patent) zurückzuweisen.
Die Einspruchsabteilung kam in der angefochtenen Entscheidung unter anderem zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 15 angesichts einer Kombination der Druckschriften D1 und D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Ferner ließ sie die Druckschrift D6 nicht im Einspruchsverfahren zu.
II. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) hat auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin erwidert.
III. Die Beteiligten wurden antragsgemäß zu einer für den 7. Februar 2025 anberaumten mündlichen Verhandlung geladen.
IV. In einer am 25. September 2024 erlassenen Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK legte die Kammer unter anderem ihre vorläufige Einschätzung dar, dass
- der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 angesichts einer Kombination der Druckschriften D1 und D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und
- sie dem in der Beschwerdebegründung gestellten Hilfsantrag der Beschwerdeführerin, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuweisen, zu entsprechen beabsichtige.
V. Mit Schreiben datiert vom 4. Februar 2025 nahm die Beschwerdegegnerin erneut Stellung.
VI. Am 7. Februar 2025 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
Im Laufe der Verhandlung stellte sich insbesondere die Frage der Zulassung von Hilfsanträgen, insbesondere Hilfsantrag 1, und der Druckschrift D6 sowie die Frage einer weiteren Entscheidung über die Beschwerde durch die Kammer oder einer etwaigen Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung. Nach Anhörung der Parteien zu diesen Punkten und Beratung teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung mit, wie sie zu verfahren beabsichtige und aus welchen Gründen, und gab den Parteien erneut die Möglichkeit zur mündlichen Stellungnahme.
In der am Ende der mündlichen Verhandlung verkündeten, vorliegend schriftlich begründeten Entscheidung ist das Parteivorbringen bis zum Zeitpunkt der Entscheidungsverkündung berücksichtigt.
VII. Die Kammer hatte über die folgenden Anträge zu entscheiden.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Im Übrigen beantragte sie die Zulassung der Druckschrift D6 im Beschwerdeverfahren.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des Anspruchssatzes gemäß einem der im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsanträge 1 bis 9. Im Übrigen beantragte sie, die Druckschrift D6 nicht im Beschwerdeverfahren zuzulassen. Für den Fall, dass dem Hauptantrag nicht stattgegeben würde, beantragte sie die Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung.
VIII. Auf die folgenden bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Druckschriften wird in dieser Entscheidung Bezug genommen.
D1:|EP 2 905 121 A1 |
D2:|WO 2015/197794 A1 |
D6:|T.W. Lim et al., "Direct single-layered fabrication of 3D concavo-convex patterns in nano-stereolithography", Appl. Phys. A 84, 379 bis 383, 2006.|
IX. Der Anspruch 1 des Patents wie erteilt lautet wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):
"[A1] Verfahren zur lithographiebasierten generativen Fertigung von dreidimensionalen Bauteilen (3), [A2] bei dem durch Einwirkung elektromagnetischer Strahlung verfestigbares Material (2) in einer Wanne vorliegt, [A3] eine Bauplattform (4) in Abstand vom Wannenboden (1) positioniert wird, [A4] zwischen der Bauplattform (4) und dem Wannenboden (1) befindliches Material (2) ortsselektiv mit Hilfe einer Bestrahlungseinheit bestrahlt wird, wobei [A5] die elektromagnetische Strahlung von unten durch einen für die Strahlung zumindest bereichsweise durchlässigen Wannenboden der Wanne (1) in das Material (2) eingebracht und nacheinander auf Fokuspunkte (5) innerhalb des Materials (2) fokussiert wird, wodurch jeweils ein am Fokuspunkt (5) befindliches Volumenelement des Materials (2) verfestigt wird, wobei [A6] die Verfestigung mittels Multiphotonenabsorption erfolgt, wobei [A7] die elektromagnetische Strahlung mittels einer vor dem optischen Abbildungssystem (10) angeordneten Ablenkeinheit (9) abgelenkt wird, dadurch gekennzeichnet, dass [A8] das Volumen des Fokuspunkts (5) während des Verfahrens zumindest einmal variiert wird, sodass der [sic] Bauteil (3) aus verfestigten Volumenelementen unterschiedlichen Volumens aufgebaut wird, wobei [A9] die Ablenkeinheit (9) ausgebildet ist, um den Fokuspunkt (5) in einer zum Wannenboden (1) im Wesentlichen parallelen Ebene zu verstellen."
Der unabhängige erteilte Anspruch 15 ist auf eine Vorrichtung zur lithographiebasierten generativen Fertigung von dreidimensionalen Bauteilen zur Durchführung eines Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 14 gerichtet.
X. Die Beteiligten trugen Folgendes vor.
a) Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ
i) Beschwerdeführerin
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe angesichts einer Kombination der Druckschriften D1 und D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Merkmal A9 sei in Absatz [0062] der Druckschrift D1 offenbart. Zum Merkmal A8 lehre die Druckschrift D1 nicht explizit, dass die in den Absätzen [0013], [0033] und [0051] angesprochenen Änderungen des Volumens des Fokuspunkts während des Verfahrens zur Herstellung eines (einzigen) Bauteils erfolgten und das Bauteil aus "verfestigten Volumenelementen unterschiedlichen Volumens" aufgebaut sei. Die wiederholte Verwendung der Adjektive "dynamisch" und "aktiv" in den Absätzen [0051] und [0033] hätte der Fachmann aber als starken Hinweis darauf (wenn nicht gar implizite Offenbarung) verstanden, dass die zur Rede stehenden Veränderungen während des Verfahrens erfolgten und zu unterschiedlich großen Volumenelementen führten. Die objektive technische Aufgabe im Hinblick auf das Merkmal A8 sei darin zu sehen, eine Kombination aus hoher Auflösung und hoher Schreibgeschwindigkeit zu ermöglichen. Diese Aufgabe liege auch der Druckschrift D1 zugrunde (siehe Spalte 3, Zeilen 21 und 22). Die Druckschrift D1 enthalte ferner Anregungen zur Verwendung zusätzlicher, strahlformender Elemente im Strahlengang (siehe Absatz [0051]), zur Erzeugung unterschiedlich großer Voxel (siehe Absatz [0013]) und zur Anpassung der Fokalvolumina während des Schreibvorgangs ("dynamisch" und "aktiv" in den Absätzen [0051] und [0033]). Die Druckschrift D2 betreffe die gleiche Aufgabe (siehe Seite 2, Zeilen 31 und 32) und überschneide sich auch mit Blick auf andere Merkmale (strahlformende Elemente im Strahlengang, Erzeugung unterschiedlich großer Voxel) mit der Offenbarung der Druckschrift D1. Der Fachmann habe daher hinreichend Anlass gehabt, die Druckschrift D2 zur Lösung der ihm gestellten Aufgabe heranzuziehen. In der Druckschrift D2 hätte er dann die Anregung gefunden, das Fokalvolumen während des Schreibvorgangs zu ändern und so zu erreichen, dass das Bauteil aus verfestigten Volumenelementen unterschiedlichen Volumens aufgebaut werde (siehe beispielsweise Seite 5, Zeilen 4 bis 13 der Druckschrift D2).
ii) Beschwerdegegnerin
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe angesichts einer Kombination der Druckschriften D1 und D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Druckschrift D1 offenbare nicht die Merkmale A7, A8 und A9. Diese Druckschrift gebe auch keinen Hinweis darauf, dass das für die Parallelisierung vorgesehene optische Element für die Variation des Fokuspunktvolumens herangezogen werden solle oder ausgebildet sei, um das Volumen der verfestigten Volumenelemente zu ändern, oder dass das Volumen des Fokuspunkts überhaupt variiert werde. Bei der in der Druckschrift D1 offenbarten Anordnung sei aufgrund der hohen numerischen Apertur der Objektive keine Verstellung des Fokuspunktes mittels des Umlenkspiegels möglich. Gemäß der Druckschrift D1 seien Abbildungsfehler und ein "Ausschmieren" des Brennpunkts nachteilig. Hingegen sei es gemäß der Lehre der Druckschrift D1 vorteilhaft, wenn sich während der Strukturierung die Bedingungen für die Ausbildung des Fokalbereichs nicht änderten und nahe an optimalen, vom Hersteller der Optik vorgegebenen Bedingungen gearbeitet werden könne. Aus Absatz [0037] der Druckschrift D1 gehe hervor, dass das Substrat dann optimal getroffen werde, wenn der Laserspot am kleinsten sei. In Absatz [0012] beschreibe die Druckschrift D1, dass im Stand der Technik bei Mehrphotonen-Strukturierung auf ein gutes Auflösungsvermögen verzichtet werden müsse, um große Strukturen zu erzeugen. Eine hohe Auflösung werde ferner in der Aufgabe der Erfindung in Absatz [0008] der Druckschrift D1 als Ziel angeführt. Der Fachmann entnehme der Druckschrift D1 somit die Lehre, dass ein möglichst kleiner Fokuspunkt ohne Abbildungsfehler und ohne ein Ausschmieren des Fokuspunkts entscheidend sei, um eine hohe Auflösung zu gewährleisten. Jegliche Maßnahme, die die Ausbildung des Fokuspunkts und damit das Auflösungsvermögen der Druckschrift D1 nachteilig beeinflusse, stehe daher im Widerspruch zur Lehre der Druckschrift D1.
Empfindliche Wellenfrontveränderungsmittel, wie das in Figur 4 der Druckschrift D2 gezeigte optische Element, seien nicht dafür ausgelegt, an bewegbaren Systemen angeordnet zu werden, da jede Bewegung das Risiko einer Fehlausrichtung in sich berge. Die in der Druckschrift D2 vorgeschlagenen optischen Elemente zur Verformung der Wellenfront seien explizit dazu eingerichtet, die Wellenfront eines Laserstrahls zu verzerren, der folglich fokussiert werde. Siehe dazu Seite 7, Zeilen 5 bis 8 der Druckschrift D2, wonach das Fokalvolumen umso größer sei, je stärker die Verzerrung der Wellenfront sei. Eine Verzerrung der Wellenfront des Lichts eines einzelnen Brennpunkts sei bei der Druckschrift D1 selbst unter Verwendung des dort offenbarten Lichtmodulators nicht zwingend notwendig, da es nur auf die Verteilung der Intensität zwischen den einzelnen Brennpunkten, nicht aber auf etwaige Verzerrungen innerhalb eines Brennpunkts ankomme. Der Lichtmodulator der Druckschrift D1 erfülle einen anderen Zweck und sei daher nicht mit dem Element zur Verformung der Wellenfront der Druckschrift D2 gleichzusetzen. Wenn ein von der Druckschrift D2 vorgeschlagenes optisches Element zur Verformung der Wellenfront im Strahlengang der Druckschrift D1 angeordnet werde, sei eine Abbildung der ursprünglich vom Laser bereitgestellten Pulse nicht mehr ohne eine Verzerrung, ein Ausschmieren und eine Vergrößerung des Fokalvolumens erreichbar. Die optischen Elemente zur Verzerrung der Wellenfront der Druckschrift D2 würden in der Vorrichtung der Druckschrift D1 somit unweigerlich zu einer Verschlechterung der Auflösung führen.
Gemäß der Druckschrift D1 habe der Fachmann Volumenelemente unterschiedlichen Volumens bereits durch die in der Druckschrift D1 offenbarte Änderung der Laserleistung erhalten können. Die Druckschrift D1 offenbare ferner in den Absätzen [0031] bis [0033], dass mehrere voneinander beabstandete Laserfokusse verwendet werden könnten, um eine Verfestigung gleichzeitig an mehreren Stellen zu erreichen. Auch diese Maßnahme führe zu einer erhöhten Schreibgeschwindigkeit unter Beibehaltung einer hohen Auflösung. Es habe daher in Anwendung des Could-Would-Ansatzes keine Veranlassung für den Fachmann bestanden, die Druckschrift D2 bezüglich einer etwaigen Variation des Volumens des Fokuspunkts zu konsultieren.
b) Berücksichtigung des Hilfsantrags 1 der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren
i) Beschwerdeführerin
Die Beschwerdegegnerin habe den Hilfsantrag 1 weder im Einspruchsverfahren noch im Beschwerdeverfahren substantiiert. Er sei somit nicht Gegenstand des Verfahrens. Gemäß der Entscheidung T 217/10 gelte ein Antrag erst dann als wirksam gestellt, wenn er substantiiert sei. Die Beschwerdeführerin habe im Beschwerdeverfahren keine Einwände gegen die Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin erhoben, da diese nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden seien.
ii) Beschwerdegegnerin
Der vorliegende Hilfsantrag 1 sei identisch zu dem Hilfsantrag 1, der mit der Einspruchserwiderung vorgelegt worden sei. Dieser sei dort auch substantiiert worden. Es seien Offenbarungsquellen für die vorgenommenen Änderungen angegeben worden. Aus dem Zusammenhang ergebe sich auch, welche Einwände damit ausgeräumt werden sollten. Eine angeblich fehlende Substantiierung der Hilfsanträge sei vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer auch nicht gerügt worden.
c) Zulassung der Druckschrift D6 im Beschwerdeverfahren
i) Beschwerdeführerin
Die Druckschrift D6 sei im Beschwerdeverfahren zuzulassen. Die Prima-Facie-Relevanz dieser Druckschrift liege nicht in der Offenbarung eines bestimmten Mechanismus zur Änderung des Volumens des Fokuspunkts, sondern in der Anordnung von Umlenkspiegeln im Strahlengang. In der erteilten Fassung der Ansprüche 1 und 15 spiele die Reihenfolge von Umlenkspiegel und optischem Element 8 keine Rolle, aber für die mit der Einspruchserwiderung eingereichten Hilfsanträge sei diese relevant. Zudem stütze sich die Einspruchsabteilung in Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung auf angebliche Schwierigkeiten bei der Kombination von schwenkbaren Spiegeln mit Wellenfrontveränderungssystemen im Zusammenhang mit der Druckschrift D2. Es handle sich dabei um von der Einspruchsabteilung neu in das Verfahren eingebrachte Gründe, die für die Beschwerdeführerin nicht vorhersehbar gewesen seien. Beide Aspekte stellten eine Änderung des Streitgegenstands dar und rechtfertigten die Zulassung von neuem Stand der Technik. Zudem sei die Druckschrift D6 nicht sehr lang und sei einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden, so dass es für die Beteiligten hinreichend Zeit zur Berücksichtigung dieser Druckschrift gegeben habe. Die Kammer habe ferner ein eigenes Ermessen bei der Zulassung der Druckschrift im Verfahren. Jedenfalls dann, wenn die Beschwerdegegnerin den Hilfsantrag 1 aus der Einspruchserwiderung vom 21. Mai 2021 oder einen anderen Hilfsantrag, der die Anordnung der Umlenkspiegel betreffe, auch im Beschwerdeverfahren aufrechterhalte, müsse die Kammer zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die Druckschrift D6 im Verfahren zulassen, da jedenfalls dann die Umstände der Beschwerdesache eine Zulassung rechtfertigten.
ii) Beschwerdegegnerin
Die Druckschrift D6 sei nicht im Beschwerdeverfahren zuzulassen. Die diesbezügliche Entscheidung der Einspruchsabteilung sei nicht zu beanstanden.
d) Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
i) Beschwerdeführerin
Der ursprünglich in der Beschwerdebegründung gestellte Hilfsantrag auf Zurückweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung werde zurückgenommen. Gemäß Artikel 11 VOBK verweise eine Kammer die Angelegenheit nur dann zur weiteren Entscheidung an das Organ zurück, das die angefochtene Entscheidung erlassen habe, wenn besondere Gründe dafür sprächen; besondere Gründe lägen in der Regel vor, wenn das Verfahren vor diesem Organ wesentliche Mängel aufweise. Vorliegend lägen weder wesentliche Verfahrensmängel noch anderweitige besondere Gründe für eine Zurückverweisung vor.
ii) Beschwerdegegnerin
Es lägen besondere Gründe vor, die für eine Zurückverweisung sprächen. Die Hilfsanträge seien nicht Gegenstand des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung gewesen. Sie beträfen Aspekte, die in diesem Verfahren nicht angesprochen worden seien. Die Fairness gebiete es, der Beschwerdegegnerin zwei Instanzen zu ermöglichen. Eine Zurückverweisung würde auch dem in der Beschwerdebegründung gestellten Hilfsantrag der Beschwerdeführerin sowie der in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK dargelegten, ursprünglichen Intention der Kammer entsprechen. Es wäre für die Beschwerdegegnerin überraschend, wenn die Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erörtert würden.
XI. Nach Verkündung der Entscheidung am Ende der mündlichen Verhandlung und vor Abfassung der schriftlichen Entscheidungsbegründung ist der Kammer ein Schreiben der Beschwerdeführerin datiert vom 10. Februar 2025 zugegangen.
Der Inhalt dieses Schreibens wurde für die Abfassung der vorliegenden Entscheidungsbegründung nicht weiter berücksichtigt, da es der Kammer erst nach Schluss der Debatte und Verkündung der Endentscheidung zuging.
Auch können die darin gestellten Anträge weder zum Zeitpunkt der Abfassung der Entscheidungsbegründung noch zu einem späteren Zeitpunkt von der Kammer behandelt werden, noch könnte ihnen stattgegeben werden, da die Kammer mit dem Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung an diese verkündete Entscheidung gebunden ist (siehe G 12/91, ABl. EPA 1994, 285).
1. Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ
Die Einspruchsabteilung war in der angefochtenen Entscheidung unter anderem zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht durch eine Kombination der Druckschriften D1 und D2 nahegelegt worden sei. Die Beschwerdeführerin tritt dieser Ansicht entgegen.
1.1 Unterscheidungsmerkmal
Die Einspruchsabteilung war in der angefochtenen Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Druckschrift D1 nicht das Merkmal A8 offenbare (siehe Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe).
Dieser Ansicht widerspricht die Beschwerdeführerin in Punkt 4 ihrer Beschwerdebegründung nicht. Sie führt am Ende des Punkts 5.1 ihrer Beschwerdebegründung aus, die wiederholte Verwendung der Adjektive "dynamisch" und "aktiv" in den Absätzen [0051] und [0033] der Druckschrift D1 wäre vom Fachmann als starker Hinweis darauf (wenn nicht gar implizite Offenbarung) verstanden worden, dass die zur Rede stehenden Veränderungen während des Verfahrens erfolgten und zu unterschiedlich großen Volumenelementen führten.
Keiner der zitierten Absätze offenbart jedoch, dass das Volumen eines Fokuspunkts variiert wird, oder dass dies während des Verfahrens geschieht, wie in Merkmal A8 angegeben. Absatz [0033] der Druckschrift D1 offenbart im Hinblick auf das Adjektiv "dynamisch" lediglich, dass ein elektrisch ansteuerbarer räumlicher Lichtmodulator als dynamisch variable Phasenmaske eingesetzt wird, der eine gezielte Verteilung der Lichtintensität in mehrere Brennpunkte und somit eine Teil-Parallelisierung des Strukturierungsprozesses bewirkt und dass zusätzlich die Brennpunkte durch gezielte dynamische Modulation der Phase im Raum bewegt werden können. Absatz [0051] der Druckschrift D1 offenbart den Einsatz von aktiven, vorzugsweise dynamisch anpassbaren diffraktiven optischen Elementen oder aktiven räumlichen Lichtmodulatoren. Eine implizite Offenbarung des Merkmals A8 ergibt sich hieraus nicht.
Die Beschwerdegegnerin sieht auch das Merkmal A9 nicht in der Druckschrift D1 offenbart (siehe Punkt 3.1 der Beschwerdeerwiderung).
Auf diesen Gesichtspunkt ist die Einspruchsabteilung in Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung eingegangen. Dem Vortrag der Beschwerdegegnerin ist nicht zu entnehmen, warum die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, das Merkmal A9 sei in der Druckschrift D1 offenbart, fehlerhaft sein sollte. Insbesondere verlangt weder dieses Merkmal noch der erteilte Anspruch 1 als Ganzes, dass der Fokuspunkt allein durch die Ablenkeinheit verstellt wird und beispielsweise das optische Abbildungssystem daran nicht beteiligt ist. Vielmehr ist im Anspruchszusammenhang nicht ausgeschlossen, dass der Fokuspunkt durch eine Veränderung an der Ablenkeinheit und zusätzlich eine damit koordinierte Bewegung des optischen Abbildungssystems verstellt wird.
Es ist unstrittig, dass in der Druckschrift D1 der Umlenkspiegel der Fokussieroptik nachgeführt wird. Dies impliziert, dass der Fokuspunkt dadurch verstellt wird, dass die Fokussieroptik bewegt wird und der Umlenkspiegel dabei so verstellt wird, dass das von der Laserquelle eintreffende Licht von dem Umlenkspiegel zu der Fokussieroptik geleitet wird (siehe auch Absatz [0059] der Druckschrift D1). Dieses Vorgehen ist von dem Merkmal A9 umfasst.
An anderen Stellen der Beschwerdeerwiderung (siehe beispielsweise vorletzter Absatz auf Seite 8) sieht die Beschwerdegegnerin das Merkmal A7 als weiteres Unterscheidungsmerkmal. Dem Vortrag der Beschwerdegegnerin ist jedoch nicht zu entnehmen, warum dieses Merkmal nicht im Hinblick auf den in der Druckschrift D1 offenbarten Umlenkspiegel 2 (Ablenkeinheit) und die Fokussieroptik 3 (optisches Abbildungssystem) offenbart sein sollte (siehe Figuren 2 und 12), wie dies auch die Einspruchsabteilung gesehen hat.
Das Verfahren gemäß dem erteilten Anspruch 1 unterscheidet sich damit nur durch das Merkmal A8 von dem in der Druckschrift D1 offenbarten Verfahren.
1.2 Objektive technische Aufgabe
Die Einspruchsabteilung sah die objektive technische Aufgabe im Hinblick auf das Merkmal A8 darin, eine Kombination aus hoher Auflösung und hoher Schreibgeschwindigkeit zu ermöglichen. Dieser Auffassung stimmt die Beschwerdeführerin zu. Die Beschwerdegegnerin geht, wie oben dargelegt, von zusätzlichen Unterscheidungsmerkmalen aus und sieht die objektive technische Aufgabe darin, dass auch große Strukturen mit hoher Auflösung bei annehmbaren Prozesszeiten geschrieben werden können.
Aus den oben genannten Gründen unterscheidet sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von dem in der Druckschrift D1 offenbarten Verfahren lediglich durch das Merkmal A8. Vor diesem Hintergrund ist die von der Einspruchsabteilung verwendete Formulierung der objektiven technischen Aufgabe nicht zu beanstanden.
1.3 Naheliegen: Kombination der Druckschriften D1 und D2
In Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, dass der Fachmann das in der Druckschrift D1 offenbarte System nicht mit dem in der Druckschrift D2 offenbarten System kombiniert hätte. Die Druckschrift D1 sehe bei den Ausgestaltungen, in denen die Belichtung durch einen Materialbehälter erfolge, einen schwenkbaren Umlenkspiegel vor. Es sei aber nicht erkennbar, wie eine solche Anordnung mit schwenkbarem Umlenkspiegel mit der in der Figur 4 der Druckschrift D2 gezeigten Ausgestaltung kombiniert werden könne. Die Beschwerdegegnerin führt diesbezüglich aus, dass empfindliche Wellenfrontveränderungsmittel, wie das in Figur 4 der Druckschrift D2 gezeigte optische Element, nicht dafür ausgelegt seien, an bewegbaren Systemen angeordnet zu werden, da jede Bewegung das Risiko einer Fehlausrichtung in sich berge.
Es ist unstrittig, dass sich die Druckschrift D2 mit der technischen Aufgabe beschäftigt, wie eine Kombination aus hoher Auflösung und hoher Schreibgeschwindigkeit ermöglicht werden kann (siehe insbesondere Seite 2, Zeilen 24 bis 32). Auch sieht diese Druckschrift zur Lösung dieser technischen Aufgabe vor, dass verschiedene Bereiche des gleichen Objekts mit unterschiedlichen Voxelgrößen geschrieben werden (siehe Seite 5, Zeilen 4 bis 13). Dies wird dadurch erreicht, dass die Abmessungen des Fokuspunktes während des Schreibvorgangs verändert werden (siehe Seite 5, Zeilen 25 bis 34).
Somit gab die Druckschrift D2 dem Fachmann einen Hinweis auf die erfindungsgemäße Lösung der objektiven technischen Aufgabe.
Strittig ist jedoch, ob der Fachmann diese Lösung auch auf das in der Druckschrift D1 offenbarte Verfahren übertragen hätte. Die Frage ist dabei, ob der Fachmann eine angemessene Erfolgserwartung hatte, die in der Druckschrift D2 offenbarte Lösung auch bei dem in der Druckschrift D1 offenbarten Verfahren auszuprobieren.
Auf Seite 9, Zeile 28 bis Seite 10, Zeile 2 gibt die Druckschrift D2 an, dass die zuvor offenbarte Ausgestaltung verändert werden kann, indem beispielsweise eine Ablenkeinheit mit schwenkbaren Spiegeln verwendet wird. Der Fachmann hätte dies als direkten Hinweis verstanden, die zuvor offenbarte Lösung (siehe beispielsweise Figur 4 der Druckschrift D2) auch dann auszuprobieren, wenn die Positionierung des Fokuspunktes mit schwenkbaren Spiegeln erfolgt (wie dies beispielsweise in der Druckschrift D1 der Fall ist). Selbst wenn die Druckschrift D2 eine solche Kombination nicht in allen Details zeigt, hätte der Fachmann bei Zuhilfenahme seines allgemeinen Fachwissens eine solche Ausgestaltung realisieren können. Für ihre Ansicht, ein Wellenfrontveränderungsmittel sei nicht geeignet, an bewegbaren Systemen angeordnet zu werden, hat die Beschwerdegegnerin keinen überzeugenden Nachweis erbracht. Aber selbst wenn der Fachmann diesbezüglich Bedenken gehabt hätte, gab die Druckschrift D2 auf Seite 10, Zeilen 1 und 2 den Hinweis, die dort offenbarte Lösung auch in Kombination mit einer Strahlablenkung mittels schwenkbarer Spiegel in Erwägung zu ziehen.
Die Beschwerdegegnerin führt aus, dass bei der Anordnung der Druckschrift D1 aufgrund der hohen numerischen Apertur der Objektive keine Verstellung des Fokuspunktes mittels des Umlenkspiegels möglich sei.
Wie oben dargelegt, offenbart die Druckschrift D1 jedoch gerade, dass der Fokuspunkt dadurch verstellt wird, dass die Fokussieroptik bewegt wird und der Umlenkspiegel so verstellt wird, dass das vom Laser eintreffende Licht von dem Umlenkspiegel zu der Fokussieroptik geleitet wird. Die Merkmale A7 und A9 sind daher in der Druckschrift D1 offenbart.
Die Beschwerdegegnerin verweist auf die Absätze [0008], [0012], [0014] und [0037] der Druckschrift D1 und trägt vor, der Fachmann habe dieser Druckschrift die Lehre entnommen, dass ein möglichst kleiner Fokuspunkt ohne Abbildungsfehler und ohne ein Ausschmieren des Fokuspunkts entscheidend sei, um eine hohe Auflösung zu gewährleisten. Jegliche Maßnahme, die die Ausbildung des Fokuspunkts und damit das Auflösungsvermögen nachteilig beeinflusse, stehe daher im Widerspruch zur Lehre der Druckschrift D1.
Zwar mag die Druckschrift D1 selbst Maßnahmen offenbaren, mit denen eine hohe Auflösung erreicht werden soll. Dies bedeutet für sich genommen jedoch nicht, dass es dem Fachmann ausgehend von dieser Druckschrift nicht nahegelegen hätte, eine Kombination aus hoher Auflösung und hoher Schreibgeschwindigkeit anzustreben, oder dass er die in der Druckschrift D2 hierzu vorgeschlagene Lösung nicht in Erwägung gezogen hätte. Dies gilt auch dann, wenn bei der Implementierung der vorgeschlagenen Lösung das Auflösungsvermögen durch im Strahlengang angeordnete Mittel zur Verformung der Wellenfront beeinflusst wird. Auch dass eine Verzerrung der Wellenfront des Lichts eines einzelnen Brennpunkts bei der Druckschrift D1 selbst nicht zwingend notwendig ist, hätte den Fachmann nicht davon abgehalten, die von der in der Druckschrift D2 vorgeschlagene Lösung bei dem in der Druckschrift D1 offenbarten Verfahren anzuwenden.
Die Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, dass in der Druckschrift D1 Volumenelemente unterschiedlichen Volumens bereits durch die in der Druckschrift D1 offenbarte Änderung der Laserleistung hätten erhalten werden können. Die Druckschrift D1 offenbare ferner in den Absätzen [0031] bis [0033], dass mehrere voneinander beabstandete Laserfokusse verwendet werden könnten, um eine Verfestigung gleichzeitig an mehreren Stellen zu erreichen. Auch diese Maßnahme führe zu einer erhöhten Schreibgeschwindigkeit unter Beibehaltung einer hohen Auflösung. Es habe daher keine Veranlassung für den Fachmann bestanden, die Druckschrift D2 bezüglich einer etwaigen Variation des Volumens des Fokuspunkts zu konsultieren.
Selbst wenn die Druckschrift D1 eine oder mehrere andere Lösungen für die objektive technische Aufgabe vorschlagen sollte, schließt dies für sich genommen jedoch nicht aus, dass der Fachmann aus dem Stand der Technik einen Hinweis auf eine weitere (in diesem Fall die anspruchsgemäße) Lösung der objektiven technischen Aufgabe gefunden hätte. Diese Überlegungen widersprechen auch nicht dem Could-Would-Ansatz.
1.4 Zusammenfassung zur erfinderischen Tätigkeit
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht angesichts einer Kombination der Druckschriften D1 und D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung entgegensteht.
2. Berücksichtigung des Hilfsantrags 1 der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren
2.1 Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht, die Beschwerdegegnerin habe den Hilfsantrag 1 weder im Einspruchsverfahren noch im Beschwerdeverfahren substantiiert. Er sei somit nicht Gegenstand des Verfahrens. Gemäß der Entscheidung T 217/10 gelte ein Antrag erst dann wirksam gestellt, wenn er substantiiert sei.
Der Anspruchssatz des vorliegenden Hilfsantrags 1 ist identisch zu dem von Hilfsantrag 1, der mit der Einspruchserwiderung eingereicht worden ist. Die Beschwerdeführerin hat keine Gründe dafür angeführt, warum dieser Hilfsantrag ihrer Ansicht nach in der Einspruchserwiderung nicht substantiiert vorgetragen wurde. Wie auch von der Beschwerdegegnerin dargelegt wurde, ist der Hilfsantrag 1 in der Einspruchserwiderung substantiiert worden (siehe Punkt 3.1 der Einspruchserwiderung).
Der Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin ist im Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten worden (siehe Artikel 12 (4) VOBK).
2.2 Die Beschwerdeführerin trägt unter Verweis auf die Entscheidung T 217/10 vor, der Hilfsantrag 1 sei nicht im Beschwerdeverfahren wirksam gestellt worden, da er dort nicht substantiiert worden sei.
Zum Zeitpunkt der Entscheidung T 217/10 galt jedoch eine ältere Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, die sich von der vorliegend anwendbaren Fassung (siehe ABl. EPA 2024, A15) in den hier relevanten Punkten deutlich unterscheidet, sodass diese Entscheidung nicht als einschlägig erachtet wird.
2.3 Gemäß Artikel 12 (3) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Dementsprechend müssen sie deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen; sie sollen ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen.
Auf Seite 1 der Beschwerdeerwiderung schreibt die Beschwerdegegnerin lediglich "[h]ilfsweise wird beantragt, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, und zwar gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 9, vorgelegt im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren". Dieser Vortrag erfüllt nicht die Erfordernisse des Artikels 12 (3) VOBK. Daher ergibt sich nach Artikel 12 (5) VOBK, dass es im Ermessen der Kammer steht, den Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin nicht zuzulassen.
Die Kammer berücksichtigte bei der Ausübung dieses Ermessens, dass der vorliegende Hilfsantrag 1 in identischer Fassung bereits im Einspruchsverfahren mit der Einspruchserwiderung eingereicht worden ist. Dort ist er auch substantiiert worden. Mit der Beschwerdeerwiderung wurde als der dem Streitpatent in erteilter Fassung nachrangige nächste Antrag der identische Hilfsantrag 1 wie im Einspruchsverfahren weiterverfolgt. Die Beschwerdeführerin beantragte ursprünglich mit der Beschwerdebegründung hilfsweise eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung. In der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer mit, wie sie die Antragslage verstanden hatte - von der Beschwerdeführerin bis zur mündlichen Verhandlung unwidersprochen geblieben -, und dass sie diesem Hilfsantrag der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Prüfung des Hilfsantrags 1 stattzugeben beabsichtige. Erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nahm die Beschwerdeführerin ihren Hilfsantrag auf Zurückverweisung zurück, ohne die Rücknahme zu diesem späten Verfahrensstadium zu begründen. Auch eine mangelnde Substantiierung des Hilfsantrags 1 ist erstmals von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer gerügt worden. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält gegenüber dem erteilten Anspruch 1 weitere beschränkende Merkmale, so dass davon auszugehen ist, dass damit eine weitere Abgrenzung gegenüber dem zitierten Stand der Technik erreicht werden soll. Einwände gegen den Hilfsantrag 1, die über die Frage der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragten Nichtzulassung hinausgehen, sind von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht erhoben worden, insbesondere weder nach Darlegung der Antragslage in der Beschwerdeerwiderung noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren.
Vor diesem Hintergrund entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (5) VOBK, den Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
3. Zulassung der Druckschrift D6 im Beschwerdeverfahren
3.1 Die Einspruchsabteilung hatte die Druckschrift D6 nicht im Einspruchsverfahren zugelassen, da diese ihrer Ansicht nach nicht prima facie relevant sei (siehe Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung). Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, diese Druckschrift sei im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Da die Druckschrift D6 mangels Zulassung nicht der angefochtenen Entscheidung im Sinne von Artikel 12 (2) VOBK zugrunde liegt, stellt das auf sie gestützte Vorbringen eine Änderung im Sinne von Artikel 12 (4) VOBK dar. Die Zulassung einer solchen Änderung steht im Ermessen der Kammer.
Artikel 12 (6), erster Satz, VOBK sieht vor, dass die Kammer Anträge, Tatsachen, Einwände oder Beweismittel, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, nicht zugelassen wurden, nicht zulässt, es sei denn, die Entscheidung über die Nichtzulassung war ermessensfehlerhaft oder die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.
Ein Ermessensfehler seitens der Einspruchsabteilung ist nicht erkennbar. Insbesondere hat die Einspruchsabteilung die Frage der Prima-Facie-Relevanz und daher das richtige Kriterium für die Ausübung ihres Ermessens herangezogen. Es ist nicht Aufgabe der Kammer, die Sachlage des Falls nochmals wie die Einspruchsabteilung zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Selbst wenn die Beschwerdeführerin dieser Druckschrift eine hohe Relevanz zuschreibt, bedeutet dies für sich genommen nicht, dass die Entscheidung über die Nichtzulassung ermessensfehlerhaft wäre.
Wenn die Beschwerdeführerin die Druckschrift D6 für relevant für die erfinderische Tätigkeit hinsichtlich der erteilten Ansprüche gehalten hat, hätte es ihr oblegen, diese Druckschrift (und die darauf gegründeten Einwände) bereits innerhalb der in Artikel 99 (1) EPÜ genannten Neunmonatsfrist einzureichen. Ein diesbezügliches Versäumnis seitens der Beschwerdeführerin ist auch nicht retrospektiv dadurch gerechtfertigt, dass die Beschwerdegegnerin während des Einspruchsverfahrens Hilfsanträge einreichte.
Die Beschwerdeführerin nimmt auch auf Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug. Dort werde auf angebliche Schwierigkeiten bei der Kombination von schwenkbaren Spiegeln mit Wellenfrontveränderungssystemen 49 gemäß der Druckschrift D2 verwiesen. Es handle sich dabei um von der Einspruchsabteilung neu in das Verfahren eingebrachte Gründe, die für die Beschwerdeführerin nicht vorhersehbar gewesen seien.
Dem Vortrag der Beschwerdeführerin ist jedoch nicht zu entnehmen, welche Gesichtspunkte in Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe neu aufgeworfen sein sollen, die nicht bereits zuvor, beispielsweise in Punkt 2.2.1 der Einspruchserwiderung der Beschwerdegegnerin datiert vom 21. Mai 2021, vorgetragen wurden. Ferner legt die Einspruchsabteilung in Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe dar, warum sie der auf die Kombination der Druckschriften D1 und D2 gegründete Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht überzeugt. Dass ein zuvor erhobener Einwand die Einspruchsabteilung nicht überzeugt, rechtfertigt für sich genommen jedoch nicht das verspätete Vorlegen der Druckschrift D6 und das Erheben neuer Einwände.
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Nichtzulassung der Druckschrift D6 ist nicht mit einem Ermessensfehler behaftet.
3.2 Die Beschwerdeführerin führt aus, die Kammer müsse zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die Druckschrift D6 im Verfahren zulassen, falls die Beschwerdegegnerin den Hilfsantrag 1 aus der Einspruchserwiderung oder einen anderen Hilfsantrag, der die Anordnung der Umlenkspiegel betreffe, auch im Beschwerdeverfahren aufrechterhalte.
Diese Ansicht ist nicht überzeugend. Da die Beschwerdeführerin die Druckschrift D6 offenbar für relevant für die erfinderische Tätigkeit der erteilten Ansprüche hält, hätte es ihr, wie oben angemerkt, oblegen, diese Druckschrift in dieser Hinsicht innerhalb der in Artikel 99 (1) EPÜ genannten Neunmonatsfrist einzureichen.
Die Beschwerdegegnerin reichte den von der Beschwerdeführerin angesprochenen Hilfsantrag 1 ferner bereits mit Schreiben vom 21. Mai 2021 ein. Die Druckschrift D6 legte die Beschwerdeführerin jedoch erst mit Schreiben datiert vom 30. Juni 2022 (eingegangen am 8. Juli 2022) vor. Warum die Druckschrift D6 erst über ein Jahr nach der Vorlage des Hilfsantrags 1 eingereicht wurde, erläutert die Beschwerdeführerin nicht. Die Einreichung der Druckschrift D6 ist vielmehr auch im Hinblick auf den Hilfsantrag 1 verspätet. Auch zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin ist die Kammer nicht dazu verpflichtet, die Druckschrift D6 im Verfahren zulassen. Vielmehr hat die Kammer nach Artikel 12 (6), erster Satz, VOBK ein Ermessen, über die Zulassung zu entscheiden.
Aus folgenden Gründen rechtfertigen die Umstände der Beschwerdesache allerdings eine Zulassung der Druckschrift D6 im Beschwerdeverfahren. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, diese Druckschrift nicht zuzulassen, beruhte auf ihrer Einschätzung einer fehlenden Prima-Facie-Relevanz dieser Druckschrift im Hinblick auf die unabhängigen Ansprüche des erteilten Patents. Sie war der Auffassung, dass die Druckschrift D6 - ebenso wie die von ihr als Ausgangspunkt für die erfinderische Tätigkeit betrachtete Druckschrift D1 - das Merkmal A8 nicht offenbare. Da der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung entgegensteht, ist in einem nächsten Schritt der Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin zu prüfen. Die unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags 1 unterscheiden sich von denen des erteilten Patents durch weitere beschränkende Merkmale, für welche die Beschwerdeführerin eine hohe Relevanz der Druckschrift D6 geltend macht. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass die Kammer entschied, den Hilfsantrag 1 im Verfahren zuzulassen, obwohl der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdegegnerin nicht die Erfordernisse des Artikels 12 (3) VOBK erfüllt, entschied die Kammer in Anwendung ihres Ermessens nach Artikel 12 (6), erster Satz, VOBK, die Druckschrift D6 im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
4. Schlussfolgerung
Da der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung entgegensteht, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin sowie die Druckschrift D6 wurden im Verfahren zugelassen.
5. Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung
Da die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Beschwerde insoweit begründet war, hatte die Kammer weiterhin über die Beschwerde insgesamt zu entscheiden. Bestandteil der Beschwerde bildete zumindest auch Hilfsantrag 1 (siehe oben Punkt 2).
Bei der Entscheidung über die Beschwerde wird die Kammer gemäß Artikel 111 (1), zweiter Satz, EPÜ entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück. Insoweit besteht also ein Ermessen der Kammer.
Gemäß Artikel 11 VOBK verweist eine Kammer die Angelegenheit nur dann zur weiteren Entscheidung an das Organ zurück, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen.
Auch wenn die Situation, dass das Verfahren vor diesem Organ wesentliche Mängel aufwies und bei der eine Zurückverweisung regelmäßig stattfindet, vorliegend nicht einschlägig ist, da kein wesentlicher Verfahrensmangel festgestellt wurde, lagen nach Ansicht der Kammer dennoch besondere Gründe vor, die im vorliegenden Fall für die Zurückverweisung sprachen. Diese sind wie folgt.
Die Beschwerdegegnerin beantragte hilfsweise eine Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung. Auch die Beschwerdeführerin beantragte in der Beschwerdebegründung ursprünglich ebenfalls hilfsweise eine Zurückverweisung. Erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nahm sie diesen Hilfsantrag zurück, ohne Gründe für die Rücknahme in diesem späten Verfahrensstadium anzugeben. Die Kammer hatte in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK die Beteiligten davon in Kenntnis gesetzt, dass sie, sollte sie nach Anhörung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung an der in der Mitteilung dargelegten Meinung hinsichtlich der erteilten Ansprüche festhalten, zu einer Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung tendiere. Bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung herrschte somit Einigkeit im Hinblick auf die von der Kammer beabsichtigte Zurückverweisung.
In der angefochtenen Entscheidung hat sich die Einspruchsabteilung nicht mit den Hilfsanträgen der Beschwerdegegnerin, d.h. auch nicht mit Hilfsantrag 1, auseinandergesetzt. Dies war auch nicht nötig, da sie zu dem Ergebnis kam, dass der geltend gemachte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung nicht entgegenstehe. Es sprechen somit vorliegend besondere Umstände für eine Zurückverweisung (siehe beispielsweise auch Punkt 2 der Entscheidungsgründe der Entscheidung T 1174/15).
Zwar war aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde erkennbar, dass sie Einwände gegen die Hilfsanträge hatte (siehe insbesondere Punkt 7 der Beschwerdebegründung), allerdings wurden derartige Einwände im Beschwerdeverfahren zu keinem Zeitpunkt substantiiert geltend gemacht. Ein pauschaler Verweis auf das Schreiben vom 30. Juni 2022 (eingegangen am 8. Juli 2022) genügt nicht den Erfordernissen von Artikel 12 (3) VOBK. Es ist nicht Aufgabe der Kammer oder der anderen Beteiligten, sich die vermeintlichen Einwände aus dem genannten Schreiben zu erschließen.
Auch mit der nunmehr im Verfahren zugelassenen Druckschrift D6 hat sich die angefochtene Entscheidung nicht inhaltlich auseinandergesetzt, so dass sich die Sachlage insoweit geändert hat.
Schließlich ist es das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (siehe auch Artikel 12 (2) VOBK).
In Anbetracht der vorangehenden Erwägungen hat die Kammer in Ausübung des ihr gemäß Artikel 111 (1) EPÜ und Artikel 11 VOBK eingeräumten Ermessens entschieden, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.